Von toten Dichtern und lebendigen Musikern ...
Musikalische Projekte, in denen sich Musiker unterschiedlicher Bands und Stilrichtungen zusammenfinden, sind für mich immer mit ganz besonderem Charme und ganz besonderer Spannung verbunden. Einerseits, weil sich die Musiker jenseits ihres üblichen Repertoires bewegen und dabei oft neue Dinge in ungewohnter Weise umsetzten. Andererseits, weil häufig auch das Publikum aus verschiedenen Ecken kommt und neugierig ist auf das Besondere. Dies gilt umso mehr für Reinhardt Repkes CLUB DER TOTEN DICHTER. Im Jahr 2006 machte der Club mit den vertonten Gedichten von Heinrich Heine auf dem Album "Das Buch der Lieder" und der gleichnamigen Tour erstmalig von sich reden. Auf Heine folgten Wilhelm Busch und Rainer Maria Rilke. Inzwischen sind sie längst keine Unbekannten mehr - sind quasi vom Geheimtipp zum Markenzeichen avanciert.
Im April 2013 ist das aktuelle Album "Freude schöner Götterfunken - Schiller neu vertont" erschienen, das schon seit Monaten immer und immer wieder in meinem CD-Player läuft. Und mindestens ebenso lange das Konzert in der Kreuzberger Passionskirche in meinem privaten Konzertkalender. Heute nun ist es endlich soweit. Die Vorrede startet Dirk Darmstaedter mit einem Auszug aus dem Prolog zu Schillers "Wallenstein". Das bekannte Zitat "Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst" dürfen wir getrost als Motto des Programms verstehen. Denn obwohl er nicht müde wird, immer wieder Schillers düstere Seite und die traurig-melancholischen Lieder zu bemühen, ist unübersehbar und unüberhörbar, dass Musiker und Publikum gleichermaßen ihren Spaß daran haben.
Das "Liebesbündnis schöner Seelen" ist nicht nur der erste Titel des Albums und des heutigen Abends, sondern auch in meiner persönlichen Favoritenliste ganz weit oben. "Das ist ja der Wahnsinn, wie die Musik die Texte unterstreicht", flüstert mir meine Nachbarin ins Ohr. Wie recht sie damit hat. Die wunderbar gefühlvollen Kompositionen und Arrangements lassen uns ganz intensiv einsteigen. Nicht die intellektuelle Sicht steht dabei im Vordergrund, sondern die menschliche, gefühlsmäßige - das macht Schiller greifbar und auf eine spezielle Art sehr lebendig. Die einzigartige Umsetzung der Musiker öffnet Herz und Hirn für den tieferen Sinn der Texte, die schon einige Jahre auf dem Buckel haben und sich trotzdem gut auf die heutige Zeit übertragen lassen. "Verbindet jene schon ein Wort, verbindet jene ein stiller Blick. Gleich Spiegeln strahlet eins der andern Blick zurück ..." Der eine oder andere wird verstehen, was ich damit meine.
"Hallo und guten Abend! Ich bin hier der Neue", begrüßt Dirk Darmstaedter das Publikum in den dicht gefüllten Reihen der Passionskirche. "Die Band ist ja immer die gleiche, nur der Leadsänger wird jedes Mal ausgetauscht. Ich weiß auch nicht warum", lässt er uns wissen, und dass er froh ist, diesmal dabei sein zu dürfen. Schiller - für ihn der Rocker, der Nick Cave unter den Dichtern. Und dass ihm diese ganz besondere Interpretation von Schillers Texten liegt, wird schnell deutlich. Das Programm lebt von der Abwechslung und den Geschichten, mit denen sie uns an der Entstehung des Schiller-Programms teilhaben lassen. Davon, dass sie sich auf der Bühne gegenseitig die Bälle und die musikalischen Einsätze zuspielen. Während sich Dirk Darmstaedter (voc, git, harp), Reinhardt "Maxs" Repke (voc, git), Andreas "Spatz" Sperling (keyb, voc), Markus Runzheimer (bass, voc) und Tim Lorenz (drums, perc) ihren Instrumenten widmen, habe ich das Gefühl, dass jeder in seiner ganz eigenen Welt ist. Und doch sind sie ganz offensichtlich auf der gleichen Wellenlänge, wie das harmonische Zusammenspiel und die grinsenden Blickwechsel untereinander zeigen.
