Teil 1
Der erste Teil der Biographie beschäftigt sich mit Michael Heubachs ersten Berührungen mit der Musik, ersten Unterricht und dem Entdecken seines überdurchschnittlichen Talents. Lest selbst, wie es in Sachen Musik bei ihm losging...
Entdeckung des absoluten Gehörs
Ich hatte noch keinen Klavierunterricht, beschäftigte mich aber schon ausgiebig mit den Tasten und versuchte, kleine Melodien zu "ertasten". Deshalb kannte ich die Töne, ohne sie benennen zu können. Mein Vater muss das irgendwie mitbekommen habe und machte deshalb mit mir einen Test: Ich sollte mich vom Klavier wegdrehen, er schlug einen Ton an und ich ging hin und fand ihn sofort, ohne dabei geblinzelt zu haben. Damit war klar: Ich hatte absolutes Gehör! Heute weiß ich, dass es nur ein Relatives ist, denn es gibt auch Menschen mit dieser Begabung, die schlagen mit einem Eisenrohr auf ein Blech und sagen: "Fis!" Unser Klavier daheim, mit dem ich mir die Tonhöhen in mein Gedächtnis eingrub, war ungefähr einen Viertelton zu tief, und das brachte mir manchmal Schwierigkeiten bei der Erkennung von Tönen, die auf einem anderen Instrument mit richtiger Tonhöhe gespielt worden sind. Manchmal musste ich später mein absolutes Gehör als "Waffe" einsetzen, wenn es darum ging, zu demonstrieren, wer denn hier der musikalische Herr im Hause ist. Es hat mir bei vielen Bands eine gewisse Hochachtung eingebracht, wenn ich ohne hinzugucken dem Gitarristen sagen konnte, welche falsche Harmonie er gerade gespielt hat. Oder ich konnte sofort die Tonart eines Songs sagen, der gerade im Radio lief.
Aber das absolute Gehör hat nicht nur Vorteile: Wenn ich Musik höre, spiele ich die Töne auf einer virtuellen Tastatur mit, weil ich sie eben höre! Dadurch kann ich mich oft der Musik nicht so richtig hingeben, ich bin ständig mit einer unbewussten Analyse beschäftigt. Und das begann schon in der frühen Kindheit. Die Erkenntnis der Tonerkennung nutzte ich unter anderem als Acht- oder Zehnjähriger, um einen mir bekannten Schlager auf dem Instrument nachzuspielen: "Brauner Bär und weiße Taube". Vor allen die linke Hand kam da zum Einsatz, denn ich kannte den Harmoniewechsel und schruppte fleißig Quinte auf Quinte. Gleichzeitig übte ich an "Da sprach der alte Häuptling der Indianer" von Gus Backus. Das war mein Einstieg in den Rock'n' Roll, wenn auch nur für Liebhaber erkennbar. Aber schon der Wechsel von Tonika zur Subdominante ließ mir einen leichten Schauer über den kindlichen Rücken huschen.
Wir Kinder bekamen zu dieser Zeit unsere erste Schallplatte geschenkt. Es war ausnahmsweise Popmusik und ich hörte mir den Titel so oft an, dass man hinterher die abgenutzten Vinyl-Späne der Single förmlich vom Fußboden aufkehren konnte: "Salem Aleikum, Allah sei dir gnädig"! Es muss so an die fünfzig Mal gewesen sein, ich glaube, die Scheibe war schon merklich dünner geworden.
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Klavierstunden und mein erster kommerzieller Auftritt
Ich hatte meinen ersten Klavierunterricht, als ich fünfeinhalb Jahre alt Jahre war. Eine alte Dame namens "Fräulein Karl" - der Grund ihrer Jungfernschaft blieb mir verborgen - zeigte mir, wie man durch Bewegen seiner zehn Finger auf den Klaviertasten Melodien hervorzaubern konnte. Mir fiel ein altes Klavieraufgabenheft vom Februar 1957 in die Hände. Demzufolge hatte ich schon ein Kinderlied auf und das nach Noten.

Das Üben machte mir keinen Spaß und die halbe Stunde, die ich täglich am Klavier verbringen musste, nutze ich auch zum Improvisieren. An einem Sonntag bekamen wir Besuch, ich saß am Klavier und spielte so vor mich hin und bemerkte nicht, wie es auf einmal still wurde und die Herrschaften meinem Spiel lauschten. Als ich fertig war, gab es Beifall und mein Vater schenkte mir gerührt 50 Pfennige - das entsprach meinem wöchentlichen Taschengeld! Er gab mir dadurch den Ansporn auf weitere kommerzielle Auftritte, wenn wieder einmal Besuch da war. Leider blieb es bei den ersten 50 Pfennigen und ich weiß nicht, ob mein Vater seit dem ungerührt blieb oder geizig war. Wahrscheinlich wird er erkannt haben: der Junge muss sich sein Geld verdienen und nicht durch einfaches Dahinklimpern zu Geld kommen.
Als ich viel später im 1. Studienjahr an einer Nachtbar in einem Aushang las, dass man einen Alleinunterhalter suchte, dachte ich mir, "Mensch, das wäre doch was, spielst alle Hits, die du so draufhast, Beatles, Stones, Beach Boys, improvisierst ein bisschen und schon hast du dir die Kohle verdient." Beim Vorstellungsgespräch wurde ich nach meinem "Repertoire" gefragt, nachdem ich von oben bis unten gemustert worden war: Ein langhaariger und dazu noch nicht 18 Jahre alter Mensch, der nicht einmal die Standardliteratur des Alleinunterhalters beherrschte, möchte gern routinierten alten Klavierspielern Konkurrenz machen. Da wurde mir klar: Ich war ein Nichts und hatte außer jugendlichem Größenwahn oder Naivität nichts zu bieten.
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Musikalische Gene
Eigentlich waren wir eine durch und durch musikalische Familie, die ihren Höhepunkt zu Weihnachten fand. Da gab es die Bescherung erst nach absolviertem Weihnachtsliederspiel: Zwei Blockflöten plus ein Klavier oder drei Blocklöten und kein Klavier oder Blockflöten und Gitarre, die von meiner Mutter gespielt wurde. Dazu wurde gesungen, aber nicht nur eine Strophe... Nein, alle! Und dabei ging der Blick immer unter den Christbaum, wo die Geschenke lagen. Da glich das Musizieren einer Marter.
Meine Mutter sang viel, meine Schwestern spielten Klavier und sangen auch viel und Oma, ja Oma spielte auch Klavier - und sang natürlich auch viel, wenn auch leise. Sie hatte immer ein Standardstück drauf, das sie uns oft auf dem Klavier vorspielte, wenn sie bei guter Laune war. Das war lustig. Von ihr hat meine Mutter, was Musikalität anbelangte, viel geerbt. Meine Schwester Gisela hatte auch Unterricht bei besagtem Fräulein Karl und ich hörte immer, wie sie zuhause fleißig ihre aufgegebenen Stücke übte. Bekam ich im Unterricht ein neues Stück auf, kannte ich es deshalb oft bereits und spielte es aus dem Kopf oder besser aus'm Hut nach. Dadurch verlernte ich leider, gut nach Noten zu spielen. Das ging so weit, dass ich mir neue, unbekannte Klavierstücke vorspielen ließ und schnell nach Hause rannte, um sie dort nach Gehör am Klavier nachzuspielen. Klar, irgendwann musste ich wohl oder übel die Noten rausnehmen, um das Fehlende zu ergänzen. Das hat mich gerettet, denn sonst wäre aus mir so eine Art "Jimi Hendrix des Pianos" geworden - die Legende weiß von seiner Notenunkenntnis zu berichten. Wir hätten uns natürlich noch in ein, zwei Sachen unterschieden: Er war Linkshänder, Mulatte und ein Genie und ich Rechtshänder, Weißer und kein Genie. Aber: Er spielte Gitarre nur mit sechs Seiten, während ich am Klavier einige hundert Saiten zu Verfügung hatte!
Ich ging noch nicht zur Schule, als ich mir einen leeren Schuhkarton nahm, um ihn rhythmisch mit zwei Holzquirlen zu bearbeiten! Dazu "sang" ich zum Beispiel "Glück auf, Glück auf" und verformte meine Lippen so, dass die Töne dem Sound eines Fanfarenzuges gleichkamen. In dieser Zeit wurde auch ein neues Radio zugelegt, ein Staßfurt 600 mit "magischem Auge"! Das war ein volkstümlicher Begriff für eine Röhre, die die Empfangsstärke anzeigte. Der Staßfurt wird ja heute in den Rang eines Kultradios erhoben, "der hatte noch einen vollen Klang!" oder "der klang noch richtig warm" ist eine weitverbreitete Meinung. Dabei wird vergessen, dass nur ein Lautsprecher eingebaut war, der zugleich den in Verbindung mit dem Holzgehäuse tieferen Frequenzbereich bevorzugte. Wenn also der Höhenanteil sehr mickrig ausfiel, blieben ja nur die tieferen Klanganteile übrig, und die sorgten für die legendäre Wärme. Spätere DDR-Radios mit Plastikgehäuse konnten dem Holzgehäusegerät nicht das Wasser reichen.
Kam in unserem Staßfurt-Radio Musik, stellte ich mich vor das Gerät und machte mit den Armen Bewegungen, die ich dirigieren nannte. Ich war sehr überzeugt von mir und bildete mir ein, das Orchester im Radio spielte, wie ich es wollte und nicht umgekehrt. Außerdem interessierte ich mich schon mit zehn Jahren für Gitarre. Meine Mutter spielte ein wenig dieses Instrument und sie hatte auch eine eigene Akustikklampfe zuhause. Wir fuhren als Kinder oft baden an einen kleinen See am Rande Leipzigs, den "Bagger". Neben vielen Kindern und Erwachsenen gab es da auch die Gruppe der Halbstarken. Und einer von denen spielte Gitarre und sang dazu in einer Sprache, die uns unbekannt war und Englisch hieß. Der Typ hatte ein für damals ausgeflipptes Outfit und trug eine Ente. Um Irrtümern mit der Tierwelt vorzubeugen, beschreibe ich das Ding näher: Ente, das sind am Hinterkopf in Richtung Mitte vertikal zusammengekämmte Haare und eine Tolle oder "Schmalzlocke", das ist die Quasi-Locke, die einem von der Stirn runter auf die Augen fällt. Ja, und der kannte Elvis P. wahrscheinlich persönlich, so wichtig kam der sich vor! Seine Klampfe war mit Silberbronze angemalt und mit Ziersternchen versehen! Und da dachte ich mir, das machst du auch, nahm die gute Akustikgitarre meiner Mutter und strich sie an. Mit Silberbronze. Sterne hatte ich zwar keine, sie sah aber trotzdem sehr poppig aus! An die darauf folgende Strafe kann ich mich nicht mehr erinnern, die schlechten Dinge verdrängt man lieber.
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Bulgarische Lehre
Nachdem ich ein paar Jahre die pianistischen Grund- und Begriffe beigebracht bekommen hatte, sagte mir meine Mutter, ich hätte jetzt bei Fräulein Karl genug gelernt und es wäre Zeit, dass ich mal etwas mehr gefordert würde. Gefordert! Dabei hatte ich doch schon meine ersten Klavierstunden bei Fräulein Karl geschwänzt. Meine Mutter schien das geahnt zu haben und deshalb sollte ich in festere Hände gelangen. Es waren die Hände der neu eingerichteten Kinderklasse an der Hochschule für Musik Leipzig. Es war in dieser Zeit, als mein Vater ein Tenorsaxophon nach Hause schleppte. Ich blies hinein, um den Klang nachzuahmen, den ich vom Radio her kannte. Nach anfänglichen Nur-Luft-Geräuschen entlockte ich ihm ein Klang, der alle Gleisarbeiter aufgescheucht hätte! Trotzdem wollte ich Saxophon lernen, koste es, was wolle. Und es kostete! Ich wurde nämlich vertröstet, wenn ich fleißig Blockflöte lernte, könnte ich dann auf Saxophon umsteigen, irgendwann, wenn das Wasser der Pleiße wieder rein ist. Das kann dauern. Und hier war die Chance: Ich machte die Aufnahmeprüfung an der Kinderklasse, bestand sie und lernte - Blockflöte! Und so begann ich meine ersten Unterrichtsstunden mit kleinen Blockflötenmelodien, die mich mit meinen zehn Jahren nicht gerade in Begeisterungsstürme versetzten, schwirrte mir doch dabei immer der Sound des Saxophones durch den Kopf. Als Nebenfach hatte ich Klavier und das bei einer Lehrerin, die aus Bulgarien stammte, mit Akzent sprach und versuchte, aus mir einen richtigen Pianisten zu machen. Ich durfte die Stücke vergessen, die ich bereits gelernt hatte, denn meine Handhaltung war einfach katastrophal. Meinte sie. Mir klingt es noch heute in den Ohren, ihr sehr mit Akzent versehenes "Finger häbben!"
Ich hatte noch keinen Klavierunterricht, beschäftigte mich aber schon ausgiebig mit den Tasten und versuchte, kleine Melodien zu "ertasten". Deshalb kannte ich die Töne, ohne sie benennen zu können. Mein Vater muss das irgendwie mitbekommen habe und machte deshalb mit mir einen Test: Ich sollte mich vom Klavier wegdrehen, er schlug einen Ton an und ich ging hin und fand ihn sofort, ohne dabei geblinzelt zu haben. Damit war klar: Ich hatte absolutes Gehör! Heute weiß ich, dass es nur ein Relatives ist, denn es gibt auch Menschen mit dieser Begabung, die schlagen mit einem Eisenrohr auf ein Blech und sagen: "Fis!" Unser Klavier daheim, mit dem ich mir die Tonhöhen in mein Gedächtnis eingrub, war ungefähr einen Viertelton zu tief, und das brachte mir manchmal Schwierigkeiten bei der Erkennung von Tönen, die auf einem anderen Instrument mit richtiger Tonhöhe gespielt worden sind. Manchmal musste ich später mein absolutes Gehör als "Waffe" einsetzen, wenn es darum ging, zu demonstrieren, wer denn hier der musikalische Herr im Hause ist. Es hat mir bei vielen Bands eine gewisse Hochachtung eingebracht, wenn ich ohne hinzugucken dem Gitarristen sagen konnte, welche falsche Harmonie er gerade gespielt hat. Oder ich konnte sofort die Tonart eines Songs sagen, der gerade im Radio lief.
Aber das absolute Gehör hat nicht nur Vorteile: Wenn ich Musik höre, spiele ich die Töne auf einer virtuellen Tastatur mit, weil ich sie eben höre! Dadurch kann ich mich oft der Musik nicht so richtig hingeben, ich bin ständig mit einer unbewussten Analyse beschäftigt. Und das begann schon in der frühen Kindheit. Die Erkenntnis der Tonerkennung nutzte ich unter anderem als Acht- oder Zehnjähriger, um einen mir bekannten Schlager auf dem Instrument nachzuspielen: "Brauner Bär und weiße Taube". Vor allen die linke Hand kam da zum Einsatz, denn ich kannte den Harmoniewechsel und schruppte fleißig Quinte auf Quinte. Gleichzeitig übte ich an "Da sprach der alte Häuptling der Indianer" von Gus Backus. Das war mein Einstieg in den Rock'n' Roll, wenn auch nur für Liebhaber erkennbar. Aber schon der Wechsel von Tonika zur Subdominante ließ mir einen leichten Schauer über den kindlichen Rücken huschen.
Wir Kinder bekamen zu dieser Zeit unsere erste Schallplatte geschenkt. Es war ausnahmsweise Popmusik und ich hörte mir den Titel so oft an, dass man hinterher die abgenutzten Vinyl-Späne der Single förmlich vom Fußboden aufkehren konnte: "Salem Aleikum, Allah sei dir gnädig"! Es muss so an die fünfzig Mal gewesen sein, ich glaube, die Scheibe war schon merklich dünner geworden.
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Klavierstunden und mein erster kommerzieller Auftritt
Ich hatte meinen ersten Klavierunterricht, als ich fünfeinhalb Jahre alt Jahre war. Eine alte Dame namens "Fräulein Karl" - der Grund ihrer Jungfernschaft blieb mir verborgen - zeigte mir, wie man durch Bewegen seiner zehn Finger auf den Klaviertasten Melodien hervorzaubern konnte. Mir fiel ein altes Klavieraufgabenheft vom Februar 1957 in die Hände. Demzufolge hatte ich schon ein Kinderlied auf und das nach Noten.

Das Üben machte mir keinen Spaß und die halbe Stunde, die ich täglich am Klavier verbringen musste, nutze ich auch zum Improvisieren. An einem Sonntag bekamen wir Besuch, ich saß am Klavier und spielte so vor mich hin und bemerkte nicht, wie es auf einmal still wurde und die Herrschaften meinem Spiel lauschten. Als ich fertig war, gab es Beifall und mein Vater schenkte mir gerührt 50 Pfennige - das entsprach meinem wöchentlichen Taschengeld! Er gab mir dadurch den Ansporn auf weitere kommerzielle Auftritte, wenn wieder einmal Besuch da war. Leider blieb es bei den ersten 50 Pfennigen und ich weiß nicht, ob mein Vater seit dem ungerührt blieb oder geizig war. Wahrscheinlich wird er erkannt haben: der Junge muss sich sein Geld verdienen und nicht durch einfaches Dahinklimpern zu Geld kommen.
Als ich viel später im 1. Studienjahr an einer Nachtbar in einem Aushang las, dass man einen Alleinunterhalter suchte, dachte ich mir, "Mensch, das wäre doch was, spielst alle Hits, die du so draufhast, Beatles, Stones, Beach Boys, improvisierst ein bisschen und schon hast du dir die Kohle verdient." Beim Vorstellungsgespräch wurde ich nach meinem "Repertoire" gefragt, nachdem ich von oben bis unten gemustert worden war: Ein langhaariger und dazu noch nicht 18 Jahre alter Mensch, der nicht einmal die Standardliteratur des Alleinunterhalters beherrschte, möchte gern routinierten alten Klavierspielern Konkurrenz machen. Da wurde mir klar: Ich war ein Nichts und hatte außer jugendlichem Größenwahn oder Naivität nichts zu bieten.
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Musikalische Gene
Eigentlich waren wir eine durch und durch musikalische Familie, die ihren Höhepunkt zu Weihnachten fand. Da gab es die Bescherung erst nach absolviertem Weihnachtsliederspiel: Zwei Blockflöten plus ein Klavier oder drei Blocklöten und kein Klavier oder Blockflöten und Gitarre, die von meiner Mutter gespielt wurde. Dazu wurde gesungen, aber nicht nur eine Strophe... Nein, alle! Und dabei ging der Blick immer unter den Christbaum, wo die Geschenke lagen. Da glich das Musizieren einer Marter.
Meine Mutter sang viel, meine Schwestern spielten Klavier und sangen auch viel und Oma, ja Oma spielte auch Klavier - und sang natürlich auch viel, wenn auch leise. Sie hatte immer ein Standardstück drauf, das sie uns oft auf dem Klavier vorspielte, wenn sie bei guter Laune war. Das war lustig. Von ihr hat meine Mutter, was Musikalität anbelangte, viel geerbt. Meine Schwester Gisela hatte auch Unterricht bei besagtem Fräulein Karl und ich hörte immer, wie sie zuhause fleißig ihre aufgegebenen Stücke übte. Bekam ich im Unterricht ein neues Stück auf, kannte ich es deshalb oft bereits und spielte es aus dem Kopf oder besser aus'm Hut nach. Dadurch verlernte ich leider, gut nach Noten zu spielen. Das ging so weit, dass ich mir neue, unbekannte Klavierstücke vorspielen ließ und schnell nach Hause rannte, um sie dort nach Gehör am Klavier nachzuspielen. Klar, irgendwann musste ich wohl oder übel die Noten rausnehmen, um das Fehlende zu ergänzen. Das hat mich gerettet, denn sonst wäre aus mir so eine Art "Jimi Hendrix des Pianos" geworden - die Legende weiß von seiner Notenunkenntnis zu berichten. Wir hätten uns natürlich noch in ein, zwei Sachen unterschieden: Er war Linkshänder, Mulatte und ein Genie und ich Rechtshänder, Weißer und kein Genie. Aber: Er spielte Gitarre nur mit sechs Seiten, während ich am Klavier einige hundert Saiten zu Verfügung hatte!

Kam in unserem Staßfurt-Radio Musik, stellte ich mich vor das Gerät und machte mit den Armen Bewegungen, die ich dirigieren nannte. Ich war sehr überzeugt von mir und bildete mir ein, das Orchester im Radio spielte, wie ich es wollte und nicht umgekehrt. Außerdem interessierte ich mich schon mit zehn Jahren für Gitarre. Meine Mutter spielte ein wenig dieses Instrument und sie hatte auch eine eigene Akustikklampfe zuhause. Wir fuhren als Kinder oft baden an einen kleinen See am Rande Leipzigs, den "Bagger". Neben vielen Kindern und Erwachsenen gab es da auch die Gruppe der Halbstarken. Und einer von denen spielte Gitarre und sang dazu in einer Sprache, die uns unbekannt war und Englisch hieß. Der Typ hatte ein für damals ausgeflipptes Outfit und trug eine Ente. Um Irrtümern mit der Tierwelt vorzubeugen, beschreibe ich das Ding näher: Ente, das sind am Hinterkopf in Richtung Mitte vertikal zusammengekämmte Haare und eine Tolle oder "Schmalzlocke", das ist die Quasi-Locke, die einem von der Stirn runter auf die Augen fällt. Ja, und der kannte Elvis P. wahrscheinlich persönlich, so wichtig kam der sich vor! Seine Klampfe war mit Silberbronze angemalt und mit Ziersternchen versehen! Und da dachte ich mir, das machst du auch, nahm die gute Akustikgitarre meiner Mutter und strich sie an. Mit Silberbronze. Sterne hatte ich zwar keine, sie sah aber trotzdem sehr poppig aus! An die darauf folgende Strafe kann ich mich nicht mehr erinnern, die schlechten Dinge verdrängt man lieber.
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Bulgarische Lehre
Nachdem ich ein paar Jahre die pianistischen Grund- und Begriffe beigebracht bekommen hatte, sagte mir meine Mutter, ich hätte jetzt bei Fräulein Karl genug gelernt und es wäre Zeit, dass ich mal etwas mehr gefordert würde. Gefordert! Dabei hatte ich doch schon meine ersten Klavierstunden bei Fräulein Karl geschwänzt. Meine Mutter schien das geahnt zu haben und deshalb sollte ich in festere Hände gelangen. Es waren die Hände der neu eingerichteten Kinderklasse an der Hochschule für Musik Leipzig. Es war in dieser Zeit, als mein Vater ein Tenorsaxophon nach Hause schleppte. Ich blies hinein, um den Klang nachzuahmen, den ich vom Radio her kannte. Nach anfänglichen Nur-Luft-Geräuschen entlockte ich ihm ein Klang, der alle Gleisarbeiter aufgescheucht hätte! Trotzdem wollte ich Saxophon lernen, koste es, was wolle. Und es kostete! Ich wurde nämlich vertröstet, wenn ich fleißig Blockflöte lernte, könnte ich dann auf Saxophon umsteigen, irgendwann, wenn das Wasser der Pleiße wieder rein ist. Das kann dauern. Und hier war die Chance: Ich machte die Aufnahmeprüfung an der Kinderklasse, bestand sie und lernte - Blockflöte! Und so begann ich meine ersten Unterrichtsstunden mit kleinen Blockflötenmelodien, die mich mit meinen zehn Jahren nicht gerade in Begeisterungsstürme versetzten, schwirrte mir doch dabei immer der Sound des Saxophones durch den Kopf. Als Nebenfach hatte ich Klavier und das bei einer Lehrerin, die aus Bulgarien stammte, mit Akzent sprach und versuchte, aus mir einen richtigen Pianisten zu machen. Ich durfte die Stücke vergessen, die ich bereits gelernt hatte, denn meine Handhaltung war einfach katastrophal. Meinte sie. Mir klingt es noch heute in den Ohren, ihr sehr mit Akzent versehenes "Finger häbben!"
Teil 2
Der zweite Teil von Michael Heubachs Autobiographie. Vom Beobachten des Schlaggitarrespielens zurück an die Blockflöte - von der Kirchenorgel zum Fagott. Von der Kinderklasse zur Spezial für Musik. Über "Feindsender" und Pförtner, Kinderferienlager und erste "Muggen"...
Der zweite Teil von Michael Heubachs Autobiographie. Vom Beobachten des Schlaggitarrespielens zurück an die Blockflöte - von der Kirchenorgel zum Fagott. Von der Kinderklasse zur Spezial für Musik. Über "Feindsender" und Pförtner, Kinderferienlager und erste "Muggen"...

Mit elf war ich in einem Kinderferienlager und das sah so aus: Dort hatten wir einen Helfer, der auch Gitarre spielte, die sogenannte Schlaggitarre. Dem sah ich oft beim Spielen auf die Finger. Irgendwie hat er gemerkt, dass ich Interesse zeigte und schrieb mir ein paar Texte der Songs auf, die er spielte. Natürlich waren die alle in Englisch, aber das machte nichts, denn er schrieb sie phonetisch auf: "Bebi juh kenn du itt"! Zuhause suchte ich mir dann die Griffe zusammen und lernte so das Gitarrenspielen in der Basisversion. So konnte ich mich bei allen gängigen Schlagern und Volksliedern auf der Gitarre begleiten, denn mit dem Erkennen der Harmonien hatte ich keine Schwierigkeiten. Ach, wenn ich da schon ein paar Jahre älter gewesen wäre - die Mädchen hätten mir zu Füßen gelegen und mir heimlich ihre Poesiealben gezeigt, in die ich einen Vers setzen durfte. Ich hatte nicht das Glück und dachte mir: Einmal verliert man und einmal gewinnen die anderen. Die anderen waren die mit der besser angemalten Klampfe. Trotzdem war die erste Bekanntschaft mit einer Gitarre für mich in meinem Kinderklassendasein prägend!
Nach einem Jahr durfte ich die Kinderklasse wieder verlassen und das kam so: Weil mir die Art des strengeren Unterrichtes missfiel, verspürte ich auch wenig Lust, mein tägliches Übungspensium zu absolvieren. Ich hing eigentlich immer noch an Fräulein Karl wie an einer Jugendliebe, obwohl ich sie durch mein Schwänzen auf's Schändlichste hintergangen hatte. Ich meckerte deshalb oft an dem, was ich aufhatte.
"Bei Fräulein Karl konnte ich schon Beethoven-Sonatinen

Bums - und zu war die Tür. Mein Protest hatte gewirkt und ich war endlich wieder frei vom Kinderklassenstress. Ein Jahr genoss ich diese Freiheit, bis meine Mutter auf den Dreh kam, ich müsse doch wieder mal ein Instrument lernen, und da böte sich doch - Kirchenorgel (!) an. Na gut, nun also Kirchenorgel. Ich war ja als Katholik mit der Orgel sozusagen groß geworden, hatte sie mich doch dazu bewogen, auf gute und weniger gute Choralvorspiele zu achten und mitzubekommen, dass die Gemeinde immer der Orgel hinterher schleppte und der arme Organist immer etwas "vor dem Beat" sein musste, damit die Herr- und Damenschaften nicht einschliefen. Da konnte man sehen, welche Macht ein einzelner Musiker über das Volk haben kann! Durch das viele Kirchenliederhören lernte ich das Harmonisieren, das Gestalten von Vorspielen und auch mit der Gregorianik kam ich in Berührung! Die Gregorianik hatte eine gewisse Melancholie in sich, die meinem damaligen Gemütszustand sehr entgegen kam. Meine Mutter hörte ja ausschließlich Klassik, und so kannte ich eine ganze Menge Musik dieser Art. Ich glaube, einmal täglich wurde "Les Préludes" von Herrn Liszt aufgelegt, in Mono, kratzend, scheppernd, trotzdem eine tolle Musik! Aber vor allem Beethoven hatte es mir angetan, die Gegensätze in seiner Musik! Ich habe später versucht, so etwas in einem 3:30-Song unterzubringen, teilweise mit fraglichen kommerziellen Erfolg. Aber die Einflüsse waren immer erkennbar. Songs wie die "Tagesreise" wären ohne kirchlichen Hintergrund plus Beethoven undenkbar gewesen! Die Orgel von meiner Stammkirche St. Laurentius in Leipzig-Reudnitz wurde sozusagen mein neues Arbeitsinstrument. Ich hatte einen Orgellehrer, der mir mit beamtenmäßiger Humorlosigkeit beibrachte, wie man zu den zwei Händen noch die richtigen Pedale mit den Füßen zu treten hatte. Am besten gefiel es mir, wenn ich alle Register ziehen konnte, was "tutti" hieß, um meinen musikalischen Eingebungen vollen Lauf zu lassen. Leider war der Song "A Whiter Shade of Pale" noch nicht geschrieben, sonst wäre die Kirche ins Wanken geraten. Aber das Intro von Bachs d-Moll-Toccata tat's auch. An dieser Stelle möchte ich bemerken, dass mich das alles nicht dümmer gemacht hat - im Gegenteil, denn später konnte ich oft auf die mir einst einigermaßen verhassten Kenntnisse zurückgreifen. Mit dieser Art von Orgel konnte ich mich auf die Dauer nicht so richtig anfreunden, es war mir alles zu streng und vor allem zu wenig transportabel! Aber die E-Orgel wartete schon in ihren Startlöschern, hieß Hammond, war unerreichbar und nur durch Lite-Versionen denkbar.
Der Weg ins Internat
Nach einem Jahr der Einführung in die "Kunst des Orgelspielens" las meine Mutter in der Zeitung eine Annonce, wo man um begabte Schüler für eine Spezialschule für Musik warb. Ich befand mich damals gerade in der beginnenden Pubertät mit allen ihren negativen Auswirkungen auf Lehrer, Mutter und die gesamte Gesellschaft - mit anderen Worten, wenn alles so weitergelaufen wäre, hätte ich es vielleicht zum Al Capone des Ostens gebracht... Ich gebe zu, an dieser Stelle staple ich mächtig hoch; man sollte es eher als eine Klangstudie betrachten. Mein Klassenleiter an der 25. Polytechnischen Oberschule in Leipzig prophezeite meiner Mutter, nachdem sie wieder mal in die Schule bestellt worden war, ich hätte das Zeug zu einem großen Kriminellen oder großen Was-Weiß-Ich. Ich müsse mich entscheiden! Ich entschied mich für Was-Weiß-Ich. So nutzte ich also meine vielleicht letzte Chance, mein Leben in guten Bahnen verlaufen zu lassen: Die Spezialschule für Musik Halle, an der Saale hellem Strande.
Bei der Aufnahmeprüfung spielte ich fein meine Klavierstücke vor, glänzte in Theorie und bei Gehörübungen, musste kein Gedicht aufsagen und sah mich schon als künftigen Klavierschüler Chopin-Etüden spielend an der für mich damals hochdotierten Schule, als sich ein Professor für das Fach Trompete an mich wandte und sagte: "Mach doch bitte mal deinen Mund auf! Nicht aufreißen, ich will ja nur die Zähne sehen." Dann fasste er mein Kinn an und drückte Daumen und Zeigefinger zusammen, bis er Einblick in die Beschaffenheit meines Mundraums hatte. Ich kam mir vor wie auf einem Pferdemarkt. Nachdem er mir einige "Hm…" und "Jaaa…" zugeraunt hatte, ließ er wieder ab von mir und sagte: "Du wirst Fagottist!" Damit begann Phase zwei meines Lebens, 1963, mit der 8. Klasse.
Spezialschule für Musik Halle/S

Als ich meinen ersten Fagottunterricht hatte, packte mein Hauptfachlehrer, Herr Angerhöfer, sein mitgebrachtes Fagott aus, ich sah es ungläubig an und sagte ehrlich erstaunt: "Ach, das ist ein Fagott?" Im Nachhinein muss ich sagen, ich hatte es nie geliebt und es mich wahrscheinlich auch nicht. Nach acht Jahren habe ich das Ding nicht mehr angerührt - doch, ein letztes Mal beim Verkauf! Aber heute, wo ich genügend Abstand habe, höre ich mir gern Fagottkonzerte im Radio an und freue mich, dass ich nicht mehr üben muss!
Nichtüben macht den halben Meister
Bei uns an der Spezialschule war alles gut organisiert. Wir hatten in zwei "Nebenvillen" in der Reichardtstraße um die Ecke Unterrichts- und Übungsräume. An jeder Tür war ein Plan angebracht, auf dem zu ersehen war, wer gerade in diesem Raum seine Übungen zu verrichten hatte. Unsere Schulunterrichtsstunden waren reduziert, damit wir noch genügend Zeit zum Üben finden konnten. Dabei kamen am Tag zwischen zwei und drei Übungsstunden zusammen. Manche übten mehr, freiwillig natürlich. Ich gehörte nicht dazu. Freiwillig. Ich verbrachte meine vorgeschriebenen Übungsstunden oft mit Lesen oder freier Improvisation am Klavier. Mein Hauptfach Fagott stand ja eigentlich an erster Stelle, ich übte aber gerade mal so viel, um bei meiner nächsten Hauptfachstunde fehlerfrei durchzukommen, was ich nie schaffte. Für den Klavierunterricht fiel mir ein Trick ein: Es gelang mir, meinen Klavierlehrer bei Tonleitern und anderen Fingerübungen aufzuhalten, sodass er von den meistens drei aufgegebenen Stücken nur noch zwei vorgespielt bekam. Er sagte dann zum Schluss immer: "...und den Beethoven weiter üben, nöööch!" ("Nöööch" war sein Spitzname). Bis er eines Tages bekundete: "...und den Beethoven können wir ja nun abschließen!" - Ich hatte den Beethoven nie geübt! Ich gebe zu, das war nicht die Regel, aber als Ausnahme macht sich doch so etwas schon ganz gut, oder? Ich konnte mit meinem Fagott keine Ehe eingehen. Mir machte Musiktheorie sehr viel Spaß, lernt ich doch, wie man vertrackte Rhythmen klatscht und aufschreibt oder erweiterte Kadenzen setzt. Ich versuchte dann immer, bekannte Songs aufzuschreiben, stolperte aber manchmal über Probleme bei der Notation.
Die Revolution lockt ihre Kinder

Währenddessen geschah einiges, was meine politische Haltung dem Staat gegenüber stark beeinflusste. 1965 setzte der damalig Parteichef Walter Ulbricht, der Herr Niemand-hat-die-Absicht-eine-Mauer-zu-errichten, ein Beatverbot durch, das alle Gruppen einschloss, die eine solche Stilrichtung verfolgten. In Leipzig betraf das u.a. auch die Butlers, aus denen dann nach erzwungener Umbenennung die Klaus-Renft-Combo wurde. Es wurden heimlich Flugblätter gedruckt und verteilt, auf denen zu einer Protestdemonstration aufgerufen wurde. Ich war zufällig in Leipzig und begab mich neugierig zum Leuschnerplatz, wo alles beginnen sollte. Da stand eine Menge Jugendlicher einem riesigen Aufgebot an Polizisten gegenüber. Es waren Hundertschaften, die von Mannschaftswagen sprangen, mit Hunden und Schlagstock bewaffnet die Straßen absperrten und die Demonstration aufzulösen versuchten. Ich glaubte, ich wäre im falschen Film! Sie trieben die Demonstranten vor sich her, die Schutz in der Innenstadt suchen wollten. Ich presste mich in einen Hauseingang, um den Wasserwerfern zu entgehen. Neben mir stand ein Mensch mit aufgerissenem Mund, der das nicht fassen konnte. Er stelle mir ein paar Fragen und ich hörte seinen österreichischen Akzent heraus. An diesem Tag fand im Stadion die Fußballbegegnung DDR - Österreich statt, und er wollte eigentlich dorthin. Sein DDR-Bild wird sich unauslöschbar in seine Erinnerungen eigefräst haben. Viele Demonstranten wurden brutal an den Haaren zu bereitstehenden LKWs geschleift und dann abtransportiert - "ab in die Braunkohle" - das hieß "Bewährung in der Produktion". Es gab etliche "Zuführungen", wie es im DDR-Polizeijargon hieß. Das Beatverbot lockerte sich erst Ende der 60er Jahre und endete mit dem Tod Ulbrichts 1973.
Die Band mit einem geplatzten Auftritt
Im 10. Schuljahr gründete ich eine Band am "KON", wie wir für die Spezialschule immer sagten, weil es früher und in meinem ersten Jahr auch noch ein Konservatorium war. Wenn ich sage "Band", habe ich damit sehr weit hoch gegriffen, und es war eigentlich auch kein Gründen, sondern ein "Haste-mal-Zeit" und "Könntest-du-das-mal-spielen". Es war ein bunt zusammengewürfelter Haufen: Da wurde ein (klassischer) Schlagzeugschüler aus der Achten genommen. Er brachte aus dem Instrumentenfundus des KON eine große Trommel mit, die bei 1.-Mai-Umzügen ihre Berechtigung gefunden hätte. Außerdem besorgte er auch noch ein paar Becken, die in einem Blechkombinat hergestellt schienen, und eine Marschtrommel, die Konzerttrommel hieß und am ehesten dafür geeignet war. Dieser Schlagzeuger war begabt, man konnte ihm alles vorlegen oder sagen, aber er war halt ein Klassiker mit Beatambitionen. Ein Kontrabassist aus der Neunten kam hinzu, der alles so spielte, wie es auf dem Notenpapier stand und mehr nicht; ein jazzinteressierter Posaunist und nicht zuletzt noch mein bester Freund "Mücke" als Trompeter. Die Leute, die es gewagt hatten, an der Spezialschule "Tanzmusik" zu machen - und das natürlich illegal, weil verboten -, haben später alle irgendwie Karriere gemacht. Unser Repertoire war nicht allzu toll. Wir spielten aktuelle Hits nach, die ich arrangierte. Herb Alpert war damals ein angesagter Trompeter, der einen ganz eigenen Stil verfolgte, und den galt es zu imitieren. Die Titel kannte ich aus dem Radio. Es gehörte zu meiner Freizeitbeschäftigung, Hitparaden, die man heute Charts nennt, abzuhören. Dazu gab's im Internat nur eine Möglichkeit: Man musste an das Radio im Klubraum rankommen und der war abgeschlossen. Die Schüler sollten üben und nicht unbeaufsichtigt Radio hören! Am Wochenende nachmittags oder abends nach dem Abendbrot wurde zum Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel für brave Schüler der Klubraum geöffnet. Wir durften auch Fernsehen oder, wer wollte, eben Radio hören. Der Fernseher war unter einer furnierten Holzkiste verborgen und mit einem Vorhängeschloss versehen, damit ja keiner ohne Genehmigung sich an diesem Gerät vergreifen konnte. Es gab natürlich nur einen Fernsehkanal und der hieß Deutscher Fernsehfunk.

Keiner von meinen Mitschülern hatte Interesse, Radio zu hören, egal ob Musik oder Nachrichten oder sonst was. Irgendwann riskierte ich, einen meiner Erzieher um den Klubraumschlüssel außer der Reihe zu bitten, um Radio zu hören - und es klappte! Ich ging also samstags oder sonntags am Nachmittag in den Klubraum und stellte mir den verbotenen Sender ein, der die aktuelle Hitparade brachte: Radio Luxemburg! Ich kannte den Sender von meiner Schwester Gisela. Die kam mal aus einem Ferienlager nach Hause - ich muss zehn Jahre alt gewesen sein - und suchte im Radio den Sender, den sie dort "gelernt" hatte: Radio Luxemburg auf der Kurzwelle 2 im 49-Meterband! Den Sender erkannte oder besser "erhörte" man an seinem Fiepen. Der Empfang schwankte periodisch, was dazu führte, dass der Sender einmal weg war und man kurzzeitig nur das alleinige Fiepen hörte, bis er wieder kam. In den Sechzigern wurden Kofferradios aktuell. Am Anfang besaßen nur die "Reichen" eins oder die, die Westverwandtschaft mit Geberfreuden hatten. In meinem unmittelbaren Bekanntenkreis gab's keinen und erst Jahrzehnte später lernte ich einige Berliner kennen, für die das Kofferradio zum Alltag gehört hatte. Die Glücklichen! Aber damals dachte ich, wir armen Ost-Hörer, können wir doch nur auf "Luxi" zurückgreifen, um gute Popmusik zu hören. Damit irrte ich mich aber gewaltig! Selbst die Quarrymen, aus denen später die Beatles wurden, hatten Ende der fünfziger Jahre darunter zu leiden, in England keine Radiostation vorzufinden, die Musik sendete, die den aktuellen Strömungen in den USA entsprach. Also mussten sie auf den nicht-britischen Sender zurückgreifen, der aus den Niederlanden sendete. Dort hörten sie das erste Mal Rock'n' Roll, der sie später zu dem machte, was sie sind. Bis so ein Musikstil bei uns in der DDR anlangte, verging schon eine lange Zeit. Blicke ich auf diese Situation zurück, tröstet es mich ein wenig zu wissen, dass selbst die Giganten der Popmusik am Radio hingen, um der stockkonservativen Radiolandschaft Englands eine Alternative entgegenzusetzen. Wir bauten so ein Radio-Luxemburg-Empfänger nach einem Schaltplan und bugsierten ihn in eine Zigarrenkiste. Wenn der Sender zu fiepen begann, wurde das Radio einfach um 45° gedreht und der Sender so wieder eingefangen. Seit dieser Zeit wusste ich erst, dass es außer Helga Brauer und Bärbel Wachholz, die DDR-Schlager-Schnulzen-Königinnen, noch andere Musik im Radio gab. Woher auch! Meine Mutter hatte ihren Standardsender und der hieß Deutschlandfunk. Da kam keine modische Beatmusik, sondern höchstens Klassik. Ich nahm also am Klubraumradio ein mitgebrachtes Heftchen raus und notierte mir die Platzierung der einzelnen Hitparaden-Songs. Später kam es zu einer "Auswertung" im Internatszimmer. Ich kannte alle gängigen Songs auswendig und wusste, wer gerade sang und war sozusagen eine wandelte Hitparade. Das an einer sozialistischen Spezialschule, die den Nachwuchs an Instrumentalisten für das klassische Fach ausbildete! Natürlich hörte ich dort auch die Nachrichten der unerwünschten Sender, auch vom Deutschlandfunk, um politisch auf dem Laufenden zu bleiben.
Es gab zu dieser Zeit zwei DDR-Sender, die ihre Hörer in Westdeutschland finden sollten, beim Klassenfeind also. Der eine nannte sich "Soldatensender" und der andere "Deutscher Freiheitssender 904", weil er auf der Mittelwellenfrequenz 904 sendete. Der brachte außer für den Westen zugeschnittene Propaganda auch Beat - ich verwende hier den Begriff "Beatmusik" ganz bewusst nicht, weil er von den Bonzen okkupiert war. Gegen diesen Sender durfte man aber offiziell nichts sagen, weil er ja "von uns" war. Deshalb konnte man mir nicht verbieten, morgens um 7:00 Uhr in den Klubraum zu gehen und diesen Sender einzustellen, der dann über eine Verbindungsleitung zum Lautsprecher in unserem Frühstücksspeisesaal übertragen wurde - für alle. Das war ein Husarenstück, legal natürlich! Ich hatte regelrecht "Radiodienst", denn ich scheine der Einzige gewesen zu sein, der sich mit so einem Gerät auskannte. Das ist keine Überheblichkeit, sondern eine reale Feststellung!
In unserem Internat gab es einen Schallplattenspieler, eine Kompaktvariante, wo der Lautsprecher in den Deckel integriert war. Der Sound war dementsprechend, aber da wir damals keinerlei Vergleichsmöglichkeiten im Sinne von A/B hatten, nahmen wir es halt so hin. Der Plattenspieler wurde auch nur für schulische Zwecke eingesetzt und - für die Pförtnerloge! Wir hatten einen Pförtner für unser Hauptgebäude Advokatenweg 36, der aufpassen sollte, dass nur die Schüler den Komplex verließen, die das auch durften; das ging bis zum Vorzeigen eines Ausgangsscheins! Ich schätze, unser Pförtner hatte gerade die Siebzig überschritten, seinem Gesichtsausdruck zufolge hatte er zwei Weltkriege aktiv miterlebt.
Langspielplatten in der Pförtnerloge und ausgefallene Mugge

Am Wochenende hatte er dienstfrei und für diesen Job wurde immer ein Schüler eingeteilt. Nun sitze mal ein paar Stunden in einer vergitterten Pförtnerloge gleich an den Stufen, die zum Haupteingang hinaufführen! Irgendjemanden vom Erziehungspersonal oder der Lehrerschaft hatte ich bequatscht, mir den Plattenspieler auszuleihen. Von da ab hörte ich immer wieder die gleichen Platten, die mein Eigentum waren oder die ich mir von zuhause entliehen hatte: Die Ausgabe des CSSR-Labels Supraphon von Bob Dylan, der in der DDR nicht verlegt war, weil er nicht ins politische Konzept passte; weiterhin der amerikanische Protestmensch und Begründer des Folk- und Protestsongs Pete Seeger, "Ella und Louis singen aus Porgy and Bess", die Amiga-Ausgabe von "The Beatles" und das Jazzalbum von Count Basie und Lester Young. Ich kannte jeden Ton! Zu meiner kleinen Sammlung zählte auch Gershwins "Rhapsodie in Blue" und sein Klavierkonzert in F. Nach Jahren habe ich manche Stücke wieder gehört, in Stereo; erstaunlich, was da noch alles zu hören war. Wahrscheinlich bin ich durch diese Scheiben auch auf den Jazz gekommen. Das einzige, was ich aus dieser Richtung bereits kannte, war Dixieland, und das war eigentlich Spaß im Gegensatz zu den Stilrichtungen, die es bereits gab. Aber ich interessierte mich für alles, was ich haben konnte, auch Bigbands wie Basie oder Bebop und Cooljazz mit Miles Davis. Wir hätten sogar fast mal eine Mugge gehabt - mit "Mugge" ist hier ein musikalisches Gelegenheitsgeschäft gemeint (dieser Begriff wird noch oft auftauchen). Es sollte 20,- Mark Gage geben. Für alle! Wir zogen heimlich am frühen Abend mit unseren Instrumenten - also Kontrabass und Schlagzeug inbegriffen! - in Richtung Straßenbahn, als wir von einem unserer Erzieher entdeckt und "zurück ins Heim" beordert wurden. Da kam ja einiges zusammen: Entfernung von der Truppe mit dem Ziel, verbotene Musik zu spielen und das auch noch für Geld, Verwendung sozialistischen Eigentums für fragliche musikalische Darbietungen, Verlassen des Objekts ohne Ausgangsschein mit dem Zwecke, Unheil zu stiften welcher Art auch immer! Wir waren froh, dass die Todesstrafe nur noch in sehr seltenen Fällen vollzogen wurde. Dabei hatten wir extra für diesen Zweck noch einen Trompeter aus der Neunten angeheuert (der ist jetzt Solotrompeter beim Berliner Sinfonieorchester). Der sah zwar stilistisch nicht durch, traf aber jeden Ton. Unser damaliger Schlagzeuger ging nach seinem Studium als Chefschlagzeuger ans Gewandhaus, der Trompeter nach Australien und der Posaunist Bernhard Wachsmann war mein späterer Kampfgefährte bei der Host-Krüger-Band. Sein Vater hatte das Polizeiblasorchester Halle unter sich, war also ein ziemlich hohes Tier. Von ihm bekam ich mit 16 Jahren den Auftrag, eine Swing-Nummer von Band runter zu hören und die Partitur gegen Bezahlung bei ihm abzugeben. Ich saß stundenlang an meinem Tonbandgerät und versuchte, vertrackte schnelle Bläsersätze vom Band auf Papier zu bringen. Da kam auf jeden Ton eine neue Harmonie und auch das Schalten des Tonbandgeräts auf halbe Geschwindigkeit half nur manchmal. Mir ist es noch heute nicht klar, wie ich das geschafft habe. Am Schlimmsten war das Raushören des Basses, den konnte man manchmal nur ahnen. Die 160,- Mark war mein erstes schwer verdientes Geld!

Ich war der, der die längsten Haare trug und hatte ein Ding an der Oberlippe, das dann später zum Bart mutierte. Meine Klassenlehrerin stellte mich oben im Internat vor einen Spiegel und fragte: "Nun guck dich doch mal an. Gefällst du dir so?" Und ich antwortete voller Überzeugung: "Aber klar doch!" So was musste ich sagen, ich fand sie nämlich toll und musste nun Männlichkeit demonstrieren oder das, was ich mir darunter vorstellte.
Und viele Jahre später, als es in der Musikerwelt nur so punkte [sprich: pankte], rasierte ich mir den Schnauzer einmal ab in der Hoffnung, nun wieder progressiv auszusehen - Bärte waren anti-punk! Da stellte mich meine damalige Freundin vor den Spiegel und fragte: "Nun guck dich doch mal an. Gefällst du dir so?" Und ich antwortete voller Überzeugung: "Aber klar doch!" Sie drohte mir mit Beischlafentzug und ich ließ mir sofort wieder einen Bart stehen...
Als ich 1967 die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik Leipzig bestanden hatte, befahl mir der Direktor meiner Spezialschule, die Haare schneiden zu lassen. Anderenfalls könnte ich das Studium nicht aufnehmen. Haare schneiden! Die gingen gerade mal 5 mm über den Kragen, aber das war zu dieser Zeit schon ein Stein des Anstoßes. Ich habe ein Bild aus dieser Zeit (siehe links). Es muss nach dem Friseur entstanden sein, denn es ist kein Kanten mehr zu erkennen. Und ehe man mich nach dem "Kanten" fragt: Das sind die Haare, die geballt über dem Kragen stehen, als Kanten eben. Nach der Pflicht-Haarschneidprozedur war ich dreißig Jahre nicht mehr beim Friseur!
Teil 3
Der dritte Teil von Michael Heubachs Autobiographie. Der Musiker erzählt über "Platzangst", dem Beat-Blas-Sing-Verein, langen Haaren und ersten Schritten der Bürkholz Formation...
Der dritte Teil von Michael Heubachs Autobiographie. Der Musiker erzählt über "Platzangst", dem Beat-Blas-Sing-Verein, langen Haaren und ersten Schritten der Bürkholz Formation...
Wie ich die Händelfestspiele eröffnete
Eigentlich ist es interessant, wie ich zum Komponieren und Arrangieren kam: Ich hatte schon durch das Improvisieren viele Einfälle, nur fehlte mir damals der richtige Anlass, Ideen zu Papier zu bringen. Am KON nahm alles seinen Anfang. Halle war die Stadt der Händelfestspiele. Ich bekam in der 9. Klasse 1966 den Auftrag, dafür eine Eröffnungsfanfare zu komponieren. Ich, der kleine Schüler, für so'n großes Ding! Man wollte mich nicht unbedingt an der Schule, da ich nicht in die Kategorie "bequemer Schüler" fiel, brauchte mich aber dennoch, weil man mein Talent zu schätzen wusste. Vier Trompeter und zwei Pauken schmetterten meine Fanfare vom Balkon des Rathauses und ich war mächtig stolz. Leider wurde mein Name in den Medien nicht erwähnt, denn es gab ja keine "Medien" in unserem heutigen Sinn, und auch unsere Schule wurde nicht genannt. Im folgenden Jahr bekam ich wieder einen Auftrag zu dem gleichen Anlass und wieder schmetterten vier Trompeter die Melodie in die Menge. Und wieder keine Medien... Zum ersten Mal verspürte ich innerlich eines der wenigen Vorteile des westlichen Systems.

