Andreas Hähle
Fotos:
Patricia Heidrich
FÄHRMANN im Literatur & Kunstcafé "Litera" zu Strausberg
ach der fährmann hat es schwer
glücklich fährt er übers meer
leider immer nur hin und her
vom kanal übers kattegat
bei flut quer durchs friesische watt
doch immer nur würmer fressen macht auch nicht so satt
ach der fährmann hat es schwer
schon wie er sein bemoostes ruder hält
denkt jeder mit ihm führe man aus dieser welt
Ein Fährmann ist als Metapher ein Inbegriff von Einsamkeit, von Ewigkeit, von Weisheit, von Gelassenheit, von Alterslosigkeit. Ein bisschen von alldem kann man dem FÄHRMANN, dem fahrenden Barden durch die Gewässer durchaus ländlicher Breiten, ohne Skrupel anheften. So mag es auch sinnvoll sein, dass er - wie auch immer - zu diesem doch sehr klischeebeladenen Spitz- und Künstlernamen kam. Vor gefühlten Ewigkeiten trotz seines mitunter durchaus jungenhaften Aussehens. Von Unaufgeregtheit war in der plakatierten Vorwerbung die Rede. Ein Versprechen, das gehalten wurde. Ich könnte es mir bei ihm auch einfach machen und schlicht erklären, dass es sich bei ihm um einen Liedermacher handelt. Falsch wäre es nicht. Aber es wäre nicht ausreichend. Viel treffender ist da schon der Name, mit welchem er über das Leben und durch die Lande fährt, sein Name. Ein anderer ist nicht denkbar. Seinen richtigen Namen vergesse ich immer wieder. Und das zeigt schon, wie treffend die Bezeichnung FÄHRMANN ist, bezogen auf die Geschichten, welche er singend und sprechend erzählt. Auch auf sein Aussehen und auch auf sein Wesen.
Und so sang er uns also. Im kleinen aber feinen Literatur & Kunstcafé "Litera" in Strausberg. Mit seiner rauchsamtenen Stimme. Von Sehnsüchten, dem lieblichen Schmelz des Angekommenseins und von dem, was nach dem Kusse bleibt. Der fahrende Spitzbube. Die Menschen, das spürt man von Anfang an, hören es gerne. Wie auch seine witzig-schelmischen Zwischentexte. Seine Texte sind ebenfalls fahrende Gesellen, wandernd durch Metaphern und Allegorien all der und all unserer fahrenden seelischen Zwischentöne. So scheut der gut behutete Lumpazivagabundis mit dem neuerdinglichen Spitzbärtchen (nicht ganz nach Ulbricht-Fasson, eher wie Trotzki in der Schweiz) keine Art von Lebensbeschreibung. Wie ein Träumer singt er uns ein, dass es Zeit zum Segeln wäre. Und stimmt immer mal wieder während des Konzertes seine Gitarre. Vor allem, damit sie gut mit den vielen sensiblen Mundharmonikas harmoniert. Und er uns dann auf gute Weise ein neues Lied spielen kann, mit zwei Instrumenten und seiner Stimme. Zum Beispiel von einer, die gerade an ihn denkt. Warum auch immer. Vielleicht wegen der Liebe. "Ich werd dich finden..." Wegen der Liebe geht es ja meistens. Selbst dann, wenn es nicht wegen der Liebe geht. Selbst dann, wenn es wegen der Liebe nicht geht. "Vielleicht für immer".
Immer wieder rezitiert er putzig-munter Texte eines Freundes, welcher sehr schön gereimte skurrile Geschichten ersinnt und malt. Auch das Gemalte zeigt der FÄHRMANN zur Illustrierung seines Vortrages gerne. Situationskomik inbegriffen. Auch mit dieser kann er sehr gut umgehen. Das Publikum wird so zum Teil des Konzertes. Zwar so nicht bestellt, aber zumindest erfolgreich abgeholt. Besser kann man nicht ausdrücken, dass man sich bei einem FÄHRMANN-Konzert wohlfühlt. Dieser zieht unbeeindruckt weiter singend über alle möglichen denkbaren Lebenslandschaften dahin wie ein Moritatensänger, nur dass seine Moritaten nicht so schaurig sind, wenn auch gänsehauterzeugend, jedoch aus ganz anderen Gründen.