Bevor sie gemeinsam auf Tour gegangen sind, haben sie sich zu einem intensiven Probenlager in Alt Ruppin getroffen. Alt Ruppin, das direkt neben Neuruppin liegt, wie wir heute Abend gelernt haben. Die Erzählungen von dieser Woche drehen sich um jede Menge Musik, gutes Essen und viel Spaß und lassen bei mir spontan ein Kopfkino mit Klassenfahrtatmosphäre entstehen. In dieser Zeit ist auch das Video zu "Die Antiken von Paris" entstanden, den sie uns natürlich heute präsentieren. Auch hier der gleiche Effekt: "Der allein besitzt die Musen, der sie trägt im warmen Busen. Dem Vandalen sind sie Stein ..." Dazu habe ich so einige Bilder und Erlebnisse im Kopf - solche, an die ich mich gern erinnere und auch solche, auf die ich lieber verzichtet hätte. Genau dieser rote Faden zieht sich durch den ganzen Abend. Die Songs erzeugen Assoziationen, die den Klassiker mit der heutigen Zeit verbinden und eine Atmosphäre, die sich irgendwie andächtig und gleichzeitig lebendig anfühlt.
Dass sie sich im Gesang abwechseln, sei gut für die Dramaturgie. Mit einem ironischen Lächeln gibt uns Dirk die Botschaft weiter, die ihm Maxs anfänglich vermittelt hat und die ihm wohl nicht so ganz zu behagen scheint. Doch dem Publikum ist es recht. Dadurch kommen wir in den Genuss ganz unterschiedlicher, stimmiger Interpretationen und Eindrücke. Nicht zu vergessen, die zahlreichen Geschichten um das Drumherum, die vor allem Maxs und Dirk zum Besten geben. Sei es die um Schillers "Punschlied" und die verfaulten Äpfel in seinem Schreibtisch. Die um Maxs' speziellen Apfel, dessen Farbe inzwischen von frischem grün zu herbstlichem braun gewechselt hat und der nur noch in einem speziellen Behältnis mit der Band reisen darf. Die um Schillers Obduktionsbericht und das Wunder, dass der Mensch überhaupt so lange leben konnte. Die um seine rhetorische Fähigkeiten oder die Vortragsstile der einzelnen Bandmitglieder. Und vor allem die um das Kennenlernen der beiden Protagonisten und das, was daraus entstanden ist. Auch die anderen Musiker folgen den Erzählungen - mal breit grinsend und mal andächtig lauschend.
Stück für Stück bringen sie uns Schiller und die einzelnen Mitglieder des CLUB DER TOTEN DICHTER näher. Wer es noch nicht wusste, erfährt heute, wem wir die wundervollen Kompositionen und Arrangements zu verdanken haben - Maxs hat sie jedem einzelnen auf den Leib geschneidert. Titel wie "Hoffnung", "Sehnsucht" und "Die seligen Augenblicke", gesungen von Dirk Darmstaedter, der für seine technische Tourausrüstung für elf Jahre Ersatzstrom dabei hat. "Der Pilgrim", aufrecht am Mikrofon stehend vorgetragen von Markus, auch wenn dies nicht seiner üblichen, meist tief über den Bass gebeugten Körperhaltung entspricht. Oder die "Würde der Frauen", den Spatz zum Vortrag bringt. Um diesen speziellen Text wird er offensichtlich von Dirk beneidet, da der überraschenderweise bei den weiblichen Gästen besonders gut ankommt. "Ehret die Frauen! Sie flechten und weben himmlische Rosen ins irdische Leben ..." Klar, dass man damit Pluspunkte sammeln und in der bandinternen Wertung ganz vorn landen kann. Und so ist es Spatz, der häufig "Pulie" - das Publikumsliebling-Maskottchen - mit ins Hotelzimmer nehmen darf. Über Tim erfahren wir ganz nebenbei, dass er die gleichen Drums wie einst Ringo Starr spielt, seine älteste Trommel aus den 20er Jahren stammt und eine Schraube aus den 50ern für bessere Resonanz sorgt, als die aus den 70ern. Lediglich die Geschirrtücher, die wegen des weicheren Klangs als Abdeckung eingesetzt werden, dürfen neueren Datums sein.