An der Spezialschule kümmerte man sich seitens der Lehrerschaft weniger um Fragen des politischen Systems, man war da liberal eingestellt, wenn man natürlich um einige Pflichtstatements nicht drum rum kam. Als Katholik bekam ich an den entsprechenden kirchlichen Feiertagen frei und musste nicht in die Schule. Das war das Vorteilhafte für mich daran. Diese Feste waren aber auch gleichzeitig ein Event (wie man heute sagen würde), und ich nahm ab einem gewissen Alter an den Gottesdiensten immer als Ministrant teil. Damit war ich in der Schule für die Lehrerschaft gleichzeitig ein Außenseiter, denn das Katholische potenzierte sich im Ministrantsein. Meine Mitschüler kümmerte es wenig und es hat keine Freundschaft drunter gelitten.
Popmusik in Gottes Hallen und anderswo
In der katholischen Gemeinde St. Laurentius war es auch, wo eine "Kirchenband" existierte. Wer und wann sie gegründet hatte, ist umstritten. Es gibt da keine genaueren Angaben und auch die anderen wissen nicht viel mehr als ich. Es muss so um 1967 rum gewesen sein, als wir uns zusammenfanden. Da war unser Ältester, Alfred Mechsner, Baujahr 1942, seines Zeichens Trommler und Gelegenheitstrompeter; Jochen Grotzke als Gitarrist und Sänger, Matthias Locker mit einer selbstgebauten Bassgitarre, Dietmar Stera, genannt "Sterilien", als zweiter Gitarrist und Sänger und ich, der Mann am Klavier, an der Klampfe und am Mikro. Das war der Stamm, und ab und zu kam und ging jemand. Wir probten im Gemeindesaal, der einem größeren Zimmer gleichkam, auf einer Erhöhung, die ein Podest war und Bühne genannt wurde.
Als es uns finanziell etwas besser ging, besorgten wir uns einen Verstärker, der das Wort eigentlichen nicht verdiente. Ich weiß nicht, für welches Wohnzimmer das Gerät vorgesehen war, aber es würde heute in jedem Kinderzimmer seine Arbeit verrichten: Höhe ca. 40 cm, Breite 25 cm und die Tiefe vielleicht 30 cm, ich kann's nicht beschwören, es liegt zu lange zurück. Dieses Equipment also hatte einen Lautsprecher und einen eingebauten Verstärker, der es bis zu 40 Watt brachte. Daran wurden zwei dreieckige Minimixer angeschlossen, die jeweils drei Eingänge hatten, also zusammen sechs. Nun mussten dort drei Gitarren und drei Mikros Platz finden. Und das fanden sie auch! Und alles ging in den Verstärker und wurde mit voller 40-Watt-Leistung in den Raum geschallt. Es muss schrecklich gewesen sein, diese Soundwumme anzuhören! Aber da wir nicht immer full power spielten, gab's bestimmt auch Stellen, wo man etwas differenzierter Musik machen konnte. Bloß gut, dass wir ahnungslos waren, was an Beschallung möglich war!
Ich hatte das Glück, an einem Nachmittag des Jahres 1965 in dem "Beatschuppen" (wie wir sagten) eine prominente Leipziger Band zu hören, die "The Starlets" hieß - damals hatten fast alle neugegründeten Beatbands ein "The" vorneweg, das war trendy. Deshalb kam ich auf die Idee, dem Englisch-Wahn mit "The" nicht zu folgen und dafür einen deutschen Namen für die Band zu erfinden: Beat-Blas-Sing-Verein, kurz BBSV - es war gar nicht so lange zurück, dass ich noch den Namen "The Rolling Thunders" in die Waagschale warf. Damit wollte ich gleichzeitig das spießerische Vereinswesen auf die Schippe nehmen, denn "Beat" und "Verein" sind eben zwei Paar Schuhe!
Wir spielten Hits, von denen wir uns die Texte abhörten oder irgendwoher besorgten. Es gab bei uns auch die ersten eigenen Songs. Der Mitministrant Walter Pannicke war ein sehr begabter Songerfinder. Seine Songs waren sehr an den Beatles angelehnt, sie hatten aber irgendetwas ganz bestimmtes Eigenes. Er spielte jedoch nicht fest in der Band mit, und so wurden seine Titel nicht gespielt. Dafür lieferte "Sterilien" auch ein paar eigene Songs ab, die er selbst sang. Sprache? Natürlich Englisch! Aber nicht das Queen's English war es, sondern eher ein Dialekt, der auf den Fidschiinseln gesprochen wurde... Mit anderen Worten, es verstand ihn kein Schwein, aber er klaaang! Da gab es Lieder, die klangen wie Jonny Cash in seinen tiefsten Südstaatenzeiten, obwohl es nur Klanggebilde waren. Ich sang auch ein paar Songs, wobei ich mit dem Terminus singen vorsichtig umgehe. Da gab es doch ab und zu ein paar Stimmlagen, die an meiner Grenze lagen, und die ich nur noch "rausrufen" konnte. Aber Jochen war auch nicht besser, hatte aber ein besseres Timbre als ich. Weil wir viele Songs coverten und deshalb in der Originaltonart spielen mussten, konnten wir auch nur durch Herausschreien der hohen Töne den Anschein erwecken, hier sind die Beatles am Werk - die Beatles nach einer missglückten Stimmbandoperation.
Das obere Bild wurde zur Faschingszeit aufgenommen. Unser Drummer Alfred Mechsner (re) hatte eine Perücke auf und die brauchte er schon damals, weil ihn Gott aus einer unergründlichen Handlungsweise mit Haarentzug bestraft hatte. Eigentlich waren wir ja eine Kirchenband, spielten aber auch ab und zu mal woanders. Einmal hatte irgendjemand einen Auftritt für eine Betriebsfeier aufgerissen. Wir reisten an, bauten auf und wollten gerade zu spielen anfangen, als ein Anzugträger mit bürokratisch ernster Miene an den Bühnenrand trat und im breitesten Sächsisch zu uns hinauf rief:
"Isch bin vom Rat des Kreises Leipzisch, Abteilung Kultur. Zeichn Se mal ihre Schpielerlaubnis!"
"...?..."
"Ihre Spielerlaubnis. Bitte! Oder hamse keene?"
"Naja, wir dachten..."
"Herrnse off zu denkn, das machen mir für Sie! Hamse nun oder hamse nicht, die Schpielerlaubnis meene ich?"
"Eine Betriebsfeier ist doch keine öffentliche Veranstaltung und da dachten wir...",
wollten wir uns rausreden.
"Noch mal: Denkn machn mir für Sie. Das wird ä Nachschpiel ham, worauf Se sich verlassn gönn! Baggn Se ein und verlassn Se den Saal! Isch gehe erscht wieder, wenn hier alles weg is!"
So packten wir unsere Instrumente wieder ein und verließen den Ort unseres Verbrechens, anstatt illegal zu spielen. Eigentlich waren wir ja ganz gehorsame Bürger - die Revolution machten wir nur bei heruntergelassenem Rollo.
Die Spielerlaubnis war in der DDR eine Erlaubnis für Musiker, um öffentlich auftreten zu dürfen. Um sie zu erlangen, musste eine Prüfung vor einer Einstufungskommission abgelegt werden. Dann wurde festgelegt, welche Kategorie der Besoldung auf den Prüfling zutraf. War es ein Stundensatz von vier Mark, hatte er die Unterstufe, bekam er 6,50 Mark gehörte er der Mittelstufe an, bekam er 8,50 Mark war es die Oberstufe. Die Königsklasse war die Sonderklasse mit 12,- Mark - da konnte man mit dem Geld geradezu um sich werfen - war nur wenigen vergönnt. Und die hatte außer handwerklichem Können oft auch das Image einer guten Band.
Woher das Geld zu Zeiten des BBSV für unsere Instrumente kam, ist mir nicht mehr in Erinnerung geblieben. Wir hatten ja ein paar Auftritte, deren Erlös wir aber in ein Mikrophon gesteckt hatten. Es war eine ganz schöne Krücke, wie wir es selbst damals bemerkten, aber eben besser als gar nichts. Es gab Schlimmeres, z.B. das Mikrophon für Tonbandaufnahmen. Das klang dann wie ein Telefonhörer.
Wir nahmen sogar mal an einem Ausscheid der Kirchenbands aus ganz DDRnien teil, bei dem die Auszeichnung "Goldene Note" verliehen wurde. Um es vorweg zu nehmen: Wir gewannen sie! Ich kann zwar nicht mehr sagen, worauf das zurückzuführen war, aber irgendwas wird schon den Ausschlag gegeben haben - es wird so gewesen sein wie mit dem Einäugigen unter den Blinden. Der Bigband-Leader Günther Hörig aus Dresden fand sich mit ein paar Orchestermitgliedern ein, die auch gleichzeitig an der Pop-Abteilung ihrer Hochschule tätig waren. Bei einem musikalischen Frühschoppen, an dem alle Musikanten teilnahmen, brachte man uns ein paar Tricks und Kniffe bei, und ich muss sagen, es war ein Weg zur Erkenntnis! Ich lernte ein paar neue erweiterte Bluesharmonien, die es bei den Beatles und Konsorten nicht gab. Zum Ausscheid spielten wir nur Instrumentals, da keiner eine wirklich gute Vorsingstimme hatte. Ich brillierte mit dem Klavier-vorspiel von Michel Polnareffs "Love Me, Please Love Me", das mit einem schnellen Arpeggio begann und was von mir fehlerfrei kam. Das dachte ich mir zumindest. Hinterher bemerkte G. Hörig, ich hätte zu viel Pedal genommen, es wäre ein arpeggiertes Schwimmfest gewesen und ich hätte damit alles verwischt. Recht hatte er! Dafür habe ich beim zweiten Titel ins Saxophon gehupt, als ich einen Chorus spielte, der nach Freejazz oder Was-weiß-ich klingen sollte, die Hauptsache progressiv!
An dem Ausscheid nahm auch ein junger Pianist teil, der schon beachtliche technische Fähigkeiten vorweisen konnte und etwas Jazziges spielte. Sechs Jahre später spielten wir gemeinsam bei einer Band, die LIFT hieß! Es war Wolfgang Scheffler. Trotz alledem - wir bekamen also die Goldene Note! Beflügelt durch diesen Erfolg werkelten wir noch, bis das Unternehmen BBSV 1969 sein Ende fand, weil drei von uns zur Fahne mussten.
Das war ein Ausflug zu den Zeiten meiner ersten popmusikalischen Vereinigung, doch nun zurück zu meiner Zeit am der Spezialschule für Musik:
Internatsleben mit Höhen und Tiefen
Da ich zu den "Gründungsmitgliedern Tanzmusik" gehörte, galt ich als Vorbild für einige nachfolgende Schüler, die es mir - nach Jahren - gebeichtet haben. So zum Beispiel "Hans die Geige" Wintoch, der vier Jahre jünger war als ich und die 10. Klasse wegen schlechtem Benehmens nicht in Halle abschließen durfte. Er spielte bei vielen bekannten Rockbands, bis er ein Soloprojekt aufmachte. 1985 ging er mit mir noch einmal zu LIFT - alte Liebe rostet nicht! Ebenso Paul. Paul hieß eigentlich Lothar Schulze. Schulze! - diesen Namen legte er mit seiner ersten Ehe ab und nannte sich schnell Lothar Kramer. Bei Stern Meißen, der Band, die mit neu erfundenen Spitznamen nur so um sich warf, erhielt er den Namen Paul. Paul war in der sechsten Klasse, als ich die Zehnte besuchte. Er war ebenfalls Fagottist, hatte ebenfalls ein absolutes Gehör (noch besser als meins), wurde auch wegen seines Benehmens der Schule verwiesen, spielte in berühmten Bands wie Klosterbrüder und Stern-Combo Meißen Keyboards, wurde später ein begehrter Tonmeister und arbeitet als solcher beim MDR. Meine Klassenkameradin Eva Neumann wurde Flötistin der Gruppe KREIS und hieß, nachdem sie den Keyboarder und Chef Arnold geheiratet hatte, Fritzsch. Und der heiratete später die Moderatorin der Abendschau vom rbb... klatsch, klatsch, klatsch... Mit ihm durfte ich 1988, zur Zeit der Perestroika, eine Woche in Moskau verbringen, um die dortige Popszene zu beobachten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wenn hier jemand bei der Aufzählung der Personen an die Gründerjahre der DDR-Popmusik denkt - und ich meine nicht die Schlagermusik - liegt nicht falsch damit. Ein paar Wegbereiter kamen auch von der Spezialschule für Musik Halle. Es gab in der DDR noch drei weitere Spezialschulen und an jeder hat es popmusikalisch gebrodelt, wenn auch erst später und nicht wie in Halle. Um das Maß vollzumachen: Ein weiterer Fast-Promi aus Halle war Lise Rezniczek, Piano, die dann die Gruppe Mona Lise gründete und es vorzog, nur mit Frauen aufzutreten. Sie wurde später Musiklehrerin und war maßgeblich an der Umbenennung ihres Gymnasiums beteiligt, das dann den Namen "John Lennon" trug. An diesem Gymnasium unterrichteten auch meine zweite Frau Ulrike und meine letzte Freundin, womit sich der Kreis erst mal schließt.
Von meinen Mitschülern hatte ich mir auch manches abgeguckt und abgelauscht. Ich hatte sogar Vorbilder an der Schule. Da gab es einen Klavierschüler in meiner Klasse, der über eine ausgezeichnete Technik verfügte. Er spielte u.a. Chopin-Etüden, die nur Meister ihres Fachs beherrschten. Er beherrschte sie! Und ich kaufte mir heimlich die Noten und setzte mich ans Klavier und fing an - zu üben! Ich und üben, man glaubt's kaum! Es war mir unbegreiflich, wie einer so schnell diese Etüden spielen konnte. Irgendwann gab ich es auf, durch Schnelligkeit Frauenherzen erobern zu können. Nicht mal für Kleinkinder hätte meine Spielweise gereicht. Nie wieder Etüde Nummer 10! Das Gleiche wiederholte sich mit George Gershwin. Ich war damals Gershwin-Fan und vor allem die "Rhapsodie in Blue" hatte es mir - gefolgt von seinem Klavierkonzert - angetan. Auch hier besorgte ich mir die Noten und schloss mich in meinem Übungszimmer ein, zog die Vorhänge zusammen, drückte das leise Pedal am Klavier und begann, die Noten in Töne umzusetzen. Kinder, war das schwer, denn es ging nicht zu wie in der Klassik, wo mir jeder Akkord bereits bekannt war, nein, da gab es immer neue und einer verzwickter als der andere. Nach einiger Zeit stellte ich fest, dass die Klaviertasten komischerweise sehr weit auseinander zu liegen schienen, weshalb meine Handspanne für einige Akkorde nicht ausreichte. Aber dann kam die niederschmetternde Erkenntnis: Meine Hände waren weder für Chopin noch für Gershwin geeignet. Ein geschickter Chirurg hätte da vielleicht was ändern können, aber der müsste noch geboren werden. So viel Zeit hatte ich nicht.
Hochschule für Musik Leipzig - Lehrjahre
Wir waren ein gemischtes Studenten-Völkchen und es kam mein Studienjahr nur bei den Vorlesungen zusammen. Schon die Seminare waren anders besetzt. An der Hochschule gab es keine Arbeiterklasse, aber dafür die Klasse der Streicher, der Bläser, der Sänger und die Restklasse der Dirigenten und Komponisten. Und jede Klasse dachte von sich, sie wäre die auserwählte! Am schlimmsten waren die Sänger, die hatten alle schon 'nen Schuss weg (wenn ich mir diese etwas flapsige Ausdrucksweise mal erlauben darf). Die sangen ständig, wo sie auch waren "mi-mi-miii" oder andere Sangesübungen, hatten ständig Halsschmerzen oder zumindest Angst davor und trugen ständig ihre Nasen, die aus dicken, mehrfach gewundenen Schals hervorguckten, der Sonne entgegen, wie es sich für ein ausgewähltes Volk eben gehört. Sie fühlten sich als Inkarnation der Kunst im Allgemeinen und im Besonderen. Die Streicher waren so naja, denn die mussten am meisten üben, weil sie sich das dafür entsprechende Instrument ausgewählt hatte. Wir Bläser besaßen ein eigenes Gebäude, es war auch eine ehemalige hochherrschaftliche Villa mit zwei Etagen. Es hieß bei uns das Bläserhaus. Wir kamen alle gut miteinander aus, schon wegen des Klassenerhalts.
An meinem ersten Tag im Bläserhaus machte ich Bekanntschaft mit einem Hornisten aus dem 3. Studienjahr und der hatte - lange Haare! Richtig lang! Ich schämte mich zutiefst, meine Haare dem Friseur überlassen haben zu müssen und schwor meinem Direktor aus Halle, der mich zu diesem Schritt gezwungen hatte, tiefste Rache! Ich hatte den Hornisten dann nach ein paar Jahren in der Haarlänge überholt und die Welt sah wieder besser aus. Lange Haare waren nämlich nicht nur eine Haartracht, sondern auch eine Philosophie! Das war in der Geschichte nichts Neues, denn schon immer hatten auch Bärte eine gesellschaftliche Funktion, wenn der Mann nicht gerade zu faul war, sich zu rasieren. Die Punkbewegung Anfang der 80er mit all ihren haargestalterischen Möglichkeiten und Auswüchsen zeugte auch von der Einstellung zur Gesellschaft. So auch bei uns: Die Haare waren das Aufbegehren des unterdrückten Jungvolkes gegen die schnöde bürgerlich-spießige Welt. Außerdem muss ein richtiger junger Mensch gegen etwas sein, egal gegen was, denn sonst ist er zwar jung, aber nicht so richtig...
Klamotten als Zeichen des Andersseins
Um es kurz zu machen: Es war einfach schick, anders zu sein! So kaufte ich mir einen Poncho, der zu dieser Zeit bei Männern noch vollkommen unüblich war, denn ihre Blütezeit hatten sie - als Umhang deklariert - bis zum 19. Jahrhundert. Ich kannte ihn vor allem aus Mantel- und Degenfilmen. An der Hochschule gab es auch kaum Baskenmützenträger und wenn, trugen sie dazu keine Jeans oder Kutte. Vielleicht entschloss ich mich auch deshalb dazu, zu den Baskenmützenträgern zu gehören. Um bewusst oder unbewusst anders sein zu wollen, musste man aber erkannt haben, dass die Mehrheit eigentlich im Gleichschritt lief, und das war schon der erste Schritt zur Individualität. Vieles hat man diesbezüglich aus dem Bauch heraus gemacht, ohne zuvor dicke Sartre-, Heidegger- oder Marcuse-Bücher gewälzt zu haben - und außerdem gab's die ja ohnehin nicht in Gottes erster Sozialistischer Deutscher Republik, die standen auf dem Stasi-Index. Wir hätten lieber das Buch Walter Ulbrichts "Mein Leben mit und ohne Hobel" lesen sollen, in dem er beschrieb, wie ein Tischler es ohne Handwerkzeug zum SED-Chef bringen konnte. Wir hatten aber Glück - das Buch ist nie geschrieben worden. Meiner Auffassung waren vielleicht drei Studenten. Oder vier. Oder fünf? Es ist aber verständlich, wollten doch 99,99% von ihnen einen Beruf ergreifen, der das Individuum außen vorlässt, schließlich gab es ja Dirigenten und Chorleiter.
Als Orchestermusiker musst du dich dem Dirigenten unterordnen und das bedeutet Disziplin. Disziplin legst du auch als Chorsänger an den Tag, soll ein homogener Klang entstehen. Die Ausnahmen machen höchsten Dirigenten und Tonsetzer. Der Dirigent hat die Macht. Der Tonsetzer wiederum hat Macht, weil andere das spielen müssen, was er geschrieben hat. Erst in meinem 4. Studienjahr, das war 1970/71, kam eine neue Klasse hinzu: Die Klasse der "Tanzmusiker", heute würde man Popmusiker dazu sagen. Damit kam mir eine neue Erkenntnis: Popmusiker haben nicht alle lange Haare, sind nicht alle oppositionell und tragen auch nicht alle die entsprechend "andere" Kleidung, nein, sie sind genauso spießig, geschmacklos, ungebildet und arschkriechrisch wie alle anderen "Bürger" auch.
Aber ich wollte ja eigentlich was über meine Fächer sagen: Wir hatten ja keine Wahlmöglichkeiten. Das Einschreiben in ein Fach gab's nicht, denn neben dem Hauptfach mussten alle anderen Fächer ebenso belegt werden. Alle sollten bei Klavier, Musiktheorie, Kunstgeschichte, Pädagogik, Gehörbildung und Psychologie anwesend sein; dazu kamen noch die jeweils ein Jahr dauernden Fächer Marxismus-Leninismus, Gesellschaftswissenschaft, Politische Ökonomie und Philosophie. Wer ein Orchesterinstrument lernte, saß ab dem 2. Studienjahr im Orchester, falls sein Instrument gebraucht wurde. Ich hatte noch ein zweites Nebeninstrument: Schlagzeug! Das war eine Notlösung für Fagottisten, denn wer keine Stelle als solcher fand, hatte die Möglichkeit als Schlagzeuger und Fagottist in ein Orchester aufgenommen zu werden. So lernte ich alle Schlagwerke, die in der normalen Orchesterliteratur vorkommen: Kleine Trommel, Pauken und Xylophon - das waren die Instrumente, die man wirklich lernen musste. Da blieben noch Glockenspiel und auch die Triangel, die aber nur ein Semester, weil's dafür keine Literatur gab und keiner größeren Ausbildung bedurfte. Mir machte Schlagzeug eigentlich Spaß. Ich hatte auch einen Lehrer, der Solopauker des Gewandhausorchesters war und schon kurz vor der Rente stand. Der nahm alles ganz locker, wusste er doch, dass ich es mit diesem Fach nicht ganz so ernst ge-nommen hatte. Nach drei Jahren schloss ich das Fach ab. Es hat mir später viel geholfen, was die Arbeit mit Drummern betraf.
Zähmung eines Aufsässigen
Im 1. Studienjahr waren im Hochschulorchester bereits zwei Fagottisten besetzt und ich musste mich diesbezüglich hinten anstellen. Es wurde gerade Tschaikowskis 4. Sinfonie geprobt, bei der ein zweiter Schlagzeuger die große Trommel übernehmen musste. Dafür wurde ich auserwählt. Ich war damals gerade mal siebzehn geworden, aber es war für mich ein Klacks, ab und zu mal einen Schlag auf die große Trommel zu geben. Ich glaube, es waren in der ganzen Sinfonie nur vier Schläge, und die waren alle im letzten Satz. Da es mir langweilig wurde, begann ich den Schlägel lässig in Kreisbewegungen zu versetzen, indem ich ihn mit einer Aufhängeschlaufe, die am Ende des Griffs hing, um meinen erhobenen Zeigefinger rotieren ließ. Das hatte zur Folge, dass sich einige Streicher zu mir umdrehten, denen dann auch einige Bläser folgten. Ich bekam das mit und steigerte meine Showeinlage, bis - der 4. Satz abrupt abgebrochen wurde. "Sie da, wie heißen Sie? Heubach? Kommen Sie mal mit raus!" - O je, erwischt! Und das von unserem Dirigenten, dem Generalmusikdirektor Rolf Reuter, seines Zeichens ein Promi seines Faches. Wir gingen also gemeinsam vor die Tür des Vortragssaales. Er sprach mit mir in einem ganz ruhigen Ton, erklärte mir die Philosophie des Musikerdaseins und machte mir begreiflich, wo die Trennung zwischen Spaß und Ernst zu sein hat. Dann gingen wir nach zehn Minuten wieder zurück in den Vortragssaal und die Probe ging weiter. Und ab da saß jeder Schlag! Und ohne fliegenden Schlägel!
Seit dieser Aussprache wurde ich zum Jünger von GM Reuter! Es waren in meinem Leben nur ganz wenige Personen, die mich aufgrund ihrer Persönlichkeit so überzeugt haben. Wir kamen immer gut miteinander aus und ich glaube, er schätzte mich. Er hatte auch so eine gewisse ironische Art, die manchmal bis zum Zynismus reichte, und darin lag eine winzige Gemeinsamkeit. In meiner Erinnerung ist ein Spruch geblieben, den ich auch ganz gern zitiere und der eine philosophische Wahrheit enthält: "Man kann nie früh genug zu spät kommen!" Das brachte er immer dann an, wenn das Orchester nicht richtig zusammenspielte. Zehn Jahre später traf ich ihn in einem Hotel, er erkannte mich sofort und begrüßte mich freundlich. Nach zehn Jahren!
Er hatte ja noch andere Dinger drauf. Das Orchester war für ihn seine Familie, die er vor Angriffen seitens des Rektorats schützen wollte. Wir gaben mit dem Hochschulorchester im Jahr zwei öffentliche Konzerte, irgendwo in der Prärie, in einem Großbetriebe oder kleinem Theater. Wir reisten mit einem Bus zum Spielort und anschließend wieder zurück. Es gab für uns arme Studenten keine Spesen und nicht mal zu einer Bockwurst reichte es seitens des Rektorats. Lediglich eine Limo wurde uns spendiert, obwohl durch den Kartenverkauf Geld eingenommen wurde. Um zu zeigen, dass es auch anders ging, lud GM Reuter das gesamte Orchester in den Garten seines Hauses ein. Von seiner Gage, die er uns spendierte - es müssen 1000,- Mark gewesen sein -, besorgte er uns Getränke, ein Ferkel wurde gegrillt, und es spielte eine Band, obwohl Tanzmusik quasi verboten war. Und das alles bei ihm! Damit hatte er natürlich das Orchester voll hinter sich, und er ist in die Annalen der Erinnerungen seiner Studenten eingegangen.
Geduldet, aber unerwünscht: Die Hochschulband
Schon im 1. Studienjahr machte ich den Versuch, irgendeine Band auf die Beine zu stellen. Es fehlten die entsprechenden Musiker, denn keiner wollte stilistisch fremdgehen. Erst in den darauf folgenden Jahren kamen Schüler aus Halle nach, mit denen ich probieren konnte. Wir stellten ein Schlagzeug aus allerlei abenteuerlichen Instrumenten zusammen, dessen Sound eher an eine Feuerwehrkapelle erinnerte als an eine Popband. Ebenso mussten wir einen Kontrabassisten übernehmen, der uns auch in Halle als solcher gedient hatte. Der war unfähig, eine eigene Basslinie zu spielen, alles brauchte er auf Noten. Besonders bei Improvisationen (oder Chorusse, wie wir sagten) spielte er immer das gleiche Schema - es war sehr uninspirierend, um das mal vorsichtig auszudrücken. Ich versuchte mich in den verschiedensten Stilrichtungen bis hin zum Jazz oder was ich darunter verstand. Mir fehlte jegliche Kenntnis von den verzwickten Jazzharmonien, von Skalen und von Polyrhythmik. Woher sollte ich das auch wissen? Aber der Wille war der Weg. Irgendwie kam immer was raus, was einigermaßen interessant klang. Bei der Gartenparty unseres GM Reuter ließen wir neben gängigen Instrumentaltiteln auch so eine Pseudo-Jazznummer gucken und der GM lehnte sich an den Flügel, den er extra aus seinem Haus in den Garten stellen ließ, und ergab sich der Musik. Uns machte es Spaß!
Die Hochschule hielt aber im Laufe der Zeit dem Druck der Basis, die wir selbst waren, nicht mehr stand und es begann das Legalisieren der Tanzmusik. An der Hochschule in Dresden gab es schon seit Jahren eine Abteilung Tanzmusik und auch Weimar zog mit. Da mussten die konservativen Gemüter Leipzigs dann doch klein beigeben. Wen aber sollte man die Leitung übertragen? Es gab keine Dozenten für ein solches Fach. Es gab aber einen prominenten Bandleader, der das damals noch existierende Fernsehorchester unter seinen Fittichen hatte: Fips Fleischer! Fips war ein guter Musiker, der auch einst ein ebenso guter Swing-Drummer gewesen war. Er kam gewöhnlich an wie ein Dandy, rauchte teure Zigaretten und tat immer so, als hätte er gerade mit Frank Sinatra im Flieger gesessen und ihm die nötige Inspiration für einen neuen Song gegeben. Er konnte auch immer tolle Sprüche machen und wer die nicht durchschaute, hing an seinen Lippen wie an denen eines Gurus. Mein Freund Mücke stieg nach dem Trompetenstudium in seine Band ein, bis er einen Ausreiseantrag stellte und nach Westdeutschland "entlassen" wurde - das war der erste Emigrant aus meinem Bekanntenkreis, und es folgten noch etliche.
Avantgardistische Versuche als Sturm im Wasserglas
Fips Fleischer als Leiter der Abteilung Tanz- und Unterhaltungsmusik versuchte durch uns, sein Renommee etwas aufzufrischen. So machten wir gemeinsame Gastspiele um zu zeigen, wie progressiv die Abteilung sein wollte. Das war natürlich ein Wunschdenken seinerseits, denn es mangelte an modernen Lehrkräften. Das Progressivste für sie war immer noch der Swing und der roch verdammt nach den 50er Jahren. Als ich 1973 mein Abendstudium beendete, hatte ich das Glück, für das Hochschulorchester und die Bürkholz-Formation ein größeres Stück schreiben zu dürfen, das in einem Großbetrieb aufgeführt wurde. Natürlich wollte ich die musikalische Weltrevolution ausrufen, es kam aber nur eine Bezirksrevolution zustande. An stilistischen Mitteln packte ich eine Menge in die Komposition hinein; ich hatte sogar einen Part mit serieller Musik dabei, wo Hansi frei singen durfte, und zwar viele "falsche" Töne, damit es modern klang. Ja nichts Herkömmliches! Zur Besänftigung gab es auch einen Teil "für's Volk", und der lag uns eigentlich eher. Nun musste ich nur noch einen Titel finden. Nach längerem Überlegen hatte ich es:

Wer möchte, kann hier getrost meine Meinung zum Staat DDR herauslesen, mein Gefühl der Enge, das ich mit diesem Stück zum Ausdruck bringen wollte - so etwas macht sich immer gut bei Interviews zum Jahrestag von Mauerbau und Maueröffnung. Natürlich war das mit der Enge nicht so wörtlich zu nehmen, höchstens im tiefsten Keller meines Unterbewusstseins fühlte ich mich eingezwängt. Das mit der fehlenden Reisefreiheit war mir nicht ganz so wichtig, ich hatte eher andere Probleme, die im Inneren des Landes zu finden waren. Ansonsten war so ein Gerede die blanke Opposition und das Provozieren von Staats- und Verwaltungsbeamten, zu denen für mich alles an der Hochschule zählte, was keine aktive Musik machte. Da sich keiner so einen Titel getraut hat, kann ich wenigsten noch heute von mir sagen: Ich war der Erste! Das ändert nichts daran, dass das DDR-System von mir schon damals das Prädikat "nicht machbar" erhielt!
In jenem Jahr offerierte auch Arndt Bause, den ich vorhin schon erwähnt habe, sein "Werk". Es war der absolute Gegensatz zu "Platzangst". Sein Stück war eine Zusammenballung von Schlager, Operette und Musical, es klang schön DDRig, und das besagte, es war weder Friede, noch Freude, noch Eierkuchen. Aber abgerechnet wurde am Schluss: Er wurde Millionär und ich Hunderter (dieses Wortspiel soll mir mal erlaubt sein). Später durften ein paar Musiker der Bürkholz-Formation unter Fips' Leitung den Berufsausweis machen, ohne den in Profi-Bands kein Weiterkommen war (aber davon später mehr). Clever wie er war, nutzte Fips das Image von der Bürkholz-Formation aus und gab sie als Hausband der Hochschule aus. Hier eine Titelaufstellung:

Wir machten unter diesem Namen ein paar Muggen, und bei der Gelegenheit hielt er vor dem andächtigen Publikum... ("Ist das nicht der Fips Fleischer? Und der sieht noch gut aus, so wie im Fernsehn!") ...ein paar einführende Worte und kassierte anschließend außer einer Gage den ganzen Ruhm beim Rektorat. So war er halt, der Fips, alles in allem aber ein guter Kumpel. Außerdem wurde mir wieder mal der alte Spruch in den vorderen Stirnlappen geführt: Lehrjahre sind keine Herrenjahre oder: Wer unter Fips Fleischer Musik macht, braucht auf Ruhm nicht zu hoffen!
Eigentlich ist es interessant, wie ich zum Komponieren und Arrangieren kam: Ich hatte schon durch das Improvisieren viele Einfälle, nur fehlte mir damals der richtige Anlass, Ideen zu Papier zu bringen. Am KON nahm alles seinen Anfang. Halle war die Stadt der Händelfestspiele. Ich bekam in der 9. Klasse 1966 den Auftrag, dafür eine Eröffnungsfanfare zu komponieren. Ich, der kleine Schüler, für so'n großes Ding! Man wollte mich nicht unbedingt an der Schule, da ich nicht in die Kategorie "bequemer Schüler" fiel, brauchte mich aber dennoch, weil man mein Talent zu schätzen wusste. Vier Trompeter und zwei Pauken schmetterten meine Fanfare vom Balkon des Rathauses und ich war mächtig stolz. Leider wurde mein Name in den Medien nicht erwähnt, denn es gab ja keine "Medien" in unserem heutigen Sinn, und auch unsere Schule wurde nicht genannt. Im folgenden Jahr bekam ich wieder einen Auftrag zu dem gleichen Anlass und wieder schmetterten vier Trompeter die Melodie in die Menge. Und wieder keine Medien... Zum ersten Mal verspürte ich innerlich eines der wenigen Vorteile des westlichen Systems.

An der Spezialschule kümmerte man sich seitens der Lehrerschaft weniger um Fragen des politischen Systems, man war da liberal eingestellt, wenn man natürlich um einige Pflichtstatements nicht drum rum kam. Als Katholik bekam ich an den entsprechenden kirchlichen Feiertagen frei und musste nicht in die Schule. Das war das Vorteilhafte für mich daran. Diese Feste waren aber auch gleichzeitig ein Event (wie man heute sagen würde), und ich nahm ab einem gewissen Alter an den Gottesdiensten immer als Ministrant teil. Damit war ich in der Schule für die Lehrerschaft gleichzeitig ein Außenseiter, denn das Katholische potenzierte sich im Ministrantsein. Meine Mitschüler kümmerte es wenig und es hat keine Freundschaft drunter gelitten.
Popmusik in Gottes Hallen und anderswo
In der katholischen Gemeinde St. Laurentius war es auch, wo eine "Kirchenband" existierte. Wer und wann sie gegründet hatte, ist umstritten. Es gibt da keine genaueren Angaben und auch die anderen wissen nicht viel mehr als ich. Es muss so um 1967 rum gewesen sein, als wir uns zusammenfanden. Da war unser Ältester, Alfred Mechsner, Baujahr 1942, seines Zeichens Trommler und Gelegenheitstrompeter; Jochen Grotzke als Gitarrist und Sänger, Matthias Locker mit einer selbstgebauten Bassgitarre, Dietmar Stera, genannt "Sterilien", als zweiter Gitarrist und Sänger und ich, der Mann am Klavier, an der Klampfe und am Mikro. Das war der Stamm, und ab und zu kam und ging jemand. Wir probten im Gemeindesaal, der einem größeren Zimmer gleichkam, auf einer Erhöhung, die ein Podest war und Bühne genannt wurde.
Als es uns finanziell etwas besser ging, besorgten wir uns einen Verstärker, der das Wort eigentlichen nicht verdiente. Ich weiß nicht, für welches Wohnzimmer das Gerät vorgesehen war, aber es würde heute in jedem Kinderzimmer seine Arbeit verrichten: Höhe ca. 40 cm, Breite 25 cm und die Tiefe vielleicht 30 cm, ich kann's nicht beschwören, es liegt zu lange zurück. Dieses Equipment also hatte einen Lautsprecher und einen eingebauten Verstärker, der es bis zu 40 Watt brachte. Daran wurden zwei dreieckige Minimixer angeschlossen, die jeweils drei Eingänge hatten, also zusammen sechs. Nun mussten dort drei Gitarren und drei Mikros Platz finden. Und das fanden sie auch! Und alles ging in den Verstärker und wurde mit voller 40-Watt-Leistung in den Raum geschallt. Es muss schrecklich gewesen sein, diese Soundwumme anzuhören! Aber da wir nicht immer full power spielten, gab's bestimmt auch Stellen, wo man etwas differenzierter Musik machen konnte. Bloß gut, dass wir ahnungslos waren, was an Beschallung möglich war!
Ich hatte das Glück, an einem Nachmittag des Jahres 1965 in dem "Beatschuppen" (wie wir sagten) eine prominente Leipziger Band zu hören, die "The Starlets" hieß - damals hatten fast alle neugegründeten Beatbands ein "The" vorneweg, das war trendy. Deshalb kam ich auf die Idee, dem Englisch-Wahn mit "The" nicht zu folgen und dafür einen deutschen Namen für die Band zu erfinden: Beat-Blas-Sing-Verein, kurz BBSV - es war gar nicht so lange zurück, dass ich noch den Namen "The Rolling Thunders" in die Waagschale warf. Damit wollte ich gleichzeitig das spießerische Vereinswesen auf die Schippe nehmen, denn "Beat" und "Verein" sind eben zwei Paar Schuhe!
Wir spielten Hits, von denen wir uns die Texte abhörten oder irgendwoher besorgten. Es gab bei uns auch die ersten eigenen Songs. Der Mitministrant Walter Pannicke war ein sehr begabter Songerfinder. Seine Songs waren sehr an den Beatles angelehnt, sie hatten aber irgendetwas ganz bestimmtes Eigenes. Er spielte jedoch nicht fest in der Band mit, und so wurden seine Titel nicht gespielt. Dafür lieferte "Sterilien" auch ein paar eigene Songs ab, die er selbst sang. Sprache? Natürlich Englisch! Aber nicht das Queen's English war es, sondern eher ein Dialekt, der auf den Fidschiinseln gesprochen wurde... Mit anderen Worten, es verstand ihn kein Schwein, aber er klaaang! Da gab es Lieder, die klangen wie Jonny Cash in seinen tiefsten Südstaatenzeiten, obwohl es nur Klanggebilde waren. Ich sang auch ein paar Songs, wobei ich mit dem Terminus singen vorsichtig umgehe. Da gab es doch ab und zu ein paar Stimmlagen, die an meiner Grenze lagen, und die ich nur noch "rausrufen" konnte. Aber Jochen war auch nicht besser, hatte aber ein besseres Timbre als ich. Weil wir viele Songs coverten und deshalb in der Originaltonart spielen mussten, konnten wir auch nur durch Herausschreien der hohen Töne den Anschein erwecken, hier sind die Beatles am Werk - die Beatles nach einer missglückten Stimmbandoperation.

"Isch bin vom Rat des Kreises Leipzisch, Abteilung Kultur. Zeichn Se mal ihre Schpielerlaubnis!"
"...?..."
"Ihre Spielerlaubnis. Bitte! Oder hamse keene?"
"Naja, wir dachten..."
"Herrnse off zu denkn, das machen mir für Sie! Hamse nun oder hamse nicht, die Schpielerlaubnis meene ich?"
"Eine Betriebsfeier ist doch keine öffentliche Veranstaltung und da dachten wir...",
wollten wir uns rausreden.
"Noch mal: Denkn machn mir für Sie. Das wird ä Nachschpiel ham, worauf Se sich verlassn gönn! Baggn Se ein und verlassn Se den Saal! Isch gehe erscht wieder, wenn hier alles weg is!"
So packten wir unsere Instrumente wieder ein und verließen den Ort unseres Verbrechens, anstatt illegal zu spielen. Eigentlich waren wir ja ganz gehorsame Bürger - die Revolution machten wir nur bei heruntergelassenem Rollo.
Die Spielerlaubnis war in der DDR eine Erlaubnis für Musiker, um öffentlich auftreten zu dürfen. Um sie zu erlangen, musste eine Prüfung vor einer Einstufungskommission abgelegt werden. Dann wurde festgelegt, welche Kategorie der Besoldung auf den Prüfling zutraf. War es ein Stundensatz von vier Mark, hatte er die Unterstufe, bekam er 6,50 Mark gehörte er der Mittelstufe an, bekam er 8,50 Mark war es die Oberstufe. Die Königsklasse war die Sonderklasse mit 12,- Mark - da konnte man mit dem Geld geradezu um sich werfen - war nur wenigen vergönnt. Und die hatte außer handwerklichem Können oft auch das Image einer guten Band.
Woher das Geld zu Zeiten des BBSV für unsere Instrumente kam, ist mir nicht mehr in Erinnerung geblieben. Wir hatten ja ein paar Auftritte, deren Erlös wir aber in ein Mikrophon gesteckt hatten. Es war eine ganz schöne Krücke, wie wir es selbst damals bemerkten, aber eben besser als gar nichts. Es gab Schlimmeres, z.B. das Mikrophon für Tonbandaufnahmen. Das klang dann wie ein Telefonhörer.
Wir nahmen sogar mal an einem Ausscheid der Kirchenbands aus ganz DDRnien teil, bei dem die Auszeichnung "Goldene Note" verliehen wurde. Um es vorweg zu nehmen: Wir gewannen sie! Ich kann zwar nicht mehr sagen, worauf das zurückzuführen war, aber irgendwas wird schon den Ausschlag gegeben haben - es wird so gewesen sein wie mit dem Einäugigen unter den Blinden. Der Bigband-Leader Günther Hörig aus Dresden fand sich mit ein paar Orchestermitgliedern ein, die auch gleichzeitig an der Pop-Abteilung ihrer Hochschule tätig waren. Bei einem musikalischen Frühschoppen, an dem alle Musikanten teilnahmen, brachte man uns ein paar Tricks und Kniffe bei, und ich muss sagen, es war ein Weg zur Erkenntnis! Ich lernte ein paar neue erweiterte Bluesharmonien, die es bei den Beatles und Konsorten nicht gab. Zum Ausscheid spielten wir nur Instrumentals, da keiner eine wirklich gute Vorsingstimme hatte. Ich brillierte mit dem Klavier-vorspiel von Michel Polnareffs "Love Me, Please Love Me", das mit einem schnellen Arpeggio begann und was von mir fehlerfrei kam. Das dachte ich mir zumindest. Hinterher bemerkte G. Hörig, ich hätte zu viel Pedal genommen, es wäre ein arpeggiertes Schwimmfest gewesen und ich hätte damit alles verwischt. Recht hatte er! Dafür habe ich beim zweiten Titel ins Saxophon gehupt, als ich einen Chorus spielte, der nach Freejazz oder Was-weiß-ich klingen sollte, die Hauptsache progressiv!
An dem Ausscheid nahm auch ein junger Pianist teil, der schon beachtliche technische Fähigkeiten vorweisen konnte und etwas Jazziges spielte. Sechs Jahre später spielten wir gemeinsam bei einer Band, die LIFT hieß! Es war Wolfgang Scheffler. Trotz alledem - wir bekamen also die Goldene Note! Beflügelt durch diesen Erfolg werkelten wir noch, bis das Unternehmen BBSV 1969 sein Ende fand, weil drei von uns zur Fahne mussten.
Das war ein Ausflug zu den Zeiten meiner ersten popmusikalischen Vereinigung, doch nun zurück zu meiner Zeit am der Spezialschule für Musik:
Internatsleben mit Höhen und Tiefen
Da ich zu den "Gründungsmitgliedern Tanzmusik" gehörte, galt ich als Vorbild für einige nachfolgende Schüler, die es mir - nach Jahren - gebeichtet haben. So zum Beispiel "Hans die Geige" Wintoch, der vier Jahre jünger war als ich und die 10. Klasse wegen schlechtem Benehmens nicht in Halle abschließen durfte. Er spielte bei vielen bekannten Rockbands, bis er ein Soloprojekt aufmachte. 1985 ging er mit mir noch einmal zu LIFT - alte Liebe rostet nicht! Ebenso Paul. Paul hieß eigentlich Lothar Schulze. Schulze! - diesen Namen legte er mit seiner ersten Ehe ab und nannte sich schnell Lothar Kramer. Bei Stern Meißen, der Band, die mit neu erfundenen Spitznamen nur so um sich warf, erhielt er den Namen Paul. Paul war in der sechsten Klasse, als ich die Zehnte besuchte. Er war ebenfalls Fagottist, hatte ebenfalls ein absolutes Gehör (noch besser als meins), wurde auch wegen seines Benehmens der Schule verwiesen, spielte in berühmten Bands wie Klosterbrüder und Stern-Combo Meißen Keyboards, wurde später ein begehrter Tonmeister und arbeitet als solcher beim MDR. Meine Klassenkameradin Eva Neumann wurde Flötistin der Gruppe KREIS und hieß, nachdem sie den Keyboarder und Chef Arnold geheiratet hatte, Fritzsch. Und der heiratete später die Moderatorin der Abendschau vom rbb... klatsch, klatsch, klatsch... Mit ihm durfte ich 1988, zur Zeit der Perestroika, eine Woche in Moskau verbringen, um die dortige Popszene zu beobachten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wenn hier jemand bei der Aufzählung der Personen an die Gründerjahre der DDR-Popmusik denkt - und ich meine nicht die Schlagermusik - liegt nicht falsch damit. Ein paar Wegbereiter kamen auch von der Spezialschule für Musik Halle. Es gab in der DDR noch drei weitere Spezialschulen und an jeder hat es popmusikalisch gebrodelt, wenn auch erst später und nicht wie in Halle. Um das Maß vollzumachen: Ein weiterer Fast-Promi aus Halle war Lise Rezniczek, Piano, die dann die Gruppe Mona Lise gründete und es vorzog, nur mit Frauen aufzutreten. Sie wurde später Musiklehrerin und war maßgeblich an der Umbenennung ihres Gymnasiums beteiligt, das dann den Namen "John Lennon" trug. An diesem Gymnasium unterrichteten auch meine zweite Frau Ulrike und meine letzte Freundin, womit sich der Kreis erst mal schließt.
Von meinen Mitschülern hatte ich mir auch manches abgeguckt und abgelauscht. Ich hatte sogar Vorbilder an der Schule. Da gab es einen Klavierschüler in meiner Klasse, der über eine ausgezeichnete Technik verfügte. Er spielte u.a. Chopin-Etüden, die nur Meister ihres Fachs beherrschten. Er beherrschte sie! Und ich kaufte mir heimlich die Noten und setzte mich ans Klavier und fing an - zu üben! Ich und üben, man glaubt's kaum! Es war mir unbegreiflich, wie einer so schnell diese Etüden spielen konnte. Irgendwann gab ich es auf, durch Schnelligkeit Frauenherzen erobern zu können. Nicht mal für Kleinkinder hätte meine Spielweise gereicht. Nie wieder Etüde Nummer 10! Das Gleiche wiederholte sich mit George Gershwin. Ich war damals Gershwin-Fan und vor allem die "Rhapsodie in Blue" hatte es mir - gefolgt von seinem Klavierkonzert - angetan. Auch hier besorgte ich mir die Noten und schloss mich in meinem Übungszimmer ein, zog die Vorhänge zusammen, drückte das leise Pedal am Klavier und begann, die Noten in Töne umzusetzen. Kinder, war das schwer, denn es ging nicht zu wie in der Klassik, wo mir jeder Akkord bereits bekannt war, nein, da gab es immer neue und einer verzwickter als der andere. Nach einiger Zeit stellte ich fest, dass die Klaviertasten komischerweise sehr weit auseinander zu liegen schienen, weshalb meine Handspanne für einige Akkorde nicht ausreichte. Aber dann kam die niederschmetternde Erkenntnis: Meine Hände waren weder für Chopin noch für Gershwin geeignet. Ein geschickter Chirurg hätte da vielleicht was ändern können, aber der müsste noch geboren werden. So viel Zeit hatte ich nicht.
Hochschule für Musik Leipzig - Lehrjahre
Wir waren ein gemischtes Studenten-Völkchen und es kam mein Studienjahr nur bei den Vorlesungen zusammen. Schon die Seminare waren anders besetzt. An der Hochschule gab es keine Arbeiterklasse, aber dafür die Klasse der Streicher, der Bläser, der Sänger und die Restklasse der Dirigenten und Komponisten. Und jede Klasse dachte von sich, sie wäre die auserwählte! Am schlimmsten waren die Sänger, die hatten alle schon 'nen Schuss weg (wenn ich mir diese etwas flapsige Ausdrucksweise mal erlauben darf). Die sangen ständig, wo sie auch waren "mi-mi-miii" oder andere Sangesübungen, hatten ständig Halsschmerzen oder zumindest Angst davor und trugen ständig ihre Nasen, die aus dicken, mehrfach gewundenen Schals hervorguckten, der Sonne entgegen, wie es sich für ein ausgewähltes Volk eben gehört. Sie fühlten sich als Inkarnation der Kunst im Allgemeinen und im Besonderen. Die Streicher waren so naja, denn die mussten am meisten üben, weil sie sich das dafür entsprechende Instrument ausgewählt hatte. Wir Bläser besaßen ein eigenes Gebäude, es war auch eine ehemalige hochherrschaftliche Villa mit zwei Etagen. Es hieß bei uns das Bläserhaus. Wir kamen alle gut miteinander aus, schon wegen des Klassenerhalts.

Klamotten als Zeichen des Andersseins
Um es kurz zu machen: Es war einfach schick, anders zu sein! So kaufte ich mir einen Poncho, der zu dieser Zeit bei Männern noch vollkommen unüblich war, denn ihre Blütezeit hatten sie - als Umhang deklariert - bis zum 19. Jahrhundert. Ich kannte ihn vor allem aus Mantel- und Degenfilmen. An der Hochschule gab es auch kaum Baskenmützenträger und wenn, trugen sie dazu keine Jeans oder Kutte. Vielleicht entschloss ich mich auch deshalb dazu, zu den Baskenmützenträgern zu gehören. Um bewusst oder unbewusst anders sein zu wollen, musste man aber erkannt haben, dass die Mehrheit eigentlich im Gleichschritt lief, und das war schon der erste Schritt zur Individualität. Vieles hat man diesbezüglich aus dem Bauch heraus gemacht, ohne zuvor dicke Sartre-, Heidegger- oder Marcuse-Bücher gewälzt zu haben - und außerdem gab's die ja ohnehin nicht in Gottes erster Sozialistischer Deutscher Republik, die standen auf dem Stasi-Index. Wir hätten lieber das Buch Walter Ulbrichts "Mein Leben mit und ohne Hobel" lesen sollen, in dem er beschrieb, wie ein Tischler es ohne Handwerkzeug zum SED-Chef bringen konnte. Wir hatten aber Glück - das Buch ist nie geschrieben worden. Meiner Auffassung waren vielleicht drei Studenten. Oder vier. Oder fünf? Es ist aber verständlich, wollten doch 99,99% von ihnen einen Beruf ergreifen, der das Individuum außen vorlässt, schließlich gab es ja Dirigenten und Chorleiter.
Als Orchestermusiker musst du dich dem Dirigenten unterordnen und das bedeutet Disziplin. Disziplin legst du auch als Chorsänger an den Tag, soll ein homogener Klang entstehen. Die Ausnahmen machen höchsten Dirigenten und Tonsetzer. Der Dirigent hat die Macht. Der Tonsetzer wiederum hat Macht, weil andere das spielen müssen, was er geschrieben hat. Erst in meinem 4. Studienjahr, das war 1970/71, kam eine neue Klasse hinzu: Die Klasse der "Tanzmusiker", heute würde man Popmusiker dazu sagen. Damit kam mir eine neue Erkenntnis: Popmusiker haben nicht alle lange Haare, sind nicht alle oppositionell und tragen auch nicht alle die entsprechend "andere" Kleidung, nein, sie sind genauso spießig, geschmacklos, ungebildet und arschkriechrisch wie alle anderen "Bürger" auch.
Aber ich wollte ja eigentlich was über meine Fächer sagen: Wir hatten ja keine Wahlmöglichkeiten. Das Einschreiben in ein Fach gab's nicht, denn neben dem Hauptfach mussten alle anderen Fächer ebenso belegt werden. Alle sollten bei Klavier, Musiktheorie, Kunstgeschichte, Pädagogik, Gehörbildung und Psychologie anwesend sein; dazu kamen noch die jeweils ein Jahr dauernden Fächer Marxismus-Leninismus, Gesellschaftswissenschaft, Politische Ökonomie und Philosophie. Wer ein Orchesterinstrument lernte, saß ab dem 2. Studienjahr im Orchester, falls sein Instrument gebraucht wurde. Ich hatte noch ein zweites Nebeninstrument: Schlagzeug! Das war eine Notlösung für Fagottisten, denn wer keine Stelle als solcher fand, hatte die Möglichkeit als Schlagzeuger und Fagottist in ein Orchester aufgenommen zu werden. So lernte ich alle Schlagwerke, die in der normalen Orchesterliteratur vorkommen: Kleine Trommel, Pauken und Xylophon - das waren die Instrumente, die man wirklich lernen musste. Da blieben noch Glockenspiel und auch die Triangel, die aber nur ein Semester, weil's dafür keine Literatur gab und keiner größeren Ausbildung bedurfte. Mir machte Schlagzeug eigentlich Spaß. Ich hatte auch einen Lehrer, der Solopauker des Gewandhausorchesters war und schon kurz vor der Rente stand. Der nahm alles ganz locker, wusste er doch, dass ich es mit diesem Fach nicht ganz so ernst ge-nommen hatte. Nach drei Jahren schloss ich das Fach ab. Es hat mir später viel geholfen, was die Arbeit mit Drummern betraf.
Zähmung eines Aufsässigen
Im 1. Studienjahr waren im Hochschulorchester bereits zwei Fagottisten besetzt und ich musste mich diesbezüglich hinten anstellen. Es wurde gerade Tschaikowskis 4. Sinfonie geprobt, bei der ein zweiter Schlagzeuger die große Trommel übernehmen musste. Dafür wurde ich auserwählt. Ich war damals gerade mal siebzehn geworden, aber es war für mich ein Klacks, ab und zu mal einen Schlag auf die große Trommel zu geben. Ich glaube, es waren in der ganzen Sinfonie nur vier Schläge, und die waren alle im letzten Satz. Da es mir langweilig wurde, begann ich den Schlägel lässig in Kreisbewegungen zu versetzen, indem ich ihn mit einer Aufhängeschlaufe, die am Ende des Griffs hing, um meinen erhobenen Zeigefinger rotieren ließ. Das hatte zur Folge, dass sich einige Streicher zu mir umdrehten, denen dann auch einige Bläser folgten. Ich bekam das mit und steigerte meine Showeinlage, bis - der 4. Satz abrupt abgebrochen wurde. "Sie da, wie heißen Sie? Heubach? Kommen Sie mal mit raus!" - O je, erwischt! Und das von unserem Dirigenten, dem Generalmusikdirektor Rolf Reuter, seines Zeichens ein Promi seines Faches. Wir gingen also gemeinsam vor die Tür des Vortragssaales. Er sprach mit mir in einem ganz ruhigen Ton, erklärte mir die Philosophie des Musikerdaseins und machte mir begreiflich, wo die Trennung zwischen Spaß und Ernst zu sein hat. Dann gingen wir nach zehn Minuten wieder zurück in den Vortragssaal und die Probe ging weiter. Und ab da saß jeder Schlag! Und ohne fliegenden Schlägel!
Seit dieser Aussprache wurde ich zum Jünger von GM Reuter! Es waren in meinem Leben nur ganz wenige Personen, die mich aufgrund ihrer Persönlichkeit so überzeugt haben. Wir kamen immer gut miteinander aus und ich glaube, er schätzte mich. Er hatte auch so eine gewisse ironische Art, die manchmal bis zum Zynismus reichte, und darin lag eine winzige Gemeinsamkeit. In meiner Erinnerung ist ein Spruch geblieben, den ich auch ganz gern zitiere und der eine philosophische Wahrheit enthält: "Man kann nie früh genug zu spät kommen!" Das brachte er immer dann an, wenn das Orchester nicht richtig zusammenspielte. Zehn Jahre später traf ich ihn in einem Hotel, er erkannte mich sofort und begrüßte mich freundlich. Nach zehn Jahren!
Er hatte ja noch andere Dinger drauf. Das Orchester war für ihn seine Familie, die er vor Angriffen seitens des Rektorats schützen wollte. Wir gaben mit dem Hochschulorchester im Jahr zwei öffentliche Konzerte, irgendwo in der Prärie, in einem Großbetriebe oder kleinem Theater. Wir reisten mit einem Bus zum Spielort und anschließend wieder zurück. Es gab für uns arme Studenten keine Spesen und nicht mal zu einer Bockwurst reichte es seitens des Rektorats. Lediglich eine Limo wurde uns spendiert, obwohl durch den Kartenverkauf Geld eingenommen wurde. Um zu zeigen, dass es auch anders ging, lud GM Reuter das gesamte Orchester in den Garten seines Hauses ein. Von seiner Gage, die er uns spendierte - es müssen 1000,- Mark gewesen sein -, besorgte er uns Getränke, ein Ferkel wurde gegrillt, und es spielte eine Band, obwohl Tanzmusik quasi verboten war. Und das alles bei ihm! Damit hatte er natürlich das Orchester voll hinter sich, und er ist in die Annalen der Erinnerungen seiner Studenten eingegangen.
Geduldet, aber unerwünscht: Die Hochschulband
Schon im 1. Studienjahr machte ich den Versuch, irgendeine Band auf die Beine zu stellen. Es fehlten die entsprechenden Musiker, denn keiner wollte stilistisch fremdgehen. Erst in den darauf folgenden Jahren kamen Schüler aus Halle nach, mit denen ich probieren konnte. Wir stellten ein Schlagzeug aus allerlei abenteuerlichen Instrumenten zusammen, dessen Sound eher an eine Feuerwehrkapelle erinnerte als an eine Popband. Ebenso mussten wir einen Kontrabassisten übernehmen, der uns auch in Halle als solcher gedient hatte. Der war unfähig, eine eigene Basslinie zu spielen, alles brauchte er auf Noten. Besonders bei Improvisationen (oder Chorusse, wie wir sagten) spielte er immer das gleiche Schema - es war sehr uninspirierend, um das mal vorsichtig auszudrücken. Ich versuchte mich in den verschiedensten Stilrichtungen bis hin zum Jazz oder was ich darunter verstand. Mir fehlte jegliche Kenntnis von den verzwickten Jazzharmonien, von Skalen und von Polyrhythmik. Woher sollte ich das auch wissen? Aber der Wille war der Weg. Irgendwie kam immer was raus, was einigermaßen interessant klang. Bei der Gartenparty unseres GM Reuter ließen wir neben gängigen Instrumentaltiteln auch so eine Pseudo-Jazznummer gucken und der GM lehnte sich an den Flügel, den er extra aus seinem Haus in den Garten stellen ließ, und ergab sich der Musik. Uns machte es Spaß!
Die Hochschule hielt aber im Laufe der Zeit dem Druck der Basis, die wir selbst waren, nicht mehr stand und es begann das Legalisieren der Tanzmusik. An der Hochschule in Dresden gab es schon seit Jahren eine Abteilung Tanzmusik und auch Weimar zog mit. Da mussten die konservativen Gemüter Leipzigs dann doch klein beigeben. Wen aber sollte man die Leitung übertragen? Es gab keine Dozenten für ein solches Fach. Es gab aber einen prominenten Bandleader, der das damals noch existierende Fernsehorchester unter seinen Fittichen hatte: Fips Fleischer! Fips war ein guter Musiker, der auch einst ein ebenso guter Swing-Drummer gewesen war. Er kam gewöhnlich an wie ein Dandy, rauchte teure Zigaretten und tat immer so, als hätte er gerade mit Frank Sinatra im Flieger gesessen und ihm die nötige Inspiration für einen neuen Song gegeben. Er konnte auch immer tolle Sprüche machen und wer die nicht durchschaute, hing an seinen Lippen wie an denen eines Gurus. Mein Freund Mücke stieg nach dem Trompetenstudium in seine Band ein, bis er einen Ausreiseantrag stellte und nach Westdeutschland "entlassen" wurde - das war der erste Emigrant aus meinem Bekanntenkreis, und es folgten noch etliche.
Avantgardistische Versuche als Sturm im Wasserglas
Fips Fleischer als Leiter der Abteilung Tanz- und Unterhaltungsmusik versuchte durch uns, sein Renommee etwas aufzufrischen. So machten wir gemeinsame Gastspiele um zu zeigen, wie progressiv die Abteilung sein wollte. Das war natürlich ein Wunschdenken seinerseits, denn es mangelte an modernen Lehrkräften. Das Progressivste für sie war immer noch der Swing und der roch verdammt nach den 50er Jahren. Als ich 1973 mein Abendstudium beendete, hatte ich das Glück, für das Hochschulorchester und die Bürkholz-Formation ein größeres Stück schreiben zu dürfen, das in einem Großbetrieb aufgeführt wurde. Natürlich wollte ich die musikalische Weltrevolution ausrufen, es kam aber nur eine Bezirksrevolution zustande. An stilistischen Mitteln packte ich eine Menge in die Komposition hinein; ich hatte sogar einen Part mit serieller Musik dabei, wo Hansi frei singen durfte, und zwar viele "falsche" Töne, damit es modern klang. Ja nichts Herkömmliches! Zur Besänftigung gab es auch einen Teil "für's Volk", und der lag uns eigentlich eher. Nun musste ich nur noch einen Titel finden. Nach längerem Überlegen hatte ich es:

Wer möchte, kann hier getrost meine Meinung zum Staat DDR herauslesen, mein Gefühl der Enge, das ich mit diesem Stück zum Ausdruck bringen wollte - so etwas macht sich immer gut bei Interviews zum Jahrestag von Mauerbau und Maueröffnung. Natürlich war das mit der Enge nicht so wörtlich zu nehmen, höchstens im tiefsten Keller meines Unterbewusstseins fühlte ich mich eingezwängt. Das mit der fehlenden Reisefreiheit war mir nicht ganz so wichtig, ich hatte eher andere Probleme, die im Inneren des Landes zu finden waren. Ansonsten war so ein Gerede die blanke Opposition und das Provozieren von Staats- und Verwaltungsbeamten, zu denen für mich alles an der Hochschule zählte, was keine aktive Musik machte. Da sich keiner so einen Titel getraut hat, kann ich wenigsten noch heute von mir sagen: Ich war der Erste! Das ändert nichts daran, dass das DDR-System von mir schon damals das Prädikat "nicht machbar" erhielt!
In jenem Jahr offerierte auch Arndt Bause, den ich vorhin schon erwähnt habe, sein "Werk". Es war der absolute Gegensatz zu "Platzangst". Sein Stück war eine Zusammenballung von Schlager, Operette und Musical, es klang schön DDRig, und das besagte, es war weder Friede, noch Freude, noch Eierkuchen. Aber abgerechnet wurde am Schluss: Er wurde Millionär und ich Hunderter (dieses Wortspiel soll mir mal erlaubt sein). Später durften ein paar Musiker der Bürkholz-Formation unter Fips' Leitung den Berufsausweis machen, ohne den in Profi-Bands kein Weiterkommen war (aber davon später mehr). Clever wie er war, nutzte Fips das Image von der Bürkholz-Formation aus und gab sie als Hausband der Hochschule aus. Hier eine Titelaufstellung:

Wir machten unter diesem Namen ein paar Muggen, und bei der Gelegenheit hielt er vor dem andächtigen Publikum... ("Ist das nicht der Fips Fleischer? Und der sieht noch gut aus, so wie im Fernsehn!") ...ein paar einführende Worte und kassierte anschließend außer einer Gage den ganzen Ruhm beim Rektorat. So war er halt, der Fips, alles in allem aber ein guter Kumpel. Außerdem wurde mir wieder mal der alte Spruch in den vorderen Stirnlappen geführt: Lehrjahre sind keine Herrenjahre oder: Wer unter Fips Fleischer Musik macht, braucht auf Ruhm nicht zu hoffen!
Teil 4
Der vierte Teil von Michael Heubachs Autobiographie handelt über die letzte Zeit auf der Hochschule bis zur ersten "Profistation" bei der KLAUS-RENFT-COMBO. Michael Heubach erzählt über die Gehörbildung, die Ausbildung in seinem Hauptfach Fagott, das Vorstellen bei einer Komission um einen begehrten Job zu ergattern und seinen Abschluss mit Examen. Außerdem erfahren wir, was eine "Begräbnis-Mugge" ist, wie er zur KLAUS-RENFT-COMBO kam und was er dort erlebt hat. Nehmt Euch Zeit für eine weitere, spannende Geschichtsstunde...
Der vierte Teil von Michael Heubachs Autobiographie handelt über die letzte Zeit auf der Hochschule bis zur ersten "Profistation" bei der KLAUS-RENFT-COMBO. Michael Heubach erzählt über die Gehörbildung, die Ausbildung in seinem Hauptfach Fagott, das Vorstellen bei einer Komission um einen begehrten Job zu ergattern und seinen Abschluss mit Examen. Außerdem erfahren wir, was eine "Begräbnis-Mugge" ist, wie er zur KLAUS-RENFT-COMBO kam und was er dort erlebt hat. Nehmt Euch Zeit für eine weitere, spannende Geschichtsstunde...
Gehörbildung mit absolutem Gehör, Training der Pflichtinstrumente
Orchestermusiker, also auch ich, mussten anderthalb Jahre das Fach Gehörbildung belegen, Dirigenten und Tonsetzer zweieinhalb Jahre, denn das war die Königsklasse. Wie der Name schon verrät, wird bei Gehörbildung das Hören trainiert: Dur und Moll unterscheiden wie bei der Aufnahmeprüfung, Intervalle erkennen und aufschreiben, Akkordtonlagen erkennen, Akkordarten raushören, Tonleitern, Tonfolgen und Tonskalen in der Premiumklasse aufschreiben. Ich wechselte schon nach einem halben Jahr in die nächste Gruppe, weil ich für die Untere zu gut war und nach einem Jahr meinen Abschluss haben wollte. Doch ich durfte nicht, ich musste in die Gruppe der Dirigenten einsteigen, weil sie den höchsten Schwierigkeitsgrad hatte. Die Lehrerin für Gehörbildung hatte wahrscheinlich erkannt, hier will sich einer vor der Arbeit drücken, dem ein bisschen Training ganz gut tun würde. Da saß ich also insgesamt zwei Jahre im Gehörbildungsunterricht der höchsten Leistungsstufe, muss aber gestehen, dass es mir und meinen Ohren gut getan hat. Es saßen nur Inhaber eines absoluten Gehörs in der Gruppe, die aus fünf Studenten bestand - wir waren unter uns. Die Übungen waren schwer, ich hatte ganz schön zu tun, um 8-taktige Melodien, die uns zweimal vorgespielt wurden, auf Papier zu bringen. Zur Abschlussprüfung drückte sie das Klavierpedal und schlug nach einander zehn Töne an, es ergab einen Klang, aber keine Harmonie im klassischen Sinn. Und den mussten wir aufschreiben. Auf meinem Zeugnis stand das Prädikat "seht gut".
Ich glaube, ich war sogar darauf stolz, aber was heißt hier stolz? Es hatte ja nur bedingt etwas mit Arbeit zu tun, denn es gab keine Hausaufgaben wie in den anderen Fächern. Stolz kann man nur auf das sein, was man selbst erarbeitet hat und nicht darauf, was einem in die Wiege gelegt wurde! Man kann auch nicht stolz auf das Werk anderer sein und auch nicht auf die Nation, der man angehört, es sei denn, man hat selbst für ihr Ansehen in der Welt wesentlich beigetragen. Genauso fraglich ist der Stolz auf die eigenen Kinder, sollte man doch außer mit seinem Sperma mit nichts Weiterem dazu beigetragen haben. Ich habe lediglich auch nur das trainiert, was mir in die Wiege gelegt worden ist.
Klavier habe ich auch nach zwei Jahren abgeschlossen, obwohl drei vorgesehen waren. Nur Fagott musste ich vier Jahre durchhalten, schließlich war es mein Hauptfach. Zur ersten Stunde blies ich meinem Lehrer, Herrn Seltmann, seines Zeichens Solofagottist im Gewandhausorchester Leipzig, meine letzten im Hallenser Unterricht behandelten Stücke vor. Es war ein Fagottkonzert von Mozart. Ich wartete auf eine positive Beurteilung, doch die kam nicht. Stattdessen musste ich quasi von vorn anfangen. Mein alter Fagottlehrer in Halle hatte vergessen, mir das Wichtigste beizubringen: Die richtige Atmung! Bläser und Sänger müssen eine ganz bestimmte Atemtechnik beherrschen, die Zwerchfellatmung. Ich habe bis dahin "einfach Luft geholt" und diese wieder rausgelassen. Nun musste ich die eingeatmete Luft ins Zwerchfell befördern und dort "Scheibchenweise" abgeben. Manchmal nahm der Unterricht geradezu militante Züge an, wenn vom Befehlsstand die Anweisung erteil wurde;
"Der Bauch muss raus! ...in die Flanken! ...nicht die Brust raus, Mensch...!"
Das musste ich mir oft anhören, obwohl Seltmann es manchmal auch fachmännischer ausdrückte. Ich lernte also: Es musste ein Luftstrom entstehen, den ich immer bewusst steuern konnte. Und nun kommt's: Ich sollte einige Monate im Wesentlichen Töne aushalten und dabei kontrolliert die Luft abgeben. 8 Sekunden C, 8 Sekunden Cis, 8 Sekunden D usw. Da kam Freude auf! Dazu kam noch, dass ich von meinem alten Lehrer kein Vibrato gelernt hatte, denn Vibrato macht man durch bewusste Steuerung des Luftstroms. Es muss sozusagen von unten kommen. Wer nur die Brustatmung anwendet, wird keine wahren Erfolg dadurch erzielen. Das "Warum nicht" ist mir hinterher auch klar geworden, denn ein Vibrato musste gesteuert vom Zwerchfell kommen, indem man die Luftsäule in Schwingungen versetzt. Einmal habe ich ihn in einem Konzert eine Solostelle blasen hören - ohne Vibrato. Das waren eben zwei verschiedene Schulen!
Nach und nach lernte ich die neue Atemtechnik richtig einzusetzen und merkte, dass sie für die musikalische Gestaltung von ungeheurem Wert ist. Mir machte es dann auch Spaß, die entsprechende Konzertliteratur zu spielen, und ich konnte mich von durch bewusst eingesetztes Vibrato auf eine neue Stufe der Gestaltung begeben. Das half aber trotzdem nicht, aus mir einen Üb-Fanatiker zu machen. Herr Seltmann legte mir ans Herz, gefälligst zwei bis drei Stunden am Tag Fagott zu üben, denn sonst würde nichts aus mir werden. Das mit den drei Stunden habe ich reichlich praktiziert - in der Woche! Trotz alledem - ich habe in diesem Fach sehr viel mitbekommen, was die Interpretation von Musik im Allgemeinen anbelangt. Ich lernte, wie man Kadenzen gestaltet, mit Dynamik arbeitet und über stilistische Merkmale der von uns behandelten Musikliteratur. Eines Tages, nachdem ich die stupide Tonaushalten-Phase hinter mich gebracht hatte, spielte ich ihm einen Satz aus Mozarts Fagottkonzert vor, in dem eine Kadenz vorkam. Nun ist in einem Solokonzert die Kadenz ein Teil, in dem der Solist zeigen kann, was er drauf hat. Er zeigt also u.a. seine Virtuosität und Gestaltungskraft. Gute Solisten improvisierten früher, als noch nicht alles aufgeschrieben wurde, frei. Das war aber vor dem Krieg und zwar dem Dreißigjährigen. Die weniger Einfallsreichen spielten die Kadenz, die vom jeweiligen Komponisten geschrieben wurde. Die Meister kannten ihre Pappenheimer genau und ließen da nichts anbrennen: Lieber eine gut komponierte, als eine schlecht improvisierte! Ich blies also die Mozartkadenz mit Hingabe und erhoffte ein lobendes Wort seinerseits, aber nichts geschah.
"Und, nun erklären Sie mir doch mal, was Sie sich bei der Kadenz so gedacht haben."
Was ich mir so gedacht habe? Ich verkniff mir ein "Hä?". "Eigentlich nichts", denn ich habe sie aus meinem musikalischen Bauchgefühl heraus geblasen, das muss er doch gehört haben! Dann ging er mit mir Stück für Stück der Kadenz durch und erklärte die Logik, die darin steckte. Da lernte ich, wie man durch eine geschickte musikalische Strategie, durch geschickten Spannungsaufbau aus einer Aneinanderreihung von Tönen Musik machen konnte. Diese Erkenntnis hat mich mein ganzes Leben begleitet, ob es in Rock, Pop, Jazz oder Filmmusik war. Ja sogar beim Schreiben von Geschichten oder Briefen konnte ich immer auf die analytische Herangehensweise zurückgreifen. Vor jeder Hauptfachstunde hatte ich wegen meines sparsamen Übens oft ein undefinierbares ungutes Gefühl in der Magengegend. Der Unterricht begann so wie der Hallenser Klavierunterricht, wo die Technik zuerst drankam: Also das Töneaushalten, bei dem mein Lehrer mit seinen Händen meine Zwerchfellgegend abtastete, um meine Atmung zu kontrollieren - wo er jedes Mal die Energie hernahm, ist mir bei einem solchen Schüler heute noch ein Rätsel. Dann folgten Etüden, bei denen es auch nur um die reine Technik ging, und das hatte leider auch wieder etwas mit Üben zu tun. Weiter mit den sogenannten "Orchesterstudien", das sind die zusammengesuchten Schwierigkeits-Highlights der Orchesterliteratur, die am häufigsten gespielt wurden. Bewarb man sich als Instrumentalist an einem Orchester, wurden immer ein paar dieser Studien herausgesucht, um den Kandidaten auf seine technischen Fähigkeiten hin zu testen.
Ich hatte nur einmal die Gelegenheit, mich einer

Ich wurde ein freier Mensch, frei vom verstaubten Orchestergraben, es gab kein Unterordnen unter einen Dirigenten, es gab keinen Dienst nach Vorschrift, kein aus Klassik-Spießern bestehendes Umfeld und vor allem die Freiheit, das zu tun, was mir auch Spaß macht.
Das waren damals große Worte, heute sind sie es nur noch bedingt. Mit den Jahren lernt man, dass das Leben doch nicht ganz so freiheitlich-rosig ist wie mit zwanzig; man merkt die Abhängigkeiten von Auftraggebern, denen man es gerecht machen muss, weil Ablehnung gleichzeitig bedeuten kann, man ist raus aus dem Geschäft! Und man ist seinem Publikum auch etwas schuldig, das hat doch schließlich Eintritt bezahlt und will eine Leistung sehen, auch wenn du mal nicht gut drauf bist. Mein Hauptfachlehrer hat manchmal mit dem Kopf geschüttelt, wenn ich ihm das Resultat meines wöchentlichen Übens vorspielte. Irgendwann kam beim Vorblasen eine Stelle, die Fehler aufwies und die ich automatisch wiederholte, um zu zeigen, "Das war nur'n kleiner Ausrutscher". Wenn sich solche Stellen häuften, war die Größe des Ausrutschers nur noch durch Faulheit zu erklären. Dann sagte er zu mir:
"Stellen Sie sich mal einen bis auf den letzten Platz gefüllten Konzertsaal vor, Sie sitzen im Orchester als Solofagottist und spielen eine Sinfonie. Sie wissen genau, was auf Sie zukommt und dann spüren Sie sie, die spannungsgeladene, geradezu erdrückende Stille, denn das Orchester hat aufgehört zu spielen, weil jetzt die Kadenz des Solisten kommt, Ihre Kadenz! Sie haben jetzt nur einmal die Gelegenheit - ich wiederhole: nur einmal (!) -, um diese schwierige Kadenz zu blasen. Diese Stelle ist ein SOLO, Sie sind also ganz allein und jedermann wird auf Sie achten, wird vielleicht denken, 'Na, schafft er's? Kann er's? Ist er gut drauf?' Ihnen könnte vor ein paar Tagen die Mutter gestorben sein, und trotzdem darf man Ihnen das nicht anmerken! Es muss so klingen, als ob Sie alles ganz leicht bewältigen. Und: Es gibt kein Wiederholen, keine Entschuldigung bei Verspielern und auch kein 'Nochmal'! Es ist also nicht so, wie Sie es mir im Unterricht immer anbieten. So, und jetzt sind Sie dran, blasen Sie die Mozartkadenz!"
Diese Vorstellung war reine Psychofolter, hat aber ungemein trainiert! Auf diese Weise suggeriert man sich eine Situation, die auftreten könnte. Ich habe unter anderem deshalb bei meinen späteren Auftritten mit Bands kaum Lampenfieber gehabt. Es findet so eine Art Berechnung statt, was alles passieren könnte und wie man dann darauf reagieren würde. Eine Möglichkeit besteht in der völligen Ignoranz der Leute da unten, um seine Nervosität loszuwerden. Dann kann man sich natürlich auch sagen, "Die da unten haben ja ohnehin nicht das Musikverständnis, das ich habe, und hören meine Verspieler nicht." Man sollte aber diese Denkweise auf der Bühne nur im Notfall benutzen, wenn man durch den Blick zwischen den Vorhängen ins Publikum das mulmige Gefühl in der Magengegend verspürt. Im Grunde genommen kann man sich aber bei Lampenfieber einreden was man will, und es nützt trotzdem nichts - es bleibt! Das ist auch eine Typfrage. Und man darf nie vergessen: Die Leute spüren die Arroganz des Ignorierens, auch wenn die Ursache in der Abwehr des Lampenfiebers zu finden ist!

Muggen mit unbekannten Instrumenten
Nebenbei habe ich noch versucht, durch das Muggen zu Geld zu kommen, aber die Gelegenheiten waren nicht reichlich gesät. In meinem Studienjahr war ein Posaunist, der Nebenbei noch sein Abi machte und mit Fremdwörtern nur so um sich schmiss, die er selbst nicht verstand. Sein IQ ruhte sich anscheinend auf einer unteren Ebene aus. Sein Vater hatte eine "Tanzkapelle", man kann auch sagen Bumskapelle, und Bumskapelle kommt noch nach der Feuerwehrkapelle. Für eine Veranstaltung zwischen Weihnachten und Neujahr 1967 fehlte ihnen ein Saxophonist, weiß der Teufel, warum sie dort keinen auftreiben konnten. Beim BBSV hatte ich ab und zu mal in ein Saxophon gehupt und wusste, wo die Töne lagen, aber das war's auch schon. Nun also sollte ich als 2. Saxophonist neben seinem Vater sogenannte "Druckarrangements" blasen. Das wiederum hatte etwas mit Vom-Blatt-Spielen zu tun, und da war ich sehr schlecht. Warum? Na, Tenorsaxophon war wieder mal ein B-Instrument, ich hatte mir die Griffe aber nach Gehör eingeprägt. Was für mich wie C klang, war als D notiert. So musste ich also fleißig sämtliche Noten beim Ablesen transponieren. "Ist nicht so schlimm", wurde ich getröstet, "das kriegste schon hin. Du kommst einfach einen Tag eher und probst mit meinem Vater. Der ist ja schließlich Saxophonist." Es folgte der Lockruf des Geldes! So setzte ich mich in den Zug und fuhr nach Auma, das lag bei Triptis, und das lag in der Nähe von Gera. Auma glich einer Siedlung, es gab aber feste Straßen. Und eine Kirche. Dort also übte ich Transponieren und prägte mir die einzelnen Titel ein, wenn sie nicht zu kompliziert waren. Es war ein komplettes Schlagerprogramm, das mit Stimmungsliedern für den festlichen Anlass angereichert war. Ich hätte nie gedacht, dass es mal soweit mit mir kommen würde, denn Schlager war das Schlimmste, was man sich so antun konnte. Ich habe den Abend überstanden! Ich sah sogar einigermaßen durch, wenn es darum ging, die richtigen Wiederholungen innerhalb eines Titels zu erfassen.
Ein Jahr später machte ich die Auma-Mugge noch einmal, diesmal jedoch als Schlagzeuger. Der Schlagzeuger der Auma-Tanzkapelle war eigentlich der Organist des Dorfes und hatte zu Silvester einen Gottesdienst, den er nicht absagen konnte. Da sagte der Vater zum Sohne:
"Du, Sohn, frag doch mal den Pianisten, der Fagott studieren muss und bei uns Saxophon geblasen hat, ob er auch Schlagzeug spielen kann. Nur zu Silvester, diese eine Mugge."
So muss es gewesen sein. Ich war ja gerade dabei, in meinem Nebenfach Schlaginstrumente zu lernen, aber so ein richtiges Set hatte ich noch nie unter meinen Händen gehabt. Zum Glück waren das alles leichte Rhythmen, die keine besondere Technik erforderten. Ich fuhr also wieder auf's Dorf und übte einen Tag Schlagzeug, um dann Silvester als Trommler auf der Bühne zu sitzen. Viel lieber hätte ich E-Orgel gespielt, doch diese Stelle war schon von der Tochter besetzt. Es war also ein Familienunternehmen. Am Silvesterabend ging alles gut - bis auf einen Zwischenfall: Es muss schon nach zwölf gewesen sein, als mich der ab und zu getrunkene Alkohol zu einem recht lockeren Anfassen der Schlägel trieb, bis mir der eine aus der Hand fiel. Ich durfte auf keinen Fall aufhören mit der Trommelei! Was tun also? Einen flotten Walzer ohne flottes Schlagzeug von einem noch viel flotteren Schlagzeuger nicht getrommelt? Ich versuchte also, mit der einen nun freien Hand den Schlägel von Boden zu klauben. Als ich ihn dann zu fassen bekam und mich wieder in die Waagerechte begab, fiel mir der andere aus der Hand und die Suche begann von neuem. Irgendwann suchte ich mit beiden Händen... Es hat keiner gemerkt - die anderen waren auch schon besoffen. Ich hatte sogar mal eine Begräbnismugge - wirklich! Da musste ich in einer Friedhofskapelle mit einem Bläserquintett eine feierliche Begräbnismusik spielen. Irgendwie habe ich mir sogar schwarze Klamotten aufgetrieben, denn das war Bedingung. So was war eine Durchhaltemugge, wir saßen auf dem Präsentierteller, hatten vor uns die Trauerenden und durften in keiner Weise ein lustiges Allerweltgesicht manchen. So ein Begräbnis kann sich ganz schön in die Länge ziehen. Dann nimmt man sich vor, nie zu sterben. Es gab 30,- Mark und das war besser als nichts. Ich musste ja von meinen 160,- Mark Stipendium 90,- Mark zuhause abgeben - als Kostgeld sozusagen. Im ersten Studienjahr teilte ich es mir mit meinem Freund Mücke, der vorübergehend auch bei mir wohnte.
Einmal - es war im 1. Studienjahr - kam ein Typ von der Schauspielschule zu mir und sagte, er hätte gehört, ich belege Schlagzeug und er brauche für Brechts "Die Ausnahme und die Regel" einen Trommler, womit er die zu spielende kleine Trommel meinte. "Bühnenmusik also!", dachte ich, "Was soll's, das muss doch drin sein." Die Sache hatte aber einen Haken: Die Aufführung sollte bereits am nächsten Tag sein, und es gab nur die Generalprobe, um mich mit dem Stück bekannt zu machen. Die Noten sah ich mir im Bus an und erbleichte: Hier waren Taktarten, von denen ich zwar mal gehört hatte, dass sich in Südeuropa ganze Völkerstämme daran laben, aber hierzulande dem Walzer keinesfalls Konkurrenz machen könnten. Es war ein 7/8-Takt! Ich hatte nur eine Chance: ich zählte leise bei jedem Takt bis sieben und schlug an der entsprechenden Stelle auf die Trommel, wie es in den Noten stand. Das hört sich jetzt etwas holprig an, aber das war es auch. Summa summarum - es hat am Ende alles geklappt, und ich war erleichtert. Fünf Jahre mussten vergehen, ehe ich solche krummen Taktarten in eigenen Stücken wie "Wasser und Wein" verwendete, die aber dann für mich rhythmisch logisch waren und hoffentlich für die Hörer auch. Ich bezweifle aber, dass der Grund dafür bei Brecht und dessen Komponisten Paul Dessau lag!
Erste Gehversuche als Mentor
Ab und zu besuchte ich meinen Vater. Er hatte es ja inzwischen zum Leiter von Jugendblasorchestern gebracht. Das brachte sein Job als Kulturhausleiter der Chemischen Werke BUNA mit sich. Er wurde nämlich von seiner Partei wegen unmoralischen Verhaltens dorthin strafversetzt, als meine Mutter die Scheidung einreichte. Da kannten die kein Pardon! Und das, weil er mit seiner Sekretärin 1962 zelten gefahren ist. Das war also der Preis der Scheidung! Er begann also in BUNA ein neues Arbeitsleben. Sein Job brachte auch für mich einige Vorteile mit sich. Ich wurde zum "Mentor" oder Anleiter einer jungen Band, die im Kulturhaus gegründet worden war.
Wie man sehen kann, war die Musikanlage

Einmal ging ich sogar "zum Tanz", was bedeutete, ich stand irgendwo hinten im Saal und lauschte der Musik einer Berliner Band namens MUSIC STROMERS (Bandportrait siehe HIER). Damals wusste ich noch nicht, dass daraus mal die legendäre DDR-Band MODERN SOUL werden sollte. Sie coverten einen Song der Beatles, der mich wegen seines stampfenden Rhythmus sehr beeinflusst hat: "Lovely Rita" von dem 67er Sgt. Pepper-Album. Das war meine erste "richtige" Live-Band, die nicht den üblichen Schlager- und Tanzmusikscheiß spielte. Schon deswegen hat sich die Reise nach Norden gelohnt!

Die andere Welt der Musik
Ein halbes Jahr vor Beendigung meines Studiums gab es ein sogenanntes "Solidaritätskonzert für Bangladesch", wo es nach dem verheerenden Zyklon im November 1970 zu einer Hungersnot kam. Das Konzert wurde von Studenten organisiert, ohne dass die Partei darauf Einfluss nehmen konnte. Es wurde in der Aula der Hochschule für Grafik veranstaltet und glich einer Protestaktion, wie man sie von westlichen Hochschulen her kannte. Es spielten u.a. sogenannte progressive Bands. Die Musik war zu dieser Zeit gerade im Umbruch und der alte Beat hatte seine Schuldigkeit getan. Ich sah dort zum ersten Mal einen Bassisten, der richtig aktiv auf seinem Instrument war. Ich holte ihn ein paar Jahre später zu AUTOMOBIL. Dann spielte eine Band, deren Namen ich mal im Zusammenhang mit dem "Beat-Aufstand" gehört hatte, und die sich KLAUS RENFT COMBO nannte. Damit begannen meine nicht nur auf die Musik bezogenen Lehrjahre und die Suche nach dem ICH, die das Wandern von Band zu Band mit sich brachte.
Lehr- und Wanderjahre: Klaus-Renft-Combo
"Renft" alias Klaus-Renft-Combo machte eine Musik, die ich noch gar nicht kannte. Später erfuhr ich den Namen dieser Stilrichtung: Psychedelic Rock. Sie wurde wahrscheinlich im Westen unter Drogen zur Welt gebracht und trug deshalb zur Bewusstseinserweiterung bei. Offiziell hatte diese Richtung 1969 im Westen schon ihr Ende gefunden, aber im Osten dauerte das alles etwas länger. Dabei galt Renft schon immer in diesen Zeiten als "progressiv", d.h. sie waren den anderen DDR-Bands bei der Songsuche und ausgefallenen Stilrichtungen voraus. Dabei stieß man auf Psychedelic und fand auch eine Band, die diesen Stil verkörperte: VANILLA FUDGE! So gab es in diesem Konzert einige Songs von ihnen. Die Studenten saßen auf dem Boden, es war ein Happening der besonderen Art. Ich merkte erstmals, auf was für einer kleinen Insel ich popmusikalisch gelebt hatte.
Ein paar Tage später sprach mich Klaus Renft (? 2006) an. Wie er auf mich gestoßen war, ist mir noch heute ein Rätsel, aber wahrscheinlich hatte die Gerüchteküche ihren Anteil daran. Er sagte, man wolle eine neue Band nachspielen, die noch keiner kannte: GINGER BAKER'S AIRFORCE. Die hatten eine ganz eigenartige Besetzung. Neben E-Piano, Bass, Gitarre und Schlagzeug gab es viel Percussion und vor allem Saxophone. Es war so eine Art Koproduktion zwischen Europa und Afrika. Afrikanische Sänger sangen in einer afrikanischen Sprache, die natürlich keiner verstand, aber darum ging es ja auch nicht. Das Renft-Englisch verstand ja auch keiner. Der Organist von Renft spielte nebenbei Posaune und sollte da als solcher fungieren. Ich wiederum sollte deshalb den Orgel-Part übernehmen, wenn ich nicht gerade als Fagottist eingesetzt wurde.

Es ist eigentlich klar, dass ich das nicht ablehnte. Es kamen noch ein Trompete und ein Profi-Saxophonist dazu und ab ging's nach langer Probearbeit zum ersten Konzert nach Peitz. Damit begann ein Trend in der DDR: Die Konzerte. Spielte man sonst immer zum Tanz, gab diese Form mehr musikalische Freiheit, denn wir hatten ein Publikum, das zuhörte. Da eignete sich Ginger Baker und Vanilla Fudge hervorragend. Renft hatte irgendwie Beziehungen zu West-Schallplatten, die ganz frisch auf dem Markt waren, wobei ich Rasiermusik für's Bürgertum ausschließe. Er hatte also auch die Baker-Scheibe, und wir hörten sie uns bei ihm an. Er war im Besitz einer der besten Stereoanlagen, die es zu dieser Zeit gab. Stereo war da noch ein Fremdwort für mich und ich freute mich, wenn aus dem linken Lautsprecher etwas anderes kam als aus dem rechten. Seine Wohnung war nur unweit der Hochschule. Ich konnte sein Haus nicht verfehlen, denn davor stand ein kleiner Hänger, der zu einem Benzin fressenden Auto der Marke Sachsenring gehörte. Darin war die Lautsprecheranlage untergebracht, also Verstärker und Boxen nebst Instrumenten und Kleinkram. Der Hänger war mit einer Plane überdeckt, die faustgroße Löcher hatte und dem Wasser freien Lauf ließ. So löste sich zum Beispiel das Furnier meiner Weltmeister-Orgel, die ein Holzgehäuse besaß. Renft war eine, was Ordnung und Sauberkeit anbetraf, sehr unkonventionelle Band - und das ist mal sehr vorsichtig ausgedrückt. Es kümmerte sich keiner um solche profanen Dinge. Nur ich machte da wieder mal eine Ausnahme. So machten wir viele Konzerte in dieser Bläser-Besetzung, und Renft spielte auch in seiner alten Besetzung weiterhin zum Tanz. Eines Tages, es war im Februar 1971, fragte mich Renft, ob ich fest bei ihm einsteigen würde. Er offerierte mir auch die Gage, die es pro Auftritt geben sollte: 100,- Mark, ein geradezu fürstliches Gehalt! Mein Vorgänger Stolle war eigentlich ein guter Mann an der Orgel. Hinzu kam, dass er pedantisch war. Wir mussten uns ja alle gecoverten Songs vom Band abhören, da es davon keine Noten zu kaufen gab. Stolle schrieb also alles auf, was er auf der Aufnahme hörte, und er hörte geradezu alles! Diese aufgeschriebenen Noten mussten dann 1:1 wiedergegeben werden. Einmal entdeckte er einen Knackser auf dem Tonband, der garantiert vom Geräteinschalten herrührte. Für ihn aber gehörte er zur Musik! Peter Kschentz (? 2005), das Instrumental-Mädchen-für-alles, musste diesen Knackser imitieren. Er nahm sich also einen Löffel und machte "klick" vor dem Mikrofon. Soweit kann Pedanterie gehen! Da wollte sich also eine schlampige Band von einem Pedanten trennen, verlor aber einen, der aus einer jämmerlichen Ost-Orgel noch das Beste herausholen konnte. Es gelang ihm sogar leidlich, auf so einem Ding eine Hammond B3 nachzumachen - für Ostverhältnisse geradezu eine Revolution. So gut war ich natürlich nicht. Einerseits fehlte mir die Erfahrung und zum anderen ein Stück Persönlichkeit, die Persönlichkeit eines Pedanten eben.
Erste eigene elektronische Instrumente
Für mich trat nun ein Problem auf: Ich hatte keine Orgel. Da machte mir Renft den Vorschlag, mir eine neue Orgel auf die Bühne zu stellen, die ich dann abbezahlen sollte. Gesagt, getan - ich bekam also vier Monate keine Gage, bis die 4000,- Mark teure Weltmeister-Orgel in meinem Besitz überging. Kaum zu glauben, aber sie war das Top-Model und hatte schon ein paar Neuerungen aufzuweisen. Sie blieb aber eine Ost-Orgel, so leid es mir tut. Es gab keine Effektgeräte, um den piepsigen Sound anhörenswerter zu machen. Zu dieser Zeit war das aber noch kein Problem für mich. Ich drückte mir also das Repertoire drauf, wir probten ein paarmal, und schon ging's los mit dem frisch gebackenen neuen Mitglied der Klaus-Renft-Combo am 6. März in Großstübing. Ich kann nicht garantieren, dass dieser Ort auf irgendeiner Landkarte zu finden ist...
Die Muggerei ließ sich mit meinem Studium

Ich muss vorausschicken, dass wir uns wie so oft im Leipziger "Thüringer Hof" trafen. 17:00 Uhr war ausgemacht, weil der Drummer als Einziger noch voll arbeiten musste und deshalb nicht eher da sein konnte. Denken Sie ja nicht, dass da schon losgefahren wurde! Nein, im Allgemeinen trafen die Letzten erst eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit ein.
"Micha, was guckst'n so? Sind wir dir wieder mal nicht pünktlich genug erschienen? War der Kellner schon da? Gib doch mal die Speisekarte rüber, ich hab seit Mittag nichts gegessen... Michaaa, lache mal..."
Ich lachte nicht! Ich konnte mich an diese Art von Un-Disziplin nicht gewöhnen und das reizte sie. Also wurde erst mal gegessen und ein Bier getrunken. Es war nicht immer so, aber immer öfter. Vorher ging nichts. Meistens. So auch an jenem Mülsen-Tag. Da wurde aber nicht nur ein Bier getrunken... Nein, da passte noch mehr rein. Es war bereits weit über 19:00 Uhr, als wir ins Auto stiegen und in Richtung Mülsen fuhren. Der 6-Sitzer Marke Sachsenring hatte den Vorteil, dass alle hineinpassten. Der Nachteil war, er war schon in die Jahre gekommen und wollte nicht immer so, wie wir wollten. Also brauchten wir viel Zeit, um endlich gegen 22:00 Uhr in Mülsen einzutreffen - Beginn sollte 19:00 Uhr sein. Eine riesige Menschentraube erwartete uns also vor dem Eingang und wir dachten schon, der Kneiper hätte noch keinen Einlass gemacht. Dem war aber nicht so: Als wir unsere Lautsprecheranlage in den Saal schleppten, kamen wir kaum durch, denn jedes auch noch so kleine Plätzchen war gefüllt mit Menschen, Getränken, Schnitzeln und viel Schweiß. Die draußen standen hatten keine Karten mehr bekommen, es müssen über hundert gewesen sein, und das drei Stunden nach dem eigentlichen Beginn. Wir waren gegen 23:00 Uhr mit dem Aufbau fertig und spielten noch bis 0:00 Uhr. Die Leute waren begeistert und ich auch, hatte ich doch so etwas noch nie erlebt.
Die Zeit mit der Renft-Combo war chaotisch, teilweise wenigstens. Es gab auch brave Muggen mit Renft, wo keiner besoffen war und von der Bühne fiel. Ich war ja eigentlich ein alkoholischer Fremdkörper in der Band. Ich hatte meine Orgel noch nicht abbezahlt und rechnete deshalb mit jedem Pfennig. Ich trank also in der Treff-Kneipe "Thüringer Hof" kein Bier und holte mir heimlich meine Schnitten (wie wir Leipziger sagten) aus der Tasche und begann zu essen. Damit fingen die Hänseleien an und Cäsar (? 2008) versuchte mir den Spitznamen "Bemme" anzuhängen, was ihm aber misslang. Cäsar! Wenn der im Suff war, vergaß er alles um sich herum. Weil wir kein Hotelzimmer fanden, übernachteten wir nach einer Mugge im Wohnzimmer eines Veranstalters. Da wurden Luftmatratzen und Decken auf dem Boden ausgebreitet und ich bekam einen Platz neben Cäsar. Der glaubte, seine Frau neben sich zu haben und betatschte mich entsprechend an den dafür vorgesehenen Stellen. Ich hatte Mühe, ihn abzuhalten, mir ein Kind zu machen. Irgendwann stand er auf und bewegte sich in Richtung eines Kachelofens. "Hoffentlich bleibt der dort", dachte ich. Da hörte ich ein Geräusch, das wie die Folge eines leicht geöffneten Wasserhahns klang. Und das Wasser floss an der Tapete runter. Dann kam Cäsar zurück und ich wusste: Es ist kein Wasser gewesen! In diesem Stil gab es einige "nette" Episoden, die ich jetzt nicht näher ausführen möchte.
Hochzeitsreise en Miniatur
Ich lernte die Jungs erst richtig kennen, als wir eine Ostseetournee machten. Vorangegangen war das Ende meines letzten Studienjahres, das mit meiner Hochzeit zusammenfiel. Ich heiratete Christine J. - oder sie mich... oder wir uns - am 2. Juni 1971, machten am 3. Juni eine kleine Feier in Torgau, an der "Mutti und Vati" teilnahmen, und fuhren am nächsten Tag bereits in Richtung Ostsee. In Berlin hatten wir einen Auftritt im damals berühmten Eisenbahner Kulturhaus Karlshorst. Die besten Live-Kapellen traten dort und auch in der Gaststätte Rübezahl auf, Eintritt 3,05 Mark. Dort erhielt man den Ritterschlag, wenn man als Nichtberliner Band das Publikum aus der Reserve locken konnte. Das war bei den coolen Berlinern sehr schwer, denn die hatten ja alles vor der Tür: Rauschfreies Westfernsehen, das man "mit einem vollgepullerten Draht" empfangen konnte (so die Sachsen), während wir auf unseren Dächern wahre Antennengebilde errichten mussten; Radio mit Rias, SFB, AFN, dem britischen BFBS und die Magazine, die Oma aus Westberlin rübergeschmuggelt hatte. Du musstest in Berlin auch jedes Mal etwas Neues in deinem Musikgepäck haben und zwar etwas Besonderes, was man in der Hauptstadt noch nicht kannte. Diesbezüglich hatte Renft immer den richtigen Riecher: Wir gewannen das Rennen mit Vanilla Fudge, Ginger Baker und Iron Butterflys "In-A-Gadda-Da-Vida". Da konnten sie staunend unten am Bühnenrand einem 12-minütigen Schlagzeugsolo mit zwei Trommlern folgen. Es gab dann immer Bands, die sich später diese Aufnahmen besorgten, um sie ebenfalls nachzuspielen, aber sie waren halt nicht die ersten, und darum ging es eigentlich. Diesem Prinzip versuchte ich auch noch in späteren Bands zu folgen, nämlich der Erste zu sein, der eine Band covert! Heute würde man ganze Anwaltsbüros einsetzen, um zu klären, wer welche Band zum ersten Mal nachgespielt hat.
Renft für Groß und Klein
Wir spielten nicht nur abends, sondern durften auch vor Bockwurst essenden Urlaubern am Nachmittag aufspielen. Unsere Fans waren begeistert, die ganz mutigen gingen sogar bis zum Bühnenrand, wenn es einen gab, und fassten einen Mikrophonständer oder eine Trommel wie eine Reliquie an. Es war sozusagen der Beginn einer Freundschaft, bis sie von Mutti zurückgerufen wurden. Alter? Zwischen zwei und fünf.

Der Hit aus der Badewanne

"Du kannst 'Wer die Rose ehrt' von Cäsar ja mal arrangieren", bot mir Renft alias Klaus "Jenny" Jentzsch an. Cäsar war ein Musikant, der aus dem Bauch heraus Musik machte. Ich hatte schon damals das Gefühl, der Song musste in der Badewanne entstanden sein, bei guter Akustik wegen der Kacheln, wie wir damals sagten. Das tut aber der Genialität des Liedes keinen Abbruch. Also setzte ich mich hin und machte "Kunst" aus dem Stück. Kunst deshalb, weil ich gerade mein Studium beendet hatte und noch voller Klassik steckte. Da musste schon eine barocke Einleitung herhalten und gleichzeitig wurden natürlich harmonische Erweiterungen hinzugefügt - das ließ ich mir nicht nehmen. Und dann kam die Stelle mit dem Refrain-Chor. Hier musste etwas passieren, eine kleine musikalische Revolution in einem Badewannenlied. Also endete der harmonische Abgang mit einem f-c-f-g-h-Akkord. Am Schluss wurde noch ein Akkord hinzugefügt, der auf Auflösung wartete, als Liedende unter dem Motto: "Was will uns der Schöpfer damit sagen?" Ich schwöre, ich hab dabei nicht an Mozart gedacht, von dem die Legende sagt, er sei in der Nacht aufgestanden und hätte diesen unaufgelösten Akkord wieder in sein richtiges Klangbett gebracht (Das war ein kleiner musiktheoretischer Ausflug für Anfänger. Sorry). Wenn das von mir nicht revolutionär war, ähm... dann verstehe ich die Rock- und Liedwelt nicht mehr...
Für mich grenzte es ebenfalls an Genialität, wie Cäsar den darauffolgenden Ton fand! Das Lied war fertig und nun ab zum Rundfunk damit. Dort hatte man einen Produzenten, der mit dem Namensträger westlicher Art nichts gemein hatte. 1970, zur Zeit des beatmusikalischen Tauwetters, strömten Mitarbeiter des Rundfunks durch die Lande, um Bands für eine Produktion auszuwählen (heute sagt man neudeutsch "Casting" dazu). Unter deren Obhut wurden dann ausgesuchte Titel eingereicht, von denen man annahm, dass sie die Hürden eines vierköpfigen Gremiums überstehen könnten. Wir hatten so eine Produzentin, die mich viele Jahre mit den verschiedensten Bands begleitete und immer zu uns hielt: Luise Mirsch, Produzenten-Legende und heute schon ein paar Jahre in Rente.
Die Produktionsbedingungen hingen von dem Studio ab, in dem man produzierte und das uns zugewiesen wurde. Es gab zwei große Aufnahmesäle für Orchester und mehrere kleine für Gruppen oder Hörspiel. Alle Keyboarder träumten davon, auf einer Hammond-Orgel spielen zu dürfen, und es glich einem mittleren Orgasmus, war zur Wiedergabe auch ein Leslie-Kabinett angeschlossen. Das war eine Lautsprecherbox im Format eines mittleren Kühlschranks, in der oben waagerecht zwei gegenüberstehende Hochtonlautsprecher rotierten. Damit ergab sich ein schwebender, räumlicher Sound, der charakteristisch für dieses Instrument wurde. Bei der Produktion von "Wer die Rose ehrt" hatten wir den Saal 4 für uns, und der gehörte zu den kleineren. Eine Hammond-Orgel gab's damals aber nur im Saal 2, also mussten wir uns was einfallen lassen. So packte ich meine Farfisa-Orgel aus, schloss sie an einen Verstärker an, und der Toningenieur stellte zwei Mikrofone vor die Box. Not macht erfinderisch: Mit einer ein Quadratmeter großen Pappe wurde der Schall vor der Box durch ständiges Bewegen verteilt, so dass der schwebende Klang entstand, der die Orgel bei der "Rose" so typisch machte. Wir wurden zu Sound-Wedlern.
Alles in allem wurde dann das Stück daraus, was seinen Weg aus der Badewanne in die Konzertsäle dieser Welt fand. Es brachte Cäsar (!) viel Geld und Ruhm ein. Ich werde meine Tränen jetzt betulichst unterdrücken, aber so ist es halt in der Kunst, wenn der eine gibt und der andere nimmt. Ich war trotzdem 2008 auf seinem Begräbnis und habe ihm verziehen, meinen künstlerischen Anteil mit keiner Silbe jemals erwähnt zu haben! Viel wichtiger ist mein Nicht-Komponieren bei Renft. Ich beschränkte mich auf's Vom-Band-Runterhören. "Wer die Rose ehrt" war das einzig von mir komplett arrangierte Stück. Sonst entstanden die Titel immer in Teamarbeit, was ich überhaupt nicht leiden konnte, da es mir viel zu lange dauerte, bis ein neuer Song bühnenreif war. Ich hätte einfach ein Arrangement geschrieben, die Jungs hätten es gespielt und fertig. Aber nein, da herrschten demokratische Verhältnisse wie später bei den Grünen Fundis! Jeder musste seinen wenn auch noch so kleinen Senf hinzugeben, da musste sich ein Jeder seine Stimme im Beisein aller draufdrücken, und das dauerte halt. Da ich theoretisch am meisten aufzuweisen hatte, ging die musikalische Leitung teilweise in mein Ressort über, änderte aber nichts an den beschriebenen Tatsachen.

Zusammenfassend muss ich sagen, es waren gute Musikanten, alle-samt! Am weitesten war Cäsar, der neben brillantem Blockflötenspiel auch noch das gewisse Timbre in seiner Stimme mitbrachte. Monster der Leadsänger hatte eine "schweine Röhre" - übersetzt "eine gute Stimme" - und machte nebenbei noch Percussion. Peter Kschentz war das Multitalent; er konnte von allem ein bisschen, aber reihte sich nahtlos in das Renftgebilde ein. Jochen Hohl an den Drums war der ruhende Pol unter den Chaoten. Er ging einer richtigen Arbeit nach, war gebildet und eigentlich kein Schlagzeuger. Es war die Geburt aus der Not, weil nämlich einer ausstieg und ihm gesagt wurde: "Morgen spielst du Schlagzeug!" Und er spielte, wenn es ihn auch viel Zeit und Mühen kostete, ein guter Drummer zu werden. Er hatte später dann sogar Schlagzeug studiert. Bleibt noch Renft selbst, der eigentlich Klaus Jentzsch hieß und die Band nach dem Namen seiner Großmutter benannt hatte, wenn Google nicht lügt. Handwerklich gesehen war die Combo anfangs (bis auf Cäsar) eine Laienkapelle und hätte von einer Einstufungskommission höchstens das Prädikat "Oberstufe" erhalten - es tut mir leid, das zu sagen. Am schlechtesten war Renft selbst am Bass vor allem dann, wenn er besoffen war. Ich habe schon Auftritte erlebt, wo Monster ihm die Hand auf den Gitarrenhals legen musste, um seine Finger in die richtige Stellung zu bringen! Da saß ich als verbissener Hochschulabsolvent und schwor mir, ihm hinter der Bühne mal gehörig die Meinung zu sagen. Er grinste aber nur und lud mich zum Bier ein. Klar, er übte auch, aber wahrscheinlich gingen weniger die Noten sondern Geldscheine und Veranstaltungen durch seinen Kopf. Wir beide schwammen auf zwei verschiedenen Wellen, seine Philosophie war nicht die meine, obwohl er sich gern als Philosoph aufspielte. Er blieb ein Dachdeckender Honecker der Beatmusik und in seinem Herzen eben ein Tischler - da war er besser! Das ist wie in "Des Kaisers neue Kleider", falls euch dieses Märchen noch bekannte sein sollte. Wenn der Pomp der Legende abgelegt wird, bleibt die Nacktheit, und man kann die Spreu vom Weizen trennen. Das ist wie bei den Frauen: Eine wirklich schöne Frau ist dann noch schön, wenn sie unter der Dusche steht und nasse, anklebende Haare hat. Ein Mann ist schön, wenn auch er unter der Dusche steht, nachdem die Frau das Licht ausgemacht hat - so hätte es Harald Schmidt sarkastisch formuliert.
Teil 5
Der fünfte Teil von Michael Heubachs Autobiographie handelt über seine Zeit bei der BÜRKHOLZ FORMATION, wie er zu der Band kam, was er dort erlebte und wie es zu Ende ging. Es geht um die Freundschaft zur ungarischen Band OMEGA, zu einem ersten gemeinsamen Konzert mit der STERN-COMBO MEISSEN und vieles andere mehr...
Lehr- und Wanderjahre: Bürkholz-Formation
Ende 1971. Der Zufall wollte es, dass ich den Posaunisten Bernhard Wachsmann traf, mit dem ich an der Hochschule in der einst illegalen Band spielte. Er hing als verliebte Klette an einer Sängerin, die in ein neues Projekt einsteigen sollte. Initiator war ein gewisser Thomas Bürkholz, den man Tommy nannte, weil Tommy amerikanisch klang und der Welt nach draußen einen kleinen Spalt öffnete. Es kam also zu einem Kontakt, weil das neue Unternehmen einen Arrangeur und Titelschreiber brauchte, und wenn's geht noch "einen Namen" hatte. Renft war da schon eine gute Adresse, auf die man verweisen konnte. Dem Zeittrend gemäß sollten drei Bläser besetzt sein. Bürkholz war ein cleverer Bursche. Er wollte natürlich, dass ich mitmachte, aber meine Zeit dafür war noch nicht reif. Also ließ er ein Foto machen, auf dem ich mit drauf war. Rechts das Bild, wo neben der Sängerin Silvia Kottas und Bernhard Wachsmann noch der Trompeter Lutz Emmelmann zu sehen ist. Ganz hinten nehme ich auf dem Foto die Rolle eines Zaungastes ein.
Mit diesem Bild ging er werben, nehme ich an. In den darauf folgenden Tagen einigten wir uns auf eine Band ohne Bläser und ohne Sängerin. Tommy kannte die Szene in Leipzig und hörte von einem Sänger, der bei seinem Unternehmen einsteigen würde: Hans-Jürgen Beyer. Der wiederum war genau wie unser Bassist Bernd "Erich" Safert bei den Thomanern gewesen und sang zuletzt bei der Promi-Band UVE SCHIKORA COMBO, die ebenso wie Renft Vanilla Fudge nachspielte. Er stand dem Original als Sänger in nichts nach. Jetzt brauchten wir noch einen Namen. Einen, in dem der Name Bürkholz vorkam. Tommy war ein Ungarn-Fan und wollte deshalb so heißen, wie einige ungarischen Bands auch, nämlich Bürkholz-Ensemble. Das mag ja im Ungarischen einen anderen Klang haben, bei uns jedoch roch es nach sowjetischen Streitkräften, die eine solche Bezeichnung auch verwendeten. Es klang wie "Iwan-Ensemble". Da hatte ich die Idee, das "Ensemble" gegen "Formation" zu tauschen und der Name war geboren. Ab jetzt hieß die Band BÜRKHOLZ FORMATION.
Warum bin ich bei Renft ausgestiegen? "Ich war jung und brauchte das Geld..." - nee, der Spruch gilt hier nicht. Ich wollte eine Musik machen, die irgendetwas Neues in sich barg, wo man als Musiker gefordert wurde, wo man Musiker hat, denen man auch Forderungen stellen kann. Da war bei Bürkholz schon eine Menge vorhanden. Tommy war ein guter Trommler, mit vielen Ideen und dem nötigen Drive. Er hatte aber auch die gleiche Spielweise wie ich: Er war dem Beat immer ein wenig voraus, d.h. er "rannte weg" wie wir sagten. Deshalb braucht man einen Bassisten, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt und sein Tempo beibehält, auch wenn der Trommler noch so schiebt. Den hatten wir mit Erich Safert. Anfangs gab es natürlich noch Probleme. Bei einer Produktion im Funkhaus Leipzig unter sehr abenteuerlichen technischen Bedingungen, bei der ein Instrumentaltitel von mir eingespielt wurde, rannte Tommy dem Tempo oft davon. Am Schluss, nach vielen vergeblichen Versuchen, einigten wir uns auf die Fassung, die man gerade noch mal so durchgehen lassen konnte. Ich wage sie mir heute nicht mehr anzuhören, ich würde verschämt mein Haupt senken und in mich kehren, das können Sie glauben. Aber rein menschlich lief es am Anfang sehr gut, hatten wir doch alle das gleiche Ziel: Gute Musik machen.
Stilsuche
Erich, "der Reiche", wie wir ihn heimlich nannten, tauschte bei einem windigen Leipziger Typen einen wertvollen Bierkrug gegen die LP "Colosseum live" ein, von der wir mehrere Songs spielten. Damit wurden wir in der Szene berühmt. Diese Musik entsprach genau unserer Besetzung: Gitarre, Bass, Orgel, Sax und Schlagzeug. Und die Jungs von Colosseum waren einmalig auf ihren Instrumenten und hatten vor allem Ideen. Es war ein Mix aus Blues, Jazz, Rock und ein wenig klassischen Elementen. Im Gegensatz zu Renft legte ich hier die fertig geschriebenen, oder genauer gesagt abgehörten Arrangements hin, die zwar nicht unbedingt vom Blatt, aber "nach Noten" gespielt wurden. Das war schon viel professioneller. Wir spielten die Säle und Kneipen von Hiddensee bis zum Fast-Frankenland auf und ab und bewältigten die Strecken mit einem sowjetischen Automobil der Marke "Wolga". Der Wolga fraß nicht wie der Sachsenring 18 Liter, doch es war auch ein hungriges Modell. Der Unterschied zwischen den beiden war die Anzahl der Sitze: Der Wolga hatte nur fünf zugelassene Sitze und wir brauchten sechs. Zwei Autos wären zu teuer gewesen, also musste einer immer in den sauren Apfel beißen und sich vorn zwischen Fahrer und Beifahrer quetschen. Schwierig wurde es dann, wenn die Polizei auftauchte. Da gab es den Ruf: "Bullen! - runter!" und der dritte Mann musste abtauchen. 1972 existierte noch ein Autobahn-Kontrollposten der Sowjetischen Armee in der Höher von Dessau, wo nach Berlin fahrende Autos oft angehalten und kontrolliert wurden. In diesem Fall musste der arme dritte Mann die Rolle eines hinteren vierten einnehmen, sich auf den Boden legen und das Schuhwerk seiner Kollegen ertragen, um den Blicken der sowjetischen Genossen zu entgehen. Das geschah Gott sei Dank nicht oft. Ich hatte das Glück, körperlich der Größte zu sein, was den Vorteil hatte, nicht hinten liegen zu müssen. Unsere Lautsprecheranlage war in einem Hänger untergebracht, der früher mal ein Kleintransporter der Marke "Barkas" war und nun in abgesägter Form an der Wolga-Hängerkupplung hing. Auf dem Foto links ist der abgesägte Hänger besser zu erkennen und auch das Heck des Wolgas ist zu sehen.
Auf dem Foto rechts habe ich eine richtige tragende
Rolle: Kleinkram, denn Pianisten mussten ihre Hände schonen - was ich reichlich genoss! Damals war keine Gefahr eines Bauchansatzes oder gar der Überfettung, wie man unschwer erkennen kann. Und neben mir Tommy Bürkholz, der beim Be- und Entladen der Lautsprecheranlage meistens was anderes zu tun hatte: organisieren, rauchen, rauchen, organisieren, gucken, ob die anderen schon fertig sind, rauchen, organisieren... Wenn dann wirklich alles fertig war, fand er sich ein, rauchend. Bei uns herrschte eine gewisse Rollenverteilung. Tommy war der Organisator und Muggenaufreißer. Er machte seine Arbeit hervorragend, wenn man bedenkt, dass er kein Telefon hatte und sämtliche Gespräche, auch die Ferngespräche, vom Münzfernsprecher machen musste! Seine Telefonzelle war nicht in der unmittelbaren Nähe seines Hauses und er musste schon einen kleinen Fußweg veranstalten. Tat ihm aber gut, er war nicht gerade dünn... Suhle, unser Saxophonist und Flötist sowie "Der-Mann-für-alles-Restliche", hatte den Fuhrpark unter sich. Manchmal musste ein Wolga ausgeliehen werden, weil der eigene nicht fahrbereit war. Da ging es zu einem ganz bestimmten Taxifahrer, der einem seinen Wagen für 0,80 DM pro Kilometer auslieh, wobei man nur seinen Sprit fahren durfte. Natürlich gab der Motor stark klopfende Geräusche von sich, weil nur eine minderwertige Benzinmischung im Tank war. Es war der blanke Kapitalismus, der diesem Menschen viel Geld für sein Ein-Mann-Unternehmen einbrachte. Und das natürlich im Sozialismus. Sollte er noch leben, wird er sagen: "Es war nicht alles schlecht im Sozialismus!" Womit er Recht hat.
Verdienst und Wirklichkeit
Die Bands verdienten damals ja ihr Geld nicht aufgrund ihrer musikalischen Einstufung, sondern durch die Nebenkosten, die dann geteilt wurden, wenn der Kapellenleiter kein Halunke war. Da gab es Kilometergeld, Anlagengeld, Werbegeld, Kapellenleiterzuschlag und Was-weiß-ich-noch-für-Geld. Die Fahrstrecken wurden oft sehr großzügig ausgelegt. Man sagte, man käme aus Weimar, das 180 Kilometer entfernt war, obgleich man eigentlich im Nachbarort gespielt hatte. Viele Veranstalter machten das mit - die Hauptsache, die Rechnung stimmte. In späteren Bands wurde so addiert, dass man alles in allem auf 2,70 Mark pro Kilometer kam. Das konnte einem bei 1.000 Kilometer Fahrt 2.700 Mark Fahrtkosten einbringen - wenn man clever war. Aber wie sollte man die teure West-Elektronik auch bezahlen? Wer nicht das Glück hatte, seine Instrumente aus irgendeinem DDR-Kontingent zu beziehen, musste ja auf Schmuggler zurückgreifen, die einem die Westinstrumente zum Kurs von 1:4 verkauften. Es gab nicht so viele reiche West-Omis, die da in die Bresche springen konnten. Der Kapellenleiter, der meistens auch die Lautsprecheranlage besaß, bekam dafür "Anlagengeld", und das war 'n Appel und 'n Ei. Bei Bürkholz bekamen alle das Gleiche, das waren bei jeder Mugge ungefähr 140,- Mark. Klingt viel für damalige Verhältnisse, war es auch, aber nur für den Sänger, der höchstens ein Mikro hatte. Ich als Tastenmensch hatte das Teuerste. Aber ehrgeizig waren alle in der Band: Man wollte das Beste an Instrumentarium haben, das man sich leisten konnte. Also kamen zu meiner Orgel noch ein Verstärker Marke EMINENT plus einer Echolette-Box ET 500 hinzu, die wir uns auf abenteuerliche Weise beschafften. Da war Schmalhans Küchenmeister, das kann ich euch sagen! Aber irgendwann war auch das bezahlt und man konnte sich wieder dem Alltag widmen - dem Kauf neuer Instrumente, die "schneller, höher und weiter" waren. Unsere "Gesangsanlage", also die Lautsprecheranlage, über die eigentlich nur der Gesang lief, kam über 100 Watt Leistung nicht hinaus, und bei größeren Sälen konnte man sich getrost am Saalende ganz normal unterhalten, während vorn die Musik auf der Bühne mit voll aufgedrehtem Verstärker lief. Das ist heute alles unvorstellbar.
Meine Mit-Musiker wurden wegen ihrer Instrumente finanziell zur Ader gelassen. So hat sich Heinz eines Tages seinen Gitarrentraum erfüllt und nannte eine Gibson Les Paul sein eigen. Dafür hatte er 8.000,- Ostmark hingeblättert. Mit seinem Edelstück ging er sehr sorgsam um: Nach jedem Auftritt wurde sie gehegt und gepflegt und auch beim Spielen achtete er stets darauf, dass sich ja kein Kratzer eingrub. Der Höhepunkt seines Gitarrensolos, das er immer einsam und allein auf der Bühne zuwege brachte, war "Aktion Turm": Jimi Hendrix hat's ihm vorgemacht, denn der schrammte seine Gitarre an allem entlang, was ihm in die Quere kam, wenn er zugedröhnt war. Heinz suchte sich als Schramm-Objekt seinen Boxenturm aus. Er rutschte ganz vorsichtig mit den Saiten auf der Frontseite seines Turms auf und ab, während die Gitarre zerrte, blökte, schnurrte und jaulte. Natürlich sollte es so aussehen, als hätte er sich gerade an LSD gelabt oder andere Joints konsumiert, aber dem war nicht so: Es sah eher aus, als hätte Mutti gesagt: "Du darfst ein wenig schaben, aber dass mit keine Kratzer an dein Instrument kommen. Sonst gibt's Stubenarrest!" Ich habe seine Mutti niemals zu Gesicht bekommen und schloss daraus, es hat sich kein Kratzer auf dem Gitarrenkorpus niedergelassen.
Wir hatten ein paar Beatschuppen, wo wir besonders gut ankamen und geradezu Kultstatus genossen: Dresden-Hellerau und Wittichenau im Bezirk Cottbus. Dort feierten wir manchmal regelrechte Feste. Es sprach sich bei den Massen herum, "die spielen Colosseum"! Der Saxer von Colosseum, Dick Heckstall Smith, blies Sopran- und Altsaxophon gleichzeitig, und das konnte Suhle auch, ohne dass hinterher sein Mund dem eines Breitmaulfrosches glich. Das war natürlich für die Leute im Saal die Superaction! Auch das trug zur Legendenbildung unserer Band bei. Wir hatten auch schon damals das Glück, dass einige meiner Titel den nachgespielten in nichts nachstanden. Es war ja die Zeit der "Werke". Als Werk wurde von uns ein Stück bezeichnet, das länger als fünf Minuten war. Natürlich war das keine DDR-Erfindung, aber wir bedienten uns gern bei diesem Ideen-Export. Wir lernten somit auch zwischen einer Studioaufnahme und einem Liveauftritt zu unterscheiden. Live bedeutete mehr Freiheiten, weil der Druck einer Studioproduktion in den Hintergrund trat. Eines meiner Werke mit dem Titel "Wer bloß ist heute groß" produzierten wir im Rundfunk. Produzierten ist der falsche Ausdruck - wir versuchten, es einzuspielen. Alles was wir an Drive von der Bühne her kannten, war mit einem Mal wie weggeblasen. Wir konzentrierten uns nur darauf, ja keine Fehler zu machen, weil sonst alles noch einmal wiederholt werden musste. Damals war es unter den studiotechnischen Bedingungen kaum möglich, einmal eingespielte Fehler zu korrigieren. Und das die Instrumente fein säuberlich nacheinander eingespielt wurden wie heute, blieb ein Traum - wir hatten nur eine 4-Spurmaschine, und da musste man mit seinen Spuren haushalten. Die Beatles hatten 1966 ein ähnliches Problem, konnten aber besser damit umgehen. Wir konnten die Produktion nicht bis zum Ende führen, weil die Band von Funktionären ausgelöscht wurde.
Unserem Publikum konnten wir eine Menge musikalisch zumuten, was vor ein paar Jahren undenkbar gewesen wäre und nach ein paar Jahren ebenso undenkbar gewesen ist: Einer von uns spielte allein ein über Minuten ausgedehntes Solo, während der Rest der Band sich hinter der Bühne vergnügte. Wir kannten ja die Stelle des Solos, an der es für uns hieß: Bier austrinken und sich hinter den Bühnenvorhang begeben, denn gleich sind wir wieder dran. Die Fans freuten sich über das Schlagzeugsolo, da gab es körperliche Arbeit, verbunden mit viel Lärm; sie freuten sich über das Gitarrensolo, denn da gab es Virtuosität und Heavy Metal, und sie freuten sich auch über mein Orgelsolo, denn da spielte einer Klassik, modern, schnell und irgendwie kompliziert - das musste also etwas ganz besonderes gewesen sein, Kunst zum Beispiel. Und das hieß hinterher: Klatschen! Wer nicht klatscht, hat's nicht verstanden. Meine Soli bewegten sich zwischen 5 und 7 Minuten, ich hatte eine ungefähre Vorstellung, was ich hineinpacken musste. Alles Weitere überließ ich dem Zufall und der Inspiration. Da gab es gute und schlechte Tage. Für mich war es wichtig, dabei Aggressionen abbauen zu können oder meine Liebe zu irgendwas zum Ausdruck zu bringen. Jeder Solist weiß, wie er mit seinen Mitteln haushalten muss, damit nicht schon zu Beginn das ganze musikalische Pulver verschossen ist, und was er sich bis zum Schluss aufheben sollte. Wenn er's gut macht, ist der Beifall eigentlich schon garantiert. Ich war der Erste in der DDR, der ein Orgelsolo allein auf der Bühne vollbrachte. Später kam dann ein anfangs etwas schüchterner Versuch des brillanten Stern-Meißen-Organisten Thomas Kurzhals hinzu. Das war wie mit den nachgespielten Bandtiteln: Wer zuerst kam, siegte, und ich war halt der Erste. Natürlich spielte die Show auch eine gewisse Rolle. Ich wusste schon genau, wann ich meine Haare ekstatisch umherfliegen lassen musste und wann ich den Leuten das Gefühl gab, gleich beißt er in die Tasten. Klar, es gab auch Auftritte, da spieltest du dir auf der Bühne die Seele aus dem Leib, während die unten nach dem Kellner brüllten, sich nach Bockwurst anstellten oder schnell mal auf Toilette gingen. Bei LIFT nannten wir das "Kralle auf"-Muggen, wobei gemeint war, hier ging's nur um das Geld, das man sich hinterher einkrallte.
Die meisten Fans hatte wir in Sachsen und Umgebung. Spielten wir in Wittichenau bei Hoyerswerda, kam es zu rechten Völkerwanderungen - so kam es uns damals vor. In den Saal passte keine Bockwurst mehr zwischen Kellner und Gast und wir glaubten gern manchem Fan, der von Sonderbussen aus Dresden sprach. Das war Musik in unseren Ohren. Das Erfolgsterrain zog sich bis nach Berlin hin, wurde dann aber in Richtung Norden merklich dünner. Wahrscheinlich kam das norddeutsche Temperament zum Tragen, gepaart mit der dort nicht bekannten Stilrichtung, die wir verfolgten. Diese Erfahrung machte ich aber bei allen Bands, mit denen ich dort auf Tour war.