Denn er verführt singend herbeigeträumte oder -geschriebene Gespielinnen, treu einem sauberen Deutsch dienend, der Geschichtenerzähler FÄHRMANN. Dann fliegen wir mit ihm, wohin der Wind uns weht. "Wirfst ab, was dir nicht passt und gehst." Da bricht der wilde On-the-Road-Traum Bahn und zieht uns in seinen Bann. Das hätten wir ja auch schon fast vergessen. Fast. Fast vergessen auch die Geschichte von der "Wiege des Christentums". Die uns der FÄHRMANN wer weiß schon wie viele Jahre wieder und wieder erzählt. Eine Geschichte, in der es gar nicht um eine Wiege geht, sondern um das Kreuz. Wieder eine Rezitation eines Werkes seines reimenden Freundes.
"Wie viel Zeit liegt da im Rinnstein... Meine Mutter war der Regen, mein Vater war der Sand... Jeder Wind, der mich bewegt, liegt als Staub hier überm Land..." Beinahe folkloristisch singt er uns von der ewig uns bewegenden Frage, warum die Idioten dieser Welt immer wieder das Hemd in die Hose stopfen, damit es ihnen keiner klaut und von der Frage, warum die fröhlichen lebenstollen Typen sich immer wieder fragen müssen (manchmal auch fragen lassen müssen), worauf sie eigentlich warten. Oder mit wem. Oder warum. Eigentlich - ein bisschen zumindest - auch wegen der Idioten. Man weiß beim FÄHRMANN nie so ganz genau, was privat gemeint sein möchte und was nur für die Allgemeinheit. Bei ihm verdichtet sich alles im wahrsten Sinne des Wortes zu einer Idee, zu einer Geschichte.
"In the early morning rain" in einer deutschen frei adaptierten Fassung. Sehr nahe klingend bei Reinhard Mey. Sowohl der deutsche Text als auch das Lied selbst. Obschon es ja ein gecovertes ist. Vielleicht liegt es ja auch an des FÄHRMANNS Stimme. So ganz unverwandt sind sich die deutschen Barden kaum. Selbst dann nicht, wie es scheint, wenn sie einen Titel aus einem anderen Sprachraum adaptieren. Und schon rezitiert der FÄHRMANN wieder munter einen Reim seines Freundes. Dieser nennt sich Rusty Trawler nach einem Namen, der im berühmten Hollywood-Klassiker "Frühstück bei Tiffany" auftaucht, wenn auch nur ganz am Rande. Im Text selbst ging es um einen fortpflanzungswilligen Vogel, der jedoch bedauerlicherweise der letzte seiner Art war. Immerhin, ein gewisser Trost, wenn auch ein frustrierender. Diese seltsame Balance aller möglichen Gefühle findet sich in vielen FÄHRMANN-Texten. Auch in den gesungenen. Stoppok, Danny Dziuk, FÄHRMANN - ja, irgendwie scheinen diese Vögel tatsächlich die letzten ihrer Art zu sein. Da ist es auch völlig in Ordnung, wenn der FÄHRMANN auf eine sehr eigene und sehr interessante Weise einen Titel von "Silly" nachinterpretiert, quasi instandbesetzt.
Noch ein kleines Phänomen an diesem Abend: Der kleine gemütliche Raum des Literatur & Kunstcafés "Litera" ist nach der Pause gefüllter als vor der Pause. Denn pünktlich zur Pause erscheinen einige Nachzügler. Der zweite Teil beginnt mit der wunderschönen ins Deutsche übersetzten Ballade "Susann" von Leonard Cohen. Die deutsche Textversion ist sicherlich Vielen auch bekannt durch die Interpretation von Herman van Veen. Und wieder erzeugt der FÄHRMANN Gänsehaut.
Und schon rezitiert dieser Schelm wieder Reime. Diesmal Reime eines anderen Freundes, des Dichters IKO. Reime, die wie Limericks angelegt sind, jedoch keine sind. Die metrische Farbe nutzen sie jedoch, die Klangfarbe des Vortrages spiegelt sich deutlich und sehr witzig wider. Des FÄHRMANNs bester Freund, der Micha aus Mettmann, filmte vieles davon. Vielleicht finden wir eines Tages Teile dieses Konzertes bei youtube wieder, so dass Ihr Euch selber ein Bild und einen Reim darauf machen könnt.
Und wieder singt der FÄHRMANN. Vom Küssen, vom Gehen, von der See und vom Gleis 7. Und streift so sprachlich galant mit dieser fährmannadäquaten Story einen Hauch Melancholie über die windstillen Schatten des ausklingenden Tages, und wir schauen gebannt nach der Fähre "mit gläsernen Fracht".
Nostalgisch verbrämt, jedoch nicht altbacken folgt die Geschichte zum doch recht neu in den Duden eingeführten Wort "Schulp". Gereimt, natürlich.