Diese Art der Bandvorstellung sorgt für zahlreiche Lacher und die Menschen und ihre Stories bleiben in Erinnerung. Das gilt auch für die These, dass dem armen Chef nur die schweren Stücke bleiben, die sonst keiner übernehmen will. Doch der Hinweis auf Frank Sinatra und den Erkennungsapplaus, der bei seinen Songs stets nach den ersten Takten einsetzt, erzielt die gewünschte Wirkung. Kein Wunder, Maxs ist Profi und weiß genau, dass man sich seine Erfolge eben manchmal selbst organisieren muss. Sei es für "Das Glück und die Weisheit", "An Emma" oder "Der Jüngling am Bache" - er erfährt den begeisterten und warmen Applaus der Konzertbesucher genauso wie die anderen Interpreten. Sie nehmen sich selbst nicht ganz so wichtig, ihre Musik dafür umso mehr. Zwischendurch stimmt Dirk Darmstaedter seine Gitarre mit dem Hinweis: "Wir sind in Berlin, da muss es perfekt sein ... Naja, das geht schon so ..." Sie arbeiten intensiv mit dem Publikum, das die kleinen und größeren Geschenke dankbar entgegen nimmt. Sie nehmen sich gegenseitig liebevoll auf die Schippe und sind sich absolut eins bei ihrer Musik, die sie mit Inbrunst und Überzeugung darbieten.
Maxs erzählt von einem Interview, in dem er gefragt wurde: "Sie haben sich doch hoffentlich nicht an DEM Schiller-Text vergriffen?" Doch, sie haben - zum Glück, denn "Freude schöner Götterfunken" ist ein weiterer meiner Favoriten. In ihrer Fassung hat der Text so gar nichts angestaubtes mehr, wirkt vielmehr erhaben und doch lebendig. Damit wir nach diesem Abend nicht nur mit schönen, traurig-melancholischen Liedern im Kopf nach Hause gehen, werden wir freundlich aber nachdrücklich auf den Teil zum Mitsingen hingewiesen. "Huren, morden, stehlen, balgen heißt bei uns die Zeit zerstreun. Morgen hangen wir am Galgen, drum lasst uns heute lustig sein ..." Das "Räuberlied" birgt eigentlich beste Voraussetzungen zum Mitsingen und doch wirkt der Chor heute eher zurückhaltend. Vielleicht liegt es an den schüchternen Herren, die die Frauen nicht übertönen mögen, vielleicht auch am ehrwürdigen Gotteshaus, in dem derartige Texte nicht so leicht über die Lippen gehen, wie im Dorfkrug.
Weder schüchtern noch verhalten ist das Publikum dann glücklicherweise beim Schlussapplaus. Ausgiebig und begeistert spenden sie den Musikern den absolut verdienten Beifall. Welch ein wunderbarer Abend mit dem CLUB DER TOTEN DICHTER - eine großartige Zusammenstellung und eine grandiose Umsetzung. Ich finde schon das Album fabelhaft, aber die Live-Version ist noch besser. Hier zeigt sich, dass auch leisere, sanfte Titel eine jazzige oder rockige Note haben und einen mitreißenden Charme entwickeln können. Die strahlenden Gesichter auf der Bühne spiegeln die entspannte Begeisterung der Musiker und so spendieren sie noch einige Zugaben. Dadurch kommt zu guter Letzt noch ein besonderes Instrument zum Einsatz, das mir bereits zum Beginn ins Auge gefallen war. Beim Schlusschor zur "Ode an die Freude" nimmt der Pianist im Schneidersitz am Bühnenrand Platz und begleitet uns auf seinem einzigartigen Instrument - seinem "Spatzway". Eine schöne Idee, das Publikum mit derartig verbindendem Gesang im Kopf nach Hause zu schicken. Mit den Gedanken an Schiller, den Rocker unter den Dichtern, in der sehr aufmerksamen und gefühlvollen Version des CLUB DER TOTEN DICHTER.
Bericht:
Grit Bugasch
Fotos:
Sandy Reichel
Grit Bugasch
Fotos:
Sandy Reichel
Termine:
15.11.2013 - Neubrandenburg - Schauspielhaus
16.11.2013 - Großenhain - Kulturzentrum
17.11.2013 - Parchim - Theater
22.11.2013 - Ravensburg - Zehntscheuer
23.11.2013 - Baden-Baden - Kurhaus
30.11.2013 - Dippoldiswalde - Parksäle
Die Tour wird fortgesetzt!
Alle Angaben ohne Gewähr. Weitere Infos und Termine auf der Homepage des 'Clubs'
Bitte beachtet auch:
- Off Homepage vom Club der toten Dichter: www.club-der-toten-dichter.de
- Portrait über den Club der Toten Dichter: HIER