Die sächsische Hauskapelle Stern-Combo Meißen war die erste größere Band, mit der wir zusammenspielten. In Seifhennersdorf, das im absoluten "Tal der Ahnungslosen" im Südosten der DDR lag, kam es mal zu einem Duell. Wer kommt am besten an? Hansi Beyer konnte wegen Grippe nicht singen, wir konnten die Mugge nicht ausfallen lassen und mussten deshalb eine Notlösung finden. Die Stimme von Hansi wurde recht und schlecht von irgendeinem von uns übernommen und wir improvisierten viel. Die Konkurrenzband hatte uns gegenüber einen Vorteil: Sie hatten ein Mikrofon in der großen Trommel liegen! Es war das erste Mal, dass ich so etwas sah: Ein verstärktes Schlagzeug. Aber auch das half ihnen nichts - wir hatten den Erfolg auf unserer Seite. Ob das wohl mit dem Tal der Ahnungslosen zusammenhing?
Rock trifft Freejazz
Wie dem auch sei - eines Tages spielten wir sogar in Peitz mit einer Free-Jazzband zusammen. Das war damals nicht ungewöhnlich, es war ja alles noch im Werden. Da konnte es schon mal vorkommen, dass in einem Konzert die Freejazzer Anheizer für die Rocker wurden, wobei diese verheizt wurden. Nun ist Freejazz nicht nur eine Geschmacksfrage, sondern auch eine des Könnens. In unserer Vorband spielte ein Baritonsaxophonist, der zu Recht den Namen Catcher trug. Er versuchte immer, der schnellste seines Fachs zu sein. Selbst bei Balladen konnte er nicht an sich halten. Da tönten die flottesten Läufe aus seiner Kanne, ab und zu durch Quietschen und Schlagen auf den Metallkörper unterbrochen. Eben Freejazz. Wir durften uns das alles hinter der Bühne anhören, denn eine extra Garderobe gab es nicht. Wenn Catcher blies, nannten wir das Schweineschlachten und freuten uns, einen passenden Begriff gefunden zu haben. Als die Jazzer ihren Teil zu Ende gebracht hatten, sah Catcher unsere höhnisch feixenden Gesichter und fühlte sich sofort angegriffen. "Ihr denkt wohl, ich kann keinen Blues spielen? Ich gehe mit euch nachher auf die Bühne und dann wird euch das Grinsen schon vergehen! Okay?" Nachdem wir eine halbe Stunde gespielt hatten, kündigten wir Catcher an und begannen, einen Blues zu improvisieren. Als er sein Solo hatte, begann er fein brav mit einigen sparsamen Tönen, die sich vermehrten und vermehrten und vermehrten, um schließlich in einer Tonkaskade zu enden. Er hatte recht - uns verging das Grinsen. Stattdessen drehten wir ihm sein Mikrophon zu und der größte Schmerz war vorbei. Das hinderte ihn natürlich nicht daran, mit dem Blasen fortzufahren. Er blies lustig weiter und keine Sau hörte ihn... Seitdem bin ich bei einer bestimmten Kategorie von Jazzern sehr vorsichtig geworden. Wer weiß schon vorher, wann der Herr Künstler gedenkt, mit seinem Instrument hinter der Bühne zu verschwinden. Das ist wie mit den Politikern, die wissen auch nicht, wann Zeit ist abzutreten. Bei uns wurde ein Catcher-Syndrom in die Hirnrinde gemeißelt: "Quietschen bis zum Umfallen"!
Der Neue
Im Frühjahr 1973 wurde Erich Safert durch Frank Czerny ersetzt. Es war kein Rausschmiss, sondern eine Trennung im beiderseitigen Einvernehmen, wie man so schön sagt. Frank war ein ganz anderer Typ als sein Vorgänger. Er spielte mehr mit dem Bauch als mit dem Kopf und hatte eine erfrischende Art, mit seinem Bass umzugehen. Leider hat er nur bis zum bitteren Ende im Sommer mitmachen können. Frank und ich hatten eins gemeinsam: Wir guckten beide früh 9 Uhr 45 die Sesamstraße, die erst seit kurzer Zeit in dem TV-Programm der ARD aufgetaucht war. Wenn wir uns trafen, erzählten wir uns gegenseitig, was Bert und Ernie wieder angestellt hatten und machten die Stimmen nach, so gut es ging. So kindisch können Männer sein! Ich hatte mir nämlich von meinem verdienten Geld zwei Dinge geleistet: Einen Kassettenrekorder der Marke Toshiba, mono, mieser Klang, aber der erste, den es im Osten gab, und ein Mini-TV, Schwarz-Weiß-Bild natürlich, wahrscheinlich 20 cm-Diagonale, aber mit 2. Programm, und das war schon was! Die Sesamstraße kam in der ARD und die ARD war Westfernsehen, und Leipzig zählte nicht zu den besten Empfangsgebieten. Ich wohnte im Erdgeschoss und musste mir ein Monstrum von Antenne nebst Antennenverstärker unter dem Dach anbringen und durch ein 25 Meter langes Kabel mit dem Fernseher verbinden. Dadurch hatte ich alle Varianten, die ein Fernsehbild so bieten konnte: Vom bestechend scharfen Bild bei Überreichweiten bis zur absoluten Nichterkennbarkeit bei Regenwetter, das bis zum weißen Rauschen ging. Manchmal schwankte das Bild auch. So sah man den Anfang einer Serie, hörte am Schluss aber nur noch zu, weil lediglich eine Schneelandschaft zu sehen war. Wir trösteten uns damit, dass wir es im Gegensatz zu den Dresdnern geradezu fürstlich hatten! Ihr weißes Dauerrauschen lies manchen Zweifel am Sozialismus aufkommen. Ich habe nach meinem Examen noch ein zweijähriges Abendstudium mit den Fächern Komposition und Arrangement absolviert. Der Operetten- und Musical-Komponist Conny Odd brachte mir die Grundbegriffe des Kompositionshandwerks bei, vom 4-stimmigen Satz bis zur großen Orchestrierung. Auch die Kunst der Fuge ließ er nicht aus. Ich bekam von allem etwas mit und konnte es teilweise später zur Anwendung bringen. Er sah es nicht so verbissen und ich auch nicht. Alles andere habe ich mir abgehört oder abgesehen, wann immer Gelegenheit dazu war, wozu mein Vater gesagt hätte "mit den Ohren mausen". Das bot sich bei Konzerten mit anderen Bands. So war ein Highlight bei unseren Tourneen ein Konzert mit den Gruppen BREAKOUT aus Polen (Portrait HIER) und BERGENDY aus Ungarn (Portrait HIER), beides gutangesagte Bands ihres Landes. Es fand in der Stadthalle Magdeburg statt, wurde vom Rundfunk mitgeschnitten und war auch für uns ein voller Erfolg.
Im Jugendradio gab's die Sendung "Musik für den Rekorder"
und damit die Möglichkeit des Mitschneidens ohne Reingequassel, die von vielen genutzt wurde, die nicht an Westschallplatten rankamen. Für uns war es der einzige Weg, einen Teil des eigenen Konzerts mitzuschneiden. Wie hoch die Einschaltquote dieser Sendreihe war, ist nicht bekannt, weil es nicht mal die Stasi technisch im Griff hatte, so etwas durchzuführen. Seit die eigenen Songs in den Hitparaden gespielt wurden, hörten wir oft Ost-Sender, um die Platzierung mitzukriegen und gleichzeitig das Werkeln der Konkurrent im Auge und Ohren zu behalten.
Das nachgebaute Stroboskop
Es gab eine ungarische Top-Gruppe namens OMEGA, die als die ungarischen Rolling Stones galt. Sie entsprach genau unserer Vorstellung von einer westeuropäischen Band. Hier stimmte alles: Die Songs, der Habitus, das Auftreten, die PA und nicht zuletzt ihre Instrumente. Sie hatten eine Hammond-Orgel mit dem dazugehörigen Leslie-Kabinett, ich habe das ja bereits erwähnt. Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam, aber es muss Ende 1972 gewesen sein, als wir ein Konzert im Dresdner Hygienemuseum mit ihnen machten, wobei wir als Vorgruppe fungierten. Da sahen wir erstmalig ein Stroboskop, mit dem man Licht "zerhacken" kann. Es ist mit einer an/aus-geschalteten Lichtquelle vergleichbar. Bewegt man sich im Dunkeln davor, erscheinen die Bewegungen wie abhackt. Wer sich auf einer dunklen Bühne mit hellen Kleidungsstücken vor dem Stroboskop bewegte, wurde in Bewegungsphasen, die man mit schnell hintereinander geknipsten Serienfotos einer Digitalkamera vergleichen kann, "zerlegt". "So ein Ding müssen wir auch haben!", war unsere einhellige Meinung. Bloß - woher nehmen? Da wir DDR-Deutschen nicht nur ein Teil des Volkes der Dichter und Denker waren, sondern auch der Bastler und Improvisatoren, beschlossen wir, so ein Ding nachzubauen, und das alles mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Wir hatten Sperrholz, eine helle Glühlampe und einen Motor. Daraus wurde eine Kiste gebaut, die einer mittleren Wäschetruhe glich, in deren Vorderseite ein Fenster geschnitten wurde, damit das Licht der innen angebrachten Glühlampe ihren Weg nach draußen finden konnte. Nun musste der Lichtstrahl in bestimmten Abständen unterbrochen werden, damit der zerhackende Effekt zum Tragen kam. Dafür war der Motor da. Der drehte über eine Achse den herausgeschnittenen Fensterteil, der das Licht heraus scheinen ließ oder den Lichtstrahl unterbrach, wenn das Fenster geschlossen war. Diese Höllenmaschine machte ihrem Namen alle Ehre, denn der Motor sollte sich als fast so laut wie unsere Musik erweisen.

Das nächste Konzert mit OMEGA fand im Februar 1973 im Kino Capitol in Meißen statt. Da wollten wir die OMEGAs schocken, denn dann wären wir als Vorband die ersten, die den Stroboskop-Effekt einsetzten und ihnen damit die Show stehlen könnten. Könnten! Als wir als Höhepunkt unseres Konzertes das Bühnenlicht löschten, um unsere fahrigen Bewegungen durch unser Stroboskop zum Ausdruck zu bringen, warf eine Lampe, die in einer Kiste untergebracht war, ein flackerndes Licht auf dem oben mit weißem Hemd agierenden Sänger. Es fehlte nur noch, dass jemand aus dem Publikum gebrüllt hätte: "Licht an!" Es war nicht der Rheinfall von Schaffhausen, sondern der Reinfall von Meißen. Die Gast-Band saß in der letzten Reihe und muss sich prächtig amüsiert haben! Trotzdem entwickelte sich eine kleine Freundschaft zwischen uns und irgendwie spürten wir: Sie akzeptierten uns! So folgte ein Angebot, mit ihnen im Sommer 1973 eine Ungarntournee zu starten. 1973 war auch das Jahr der "Weltfestspiele der Jugend und Studenten" (wie es offiziell hieß) und man gab sich im ersten Deutschen Arbeiter- und Bauernstaat (wie es wieder offiziell hieß) Mühe, das Beste vom Besten der besten DDR zu bieten. Alles, was Rang und Namen hatte, sollte auftreten. So geschah es, dass über uns eine TV-Dokumentation gedreht wurde. Wir bauten unsere Lautsprecheranlage in einem Berliner Kulturhaus auf, Kamera und Ton wurden eingerichtet. Dann filmten sie die hereinströmenden Massen, die keine waren. Da kamen keine Fans mit grünen Kutten und Jesuslatschen, nein... da kamen die Ausgesuchten, die fein in das Bild derer passten, die die Politik bestimmten. Gegensätzlicher konnte es nicht sein! Wir, die langhaarigen Unkonventionellen auf der einen Seite und die braven FDJ-niks (Slang) auf der anderen. Wir durften keine englischen Titel singen, machten aber aus der Not eine Tugend und spielten halt die Instrumentalparts von Colosseum oder improvisierten Blues. Hansi Beyer machte nur eine auf "bababa" oder "hey, babe". Es war eine sehr verklemmte Atmosphäre, das muss ich hier mal sagen! Der Kameramann machte noch das Beste daraus, aber für uns war es eigentlich keine Überraschung, wussten wir doch, worauf wir uns eingelassen hatten. Tommy wurde auch nach unserem "Auftritt" vor der Kamera interviewt, musste aber dem prominenten DDR-Popper Reinhard "Lacky" Lakomy den Vortritt lassen. Und der salbte irgendwelches Zeug, das in die Linie der Funktionäre passte, bis Tommy an der Reihe war, auch etwas salbte, weil ohne das Salben nichts ging, und am Schluss sich fast zynisch entschuldigte, dass wir leider nicht an den Weltfestspielen teilnehmen könnten - ach, wie leid es uns tat -, weil wir zu dieser Zeit gerade eine Tournee mit der Gruppe OMEGA in Ungarn zu absolvieren hatten. Und dabei grinste er teuflisch! Selbst den Konformisten PUHDYS gelang es noch nicht, in Ungarn Fuß zu fassen! Ja, stolz waren wir schon und das nicht nur ein bisschen...
Am 22. Juni 1973 hatten wir eine Freilichtmugge (heute: Open Air) in Radeberg bei Dresden. Vor uns spielte die COLLEGE FORMATION mit Toni Krahl, die sich aus Musikern der Hochschule für Musik Berlin zusammensetzte. Später wurde daraus die Gruppe CITY. Wir hatten Heimvorteil, denn Dresden gehörte zu unserem Fanbezirk. Kurz nach Beginn unseres Konzertes fiel der Strom aus, die 3.000 Zuschauer vermuteten wahrscheinlich, der Veranstalter wäre dafür verantwortlich, der in einer Rockband nichts Gutes sah. Nach ein paar Minuten kam der Strom wieder, die Massen brüllten nach "Los Angeles" von Colosseum, das mit zu unseren Top-Titeln gehörte. Wir begannen also wieder und brachten durch unsere Spielweise die Massen derart in Rage, dass der Veranstalter sich gemüßigt sah, die Veranstaltung abzubrechen. Wir verließen die Bühne und die Menge begann zu randalieren. Polizei kam hinzu und tat ihr Werk, was wir aber nicht mehr nachvollziehen konnten, denn wir waren froh, heil in die Garderobe gekommen zu sein. Es war das erste Mal, dass es bei uns zu solchen Auswüchsen gekommen war. Am nächsten Tag spielten wir noch in Seifhennersdorf, um dann ein paar Wochen frei zu machen.
Am 28. Juli erfuhren wir: Die Band ist verboten, verboten wegen "Aufwiegelung der Massen". Da hatte man nun endlich einen Grund gefunden, uns loszuwerden. Wir waren keine angenehme Band, die mit dem DDR-System kuschelte, denn wir hatten eine Fangemeinde, die nicht mehr im Zugriffsbereich des Staates lag. Unsere Texte durfte man nicht verbieten, aber zwischen den Zeilen wurde manche Aussage getroffen, die nicht zu den Zeilen einer sozialistischen Gesellschaft gehörte. Ich habe noch ein Fragment des "Tathergangs".

Ich zitiere:
"Am 22.6.1973 wirkte die Bürkholz-Formation in einem Konzert anlässlich der Betriebsfestspiele des Kombinats Robotron mit. Bei diesem Auftritt ist es zu einer ernsthaften Gefährdung der Ordnung und Sicherheit, zu tätlichen Angriffen gegen die Angehörigen der Volkspolizei und der FDJ-Ordnungsgruppe gekommen. An den Ausschreitungen, die zu schweren Sachbeschädigungen führten, waren über 200 Jugend-liche beteiligt.
Auf der Grundlage des Informationsmaterials des Staatsanwaltes des Bezirk Dresden über das Auftreten der Bürkholz-Formation wurde entsprechend den Anordnungen Nr. 1 und 2 über die Ausübung von Tanz- und Unterhaltungsmusik sowie des Gesetzes über die Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten am 20.7.1973 das Ordnungsstrafverfahren gegen die Mitglieder der Bürkholz-Formation durchgeführt. [...] folgende Entscheidung getroffen: Jedes Mitglied [...] Ordnungsstrafe von 300,- Mark. Die Bürkholz-Formation wurde aufgelöst. [...]"
Damit hatte keiner gerechnet! Strafverschärfend wirktet noch, dass außer Hansi und mir alle anderen Spielverbot hatten, obwohl sie zuletzt noch auf einen befristeten Profis-Ausweis verweisen konnten, denn alle befanden sich noch in der Ausbildung an der Hochschule oder Bezirksmusikschule. Ich hatte ja mein Studium schon abgeschlossen und dadurch die sogenannte "Freie Vereinbarung". So wurde mein Auftritt z.B. mit 300,- Mark belohnt, die anderen erhielten nur 80,- Mark. Wir warfen alles in einen Topf und teilten dann durch sechs. Das war gelebter Kommunismus, in dieser Beziehung wenigstens. Oder im Sinne der Grünen nach der Parteigründung (das hat sich später auch gegeben).
Hansi Beyer wurde mit offenen Armen beim - Achtung! - "Staatlichen Komitee für Unterhaltungskunst" empfangen. Das war so eine Art staatliches Management, wo man zuerst bestimmte Interpreten castete, um aus ihnen Stars zu machen. Man versuchte also, mit sozialistischen Methoden den Kapitalismus überzuholen ohne einzuholen - hier lässt Walter Ulbricht wieder mal grüßen! Dort also schrieb ihm der Schlager-Zar Arndt Bause einen Titel auf dem Leib, mit dem er Karriere machen sollte: "Tag für Tag". Obwohl die Anleihen von "Only You" oder "Unchained Melody" kaum zu überhören waren, tat es Beyers Erfolg keinen Abbruch. Seitdem segelt er mit den Schlagerwellen auf allen sieben Meeren dieser Erde. Die Gerüchteküche sprach von einem abgekarteten Spiel, es sei alles geplant gewesen, denn sonst hätten sie Beyer nie als Solisten in ihren Händen halten können. Nun war es geradezu ein silbernes Tablett, was man ihm hinhalten konnte: Ein staatlich geplante Karriere, die für Beyer ideal war. Er hatte eigentlich all das, was er brauchte. Da waren erfolgreiche Titel, Öffentlichkeit, das Von-allen-geliebt-sein, Ruhm und Geld. Und nicht zuletzt tat es seinen musikalischen und sängerischen Fähigkeiten keinen Abbruch, denn er konnte damit weiterhin brillieren. Die 08-15-Schnulzen seien ihm verziehen. Eines hat er bis heute beibehalten: das ständige Kontrollieren seiner Singfähigkeit mit Hilfe bestimmter Laute. Egal, ob er nun in der Öffentlichkeit ist oder im privaten Raum, ein "bibbiii aaa-hü" entfährt ihm immer...
Der fünfte Teil von Michael Heubachs Autobiographie handelt über seine Zeit bei der BÜRKHOLZ FORMATION, wie er zu der Band kam, was er dort erlebte und wie es zu Ende ging. Es geht um die Freundschaft zur ungarischen Band OMEGA, zu einem ersten gemeinsamen Konzert mit der STERN-COMBO MEISSEN und vieles andere mehr...
Lehr- und Wanderjahre: Bürkholz-Formation

Ende 1971. Der Zufall wollte es, dass ich den Posaunisten Bernhard Wachsmann traf, mit dem ich an der Hochschule in der einst illegalen Band spielte. Er hing als verliebte Klette an einer Sängerin, die in ein neues Projekt einsteigen sollte. Initiator war ein gewisser Thomas Bürkholz, den man Tommy nannte, weil Tommy amerikanisch klang und der Welt nach draußen einen kleinen Spalt öffnete. Es kam also zu einem Kontakt, weil das neue Unternehmen einen Arrangeur und Titelschreiber brauchte, und wenn's geht noch "einen Namen" hatte. Renft war da schon eine gute Adresse, auf die man verweisen konnte. Dem Zeittrend gemäß sollten drei Bläser besetzt sein. Bürkholz war ein cleverer Bursche. Er wollte natürlich, dass ich mitmachte, aber meine Zeit dafür war noch nicht reif. Also ließ er ein Foto machen, auf dem ich mit drauf war. Rechts das Bild, wo neben der Sängerin Silvia Kottas und Bernhard Wachsmann noch der Trompeter Lutz Emmelmann zu sehen ist. Ganz hinten nehme ich auf dem Foto die Rolle eines Zaungastes ein.
Mit diesem Bild ging er werben, nehme ich an. In den darauf folgenden Tagen einigten wir uns auf eine Band ohne Bläser und ohne Sängerin. Tommy kannte die Szene in Leipzig und hörte von einem Sänger, der bei seinem Unternehmen einsteigen würde: Hans-Jürgen Beyer. Der wiederum war genau wie unser Bassist Bernd "Erich" Safert bei den Thomanern gewesen und sang zuletzt bei der Promi-Band UVE SCHIKORA COMBO, die ebenso wie Renft Vanilla Fudge nachspielte. Er stand dem Original als Sänger in nichts nach. Jetzt brauchten wir noch einen Namen. Einen, in dem der Name Bürkholz vorkam. Tommy war ein Ungarn-Fan und wollte deshalb so heißen, wie einige ungarischen Bands auch, nämlich Bürkholz-Ensemble. Das mag ja im Ungarischen einen anderen Klang haben, bei uns jedoch roch es nach sowjetischen Streitkräften, die eine solche Bezeichnung auch verwendeten. Es klang wie "Iwan-Ensemble". Da hatte ich die Idee, das "Ensemble" gegen "Formation" zu tauschen und der Name war geboren. Ab jetzt hieß die Band BÜRKHOLZ FORMATION.
Warum bin ich bei Renft ausgestiegen? "Ich war jung und brauchte das Geld..." - nee, der Spruch gilt hier nicht. Ich wollte eine Musik machen, die irgendetwas Neues in sich barg, wo man als Musiker gefordert wurde, wo man Musiker hat, denen man auch Forderungen stellen kann. Da war bei Bürkholz schon eine Menge vorhanden. Tommy war ein guter Trommler, mit vielen Ideen und dem nötigen Drive. Er hatte aber auch die gleiche Spielweise wie ich: Er war dem Beat immer ein wenig voraus, d.h. er "rannte weg" wie wir sagten. Deshalb braucht man einen Bassisten, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt und sein Tempo beibehält, auch wenn der Trommler noch so schiebt. Den hatten wir mit Erich Safert. Anfangs gab es natürlich noch Probleme. Bei einer Produktion im Funkhaus Leipzig unter sehr abenteuerlichen technischen Bedingungen, bei der ein Instrumentaltitel von mir eingespielt wurde, rannte Tommy dem Tempo oft davon. Am Schluss, nach vielen vergeblichen Versuchen, einigten wir uns auf die Fassung, die man gerade noch mal so durchgehen lassen konnte. Ich wage sie mir heute nicht mehr anzuhören, ich würde verschämt mein Haupt senken und in mich kehren, das können Sie glauben. Aber rein menschlich lief es am Anfang sehr gut, hatten wir doch alle das gleiche Ziel: Gute Musik machen.

Erich, "der Reiche", wie wir ihn heimlich nannten, tauschte bei einem windigen Leipziger Typen einen wertvollen Bierkrug gegen die LP "Colosseum live" ein, von der wir mehrere Songs spielten. Damit wurden wir in der Szene berühmt. Diese Musik entsprach genau unserer Besetzung: Gitarre, Bass, Orgel, Sax und Schlagzeug. Und die Jungs von Colosseum waren einmalig auf ihren Instrumenten und hatten vor allem Ideen. Es war ein Mix aus Blues, Jazz, Rock und ein wenig klassischen Elementen. Im Gegensatz zu Renft legte ich hier die fertig geschriebenen, oder genauer gesagt abgehörten Arrangements hin, die zwar nicht unbedingt vom Blatt, aber "nach Noten" gespielt wurden. Das war schon viel professioneller. Wir spielten die Säle und Kneipen von Hiddensee bis zum Fast-Frankenland auf und ab und bewältigten die Strecken mit einem sowjetischen Automobil der Marke "Wolga". Der Wolga fraß nicht wie der Sachsenring 18 Liter, doch es war auch ein hungriges Modell. Der Unterschied zwischen den beiden war die Anzahl der Sitze: Der Wolga hatte nur fünf zugelassene Sitze und wir brauchten sechs. Zwei Autos wären zu teuer gewesen, also musste einer immer in den sauren Apfel beißen und sich vorn zwischen Fahrer und Beifahrer quetschen. Schwierig wurde es dann, wenn die Polizei auftauchte. Da gab es den Ruf: "Bullen! - runter!" und der dritte Mann musste abtauchen. 1972 existierte noch ein Autobahn-Kontrollposten der Sowjetischen Armee in der Höher von Dessau, wo nach Berlin fahrende Autos oft angehalten und kontrolliert wurden. In diesem Fall musste der arme dritte Mann die Rolle eines hinteren vierten einnehmen, sich auf den Boden legen und das Schuhwerk seiner Kollegen ertragen, um den Blicken der sowjetischen Genossen zu entgehen. Das geschah Gott sei Dank nicht oft. Ich hatte das Glück, körperlich der Größte zu sein, was den Vorteil hatte, nicht hinten liegen zu müssen. Unsere Lautsprecheranlage war in einem Hänger untergebracht, der früher mal ein Kleintransporter der Marke "Barkas" war und nun in abgesägter Form an der Wolga-Hängerkupplung hing. Auf dem Foto links ist der abgesägte Hänger besser zu erkennen und auch das Heck des Wolgas ist zu sehen.
Auf dem Foto rechts habe ich eine richtige tragende

Verdienst und Wirklichkeit
Die Bands verdienten damals ja ihr Geld nicht aufgrund ihrer musikalischen Einstufung, sondern durch die Nebenkosten, die dann geteilt wurden, wenn der Kapellenleiter kein Halunke war. Da gab es Kilometergeld, Anlagengeld, Werbegeld, Kapellenleiterzuschlag und Was-weiß-ich-noch-für-Geld. Die Fahrstrecken wurden oft sehr großzügig ausgelegt. Man sagte, man käme aus Weimar, das 180 Kilometer entfernt war, obgleich man eigentlich im Nachbarort gespielt hatte. Viele Veranstalter machten das mit - die Hauptsache, die Rechnung stimmte. In späteren Bands wurde so addiert, dass man alles in allem auf 2,70 Mark pro Kilometer kam. Das konnte einem bei 1.000 Kilometer Fahrt 2.700 Mark Fahrtkosten einbringen - wenn man clever war. Aber wie sollte man die teure West-Elektronik auch bezahlen? Wer nicht das Glück hatte, seine Instrumente aus irgendeinem DDR-Kontingent zu beziehen, musste ja auf Schmuggler zurückgreifen, die einem die Westinstrumente zum Kurs von 1:4 verkauften. Es gab nicht so viele reiche West-Omis, die da in die Bresche springen konnten. Der Kapellenleiter, der meistens auch die Lautsprecheranlage besaß, bekam dafür "Anlagengeld", und das war 'n Appel und 'n Ei. Bei Bürkholz bekamen alle das Gleiche, das waren bei jeder Mugge ungefähr 140,- Mark. Klingt viel für damalige Verhältnisse, war es auch, aber nur für den Sänger, der höchstens ein Mikro hatte. Ich als Tastenmensch hatte das Teuerste. Aber ehrgeizig waren alle in der Band: Man wollte das Beste an Instrumentarium haben, das man sich leisten konnte. Also kamen zu meiner Orgel noch ein Verstärker Marke EMINENT plus einer Echolette-Box ET 500 hinzu, die wir uns auf abenteuerliche Weise beschafften. Da war Schmalhans Küchenmeister, das kann ich euch sagen! Aber irgendwann war auch das bezahlt und man konnte sich wieder dem Alltag widmen - dem Kauf neuer Instrumente, die "schneller, höher und weiter" waren. Unsere "Gesangsanlage", also die Lautsprecheranlage, über die eigentlich nur der Gesang lief, kam über 100 Watt Leistung nicht hinaus, und bei größeren Sälen konnte man sich getrost am Saalende ganz normal unterhalten, während vorn die Musik auf der Bühne mit voll aufgedrehtem Verstärker lief. Das ist heute alles unvorstellbar.
Meine Mit-Musiker wurden wegen ihrer Instrumente finanziell zur Ader gelassen. So hat sich Heinz eines Tages seinen Gitarrentraum erfüllt und nannte eine Gibson Les Paul sein eigen. Dafür hatte er 8.000,- Ostmark hingeblättert. Mit seinem Edelstück ging er sehr sorgsam um: Nach jedem Auftritt wurde sie gehegt und gepflegt und auch beim Spielen achtete er stets darauf, dass sich ja kein Kratzer eingrub. Der Höhepunkt seines Gitarrensolos, das er immer einsam und allein auf der Bühne zuwege brachte, war "Aktion Turm": Jimi Hendrix hat's ihm vorgemacht, denn der schrammte seine Gitarre an allem entlang, was ihm in die Quere kam, wenn er zugedröhnt war. Heinz suchte sich als Schramm-Objekt seinen Boxenturm aus. Er rutschte ganz vorsichtig mit den Saiten auf der Frontseite seines Turms auf und ab, während die Gitarre zerrte, blökte, schnurrte und jaulte. Natürlich sollte es so aussehen, als hätte er sich gerade an LSD gelabt oder andere Joints konsumiert, aber dem war nicht so: Es sah eher aus, als hätte Mutti gesagt: "Du darfst ein wenig schaben, aber dass mit keine Kratzer an dein Instrument kommen. Sonst gibt's Stubenarrest!" Ich habe seine Mutti niemals zu Gesicht bekommen und schloss daraus, es hat sich kein Kratzer auf dem Gitarrenkorpus niedergelassen.
Wir hatten ein paar Beatschuppen, wo wir besonders gut ankamen und geradezu Kultstatus genossen: Dresden-Hellerau und Wittichenau im Bezirk Cottbus. Dort feierten wir manchmal regelrechte Feste. Es sprach sich bei den Massen herum, "die spielen Colosseum"! Der Saxer von Colosseum, Dick Heckstall Smith, blies Sopran- und Altsaxophon gleichzeitig, und das konnte Suhle auch, ohne dass hinterher sein Mund dem eines Breitmaulfrosches glich. Das war natürlich für die Leute im Saal die Superaction! Auch das trug zur Legendenbildung unserer Band bei. Wir hatten auch schon damals das Glück, dass einige meiner Titel den nachgespielten in nichts nachstanden. Es war ja die Zeit der "Werke". Als Werk wurde von uns ein Stück bezeichnet, das länger als fünf Minuten war. Natürlich war das keine DDR-Erfindung, aber wir bedienten uns gern bei diesem Ideen-Export. Wir lernten somit auch zwischen einer Studioaufnahme und einem Liveauftritt zu unterscheiden. Live bedeutete mehr Freiheiten, weil der Druck einer Studioproduktion in den Hintergrund trat. Eines meiner Werke mit dem Titel "Wer bloß ist heute groß" produzierten wir im Rundfunk. Produzierten ist der falsche Ausdruck - wir versuchten, es einzuspielen. Alles was wir an Drive von der Bühne her kannten, war mit einem Mal wie weggeblasen. Wir konzentrierten uns nur darauf, ja keine Fehler zu machen, weil sonst alles noch einmal wiederholt werden musste. Damals war es unter den studiotechnischen Bedingungen kaum möglich, einmal eingespielte Fehler zu korrigieren. Und das die Instrumente fein säuberlich nacheinander eingespielt wurden wie heute, blieb ein Traum - wir hatten nur eine 4-Spurmaschine, und da musste man mit seinen Spuren haushalten. Die Beatles hatten 1966 ein ähnliches Problem, konnten aber besser damit umgehen. Wir konnten die Produktion nicht bis zum Ende führen, weil die Band von Funktionären ausgelöscht wurde.
Unserem Publikum konnten wir eine Menge musikalisch zumuten, was vor ein paar Jahren undenkbar gewesen wäre und nach ein paar Jahren ebenso undenkbar gewesen ist: Einer von uns spielte allein ein über Minuten ausgedehntes Solo, während der Rest der Band sich hinter der Bühne vergnügte. Wir kannten ja die Stelle des Solos, an der es für uns hieß: Bier austrinken und sich hinter den Bühnenvorhang begeben, denn gleich sind wir wieder dran. Die Fans freuten sich über das Schlagzeugsolo, da gab es körperliche Arbeit, verbunden mit viel Lärm; sie freuten sich über das Gitarrensolo, denn da gab es Virtuosität und Heavy Metal, und sie freuten sich auch über mein Orgelsolo, denn da spielte einer Klassik, modern, schnell und irgendwie kompliziert - das musste also etwas ganz besonderes gewesen sein, Kunst zum Beispiel. Und das hieß hinterher: Klatschen! Wer nicht klatscht, hat's nicht verstanden. Meine Soli bewegten sich zwischen 5 und 7 Minuten, ich hatte eine ungefähre Vorstellung, was ich hineinpacken musste. Alles Weitere überließ ich dem Zufall und der Inspiration. Da gab es gute und schlechte Tage. Für mich war es wichtig, dabei Aggressionen abbauen zu können oder meine Liebe zu irgendwas zum Ausdruck zu bringen. Jeder Solist weiß, wie er mit seinen Mitteln haushalten muss, damit nicht schon zu Beginn das ganze musikalische Pulver verschossen ist, und was er sich bis zum Schluss aufheben sollte. Wenn er's gut macht, ist der Beifall eigentlich schon garantiert. Ich war der Erste in der DDR, der ein Orgelsolo allein auf der Bühne vollbrachte. Später kam dann ein anfangs etwas schüchterner Versuch des brillanten Stern-Meißen-Organisten Thomas Kurzhals hinzu. Das war wie mit den nachgespielten Bandtiteln: Wer zuerst kam, siegte, und ich war halt der Erste. Natürlich spielte die Show auch eine gewisse Rolle. Ich wusste schon genau, wann ich meine Haare ekstatisch umherfliegen lassen musste und wann ich den Leuten das Gefühl gab, gleich beißt er in die Tasten. Klar, es gab auch Auftritte, da spieltest du dir auf der Bühne die Seele aus dem Leib, während die unten nach dem Kellner brüllten, sich nach Bockwurst anstellten oder schnell mal auf Toilette gingen. Bei LIFT nannten wir das "Kralle auf"-Muggen, wobei gemeint war, hier ging's nur um das Geld, das man sich hinterher einkrallte.
Die meisten Fans hatte wir in Sachsen und Umgebung. Spielten wir in Wittichenau bei Hoyerswerda, kam es zu rechten Völkerwanderungen - so kam es uns damals vor. In den Saal passte keine Bockwurst mehr zwischen Kellner und Gast und wir glaubten gern manchem Fan, der von Sonderbussen aus Dresden sprach. Das war Musik in unseren Ohren. Das Erfolgsterrain zog sich bis nach Berlin hin, wurde dann aber in Richtung Norden merklich dünner. Wahrscheinlich kam das norddeutsche Temperament zum Tragen, gepaart mit der dort nicht bekannten Stilrichtung, die wir verfolgten. Diese Erfahrung machte ich aber bei allen Bands, mit denen ich dort auf Tour war.

Die sächsische Hauskapelle Stern-Combo Meißen war die erste größere Band, mit der wir zusammenspielten. In Seifhennersdorf, das im absoluten "Tal der Ahnungslosen" im Südosten der DDR lag, kam es mal zu einem Duell. Wer kommt am besten an? Hansi Beyer konnte wegen Grippe nicht singen, wir konnten die Mugge nicht ausfallen lassen und mussten deshalb eine Notlösung finden. Die Stimme von Hansi wurde recht und schlecht von irgendeinem von uns übernommen und wir improvisierten viel. Die Konkurrenzband hatte uns gegenüber einen Vorteil: Sie hatten ein Mikrofon in der großen Trommel liegen! Es war das erste Mal, dass ich so etwas sah: Ein verstärktes Schlagzeug. Aber auch das half ihnen nichts - wir hatten den Erfolg auf unserer Seite. Ob das wohl mit dem Tal der Ahnungslosen zusammenhing?
Rock trifft Freejazz
Wie dem auch sei - eines Tages spielten wir sogar in Peitz mit einer Free-Jazzband zusammen. Das war damals nicht ungewöhnlich, es war ja alles noch im Werden. Da konnte es schon mal vorkommen, dass in einem Konzert die Freejazzer Anheizer für die Rocker wurden, wobei diese verheizt wurden. Nun ist Freejazz nicht nur eine Geschmacksfrage, sondern auch eine des Könnens. In unserer Vorband spielte ein Baritonsaxophonist, der zu Recht den Namen Catcher trug. Er versuchte immer, der schnellste seines Fachs zu sein. Selbst bei Balladen konnte er nicht an sich halten. Da tönten die flottesten Läufe aus seiner Kanne, ab und zu durch Quietschen und Schlagen auf den Metallkörper unterbrochen. Eben Freejazz. Wir durften uns das alles hinter der Bühne anhören, denn eine extra Garderobe gab es nicht. Wenn Catcher blies, nannten wir das Schweineschlachten und freuten uns, einen passenden Begriff gefunden zu haben. Als die Jazzer ihren Teil zu Ende gebracht hatten, sah Catcher unsere höhnisch feixenden Gesichter und fühlte sich sofort angegriffen. "Ihr denkt wohl, ich kann keinen Blues spielen? Ich gehe mit euch nachher auf die Bühne und dann wird euch das Grinsen schon vergehen! Okay?" Nachdem wir eine halbe Stunde gespielt hatten, kündigten wir Catcher an und begannen, einen Blues zu improvisieren. Als er sein Solo hatte, begann er fein brav mit einigen sparsamen Tönen, die sich vermehrten und vermehrten und vermehrten, um schließlich in einer Tonkaskade zu enden. Er hatte recht - uns verging das Grinsen. Stattdessen drehten wir ihm sein Mikrophon zu und der größte Schmerz war vorbei. Das hinderte ihn natürlich nicht daran, mit dem Blasen fortzufahren. Er blies lustig weiter und keine Sau hörte ihn... Seitdem bin ich bei einer bestimmten Kategorie von Jazzern sehr vorsichtig geworden. Wer weiß schon vorher, wann der Herr Künstler gedenkt, mit seinem Instrument hinter der Bühne zu verschwinden. Das ist wie mit den Politikern, die wissen auch nicht, wann Zeit ist abzutreten. Bei uns wurde ein Catcher-Syndrom in die Hirnrinde gemeißelt: "Quietschen bis zum Umfallen"!

Im Frühjahr 1973 wurde Erich Safert durch Frank Czerny ersetzt. Es war kein Rausschmiss, sondern eine Trennung im beiderseitigen Einvernehmen, wie man so schön sagt. Frank war ein ganz anderer Typ als sein Vorgänger. Er spielte mehr mit dem Bauch als mit dem Kopf und hatte eine erfrischende Art, mit seinem Bass umzugehen. Leider hat er nur bis zum bitteren Ende im Sommer mitmachen können. Frank und ich hatten eins gemeinsam: Wir guckten beide früh 9 Uhr 45 die Sesamstraße, die erst seit kurzer Zeit in dem TV-Programm der ARD aufgetaucht war. Wenn wir uns trafen, erzählten wir uns gegenseitig, was Bert und Ernie wieder angestellt hatten und machten die Stimmen nach, so gut es ging. So kindisch können Männer sein! Ich hatte mir nämlich von meinem verdienten Geld zwei Dinge geleistet: Einen Kassettenrekorder der Marke Toshiba, mono, mieser Klang, aber der erste, den es im Osten gab, und ein Mini-TV, Schwarz-Weiß-Bild natürlich, wahrscheinlich 20 cm-Diagonale, aber mit 2. Programm, und das war schon was! Die Sesamstraße kam in der ARD und die ARD war Westfernsehen, und Leipzig zählte nicht zu den besten Empfangsgebieten. Ich wohnte im Erdgeschoss und musste mir ein Monstrum von Antenne nebst Antennenverstärker unter dem Dach anbringen und durch ein 25 Meter langes Kabel mit dem Fernseher verbinden. Dadurch hatte ich alle Varianten, die ein Fernsehbild so bieten konnte: Vom bestechend scharfen Bild bei Überreichweiten bis zur absoluten Nichterkennbarkeit bei Regenwetter, das bis zum weißen Rauschen ging. Manchmal schwankte das Bild auch. So sah man den Anfang einer Serie, hörte am Schluss aber nur noch zu, weil lediglich eine Schneelandschaft zu sehen war. Wir trösteten uns damit, dass wir es im Gegensatz zu den Dresdnern geradezu fürstlich hatten! Ihr weißes Dauerrauschen lies manchen Zweifel am Sozialismus aufkommen. Ich habe nach meinem Examen noch ein zweijähriges Abendstudium mit den Fächern Komposition und Arrangement absolviert. Der Operetten- und Musical-Komponist Conny Odd brachte mir die Grundbegriffe des Kompositionshandwerks bei, vom 4-stimmigen Satz bis zur großen Orchestrierung. Auch die Kunst der Fuge ließ er nicht aus. Ich bekam von allem etwas mit und konnte es teilweise später zur Anwendung bringen. Er sah es nicht so verbissen und ich auch nicht. Alles andere habe ich mir abgehört oder abgesehen, wann immer Gelegenheit dazu war, wozu mein Vater gesagt hätte "mit den Ohren mausen". Das bot sich bei Konzerten mit anderen Bands. So war ein Highlight bei unseren Tourneen ein Konzert mit den Gruppen BREAKOUT aus Polen (Portrait HIER) und BERGENDY aus Ungarn (Portrait HIER), beides gutangesagte Bands ihres Landes. Es fand in der Stadthalle Magdeburg statt, wurde vom Rundfunk mitgeschnitten und war auch für uns ein voller Erfolg.
Im Jugendradio gab's die Sendung "Musik für den Rekorder"

Das nachgebaute Stroboskop
Es gab eine ungarische Top-Gruppe namens OMEGA, die als die ungarischen Rolling Stones galt. Sie entsprach genau unserer Vorstellung von einer westeuropäischen Band. Hier stimmte alles: Die Songs, der Habitus, das Auftreten, die PA und nicht zuletzt ihre Instrumente. Sie hatten eine Hammond-Orgel mit dem dazugehörigen Leslie-Kabinett, ich habe das ja bereits erwähnt. Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam, aber es muss Ende 1972 gewesen sein, als wir ein Konzert im Dresdner Hygienemuseum mit ihnen machten, wobei wir als Vorgruppe fungierten. Da sahen wir erstmalig ein Stroboskop, mit dem man Licht "zerhacken" kann. Es ist mit einer an/aus-geschalteten Lichtquelle vergleichbar. Bewegt man sich im Dunkeln davor, erscheinen die Bewegungen wie abhackt. Wer sich auf einer dunklen Bühne mit hellen Kleidungsstücken vor dem Stroboskop bewegte, wurde in Bewegungsphasen, die man mit schnell hintereinander geknipsten Serienfotos einer Digitalkamera vergleichen kann, "zerlegt". "So ein Ding müssen wir auch haben!", war unsere einhellige Meinung. Bloß - woher nehmen? Da wir DDR-Deutschen nicht nur ein Teil des Volkes der Dichter und Denker waren, sondern auch der Bastler und Improvisatoren, beschlossen wir, so ein Ding nachzubauen, und das alles mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Wir hatten Sperrholz, eine helle Glühlampe und einen Motor. Daraus wurde eine Kiste gebaut, die einer mittleren Wäschetruhe glich, in deren Vorderseite ein Fenster geschnitten wurde, damit das Licht der innen angebrachten Glühlampe ihren Weg nach draußen finden konnte. Nun musste der Lichtstrahl in bestimmten Abständen unterbrochen werden, damit der zerhackende Effekt zum Tragen kam. Dafür war der Motor da. Der drehte über eine Achse den herausgeschnittenen Fensterteil, der das Licht heraus scheinen ließ oder den Lichtstrahl unterbrach, wenn das Fenster geschlossen war. Diese Höllenmaschine machte ihrem Namen alle Ehre, denn der Motor sollte sich als fast so laut wie unsere Musik erweisen.

Das nächste Konzert mit OMEGA fand im Februar 1973 im Kino Capitol in Meißen statt. Da wollten wir die OMEGAs schocken, denn dann wären wir als Vorband die ersten, die den Stroboskop-Effekt einsetzten und ihnen damit die Show stehlen könnten. Könnten! Als wir als Höhepunkt unseres Konzertes das Bühnenlicht löschten, um unsere fahrigen Bewegungen durch unser Stroboskop zum Ausdruck zu bringen, warf eine Lampe, die in einer Kiste untergebracht war, ein flackerndes Licht auf dem oben mit weißem Hemd agierenden Sänger. Es fehlte nur noch, dass jemand aus dem Publikum gebrüllt hätte: "Licht an!" Es war nicht der Rheinfall von Schaffhausen, sondern der Reinfall von Meißen. Die Gast-Band saß in der letzten Reihe und muss sich prächtig amüsiert haben! Trotzdem entwickelte sich eine kleine Freundschaft zwischen uns und irgendwie spürten wir: Sie akzeptierten uns! So folgte ein Angebot, mit ihnen im Sommer 1973 eine Ungarntournee zu starten. 1973 war auch das Jahr der "Weltfestspiele der Jugend und Studenten" (wie es offiziell hieß) und man gab sich im ersten Deutschen Arbeiter- und Bauernstaat (wie es wieder offiziell hieß) Mühe, das Beste vom Besten der besten DDR zu bieten. Alles, was Rang und Namen hatte, sollte auftreten. So geschah es, dass über uns eine TV-Dokumentation gedreht wurde. Wir bauten unsere Lautsprecheranlage in einem Berliner Kulturhaus auf, Kamera und Ton wurden eingerichtet. Dann filmten sie die hereinströmenden Massen, die keine waren. Da kamen keine Fans mit grünen Kutten und Jesuslatschen, nein... da kamen die Ausgesuchten, die fein in das Bild derer passten, die die Politik bestimmten. Gegensätzlicher konnte es nicht sein! Wir, die langhaarigen Unkonventionellen auf der einen Seite und die braven FDJ-niks (Slang) auf der anderen. Wir durften keine englischen Titel singen, machten aber aus der Not eine Tugend und spielten halt die Instrumentalparts von Colosseum oder improvisierten Blues. Hansi Beyer machte nur eine auf "bababa" oder "hey, babe". Es war eine sehr verklemmte Atmosphäre, das muss ich hier mal sagen! Der Kameramann machte noch das Beste daraus, aber für uns war es eigentlich keine Überraschung, wussten wir doch, worauf wir uns eingelassen hatten. Tommy wurde auch nach unserem "Auftritt" vor der Kamera interviewt, musste aber dem prominenten DDR-Popper Reinhard "Lacky" Lakomy den Vortritt lassen. Und der salbte irgendwelches Zeug, das in die Linie der Funktionäre passte, bis Tommy an der Reihe war, auch etwas salbte, weil ohne das Salben nichts ging, und am Schluss sich fast zynisch entschuldigte, dass wir leider nicht an den Weltfestspielen teilnehmen könnten - ach, wie leid es uns tat -, weil wir zu dieser Zeit gerade eine Tournee mit der Gruppe OMEGA in Ungarn zu absolvieren hatten. Und dabei grinste er teuflisch! Selbst den Konformisten PUHDYS gelang es noch nicht, in Ungarn Fuß zu fassen! Ja, stolz waren wir schon und das nicht nur ein bisschen...
Am 22. Juni 1973 hatten wir eine Freilichtmugge (heute: Open Air) in Radeberg bei Dresden. Vor uns spielte die COLLEGE FORMATION mit Toni Krahl, die sich aus Musikern der Hochschule für Musik Berlin zusammensetzte. Später wurde daraus die Gruppe CITY. Wir hatten Heimvorteil, denn Dresden gehörte zu unserem Fanbezirk. Kurz nach Beginn unseres Konzertes fiel der Strom aus, die 3.000 Zuschauer vermuteten wahrscheinlich, der Veranstalter wäre dafür verantwortlich, der in einer Rockband nichts Gutes sah. Nach ein paar Minuten kam der Strom wieder, die Massen brüllten nach "Los Angeles" von Colosseum, das mit zu unseren Top-Titeln gehörte. Wir begannen also wieder und brachten durch unsere Spielweise die Massen derart in Rage, dass der Veranstalter sich gemüßigt sah, die Veranstaltung abzubrechen. Wir verließen die Bühne und die Menge begann zu randalieren. Polizei kam hinzu und tat ihr Werk, was wir aber nicht mehr nachvollziehen konnten, denn wir waren froh, heil in die Garderobe gekommen zu sein. Es war das erste Mal, dass es bei uns zu solchen Auswüchsen gekommen war. Am nächsten Tag spielten wir noch in Seifhennersdorf, um dann ein paar Wochen frei zu machen.
Am 28. Juli erfuhren wir: Die Band ist verboten, verboten wegen "Aufwiegelung der Massen". Da hatte man nun endlich einen Grund gefunden, uns loszuwerden. Wir waren keine angenehme Band, die mit dem DDR-System kuschelte, denn wir hatten eine Fangemeinde, die nicht mehr im Zugriffsbereich des Staates lag. Unsere Texte durfte man nicht verbieten, aber zwischen den Zeilen wurde manche Aussage getroffen, die nicht zu den Zeilen einer sozialistischen Gesellschaft gehörte. Ich habe noch ein Fragment des "Tathergangs".

Ich zitiere:
"Am 22.6.1973 wirkte die Bürkholz-Formation in einem Konzert anlässlich der Betriebsfestspiele des Kombinats Robotron mit. Bei diesem Auftritt ist es zu einer ernsthaften Gefährdung der Ordnung und Sicherheit, zu tätlichen Angriffen gegen die Angehörigen der Volkspolizei und der FDJ-Ordnungsgruppe gekommen. An den Ausschreitungen, die zu schweren Sachbeschädigungen führten, waren über 200 Jugend-liche beteiligt.
Auf der Grundlage des Informationsmaterials des Staatsanwaltes des Bezirk Dresden über das Auftreten der Bürkholz-Formation wurde entsprechend den Anordnungen Nr. 1 und 2 über die Ausübung von Tanz- und Unterhaltungsmusik sowie des Gesetzes über die Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten am 20.7.1973 das Ordnungsstrafverfahren gegen die Mitglieder der Bürkholz-Formation durchgeführt. [...] folgende Entscheidung getroffen: Jedes Mitglied [...] Ordnungsstrafe von 300,- Mark. Die Bürkholz-Formation wurde aufgelöst. [...]"
Damit hatte keiner gerechnet! Strafverschärfend wirktet noch, dass außer Hansi und mir alle anderen Spielverbot hatten, obwohl sie zuletzt noch auf einen befristeten Profis-Ausweis verweisen konnten, denn alle befanden sich noch in der Ausbildung an der Hochschule oder Bezirksmusikschule. Ich hatte ja mein Studium schon abgeschlossen und dadurch die sogenannte "Freie Vereinbarung". So wurde mein Auftritt z.B. mit 300,- Mark belohnt, die anderen erhielten nur 80,- Mark. Wir warfen alles in einen Topf und teilten dann durch sechs. Das war gelebter Kommunismus, in dieser Beziehung wenigstens. Oder im Sinne der Grünen nach der Parteigründung (das hat sich später auch gegeben).
Hansi Beyer wurde mit offenen Armen beim - Achtung! - "Staatlichen Komitee für Unterhaltungskunst" empfangen. Das war so eine Art staatliches Management, wo man zuerst bestimmte Interpreten castete, um aus ihnen Stars zu machen. Man versuchte also, mit sozialistischen Methoden den Kapitalismus überzuholen ohne einzuholen - hier lässt Walter Ulbricht wieder mal grüßen! Dort also schrieb ihm der Schlager-Zar Arndt Bause einen Titel auf dem Leib, mit dem er Karriere machen sollte: "Tag für Tag". Obwohl die Anleihen von "Only You" oder "Unchained Melody" kaum zu überhören waren, tat es Beyers Erfolg keinen Abbruch. Seitdem segelt er mit den Schlagerwellen auf allen sieben Meeren dieser Erde. Die Gerüchteküche sprach von einem abgekarteten Spiel, es sei alles geplant gewesen, denn sonst hätten sie Beyer nie als Solisten in ihren Händen halten können. Nun war es geradezu ein silbernes Tablett, was man ihm hinhalten konnte: Ein staatlich geplante Karriere, die für Beyer ideal war. Er hatte eigentlich all das, was er brauchte. Da waren erfolgreiche Titel, Öffentlichkeit, das Von-allen-geliebt-sein, Ruhm und Geld. Und nicht zuletzt tat es seinen musikalischen und sängerischen Fähigkeiten keinen Abbruch, denn er konnte damit weiterhin brillieren. Die 08-15-Schnulzen seien ihm verziehen. Eines hat er bis heute beibehalten: das ständige Kontrollieren seiner Singfähigkeit mit Hilfe bestimmter Laute. Egal, ob er nun in der Öffentlichkeit ist oder im privaten Raum, ein "bibbiii aaa-hü" entfährt ihm immer...
Teil 6
Im sechsten Teil dreht sich alles um Michaels Zeit bei der HORST-KRÜGER-BAND, seine erste Auslandstournee, die Gründung der Gruppe AUTOMOBIL, die erste Digitaluhr, die Entstehung des großen Hits "Du hast den Farbfilm vergessen" und die Zeit mit NINA HAGEN als "Arbeitskollegin" ...
Im sechsten Teil dreht sich alles um Michaels Zeit bei der HORST-KRÜGER-BAND, seine erste Auslandstournee, die Gründung der Gruppe AUTOMOBIL, die erste Digitaluhr, die Entstehung des großen Hits "Du hast den Farbfilm vergessen" und die Zeit mit NINA HAGEN als "Arbeitskollegin" ...