Etwas für ihn beinahe Untypisches gibt er uns auch mit auf den Weg. Einen Fast-Rock´n-Roll. "Und nichts, was meine Lenden weckt." Über das Verlorensein im Versuchtsein ohne Versuchung, jedenfalls ohne wirklich lohnenswerte Versuchung. FÄHRMANNs Musik ist jedoch lohnenswerte Versuchung. Vor allem, wenn dann noch die Mundharmonika ausbricht. Damit kann er sehr gut und ausgiebig improvisieren. Wenn er selber und wenn das Publikum es wollen.
Nach einer erneuten Rezitation ein "Lied über Aussteiger". Aussteiger sind wir eigentlich alle, weil wir zu faul oder zu feige sind, dort einzusteigen, wo man einsteigen müsste, um kein Aussteiger mehr zu sein. Das kann viele Gründe haben. Wir steigen nicht ein, weil kein Platz mehr frei ist und wir im Gedränge stehen müssten und zwar im Gang. Oder weil wir die eventuell doch freien Plätze selbst bezahlen müssten, obwohl wir gar kein Geld haben. Oder weil wir von vornherein wissen, dass wir sowieso wieder rausgeschmissen werden, wenn wir nicht mehr gebraucht werden, um die leeren Plätze zu füllen und zwar, bevor wir das letzte Stück Kohle verschippt haben und vor allem, bevor uns die Heuer ausgezahlt wurde. "Und ich lauf ich lauf soweit die Füße tragen..."
Der FÄHRMANN hatte mal Versicherungen verkauft. So ist die gesellschaftliche Parabel doch wieder eine recht private. "Dass die Erde unter mir sich dreht..." Und auf die Anheuerer bezogen: "Wenns euch nicht mehr gäb´, tät´s mir nicht weh." Und schon ist der FÄHRMANN wieder weit auf hoher See. "Fahr bitte nicht so weit hinaus", singt er und fährt doch mit uns an weit entfernte Ufer, die tief in unserer Seele vergraben schienen, bis er sie wieder singend ausgräbt. So wird er uns zum Lotsen, zum Lieben- und Leidenswächter. Indem er uns einfach etwas auf seiner immer frisch gestimmten Gitarre spielt, etwas singt und uns ein paar Töne von seiner Mundharmonika herüberwehen lässt. Obwohl ständig auf Reisen sich fühlend, kann so ein Abend doch ein Anker sein. Und immer irgendwie ein wenig uns der Ironie des FÄHRMANNs überlassen wollen wir uns und schon gerne mit ihm immer noch ein Stückchen weiter hinausfahren. Den tönenden Sternen der Gitarre nachjagen wie schreiende Möwen den Brotkrumen der Touristen, mit denen der FÄHRMANN sein Fahrwasser bestückt. "Wo ich herkam, da heißt es Heimat, wohin wir kommen, weiß ich nicht." Seine letzte CD ist zwar schon sieben Jahre alt, wie er selber bedauert, aber immerhin kann man diese und die Erinnerung an diesen Abend mit nach Hause nehmen.
"Was ist bloß aus uns geworden?", fragte der ewig und über alles zu staunen scheinende wie vorüberhuschend Konzertierende am Ende dieses wunderschönen Abends. Und bringt uns dazu, uns das gleich auch selbst zu fragen. In Strausberg oder anderswo. An irgendeinem Ort, zu welchem uns die Lok oder das Auto oder die Straßenbahn oder das Flugzeug führen mag. Vielleicht holt der FÄHRMANN uns auch eines Tages über. Überholt hat er uns wohl schon ein wenig. Auf eine ganz einfache Weise. Indem er sich selbst und somit sich selbst für uns bewahrt hat. Wir wollen ihm eine gute Reise wünschen, wohin es ihn auch immer verschlagen mag und wünschen uns von ganzem Herzen, dass sich unsere Wege hin und wieder kreuzen werden, damit wir wieder - wie an diesem Abend - seinen Klängen und Geschichten lauschen dürfen.
ach ohne einen fährmann ist es schwer
wir schippern doof und glücklich übers meer
leider immer nur ziellos hin und her
vom kanal suchen wir uns selbst bis zum kattegat
bei flut latschen wir fürs gewissen durchs friesische watt
doch immer als wurm sich zu fühln macht auch nicht so satt
ach käme der fährmann doch bald wieder her
schon wie er sein bemoostes ruder hält
da weiss man doch der bringt uns durch die welt