Ich bekam Ende August 1973 ein Angebot, bei der Berliner Band eines gewissen Horst Krüger einzusteigen. Krüger versuchte sich anfangs als Schlagersänger des Duos "Horst und Benno" - heute wär' es eine Strafe, sich so zu nennen. Dann machte er sein eigenes Sextett auf, bis er den großen Wurf wagen wollte: Eine Band, die zusätzlich noch Saxophon und Posaune sowie vier Background-Mädels besetzt hatte. Er holte sich seine Leute aus der ganzen Republik. So den blutjungen Gitarristen Bernd Römer (er war gerade mal 19) aus Erfurt, der schon beachtliche Jimi-Hendrix-Phrasen spielen konnte und sich später bei der Startruppe KARAT wiederfand, den Posaunisten aus meiner Spezialschulzeit Bernhard Wachsmann und dessen damalige Freundin Silvia Kottas, und "Gotte" Gottschalk, der später zum Solisten avancierte und noch heute allein (!) nur mit seiner Gitarre mein 7-Minutenwerk "Die Tagesreise" spielt - sehr erfolgreich! Zu dieser illustren Gesellschaft gesellte ich mich nun ab September.
Ende September 1973 war unser erster Auftritt, die Premiere sozusagen. Wir spielten mit unserer 10-Mann-Band alles Aktuelle, was die Hitlisten so hergaben. Ich bekam zwischen 120,- und 160,- Mark pro Mugge, das war eine gute Gage. Vorbei waren die Zeiten, wo wegen Repertoiremangels an Tanzabenden in die "Blueskiste" gegriffen wurde oder man nach der halbstündigen Pause um 23:00 Uhr eine Stunde nur noch das wiederholte, was vor der Pause gespielt wurde - "auf besonderen Wunsch" natürlich. Das war zwar einigermaßen schändlich dem Publikum gegenüber, förderte aber unsere Kreativität. Bei Horst Krüger ging alles anders, nämlich dem Mainstream entgegen. Es war natürlich ein kühnes organisatorisches Unterfangen, sechs nichtberliner Musiker unterzubringen, wenn in Berlin geprobt wurde oder von dort aus die Muggen starteten. Eine steinalte Dame vermietete eine 6-Raumwohnung in der Choriner Straße im Prenzlauer Berg, möbliert natürlich. Sechs Musiker teilten sich die Zimmer auf, es war ein friedliches Nebeneinander. Ich zog mit Bernd Römer zusammen und richtete uns das Zimmer ein. Heute würde sich jeder Antiquitätenhändler seine Finger wegen des Mobiliars lecken, von den Inhalten der Schränke und Kommoden ganz zu schweigen. Damals war uns das alte Zeug eigentlich ziemlich egal, wollten wir doch nur eine Unterkunft haben und den Fernseher mit seinem ARD- und SFB-Programm als Fenster zur Welt nutzen.
Wohl oder übel habe ich mich der HORST-KRÜGER-BAND angepasst. Anfangs machte es ja auch Spaß, denn ich bin durch eine ganz andere Musikrichtung gefordert worden: Mainstream! Mit der Zeit kehrte aber der Muggenalltag ein und aus der Kür wurde die Pflicht. Ich sehnte mich heimlich zurück an die Gestade der Bürkholz-Zeit. Aber es ist wahrscheinlich immer so: Was man nicht hat, wird vermisst, hat man es aber, wird es zum Alltag und damit uninteressant. Für mich gab es bei Krüger auch eine Premiere: Meine erste Auslandstournee. Sie führte uns im Dezember 1973 nach Bulgarien. Die ersten Eindrücke waren erschlagend: Wir saßen in Winterbekleidung gehüllt in unserem Hotelrestaurant und ließen uns von ebenso in Mäntel gehüllten Kellnern bedienen. Die Heizung war ausgefallen, weil die Versorgung öffentlicher Einrichtungen wieder mal auf Sparflamme gedreht wurde. Sonst lief die Tournee gut, waren wir doch eine Band, die fast aus dem Westen kam. Und so benahmen wir uns auch. Es gab viele Dinge, die zuhause eben besser waren, perfekter, deutscher. Aber das Publikum war sehr dankbar und nach und nach vergaßen wir unsere Voreingenommenheit. Nach zwei Wochen hatte uns der DDR-Muggenalltag wieder.
In der letzten Bürkholz-Phase schrieb ich einen langen Titel, der aus zwei Teilen bestand. Der Erste war lyrisch monumental, der Zweite kraftvoll mit Hardrock-Elementen, die ich unter dem Einfluss von der Band FRUMPY einbrachte. Wir hatten noch keinen deutschen Text und Hansi sang alles auf Fidschi, was bedeutete, es klang gut, aber selbst auf dieser Inselgruppe hätte ihn keiner verstanden. Dieser Titel zählte zu unseren erfolgreichsten Songs, obwohl er durch kein Medium bekannt geworden war. Ihn ließ ich bei Krüger mit einem Allerweltstext versehen und ab da hieß er offiziell "Hab mir von der Tagesreise manches mitgebracht", kurz "Tagesreise". Als wir ihn im Januar 1974 im Rundfunk produzierten, kam es zwischen dem Tonmeister und mir fast zu einem Eklat. Er wollte partout nicht gelten lassen, dass ich an der Stelle "... war er gut ..." ein "F" im Bass spielen ließ, während der Sänger ein "Fis" sang. Das widersprach allen Regeln des klassischen Tonsatzes, so etwas macht man nicht, igitt! Er bestand also auf der Änderung vom "F" zum "Fis" im Bass. Da ich keinen Anwalt hatte, den ich einschalten konnte, musste ich wohl oder übel die Änderung über mich ergehen lassen. Ach, wie schön ist das doch immer in den Serien und Spielfilmen, wo immer gleich "mein Anwalt" zur Stelle ist, und überhaupt: Alle haben sie einen!
Horst Krüger hatte seine Schlagererfolge zu Zeiten der Gebrüder Bee Gees, die oft mit einem sehr markanten, meckrigen Vibrato Falsett sangen. Diese Stilistik versuchte er bei der Tagesreise an hohen Stellen zu übernehmen. Es kostete mich viel an Überredungskunst, ihm begreiflich zu machen, dass die Bee Gees out waren. Er wollte nicht begreifen, dass er nicht als vierter Bruder der Bee Gees durchgehen konnte, denn dazwischen lagen Welten, musikalisch und kartografisch!
DDR-Aufnahmen dieser Zeit hatten es an sich, den Bass kaum hörbar aufzunehmen. Dieses Problem hatten selbst die Beatles noch 1966 und zermarterten sich den Kopf, wie die Beach Boys aus Kalifornien ihren Bass so durchschlagend rüberbrachten. Da wir in der DDR immer in allem hinterher waren, was westlich unserer Grenzen passierte, war es also kein Wunder, dass bei dem Bass ebenso kapituliert wurde. Durch einen Zufall wurde der Bass aber dieses Mal besonders laut auf's Band gebracht, und ich könnte den Menschen noch heute küssen, der das getan hat: Die Tagesreise hat heute immer noch den gewissen Druck, den eine Rockaufnahme haben muss, und das ist dem mit einem Mal hörbaren Bass zu verdanken. Gott allein weiß, welche Rundfunknorm da nicht eingehalten wurde ...
Die Tagesreise wurde für die HORST-KRÜGER-BAND der Hit. Bei der Suche nach den besten Rocksongs der DDR-Geschichte Anfang der 90er nahm "Am Fenster" von City den ersten Platz ein, an zweiter Stelle folgte - Die "Tagesreise"! Als Komponist ist man der Mann der zweiten Reihe. So kam oft die Frage: "Hä, das Stück wurde nicht von olle Krüger komponiert? Von wem denne?" Ich habe noch ein paar andere Titel für diese Band geschrieben, die aber alle in der Versenkung verschwunden sind. Bestimmt war das kein Verlust.
Lehr-und Wanderjahre: Automobil

Irgendwann Anfang 1974 wurde das Spielverbot für die Bürkholz-Musiker aufgehoben. Ich sah Licht am Ende des Tunnels und traf mich im Februar mit den Musikern unserer alten Besetzung. Neben Bürkholz und Suhle kam auch Erich, der ausgewechselte Bassist, wieder, der ja zur Ur-Besetzung gehörte. Wir wollten die Band wieder ins Leben rufen, hatten aber keinen Sänger. Beyer war ja dem Rock abtrünnig geworden und machte Trallala-Musik, während wir der Kunst frönen wollten. Wir probierten ein paar Sänger aus, fanden natürlich keinen Beyer und mussten uns schließlich mit einem Kompromiss zufrieden geben, was die Sangeskunst anbelangte. Der Neue sang zwar nicht schlecht, hatte aber nicht das Charisma eines Hans-Jürgen Beyers. Ehe wir loslegen konnten, musste noch ein neuer Name her, denn unter Bürkholz-Formation durfte das Unternehmen nicht mehr auftreten - die Erinnerung sollte getilgt werden, warum auch immer. Nach langem Suchen kam ich auf den Namen "Automobil" und bastelte sogar ein Logo dafür, das wir unter abenteuerlichen Umständen auf einen Anstecker drucken ließen. Natürlich gab es offiziell weder das Plaste-Material noch die hinten angebrachte Nadel.
Das alles organisierte unser neuer "Kapellenleiter" (ein schreckliches Wort). Bürkholz durfte diese Funktion nicht mehr übernehmen und so suchten wir einen, der organisieren konnte und auch das Geld für nötiges Equipment hatte. In der Leipziger Musikschule gab es einen Saxophonisten, der das alles mit sich brachte: Christian Claus. Das war ein netter Mensch, hatte Ideen und kümmerte sich um alles. Er organisierte eine PA, kümmerte sich um den Transport und riss vor allen Dingen Muggen auf, womit lapidar die Suche nach Auftrittsmöglichkeiten gemeint ist. Er war stolzer Besitzer eines Polski Fiat und hatte ein Häuschen in Hartha bei Döbeln in Sachsen, damals Bezirk Leipzig.
Er hatte gern viel Geld und gab es auch ebenso gern aus: Für 2000,- Ostmark kaufte er die Uhr eines Fleischermeisters von Hartha ab und so sah ich die erste Digitalarmbanduhr in meinen Leben. Die zeigte nur die Zeit an, wenn man das Zifferblatt durch Berührung aktivierte, und dann nur ein paar Sekunden, ehe die Ziffern wieder in der Dunkelheit verschwanden. Aber die paar Sekunden hatten es in sich: Keine Zeiger, die sich blöd um eine Achse drehten, sondern leuchtende Zahlen! Ein Wunderwerk der Technik! Ich meldete damals leise Zweifel an, ob das Preis-Leistungsverhältnis stimmte. Aber man gönnt sich ja sonst nichts im Osten ...
Er führte noch ein Novum ein: Techniker! Das Wort Roady kam uns nicht über die Lippen, darin waren wir konsequent ostdeutsch. Wir hatten ja schon in der letzten Bürkholz-Phase einen Techniker, der beim Auf- und Abbauen half und Harald Hauswald hieß. Ehe er zu uns kam, ist er wie ein Fan aus dem Bilderbuch rumgelaufen - ich erwähne es hier nochmals: mit grüner Kutte, die kein Parka war und Jesuslatschen und langen Haaren und Karo rauchend. Aus ihm ist später ein bekannter Fotograf geworden, der in Berlin, wo es ihn noch zu DDR-Zeiten hin verschlug, nach der Wende Furore machte. Er fotografierte vor allem die Ostberliner Szene des gewollten Sozialismus, knipste die vergammelten Häuser und die dazu gehörigen Menschen. Es gab schon etliche Ausstellungen seiner Bilder. Seine Haare haben noch die Länge von 1973, aber nur die Breite von 2009. Das nur am Rande.
Unsere neuen Techniker durften nun mit einem eigenen PKW mit Hänger fahren, aufbauen, Getränke holen und wieder abbauen. Sie waren uns eine große Hilfe. Wir sparten dadurch Zeit und konnten nach dem Auftritt eher ins Hotel. Das war wichtig, denn nach 22:00 Uhr gab's nichts mehr zu essen und ab 0:00 Uhr wurden die Getränke nicht mehr serviert, weil einem ja schon spätestens um 23:30 Uhr vom Kellner die Rechnung vorgelegt wurde. Oft wurden wir mit Stühlen empfangen, die um 180° gewendet auf den Tischen standen und das bedeutete die nahende Sperrstunde. Mit zunehmender Berühmtheit wurde manches Kellner- und Kellnerinnenherz weich und es gab eine letzte Bockwurst oder ein Bier "für nach oben".
Ein jetziger und ein ehemaliger Kapellenleiter im Team konnte auf die Dauer nicht gut gehen: Es kam zum Zwist zwischen Bürkholz und Christian Claus, was in einem Zerwürfnis endete. So gab es zwei Lager in der Band: Die Guten und die Bösen. Zu den Schlechten gehörte Heinz Geißler, Thomas Bürkholz und Erich Safert, der Rest (wie soll's auch anders sein) waren wir, die Guten. Und wenn man das nicht so wörtlich nimmt, stimmt es. Die Schlechten machten uns schlecht und schmiedeten Pläne, wie sie das Unternehmen ohne uns durchziehen konnten. Wir wiederum schmiedeten als Antwort darauf Pläne, wie wir ohne sie das Unternehmen durchziehen konnten. Am Ende dieser Kindergartenvorstellung trennten wir uns und die anderen gingen ihrer Wege. Wir aber hatten nun keine Gitarristen, Bassisten, Drummer und auch keinen Sänger mehr, dafür aber eine Lautsprecheranlage, einen Polski Fiat, den Bandnamen AUTOMOBIL und eine Digitaluhr, die aber leider nicht singen konnte.
Doch Christian Claus wäre nicht Christian Claus, wenn er nicht auch dieses Problem meistern würde. Im Juli 1974 spielte in Döbeln das Alfons-Wonneberg-Orchester zu einem Pressefest der Lokalzeitung "Döbelner Sozialistische Volksnachrichten" - oder so ähnlich. Die machten perfekte Schlagermusik, man hopste und schunkelte und aß seine Bockwurst und trank sein Helles, bis eine blutjunge Sängerin die Bühne betrat und einen Schlager zum Besten gab, bei dem man weiter hopste und weiter schunkelte, aber anders! Sie hatte irgendeine freche, selbstbewusste Ausstrahlung und war deshalb völlig unverklemmt. Ihre Stimme hob sich von denen ihrer gesanglichen Mitstreiter sehr positiv ab und sie traf auch alle Töne. "Die wäre doch was?", fragte ich Christian. "Hm ..." Wir fingen sie am Ende der Veranstaltung ab und sagten ein paar aufmunternde Worte wie: "Hast aber gut gesungen" oder "War nicht schlecht, eh" oder "Wie heißt du eigentlich?" Die Antwort kam sofort: "Nina!" - "Und wie weiter?" - "Hagen" - "Hättest du Lust, bei einem neuen Unternehmen einzusteigen? Lautsprecheranlage steht, wir haben eigene Titel und zwar Rockmusik und keine Schlager-Larifari, Geld gibt's auch und einer hat schon mal bei Krüger mitgemacht!" (Ich glaube, dass mit der Digitaluhr habe ich stecken lassen). Nina war sofort nicht nur Feuer, sondern auch eine heiße Flamme. So einfach kann Konversation sein!
Nina Hagen
Wir schlossen den Pakt, den Pakt mit der Tochter der Promi-Schauspielerin Eva-Maria und des Regisseurs Hans-Oliver Hagen und des Ziehvaters Wolf Biermann - das Licht ihrer Herkunft ging uns erst später auf. Nun war die Suche nach einem Gitarristen an der Tagesordnung, die aber fast vergeblich gewesen wäre. Entweder die Herren Gitarristen hatten schon alle einen Job, oder sie wollten das Risiko einer neuen Band nicht eingehen; sie konnten keine Noten lesen oder waren einfach blöd. Am Schluss fanden wir im August einen Gitarristen, den man im Notfall einsetzen konnte, und das hier war ein Notfall! Er hieß mit Spitznamen "Kade" und spielte bei irgendeiner Schlagerkapelle. Nun fehlte noch der Basser und da sprach ich einen vollbärtigen Menschen an, der neben der Hochschule eine kalte Kellerwohnung bezogen hatte und dort mit einer schönen Zahnmedizinstudentin zusammenlebte: Matthias "Matze" Neumann. Er studierte noch an der Musikhochschule Berlin Kontrabass und gleichzeitig Theologie im Abendstudium. Vorher hatte er bei der Zufallshit-Gruppe "Kreis" gespielt, bei der seine Schwester Flöte blies. Sie kannte ich - und damit schließt sich der KREIS - von der Spezialschule für Musik Halle! Sie drückte dort in der hinteren Reihe mit mir die Schulbank und hatte mit der durch die Berliner Musikhochschule geförderten Band KREIS etwas Karriere gemacht. Wie die Dinge so laufen im Leben. Matze war allen Musikstilrichtungen offen. Besonders liebte er Funk, Soul und Gospel und spielte seinen E-Bass mit den Fingern, statt ein Plektrum zu benutzen. Er ist jetzt Pfarrer in Hamburg und liebt noch immer den Gospel. Der Thomaner-Chor hatte Matze früher auch als Sängerknaben besetzt und so war er uns eine große Hilfe, wenn es um Backgroundstimmen ging. Schließlich wurde Dietmar Stephan als Drummer in die Band aufgenommen und wir waren komplett. Nun hieß es, ein neues Repertoire zu erstellen und vor allen Dingen neue Songs zu schreiben. Damit begannen die Proben in Leipzig-Lindenthal, wo wir in einem Kulturhaus Unterschlupf fanden, das nur zu Veranstaltungen geheizt wurde und uns zwang, die Jacken anzubehalten. Wir alle wollten die Chance nutzen, die sich uns bot, aus einem unbekannten Haufen eine Top-Band zu machen. Ich war nicht mehr so naiv oder unerfahren, um nicht zu erkennen, dass der Gitarrist auf der Bühne durch seine Spielweise für uns keinen Blumentopf erspielen würde, und dass er auch an gitarristischen Ideen nichts beisteuern konnte. Bei der Produktion der Songs "Komm, komm" brachte er es nicht fertig, das Intro mit seiner Gitarre fehlerfrei auf's Band zu spielen. So musste ich mir seine Gitarre umhängen und den Part selbst einspielen - ich, der Keyboarder! Da kam mir zugute, dass ich den Song mit der Gitarre komponiert hatte und somit wusste, was ich zu spielen hatte.
Nina versuchte sich auch mit Texten und hatte dabei wunderbare skurrile Ideen. Leider sind diese Lieder nie produziert worden, dafür war keine Zeit. Um ins Geschäft zu kommen, musste man auf bekannte Namen zurückgreifen können. Deshalb ging ich auf einen Text-Garanten zu, den ich von Renft kannte und der auch den Text zu "Wer die Rose ehrt" geschrieben hatte: Kurt Demmler. Der war der erfolgreichste und genialste Texter, den wir in der DDR hatten. Er schrieb für Tod und Teufel, schrieb neben Scheißtexten auch wahre Genial-Lyrik mit tiefem philosophischem Gehalt, und fast alles handwerklich perfekt. Ja, sein Geschäft verstand er, der Kurt, für Ruhm und Ehre wurde er sogar zum Opportunisten, konnte aber auch glashart gegen das System sein, wenn es die Story in seinen Liedern verlangte. Wir wählten fünf Songs aus und gaben sie Demmler zum Texten. Er kannte Nina ja schon von früher und wusste, dass sie keine Schlager-Tussie war, sondern eigene Ideen mitbrachte und sich um ein Profil bemühte. So kam sein Ego zum Tragen, wollte er doch auch am Nina-Kuchen mit backen, um bei der Verteilung sein Häppchen abfassen zu können. Am liebsten wäre es ihm gewesen, Nina als sein Produkt auszugeben.
Improvisation eines Farbfilms
Ich saß eines Nachmittags am Klavier und hatte mein Tonbandgerät Marke Qualiton auf Aufnahme gestellt und improvisierte ein bisschen. Nach einer bestimmten Akkordfolge fiel mir dazu eine Melodie ein, die eine Strophe ergab. Und da ein Lied auch einen Refrain braucht, fügte ich den auch gleich mit dran. Das Ganze dauerte keine Minute, ich hörte es mir an und fand es lustig. Lustig? Für eine Rockband? Dieser Stil? Naja, als Gag kann man so etwas schon mal machen. Also begann ich, das Ding zu arrangieren. Es begann mir Spaß zu machen, die ganzen Stereotypen der Schlagermusik auf die Schippe zu nehmen bis hin zum Schluss, der mit einem Akkord endete, der einen Ton höher liegt als es die entsprechende Tonart vorsah. Es war eine typisch deutsche Musik, die auch den Marsch nicht außen vor ließ. Demmler nahm das Demo-Band entgegen und versprach uns, am nächsten Morgen 9:00 Uhr den Text vorzulegen. Manche werden sagen, "9:00 Uhr? Das ist ja für Musiker mitten in der Nacht", aber Demmler war so ein Frühmensch wie ich und hatte da seine kreativste Phase. Am nächsten Morgen zogen wir also zu ihm, er stellte das Tonbandgerät auf play und begann zu der Musik laut seinen Text gesanglich vorzutragen. Das machte er immer so: Laut und sehr inbrünstig. Seine Stimme war schön - schön laut. Er hatte natürlich den Charakter der Musik erkannt und versuchte auch, einen dementsprechenden ironischen Text zu schreiben, aber es war nicht der Gewinner des Tages. Im Refrain hieß es: "Komm fahr' mit mir in die Berge, da ist es schön ..." oder so ähnlich, und wir ließen unsere Mundwinkel nach unten klappen. "Nee Kurt, das isses nicht! Da musst du dir was neues einfallen lassen", war unsere einhellige Meinung - mit "unsere" meine ich Nina und mich. Demmler tat das, was er in solchen Fällen immer tat: Er verteidigte seinen Text bis auf's Messer und stufte ihn förmlich in die Kategorie Jahrhundertwerk ein. Auf diese Weise hatte er es bestimmt auf viele Jahrhundertwerke gebracht. Nachdem alles Lamentieren zwecklos war und unsere Meinung sich in keiner Weise geändert hatte, machen wir den nächsten Termin: 9:00 Uhr, und zwar am nächsten Morgen. Und wieder saßen wir bei Demmler, und er zitierte abermals seinen Text. Diesmal aber hörten wir gespannter auf sein lautes Rufen, denn die Story begann mit einer interessanten Geschichte. Dann kam der Refrain: "Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael ..."! Wir lachten laut und wussten: "Das isses!" Diesen Song und weitere vier reichten wir beim Rundfunklektorat ein - das war die erste Hürde. Das Lektorat war überspitzt gesagt vergleichbar mit der spätmittelalterlichen Inquisition, wo es darum ging, eine Möglichkeit zu finden, die "erleichterte Aufspürung, Bekehrung oder Verurteilung" von Künstlern in die Tat umzusetzen - das habe ich früher mal gelernt. Da saßen meistens vier Personen in einem Raum des Rundfunkgebäudes in der Nalepastraße, von denen einer Klaus Hugo als Chefredakteur der Abteilung Tanzmusik für die musikalische Seite der Titel verantwortlich war. Da er zwanzig Jahre älter war als unsere Generation, urteilte er auch von diesem Standpunkt aus und war beim einfachen Tagesschlager stehen geblieben. Kamen Rockbands mit ihren Titeln, griff er zu seinen Herztabletten und hielt sich an der Tischkante fest. Weiterhin saß der Produzent einer Band mit am Tisch und konnte hinterher berichten, warum etwas nicht durchgegangen war. Zwei "Textsachverständige" waren auch mit in der coolen Runde: Der Poptexter Fred Gertz alias Fritz Räbiger und die Schriftstellerin und Texterin Gisela Steineckert. Das muss gegangen sein wie bei Gladiatorenkämpfen in Rom, wo die Stellung des Daumens über Leben und Tod entschied. Die Musik kam ja meistens durch, aber der Stolperstein war der Text. Da wurde eigentlich immer etwas gefunden, was nicht in den derzeitigen politischen Kram passte. Wir hatten in der DDR nicht nur gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen, sondern auch zwischen den Zeilen zu schreiben. Aber auch das half oft nichts, denn so blöd waren die ja auch nicht und wussten, wo sie ihr Veto einlegen konnten. Da hieß es für den Texter, noch mal ran und wieder vorlegen, bis der Daumen nach oben zeigte. Kurt Demmler hat bis zu vier Textvarianten liefern müssen, ehe es zu einer Produktion kam. Oft verstanden wir nicht, was man in einen Text wieder mal hineininterpretierte. Wehe dem, der einen Text mitbrachte, in dem es um das einfache Leben des einfachen Menschen in der einfachen DDR ging, und der das 1:1 beschrieb. Unsere Songs bestanden die Prüfung und bald darauf wurden sie produziert. Es war stilistisch gesehen von jedem etwas: Rockmusik, Funk, das Schmuselied, der Popsong und - die Gag-Nummer. Bei der Produktion des Farbfilms im Rundfunk Nalepastraße benutzen wir den Saal 2. Der war eigentlich seiner Größe wegen für Orchesteraufnahmen konzipiert worden, musste aber für uns herhalten, weil wir eine Newcomer-Band waren, die die Finessen eines Saal 4 nicht benötigte. "So böse stampfte mein nackter Fuß den Sand" hieß es in einer Strophe - wir benutzen ein großes Podest, das wir anhoben und wieder herunterfallen ließen, um den Stampf-Effekt zu erzeugen, der mit zwei Mikrofonen aufgenommen wurde. Der Tonmeister hatte auch Gefallen an dem Stück gefunden und war froh, aus dem Schlagertrott geweckt zu werden. Nina tat ihr Bestes und brachte z.B. auch den Koloratur-Gesang mit ein. Später griff sie gern auf diese Technik zurück. Ich kann leider nicht sagen, ob das für sie die Premiere war, was diese Stilistik anbelangt. Genauso ist noch immer die Frage offen: Wer hat Nina empor gebracht - Heubach oder Lakomy? Vor der Automobil-Zeit hatte sie als Greenhorn - oder besser Gesangs-Backfisch - mit Lacky gearbeitet, den Hit hatte sie aber durch mich! Noch Fragen? Ach nein, hier antwortet ja keiner, es ist ja ein Monolog. Also weiter.
Nach den Produktionen hofften wir insgeheim, der Rocktitel "Was denn" würde als erster im Rundfunk gestartet werden, dem aber war nicht so. Als Erster war in den Medien "Du hast den Farbfilm vergessen" zu hören! Uns hat's gewundert, aber die Leute vom Rundfunk hatten den richtigen Riecher und meinten: Den Farbfilm starten wir zuerst, der füllt eine Marktlücke. Natürlich legten wir heftigen Widerspruch ein, wir wollten ja schließlich eine Rockband sein. Das alles half nichts und der Farbfilm nahm seinen Weg.

Musikelektronische Träume
Die Musikindustrie behandelte elektronische Instrumente sehr stiefmütterlich. Zum einen, weil sie nicht wusste, wie man das zu bewerkstelligen hat und zum anderen, weil es kaum Bauteile dafür gab. Ein paar wenige Ingenieure schafften es, trotzdem das Beste herauszuholen. Da baute man ein elektromechanisches Tasteninstrument, das den Namen "Claviset" trug. Für 500,- Mark besorgte mir Christian Claus eins und nun hatte ich zwar kein Fender-Piano, aber wenigsten ein Mittelding zwischen Glockenspiel und Klavier. Natürlich konnte man keinem zeigen, dass man als Rockband auf einem Ostinstrument spielte, das dazu noch ziemlich hässlich war (siehe Foto rechts):

Mein Traum wäre ja eine Hammond B3 gewesen, aber dazu war kein Geld vorhanden. Da kam mir die Idee, von der Hammond das Gehäuse-Design zu verwenden und darin meine Farfisa-Orgel und das Claviset unterzubringen. Somit schlug ich zwei Fliegen mit einer Klappe und wer nicht genau hinsah, glaubte mich auf einer Hammond spielen zu sehen (wie das aussah, kann man auf dem nächstn Bild sehen).
Wir spielten den Pop-Gemüsegarten rauf und runter, suchten uns aber niveauvolle Titel aus - es sollte ja schließlich keine Rasiermusik und in der Auswahl nicht 08/15 sein. Nina sang Songs von Roberta Flack genauso wie Tina Turner's "Nutbush City Limits". Nur ich hatte da eine Schwierigkeit - ich besaß keinen Synthesizer, den man aber unbedingt bei diesem Titel brauchte, um sich dem Original annähern zu können. Da kam Problem Nummer zwei: Wie kann man das markante Synthesizer-Solo ohne Synthesizer spielen? Wie kann man den Portamento-Effekt imitieren, also das stufenlose Gleiten von Ton zu Ton? Die Rätsellösung war ein Tongenerator! Also wurde so ein Ding gebastelt. Schaltete ich ihn an, ertönte der tiefste erzeugbare Ton, der so um die 20 Hz lag. Nun musste ich mit der Hand ein Potentiometer nach rechts drehen, bis der gewünschte Ton gefunden war. Mit einigem Üben kriegte ich das hin. Dann wurde wie mit einer singenden Säge die Melodie mit dem Tongenerator "gespielt" man musste nur am Ende rechtzeitig ausschalten. Das alles machte ich mit links ... mit der linken Hand, meine ich natürlich, denn die rechte brauchte ich zum Spielen auf den Tasten des Clavisets! Aber was heißt hier spielen - ich drückte nur stumm die Tasten, während ich mit der linken Hand, die unter der Orgel das Potentiometer hielt, die Melodie "drehte". Der Trick hat immer geklappt! Manche fragten mich, was für ein Typ Synthesizer es denn sei, mit dem ich das Solo in Tina Turner's Song gespielt hätte. Ich habe etwas gemurmelt, das wie Moog-Ableger oder Nachbau klang, bis man mich zufriedenließ. Später habe ich mir bei AUTOMOBIL einen eigenen Synthesizer zugelegt. Zu dieser Zeit gab es nur wenige Fabrikate, die man sich leisten konnte. Irgendwer hat mir dann ein italienisches Modell der Firma Crumar mit dem Namen Compaq Synth aufgeschwatzt. Ich bestellte mir das billigste Modell, das mich trotzdem 10.000,- Mark kostete!

Zurück zu Nina: Sie sang also einige Songs, die dem Funk- und Soulbereich zuzuordnen waren. Spätestens da hörte ich, dass sie eins nicht hatte: den Blues. Was ist Blues haben? Hier beginnen die Schwierigkeiten. Bluesmäßig denken oder fühlen ist kein Denken im herkömmlichen traditionellen europäischen Sinn, es ist anders. Es gibt bestimmte Intervalle, die nicht genau der üblichen Intonation entsprechen, sie sind etwas tiefer oder etwas höher und bringen es dadurch zu einer Spannung, weil es eben "nicht ganz stimmt" und sich deshalb reibt (Hierbei handelt es sich um die Quinte bzw. Terz). Das ist nicht zu verwechseln mit Sängern, die ihre Töne nicht treffen und deshalb sagen, das ist halt Blues. Ich drücke mich jetzt bewusst einfach aus, denn mit musikwissenschaftlichem Kauderwelsch will ich jetzt keinen belasten. Bisher ist es noch niemandem gelungen, Blues in Worte zu fassen, man kann ihn nur spielen, singen oder eben fühlen. Derjenige, der den Blues hat, versteht auch, was ich meine. Habt ihr den Blues? Es gibt in Deutschland nur eine Handvoll Sänger oder Sängerinnen, denen diese Gabe in die Wiege gelegt worden ist, z.B. Joy Flemming. Nina gehört nicht dazu. Irgendwie scheint sie das erkannt zu haben und wendet diese Stilistik nur noch andeutungsweise an. Viel wohler fühlte sie sich bei den ironisch nachempfundenen Koloratur-Arien einer Opernsängerin. Beim Farbfilm gab sie damit ihren Einstand. Diese Gesangsweise packt sie handwerklich gut, und Handwerk kann man lernen. Den Blues nicht, den hat man. Wir sagten früher immer: "Den muss man im Ei haben", wobei sich das auch auf Sängerinnen bezog.
Mein Urteil über Nina ist nicht euphorisch, es ist

Je bekannter wir durch die Medien wurden, desto mehr ausgesuchte Muggen kamen auf uns zu. So waren wir z.B. im alten Friedrichstadtpalast in Berlin in einer Nachmittagsvorstellung mit zwei Titeln vertreten. Es war eine so genannte Revue, an der auch andere prominente Künstler teilnahmen. Man frage bitte nicht, wie hoch unsere Gage war! Nachdem wir alles in einen Topf gelegt hatten und durch sieben teilten, kamen 80,- Mark pro Nase heraus. Damit kann man leben, wird man denken, aber das Gesangsduo HAUF & HENKLER wurde besser entlohnt: Sie erhielten pro Aufführung 1.000,- Mark pro Nase. Aber das war noch nicht alles, denn sie hatten noch die Abendvorstellung und kamen so auf 2.000,- Mark. Das Gastspiel ging vierzehn Tage, das macht ... Ich will's nicht aussprechen, sonst müsste ich zu meinen virtuellen Herztropfen greifen. Aber immerhin, wir hatten auch einen kleinen Batzen verdient.

Nina, Egon Krenz und Biermann

Christian Claus sorgte immer für noch mehr und bessere Muggen, er war ständig unterwegs, um die Band vorwärts zu bringen. Deshalb war er weniger Saxophonist als Manager. Der Nachteil dabei: Er dachte auch wie ein Manager und nicht wie ein Musiker. Wir wurden auf diese Weise zur Vorzeigeband, machten z.B. bei der TV Jugendmagazinsendung "rund" mit, waren auf dem Titelblatt der DDR-Illustrierten Neue Berliner Illustrierte (NBI) und durften auch bei einer Zusammenkunft von hohen FDJ- und Parteifunktionären teilnehmen. Es war eine "Nachfeier" der Weltfestspiele und Gelegenheit, wieder einmal das FDJ-Beitragssäckel zu leeren. Den Alten passte sogar noch das FDJ-Hemd! Das ist ganz einfach zu verstehen - die älteren leitenden Semester in der "Jugendorganisation" waren mindestens in die vierzig und hatten oft den Bauch der Schlaraffenland-Kommunisten: Dick und fett! Die FDJ-Hemden wiederum waren so geschnitten, dass solche Menschen darin Platz finden konnten. Es schien, als hätte man immer an die Zukunft gedacht und deshalb gab's auch das FDJ-Hemd-Lied, passend zum Bauchumfang: "Du hast ja ein Ziel vor den Augen ..." Ich gebe zu, es machte schon Spaß, bei Banketten sich die besten Happen raussuchen zu können und ständig die besten Getränke von dargereichten Tabletts zu nehmen. Wir kamen sogar mit Oberfiesling Egon Krenz zusammen, als wir gemeinsam im Fahrstuhl fuhren. Nina hat ihn dabei ganz frech (oder naiv?) gefragt, wann wir denn nun endlich mal im Westen spielen könnten, und der hat nur etwas von einer Lossagung Ninas von Wolf Biermann gefaselt. Und sowas hat dann den Honecker abgelöst! Na, vom Regen in die Jauche ... Aber mit Biermann hatte Nina ja immer Kontakt gehabt, bis man ihn 1976 nach einem Gastspiel in Westdeutschland nicht mehr rein ließ. Als Nina und ich einmal zu später Stunde ihre Mutter besuchten und sie schon im Bett war, fanden wir Biermann bei einem Gläschen Wein und Kerzenschein vor. Nina stellte mich vor, machte bla bla, und wir setzten uns. Er fing an, Gitarre zu spielen und zu singen. Es war schon ein Erlebnis, den berühmten Wolf ohne seine sieben Geißlein allein im Wohnzimmer vor sich zu haben. Er spielte, als wären es hunderte, die ihm zuhörten. Und er spielte gut! Und er sang gut. Es war eine Show nur für uns. Am Schluss machte ich einen virtuellen Knicks und wir gingen wieder hinaus ins Leben, das Leben in der Ladenwohnung. Als ich ihn fünfzehn Jahre später im Wendejahr im "Haus der jungen Talente" zu einem Konzert wiedersah, war der Glanz vorüber. Übrig geblieben ist ein einsamer Narzisst, der nach Huldigung lechzt, Huldigung durch das Volk.

Kapitalistisches Filmeinlegen
Durch den Farbfilm wurde die Filmfabrik VEB ORWO Wolfen auf uns aufmerksam. Die nächste Leipziger Messe im März 1975 stand ins Haus und dafür benötigte man ein Werbefoto. Gleichzeitig braucht AUTOMOBIL Plakate in Farbe und die waren in guter Qualität schwer zu haben. So wollte Christian Claus einen Deal mit ORWO machen: Werbefoto gegen Plakate! Der Köder war unser Farbfilm-Hit - ORWO biss an. So fuhren wir nach Wolfen und statteten dem Betrieb einen Besuch ab. Nach einem Essen in Form eines Bankett light und der anschließenden Foto-Session lud man uns ein, den Betrieb etwas näher kennenzulernen. Alles verlief ohne Komplikationen, bis wir zu jener Kammer kamen, wo Mitarbeiter in einer 8-Stundenschicht in absoluter Dunkelheit Filme einlegen mussten. Dafür erhielten sie weniger als 500,- Mark Lohn. Nina kommentierte das mit: "Det is ja Sklavenarbeit, is dette!" Natürlich kann sie auch etwas anderes gesagt haben, aber sie brachte auf alle Fälle auf sehr unkonventionelle Art "ihren Unmut zum Ausdruck". Da wurden Vergleiche gezogen mit dem kapitalistischen Ausbeutersystem oder daran erinnert, dass es zu Zeiten von Herrn K. Marx ähnlich gewesen ist. Dann packte sie ihre sieben Sachen und verschwand. Eigentlich wussten wir, dass sie recht hatte, wir waren aber trainierte DDR-Bürger und erkannten, wann wir das Maul zu halten hatten. Sie aber hatte wahrscheinlich an einem Biermann-Trainingslager teilgenommen und die Erkenntnisse gleich mal in der Praxis angewendet. Aufzufinden war sie dann auf dem Klo und partout nicht aus dieser Örtlichkeit rauszukriegen. Nur Matthias Neumann gelang es dann auf christlich-theologische Art, sie zum Aufgeben zu bewegen. Trotzdem wurde das Werbefoto auf der nächsten Messe gezeigt.

Der "Vorgang", wie die Stasi so etwas bezeichnete, war natürlich am nächsten Tag bereits in Berlin Thema Nummer eins! Die Genossen setzten sich zusammen, Gespräche mit Moskau wurden geführt, Breschnew vom Klo geholt und in Erwägung gezogen, den Warschauer Pakt in Alarmbereitschaft zu versetzen, weil die NATO mit einem Einmarsch in die Kastanienallee drohte. Ja, liebe Nina, das hatten wir alles nur dir zu verdanken ... Das ist fiktiv, ich gebe es ja schon zu. Aber die Mächtigen beschlossen, AUTOMOBIL und Sängerin nicht in den Westen reisen zu lassen. Nach zwei Jahren waren Nina und Matze Neumann trotzdem im Westen angekommen - ein Ausreiseantrag hatte es möglich gemacht. Es gäbe noch einige Ereignisse, die sich zu berichten lohnen, was hier aber zu weit führen würde.
Wenn es damals schon Boulevardblätter gegeben hätte, wäre sicherlich zu lesen gewesen, "Der Gitarrist 'Kade' sei ein lieber Trottel, in den sich Nina mal verknallt hatte". Platonisch zumindest, denn außer einer Schwärmerei ob seiner Trotteligkeit blieb nicht viel übrig. Er war eben ein schräger Typ und auf so was stand Nina. Kurz vor Weihnachten 1974 hatten wir eine Veranstaltung im Dresdner Kulturpalast, nämlich das Schlager-Highlight "Einmal im Jahr". Dazu muss man wissen, dass es eine monatliche Sendung im DDR-TV gab, die den Titel "Schlagerstudio" trug und der Ostableger von Dieter Thomas Hecks "Schlagerparade" war. Die jeweils besten einer Sendung kamen am Jahresende zum Endausscheid, der den Titel "Einmal im Jahr" trug. Natürlich waren wir auch dabei. Einen Tag vor der Fernsehaufzeichnung gab es immer eine Generalprobe vor einem Publikum und da räumten wir ab (Entschuldigung, ich werde euphorisch)! Zum ersten Mal habe ich erlebt, wie sich ein Publikum wirklich freuen konnte, und zwar so ein Schlagerfuzzi-Mitklatschpublikum, von dem alle nicht den Blues haben, weil sie nur auf jeden ersten und dritten Schlag einen Klatscher machen, eben deutsch ... Jaja, ich komme zum Thema, aber das mit dem stupiden Mitklatschen regt mich immer wieder auf!
Nina trat in einem selbst ausgedachten Fantasiekostüm auf, trug einen breiten Hut und war fast clownesk geschminkt. Sobald sie das rote Licht an einer auf sie gerichteten Kamera entdeckte, das Aufnahme bedeutete, nahm sie Reißaus. Das zog sie eine ganze Weile durch und versteckte sich sogar mal kurz unter der Bühne. Wir schütteten uns aus vor Lachen, denn das war nicht geplant und war ein spontaner Einfall Ninas. Keine Frage, als es um die Bewertung ging, wer zur Nummer eins wurde, und zwar vom "Volk" gewählt: Nina Hagen und AUTOMOBIL. Klar, wenn in der DDR etwas vom Volk gewählt wurde, ging das nicht mit rechten Dingen zu und musste gradegerückt werden. Das dicke Ende kam noch. Nebenbei bemerkt: Ich trug auch meinen kleinen Teil zum Erfolg bei, wusste ich doch, dass die Kamera mich beim Intro im Visier hatte. Ein schnöde Achtel spielender Pianist ist langweilig. Drum drehte ich mich nach zwei Takten zur Kamera hin und zwinkerte mit einem Auge. Damit wollte ich eigentlich nur demonstrieren, dass man alles nicht so ernst nehmen sollte. Ich war seitdem für manche Leute, die das im Fernsehen verfolgt hatten, "der Zwinkerer". Eine alte Dame aus meinem Haus fragte mich mal, ob ich ihr zuggezwinkert hätte. Das erinnerte mich an meine Großmutter in den letzten Jahren ihres Lebens: 1969 schaffte meine Mutter einen Fernseher aus zweiter Hand an und Oma saß abends davor. Wenn eine Moderatorin ihre Ansage machte und ich auf dem Sofa lümmelte, sagte sie: "Wie sitzt denn du da! Was soll die denn von dir denken, die sieht dich doch!" Darauf hielt ich ihr einen sehr populärwissenschaftlichen Vortrag über das Fernsehen und erkläre ihr, dass sie zwar die Fernsehmoderatorin sehen könne, diese aber sie nicht. Irgendwann sagte sie dann: "Habe ich verstanden! So, und nun setz' dich ordentlich hin, sie guckt dich schon wieder an!" Und dann zog sie ihren Rock grade und richtete ihr Haar.
Hierarchie der Prominenten
Als es nach der Generalprobe zu einer Auswertung kam, an der alle maßgeblichen Personen von der Regie bis hin zur Parteileitung teilnahmen, flogen die Fetzen: Das Favoriten-Schlagersülz-Duo HAUF & HENKLER legte ihr eigentlich nicht vorhandenes Veto ein! Es könne doch nicht sein, dass so eine Newcomer-Band mit einer ebenso Newcomer-Sängerin ihnen den 1. Preis wegschnappte! Da hätten sie ja völlig umsonst am Arsch der Künstleragentur, des Fernsehintendanten und der Staatsmacht überhaupt geleckt, und auch ihr falsches Grinsen hätte nichts genützt. Da auch die Kulturfunktionärsmafia mit gewissen Künstlern paktierte, wurde am nächsten Tag, wo es um die Schlager-Wurst ging, der Gruppe AUTOMOBIL ein "Nachwuchspreis" zugesprochen, Nummer eins waren natürlich HAUF & HENKLER. Trotzdem hatten wir auch an diesem Tag den meisten Erfolg, denn Nina zog ihre Weglaufshow von der Kamera wieder durch. Es existiert noch ein TV-Mitschnitt davon, auf dem man das teilweise verfolgen kann. Ich merke, ich bin schon wieder bei der Musik gelandet! Ich wurde schon öfter wegen des Michael im Farbfilmtext angesprochen, ob ich damit gemeint sei. Demmler hat sich dieser Antwort freiwillig durch Suizid entzogen und auch ich kann nur mutmaßen. Doch nehme ich an, dass er irgendwas geahnt hat. Durch unseren Bekanntheitsgrad und durch den Namen ihrer Mutter Eva Maria Hagen profitierte auch Nina und es kam zu einem Filmangebot. Klaus Gendries suchte für den Film "Heut ist Freitag" eine junge Schauspielerin, die er in Nina auch fand. Mit dabei und ebenso jung war der Schauspieler Dieter Montag, der heute zu den Top-Leuten seines Fachs zählt.
Ninas Ausstieg
Ich durfte zu diesem Film meine erste Filmmusik schreiben! Ich bekam einen großen zentnerschweren Videorekorder nach Hause geliefert und komponierte mit dessen Hilfe die einzelnen Tracks. Für jeden Track machte ich eine andere Musik und wollte zeigen, wie vielseitig ich doch sei. Die Musik wurde im Babelsberger Tonstudio im Dezember 1974 unter steinzeitartigen Bedingungen eingespielt. Wir hatten dafür drei Tage Zeit. Im Drehbuch war auch ein Text, den ich vertonte und den Nina am dritten Tag einsingen sollte. An diesem Tag erschien aber keine Nina und sie war auch telefonisch nicht zu erreichen. Heute hätte man gesagt, sie hätte ihr Handy abgestellt. Also brauchten wir dringend Ersatz, doch woher sollte der kommen? Am Schluss fanden wir in dieser prekären Situation einen Ausweg: Veronika Fischer, genannt Vroni, eine der besten die wir hatten! Sie hatte Zeit, kam nach Babelsberg, ich übte mit ihr am Klavier die Melodie ein, sie ging vor's Mikro, sang und fertig war der Titel "Wasser und Wein"! Dieser Song fiel mir beim Gitarrenspiel ein, daher rührte auch die gitarrentypische Akkordfolge des Intros. Das war also unser nine-eleven-2001-Tag, der 9. April 1975, an dem das passierte!
Ich glaube, Nina hat sich später bestimmt geärgert, dass sie diesen Song nicht noch mitgenommen und erst hinterher die Band verlassen hat. Ich nahm dieses Lied mit zu LIFT, wo es eines der bekanntesten Lieder dieser Band wurde. Anfang der 90er griffen sogar die Puhdys danach und produzierten davon ihre eigene Fassung. Sie waren die erste Gruppe, die das Selbstbewusstsein besaß, eine DDR-Band zu covern! Das erfüllte mich mit einem gewissen Stolz und zwar nicht deshalb, weil ich von den Puhdys auserwählt wurde, sondern dass ich das tolle Gefühl hatte, von anderen gecovert zu werden. Heute gehört so etwas zum Szene-Alltag.
In der Gerüchteküche wurde ja auch damals schon so allerlei gemunkelt, was ich mit der Nina so gehabt hätte. Angeblich soll unser zerbrochenes Verhältnis eine der Ursachen gewesen sein, weshalb Nina die Band verlassen hatte. Die Rockgeschichte sagt uns, dass es kein gutes Ende nimmt, wenn in einer Rockband eine Paarbeziehung auf Dauer auftritt. Der Klassiker ist John Lennon/Yoko Ono oder Paul McCartney und seine Frau Linda. Entweder es hat die Band auseinander gebracht oder die Kreativität litt darunter. Davor bin ich nun geschützt worden - Nina hat AUTOMOBIL sitzen lassen. Und mich natürlich auch.
Die Abteilung Mutmaßungen macht sich für die Klatschspalten immer ganz gut. In einem Magazin gab's mal einen Beitrag über mich, wo das Thema Trennung von Nina angesprochen wurde. Dem Schreiberling hatte ich vorher mal einen Brief gezeigt, den Nina nach unserer Trennung mir geschrieben hatte. Daraus hat er bestimmt irgendwelche Schlussfolgerungen gezogen.

Das war noch nicht das Ende von AUTOMOBIL, die Hoffnung stirbt zuletzt! Der Erste, der ausstieg, war Kade. Das war kein Verlust, denn es kam Kuno dafür. Das Einzige, was sie gemein hatten, war der Buchstabe K in ihren Familiennamen. Kuno (Christian Kunert, Anm. d. Red.) war ein kaputter Typ, aber er konnte handwerklich viel mehr vorweisen als sein Vorgänger. Er sang bei uns Ray Charles' "Hit the Road Jack" und imitierte ihn dabei mit seiner Karo-verrauchten Stimme. Bei diesem Stück hatte er ein langes Gitarrensolo, das zu den erfolgreichsten Nummern unseres Programms gehörte. Kuno als Sohn eines Alkoholikers trat in die Fußstapfen seines Vaters und trank dementsprechend viel. Manche Hoteleinrichtung musste deshalb vor ihm geschützt werden. Die Suche nach einem neuen guten Sängers war wieder wie nach dem Ausstieg von Bürkholz und Geißler, nämlich erfolglos. Das Unternehmen AUTOMOBIL war zum Untergang verdammt. Wir machten trotzdem mit verschiedenen Sängern weiter, doch das ergab nichts Halbes und nichts Ganzes. Am Schluss machte der Letzte das Licht aus.
Und noch ein Ereignis: Ich wurde von dem Musikmagazin "Melodie & Rhythmus" zum besten Organisten des Jahres 1974 gewählt und war deshalb gleichzeitig der beste Organist von 17 Millionen DDR-Bürgern! Kling gut, nicht wahr? Ich bekam den Titel aber nicht wegen meiner flinken Finger, sondern wegen meiner Popularität als Farbfilm-Anhängsel. Aber statistisch macht sich so etwa immer ganz gut, oder?
Einführung einer alternativen Währung
Suhle war auch der, auf dem man sich immer verlassen konnte. Auch wenn mal der Geldsegen nicht gerade üppig aus der Muggenkasse rieselte, er gab auch seine letzten Zwanziger, wenn Not am Mann war. Da gab es einen Typen in Leipzig, der Addi hieß und sich gern Geld borgte, ohne es zurückzuzahlen. Das machte er auch mit Suhle, was folgenden Dialog zur Folge hatte: "Wann krieg' ich'n mein' Zwanziger zurück, Addi?", fragte ihn Suhle. "Morgen, garantiert, Ehrenwort, großes!" Jedes Mal, wenn sie sich trafen, wurde das "morgen" ausgesprochen und Suhle rannte seinem Zwanziger noch lange hinterher. Als er uns einmal davon berichtete, fragten wir ihn später: "Na Suhle, haste denn deine Addi schon erhalten?" Damit wurde Addi das Synonym für den Zwanziger. So fragte ich manchmal: "Wie viele Addis gab's denn heute?" und "acht" war die Antwort, also 160,- Mark. Seit dieser Zeit trug ich mein verdientes Geld immer in der Addi-Währung in meinen Taschenkalender ein.
Teil 7
Der siebte Teil beschäftigt sich mit Michaels Einstieg bei der Gruppe LIFT. Der Autor klärt uns außerdem auf über das "Gagolytische Knospel", über die Entstehung von Spitznamen, Auslandstourneen und Erlebnissen mit den Musikerkollegen. Auch erzählt Michael erstmals von seinem "Putsch-Versuch" ;-) Aber lest selbst...
Lehr- und Wanderjahre: LIFT
August 1975. Ich erhielt ein Telegramm aus Dresden. Absender war mein späterer Bandleader und Freund Gerhard Zachar. Der suchte für seine Band LIFT einen anderen Keyboarder und dafür hatte er mich auserwählt. Eigentlich konnte er mit seinem Tastenmann zufrieden sein, aber nein, ehrgeizig wie Gerhard nun mal war, wollte er immer das Beste. Die Auswahl an guten Tastenspielern, die auch noch komponieren konnten, war nicht sehr groß, die wenigen spielten fest in irgendwelchen Top-Bands. Die Gerüchteküche meldete ihm, Automobil sei zu einer Muggentruppe verkommen, bei der man kein musikalisches Licht mehr am Ende des Pop-Tunnels erkennen konnte. Das alles gab den Ausschlag, mir das Telegramm zu schicken, um erste Vorgespräche in Gang zu setzten.
Es war an meinem Geburtstag im Oktober 1975, als ich mit der Gruppe LIFT meine Premiere feierte. Ich kann mich daran nicht mehr genau erinnern und weiß nur noch, dass der Ort, in dem wir spielten, Düben hieß und in der Nähe von Dessau lag. LIFT hatte zu dieser Zeit keinen besonders spektakulären Namen in der Szene, aber immerhin hatten sie einen Hit, den ihr Keyboarder Franz Bartzsch geschrieben hatte: "Wind trägt alle Worte fort". In dessen Fußstapfen sollte ich nun treten, denn sein Nachfolger hatte den Platz an den Tasten noch nicht sehr lange inne. Franz war auch mein Vorgänger bei der Horst-Krüger-Band, ehe ich dort einstieg. Ich wurde bei LIFT auch mit einer Polen-Tournee geködert, die schon Anfang Oktober stattfinden sollte. Was wollte ich also mehr, hatte Zachar mir doch die Musiker beschrieben, mit denen ich zusammenspielen würde: Der Sänger Stephan Trepte, der mit dem Gitarristen Peter Sandkaulen von der Sachsen-Promi-Band electra kam, weiterhin der Allround-Musiker Till Patzer, der meistens an Saxophon und Flöte zu finden war, und der singende Drummer Werther Lohse, der vor fünfhundert Jahren bei Malern als Jesusbildnis hoch gehandelt worden wäre. Alles in allem gute Musiker, die auch Noten lesen konnten und schon mal was von Dur und Moll gehört hatten. Damit war klar - ich sagte zu!
LIFT brauchte wie alle Bands, die es zu Rundfunk- oder Schallplattenproduktionen bringen wollten, einen Komponisten oder Songwriter, also einen "Schreiberling" - und hier beginnt zum ersten Mal das LIFT-Inzucht-Deutsch. Da muss ich voran stellen: Jede Band entwickelt mit der Zeit durch ständiges Zusammensein im Proberaum und auf Tour ihre typischen Gewohnheiten und auch Wort-Neuschöpfungen. Unter anderem wurde bei LIFT so eine Geheimsprache entworfen, die das "Gagolytische Knospel" genannt wurde. Leider bestand sie nur in der Anfangszeit und entsprechende Wörterbücher existierten nicht. Aber wir sprachen von den "LIFTlingen", erfanden Kunstwörter wie "Mummplinge" oder das Attribut "gagetisch". Oft gibt es dafür ein Schlüsselerlebnis, das nur die Bandmitglieder kennen und die deshalb ohne viel Aufhebens zu machen an Stellen lachen, wo Musiker einer anderen Band nichts mit anfangen können. Bei Bürkholz war Suhle der Mann, der viele Kunstnamen geschaffen hat und die ich jetzt manchmal noch verwende, wenn mir kein passendes Synonym einfällt. Mit "Kurt Eimer" schuf er einen Allgemeinplatz, der heute "Max Mustermann" heißen würde. In dieser Art folgten noch viele Namenskombinationen wie "Elvira Gängig" für Nutte, die wahrscheinlich in keinem Telefonbuch auftauchten.
Aus dem Bandalltag heraus entstanden auch Spitznamen, deren Herkunft oft nicht mehr nachvollziehbar sind, man sich aber seinen Reim drauf machen kann, wie es dazu kam. Stephan Trepte z.B. wurde "Leckedeck" genannt. Man kann unschwer das Wort lecken darin entdecken und wenn man seinen Hang zum weiblichen Geschlecht kannte, war es nur eine Frage der logischen Kombination, wo hier die Ursache der Namensgebung lag. Der Gitarrist Sandkaulen hieß mit Vornamen Peter. Wer nennt einen Gitarristen der Rockszene schon "Peter" wo der Name doch vollkommen unamerikanisch klingt, wenn man ihn nicht Pieter ausspricht? So machte man aus Sandkaulen einfach und schlicht "Keule" und das passte auch zu ihm. Es ist möglich, dass er diesen Namen schon seit seiner Schulzeit mit sich rumschleppt.
Mir wollte Petko, der Saxer der Horst-Krüger-Band, den Spitznamen "Fliege" verpassen, weil ich einmal einen Witz erzählte, bei dem es um eine Fliege ging. Da er der Einzige war, der den Spitznamen gelegentlich gebrauchte, verlief sein Ansinnen bald im Sand. Auch bei Renft wollte mir Cäsar einen Spitznamen verpassen: "Bemme". Ich war ja der Typ, der beim Treffen vor der Mugge im Ratskeller sein Brot mitbrachte, um Geld für den Orgelkredit zu sparen. Ja Cäsar, du weißt ja selbst, es war eine Luftnummer ...
Daran sieht man, ein Spitzname muss sich freiwillig in den Sprachschatz integrieren und welche Gesetzmäßigkeiten da eine Rolle spielen, ist noch nicht erforscht. Wahrscheinlich sitzt schon ein Typ in Harvard und arbeitet an seiner Promotion zu diesem Thema! Ich selbst wurde bei LIFT auch namens-vergewaltigt. Bisher nannten mich die meisten Micha. In der Schulzeit oder in schwachen Stunden mit einem Mädel wurde auch mal ein Michi gehaucht, aber das war's schon. Nun begann man aus einer nicht ausgesprochen Faulheit heraus, den Namen Heubach ein Stück abzuschneiden und ein Verniedlichungs-i hinzuzufügen: Heubi. In den drei Jahren, die ich mit LIFT verbrachte, mutierte Heubi am Ende zu dem einfach und schlichten, wenn auch nicht besonders elegant klingenden Heu. Alle die mich aus dieser Zeit als Heubi kennen, sprechen mich noch heute so an, die Heu-Variante ist selten geworden, Gott sei Dank. Einem der Techniker, der ein breites Sächsisch sprach, verpassten wir den Namen "Jaupel", was auf eine unverständliche Äußerung seinerseits zurückzuführen war. Wenn wir nach ihm riefen, wurde das "au" besonders breit und lang gezogen, und jeder Ur-Sachse hätte verständnisvoll mit dem Kopf genickt. LIFTs Bandchef Gerhard Zachar wurde zum "Alten". Er war zwar Baujahr 1945, hatte aber rein äußerlich bis auf seine Halbglatze nichts mit einem Menschen zu tun, den man als alt bezeichnen würde. Der Name kam von einem Witz, den er mal erzählte:
Sitzen zwei alte Männer auf einer Parkbank und dösen vor sich hin. Da dreht sich der eine zum anderen hin, stupst ihn mit seinem Ellenbogen an und sagt mit zahnlosem Mund: "Eh, du da, ... kennste mich nicht mehr? ... ich bin doch der alte ... der alte ... der alte ..."
Und spätestens jetzt zog Zachar Ober- und Unterlippe über seine Zähne und sprach mit immer leiser werdender Stimme: "... der alte ... der alte" und schaut nachdenklich dement an die Zimmerdecke.
Gerhard trug den Witz mit der entsprechenden Mimik und Gestik vor und wir klopften uns auf die Schenkel vor Lachen. Bald machten wir ihn nach und formten unsere Münder auch wie Gebissträger, die das gute Stück aber gerade in ein Wasserglas geparkt haben, und sagten: "Ich bin doch der alte ... der alte..." Irgendwann ergab sich, dass wir dann Gerhard mit "der Alte" anredeten. Bloß gut, dass zu dieser Zeit das Wort "Alter" noch nicht so inflationär gebraucht wurde wie dreißig Jahre später, wo jeder Viertel- und Halbwüchsige mit "Eh, Alter" seinen drei Jahre jüngeren Bruder meint. Und mit der Fernsehserie im Zweiten hatte "Der Alte" auch nichts am Hut. Der Alte war Micky-Maus-Fan und liebte insbesondere Donald Duck. Als junger Mensch ist er irgendwie an die Hefte rangekommen und hat sie förmlich verschlungen. Klar, Radio und TV aus dem Westen hatte man in der Dresdner Ecke bzw. Glauchau, seinem Geburtsort, nur bei ausgesprochenen Überreichweiten. Also war so ein Comic schon eine schöne Abwechslung und ein Stück spätkindlich gefühlter Freiheit. Am meisten liebte er die Sprechweise der Protagonisten, die viele Begriffe mit der Endung -ing hatten. So projizierte er sein gelesenes Micky-Maus-Leben in die Realität und erfand die LIFTlinge und auch die Schreiberlinge, womit der Kreis, der mit den LIFTlingen begann, wieder geschlossen ist ... Den Begriff "Schreiberlinge" las ich erst Jahrzehnte später in einem Buch und ich bin mir nicht sicher, wer hier von wem geklaut hat.
Natürlich bediente er sich im Alltag auch lautmalender Wörter wie "wuff!", "peng!" oder "krach!", was auf seine Familienmitglieder abfärbte - Frau und Kind taten es ebenso und tun es noch heute! Das sind die Spuren, die Weltliteratur hinterlassen kann! Wuff!
Unser Repertoire war ein Gemisch aus liedhaften Songs, Funk, Rock-Jazz, Art-Rock und Pop. Teilweise wurden Songs aus dem alten LIFT-Repertoire übernommen oder neue geschrieben. So brachte ich die "Tagesreise" und "Wasser und Wein" mit und schrieb einen Instrumentaltitel mit dem bezeichnenden Namen "Graf Öderland" nach der Erzählung von Max Frisch. Ich freute mich immer diebisch, wenn bei "roten" Veranstaltungen der Titel und der Autor Frisch genannt wurde, denn man sah es nicht so gern, wenn westliche Autoren laut auf der Bühne verkündet wurden. "Graf Öderland" brachte den Alten an seine bassspielerische Leistungsgrenze, denn da musste er Passagen spielen, die schon einen virtuosen Basser erforderten. Es war eine Jazzrock-Nummer, wo jeder zeigen konnte, was er drauf hatte. Gleichzeitig war es ein Stück der Entspannung, denn beim Schlagzeugsolo konnten wir hinter der Bühne verschwinden, während der Drummer sein Letztes gab.
Ein weiteres Instrumental war Chick Coreas "Hymn of the Seventh Galaxy", damals eine äußerst progressive und technisch herausfordernde Nummer, die das Herz aller Jazzrock-Fans zum Lodern brachte. Dieses Stück war oft das Intro unseres Konzertes, da wussten die Leute, was sie zu erwarten hatten. Wir hatten damit immer Glück - aber nur, wenn wir im eigenen Land spielten. Warum? Hier die Erklärung mit Einführung:
Der erste Auftrittsort bei unserer ersten Polen-Tournee war an der Ostseeküste in einem Nest, dass Chodiez hieß; ich kann's aber nicht beschwören. Wir spielten in einem Saal, den ich wie den Speiseraum eines VEB-Betriebes in Erinnerung behalten habe. Drei Meter vor uns saßen die ersten Leute und hier muss ich Leute sagen, denn es war ein kunterbunt gemischtes Publikum. Auf den Plakaten wurden wir als Estradenorchester oder ähnlich angekündigt. In der ersten Reihe sahen wir Mütter mit Kleinkindern auf dem Schoß, die sich ihren ersten Gehörschaden wegholten, denn wir spielten - Chick Coreas "Hymn of the Seventh Galaxy"! Polen galt ja als progressives Jazz-Land, was sich aber noch nicht bis zur Küste rumgesprochen zu haben schien. Erst ein Mainstream-Song besänftigte die Leute im Saal. Wir hätten uns darauf einstellen sollen, aber wer glaubte schon, so ein Publikum vorzufinden? Wir schliefen auch in diesem Ort in einem Hotel, das eben ein polnisches Hotel war und den üblichen Standard aufwies, nämlich ziemlich mumpflig, wie wir es im LIFT-Deutsch sagten. Aber hinter dem Tresen, wo die Alkoholflaschen aufgereiht standen, sahen wir eine Weinsorte, die wir nicht kannten: Málaga! Irgendwie hatte ich den Namen schon mal gehört, aber das war auch schon alles. Natürlich machten wir an diesem Abend eine Verköstigung dieses Getränkes und waren hellauf begeistert. Hielt man das Glas etwas schräg, konnte man sehen, welche ölgleichen Spuren der Dessertwein am Rand hinterließ. Eine Flasche kostete weniger als zehn Mark, also legten wir uns einen privaten Vorrat an. Ich selbst nahm zwei Flaschen mit nach Leipzig und zwei Jahre später dieselben mit nach Berlin. Ich fand keinen Anlass, eine Flasche zu öffnen, denn es waren noch Ost-Zeiten und dieser Wein war eine Rarität, und daher fungierte er eher als Anschauungsstück für eine Vitrine als zum schnöden In-die-Birne-Kippen. Elf Jahre später wurde die erste Flasche geköpft - zu meiner zweiten Hochzeit mit Ulrike H., und das war sie wert. Der Inhalt schmeckte noch vorzüglich. Mit der zweiten noch vorhandenen Flasche hätte ich mir fünf Jahre später die Scheidung versüßen können, aber das wäre eine rausgeschmissene Flasche gewesen. Also steht sie noch heute und wartet auf einen Anlass. Und noch sieht es gut aus für sie, dass sie nicht geköpft wird.
Eigentlich war LIFT anfangs auch im Wesentlichen eine Cover-Band, denn wir spielten viele Titel nach, weil es uns Spaß machte und um beim Publikum gut anzukommen. Keule war als Sänger für Jethro Tull prädestiniert, kam sein Timbre doch des Leadsängers Ian Andersons ziemlich nahe. Außerdem konnte Till mit der Flöte die charakteristischen Ian Anderson-Phrasen nachspielen. Werther Lohse sang an den Drums "A Whiter Shade of Pale", das ihm besonders lag - Jesus hätte es nicht besser gesungen. Für Leckedeck war das wiederum nicht so einfach, einen internationale Solisten zu finden, der ähnlich wie er sang, hatte er doch ein eigenes Timbre, das in keine Schublade passte - es war eben Trepte, der da sang! Bei "Livin' For The City" wollte er auch mal in die Gesangsstilistik eines Stevie Wonder schlüpfen, aber so richtig zu Hause war er da auch nicht. Das spielte aber letztendlich dann doch keine Rolle, denn die Leute im Saal kannten den Song und nahmen ihn uns deshalb auch ab.
Ich selbst hatte keinen Titel, den ich singen konnte und das war auch gut so. Bei Bürkholz habe ich das letzte Mal einen Titel gesungen, bei dem die Mädchen alle den Saal verließen. Komisch, es gab trotzdem keinen Andrang am Damenklo. Wir coverten damals "If I Were a Carpenter" von Bobby Darin zur stimmlichen Entlastung von Hansi Beyer und ich sang ein sehr fantasievolles Englisch. Naja, auf alle Fälle hatte ich mir Mühe gegeben und beim letzten Refrain sind die Mädels auch wieder reingekommen. Wahrscheinlich dachten sie, der ist schon fertig...
Über Covern und Mitschnitte
An dieser Stelle möchte ich mal etwas zum Covern loswerden: Wenn zu der damaligen Zeit Titel gecovert wurden, sollte das Stück bis zum letzten Ton dem Original entsprechen. Dazu brauchte man zwei Dinge: Eine gute Aufnahme vom Tonband oder Schallplatte und einen, der die entsprechenden Ohren hatte, um eine 1:1-Kopie zu erstellen - einen guten Arrangeur also. Das wurde in den Bands verschieden gehandhabt, oft musste sich jeder Musiker seine Stimme selbst raushören und das führte manchmal zu fatalen Ergebnissen. Wenn ich heutzutage Titel von damals im Radio höre, bin ich nicht schlecht erstaunt, was da noch für Instrumente mitgespielt haben, die aber im Bandrauschen untergingen. Oft sind diese Aufnahmen heute auch noch geremixt worden, was die Sounds noch plastischer erscheinen lässt, und vor allem hohe Frequenzen treten mehr in den Vordergrund.
Ich hatte als junger Mensch ja meine Radio Luxemburg-Mitschnitte und die waren eigentlich frequenzmäßig katastrophal. Und das kam so: Mein Vater hatte im Zentralhaus für Kulturarbeit alte Tonbänder abgestaubt, die für Bandmaschinen konzipiert waren, die eine 76 cm/s Bandgeschwindigkeit voraussetzten. Mit diesen Vollspurgeräten wurden wahrscheinlich schon die Reden von A. Hitler aufgenommen. Diese Bänder setzte ich für mein Qualiton-Tonbandgerät ein, das mir 9,5er, 4,7er und 2,35er Geschwindigkeit lieferte. Mir war egal, dass die Bandqualität bei einer Geschwindigkeit von 2,35 cm/s einem Gleiten auf Sandpapier gleichkam. Mit diesem Tempo nahm ich nämlich meine Songs auf, denn da passten ja so viele Titel auf jede Seite einer Spule! Ich habe mich immer gewundert, wo der feine braune Staub herkam, der an den Tonköpfen auftauchte. Ich muss hier aber mal bemerken, dass es keinen Menschen gab, der mir diesbezüglich Ratschläge erteilte. Das Medium Tonband war für die meisten in der DDR noch eine ganz neue Angelegenheit. Wir waren ja froh, dass es schon UKW gab, auch wenn ich erst später in den Genuss kam, Stereo-Sendungen zu hören.
Wegen der miesen Bandqualität hätte ich nicht mal im Traum daran gedacht, was die Beatles alles in einen Song reingepackt hatten: Da gab es Becken, Perkussionsinstrumente, mehrstimmigen Gesang, Naturgeräusche und auch viele räumliche Effekte, die nicht mal zu ahnen gewesen sind. Hier war aber wiederum ein Vorteil für die Bands, die damals einen Titel coverten: Die Mehrheit hatte auch keine besseren Abhörbedingungen als der Musiker und gab sich mit dem zufrieden, was er hörte.
Wie sah's nun in den Bands aus? In den wenigsten Fällen gab's den Schreiberling, der die Abschreibarbeit übernahm und alle Stimmen raushörte. Wir stellen uns damals nicht die Frage, warum eigentlich das Original "original" nachgespielt wurde und warum man keine eigene Fassung vom dementsprechenden Stück kreierte. Im Jazz war das kein Problem, da gab es kein Nachspielen im 1:1-Format. Nein, da musste man seine eigene Version eines Stückes abliefern! Da gab es auch keine Tabus bezüglich der Besetzung - man hätte ein komplettes Bigbandarrangement für Piccoloflöte und Triangel umarrangiert! Es mussten erst viele Jahre ins Land gehen, ehe die Musiker im Osten die Größe besaßen, vom Original abzuweichen, und es bedurfte auch eines westlich beeinflussten Publikums, das zu akzeptieren.
Noch mehr Größe gehörte dazu, den Titel einer konkurrierenden DDR-Band zu covern, und das in einer völlig neuen Fassung. Ich habe ja bereits von den Puhdys berichtet, die "Wasser und Wein" unter ihre Fittiche genommen hatten. Nach der Wende begann man nach und nach, sich von der Angst zu befreien, man könnte sich etwas vergeben, spielte man einen Titel einer Band aus dem gleichen Stall nach.
Bei Produktionen für Schallplatte oder Rundfunk war das damals etwas anderes. Da wurde ein West-Song aus Kostengründen 1:1 nachproduziert, um nicht das teure Original auf Platte pressen zu müssen - es gab in der DDR viele Beispiele dafür. Ich selbst habe auch schon englische Songs runtergeschrieben, die dann vom Rundfunk oder dem Label AMIGA produziert wurden und mit einem DDR-Sänger auf den Markt kamen. Kurz vor der Wende übernahmen das auch die ersten Privatstudios in der DDR. Die Konsumenten merkten oft gar nicht, dass sie auf den popmusikalischen Leim geführt worden sind. Bis auf Kleinigkeiten waren bei einem A/B-Vergleich beider Aufnahmen die Unterschiede oft nur von Fachleuten festzustellen. So etwas sprach für das Team, das so einen Titel produziert hatte! Hier mussten alle zusammenarbeiten: Die Musiker, die es einspielten, der Sänger, der das Original 1:1 imitieren sollte und nicht zuletzt der Tonmeister, der den Originalsound herstellen sollte. Trotzdem nehme ich an, dass der (falsche) Stolz der Ostmusiker in der DDR-Popgeschichte eine gewisse Rolle gespielt hat, der sie abhielt, auf DDR-nationales Material zurückzugreifen - schließlich "haben wir es ja nicht nötig, eine DDR-Band zu covern!"
Keule und Leckedeck
In der Zeit, als bei LIFT noch alles neu für mich war, fühlte ich mich am wohlsten, weil durch Keules Gitarrenspiel eine gewisse Kraft von der Bühne kam. Dadurch konnte man ruhig das Attribut "rockig" hinzufügen. Keule konnte richtig "reinhauen" und das nicht nur auf der Bühne! Er kam von der Dresdner Band electra, bei der auch Leckedeck gesungen hatte. Zusammen mit dem Bassisten Mike Demnitz und dem Drummer Peter Ludewig bildeten sie ein Team, das dem Bandleader Bernd Aust die ersten grauen Haar einbrachte und er schon einen Herzschrittmacher in Erwägung zog. In dem Dresdner Stadtteil "Wilder Mann" wurden in dem gleichnamigen Restaurant geradezu Orgien gefeiert und die Gage auf den Tisch geklopft. Zur späten Stunde kroch der Kellner auf allen Vieren durch den Saal bis zu dem Tisch der Vierer-Bande, um ihnen die Rechnung zu bringen. Das war vorher so ausgemacht und dafür gab's 50,- Mark und die Vier hatten ihren Spaß. Geld regierte auch im Osten die Welt! Keule und Leckedeck gaben sich nun ein Stelldichein bei LIFT, was nicht ohne Folgen bleiben sollte. Innerhalb eines Jahres bildete sich eine gespaltene Band heraus. Auf der einen Seite die Gemäßigten, also vor allem Gerhard und ich und auf der anderen Seite die ungemäßigte Keule-Trepte-Liga, die nichts anbrennen ließ, was einen Promilleanteil von mindesten 5 hatte. Bei Keule kam es da schon mal vor, dass er seine Standfestigkeit auf der Bühne einbüßte und er seinen Weg über die Bühnenrampe ins Publikum nahm. Bei Trepte führte die Trinkerei beim Muggen zu unmotivierten Bewegungen am Mikrofonständer, bei dem Kabel rausgezogen oder auch mal die eigene Brille runtergerissen wurde. In diesem Fall bedeutete es für ihn, wenigstens rein sehtechnisch in die Fußstapfen eines Stevie Wonder oder Ray Charles getreten zu sein (ich weiß, mit Blinden soll man nicht so umgehen). Da ging er in die Hocke und tastete den Bühnenboden nach seiner verlorengegangenen Sehhilfe ab. Unsere Anteilnahme hielt sich in Grenzen. Bei dem Lied "Neuer Tag brich an" musste er die Textstelle "welch ein Klaaang!" singen, wobei auf "Klang" der hohe Ton G1 kommen sollte, einem Heldentenor ähnlich und über zwei Takte lang ausgehalten. In einem normalen Zustand schaffte er das ohne Wenn und Aber. Wenn aber der König Alk in der letzen Nacht sein Unwesen getrieben hatte und sich immer noch mit kleinen motorischen Schlägen an der Kleinhirnrinde bemerkbar machte, hatte das Folgen: Statt des erwarteten hohen Tones G1 kam - nichts! Stattdessen fuhren beide Hände schlagartig in die Höhe, um sich an beiden Schläfen festzuklammern und den Auswirkungen der letzten Nacht Paroli bieten zu können. Dabei beugte sich sein Oberkörper in einem 90 Grad-Winkel nach vorn und es fehlte nur noch der Gang in die Kniebeuge, um sich bei seinem Publikum dafür zu entschuldigen.
Anfang September 1976 gehörten wir einer Delegation von Künstlern an, die die "Tage der Kultur der DDR in der CSSR" bestreiten sollte. Wir flogen zusammen in einer Sondermaschine zuerst nach Bratislava. Es war eine "Best-of-DDR-Künstler"-Mugge und somit waren auch alle die dabei, die was von sich hielten. Auch das Günther Fischer-Sextett und Manfred Krug gehörten dazu. Krug war ein sehr lockerer Geselle und kriegte oft sein Schandmaul nicht zu - so wie im Film also. Günther Fischer hatte den körperlich sehr kurz geratenen Mario Peters als Keyboarder mit, der ganz stolz einen ihm zu groß geratenen grünen Parka trug (egal, die Hauptsache Parka!). Als wir beim Check out in der Schlange standen, musste Manfred Krug seinen Kommentar loswerden: "Wo hast'n det Zelt her?" Der Beifall der Umstehenden war ihm gewiss.
Nach einem Probetag in einer festlich geschmückten Kulturstätte im stalinistischen Stil kam am nächsten Abend unser Auftritt. Wir hatten nur zwei Lieder zu spielen. Wenn ich "unser" sage, meine ich LIFT mit Dina Straat, die Frau Gerhart Zachars. Sie war Popsängerin und bevorzugte gehobenen Schlager und vor allem Lieder. Mit ihr konnten wir unseren "Programmpunkt" bestreiten, denn es war mit ihr keine Rockmusik oder etwas anderes Unpassendes über die Bühne gekommen - wir vertraten also unser Land, wie man so schön sagte.
Als wir noch in Dresden waren, hatte uns Till schon vorgeschwärmt, was es für einen tollen Schnaps es dort gäbe: Slivovic! Damit hatte er nicht unrecht, denn wir deckten uns damit in Bratislava ein. Auch Keule kam da nicht drum herum. Der Unterschied zu uns war nur der, dass er bereits am Tag unseres Auftritts gehörig zuschlug - er war also ganz schön im Stoff, wie wir zu sagen pflegten. Als abends unser Programmteil kam und der Ansager uns auf Slowakisch ankündigte, gingen wir brav auf die Bühne und begannen mit dem Intro des Titels von Dina. Nur Keule war noch nicht spielbereit, denn sein Gitarrenriemen war gerissen. Das musste er aber schon vorher gewusst haben, denn er griff schnell hinter den Bühnenvorhang und beförderte einen Stuhl ins Scheinwerferlicht. Den stellte er so, dass er ein Bein darauf platzieren konnte, auf dem er seine Gitarre abstütze. Nun ist Keule besonders unter diesen Bedingungen ein Blickfang, denn der Stuhl stand nah genug am Bühnenrand. So trällerte Dina ihr Lied, während Keule seine Show abzog und die Leute nur noch auf ihn sahen, so schien es mir wenigsten. Nach unserem Auftritt wollten wir natürlich "etwas klarstellen", aber Keule war unauffindbar. Na gut, dachten wir, vielleicht war's ihm auch peinlich und er hat sich reuevoll in eine Ecke verzogen. Aber weit gefehlt! Nach dem kulturellen Teil sollte es nämlich noch einen kulinarischen geben. Dafür hatte man einen gegenüberliegenden Saal hergerichtet, vor dem die geladenen Gäste und Künstler nach der Veranstaltung warteten. Die Türen waren weit geöffnet, davor standen livrierte Kellner mit Tabletts in ihren Händen, auf denen gefüllte Sektgläser standen. Auch im Saal war alles vom Feinsten; vom Kaviar bis zum Schwein am Spieß, alles war vorhanden, nur der Kulturminister hatte sich noch nicht eingefunden. Also warteten alle brav auf die Eröffnung des Banketts durch ihn. Der Kulturminister fand eine Vertretung - Keule! Der kam aus einer Ecke des Vestibüls, bahnte sich den Weg durch die Warteten, nahm ein gefülltes Sektglas vom Tablett eines Kellners, trank es auf ex und ging in den Saal, wo er sich vom aufgespießten Schwein eine Portion abschnitt. Nun konnte der Kulturminister kommen. Der Alte musste in Berlin beim Kulturministerium antanzen, um den Fall Keule zu klären. Irgendwie hat er das auch geschafft, denn es gab kein größeres Nachspiel.
Bei LIFT gab es auch einen Ruhepol und der war Till Patzer. Till kam aus Pirna, wo er schon seit Menschengedenken oder dem Tertiär wohnt. Kein Weg war ihm nach dem Auftritt zu weit, kein Wetter zu mies oder kein Nebel zu dick, um nicht nach der Mugge die Heimreise anzutreten und seine Füße auf das heimische Sofa zu legen. Selbst am letzten Spieltag einer Polentournee fuhr er lieber mit dem eigenen PKW nach Hause, als noch eine Nacht in einem Humpf-Hotel zu verbringen ("Humpf" war LIFT-Deutsch und bedeutete so viel wie "sozial unten angesiedelt"). Till aß auch gern und gut, was man an den Windungen seiner Bauchgegend sehen konnte. Er trank vor allem gern Bier, aber davon nur eine ganz bestimmte Sorte: Radeberger Pilsner, genannt Radi! Er hatte irgendwie einen Laden in Pirna oder Dresden, von dem er das beziehen konnte, unterm Ladentisch natürlich, denn Radi gehörte in der Republik zur Bückware, und Bückware bedeutete eben unter dem Ladentisch. Wenn wir in einem Hotel übernachteten, schlief ich oft mit Till in einem Zimmer. Ich konnte drauf warten - sobald das Gepäck abgestellt war, wurde aus dem Nichts ein Radi hervorgezaubert und genussvoll ausgesüffelt. Und dafür nahm er sich Zeit! Ich erlebte selten den Rest einer Flasche, weil ich schon dahingedämmert war. Till liebte vor allem Jazz und hatte kein besonderes Interesse an Popmusik im Allgemeinen. An Gitarrenrock konnte er sich im Gegensatz zu mir nicht aufgeilen, seine Liebe galt höchstens Musik mit Bläserbesetzung wie Chicago oder Blood Sweat & Tears. Er war selten aus der Ruhe zu bringen und immer Kumpel. Wenn ihm aber etwas sehr gegen den Strich ging, trat auf seiner Stirn eine ihm charakteristische tiefe Falte auf. Das war das Zeichen für alle: Stopp! Innehalten! Gefahr im Verzug! War mal irgendwas passiert und man fragte, was hat denn Till dazu gesagt, kam nur die Antwort: "Hat die Falte gemacht!", und das genügte völlig.
Till war der Fahrer eines der LIFT-PKW, die uns
zu den Spielorten bringen musste, eines sowjetischen Shiguli (siehe Foto rechts). Das war damals ein begehrtes Importfahrzeug. Als LIFT noch nicht von Dresden nach Berlin emigriert war, trafen wir uns deshalb in Dresden, um von da aus zum Veranstaltungsort zu fahren. Till reiste aus Pirna an und nahm seine Musiker-Besatzung in Empfang. Ich gehörte mit Keule oder Leckedeck zu der Besatzung von Gerhard Zachar. Das war manchmal sehr lustig, denn wenn der Wagen um eine Kurve fuhr, rollten auf dem Boden unter der Rückbank, auf der die beiden saßen, Flaschen hin und her. Anfangs waren sie ja noch voll, aber spätesten bei der Ankunft am Muggenort gaben sie einen bemerkenswerten hohlen Klang von sich. In diesem Fall stiegen dem Alten die Zornesfalten ins Gesicht und er ließ entsprechende Bemerkungen fallen. Es ist ihm nie gelungen, den Stammtischcharakter des Rücksitzes auszuschalten, solange sie noch in der Band spielten.
Eine fast familiäre Beziehung
Als ich in die Band einstieg, schlief ich in der Dresdner Neubauwohnung der Familie Zachar, die sie wie so vieles durch Beziehungen bekommen hatte. Ihre Tochter Nadja war zu dieser Zeit gerade mal vier Jahre alt. Wir kamen gut miteinander aus und das ist nicht zuletzt Dina zu verdanken. Sie hatte ein Wesen, dass keiner Fliege etwas zu leide tun konnte. Im Gegensatz zu Gerhard, dem rationalen Typ, der fast alles mit dem Verstand steuerte, war sie der Gefühlsmensch. Natürlich wusste sie um ihre körperlichen Vorzüge und sie wäre keine Frau, hätte sie das nicht auch ausgespielt. Es gab garantiert viele Musiker, mit denen sie gemuggt hatte, die sich an ihrer Oberweite nicht nur ausgeruht hätten ... Mit Ironie konnte Dina überhaupt nichts anfangen, sie nahm alles wörtlich. Da musste man ihr manchmal hinterher erklären, wie etwas gemeint war. Ich musste mich öfters mit meiner Wortwahl ganz schön im Zaum halten, denn manchmal verstand sie auch, was der Herr Ironiker meinte.
Bei einer Rumänien-Tournee hatten wir eigentlich die Funktion einer Begleitband für Dina Straat eingenommen - so war es jedenfalls von der Künstleragentur der DDR geplant gewesen. Gerhard schlug damit zwei Fliegen mit einer Klappe, weil er für seine Musiker ein Auslandsgastspiel organisiert hatte und gleichzeitig seiner Frau ein gutes musikalisches Polster bieten konnte. Das Programm wurde so gestaltet, dass wir damit zufrieden sein konnten. Außerdem machte es einmal Spaß, andere Titel unter die Finger zu bekommen. Wir wussten nicht, welche Art von Publikum uns dort erwartete, wir hatten ja unsere Polenerfahrung samt ihren Müttern mit Kleinkindern in Reihe eins. Ihnen hätten wir mit Dina schon eher etwas bieten können.
Das fünfte Rad in Rumänien
In einem Kurort spielten wir in einer "Muschel", einer Bühne in Muschelform, die vielleicht eine Breite von fünf Metern hatte. Wir passten gerade mal so drauf und hatten deshalb fast körperlichen Kontakt zueinander.
Der arme Stefan Trepte hatte ja so gut wie nichts zu tun, wenn Dina sang; er musste aber auf der Bühne bleiben und einen Schellenring betätigen oder in der Ecke sitzenbleiben. Es war Sommer, Sommer in Rumänien und es war heiß! Man hatte uns für diese Tournee eine extra Uniform - sprich Bühnenkleidung - schneidern lassen. Bezahlt wurde es von der "Generaldirektion beim Komitee für Unterhaltungskunst", das Akronym dafür war GD. Die GD finanzierte für ausgewählte Künstler und Bands die Bühnenklamotten, die aber im Bühnenalltag selten getragen wurden, sah man ihnen doch an, dass hier etwas gewollt, aber nie ganz erreicht wurde. Stefan hatten sie ein Kostüm verpasst, das er im Spätherbst oder Winter draußen anziehen konnte, ohne dabei zu frieren. Nun war kein Spätherbst, es war Sommer, Sommer in Rumänien und er schwitzte tierisch! Er entledigte sich seiner Überjacke, aber der Schweiß breitete sich weiterhin aus. Erst als er sein Bühnenhemd auch noch auszog, ging es ihm besser. Da befand sich also ein Musiker Schellenring schwenkend am Rande einer muschelförmigen Bühne im Unterhemd und das im konservativen Ceausescu-Rumänien, delegiert vom Bruderstaat DDR und wahrscheinlich standen schon die Männer des rumänischen Geheimdienstes Securitate mit ihren Sprechfunkgeräten parat, um gegen den aufrührerischen Unterhemdträger die nötigen Schritte einzuleiten (wie Bautzen auf Rumänisch hieß, sei hier mal dahingestellt). Es war klar, ein sensibler Musiker wie Leckedeck hat an einer Degradierung zum Schellenringschwenker hart zu knaupeln; das machten auch die paar Lieder, die ihm genehmigt wurden, nicht wett. Er fühlte sich wie das fünfte Rad am LIFT-Wagen und damit hatte er ja auch irgendwie Recht. Wahrscheinlich hatte er das bei den Proben daheim weggedrückt und nur die schöne Auslandsreise im Auge gehabt. Er musste deshalb seinen Schmerz ertränken. Ertränken allein macht nicht so richtig Spaß, also holte er sich Keule dazu, der ihm Trost zutrank - sie waren ein Herz und eine Trinkerseele. Während wir Stadtbummel unternahmen, saßen die beiden am Pool unseres Hotels und winkten nach dem Kellner, wobei der wie zu electra-Zeiten nicht auf allen Vieren kam. Das ständige Im-Stoff-Sein der Abtrünnigen ließ beim Alten abermals die Zornesfalten in die Höhe steigen, denn er war ein Mann, der verdammt wenig Alkohol trank und auch nicht rauchte. Für ihn wären heutige Nichtrauchergaststätten zum Paradies geworden.
Rumänien war bekannt für seinen Geheimdienst Securitate und auch wir wurden beschattet, was wir anfangs gar nicht mitbekamen. Die rumänische Künstleragentur stellte uns einen "Betreuer" zur Verfügung, der zur rumänischen Stasi gehörte. Wir nannten ihn "de Funès" weil er dem französischen Komiker verdammt ähnlich sah. Außerdem wurde uns eine Dolmetscherin beigestellt, die vom lieben Gott nicht gerade mit Schönheit gesegnet worden war (siehe Foto unten rechts). Sie machte uns einmal eine versteckte Andeutung, dass wir mit bestimmten Bemerkungen vorsichtiger umgehen sollten - "Feind hört mit". De Funès ließ sich eigentlich alles von ihr übersetzten, was wir sagten, aber ich hatte manchmal das Gefühl, er verstand es schon, ehe sie mit ihrer Übersetzung begann. Da lag eigentlich nah, er musste Deutsch gekonnt haben. Es ging aber alles gut, keiner wurde verhaftet, keiner ins Verließ gesperrt und über die Grenze kamen wir auch wieder.
Wir alle hatten den Eindruck, als wollte die
Dolmetscherin von irgendjemandem gevögelt werden, und wir beschlossen, Werther sollte der Auserkorene sein, weil er am schönsten war - Preis der Schönheit sozusagen. Der aber drückte sich und versuchte sogar, dass einer unserer Roadys an seine Stelle treten sollte. Infrage käme unser lustigster Techniker Blacky, aber wir verwarfen die Idee wieder. Blacky hatte nämlich ein Manko: er hatte eine Halbglatze, die er unter von links nach rechts gekämmten Haaren gut zu verbergen wusste. Doch das Risiko, im Liebeskampf würde seine Haarpracht aus der Fassung gebracht, hätte ihm vor Scham in den Boden versinken lassen. Ein paar Wochen später ereilte ihn das Schicksal, als er auf der Ladefläche eines offenen LKW stand und von einer Bö erwischt wurde, die seine säuberlich gekämmte Tarnung im wahrsten Sinne des Wortes auffliegen ließ! Mit einem Schrei versuchte er, seine Haare wieder in die richtige Stellung zu bringen, es war aber zu spät, die Nachwelt hat's für immer in ihre Geschichtsbücher unter dem Buchstaben B wie Blacky aufgenommen.
Die Trennung
Wie es das Schicksal wollte, spazierte Leckedeck an einem lauen rumänischen Spätabend nach dem Auftritt auf der Suche nach Keule den Hotelgang entlang und hörte aus dem Zimmer des Alten heftige Gesprächsfetzen. Da konnte er nicht anders und legte sein Ohr an die Tür und lauschte wie ein Junge, der den Liebespielen seiner Eltern akustisch beiwohnt. Leider waren es weniger Liebesspiele, die er da zu hören bekam, sondern er wurde Zeuge seiner Entlassung aus dem LIFTdienst - wir beschlossen nämlich, uns von ihm zu trennen. Am nächsten Tag ging er zu Gerhard und reichte seine Kündigung ein. Besser sich selbst rauswerfen, als rausgeworfen werden, war seine Devise. Und da er das alles Keule gesteckt hatte, kam der wenig später und sagte, er ginge mit Leckedeck, denn als alleiniger Trinker könne er in der Band nicht überleben (Das hat er natürlich nicht gesagt, aber gewissen Gedankengänge dieser Art werden in seinem Kopf schon stattgefunden haben.)
Dabei hatten doch beide einen beträchtlichen Anteil am Erfolg der Band. Leckedeck hatte auch einige Hits beigesteuerte - ich vermeide hier bewusst die Worte geschrieben oder komponiert -, denn er war ein guter Melodienerfinder, die er aber nie aufschrieb oder gar arrangierte. Nein, er setzte sich ans Klavier, um ihn rum ein paar Musiker, und spielte seinen neusten Einfall vor und sang dazu Fidschi-Englisch. Seine Lieblingstonarten waren die mit vielen B, also As-Dur oder Des-Dur, die lagen ihm so schön in der Hand, wie er mir einmal vertrauensvoll mitteilte. Nach dem Vorspiel setzen wir uns an unsere Instrumente und versuchten, aus dem Stück etwas in Teamarbeit entstehen zu lassen. Am Schluss stand ein Song, der dann dem Lektorat angeboten wurde, nachdem sich ein Textautor damit beschäftigt hatte. Der weitere Gang war dann wie der, den alle Bands durchlaufen mussten: Lektorat, Ablehnung des Textes, neuer Text, weitere Ablehnung des neuen Textes, erster Selbstmordversuch des Texters und dritte Fassung, Ablehnung der dritten Fassung, dann gemeinsames Springen von Texter und Leckedeck vom Hochhaus "Hotel Stadt Berlin", feierliches Begräbnis mit dem letzten Song von Leckedeck, gesungen auf Fidschi-Englisch als Untermalung, womit sich der Kreis geschlossen hätte.
Ein weiterer Erfolg war die Verleihung des "Kunstpreisese der DDR"! Klar, wir waren schon einigermaßen stolz, so einen Preis zu erhalten. Das bedeutete ja auch, wir wurden anerkannt von denen da oben, ohne laut die DDR-Trommel gerührt zu haben. Mit den Texten hatten wir nämlich letztendlich immer die Kurve gekriegt, weil sie humanistisch waren und nicht den Klassenstandpunkt widerspiegelten. Sie waren sozusagen Allgemeingut und hatten mit einer gegenwärtigen politischen Lage nichts zu tun. Es gab immer Leute von oben, die uns gern als politische Vorzeigeband gehabt hätten, aber der Alte hat es immer wieder hingebogen, dass es auch ohne das ging.

So gingen wir zu einem Maßschneider, der für die Großen und Reichen festliche Kleidung anfertigte, und ließen uns auf Kosten der GD Smokings schneidern. Es war das erste und das letzte Mal, dass ich maßgeschneiderte Sachen trug, aber sie passten wie angegossen. Danach hing der Smoking bei mir im Schrank und das jahrelang. Als ich ihn dann mal wieder hervor holte und die Hose anzog, stellte ich fest, die muss ja mächtig eingegangen sein, und zwar nur um die Bauchgegend, denn die Beinlänge stimmte noch. Komisch, was? Mit dem Oberteil war es genauso, ich konnte es nur offen tragen und musste die Schultern nach vorn zusammenziehen, weil sonst einige Nähte dran glauben müssten. Aber wir sahen alle sehr schick aus (siehe Foto oben).
Die Kunstpreisverleihung fand vormittags in der Staatsoper "Unter den Linden" statt und wurde vom Fernsehen der DDR mitgeschnitten. Auf diese Weise konnte ich am Abend zwischen 19:30 Uhr und 20:00 Uhr in den Nachrichten der Aktuellen Kamera sehen, wie der Kulturminister mir die Hand drückte und ich die seine. Ich sah auch, wie ich durch Mimik und Gestik demonstrativ gegen das Unrechtsregime der SED aufbegehrte, mobil machte gegen Inhaftierungen in Bautzen und anderswo; ich wollte zeigen, dass ich ein wahrer Kämpfer für die Freiheit bin, und man konnte es nun auf dem Bildschirm sehen - ich hatte aus Protest keine Fliege um!
Eigentlich wollte ich, dass wir alle in Jeans erscheinen, waren wir doch Rocker oder so etwas Ähnliches; ich konnte mich aber den anderen gegenüber nicht durchsetzen, weil sie alle die kostenlosen, maßgeschneiderten Smokings im Kopf hatten, die sie da präsentieren konnten. Ein bisschen Protest gegen was auch immer wäre schon nicht schlecht gewesen. Als wir uns in die Schlange derer einreihten, die auch so einen Preis aus der Hand des Kulturministers abfassten sollten, löste ich heimlich meine Fliege vom Hals und ließ sie unauffällig in die Hosentasche gleiten. Keinem ist es aufgefallen, nicht mal dem Kulturminister und den garantiert anwesenden Stasi-Schergen! Und die Fernsehzuschauer aus Dresden und Umgebung, die vielleicht diese Sendung sahen, konnten auch nicht feststellen, dass da an meinem Hals etwas fehlte. Schade eigentlich, wie gern wäre ich in die Geschichte eingegangen als einer, der durch das Nichttragen einer Fliege den Umsturz herbeigeführt hätte.
August 1975. Ich erhielt ein Telegramm aus Dresden. Absender war mein späterer Bandleader und Freund Gerhard Zachar. Der suchte für seine Band LIFT einen anderen Keyboarder und dafür hatte er mich auserwählt. Eigentlich konnte er mit seinem Tastenmann zufrieden sein, aber nein, ehrgeizig wie Gerhard nun mal war, wollte er immer das Beste. Die Auswahl an guten Tastenspielern, die auch noch komponieren konnten, war nicht sehr groß, die wenigen spielten fest in irgendwelchen Top-Bands. Die Gerüchteküche meldete ihm, Automobil sei zu einer Muggentruppe verkommen, bei der man kein musikalisches Licht mehr am Ende des Pop-Tunnels erkennen konnte. Das alles gab den Ausschlag, mir das Telegramm zu schicken, um erste Vorgespräche in Gang zu setzten.
Es war an meinem Geburtstag im Oktober 1975, als ich mit der Gruppe LIFT meine Premiere feierte. Ich kann mich daran nicht mehr genau erinnern und weiß nur noch, dass der Ort, in dem wir spielten, Düben hieß und in der Nähe von Dessau lag. LIFT hatte zu dieser Zeit keinen besonders spektakulären Namen in der Szene, aber immerhin hatten sie einen Hit, den ihr Keyboarder Franz Bartzsch geschrieben hatte: "Wind trägt alle Worte fort". In dessen Fußstapfen sollte ich nun treten, denn sein Nachfolger hatte den Platz an den Tasten noch nicht sehr lange inne. Franz war auch mein Vorgänger bei der Horst-Krüger-Band, ehe ich dort einstieg. Ich wurde bei LIFT auch mit einer Polen-Tournee geködert, die schon Anfang Oktober stattfinden sollte. Was wollte ich also mehr, hatte Zachar mir doch die Musiker beschrieben, mit denen ich zusammenspielen würde: Der Sänger Stephan Trepte, der mit dem Gitarristen Peter Sandkaulen von der Sachsen-Promi-Band electra kam, weiterhin der Allround-Musiker Till Patzer, der meistens an Saxophon und Flöte zu finden war, und der singende Drummer Werther Lohse, der vor fünfhundert Jahren bei Malern als Jesusbildnis hoch gehandelt worden wäre. Alles in allem gute Musiker, die auch Noten lesen konnten und schon mal was von Dur und Moll gehört hatten. Damit war klar - ich sagte zu!
LIFT brauchte wie alle Bands, die es zu Rundfunk- oder Schallplattenproduktionen bringen wollten, einen Komponisten oder Songwriter, also einen "Schreiberling" - und hier beginnt zum ersten Mal das LIFT-Inzucht-Deutsch. Da muss ich voran stellen: Jede Band entwickelt mit der Zeit durch ständiges Zusammensein im Proberaum und auf Tour ihre typischen Gewohnheiten und auch Wort-Neuschöpfungen. Unter anderem wurde bei LIFT so eine Geheimsprache entworfen, die das "Gagolytische Knospel" genannt wurde. Leider bestand sie nur in der Anfangszeit und entsprechende Wörterbücher existierten nicht. Aber wir sprachen von den "LIFTlingen", erfanden Kunstwörter wie "Mummplinge" oder das Attribut "gagetisch". Oft gibt es dafür ein Schlüsselerlebnis, das nur die Bandmitglieder kennen und die deshalb ohne viel Aufhebens zu machen an Stellen lachen, wo Musiker einer anderen Band nichts mit anfangen können. Bei Bürkholz war Suhle der Mann, der viele Kunstnamen geschaffen hat und die ich jetzt manchmal noch verwende, wenn mir kein passendes Synonym einfällt. Mit "Kurt Eimer" schuf er einen Allgemeinplatz, der heute "Max Mustermann" heißen würde. In dieser Art folgten noch viele Namenskombinationen wie "Elvira Gängig" für Nutte, die wahrscheinlich in keinem Telefonbuch auftauchten.
Aus dem Bandalltag heraus entstanden auch Spitznamen, deren Herkunft oft nicht mehr nachvollziehbar sind, man sich aber seinen Reim drauf machen kann, wie es dazu kam. Stephan Trepte z.B. wurde "Leckedeck" genannt. Man kann unschwer das Wort lecken darin entdecken und wenn man seinen Hang zum weiblichen Geschlecht kannte, war es nur eine Frage der logischen Kombination, wo hier die Ursache der Namensgebung lag. Der Gitarrist Sandkaulen hieß mit Vornamen Peter. Wer nennt einen Gitarristen der Rockszene schon "Peter" wo der Name doch vollkommen unamerikanisch klingt, wenn man ihn nicht Pieter ausspricht? So machte man aus Sandkaulen einfach und schlicht "Keule" und das passte auch zu ihm. Es ist möglich, dass er diesen Namen schon seit seiner Schulzeit mit sich rumschleppt.
Mir wollte Petko, der Saxer der Horst-Krüger-Band, den Spitznamen "Fliege" verpassen, weil ich einmal einen Witz erzählte, bei dem es um eine Fliege ging. Da er der Einzige war, der den Spitznamen gelegentlich gebrauchte, verlief sein Ansinnen bald im Sand. Auch bei Renft wollte mir Cäsar einen Spitznamen verpassen: "Bemme". Ich war ja der Typ, der beim Treffen vor der Mugge im Ratskeller sein Brot mitbrachte, um Geld für den Orgelkredit zu sparen. Ja Cäsar, du weißt ja selbst, es war eine Luftnummer ...
Daran sieht man, ein Spitzname muss sich freiwillig in den Sprachschatz integrieren und welche Gesetzmäßigkeiten da eine Rolle spielen, ist noch nicht erforscht. Wahrscheinlich sitzt schon ein Typ in Harvard und arbeitet an seiner Promotion zu diesem Thema! Ich selbst wurde bei LIFT auch namens-vergewaltigt. Bisher nannten mich die meisten Micha. In der Schulzeit oder in schwachen Stunden mit einem Mädel wurde auch mal ein Michi gehaucht, aber das war's schon. Nun begann man aus einer nicht ausgesprochen Faulheit heraus, den Namen Heubach ein Stück abzuschneiden und ein Verniedlichungs-i hinzuzufügen: Heubi. In den drei Jahren, die ich mit LIFT verbrachte, mutierte Heubi am Ende zu dem einfach und schlichten, wenn auch nicht besonders elegant klingenden Heu. Alle die mich aus dieser Zeit als Heubi kennen, sprechen mich noch heute so an, die Heu-Variante ist selten geworden, Gott sei Dank. Einem der Techniker, der ein breites Sächsisch sprach, verpassten wir den Namen "Jaupel", was auf eine unverständliche Äußerung seinerseits zurückzuführen war. Wenn wir nach ihm riefen, wurde das "au" besonders breit und lang gezogen, und jeder Ur-Sachse hätte verständnisvoll mit dem Kopf genickt. LIFTs Bandchef Gerhard Zachar wurde zum "Alten". Er war zwar Baujahr 1945, hatte aber rein äußerlich bis auf seine Halbglatze nichts mit einem Menschen zu tun, den man als alt bezeichnen würde. Der Name kam von einem Witz, den er mal erzählte:
Sitzen zwei alte Männer auf einer Parkbank und dösen vor sich hin. Da dreht sich der eine zum anderen hin, stupst ihn mit seinem Ellenbogen an und sagt mit zahnlosem Mund: "Eh, du da, ... kennste mich nicht mehr? ... ich bin doch der alte ... der alte ... der alte ..."
Und spätestens jetzt zog Zachar Ober- und Unterlippe über seine Zähne und sprach mit immer leiser werdender Stimme: "... der alte ... der alte" und schaut nachdenklich dement an die Zimmerdecke.

Natürlich bediente er sich im Alltag auch lautmalender Wörter wie "wuff!", "peng!" oder "krach!", was auf seine Familienmitglieder abfärbte - Frau und Kind taten es ebenso und tun es noch heute! Das sind die Spuren, die Weltliteratur hinterlassen kann! Wuff!
Unser Repertoire war ein Gemisch aus liedhaften Songs, Funk, Rock-Jazz, Art-Rock und Pop. Teilweise wurden Songs aus dem alten LIFT-Repertoire übernommen oder neue geschrieben. So brachte ich die "Tagesreise" und "Wasser und Wein" mit und schrieb einen Instrumentaltitel mit dem bezeichnenden Namen "Graf Öderland" nach der Erzählung von Max Frisch. Ich freute mich immer diebisch, wenn bei "roten" Veranstaltungen der Titel und der Autor Frisch genannt wurde, denn man sah es nicht so gern, wenn westliche Autoren laut auf der Bühne verkündet wurden. "Graf Öderland" brachte den Alten an seine bassspielerische Leistungsgrenze, denn da musste er Passagen spielen, die schon einen virtuosen Basser erforderten. Es war eine Jazzrock-Nummer, wo jeder zeigen konnte, was er drauf hatte. Gleichzeitig war es ein Stück der Entspannung, denn beim Schlagzeugsolo konnten wir hinter der Bühne verschwinden, während der Drummer sein Letztes gab.
Ein weiteres Instrumental war Chick Coreas "Hymn of the Seventh Galaxy", damals eine äußerst progressive und technisch herausfordernde Nummer, die das Herz aller Jazzrock-Fans zum Lodern brachte. Dieses Stück war oft das Intro unseres Konzertes, da wussten die Leute, was sie zu erwarten hatten. Wir hatten damit immer Glück - aber nur, wenn wir im eigenen Land spielten. Warum? Hier die Erklärung mit Einführung:
Der erste Auftrittsort bei unserer ersten Polen-Tournee war an der Ostseeküste in einem Nest, dass Chodiez hieß; ich kann's aber nicht beschwören. Wir spielten in einem Saal, den ich wie den Speiseraum eines VEB-Betriebes in Erinnerung behalten habe. Drei Meter vor uns saßen die ersten Leute und hier muss ich Leute sagen, denn es war ein kunterbunt gemischtes Publikum. Auf den Plakaten wurden wir als Estradenorchester oder ähnlich angekündigt. In der ersten Reihe sahen wir Mütter mit Kleinkindern auf dem Schoß, die sich ihren ersten Gehörschaden wegholten, denn wir spielten - Chick Coreas "Hymn of the Seventh Galaxy"! Polen galt ja als progressives Jazz-Land, was sich aber noch nicht bis zur Küste rumgesprochen zu haben schien. Erst ein Mainstream-Song besänftigte die Leute im Saal. Wir hätten uns darauf einstellen sollen, aber wer glaubte schon, so ein Publikum vorzufinden? Wir schliefen auch in diesem Ort in einem Hotel, das eben ein polnisches Hotel war und den üblichen Standard aufwies, nämlich ziemlich mumpflig, wie wir es im LIFT-Deutsch sagten. Aber hinter dem Tresen, wo die Alkoholflaschen aufgereiht standen, sahen wir eine Weinsorte, die wir nicht kannten: Málaga! Irgendwie hatte ich den Namen schon mal gehört, aber das war auch schon alles. Natürlich machten wir an diesem Abend eine Verköstigung dieses Getränkes und waren hellauf begeistert. Hielt man das Glas etwas schräg, konnte man sehen, welche ölgleichen Spuren der Dessertwein am Rand hinterließ. Eine Flasche kostete weniger als zehn Mark, also legten wir uns einen privaten Vorrat an. Ich selbst nahm zwei Flaschen mit nach Leipzig und zwei Jahre später dieselben mit nach Berlin. Ich fand keinen Anlass, eine Flasche zu öffnen, denn es waren noch Ost-Zeiten und dieser Wein war eine Rarität, und daher fungierte er eher als Anschauungsstück für eine Vitrine als zum schnöden In-die-Birne-Kippen. Elf Jahre später wurde die erste Flasche geköpft - zu meiner zweiten Hochzeit mit Ulrike H., und das war sie wert. Der Inhalt schmeckte noch vorzüglich. Mit der zweiten noch vorhandenen Flasche hätte ich mir fünf Jahre später die Scheidung versüßen können, aber das wäre eine rausgeschmissene Flasche gewesen. Also steht sie noch heute und wartet auf einen Anlass. Und noch sieht es gut aus für sie, dass sie nicht geköpft wird.
Eigentlich war LIFT anfangs auch im Wesentlichen eine Cover-Band, denn wir spielten viele Titel nach, weil es uns Spaß machte und um beim Publikum gut anzukommen. Keule war als Sänger für Jethro Tull prädestiniert, kam sein Timbre doch des Leadsängers Ian Andersons ziemlich nahe. Außerdem konnte Till mit der Flöte die charakteristischen Ian Anderson-Phrasen nachspielen. Werther Lohse sang an den Drums "A Whiter Shade of Pale", das ihm besonders lag - Jesus hätte es nicht besser gesungen. Für Leckedeck war das wiederum nicht so einfach, einen internationale Solisten zu finden, der ähnlich wie er sang, hatte er doch ein eigenes Timbre, das in keine Schublade passte - es war eben Trepte, der da sang! Bei "Livin' For The City" wollte er auch mal in die Gesangsstilistik eines Stevie Wonder schlüpfen, aber so richtig zu Hause war er da auch nicht. Das spielte aber letztendlich dann doch keine Rolle, denn die Leute im Saal kannten den Song und nahmen ihn uns deshalb auch ab.
Ich selbst hatte keinen Titel, den ich singen konnte und das war auch gut so. Bei Bürkholz habe ich das letzte Mal einen Titel gesungen, bei dem die Mädchen alle den Saal verließen. Komisch, es gab trotzdem keinen Andrang am Damenklo. Wir coverten damals "If I Were a Carpenter" von Bobby Darin zur stimmlichen Entlastung von Hansi Beyer und ich sang ein sehr fantasievolles Englisch. Naja, auf alle Fälle hatte ich mir Mühe gegeben und beim letzten Refrain sind die Mädels auch wieder reingekommen. Wahrscheinlich dachten sie, der ist schon fertig...
Über Covern und Mitschnitte
An dieser Stelle möchte ich mal etwas zum Covern loswerden: Wenn zu der damaligen Zeit Titel gecovert wurden, sollte das Stück bis zum letzten Ton dem Original entsprechen. Dazu brauchte man zwei Dinge: Eine gute Aufnahme vom Tonband oder Schallplatte und einen, der die entsprechenden Ohren hatte, um eine 1:1-Kopie zu erstellen - einen guten Arrangeur also. Das wurde in den Bands verschieden gehandhabt, oft musste sich jeder Musiker seine Stimme selbst raushören und das führte manchmal zu fatalen Ergebnissen. Wenn ich heutzutage Titel von damals im Radio höre, bin ich nicht schlecht erstaunt, was da noch für Instrumente mitgespielt haben, die aber im Bandrauschen untergingen. Oft sind diese Aufnahmen heute auch noch geremixt worden, was die Sounds noch plastischer erscheinen lässt, und vor allem hohe Frequenzen treten mehr in den Vordergrund.
Ich hatte als junger Mensch ja meine Radio Luxemburg-Mitschnitte und die waren eigentlich frequenzmäßig katastrophal. Und das kam so: Mein Vater hatte im Zentralhaus für Kulturarbeit alte Tonbänder abgestaubt, die für Bandmaschinen konzipiert waren, die eine 76 cm/s Bandgeschwindigkeit voraussetzten. Mit diesen Vollspurgeräten wurden wahrscheinlich schon die Reden von A. Hitler aufgenommen. Diese Bänder setzte ich für mein Qualiton-Tonbandgerät ein, das mir 9,5er, 4,7er und 2,35er Geschwindigkeit lieferte. Mir war egal, dass die Bandqualität bei einer Geschwindigkeit von 2,35 cm/s einem Gleiten auf Sandpapier gleichkam. Mit diesem Tempo nahm ich nämlich meine Songs auf, denn da passten ja so viele Titel auf jede Seite einer Spule! Ich habe mich immer gewundert, wo der feine braune Staub herkam, der an den Tonköpfen auftauchte. Ich muss hier aber mal bemerken, dass es keinen Menschen gab, der mir diesbezüglich Ratschläge erteilte. Das Medium Tonband war für die meisten in der DDR noch eine ganz neue Angelegenheit. Wir waren ja froh, dass es schon UKW gab, auch wenn ich erst später in den Genuss kam, Stereo-Sendungen zu hören.
Wegen der miesen Bandqualität hätte ich nicht mal im Traum daran gedacht, was die Beatles alles in einen Song reingepackt hatten: Da gab es Becken, Perkussionsinstrumente, mehrstimmigen Gesang, Naturgeräusche und auch viele räumliche Effekte, die nicht mal zu ahnen gewesen sind. Hier war aber wiederum ein Vorteil für die Bands, die damals einen Titel coverten: Die Mehrheit hatte auch keine besseren Abhörbedingungen als der Musiker und gab sich mit dem zufrieden, was er hörte.
Wie sah's nun in den Bands aus? In den wenigsten Fällen gab's den Schreiberling, der die Abschreibarbeit übernahm und alle Stimmen raushörte. Wir stellen uns damals nicht die Frage, warum eigentlich das Original "original" nachgespielt wurde und warum man keine eigene Fassung vom dementsprechenden Stück kreierte. Im Jazz war das kein Problem, da gab es kein Nachspielen im 1:1-Format. Nein, da musste man seine eigene Version eines Stückes abliefern! Da gab es auch keine Tabus bezüglich der Besetzung - man hätte ein komplettes Bigbandarrangement für Piccoloflöte und Triangel umarrangiert! Es mussten erst viele Jahre ins Land gehen, ehe die Musiker im Osten die Größe besaßen, vom Original abzuweichen, und es bedurfte auch eines westlich beeinflussten Publikums, das zu akzeptieren.
Noch mehr Größe gehörte dazu, den Titel einer konkurrierenden DDR-Band zu covern, und das in einer völlig neuen Fassung. Ich habe ja bereits von den Puhdys berichtet, die "Wasser und Wein" unter ihre Fittiche genommen hatten. Nach der Wende begann man nach und nach, sich von der Angst zu befreien, man könnte sich etwas vergeben, spielte man einen Titel einer Band aus dem gleichen Stall nach.
Bei Produktionen für Schallplatte oder Rundfunk war das damals etwas anderes. Da wurde ein West-Song aus Kostengründen 1:1 nachproduziert, um nicht das teure Original auf Platte pressen zu müssen - es gab in der DDR viele Beispiele dafür. Ich selbst habe auch schon englische Songs runtergeschrieben, die dann vom Rundfunk oder dem Label AMIGA produziert wurden und mit einem DDR-Sänger auf den Markt kamen. Kurz vor der Wende übernahmen das auch die ersten Privatstudios in der DDR. Die Konsumenten merkten oft gar nicht, dass sie auf den popmusikalischen Leim geführt worden sind. Bis auf Kleinigkeiten waren bei einem A/B-Vergleich beider Aufnahmen die Unterschiede oft nur von Fachleuten festzustellen. So etwas sprach für das Team, das so einen Titel produziert hatte! Hier mussten alle zusammenarbeiten: Die Musiker, die es einspielten, der Sänger, der das Original 1:1 imitieren sollte und nicht zuletzt der Tonmeister, der den Originalsound herstellen sollte. Trotzdem nehme ich an, dass der (falsche) Stolz der Ostmusiker in der DDR-Popgeschichte eine gewisse Rolle gespielt hat, der sie abhielt, auf DDR-nationales Material zurückzugreifen - schließlich "haben wir es ja nicht nötig, eine DDR-Band zu covern!"
Keule und Leckedeck

In der Zeit, als bei LIFT noch alles neu für mich war, fühlte ich mich am wohlsten, weil durch Keules Gitarrenspiel eine gewisse Kraft von der Bühne kam. Dadurch konnte man ruhig das Attribut "rockig" hinzufügen. Keule konnte richtig "reinhauen" und das nicht nur auf der Bühne! Er kam von der Dresdner Band electra, bei der auch Leckedeck gesungen hatte. Zusammen mit dem Bassisten Mike Demnitz und dem Drummer Peter Ludewig bildeten sie ein Team, das dem Bandleader Bernd Aust die ersten grauen Haar einbrachte und er schon einen Herzschrittmacher in Erwägung zog. In dem Dresdner Stadtteil "Wilder Mann" wurden in dem gleichnamigen Restaurant geradezu Orgien gefeiert und die Gage auf den Tisch geklopft. Zur späten Stunde kroch der Kellner auf allen Vieren durch den Saal bis zu dem Tisch der Vierer-Bande, um ihnen die Rechnung zu bringen. Das war vorher so ausgemacht und dafür gab's 50,- Mark und die Vier hatten ihren Spaß. Geld regierte auch im Osten die Welt! Keule und Leckedeck gaben sich nun ein Stelldichein bei LIFT, was nicht ohne Folgen bleiben sollte. Innerhalb eines Jahres bildete sich eine gespaltene Band heraus. Auf der einen Seite die Gemäßigten, also vor allem Gerhard und ich und auf der anderen Seite die ungemäßigte Keule-Trepte-Liga, die nichts anbrennen ließ, was einen Promilleanteil von mindesten 5 hatte. Bei Keule kam es da schon mal vor, dass er seine Standfestigkeit auf der Bühne einbüßte und er seinen Weg über die Bühnenrampe ins Publikum nahm. Bei Trepte führte die Trinkerei beim Muggen zu unmotivierten Bewegungen am Mikrofonständer, bei dem Kabel rausgezogen oder auch mal die eigene Brille runtergerissen wurde. In diesem Fall bedeutete es für ihn, wenigstens rein sehtechnisch in die Fußstapfen eines Stevie Wonder oder Ray Charles getreten zu sein (ich weiß, mit Blinden soll man nicht so umgehen). Da ging er in die Hocke und tastete den Bühnenboden nach seiner verlorengegangenen Sehhilfe ab. Unsere Anteilnahme hielt sich in Grenzen. Bei dem Lied "Neuer Tag brich an" musste er die Textstelle "welch ein Klaaang!" singen, wobei auf "Klang" der hohe Ton G1 kommen sollte, einem Heldentenor ähnlich und über zwei Takte lang ausgehalten. In einem normalen Zustand schaffte er das ohne Wenn und Aber. Wenn aber der König Alk in der letzen Nacht sein Unwesen getrieben hatte und sich immer noch mit kleinen motorischen Schlägen an der Kleinhirnrinde bemerkbar machte, hatte das Folgen: Statt des erwarteten hohen Tones G1 kam - nichts! Stattdessen fuhren beide Hände schlagartig in die Höhe, um sich an beiden Schläfen festzuklammern und den Auswirkungen der letzten Nacht Paroli bieten zu können. Dabei beugte sich sein Oberkörper in einem 90 Grad-Winkel nach vorn und es fehlte nur noch der Gang in die Kniebeuge, um sich bei seinem Publikum dafür zu entschuldigen.
Anfang September 1976 gehörten wir einer Delegation von Künstlern an, die die "Tage der Kultur der DDR in der CSSR" bestreiten sollte. Wir flogen zusammen in einer Sondermaschine zuerst nach Bratislava. Es war eine "Best-of-DDR-Künstler"-Mugge und somit waren auch alle die dabei, die was von sich hielten. Auch das Günther Fischer-Sextett und Manfred Krug gehörten dazu. Krug war ein sehr lockerer Geselle und kriegte oft sein Schandmaul nicht zu - so wie im Film also. Günther Fischer hatte den körperlich sehr kurz geratenen Mario Peters als Keyboarder mit, der ganz stolz einen ihm zu groß geratenen grünen Parka trug (egal, die Hauptsache Parka!). Als wir beim Check out in der Schlange standen, musste Manfred Krug seinen Kommentar loswerden: "Wo hast'n det Zelt her?" Der Beifall der Umstehenden war ihm gewiss.
Nach einem Probetag in einer festlich geschmückten Kulturstätte im stalinistischen Stil kam am nächsten Abend unser Auftritt. Wir hatten nur zwei Lieder zu spielen. Wenn ich "unser" sage, meine ich LIFT mit Dina Straat, die Frau Gerhart Zachars. Sie war Popsängerin und bevorzugte gehobenen Schlager und vor allem Lieder. Mit ihr konnten wir unseren "Programmpunkt" bestreiten, denn es war mit ihr keine Rockmusik oder etwas anderes Unpassendes über die Bühne gekommen - wir vertraten also unser Land, wie man so schön sagte.
Als wir noch in Dresden waren, hatte uns Till schon vorgeschwärmt, was es für einen tollen Schnaps es dort gäbe: Slivovic! Damit hatte er nicht unrecht, denn wir deckten uns damit in Bratislava ein. Auch Keule kam da nicht drum herum. Der Unterschied zu uns war nur der, dass er bereits am Tag unseres Auftritts gehörig zuschlug - er war also ganz schön im Stoff, wie wir zu sagen pflegten. Als abends unser Programmteil kam und der Ansager uns auf Slowakisch ankündigte, gingen wir brav auf die Bühne und begannen mit dem Intro des Titels von Dina. Nur Keule war noch nicht spielbereit, denn sein Gitarrenriemen war gerissen. Das musste er aber schon vorher gewusst haben, denn er griff schnell hinter den Bühnenvorhang und beförderte einen Stuhl ins Scheinwerferlicht. Den stellte er so, dass er ein Bein darauf platzieren konnte, auf dem er seine Gitarre abstütze. Nun ist Keule besonders unter diesen Bedingungen ein Blickfang, denn der Stuhl stand nah genug am Bühnenrand. So trällerte Dina ihr Lied, während Keule seine Show abzog und die Leute nur noch auf ihn sahen, so schien es mir wenigsten. Nach unserem Auftritt wollten wir natürlich "etwas klarstellen", aber Keule war unauffindbar. Na gut, dachten wir, vielleicht war's ihm auch peinlich und er hat sich reuevoll in eine Ecke verzogen. Aber weit gefehlt! Nach dem kulturellen Teil sollte es nämlich noch einen kulinarischen geben. Dafür hatte man einen gegenüberliegenden Saal hergerichtet, vor dem die geladenen Gäste und Künstler nach der Veranstaltung warteten. Die Türen waren weit geöffnet, davor standen livrierte Kellner mit Tabletts in ihren Händen, auf denen gefüllte Sektgläser standen. Auch im Saal war alles vom Feinsten; vom Kaviar bis zum Schwein am Spieß, alles war vorhanden, nur der Kulturminister hatte sich noch nicht eingefunden. Also warteten alle brav auf die Eröffnung des Banketts durch ihn. Der Kulturminister fand eine Vertretung - Keule! Der kam aus einer Ecke des Vestibüls, bahnte sich den Weg durch die Warteten, nahm ein gefülltes Sektglas vom Tablett eines Kellners, trank es auf ex und ging in den Saal, wo er sich vom aufgespießten Schwein eine Portion abschnitt. Nun konnte der Kulturminister kommen. Der Alte musste in Berlin beim Kulturministerium antanzen, um den Fall Keule zu klären. Irgendwie hat er das auch geschafft, denn es gab kein größeres Nachspiel.

Till war der Fahrer eines der LIFT-PKW, die uns

Eine fast familiäre Beziehung
Als ich in die Band einstieg, schlief ich in der Dresdner Neubauwohnung der Familie Zachar, die sie wie so vieles durch Beziehungen bekommen hatte. Ihre Tochter Nadja war zu dieser Zeit gerade mal vier Jahre alt. Wir kamen gut miteinander aus und das ist nicht zuletzt Dina zu verdanken. Sie hatte ein Wesen, dass keiner Fliege etwas zu leide tun konnte. Im Gegensatz zu Gerhard, dem rationalen Typ, der fast alles mit dem Verstand steuerte, war sie der Gefühlsmensch. Natürlich wusste sie um ihre körperlichen Vorzüge und sie wäre keine Frau, hätte sie das nicht auch ausgespielt. Es gab garantiert viele Musiker, mit denen sie gemuggt hatte, die sich an ihrer Oberweite nicht nur ausgeruht hätten ... Mit Ironie konnte Dina überhaupt nichts anfangen, sie nahm alles wörtlich. Da musste man ihr manchmal hinterher erklären, wie etwas gemeint war. Ich musste mich öfters mit meiner Wortwahl ganz schön im Zaum halten, denn manchmal verstand sie auch, was der Herr Ironiker meinte.
Bei einer Rumänien-Tournee hatten wir eigentlich die Funktion einer Begleitband für Dina Straat eingenommen - so war es jedenfalls von der Künstleragentur der DDR geplant gewesen. Gerhard schlug damit zwei Fliegen mit einer Klappe, weil er für seine Musiker ein Auslandsgastspiel organisiert hatte und gleichzeitig seiner Frau ein gutes musikalisches Polster bieten konnte. Das Programm wurde so gestaltet, dass wir damit zufrieden sein konnten. Außerdem machte es einmal Spaß, andere Titel unter die Finger zu bekommen. Wir wussten nicht, welche Art von Publikum uns dort erwartete, wir hatten ja unsere Polenerfahrung samt ihren Müttern mit Kleinkindern in Reihe eins. Ihnen hätten wir mit Dina schon eher etwas bieten können.
Das fünfte Rad in Rumänien
In einem Kurort spielten wir in einer "Muschel", einer Bühne in Muschelform, die vielleicht eine Breite von fünf Metern hatte. Wir passten gerade mal so drauf und hatten deshalb fast körperlichen Kontakt zueinander.

Rumänien war bekannt für seinen Geheimdienst Securitate und auch wir wurden beschattet, was wir anfangs gar nicht mitbekamen. Die rumänische Künstleragentur stellte uns einen "Betreuer" zur Verfügung, der zur rumänischen Stasi gehörte. Wir nannten ihn "de Funès" weil er dem französischen Komiker verdammt ähnlich sah. Außerdem wurde uns eine Dolmetscherin beigestellt, die vom lieben Gott nicht gerade mit Schönheit gesegnet worden war (siehe Foto unten rechts). Sie machte uns einmal eine versteckte Andeutung, dass wir mit bestimmten Bemerkungen vorsichtiger umgehen sollten - "Feind hört mit". De Funès ließ sich eigentlich alles von ihr übersetzten, was wir sagten, aber ich hatte manchmal das Gefühl, er verstand es schon, ehe sie mit ihrer Übersetzung begann. Da lag eigentlich nah, er musste Deutsch gekonnt haben. Es ging aber alles gut, keiner wurde verhaftet, keiner ins Verließ gesperrt und über die Grenze kamen wir auch wieder.
Wir alle hatten den Eindruck, als wollte die

Die Trennung
Wie es das Schicksal wollte, spazierte Leckedeck an einem lauen rumänischen Spätabend nach dem Auftritt auf der Suche nach Keule den Hotelgang entlang und hörte aus dem Zimmer des Alten heftige Gesprächsfetzen. Da konnte er nicht anders und legte sein Ohr an die Tür und lauschte wie ein Junge, der den Liebespielen seiner Eltern akustisch beiwohnt. Leider waren es weniger Liebesspiele, die er da zu hören bekam, sondern er wurde Zeuge seiner Entlassung aus dem LIFTdienst - wir beschlossen nämlich, uns von ihm zu trennen. Am nächsten Tag ging er zu Gerhard und reichte seine Kündigung ein. Besser sich selbst rauswerfen, als rausgeworfen werden, war seine Devise. Und da er das alles Keule gesteckt hatte, kam der wenig später und sagte, er ginge mit Leckedeck, denn als alleiniger Trinker könne er in der Band nicht überleben (Das hat er natürlich nicht gesagt, aber gewissen Gedankengänge dieser Art werden in seinem Kopf schon stattgefunden haben.)
Dabei hatten doch beide einen beträchtlichen Anteil am Erfolg der Band. Leckedeck hatte auch einige Hits beigesteuerte - ich vermeide hier bewusst die Worte geschrieben oder komponiert -, denn er war ein guter Melodienerfinder, die er aber nie aufschrieb oder gar arrangierte. Nein, er setzte sich ans Klavier, um ihn rum ein paar Musiker, und spielte seinen neusten Einfall vor und sang dazu Fidschi-Englisch. Seine Lieblingstonarten waren die mit vielen B, also As-Dur oder Des-Dur, die lagen ihm so schön in der Hand, wie er mir einmal vertrauensvoll mitteilte. Nach dem Vorspiel setzen wir uns an unsere Instrumente und versuchten, aus dem Stück etwas in Teamarbeit entstehen zu lassen. Am Schluss stand ein Song, der dann dem Lektorat angeboten wurde, nachdem sich ein Textautor damit beschäftigt hatte. Der weitere Gang war dann wie der, den alle Bands durchlaufen mussten: Lektorat, Ablehnung des Textes, neuer Text, weitere Ablehnung des neuen Textes, erster Selbstmordversuch des Texters und dritte Fassung, Ablehnung der dritten Fassung, dann gemeinsames Springen von Texter und Leckedeck vom Hochhaus "Hotel Stadt Berlin", feierliches Begräbnis mit dem letzten Song von Leckedeck, gesungen auf Fidschi-Englisch als Untermalung, womit sich der Kreis geschlossen hätte.
Ein weiterer Erfolg war die Verleihung des "Kunstpreisese der DDR"! Klar, wir waren schon einigermaßen stolz, so einen Preis zu erhalten. Das bedeutete ja auch, wir wurden anerkannt von denen da oben, ohne laut die DDR-Trommel gerührt zu haben. Mit den Texten hatten wir nämlich letztendlich immer die Kurve gekriegt, weil sie humanistisch waren und nicht den Klassenstandpunkt widerspiegelten. Sie waren sozusagen Allgemeingut und hatten mit einer gegenwärtigen politischen Lage nichts zu tun. Es gab immer Leute von oben, die uns gern als politische Vorzeigeband gehabt hätten, aber der Alte hat es immer wieder hingebogen, dass es auch ohne das ging.

So gingen wir zu einem Maßschneider, der für die Großen und Reichen festliche Kleidung anfertigte, und ließen uns auf Kosten der GD Smokings schneidern. Es war das erste und das letzte Mal, dass ich maßgeschneiderte Sachen trug, aber sie passten wie angegossen. Danach hing der Smoking bei mir im Schrank und das jahrelang. Als ich ihn dann mal wieder hervor holte und die Hose anzog, stellte ich fest, die muss ja mächtig eingegangen sein, und zwar nur um die Bauchgegend, denn die Beinlänge stimmte noch. Komisch, was? Mit dem Oberteil war es genauso, ich konnte es nur offen tragen und musste die Schultern nach vorn zusammenziehen, weil sonst einige Nähte dran glauben müssten. Aber wir sahen alle sehr schick aus (siehe Foto oben).
Die Kunstpreisverleihung fand vormittags in der Staatsoper "Unter den Linden" statt und wurde vom Fernsehen der DDR mitgeschnitten. Auf diese Weise konnte ich am Abend zwischen 19:30 Uhr und 20:00 Uhr in den Nachrichten der Aktuellen Kamera sehen, wie der Kulturminister mir die Hand drückte und ich die seine. Ich sah auch, wie ich durch Mimik und Gestik demonstrativ gegen das Unrechtsregime der SED aufbegehrte, mobil machte gegen Inhaftierungen in Bautzen und anderswo; ich wollte zeigen, dass ich ein wahrer Kämpfer für die Freiheit bin, und man konnte es nun auf dem Bildschirm sehen - ich hatte aus Protest keine Fliege um!
Eigentlich wollte ich, dass wir alle in Jeans erscheinen, waren wir doch Rocker oder so etwas Ähnliches; ich konnte mich aber den anderen gegenüber nicht durchsetzen, weil sie alle die kostenlosen, maßgeschneiderten Smokings im Kopf hatten, die sie da präsentieren konnten. Ein bisschen Protest gegen was auch immer wäre schon nicht schlecht gewesen. Als wir uns in die Schlange derer einreihten, die auch so einen Preis aus der Hand des Kulturministers abfassten sollten, löste ich heimlich meine Fliege vom Hals und ließ sie unauffällig in die Hosentasche gleiten. Keinem ist es aufgefallen, nicht mal dem Kulturminister und den garantiert anwesenden Stasi-Schergen! Und die Fernsehzuschauer aus Dresden und Umgebung, die vielleicht diese Sendung sahen, konnten auch nicht feststellen, dass da an meinem Hals etwas fehlte. Schade eigentlich, wie gern wäre ich in die Geschichte eingegangen als einer, der durch das Nichttragen einer Fliege den Umsturz herbeigeführt hätte.
Teil 8
Der achte Teil von Michael Heubachs Autobiographie erzählt von Heubachs Zeit bei der Gruppe LIFT, über die Weltfestspiele in Cuba und die Vorbereitungen dazu, über personelle Wechsel in der Band und das "Problem" mit der Biermann-Ausbürgerung...
Der achte Teil von Michael Heubachs Autobiographie erzählt von Heubachs Zeit bei der Gruppe LIFT, über die Weltfestspiele in Cuba und die Vorbereitungen dazu, über personelle Wechsel in der Band und das "Problem" mit der Biermann-Ausbürgerung...

Es gab in der DDR auch sogenannte Leistungsvergleiche, wo jeder Bezirk seine besten Gruppen und Solisten (oder auch nur Möchtegerns) hinschickte, damit sie mit einem Medaillensegen nach Hause zurückkehren - es war die Olympiade der Popmusik. 1976 wurde u.a. LIFT auserwählt. Ich kann nicht sagen, ob wir nur von Dresden geschickt wurden oder ob auch die Gastspieldirektion (GD) ihre Hand im Spiel hatte. Finanziert von der GD wurden wieder unsere Bühnenklamotten. Eine Modegestalterin kleidete jeden individuell nach seinen Wünschen ein, sorgte aber dafür, dass eine gewisse Linie eingehalten wurde, der sogenannte Stil. Weiterhin wurde eine "Show" erarbeitet. Was im allgemeinen Muggenalltag aus dem Bauch heraus mit Licht und Ton geschah, welche Titel in welcher Reihenfolge gespielt wurden, welche überleitenden Worte gewählt wurden, das alles sollte nun der Vergangenheit angehören: Die Dresdner Theaterschauspielerin Thea Elster erarbeitete mit uns ein Bühnenkonzept, sorgte durch eine Lichtregie für aufhellende Momente unseres Technikers und passte auf, dass wir nicht wie die Bauklötze auf der Bühne standen, oder dass Leckedeck an einer unpassenden Stelle nicht in sein Mikro biss. Für Ostverhältnisse war das schon Spitze, obwohl es ebenso für diejenigen ostmäßig verkrampft wirkte, die schon mal ein gutes West-Rockkonzert erlebt hatten. Doch die gab's kaum, denn die Käseglocke schwebte über unseren Häuptern. Wir fanden es also gut, und es war ja auch das erste Mal, dass wir den Ablauf eines Konzerts durchweg geplant hatten. Thea Elster hatte natürlich mit Rockmusik nicht viel am Hut, war sie doch auf der Swing- und Chansonschiene stecken geblieben. Aber sie kam vom Theater und wusste, was man durch eine intelligente Regie erreichen kann.
Einmal erklärte sie Keule, was er an einer ganz bestimmten Stelle zu machen hätte. Für ihn war das natürlich schon längst klar, ehe sie es ihm gesagt hatte. Deshalb sagte er ganz lapidar:
"Geht schon klar, Frau Elster, das hab ich im Ei" -
"In welchem Ei bitte, Herr Sandkaulen?", wollte sie verwundert wissen. Wir krümmten uns vor Lachen und einer brachte leise hervor: "Im Linken, Frau Elster, im Linken..." Es hat sie auch später keiner aufgeklärt, welches Ei wirklich gemeint war.
Der Leistungsvergleich wurde für uns ein voller Erfolg, wir nahmen eine Goldmedaille mit nach Hause und hatten somit wieder eine Stufe auf der Band-Karriereleiter erklommen.
Die einen gehen, die anderen kommen
Am 25. Oktober 1976 war der letzte Tag, den wir mit Keule und Leckedeck verbrachten. Der Alte hatte jetzt keine Lust mehr, weiterhin mit einem Gitarristen zusammenzuspielen, er war sozusagen E-Gitarre-geschädigt. Da entsann er sich seines ehemaligen Keyboarders, der vor anderthalb Jahren zur Fahne musste (mit "Fahne" wurde umgangssprachlich der Wehrdienst bei der NVA bezeichnet). Der Keyboarder war ein gewisser Wolfgang "Scheffi" Scheffler, den ich bereits beim Wettbewerb um die Goldene Note mit dem katholischen BBSV zum ersten Mal gehört hatte. Seine Zeit bei der Armee neigte sich dem Ende entgegen, und Zachar nutzte seine Chance, ihn wieder in sein Unternehmen einzuverleiben. Er bot ihm einen Platz an den Keyboards an. Das waren immerhin ein Wurlitzer-Piano, das später durch ein Fender-Piano ersetzt wurde, und ein Synthesizer des Typs ARP 2600, das Konkurrenzmodell zum Minimoog. Außerdem sollte er die Möglichkeit erhalten, Titel zu komponieren, die dann später produziert werden könnten. Da wurde Scheffi fast weich wie Butter, sagte aber gleichzeitig, er stiege nur ein, wenn auch sein Freund, der mit ihm bei der Fahne gedient hatte, als Sänger mit aufgenommen würde. Der hieß Henry Pacholski, keiner kannte seinen Namen und ihn noch weniger als Sänger, aber er hatte die Chance, bei uns zur Probe zu singen. Danach waren wir angenehm überrascht und er wurde sofort als Bandmitglied aufgenommen. In dem kleinen Land DDR gab es bei den knapp siebzehnmillionen Einwohnern keine große Auswahl an guten Sängern, das hatte ich ja schon bei Automobil gemerkt. Nun hatten wir Glück, dass durch die Armeezeit "gerade mal einer frei war".
Henry kam auch aus Leipzig, sprach, wenn er sich nicht kontrollierte, ein breites Sächsisch und hatte mal ein paar Semester Veterinärmedizin studiert, ehe er zum "Ehrendienst bei der Nationalen Volksarmee" verpflichtet wurde. Er hatte eine Vorliebe für Schwarze Musik und sein Timbre kam dem auch entgegen. Außerdem spielte er eine halbwegs gute Akustikgitarre, mit der er sich bei einigen Beatles-Songs begleitete. Auf der Bühne blieb er aber der Sänger und sein Zweitinstrument war der Schellenring. Außer gut singen konnte er auch noch zeichnen und vor allem gute Texte machen. Normalerweise war er ein sehr sensibler Mensch, war umgänglich und gebildet, nur wenn er zu viel getrunken hatte, wurde er vom Paulus zum Saulus: Er wurde aggressiv, unberechenbar und räumte in einem Billig-Hotel schon mal eine Bodenkammer aus. Es kam vor, dass er im Hotelzimmer randalierte und diverse Sachen aus dem Fenster warf. Da ich immer mit Till das Hotelzimmer teilte, erfuhr ich erst am nächsten Morgen davon. Es kam auch vor, dass uns Lärm, der aus dem Zimmer von Henry drang, aus dem Schlaf riss. Wenn man ihm am nächsten Morgen erzählte, was er in der Nacht so alles wieder angestellt hatte, wurde er ganz betreten und kehrte in sich, weil er sich an nichts mehr erinnern konnte - der klassische Filmriss.
Anfangs wirkte er auf der Bühne sehr unbeholfen und wusste mit seinem Körper nichts anzufangen. Im Laufe der Zeit lernte er, wie man sich auf der Bühne zu bewegen hat, wann man den Mikroständer (scheinbar) brutal zur Seite schwenkt oder wann man betreten ob des Textes den Kopf nach unten senkt. Beim Klatschen hatte er oft nicht den Mut, den Leuten ins Gesicht zu schauen, sein Chef tat es ihm gleich.
Henry hatte die Bewegungen auf der Bühne nicht

Ich fuhr oft mit ihm im Zug von Leipzig nach Dresden. Dann stiegen wir in Gerhards Fiat um und fuhren zum Veranstaltungsort. Daraus wurde dann eine feste Auto-Besatzung, das "Führungsfahrzeug" sozusagen. Till nahm dann Scheffi und Werther mit. Henry konnte mit Scheffi musikalisch gut zusammenarbeiten, sie waren diesbezüglich ein Herz und eine Seele. Intellektuell konnte er aber mit Scheffi nicht viel anfangen, und das konnten wir auch nicht. Scheffi hatte eine ausgesproche Schach-Intelligenz und im Schachspielen war er wirklich gut. Ich hatte mich ja auch schon seit einigen Jahren mit diesem Spiel beschäftigt und diverse Schachbücher zugelegt, musste aber beim Schachduell mit Scheffi klein beigeben. Legte er aber das Schachbrett zur Seite, musste er an die Hand genommen und geführt werden. Wie man bei meinen Schachspielergebnissen sieht, das Beschäftigen mit einer Sache muss noch lange nicht erfolgreich sein, wenn in der geistigen Ausstattung diesbezüglich genetisch etwas anders programmiert wurde. Ich begnügte mich damit, wenigsten einen Versuch gemacht zu haben, während Millionen nicht mal auf die Idee gekommen sind, Schach zu spielen. Und so schlecht war ich auch wiederum nicht.
So gut das Team Scheffler/Pacholski auch war - wenn Scheffi eine neue Idee anbrachte und sie auf seinem Fender-Piano vortrug, guckten wir uns manchmal alle verständnislos an und zuckten mit den Schultern. Und dann erklärte und erklärte und erklärte uns Scheffi, wie er sich was dachte. Teilweise hatte er die Stücke schon fertig arrangiert, es gab aber keins, was so übernommen wurde, wie es von ihm anfangs gedacht war. Bei den Proben seiner Titel steckte immer sehr viel Arbeit von uns drin, wir machten teilweise aus seinen Äpfeln unsere Birnen, die wir dann aber auch gut auf dem Markt feilboten (um mal bei diesem Bild zu bleiben) - es waren am Schluss richtige Hits dabei!
Ich trug zu dieser Zeit neben langen Haaren auch noch einen Pony, den ich mir daheim vor dem Spiegel immer selbst schnitt. Viele Jahre später offenbarte mir Dina Straat, man hätte mich damals heimlich "Madonna" genannt. Weiß der Teufel, welches Gemälde man dabei im Auge hatte und weiß der Teufel, wie oft diese Bezeichnung zur Anwendung gekommen ist. Aber als Legende reicht sie allemal.
Durch die Umbesetzung kam mit Scheffi ein weiterer Komponist in die Band, aber "Zach", wie der Alte auch gern genannte wurde, machte nicht mal den Versuch, sich kompositorisch etwas einfallen zu lassen. Er hatte einfach keine Zeit mehr dazu und wusste auch, dass er mit dem Keyboard-Duo Heubach/Scheffler nicht mithalten konnte. Die erste LIFT-LP wurde 1976 produziert und erschien im folgenden Jahr. Darauf waren neun Übernahmen von Rundfunkproduktionen, von denen ich fünf beisteuerte und auch Zach und Werther schrieben je einen Titel. Damit trugen auch sie zum Erfolg der ersten Scheibe bei. Scheffi war ja noch ein Frischling in der Band und schrieb deshalb nur zwei Songs. Das längste Werk "Ballade vom Stein" stammte aus meiner Feder und war auch zugleich mit 9:50 Minuten das längste. Hier kam auch ein neues Instrument zum Einsatz, das Mellotron.

Es war ein Vorläufer heutiger Sample-Instrumente, das aber noch auf elektro-mechanischer Basis funktionierte. Beim Drücken einer Taste wurde ein Magnetband wie beim Tonbandgerät über einen Tonkopf bewegt, das den darauf aufgenommenen Sound bis zu 19 Sekunden wiedergab. Das Instrument gab es schon seit den 50er Jahren, wir hörten aber erst ab Mitte der 70er unter unserer Käseglocke davon. Zur Auswahl standen Flöten, Streicher, Bläser und Chöre. Die Beatles machten das Ding durch das Stück "Strawberry Fields For Ever" populär. Wir setzten bei der "Ballade vom Stein" die Streicher ein. Es war eins von drei Mellotrons, die in der DDR existierten, Zachs Freund und Rivale Martin Schreier von der Stern-Combo Meißen war der erste, der sich eins über die Grenze schmuggeln ließ. Da konnte der Alte ihm natürlich nicht nachstehen; er legte die geforderten 38.000,- Mark auf den Tisch und war ebenfalls stolzer Besitzer eines Mellotrons. Wahrscheinlich hatte er sich damit maßlos verschuldet, aber irgendwie hat er es immer wieder hingekriegt, aus dem Schuldenberg rauszukommen.
Um zu Westgeld zu kommen, plante er einige Aktionen, bei denen er Antiquitäten und Porzellan nach Drüben schaffen lassen wollte, von deren Erlös seine Schulden beglichen werden sollten. Er hatte da einen Typen von der Bulgarischen Botschaft an der Hand, der das mit seinem Auto bewerkstelligen konnte. Der konnte also frei von Ost nach West fahren, an einem nebligen Autobahnparkplatz das Zeug umladen und drüben an den Mann bringen. Ob er es aus reiner Nächstenliebe getan hatte, kann bezweifelt werden - in diesem Geschäft ist so etwas ein Fremdwort. Das ging einige Mal gut, bis die Firma "Horch und Guck", auch Ministerium für Staatsicherheit genannt, Wind davon bekam und dem Deal ein Ende bereitete: Zachar wurde "vorgeführt", man legte ihm seien Fall vor die Füße und machte ihm klar, dafür ginge er nach Bautzen, das Kind käme in ein Heim und Dina würde auf ein Rad gebunden und den Prenzlauer Berg runter gerollt - sie drohten ihm also, was das Zeug hielt. Die Alternative war, er könnte dem Klub Stasi beitreten, und damit wäre alles vergessen. Der Alte wählte den Klub-Weg und war fortan IM.
Ich kann ihn eigentlich verstehen und ich möchte diese Helden persönlich kennenlernen, die da anders gehandelt hätten. Und das sage ich als Oppositioneller in der Lite-Version. Ich habe es erst im neuen Jahrtausend erfahren, dass er "dabei" war. Es hat mich nicht umgehauen, schließlich war ich diesbezüglich schon abgehärtet, denn in fast jeder Band gab's einen, der seine Augen und Ohren für Herrn Mielke offenhielt. Was hier für Erpressungsversuche vonstattengegangen sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass Gerhard keinen ans Messer geliefert hat. Ich kenne ihn durch viele private Gespräche und weiß, was er für eine Einstellung dem Staat DDR gegenüber hatte. Er soll angeblich nur ganz allgemeine Berichte abgeliefert haben, in denen er Fakten vorlegte, die die Kollegen ohnehin schon wussten. Überprüfen lässt sich das alles nicht mehr, es bleibt nur noch der Glaube, der Glaube an das Gute im Menschen.
Bei meinen Kompositionen, die auf dem ersten Album erschienen sind, habe ich versucht, das Beste mir Bekannte und Umsetzbare aus Rock, Klassik, Jazz und Lied im besten Sinne mit einzubringen. Bei "Wasser und Wein" habe ich im Mittelteil das Flötensolo mit "krummen" Taktarten unterlegt, die abwechselnd im 4/4- und 7/8-Takt liefen. Das war zu dieser Zeit in der DDR noch Neuland und es gab auch im Westen kaum jemanden, der in der Popmusik so etwas einfließen ließ. Die 70er waren eine Zeit, wo man größere Musikstücke entwickeln und aufführen konnte, ohne am Geschmack des Publikums vorbei zu musizieren. Wieder waren für uns die Vorbilder im Westen zu finden, die eine solche Form bereits praktizierten: Genesis, Gentle Giant, YES und viele andere mehr. Also versuchte ich es mit der "Ballade vom Stein" ebenfalls, was mir auch gelang. Insgeheim hat mir immer noch eine von Keule gespielte Gitarre vorgeschwebt. Damit hätte das Werk an Kraft gewonnen und wäre somit der Rockmusik ein Stück näher gerückt. Es ist halt immer schwer, auf mehreren musikalischen Hochzeiten zu tanzen, denn hier ging es von expressionistischen Einflüssen über Jazz und Rock bis zum philosophischen Inhalt des Pacholski-Textes. Ich kenne eigentlich kein Stück, das alle Stilrichtungen gleichermaßen bedient, es gibt auch keinen Musiker, der alle Stilrichtungen gleichermaßen beherrscht - deshalb wird es immer ein Kompromiss bleiben.
Der Fall Biermann
Mitte November 1976 hatte es Nina Hagens Stief- und Ziehvater Wolf Biermann riskiert: Er wollte ein Angebot des Westdeutschen Rundfunks annehmen, eine Livesendung zu bestreiten. Das bedeutete gleichzeitig ein Visum für die BRD und das für einen, der mit der DDR nicht gerade zimperlich umging, was die Beschreibung politischer Verhältnisse anbelangte. Er durfte trotzdem reisen und gab in Köln vor laufenden Kameras und einem zahlreichen Publikum exzellent seine Lieder wieder, bei denen er sich auf der Gitarre begleitete. Einige davon waren mir aus dem DDR-Underground schon bekannt, andere völlig neu. Fernsehzuschauer aus Ost und West sahen ihm zu, hörten seine systemkritischen Texte, sahen also, wie er im Westen für die Opposition im Osten auftrat, eine Opposition, die es organisiert natürlich gar nicht gab und geben konnte. Er machte seine Sache sehr professionell, als ob er täglich solche Auftritte durchzog. Wahrscheinlich trieb es einigen führenden Genossen die Zornesröte ins Gesicht und sie beschlossen, ihm die Rückkehr zu verweigern.
Für Biermanns war es keine Emigration! Nein, es war ein Rauswurf, und die Genossen waren damit wieder einen Oppositionellen los. Natürlich entfachte das nicht nur in Künstlerkreisen einen Sturm der Entrüstung, denn diese Art des Ausbürgerns war schon einmalig. Aus einem in der breiten Bevölkerung ziemlich unbekannten Liedermacher wurde ein Geächteter, der nun dadurch beim DDR-Volk bekannt wurde. Eine Petition, die von über einhundert bekannten Künstlern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eingereicht wurde, führte im Politbüro zwar zu Diskussionen, aber an dem Entschluss wurde nicht gerüttelt. Im Gegenteil, man suchte sich nun ebenfalls bekannte Künstler, die die Entscheidung der Regierung unterstützen. Aber das war gar nicht so leicht. Was tat man also? Man beauftragte die Generaldirektion beim Komitee für Unterhaltungskunst, zum Beispiel mal ein paar Bandleader bekannter Gruppen einzubestellen, die ein vorgefertigtes Schriftstück unterschreiben sollten, in dem sie dem Entschluss aus vollem Herzen zustimmten und damit gleichzeitig ihren Opportunismus öffentlich machten. Das "Tal der Ahnungslosen" wurde zur Fundgrube - eine bekannte Dresdner Rockband dokumentierte ihre brüderliche Verbundenheit mit der Partei der Arbeiterklasse und ihre Tinte war noch nicht trocken, da klingelte beim Alten das Telefon, er solle doch mal kurz in Berlin bei der GD reinschauen, es ginge schnell, er bräuchte nur was zu unterschreiben. Also schaute er bei der GD rein, sagte, er kenne keinen Biermann, er sei aus Dresden und diesbezüglich ahnungslos. Als man ihm erklärte, was für ein böser Bube dieser Biermann sei, bat sich Gerhard Bedenkzeit aus, er müsse in diese Materie noch tiefer eindringen und würde sich melden.
Damit war er sie im Moment erst mal los, doch er wusste: Die kommen wieder! Wenige Tage später kam ein Anruf von der SED-Bezirksleitung Dresden, wir sollten uns doch mal zu einem netten Gespräch einfinden, es gäbe auch Kaffee der Marke "Mocca Fix Gold", Kuchen und draußen würden die Vögel zwitschern. Also statteten wir der SED-Bezirksleitung den erwünschten Besuch ab, ein schmieriger falsch lächelnder Funktionär empfing uns, es gab den versprochenen Kaffee und Kuchen, und die Vögel zwitscherten wie auf Bestellung. Dann leitete der Genosse Schmierig den offiziellen Teil ein:
"Guckt doch mal, was wir hier haben, ein Schreiben, das gegen die Ausbürgerung dieses Biermann ist, mit euren Unterschriften, wie ihr sehen könnt. Was sagt ihr'n dazu?"
Wir starrten auf einen A4-Bogen, der einen dilettantisch verfassten Text enthielt, der die DDR niedermachte und der jeden Deutschlehrer zu Schweißausbrüchen gebracht hätte. Beim näheren Betrachten der "Unterschriften" dachten wir, das kann doch nicht wahr sein, das sind doch verdammt schlechte Nachahmungsversuche. Wahrscheinlich hat ein Offizier der Staatssicherheit sich ein paar Untergebene ausgesucht und ihnen den Befehl erteil, die Namen Zachar, Pacholski, Heubach, Scheffler, Patzer und Lohse auf ein Blatt Papier zu schreiben: "Der Text komm später dazu, also schreibt, Genossen!"
Dann sagte der Typ zu uns:
"Kann ja sein, dass ihr das nicht wart, wenn man euch so reden hört."
Wir machten unserem Ärger natürlich Luft
"Wenn dem so ist und ihr nicht der Meinung des Briefschreibers seid, könnt ihr eure Empörung ja zum Ausdruck bringen und getrost ein Gegenpamphlet aufsetzen, oder? Noch Kaffee? Der Kuchen ist auch lecker, ist aus der HO!"
Nun war guter Rat teuer. Zach, Henry und ich kannten natürlich den Namen Biermann, Henry einige Lieder und Texte von ihm und ich ihn sogar persönlich, aber bei den anderen sah es diesbezüglich eher etwas mau aus. Die Zeit raste, der Alte sollte demnächst wieder vor das Hohe Gericht der GD geführt werden, also musste etwas passieren. In seiner Not kam er auf eine Idee: Da gab es die prominente Lyrikerin Gisela Steineckert, die ihm schon manchen Rat mit auf den Weg gegeben hatte. Ihr Mann Wilhelm Penndorf war der Rundfunk-Chefredakteur für Musik. Beide waren unserer Meinung nach ziemlich unbelastet und keine Strammsteher vor der Partei. So wurde ein Treffen auf dem Rundfunkgeländer in der Nalepastraße vereinbart, man wählte eine Verwaltungsbaracke aus, weil die vielleicht nicht ganz so verwanzt war. Alle sechs LIFTlinge waren anwesend, als uns die Steineckert erzählte, wer der Biermann sei, was er für Texte machte, was er für eine Einstellung zum Land DDR hatte und überhaupt. Penndorf nickte eigentlich immer nur ab. Die Befürwortung der Rückkehr Biermanns schmolz im Schwall der rhetorisch hervorragenden Steineckert dahin. Am Schluss einigten wir uns auf ein von LIFT aufgesetztes Schreiben, bei dem Steineckert und Penndorf uns ihre Hilfe anboten. Dann wurde abgestimmt, demokratisch natürlich, schließlich lebten wir in der Deutschen Demokratischen Republik. Fünf LIFTlinge hoben ihre Hände, ein LIFTing reagierte nicht. Das war ich. Ich wusste nämlich, warum sich die Steineckert so vehement gegen Biermann ausgesprochen hatte: Die beiden hatten mal einige Zeit Tisch und vor allem das Bett geteilt, bis Biermann sie sitzen ließ, so die Legende. So etwas verkraftet eine Frau selten und nutzt jede sich passende Gelegenheit, sich zu rächen. Nun stand es fünf gegen einen - ich enthielt mich der Stimme, der "Beschluss" wurde mit einer Enthaltung angenommen, und alles ging seinen Gang. Das Schreiben wurde aufgesetzt, es wurde aber nie veröffentlicht und ruht wahrscheinlich noch heute in einem Ordner der Birthler-Behörde, der 1989 beim Sturm auf die Stasi-Zentrale vor der Wut des Volkes gerettet wurde.
Die letzte Juliwoche des Jahres 1977 hellte unseren Muggenalltag etwas auf - wir hatten eine einwöchige Polentournee. Dort traten wir u.a. mit dem Orchester Fips Fleischer auf. Fips, dem Mann aus Zeiten der Musikhochschule. Und die erste Trompete blies mein Zimmerkamerad Mücke! Ich muss gestehen, es kam zu keinen Herzattacken wegen übermäßiger Freude... Nein, wir hatten uns wie ein altes Ehepaar auseinandergelebt.
In den Hotels, in denen wir schliefen, gab es sogar Fleisch und Wurst zu essen. Polen steckte nämlich wieder einmal in einer Fleischkrise und das bedeutete, es gab eigentlich nur Speisen, die aus Hühnern gemacht wurden. Wurst gab es nur als Bückware oder beim Bauern, wenn man Glück hatte. Wir als "die aus der DDR" genossen es unbewusst, ihnen die Wurst vom Brot zu essen und machten Witze über ihre Misswirtschaft. So muss es den Westbürgern ergangen sein, wenn sie die DDR besuchten und über unsere Wirtschaft den Kopf geschüttelt haben. Die Polen haben gefühlt, dass sie von den DDR-Bürgern von oben herab angesehen wurden, hatten aber ihren Stolz, es sich nicht anmerken zu lassen. Sie mussten sich zwar kulinarisch sehr einschränken (um das mal vorsichtig auszudrücken), hatten dafür aber eine Kulturlandschaft, die sehr westlich geprägt war und ihnen auch viel mehr Freiheiten ließ. Da sahen wir als DDR-Bürger ziemlich alt aus. Und so was wie LIFT hatten die garantiert auch, nur wesentlich progressiver. Das wollten wir aber nicht wissen, es hätte uns den Spaß verdorben, den Spaß am Musikmachen und am Fleischessen.
Wir und die sowjetischen Verhältnisse
Eine weitere Tour unternahmen wir nach Wolgograd, das bis zum Tod Stalins noch Stalingrad hieß. Es waren wieder die berüchtigten "Kulturtage" angesagt, in dem Fall die Deutsch-Sowjetischen also. Dieses Mal fuhren wir drei Tage mit einem Sonderzug in diese Stadt. Die Fahrt war sehr lustig, wir tranken unseren Alk, den wir vorsorglich mitgebracht hatten, genossen die Landschaft, kauften irgendwelches Zeug wenn der Zug mal an einem kleinen Bahnhof hielt, um neues Wasser aufzutanken und tranken Tee aus einem Samowar. Die drei Tage wurden dann lang, als der Alk ausging, die Schnarcher sich in ihren Abteilen bemerkbar machten und man sich nur noch ein Buch vorknöpfen konnte, um etwas gegen die Langeweile zu tun. Abwechslung brachte das Austauschen der Rad-Achsen, weil die Spurbreite in der Sowjetunion kleiner war als in Mitteleuropa. Wenn man den Zug durchlief konnte man feststellen, dass bekannte Gesichter aus den letzten CSSR-Kulturtagen dabei waren - es war eine Familie der Auserwählten, und ob man darauf stolz sein konnte, sei noch mal dahingestellt.
Unser Hotel war ein alter Neubau, wie fast alles in Wolgograd, eine Altstadt im europäischen Sinn gab es kaum. Das mag die Folge des Krieges gewesen sein, aber ich glaube eher, das lag im System. Angeblich soll es das beste Hotel am Platz gewesen sein. Ich verkneife mir da eine Bemerkung, wie die anderen wohl ausgesehen haben mochten. Ein Blick ins Bad sagte mir nicht alles, aber viel.
Wir hatten verschiedene Auftrittsorte, wo

In unserem Hotel fand nach den Auftritten immer ein fröhliches Beisammensein statt, kurz Umtrunk genannt. Die Bar sollte eigentlich um 22:00 Uhr schließen, hatte aber bereits am nächsten Abend bis 23:00 Uhr auf, und das ging so weiter, bis sie erst ab 4:00 Uhr morgens das Licht nun endgültig löschte. Das lohnte sich für sie, waren doch zahlungskräftige Künstler aus der DDR ihre Gäste, die von ihren FDJ-Funktionären begleitet wurden. Dem Barkeeper machte es zunehmend Spaß, Bestellungen auf Englisch entgegenzunehmen. So kam es, dass in einer sowjetischen Stadt, die den Deutschen im Winter 1943/44 ihre größte Niederlage bereitet hatte, die Söhne der Besiegten in der Sprache des Klassenfeindes Whisky bestellten.
Einer jedoch machte das nicht mit: Der Vorsitzende des Zentralrates der FDJ Egon Krenz, der zwölf Jahre später in die Fußstapfen von Erich Honecker treten sollte. Der bestellte auf Russisch (!) seinen Wodka, doch der Barkeeper ignorierte ihn - er war für ihn nicht existent. Krenz versuchte es wieder und wieder, und bekam die gleiche Reaktion. Mittlerweile wurden die anwesenden Künstler und somit auch wir neugierig, wer den Kampf wohl gewinnen würde. Krenz wurde immer ärgerlicher, der Barkeeper immer cooler und bediente alle, nur Krenz nicht. "Versuch's doch mal mit Englisch, Egon, oder kannste das och nicht?", höhnte es von hinten. Dann mischte sich ein Typ ein, der vom KGB gewesen sein musste und der Barkeeper gab klein bei. Alle haben es dem Krenz gegönnt, dass er einmal seine Grenzen kennenlernte.

Wolgograd ist berühmt für das höchste freistehende Denkmal der Welt, das ausnahmsweise mal nicht wie die Freiheitsstatue in New York steht (siehe Bild oben). Zu finden ist es auf dem Mamajew-Hügel, der heute an die Schlacht von Stalingrad während des Zweiten Weltkrieges erinnert. Unter dem Denkmal erstreckt sich eine Parkanlage, die ihren Besuchern neben typischen sowjet-pathetischen Steinskulpturen eine riesige, von einer Steinhand gehaltene Ewige Flamme präsentiert. Meine Fotos vom Mamajew-Hügel waren ziemlich dilettantisch und ich kann mich deshalb wenig an unseren dortigen Besuch erinnern. Wir waren in einem Besucherstrom, von dem sich die DDR-Besucher durch ihr FDJ-blau absetzten.
Alle aktiv Beteiligten trugen eine passende Oberbekleidung, damit jeder wusste, mit wem man es zu tun hatte. Eigentlich sollte man ja das FDJ-Hemd tragen, aber so hatten wir Künstler wenigstens eine Alternative.

Die Gäste aus der DDR fielen nicht nur durch ihre standardisierte Oberbekleidung auf, sondern auch durch die Jeans, die sie trugen. In der Sowjetunion waren ja für die meisten der Bevölkerung Jeans ein Fremdwort, und das im doppelten Sinn. Wir waren für sie wieder mal die Gäste aus dem Westen, egal wo der nun begann. Man hat für uns allerhand organisiert, schließlich zählten wir zu den Privilegierten. So machten wir eine tolle Bootsfahrt auf der Wolga und sahen etwas mehr als die gesichtslose Stadt Wolgograd. Die Zugrückfahrt war weniger lustig, denn die Musiker vom Günther Fischer-Sextett kauften sämtlichen Alk an Board auf, und wir mussten neidisch zusehen, wie sie immer gut gelaunt der Ankunft entgegensahen.
Kubanisches Vorspiel
Im Januar 1978 fand im Palast der Republik eine Veranstaltung "zur Vorbereitung der Weltfestspiele der Jugend in Havanna" statt - der genaue Titel ist auf der Strecke geblieben. Im Palast spielen hieß für uns immer, irgendetwas mitgehen zu lassen. Schließlich war es ja der Palast des Volkes und wir gehörten zum Volk. Oder etwa nicht? Wir waren nicht die Einzigen, die mit volleren Taschen den Palast zum Seitenausgang für Mitwirkende verließen, denn im Laufe der Zeit gab's gewisse Sachen nicht mehr oder es wurde höllisch aufgepasst, dass sie nicht verschwanden. Ich habe noch jetzt zwei Handtücher aus Palastgründerzeiten zuhause, denn die waren so gut, die mussten aus Schweden gewesen sein... Die Schweden hatten ja ihren gehörigen Anteil an dem Palast; von ihnen kamen auch die Armaturen für Bad und Toilette, die man dann in Eigenheimen der Palastbauer wiederfinden konnte. Eine bekannte Sängerin ließ sich von ihrer Band mit Sekt-, Cognac- und Weingläsern ausstatten, sie handelten sozusagen im Auftrag. Als sie ihre Kollektion a 6 Stück zusammen hatte, wollte sie den Seitenausgang mit einer prall gefüllten Tasche verlassen, aber daraus wurde nichts - sie wurde erkannt, gefilzt und zehn Jahre nach Sibirien geschickt... (Nein, das ist eine Lüge, aber sie bekam Palastverbot und noch einige andere Verbote, bei denen sich die Gerüchteküche aber nicht einig war).
So, Gerhard hatte also seine Beziehungen zum Zentralrat der FDJ spielen lassen, um an besagter Veranstaltung teilnehmen zu können. Das war nämlich der erste Schritt, um für eine Reise nach Kuba auserwählt zu werden. Um im Palast aufzutreten, bedurfte es einer besonderen Leistung, entweder politisch oder künstlerisch.
"Schreibt doch mal ein Stück, das was mit den glorreichen Kämpfern in Kuba gegen den US-amerikanischen Imperialismus zu tun hat. Ihr kriegt auch 'ne große Besetzung, wenn ihr wollt", sagte einer, der das Sagen hatte. Also bekam ich den Auftrag, ein Werk für Rockband und Sinfonieorchester zu schreiben. Klar, die Rockband waren wir und das Sinfonieorchester war das Rundfunkorchester Leipzig, aber das war mir erstmal egal. Ich hatte ja ein großes Vorbild, und das war John Mclaughlin's Mahavishnus Orchestra mit ihrem Werk Apocalypse, das von dem Londoner Sinfonieorchester eingespielt wurde. Das war schon Weltmusik und ist es noch heute. Da ein Vergleich für mich der Griff nach den Sternen bedeutete, wurde ich zum Schuster, der bei seinen Leisten blieb. Ich schrieb also ein mehrsätziges Werk, das mit einem Orchester-Intro begann und von uns rockjazzig fortgeführt wurde. Natürlich musste es mächtig klappern, und das nicht in Bezug auf unrhythmisches Spielen, sondern auf den Einsatz von Perkussionsinstrumenten, damit die Kubaner auch erkennen, dass es für sie komponiert wurde. Wir übten unseren Part und ich schickte die Partitur nach Leipzig, damit das Orchester auch schon mal einen kleinen Eindruck von dem hatte, was dann gemeinsam geprobt werden sollte. Dann fuhren wir nach Leipzig und bauten unser Equipment in dem Sendesaal des Rundfunkgebäudes auf.
Das Orchester war schlecht. Der Dirigent war schlecht. Das Orchester konnte mit der Musik überhaupt nichts anfangen, der Dirigent tat aber so. Es war ein einziges Geklapper, womit wieder das Unrhythmische gemeint ist. Die Musiker guckten auf die Uhr, ob denn ihre gewerkschaftlich zugesicherte Pause schon eingetreten sei. Wir hatten dann noch eine weitere Probe im Palast der Republik und das war's dann auch.
Am 26. Januar 1978 war der Tag der Uraufführung. Ich freute mich schon wieder mal diebisch, weil mir ein weiteres Husarenstück gelungen ist. Der berühmte argentinische Revolutionär Che Guevara, der am Sieg der Revolution in Kuba maßgeblich beteiligt gewesen ist, war bei den Machthabern der DDR nicht gerade beliebt, er passte schon rein äußerlich nicht zu der Idealvorstellung, wie ein Revolutionär auszusehen hatte: Lange Haare, Bart und kein FDJ-Hemd. Außerdem war ja Fidel Castro der liebe Gott und Che höchsten ein niederer Not-Engel. Aber wie es so ist - was von den einen gehasst wird, wird von den anderen geliebt. Che zierte die Wände nicht nur von Teenagern, sondern auch von Studenten und Oppositionellen. Das war der zweite Dorn, der in die Augen der Funktionäre stach. Das alles ging mir durch den Kopf, als ich nach einem Titel für mein Stück suchte. Am Schluss stand für mich fest, das Stück sollte "Che Guevara Suite" heißen! Verbieten konnte man es mir nicht und Einwände hinter vorgehaltener Hand waren auch politisch nicht korrekt.
Die Führungsriege der FDJ und Mitglieder des Politbüros saßen in der ersten Reihe, als die Ansage eines Moderatos die "Che Guevara Suite" ankündigte. Wir traten zusammen mit dem Orchester auf die Bühne, bekleidet mit unseren schwarzen Smokings, die wir jetzt zum zweiten Mal trugen. Dann nahmen wir unsere Plätze ein, der Dirigent Klaus Wiese hob den Taktstock und die Musik begann mit dem sehr unsicher dargebotenen Orchesterakkord. Wir waren natürlich alle sehr aufgeregt, immerhin waren da zweitausend Leute im Saal, und der Rundfunk machte einen Mitschnitt. Als der gesendet wurde, schämte ich mich für das Orchester und schämte mich für die Leute, die Toningenieur und Tonmeister hießen. Und vor allem schämte ich mich für diesen Klaus Wiese, der sich am Schluss derartig in den Vordergrund verneigte, dass man annehmen konnte, er hätte hier alles allein gespielt. Ich glaube, ich gab ihm noch dankend die Hand, wie sich das gehörte und seine war feucht und schwammig. Zwischen der Apocalypse und der "Che Guevara Suite" waren nicht nur Welten bei der Aufführung... Nein, dazwischen lagen schon Galaxien. Ich muss trotzdem heute sagen, unter der berühmten DDR-Käseglocke war es einfach progressiv, das erste Stück mit Rockband und Sinfonieorchester, aber hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen... Ich möchte mich nicht wiederholen. Global gesehen hatte ich es höchstens zu einem Einäugigen gebracht, der noch viele Blinde um sich wusste.
Bei unserem Live-Repertoire hatten wir ein längeres Werk, das nicht auf unserem Mist gewachsen war. Der Keyboarder Rick Wakeman von der Band YES machte ein Soloprojekt und spielte die Platte "Six Wives of Henry VIII" ("Die sechs Frauen Heinrich des Achten") ein. Ich weiß nicht mehr, wer von uns daraus den Teil über das Weib Catherine Howard angeschleppt hatte, jedenfalls fügten wir es unserem Repertoire hinzu. Zach sagte komischerweise immer Catherine Parr an, obwohl das die letzte Frau Heinrich des VIII. war; wir spielten aber die dritte. Zach gab sich sehr viel Mühe bei der englischen Aussprache. Das "th" ließ seine Zunge förmlich am Gaumen kleben, während er bei "Parr" mit einem Kloß im Mund kämpfte. Sein Englischlehrer hätte seine wahre Freude an ihm gehabt. Rick Wakeman hatte seine YES-Vergangenheit außen vor gelassen, denn es war ein ziemlicher Schmalz, den er da auf Platte gebracht hatte. Ich war der Einzige, der sich da etwas abfällig geäußert hatte, und das rührte noch von meiner Zeit bei Bürkholz, wo wir geradezu vernarrt in YES gewesen sind. Für uns bestand der Vorteil des Coverns dieses Stückes darin, dass wir etwas "für's Volk" hatten, denn schon der Name "YES" oder "Rick Wakeman" zog die Leute in ihren Bann - mit "Leute" meine ich natürlich Fans, die sich in der Rockszene einigermaßen auskannten. Weiterhin hatten wir die Möglichkeit, unser Mellotron zum Einsatz zu bringen. Ach, wie schön wäre es doch gewesen, hätten wir bei Ankündigung des Werkes irgendwie den Preis hinzufügen können. Vielleicht so:
"...Und hier ein Stück von Rick Wakeman, gespielt u.a. auf einem 38.000,- Mark teurem Mellotron, geschmuggelt vom Diplomatischen Chor der Republik Grönland und erstanden von unserem lieben Bandleader, der dafür einen längeren Aufenthalt in Bautzen riskierte. Und das alles nur für euch. Wir würden es sehr begrüßen, wenn ihr noch etwas Kleingeld übrig hättet, damit sich die nun verarmte Gruppe LIFT eine warme Mahlzeit leisten kann. Vielen Dank!"
Diese Ansage wurde nie gemacht, vor allem in der Sowjetunion nicht, denn was wussten die denn schon von Bautzen. Als wir das Stück spielten, hatten wir immer den Eindruck, als warteten die Leute darauf, dass aus der weißen Kiste kleine Geldscheine auf ihre Häupter schwebten. Zach sah auch schwebende Scheine - es waren Schuldscheine.
Unser Equipment war zu dieser Zeit recht beträchtlich. Ich hatte auf meiner Seite Minimoog, Hohner Clavinet und eine zweimanualige Farfisa-Orgel. Scheffi spielte auf einem Wurlitzer- und später Fender-Piano, dem ARP-Synthesizer und dem Mellotron. All diese Instrumente kamen bei Wakeman zum Einsatz.
Zwischen 1977 und 1978 wurden von uns einige Titel für eine geplante zweite LP aufgenommen, einige beim Rundfunk und die anderen bei AMIGA, dem einzigen POP-Label des Landes. AMIGA war schon etwas kommerzieller ausgerichtet und hatte deshalb auch ein wenig mehr Freiheiten zu bieten, denn schließlich sollte ja auch Westgeld ins Haus kommen. Die Chefs, die dort mit dem roten Daumen nach oben oder unten zeigten, waren schon wesentlich liberaler als die von der Partei gesteuerten Mitarbeiter des Rundfunks. Bei AMIGA wurden oft Texte durchgewunken, die beim Rundfunk im Papierkorb gelandet wären. Darauf konnte man sich aber nicht verlassen. Der Chefredakteur Rene Büttner entschied über gut und böse, er hatte also die Macht, die er je nach Laune auch manchmal genoss. Da wir aber ein gutes Training hatten, was Textfragen anbelangte, gab es bei AMIGA diesbezüglich keine Schwierigkeiten. Henry wusste nämlich, wie weit er den Bogen spannen durfte, und er kannte auch die Möglichkeiten, zwischen den Zeilen zu schreiben. Die DDR-Bürger gehörten zu einem Volk der Zwischen-den-Zeilen-Lesern (Leider haben die Genossen auch zwischen den Zeilen gelesen, aber meistens Sachverhalte, die gar nicht gemeint waren. Es war eine reine Frage der Interpretation.)
Aus nicht nur gesundheitlichen Gründen kam es zu einem Wechsel an den Drums, denn Werther Lohse hatte in der letzten Zeit merklich an Kraft verloren, sein Trommeln ließ einen gewissen Drive vermissen und seine Schläge waren weniger exakt als früher. Deshalb beschlossen wir in kleiner Runde, uns den Drummer Endrik Moll einzukaufen. Endrik war ein trommelndes Naturtalent und kam - wie sollte es anders sein - aus der Kaderschmiede Leipzig. Zu dem Konzert bei den Studenten an der Hochschule für Grafik in Leipzig 1970 hatte ich ihn das erste Mal gehört und gesehen. Seine Arme glichen denen eines Oran-Utans und er trommelte da selbstvergessen ein Schlagzeugsolo von mindestens 20 Minuten. Ich wusste gar nicht, dass man so trommeln konnte. Seine Hände waren derartig unabhängig voneinander, dass er mit der einen vier und mit der anderen gleichzeitig fünf Schläge machte. Manche haben ja schon Schwierigkeiten, mit links zwei und mit rechts drei Schläge auf einmal zu machen. Dazu kamen noch seine beiden Füße, die ebenso unabhängig waren. Egal wo wir waren, Endrik fand immer etwas, worauf er trommeln konnte, und es klang immer nach etwas Besonderem. Wir Musiker bewegten schon nach dem zweiten Takt automatisch unsere Füße mit dem Endrik-Beat. Das musste erst einmal jemand nachmachen! Mit Endriks Begabung konnte nur noch die absoluten Gehöre von Scheffi und mir mithalten. Da hatte der liebe Gott aber wieder mal ganze Arbeit geleistet.
Endrik war eigentlich ein Jazztrommler, denn da konnte er seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Alle Titel, die etwas jazziger waren, trommelte er natürlich besser als sein Vorgänger. Mit einmal bekam das Ganze den bisher vermissten Drive und wir sahen uns manchmal auf der Bühne an und nickten beifällig mit dem Kopf, wenn er sich mächtig ins Zeug legte. Er trommelte dir das Blaue vom Himmel, aber eins konnte er nicht: den kräftigen Beat eines Rockschlagzeugers. Ich war immer hin- und hergerissen, weil mir einerseits seine jazzige Herangehensweise an einen Rocktitel auch gefiel, aber ich letztlich doch den Rockdrummer bevorzugt hätte. Außerdem hatte er noch eine Angewohnheit, die uns immer mehr missfiel: Er trommelte zu viel. Das bedeutete, er konnte nur mit äußerster Disziplin einen einfachen Beat schlagen, und ab und zu schlichen sich immer ein paar Schläge mit ein, die gar nicht sein durften. Er war halt immer der Artist auf seinem Instrument. Manchmal haben wir zu ihm gesagt, "Endrik, du zertrommelst wieder mal alles." Endrik war ein lustiger Mensch, der ab und zu mal böse Gags machte, die nicht jedermanns Sache waren. Das passierte meistens dann, wenn er "einen drin hatte". Das bedeutete, er hatte sich wieder mal an einer Flasche Schnaps gelabt.
Die "Tagesreise", die von Bürkholz über Krüger ihren Weg zu Automobil fand, wurde nun auch von uns gecovert und später bei AMIGA eingespielt. Und gerade da wäre ein Rocktrommler vonnöten gewesen. Durch Endriks jazzige Schlagweise, die zwar notengerecht war, aber den entsprechenden "Bums" vermissen ließ, war die Originalfassung der Horst-Krüger-Band doch die bessere Wahl. Ich hatte ein paar Veränderungen vorgenommen, um den Song im Mittelteil noch etwas aggressiver zu machen, aber es fehlte eben an einer Heavy Metal-Gitarre, an einem Chor mit geilen Frauenstimmen und nicht zuletzt eben auch an einem Rockdrummer. Live spielte das alles weniger eine Rolle, da galten andere Gesetze. Wenn die Leute im Saal einen eigenen Song von uns wiedererkannten, der dazu auch noch erfolgreich gewesen ist, war es sekundär, wie weit er dem Original entsprach. Daran konnte man verfolgen, dass sich das Publikum auch mit entwickelte.
Unser Livespiel wurde immer perfekter und routinierter. Ich hatte wie immer ein Keyboardsolo, das ich mit Drum-Unterstützung begann und dann solo weiterführte. Ich kannte meine Stellen, die kommen mussten, weil sie technisch gut von mir gespielt wurden und den Leuten eine gewisse Achtung entlockten. Ich wusste auch, wann ich meine langen Haare zur Seite werfen musste, wann ich breitbeinig auf der Bühne zu stehen hatte und vor allem wann ich den entsprechenden Part spielen musste, der die anderen wieder auf die Bühne beförderte, um das Stück zu Ende zu spielen (Das alles kam aus dem Bauch und war keine eiskalte Berechnung, nur im Nachhinein kann ich es natürlich so zusammenfassend auf einen Punkt bringen.)
Aber irgendwie fehlte mir etwas. LIFT wurde zur Art-Rockband, stellte hohe Ansprüche an sich und an sein Publikum und machte den Spagat zwischen Lied und Jazz, der eigentlich nicht zu schaffen war. Unsere Größe bestand nur in Relation zu anderen Art-Rockbands. Wir waren aber keine Kapelle, die volkstümliche Musik fabrizierte und diese dann dem Publikum als "Rockmusik" präsentierte. Eigentlich machten wir eine Nischenmusik und der Erfolg in den Medien kam vor allem durch die so genannten "Lieder" und durch Zachs Rühren an den maßgeblichen medialen Stellen. Wir füllten keine Stadien, da gab's noch keine Band in der DDR, die das vollbrachte, es sei denn eins mit tausend Personen. Aber wir hatten wenigstens fast immer ausverkaufte Säle, und wir mussten nicht mehr "zum Tanz" spielen! Das Zum-Tanz-spielen war mit zunehmendem Anspruch unsererseits immer mehr mit Repertoire-Kompromissen verbunden, schließlich kamen die Leute ja zum Tanzen und wollten kein ellenlanges Schlagzeugsolo hören oder einem Keyboarder sehen, der mit gespreizten Armen zwei Keyboards bediente und mit der Nase auf einem dritten einen Ton aushielt - das habe ich mal aus Gag gemacht, das wurde aber nie lobend erwähnt. Klar, es gab immer ein paar, die mit aufgestützten Ellenbogen am Bühnenrand standen und das Geschehen da oben verfolgten. Aber die anderen riefen nach dem Kellner, gingen pinkeln, brüllten sich ihre nächtlichen Erlebnisse ins Ohr oder saßen missgelaunt in einer Ecke, weil sie so hässlich waren. Als Blueskapelle braucht man so etwas, da wird der Kontakt über den Tresen zum Kuttenpublikum hergestellt, die Musik ist mit ihrem immer wiederkehrenden 12-Takte-Schema erkennbar, und die Mädels werden mit jedem Bier immer schöner. Dem konnten wir durch eine Konzertform aus dem Weg gehen. Die wilden Anfangs-70er, wo man noch alles durfte, weil keiner wusste, was nun wirklich in war, wichen beim Volk einem zunehmenden Drang zum Einfachen. Das Konzert war die Ausnahme, die man sich gönnte, um dabei gewesen zu sein. Zwischen Renft und LIFT lagen zwar keine Welten, aber der Abstand war schon beträchtlich. Da wir ein Unter-der-Käseglocke-leben gewöhnt waren, hatten wir kaum den Traum, aus Mölkau bei Leipzig ein Woodstock zu machen und vor einer halben Million Fans zu spielen. Natürlich wären wir auch gern nach dem Westen gefahren und hätten dort wenigstens auf irgendwelchen Scheiß DKP- oder Gewerkschaftsveranstaltungen gespielt - "die Hauptsache mal raus hier", sagten wir uns. Deshalb musste Zach der FDJ und der SED und der Künstleragentur diplomatisch am Arsch lecken (um das mal so direkt auszudrücken). Durch seine Diplomatie konnte man uns nie vorwerfen, die System-Kuh gemolken zu haben, wir konnten immer noch am Abend in den Spiegel schauen. Aber auch diese Typen, die am Hebel der Kulturmacht saßen, waren nur Menschen, und daher in einer gewissen Weise auch korrupt. Eigentlich ist es lächerlich, aber schon ein Plakat oder ein Päckchen Kaffee ließ manches rote Herz dahinschmelzen. Der Alte machte manchmal Andeutungen, was da vonstattenging, alles andere war Betriebsgeheimnis.
Das Team Scheffler/Pacholski wurde stilistisch immer bestimmender. Scheffi war ja ein ausgezeichneter Pianist, er konnte auch auf seinem Wurlitzer-Piano ganz schön rumalbern. So verhunzte er gern bekannte Songs und spielte seine innig geliebten Beatles auf eine Art, die mit dem Original nicht mehr viel zu tun hatte. Leider kann ich von den Beatles in seinen Songs nicht viel wiederfinden. Seine Melodien waren für mich eher die eines Pianisten, aber nicht die eines Sängers. Er dachte beim Schreiben immer pianistisch, während ich mir auch die Gitarre zur Hand nahm, um mir eine neue Melodie einfallen zu lassen, wie ich es bei Wasser und Wein getan habe.
Ich muss an dieser Stelle feststellen, ich war zu bequem, das schöne Leben bei LIFT aufzugeben, denn ich hatte ja alles, was ein Musikant eigentlich braucht: Gute Musiker und genug Auftritte, die auch nicht mehr als fünfzehn im Monat überschreiten sollten, "damit wir nicht in der Routine ersticken und kreativ bleiben", so Zachar. Damit hatte er Recht. Aber die Routine kam ja trotzdem und das Kreative blieb bei mir nach und nach auf der Strecke. Ich hatte andere Vorstellungen, was den Musikstil anbelangte. So schön die Lieder auch waren, es hatte immer den Touch von "Oma-Musik", auch wenn wir sie gern als "zeitlos" hinstellten. Und da ich gern wieder mal Rockmusik machen wollte, fand ich bei LIFT keine Mitstreiter. Scheffi war Jazzer und hatte für Rockmusik nur verächtliche Bemerkungen übrig, wenn er mal aus sich rausging; Henry war der Poet und Liebhaber Schwarzer Musik, Endrik trommelte alles, aber am schlechtesten Musik, die hart und kräftig war, und Zach war so mittendrin, weder Fisch noch Fleisch und war in erster Linie der Manager, der aus so einem kleinen Haufen eine gute Band gemacht oder besser "organisiert" hatte. Die Wahrheit wird sein, dass jeder seine eigene Vorstellung von einem idealen Repertoire hatte und wieder nur durch Kompromisse ein Profil hergestellt werden konnte. Es hätte auch keinen Sinn gehabt, die Bandmitglieder umzustimmen, denn so etwas muss von innen kommen.
Reise ins sozialistische Amerika
Endlich war es soweit und wir ernteten die Früchte unseres Auftritts im Palast der Republik - Che Guevara hatte uns Glück gebracht. Am 25. Juli flogen wir mit einer IL-62 nach Kuba. Es war ein gemischter Haufen aller Altersgruppen, bestehend aus Blauhemd- und Jeansträgern. Wir flogen zuerst nach Nordwesten, weil das Flugzeug im kanadischen Gander aufgetankt werden musste. Das war unser erster Besuch auf westlichem Boden. Normalerweise mussten Passagiere beim Auftanken das Flugzeug aus Sicherheitsgründen verlassen, wir aber durften es nicht. Wie wir später erfuhren, hatten bei einer Maschine vor uns einige der Blauhemden den Weg über den Transitraum genutzt, um politisches Asyl in Kanada zu beantragen. Ob sie ihr Hemd vorher ausgezogen hatten, ist nicht bekannt. Doch nun waren die Genossen gewarnt: Ab jetzt durfte keiner mehr den Transitraum betreten! "Wenn beim Tanken der Flieger explodiert, sterben sie wenigsten für eine gute Sache!", würde ein Zyniker sagen. Es wurde während des zweistündigen Aufenthaltes immer wärmer, denn die Klimaanlage war ausgeschaltet worden. Deshalb musste eine Passagiertür geöffnet werden, um etwas Westluft in den sowjetischen Flieger zu lassen. Das war die Gelegenheit für mich, ein Foto zu schießen, um es stolz zuhause vorzuzeigen:
"Guck mal hier, ich in Kanada", würde ich verkünden.
"He, und da sind auch noch richtige Menschen drauf. Kanadier?"
"Flughafenpersonal."
"Und die durftest du so einfach knipsen?"
"Ach weißt du, da stand so einer neben mir, dessen FDJ-Hemd ihm wegen der Bauchweite hervorragend passte. Der muss sich Sorgen um mein Wohl gemacht haben, denn er sagte dann auch noch, es sei hier verboten, Fotos zu machen. Da habe ich gesagt, im Westen ist alles anders, worauf der wieder mit Bautzen kam, aber das bilde ich mir vielleicht auch nur ein. So was kann zur Manie werden, du verstehst? Ich habe ihm noch schnell 'Freundschaft' entgegengerufen und mein Foto gemacht. Bei 'Freundschaft' ist er weich geworden und hat mich gehen lassen."
"Und mit der Einstellung bist du Reisekader geworden?"

Reisekader. Wer in den Westen fahren wollte, wurde gecheckt, und zwar nicht beim Verlassen des Landes... Nein, schon Monate vorher. Da mussten viele Papiere ausgefüllt werde, man musste Westverwandtschaft und Kontakte angeben. Ich hatte diesbezüglich mal eine reine Weste und andere politische Übeltaten waren den Leuten vom MfS nicht bekannt. Oder doch? Ich weiß es nicht, aber ich hatte auf alle Fälle wenige Tage vor dem Abflug meinen Reisepass mit dem Visum für Kuba erhalten. Nur unsere drei Roadys, die noch in Dresden wohnten, durften die Weltfestspiele am heimischen Fernseher verfolgen, falls sie darauf nach ihrer Ablehnung noch Lust hatten. Die haben auch nie erfahren, was der Grund dafür gewesen ist. Vielleicht wollten sie mal in einem Intershop mit Ost-Mark bezahlen und das ist ihnen als Provokation ausgelegt worden. Wir haben dann auf einen anderen Techniker ausweichen müssen, der eine reine Weste hatte.
Als wir über das Bermudadreieck flogen, sagten wir uns gegenseitige Tschüss, aber man wollte uns da unten nicht. In Havanna schlug uns 96% Luftfeuchtigkeit entgegen und wir dachten an die weiteren Tage, die wir damit verbringen mussten. Es war eine Frage der Gewöhnung, denn schon nach drei Tagen machte uns das nichts mehr aus. Unser "Lager" war ein von DDR-Leuten neu und als Geschenk errichtetes Objekt, zu dem mehrere Flachbauten inklusive Küchentrakt und Speisesaal open air gehörten. Es gab keine verglasten Fenster, nur hölzerne Fensterläden mit nicht verstellbarem Lamellenwinkel, die vor einfallendem Sonnenlicht schützten. Ein großer Schlafsaal mit Doppelstockbetten gab dem Ganzen einen Hauch von Kinderferienlager. Nur die "großen" Künstler wie Hauff/Henkler bestanden darauf, in einem Hotel untergebracht zu werden. Ihr Wunsch war der FDJ Befehl, sie kamen in der City in einem Hotel unter, wo es täglich nur zwei Stunden Wasser gab und der Strom auch ab und zu mal ausfiel. Wir gönnten ihnen ihren Extrawunsch und rieben uns dabei die Hände vor Schadenfreude. Als sie einmal unser Objekt besuchen mussten, wären sie fast zum Rumpelstilzchen geworden, das vor Wut im Erdboden versank, denn wir badeten gerade in unserem Swimmingpool und ließen uns von einem pechschwarzen Neger ein kühles Bier bringen - und das ist diesmal keine Übertreibung!
Es gab diesen Pool, man konnte aber am frühen Morgen noch nicht baden, weil er gereinigt wurde, und das bedeutete, für die Deutschen musste deutsch gehandelt werden. Es gab kubanisches Personal für alles: Vom Busfahrer über Reinigungskräfte, Pool-Instanthalter, Küchenpersonal und natürlich auch Dolmetscher. Alles war wie für uns geschaffen. Fünf Jahre vorher hatte ja die DDR die Weltfestspiele ausgerichtet und man wollte es uns gleich tun, was die Perfektion anbelangte. Die DDR steckte Abermillionen in dieses Fest, aber auch die anderen "Bruderländer" trugen ihren finanziellen Teil bei, damit dieses arme Land für den Kalten Krieg erhalten blieb.
Ein paar Tage, nachdem sich auch die Letzten per Flugzeig oder Schiff eingefunden hatten, gab es die offizielle Eröffnung unseres Lagers. Dazu mussten wir uns wieder mal unsere "Dienstkleidung" überstreifen. Irgendein Modefuzzi hatte sich eine Kombination ausgedacht, die auch Wind und Wetter standhalten sollte. Neben Hosen, Hemd, T-Shirt, schlecht sitzendem Basecap und einer Jacke gab es auch noch ein Cape, denn pünktlich um 16:00 Uhr begann der subtropische Regen, der bis gegen 17:00 Uhr anhielt. Dann lachte über Kuba wieder die Sonne und über die DDR die ganze Welt (Entschuldigung, war'n alter Ostwitz, den wollte ich schon immer mal loswerden).
Wir mussten uns also etwas überziehen, Hose und Hemd, zu mehr hätten die mich auch nie gekriegt. Dazu Sandalen, und Sandalen waren zwar nicht verboten, aber als guter FDJler sollte man schon den Traditionen des Gastland entgegen kommen. In Kuba kam ein großer Teil der Bevölkerung ursprünglich aus armen afrikanischen Ländern. Dort galt schon der Besitz von festem Schuhwerk als reich und man konnte damit seinen höheren Lebensstandart zeigen. Deshalb trugen alle erwachsenen Kubaner feste Schuhe. Komischerweise trugen nach einer Woche mehr und mehr FDJ-Funktionäre Sandalen.
Es wurde eine Rednertribüne aufgestellt, auf der die Führung von FDJ, SED und was weiß ich noch Platz nahm. Diese Tribüne war überdacht, denn wer weiß, was geworden wäre, hätte einer von denen durch die Sonne noch Schaden genommen. Wir standen rechts und links neben der Tribüne, nicht überdacht; ihnen gegenüber formierte sich eine kubanische "Delegation" aus kleinen Kindern, die weiße Hemden mit Halstüchern trugen. Hinter ihnen standen Mitglieder der kubanischen Jugendorganisation. Egon Krenz als FDJ-Chef trat ans Rednerpult und redete seine Rede, wie er zu solchen Anlässen immer seine Rede geredet hatte. Er redete also und sagte nichts. Es war die übliche Anhäufung von austauschbaren Phrasen, nur dass das Wort Kuba mit einfloss. Die Kubaner wurden immer unruhiger, obwohl sie von Fidel Castro auch ellenlange Reden gewöhnt sein mussten. Aber wahrscheinlich waren die nicht so platt wie die von Egon. Als unsere Hemden den Schweiß fast nicht mehr aufsaugen konnten, war die Rede zu Ende, und es folgte ein kultureller Teil, aus ein paar Lautsprechern schepperte ein kubanisches Lied, das aber wie immer sehr rhythmisch war, glücklicherweise. Die Kinder begannen, sich auf der Stelle tänzerisch zu bewegen, weil sie bei dieser Musik einfach nicht anders konnten. Plötzlich befreite sich ein Mädchen aus dem Reihenzwang, indem sie vortrat und auf der freien Fläche zu tanzen begann. Das war nicht geplant! Eigentlich hätten die verantwortlichen FDJler jetzt eine Krisensitzung einberufen und ein Direktgespräch nach Berlin ins Politbüro herstellen müssen, um neue Anweisungen zu erhalten - man konnte ja nicht wissen, ob dieses Vergehen zu einer zweiten Kubakrise führen würde. Das kleine Mädchen blieb nicht die einzige Tänzerin, denn nach und nach gesellten sich immer mehr Kinder zu ihr, und am Schluss tanzen alle vor den strammstehenden Deutschen. Das ging mir runter wie Öl! Als ich diese nicht zu überbietenden tänzerischen Bewegungen der noch kleinen Kinder sah, beschloss ich, nie wieder einen Fuß auf eine Tanzfläche zu setzen. Und den Mitgliedern des Fernsehballetts der DDR gab ich den Rat, einen anderen Beruf zu ergreifen.
Nach drei Tagen fand im größten Stadion Havannas die Eröffnungzeremonie der Weltfestspiele statt. Wir durften am Vormittag schon einmal Zeuge bei der Verlegung eines (DDR)-Rollrasens sein. Unter einer schneidenden Megafonstimme rollten dutzende Kubaner den Rasen auf die Spielfläche. Die Stimme gab deutsche Kommandos, denn ein Mittvierziger Blauhemd-tragender Typ konnte kein Spanisch, wusste aber aus Erfahrung bei den Weltfestspielen 1973, wie so ein Rasen zu verlegen war. Irgendwie kam da wieder Freude auf beim deutschen Sinn für Ordnung und an diesem Beispiel kann man sehen, da ist etwas dran. Am deutschen Wesen soll die Welt zwar nicht gleich genesen, aber hingucken sollte man trotzdem einmal (Ich weiß, dass sich die Zahl meiner persönlichen Feinde um einige erhöht hat). Am Abend war die Organisation auch in deutscher Hand, es lief alles wie am Schnürchen, die Ausgesuchten der einzelnen Delegationen drehten ihre Ehrenrunde, etliche Delegierte wurden wegen Hitzschlag auf Bahren nach draußen befördert, Fidel sprach eine weniger als vier Stunden dauernde Rede, man feuerwerkte, und dann war auch schon Schluss. Nach ein paar Stunden.
Am nächsten Tag begann für die Delegation der Alltag, der darin bestand, Freundschaftstreffen mit den andern friedliebenden und unterdrückten Völkern abzuhalten. Entweder man begab sich zu ihnen, oder sie kamen zu uns. "Uns" bedeutete, sie kamen zu dem am anderen Ende Havannas gelegenen ehemaligen Yachthaven reicher US-Amerikaner, die seit dem Sieg der Revolution grollend irgendwo in Miami saßen und ihren Yachthafen zurückhaben wollten. Dort war es traumhaft schön, aber nur, wenn man die Kontrollen hinter sich gebracht hatte. Auch hier herrschte Ordnung, damit keine Terroristen sich einschmuggelten, die den Whiskey verdünnten oder die Gitarren der Singeklubs verstimmten. Unser kultureller Beitrag bestand aus ein paar Songs, deren spanische Texte durch Henry teilweise vom Bühnenboden abgelesen wurden, aber von Dina gelernt rüber kamen. Dazu kam noch der Latin-Teil der "Che Guevara Suite", den wir ohne Orchester spielen konnten. Hatten wir unser Werk vollbracht, stürzten wir uns in die 28 Grad warme Karibik oder setzten uns etwas abseits des politischen Geschehens an eine kleine Bar, wo wir für ein paar Pesos einen Cocktail tranken. Wir waren sozusagen unter uns, wir, die Kulturellen. Ich möchte wetten, dass manch neidischer Blick zu uns rüber kam, während sie, in ihre blauen Uniformen gepackt, für den Weltfrieden schwitzen mussten. Ich machte mir aus der Kleiderordnung gar nichts. Eigentlich trug ich hochgekrempelte Jeans, Sandalen und eine offenen helle Weste auf der nackten brutzel-braunen Haut.
Neben unserem Yachthafen befand sich der bulgarische Klub, in den man ohne Kontrolle hinein konnte. Ein Stück weiter herrschte vor dem Yachthafen, der von der "BRD" benutzt wurde, ein reges Rein und Raus, wie es sich für einen demokratischen Staat gehört, auch wenn das Wort Demokratie nicht in der offiziellen Landesbezeichnung wiederzufinden ist. Havanna hatte sich natürlich rausgeputzt. Seit der Revolution wurden endlich wieder mal Fassaden gestrichen, PKWs und das dazugehörige Benzin importiert und vor allem Musikinstrumente- und Lautsprecheranlagen bereitgestellt. Natürlich sahen wir da typische DDR-Produkte wie Orgeln oder Gitarren wieder, aber auch japanische Fabrikate wurden eingeführt. Ich lernte zum ersten Mal tropisches Nachtleben kennen, denn da wurde die Stadt wegen der sonstigen Hitze erst richtig wach. Auch die kleinsten Kinder fand man um 23:00 Uhr noch quicklebendig auf den Straßen spielend vor. Überall wurde getrommelt oder gesungen und die Stadt quoll vor Herzlichkeit und Lebensfreude geradezu über. Wer ab 4:00 Uhr morgens noch in der City war, konnte durch sogenannte "Lumpensammler"-Busse ins Objekt transportiert werden. Da konnte man einige blaue Alkoholleichen wiederfinden, wobei das Wort blau im doppelten Sinn zu verstehen ist.
Es war für mich eine neue Erkenntnis, wie man unter den potenzierten Erscheinungen einer Mangelgesellschaft seinen Weg finden konnte, ohne gleich in deutsches Weh und Ach zu verfallen. Das soll nicht heißen, die Kubaner waren mit ihrem System zufrieden, aber eines einte sie alle: Der Hass auf die Yankees! Seit Beginn des 20. Jahrhunderts behandelten die Vereinigten Staaten Kuba wie eine Kolonie, dem erst Fidel und Che ein Ende bereiteten. Die Yankees wollten nun das Land aushungern, aber hier setzte der Stolz des Volkes ein: Lieber sich von der Sowjetunion aushalten lassen, als den Yankees klein beigeben. Es gab natürlich auch Ausnahmen, die in der Pseudo-Demokratie keine Zukunft sahen und versuchten, das Land zu verlassen. Sozial undurchsichtige Typen wurden während der Weltfestspiele aus Havanna verbannt, Havanna war clean. Nur manchmal bettelten Kinder um "one Dollar" und das nahm im Laufe der Jahre immer stärkere Formen an. Bei meiner letzten Kuba-Reise 1996 bettelten dann schon Erwachsene.
Neben unseren Auftritten im Yachthaven hatten wir einen Auftritt in einem kleineren Stadion, Beginn 16:00 Uhr. Da muss man sich vorstellen, dass 16:00 Uhr die Hitze ihren Höhepunkt erreicht hatte und auch der Regen wie üblich nicht auf sich warten ließ. Wir mussten also ab 14:00 Uhr unser Equipment aufbauen. Es war im Stadion ca. 60 Grad heiß, weil die Hitze durch die Sitze gespeichert wurde. Wir rannten mit den Instrumenten oder Boxen ins Stadion und noch schneller wieder hinaus. "Hier kommt keine Sau", dachten wir uns, aber dann füllte sich das Stadion, und wir mussten spielen. Die waren's ja gewohnt, mit diesen Temperaturen klarzukommen, aber für uns war es die reinste Sauna.
Teil 9
Der vorletzte Teil von Michael Heubachs Autobiographie erzählt über den Aufenthalt der Gruppe LIFT bei den Weltfestspielen in Kuba, über Erlebnisse und Begegnungen vor Ort. In diesem Teil könnt Ihr außerdem erstmals das im Januar 2011 geführte Interview von Christian mit Michael Heubach in Auszügen lesen. Es geht darin um den Unfall in Polen. Die Biographie gibt außerdem Einblicke in Michaels Rückkehr ins "Berufsleben" nach dem Unfall, seine Zeit bei Ute Freudenberg & Elefant und bei Elke Martens & Megaphon...
Der vorletzte Teil von Michael Heubachs Autobiographie erzählt über den Aufenthalt der Gruppe LIFT bei den Weltfestspielen in Kuba, über Erlebnisse und Begegnungen vor Ort. In diesem Teil könnt Ihr außerdem erstmals das im Januar 2011 geführte Interview von Christian mit Michael Heubach in Auszügen lesen. Es geht darin um den Unfall in Polen. Die Biographie gibt außerdem Einblicke in Michaels Rückkehr ins "Berufsleben" nach dem Unfall, seine Zeit bei Ute Freudenberg & Elefant und bei Elke Martens & Megaphon...
Meeting mit Ramon Castro
Einmal machten wir eine Fahrt Richtung Varadero. Ein Polizist fuhr vor unserem Bus auf einem Motorrad japanischer Bauart. Er war ein Typ wie aus einem Film, wo die Frauenherzen schneller zu schlagen beginnen: Ein großer Mulatte, schlank, dunkle Pilotenbrille und mit einer maßgeschneiderten Uniform, die seinen perfekten Körperbau betonte. Und dann zeigte er, was er konnte und wofür er bei uns hätte den Dienst quittieren müssen: Er nahm die Hände vom Lenkrad und fuhr freihändig, wohl wissend, dass er viele weibliche Zuschauer im Bus hatte. Ich kenne die kubanische Straßenverkehrsordnung nicht, kann mir aber die Formulierung eines Ausnahmeparagraphen schwer vorstellen, der so etwas mit 60 km/h erlaubt.
Unsere Fahrt führte zu einer Ranch, oder besser gesagt dem Landsitz Ramon Castros. An der Kubanischen Revolution beteiligte er sich, im Gegensatz zu seinen anderen zwei Castro-Brüdern, nicht aktiv. Er blieb auf der Farm seiner Eltern und eignete sich vielfältiges Wissen über den Zuckerrohranbau an. Für Kuba war Zuckerrohr ein wertvoller Exportartikel und die Ostblockstaaten mussten immer eine gehörige Portion davon importieren, weil ja ein Bruder dem anderen zu helfen hatte. Nach der Revolution wurde Ramon ein wichtiger Berater der kubanischen Regierung in Fragen der Agrikultur. Er galt auf diesem Gebiet als einflussreicher als der zuständige Minister. Auf seiner Ranch wurde für uns eine kleine Bühne aufgebaut und unsere PA angeschlossen. Zwischendurch gab Zach Kindern Autogramme.
Wir begannen, Titel aus unserem Repertoire zu spielen. Es war eine sehr familiäre Atmosphäre und keine Spur von offiziellem Getue und das Dreschen bekannter Phrasen. Danach setzten wir uns mit Roman Castro privat in einen Raum seines Hauses, den ich in keine Wohnkategorie einordnen konnte. Er war sehr spartanisch eingerichtet und glich von der Einrichtung her in etwa den kleinen Hütten, die wir unterwegs an der Landstraße gesehen hatten: Tisch, Stuhl, Bett, Schrank und - ein Fernseher! Achtzehn Jahre später hatte sich daran nichts geändert, auch diese Erkenntnis hatte ich bei meiner zweiten Reise 1996. Ich nehme an, in Kuba wurde der angestrebte Kommunismus auch von den Regierenden in seiner Einfachheit nachvollzogen, und da gab es keine reichen, vollgefressenen Funktionäre, die Wasser predigten und Wein tranken. Oder wir bekamen sie nicht zu Gesicht, damals und achtzehn Jahre später.
Auf alle Fälle unterhielten wir uns mit Händen und Füßen und mit ein paar Englischbrocken mit ihm und seiner Frau, denn es war kein Dolmetscher dabei. Dann kam ein vielleicht fünfjähriger Junge hinzu und trat an die Seite seiner noch relativ jungen Mutter. Ramon verkündete stolz, das sei sein Sohn und ließ durchblicken, dass er schon die Vierundfünfzig überschritten hätte. Uns erschien das damals als eine gute Leistung (falls es nicht sein letzter Spermatropfen gewesen war). Bereitwillig stellte er sich vor unsere Fotoapparate, mit Dina im Arm natürlich, denn wegen ihr hat er sich vor allem so gastfreundlich gezeigt. Ob der wohl gewusst hatte, dass Zach ihr Mann war?
Vor der Bühne war ein buntes Völkchen Kinder, Jugendliche, Eheleute, Alte; alles war vertreten. Wir hatten zum ersten Mal das Gefühl, für ein kubanisches Publikum zu spielen und nicht vor bestellten Vertreten sozialistischer Länder. Es ist möglich, dass jener Castro-Bruder seinen eigenen Weg ging, denn sonst hätte er ja Landwirtschaftsminister sein können.
Nach ein paar Tagen ging ich wieder mal zwischen den Auftritten an unserem Yachthafen baden. Dort war kein Sandstrand wie in Varadero, sondern versteinerte, spitze Korallen, die man erst mal überwinden musste, um ins Meer zu gelangen. Es war unmöglich, ohne Schuhe die Korallen zu betreten. Da leisteten mir meine Badelatschen gute Dienste. Nach ein paar Metern hatte ich eine Stelle gefunden, an der ich meine Badelatschen ablegen konnte und machte den ersten Schritt ins hüfthohe Wasser. Mein rechter Fuß trat auf etwas Rundes, ich blickte auf den Grund und sah, was ich mir eingefangen hatte: Einen Seeigel! Na toll, dachte ich und begab mich mühsam aus dem Wasser zurück ans Ufer. Dann humpelte ich in unser Objekt. Bei jedem Schritt schmerze mein Fuß so sehr, dass ich kaum noch auftreten konnte. Am nächsten Tag ging ich zu unserem Leibarzt, denn die DDR hatte ja bekanntlich ein gutes Gesundheitssystem (dachten wir damals). Der sah sich meinen Fuß an, nahm eine Pinzette und zog achtzehn Stachen aus meinem Fuß.
"Den Rest kriege ich mit meiner Pinzette nicht zu fassen, das sind abgebrochene Stacheln. Die müssen herauseitern!"
Und sie eiterten heraus, ließen sich aber dabei Zeit. Erst am letzten Tag war ich sie los. Ich war verdammt, mit meinem rechten Fuß nicht mehr richtig auftreten zu können, aber damit war ich nicht der Einzige: Den aus den USA immigrierten Schauspieler, Sänger und Frauenliebling Dean Reed hatte ich als Partner. Wir tauschten uns täglich Stachel-Neuigkeiten aus, gaben den Eiterstand bekannt und beglückwünschten uns, wenn wieder mal ein Stachel seine Aktivität aufgegeben hatte. Leider kam es nicht zum Tausch von Telefonnummern und Visitenkarten, aber das ist wieder eine andere Geschichte...
Ich muss an dieser Stelle noch einfügen, dass wir uns bei unseren Auftritten ein T-Shirt überstreiften, das ein Weltfestspiel-Logo trug und nicht weiter auffiel, schließlich gehörten wir zumindest während unserer Auftritte offiziell einer Delegation an und waren keine Touristen aus Los Angeles.
Jam Session
An einem der letzten Tage wurde in unserem Objekt eine Session organsiert, wo sich alle Musiker und Solisten mal so richtig "ausspielen" konnten, wenn ihnen danach war. Alles was Rang und keinen Namen (oder umgekehrt) hatte, fand sich am Abend auf einer kleinen bühnenartigen Fläche in Freien ein, wo eine komplette PA aufgebaut war. Jeder, der wollte, konnte sich in einen Titel "reinhängen" oder ein Sänger wurde bei einem Song begleitet, den alle kannten - eine richtige Jam Session also. Auch Günther Fischer war anwesend. Günther Fischer war neben seinen vielen Filmmusiken auch als Jazzer bekannt, hatte er doch sein Günther-Fischer-Sextett, das aber nicht anwesend war. Seine Kollegen zogen es vor, daheim zu bleiben, weil sie alle Flugangst hatten. Selbst Egon Krenz konnte sie nicht mit dem "Weltfrieden" ködern, sagt die Legende. So stand Günther also einsam und allein mit seinem Altsaxophon neben den anderen, die auf eine Gelegenheit zum Mitspielen warteten. Ich war eigentlich fast immer an einem Fender-Piano zu finden, fiel es mir doch nicht so schwer, mich auch in mir unbekannte Titel reinzuhören und mitzuspielen. Bei irgendeiner Jazznummer sah Günther Fischer seine Gelegenheit gekommen. An einer Stelle, an der ein Solo kommen sollte, ging er zum Mikro und begann zu blasen. Es gab bei diesen Solo nur eine Grundharmonie und die Spiellänge wurde durch kein Schema begrenzt. Er spielte und spielte, dudeldudel-jazzjazz, bis sich ein nächster Solist durch Zeichen bemerkbar machte, er wolle auch mal drankommen. "Günther, 's reicht, der Nächste bitte", gaben wir ihm zu verstehen. Aber Günther hatte einen Hörfehler, in diesem Augenblick. Dudeldudel-jazzjazz, dudeldudel-jazzjazz. "Eh, Günther, aufhören, der Nächste will auch mal!" Dudeldudel-jazzjazz, dudeldudel-jazzjazz. Minuten oder gefühlte Stunden vergingen. "Günther, jetzt reicht's aber!", brüllte einer von hinten. Es war der Tontechniker am Mixer. Er zog den Regler von Günthers Mikro nach unten und damit war vom Altsaxophon über die PA nichts mehr zu hören. Ein normaler Mensch hätte spätestens jetzt begriffen, dass da etwas anders lief als geplant. Aber da Günther einer von den Jazzern war, die nicht zu spielen aufhören konnten, weil sie ihre Soli noch nicht bis zum Orgasmus getrieben hatten, spielte er selbstvergessen weiter, als sei nichts geschehen: Dudeldudel-jazzjazz. Inzwischen war der andere Solist schon wieder mit seinem Solo fertig, aber hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen, konnte man ganz leise noch ein Dudeldudel-jazzjazz hören...
Henry hatte wieder einmal eine Randale mittleren Ausmaßes veranstaltet, weil er dem kubanischen Angebot alkoholischer Getränke nicht widerstehen konnte. Er schlief in unserem Massenschlafsaal über mir, als er mitten in der Nacht aufstand und irgendetwas in seine Teile zu zerlegen begann. Es müssen Möbelstücke oder sonst etwas gewesen sein; in der Dunkelheit konnte ich nur die Geräusche wahrnehmen. Nach und nach machten sich andere Mitbewohner bemerkbar und riefen um Ruhe, doch Henry ließ sich nicht stören. Erst mit den vereinten Kräften von Mitgliedern der Sportlerdelegation konnte Henry beim Zerlegen gebremst werde. Am nächstem Morgen wusste er wie gehabt von nichts.
Wir bekamen offiziell ein Taschengeld, damit wir uns auch ab und zu was kaufen konnten. Dafür gab es in unserem Objekt eine Art Mini-Intershop. Bezahlt wurde zwar mit Pesos, aber für uns gab es nur den konvertierbaren. Es existiert in Kuba noch immer eine zweite Währung, die so genannten "Peso convertible", die für den Erwerb von staatlich nicht subventionierten Luxusgütern sowie für den Gebrauch durch Touristen gedacht sind. Mit diesen Pesos bezahlten wir auch unsere Getränke im Yachthafen. Zach kaufte sich zwei Congas und ich zwei Flaschen Rum "12 Years Old". Weitere zwölf Jahre hielt er bei mir zu Hause nicht, denn bei diesem Getränk konnte man einfach nicht nein sagen. Die anderen Pesos für die Normalos waren quasi Spielgeld, für das man sich kaum etwas kaufen konnte. Es gab sehr viele Sachen auf Zuteilung und erinnerte an die Marken, für die man bis Ende der 50er Jahre auch in der DDR einkaufen musste. Aber damit waren wir damals nicht allein, denn die Briten mussten selbst in der 60ern damit vorlieb nehmen.
Am 8. August hieß es für uns Sachen packen, dem Personal noch einen Bakschisch dalassen und den Flieger nach Hause nehmen. Der Rückflug war weniger spektakulär, keiner türmte über den Transitraum, ich fotografierte in Gander nichts, weil mein Film schon längst voll war und mich kein FDJler stämmigen Ausmaßes daran hinderte, einen Blick auf das Flughafengebäude zu werfen. Das war eigentlich schade, denn da hätte ich jetzt eine weitere Anekdote hinzufügen können. Kurz vor Berlin traten bei orkanartigem Stürmen starke Turbulenzen auf, sodass wir Angst hatten, von der Kubareise doch nicht mehr zurückzukehren. Wir hatte aber Glück und der Flieger konnte in Schönfeld landen. Die Maschine nach uns mit Egon Krenz an Bord musste nach Warschau ausweichen. Von dort wurde er mit einer Staatskarosse nach Berlin gefahren - so etwas machte man halt in der DDR mit jungen Leuten ab vierzig.
Rückkehr in die Wirklichkeit
Nach und nach holte mich der Alltag wieder ein, ich gewöhnte mich an die 2-Takter-Trabiluft, an fehlende Südfrüchte und an dilettantisch tanzendes Jungvolk, das eher den Marsch in den Beinen hatte als lateinamerikanische Rhythmen im Blut. Am 10. November hatten wir mal ein Mini-Gastspiel in Polen, das mit einem Konzert in Rszeszow endete. Als ich den Namen das erste Mal aussprach, wie es geschrieben stand, fehlte mir anschließend ein Stück Zunge. Die Wunde heilte erst, als man mich auf Polnisch aufklärte: Rscheschow - so sprach ich es zumindest nach. Jetzt weiß ich auch, weshalb die Polen eine große Liebe zu den Franzosen pflegen, denn man spricht anders, als man schreibt. Bestimmt ist es nur eine Frage der Gewohnheit, aber es lag uns fern, slawische Sprachen zur Gewohnheit zu machen. Am letzten Tag gab es die Möglichkeit, in einem Hotel zu übernachten, weil die Rückfahrt von über 300 Kilometern einen gewissen Stress verursacht hätte. Till wollte sein Radeberger jedoch zu Hause trinken und auch Scheffi und Endrik hatten nichts gegen eine sofortige Rückreise. Wir klärten noch, wann die nächste Mugge sein sollte, und schon sah man von ihnen nur noch die Rücklichter. Zach fühlte sich am Morgen des 15. November nicht wohl, deshalb fuhr ich seinen 353er Wartburg. In Kalisz war ein Zwischenhalt geplant, denn ich hatte mir schon zu Hause einen Merkzettel gemacht, wo die Dinge draufstanden, die ich mir in Polen kaufen wollte, weil es sie in der DDR nicht gab.
Ich kaufte mir vor allem in Kalisz grünen Samt für Vorhänge, denn auch den gab es in der DDR nicht. Auslandsreisen waren ja immer gleichzeitig Einkaufsreisen, um eine Mangelwirtschaft besser überstehen zu können. In Ungarn z.B. besorgte ich mir die Partitur von Stravinskys "Le Sacre du Printemps" für umgerechnet 80,- Mark - das war sie mir wert.
Henry und Zach sahen sich nach anderen Dingen um, bis wir beschlossen, die Fahrt fortzusetzen. Gerhard versank neben mir in einen Schlaf, Henry saß hinter mir. Die Strecke, die ich vor mir hatte, war klar: Kalisz, Jarocin, Frankfurt/Oder, Berlin. Da blieb mir viel Zeit, meinen Gedanken nachzugehen. Wir hatten viel vor in den nächsten Tagen und Wochen und waren voller Elan, die nächsten Herausforderungen in Angriff zu nehmen. Gerhart hatte mal eine Andeutung gemacht, die Chancen stünden nicht schlecht, eine Westtournee zu machen, er müsse nur an den entsprechenden Stellen noch gewaltig rühren. Ja, in den Westen fahren, das wär's! Und dann die zweite LP und dann die Lebensabschnittspartnerin, klug, schön und all das mitbringend, das ich bei den anderen vermisst habe, ohne es mir einzugestehen. Also auf nach Berlin, das Beste aus dem Leben machen...
Am 15. November 1978 kam es zu einem folgenschweren Unfall. Was genau ist da passiert?
Wir hatten eine Polen-Tournee, und am letzten Tag gab's die Möglichkeit, entweder nach Hause zu fahren oder noch eine Nacht im Hotel zu bleiben. Wir haben dann beschlossen, doch nach Hause zu fahren. Auf der Rückfahrt haben wir noch einen Halt gemacht um in Polen Sachen einzukaufen. Anschließend fuhren wir weiter. Ich selbst saß am Steuer, wie mir hinterher erzählt worden ist. Es hätte auf dem Weg ein Linkskurve gegeben, in die ich mit überhöhter Geschwindigkeit rein gefahren wäre. In der Kurve hätte ich gegengelenkt und wäre dann unter einen entgegenkommenden LKW geraten. Der war so groß, dass der Wartburg dazwischen passte. Ich selbst lag nach dem Unfall 10 Tage im Koma. Gerhard und Henry kamen beim Unfall ums Leben. Ich hab mich dann irgendwie nicht richtig aufrappeln können, aber irgendwie hab ich versucht, mich wieder an mein Dasein zu gewöhnen. Da ich auf der rechten Seite gelähmt war, hat es auch 'ne ganze Weile gedauert, bis ich durch eisernes Training - ich wurde physiotherapeutisch behandelt - einigermaßen wieder meine Bewegungen machen konnte. Und nach ca. 2 bis 3 Monaten – glaube ich - kam ich aus dem Krankenhaus raus. Ich war zuerst in der Neurologie Leipzig und wurde dann nach Berlin verlegt. Dort wurde ich untersucht und man stellte fest, dass ich auch noch Hepatitis hatte. Infolge dessen durfte ich noch 2 Monate länger im Krankenhaus bleiben, um meine Hepatitis auszukurieren. Ja, und im Hinterkopf hatte ich immer den Gedanken, "Du musst weitermachen und spielen!" Ich bin nach meinem Krankenhausaufenthalt zuerst von einem guten Bekannten aufgenommen worden, bei dem ich vorübergehend wohnen durfte. So hatte ich erstmal ein Zuhause, machte meine Fingerübungen und versuchte, langsam wieder meine Motorik aufzupeppeln. Immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, "Du musst wieder auf die Bühne!" In dieser Zeit habe ich versucht, kompositorisch etwas zu machen und für andere zu schreiben. Diese Aufgabe half mir etwas darüber hinweg, nicht selbst aktiv auf der Bühne zu spielen.
Du sagtest gerade, "...wie
man mir erzählt hat". Erinnerst Du Dich gar nicht, wie der Unfall passiert ist?
Von dem Unfall hab ich nichts mitbekommen. Die letzte Erinnerung, die ich an diesen Tag und das Geschehen noch habe ist, sind die Ereignisse ca. 60 Kilometer vor dem Unfallort. Und wie gesagt, wachte ich erst nach 10 Tagen aus dem Koma in einem polnischen Krankenhaus wieder auf. Dort konnte ich beim Blick aus dem Fenster erkennen, dass Schnee auf den Bäumen war und das erste, an das ich mich erinnere war, dass eine in weiß gekleidete Krankenschwester ins Zimmer kam. Dann bekam ich nach zwei oder drei Tagen Besuch, und zwar von meiner Mutter. Es war sehr schwer, denn ich konnte nicht richtig reden, weil ich eben diese Verletzungen und die Lähmung hatte. Und der Besuch war sicherlich auch nicht gerade das Leichteste für sie. Man stellte mir dann meinen eigenen SONY-Radiorecorder, den ich mir mal gekauft hatte, neben mein Bett, und ich hab' mit dem anderen Arm, den ich noch bewegen konnte, das Radio bedienen und über Kurzwelle irgendwelche DDR-Radiosendungen hören können. Auf einem DDR-Radiosender wurde von einem Unfall der Gruppe LIFT berichtet. Und da wurde mir erst mal klar, was passiert sein musste. Das hatte mir vorher nämlich keiner mitgeteilt. Über das Radio erfuhr ich davon zum ersten Mal. Da war ich natürlich sehr geschockt. Als ich dann in Leipzig in der Neurologie lag, besuchte mich der Saxophonist von LIFT, und das nicht nur, um mir gute Genesung zu wünschen. Er wollte bei dem Besuch auch klären, ob meine Anlage in das Eigentum der weiter bestehenden Gruppe LIFT übergehen könnte. Und bei dieser Gelegenheit hat er mir auch nebenbei mitgeteilt, dass ich der Fahrer des Unfallautos gewesen bin. Danach war ich natürlich total am Boden. Aber wie gesagt: es musste weitergehen...
Wie bist Du dann aus dem körperlichen und vor allem seelischen Loch wieder heraus gekommen?
Im Wesentlichen hab ich mich selbst hochgezogen und bin wieder aufgestanden, weil man mit der Zeit auch körperliche Fortschritte in der Reha gesehen hat. Wenn du deinen Arm hoch nehmen willst und an einer bestimmten Stelle tut's dann weh, und der Therapeut dir sagt, "Ja, hier beginnen wir mit der Arbeit", dann weißt du, was auf dich zukommt. Und wenn du weißt, du bekommst den Arm nach einer Woche schon 10 Zentimeter höher als am Anfang, merkst du, dass es weitergeht. Also Leute, die mal einen Unfall hatten oder aus einem anderen Grund in Physiotherapie waren, können das bestimmt bestätigen. Sowas baut auf! Außerdem spielte es eine große Rolle, dass es immer noch Leute gab, die mich nicht vergessen hatten.
Festmusik mit Risiko
1979 war für die DDR ein Jubiläumsjahr - 30 Jahre hatte sie nun allen Widerständen zum Trotz durchgehalten. Leider. Da war wieder einmal Gelegenheit, sich selbst zu beweihräuchern. Zum Tag der Republik, am 7. Oktober, wurde im Haus des Lehrers am Alex eine Fete in allen Räumen veranstaltet. Auf der Hauptbühne im akustisch undenkbarsten Kuppelsaal, bei dem ja nur ausgesuchte Interpreten mit Spitzenleistungen auftraten, spielte auch eine Bigband - das Orchester Günter Gollasch. Es war das Orchester des Deutschen Demokratischen Rundfunks und wurde dort als Hausband für alles eingesetzt. Damals konnte man sich so etwas noch leisten. Ich bekam den Auftrag, ein Medley unter dem Motto "30 Jahre DDR-Tanzmusik" zu schreiben (man beachte den Titel!) Nun sind 30 Jahre ein weites Feld und ich hatte also die Qual der Wahl. Aber es war die Gelegenheit, einen kleinen pseudorevolutionären Seitenhieb auf die DDR-Kulturpolitik auszuteilen. Es gab ja mittlerweile einige Bands und Songs, die nicht mehr gespielt werden durften und damit quasi als verboten galten. Kein Redakteur wagte es, diese Titel wieder im Rundfunk zu senden. Ich begann mit dem Hit von Bärbel Wachholz, "Damals" (nur für Historiker interessant), und arbeitete mich dann bis zu den 70ern hin. Renft war verboten, weil der kleine David den SED-Goliath nicht schlagen konnte und einige Mitglieder schon das Land verlassen hatten. Damit war für mich klar, hier musste ein Renft-Lied wieder auf die Bretter gebracht werden, die die DDR-Welt bedeuteten. Im Falle, ein Stasi-Beauftragter der Abteilung Kultur hört und erkennt, dass hier eine Bigband es wagt, "Wer die Rose ehrt" zu spielen, würde ich immerhin in einem feuchten Stasikeller unter Daumenschrauben und Elektroschocks aussagen können, dass das Intro und der Zwischenteil von mir seien. Da würde mir Bautzen erspart bleiben. Damals wusste man ja nie, wie irgendetwas ausgelegt wird. Die Nummer zwei in meinem konterrevolutionären musikalischen Gepäck war natürlich der "Farbfilm". Nina hatte ja inzwischen auch die DDR verlassen und war von allen DDR-Sendern gestrichen worden. Es gab bestimmt auch Genossen die wünschten, in den Hirnen einiger Millionen ihrer Landsleute diesen Titel auszulöschen. Aber so ist das eben mit dem Volk: Auch die Genossen müssen mit dem Volk leben, das es gerade gibt, eine Version "Volk zum Selbstbauen" gibt es - außer auf einer Spielwarenmesse - derzeit noch nicht. An dieser Stelle muss ich gestehen: Ich habe den "Farbfilm" doch etwas entfremdet, die Teile in der Dur-Tonart habe ich in Moll arrangiert, die in Moll wurden in Dur umgewandelt. Ich und mein eingezogener Schwanz hofften, dass das keinem auffällt. Und es fiel keinem auf! Zum Ersten war der Raum ja vollkommen akustisch überbelastet, man hörte eigentlich nur Klangbrei, zum Zweiten waren kaum Leute im Saal und zum Dritten interessierte es die einen Dreck, was auf der Bühne passierte, aßen sie doch ihren Kartoffelsalat mit Majo. Ein, zwei mir bekannte Musiker hörten sich das Ganze an, weil ich ihnen zuvor von dem Projekte erzählt hatte. Als ich hinterher meine musikalischen Fangfragen stellte, ob ihnen denn an irgendwelchen Titel etwas aufgefallen sei, mussten sie das verneinen. Ihre Augen wurden sehr groß, als ich von meinen konterrevolutionären Machenschaften berichtete. Ich nahm mir vor, beim Fest "50 Jahre DDR" selbst "Wer die Rose ehrt" und den "Farbfilm" zu singen, und anschließend eine Gedenkminute für Renft und Nina einzulegen. Spätestens dann sollte das Volk aufwachen, denn bei meinen Gesang wird Schlafen zu einer Herausforderung! Aber wie wir alle wissen, bin ich noch mal drum rumgekommen.
Ich habe von dieser Aufführung ein so genanntes Tondokument in meinem Archiv, aufgenommen mit den eingebauten Stereo-Mikros meines Sony-Kassettenrekorders. Nach einigen Jahrzehnten hört sich das sehr lustig an. Ich wurde trotzdem für diese Mugge fürstlich entlohnt, denn für Jahrestage war immer ein großer Topf vorhanden, in den man reingreifen konnte. Das Ergebnis? 3000,- Mark!
Lehr- und Wanderjahre: Ute Freudenberg & Elefant
Im November 1979 bekam ich das Angebot, wieder in die Musik-Szene einzusteigen. Der Texter der Puhdys, Burkhard Lasch, hatte in Weimar eine Band aufgebaut, für die er als Texter und Manager fungierte. Geld war bei ihm nie ein Problem, hatten ihm doch einige Puhdytexte zum reichen Mann gemacht. Damit konnte er sich außer einer guten PA für die Bühne auch noch Veranstalter für Muggen kaufen, und zu den Medien in Berlin reichte sein Einfluss auch noch. Er erkannte aber, dass das nicht alles war, denn er brauchte noch ein Produkt, das er verkaufen konnte. Für dieses Produkt wiederum sollten Musiker in die Band kommen, die einen Namen hatten und auch gleichzeitig ihr Instrument beherrschten - er dachte also 1979 in der sozialistischen DDR schon wie ein bundesdeutscher Manager, er war der Kapitalist im Sozialismus. Die prominente Magdeburger Band Reform wurde gemolken und der Drummer Peter Piele und der Gitarrist Werner Kunze wechselten in das Lager der Band mit neuer Besetzung "Ute Freudenberg und Gruppe Elefant" über. Dieses war der erste Streich.
Nun brauchte er noch ein Schreiberling und Tastenmenschen, und so kam er deshalb zu mir. Lasch schilderte mir sein Projekt in den höchsten Tönen: DDR-Tourneen, Auslandsgastspiele, Rundfunkproduktionen, Schallplattenproduktionen, TV und nach dem Auftritt immer ein festliches Abendbrot. Das klang gut, verdammt gut sogar. Ich war hungrig nach Musik, hungrig nach dem Live-Spielen, hungrig, wieder unter Leute zu kommen, andere Städte zu sehen und vor allem hungrig auf einen Neuanfang als Musiker. Das alles schien mir hier gegeben.
Lasch lud uns drei Neulinge in sein Haus
nach Weimar ein. Er war die Inkarnation der Freundlichkeit, war Kumpel, ein guter Gastgeber, hatte den Thüringer Humor und den Weimarer Dialekt. Alles in allem kamen wir bei dem Vorgespräch wunderbar miteinander aus. Er führte uns stolz seine SONY-Anlage vor, die ein Import aus Japan war und im Westen komplett 4000,- DM kostete, wofür man in der DDR aber 16.000,- Mark hinlegen musste. Ich kaufte mir ein Jahr später selbst das Tape-Deck von einem Kumpel, natürlich gebraucht und natürlich für 4000,- Mark. 1990 verschleuderte ich es für 400,- DM. Den Plattenspieler aus dieser Kollektion holte ich mir in einem Rundfunkladen - in Berlin war das möglich. Aber immerhin, man wollte 3.000,- Mark dafür haben. Warum die DDR ein für sie günstiges Geschäft mit den Japanern gemacht hatte, wurde mir erst nach und nach klar. Später legte ich mir auch noch die Lautsprecherboxen zu. Sie waren mit sehr empfindlichen Hochtonlautsprechern bestückt, die bei einem größeren unerwarteten Impuls ihren Geist aufgaben. Dann musste man sich einen Spezialisten suchen, der für 100,- Mark eine neue Spule wickelte, mit der Hand, denn im Osten musste man sich zu helfen wissen. Der Plattenspieler war aber ein hervorragendes Gerät, er hielt durch, bis ich ihn 1990 meiner geschiedenen Frau Ulrike mit auf den Weg gab und meine beiden Söhne ihm durch falsche Bedienung oder Scratching oder was weiß ich den Garaus machten. Kinderhände beschmierten vor einhundert Jahren noch Tisch und Wände, jetzt zerlegen sie Elektronik!
Ich kannte meine zukünftigen Kollegen nur vom Hörensagen, ihr Image war gut, wir hatten musikalisch auch ähnliche Vorstellungen, kamen wir doch vom Progressiv-Rock... irgendwie jedenfalls. Da fielen schon mal Namen wie Pink Floyd, King Crimson oder Genesis. Unsere Augen funkelten bei Erinnerungen an nachgespielte Songs und Werke, wir machten schon Pläne, was wir von dieser Strecke noch übernehmen könnten. Da hatten wir aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht, und der Wirt hieß Burkhard Lasch, den ich der Kürze wegen in B.L. umtaufte, und der in einigen Kreisen diesen Spitznamen noch heute trägt.
B.L. ist ein Siegertyp, eine Art Gerhard Schröder der Popmusik, der zwar nicht in Bonn am Kanzleramt rüttelte und Einlass forderte, aber er rüttelte beim Zentralrat der FDJ, er rüttelte im Kulturministerium, bei der Künstleragentur und bei allem, was mit Partei und FDJ zu tun hatte, er war ja schließlich Genosse. Die beginnenden 80er Jahre wollten auf dem Tanzsaal keine großartigen Werke mehr zelebriert wissen, die Diskotheken ersetzen die Bands, die keinen Namen hatten, und die mit Namen spielten bei den so genannten Tanzveranstaltungen abwechselnd mit der Disko. So geschah es mit Elefant, und das wusste Lasch. Er wusste auch, dass ein Repertoire her musste, was den Leuten unten tanzbare Musik bescherte. Gleichzeitig musste er sich aber seine Neueinkäufe bei Laune halten, wusste er doch um deren Geschichte. Also wurde erst einmal ja gesagt und gleichzeitig in der Band andere Verbündete gesucht. Da war vor allen Dingen die begabte Sängerin Ute Freudenberg. Sie gehörte zur Generation Popmusik, stand auch auf Progressiv-Rock, wollte aber draußen Lieder singen, die mit Rock im herkömmlichen Sinn nicht viel zu tun hatten - Popmusik eben. Hier war kein Platz für Schmutz und für ein schmutziges weibliches Wesen schon gar nicht. Da musste ein Kompromiss her.
Ehe wir einstiegen, hatten sie nämlich einen Hit, der "Jugendliebe" hieß und in den Hitlisten vordere Plätze einnahm, weil er für Alt und Jung zugleich war - ein Schlager eben. Es war aber kein "Farbfilm", dafür war er zu unoriginell, aber er hatte einen Refrain, den man getrost in der Badewanne mit Schaum im Ohr vor sich hinträllern konnte. Dieser Schlager war B.L.s Türöffner, mit ihm machten wir TV, fuhren zu Festivals, aber eben nicht nur damit. Da Ute Freudenberg auch richtig singen konnte, fielen mir für sie einige Songs ein, die sogar auf Platte gepresst wurden. Da konnte sie zeigen, dass sie nicht umsonst dieses Fach studiert hatte.
Bei Elefant waren zwei Gitarristen besetzt, denn neben dem Neueinkauf Werner Kunze war noch der alte Gitarrist Bernd Henning geblieben, der den Spitznamen "Geist" trug. Die Historiker streiten sich nicht mehr um die Herkunft des Namens, "Geist" blieb ein Staubkorn der DDR-Musikgeschichte. Als die Band nach Berlin umzog, weil Kariere nur in Berlin gemacht werden konnte, wenn der Manager Lasch hieß, brauchte Geist eine Bleibe, und Bleiben waren in Berlin verdammt schwer zu bekommen. Da halfen selbst Laschs gute Beziehungen nichts. Er hätte eben doch mal mit einem DM-Schein beim Wohnungsamt vorbeigehen sollen, denn bei harter Währung wurde mancher weich. Ich hatte eine Riesen-Wohnung für mich allein und sah ein, dass hier etwas geschehen musste. Also bekam Geist nebst Frau und Kind die beiden hinteren Zimmer, durften meine Küche mit benutzen, wobei es da ja nicht viel zu benutzen gab. Nun kämpften schon vier Personen um den Platz auf der ein Quadratmeter großen Toilette, die den Namen Klo verdiente. Wir lebten und teilten in friedlicher Ko-Existenz und störten uns kaum.
Der Drummer Peter Piele zog auch bei mir ein, aber nicht in meine Wohnung, sondern in meine Bodenkammer, und das auf seinen persönlichen Wunsch. Zu dieser Zeit gab es noch Bodenkammern und Wäscheboden, weil man es mit den Brandschutzbestimmungen nicht so genau nahm. Später war der Boden gesperrt. Er stellte eine Klappliege auf, Schrank, Stuhl und Tisch kamen vom Sperrmüll, und die Wände wurden gestrichen - das genügte ihm, war es doch nur als Überbrückungsquartier gedacht, wenn er mal nicht nach Magdeburg zurückfahren konnte.
Der Dezember wurde zum Proben genutzt und auch im Januar war noch nicht alles geschafft. Am 26. Januar 1980 aber hatte das neue Projekt Premiere in Gera. Bald folgte auch schon einer der berüchtigten Lektoratstermine im Rundfunk und es passierte, was bei Lasch eigentlich nicht passieren sollte: Ein Text wurde wieder einmal abgelehnt. Es hört sich an wie eine Episode aus dem Kindergarten, denn es ging wieder mal nur um ein Wort. Die Textzeile war:
"Einmal ganz oben, einmal ganz unten, so ist das Leben..."
"Das Leben" war eine Aussage ohne den richtigen Klassenstandpunkt, fand man, denn im Sozialismus gibt es 1. kein "Oben" und "Unten" und 2. ...überhaupt! So wurde "ist das Leben" in "war sein Leben" geändert. Denn das Individuum durfte im Sozialismus mal einen Fehler machen, aber dafür gab es ja die Partei, die dem Außenseiter wieder auf den rechten Weg führte, die führende Rolle der Arbeiterklasse sozusagen. B.L. hatte eigentlich Lektoratserfahrungen, aber auch ihm konnte so etwas widerfahren.
Wir hatten reichlich Auftritte, spielten im Monat zwischen fünfzehn und zwanzig Mal, reisten vom tiefen Süden in den hohen Norden des kleinen Landes und nahmen alles mit was es so an mehr oder weniger prominenten Kulturhäusern gab. Ich gewöhnte mich wieder an nasskalte Säle, die beim Soundcheck nach abgestandenem Bier und nichtgeleerten Aschenbechern stanken, an Interhotels mit gutem Service und an Absteigen mit Massenklo auf dem Flur.
Ich spielte weiterhin Fender-Piano und Moog-Synthesizer, hatte sogar ein Mikrofon stehen, um bei einem A-Capello-Lied den Basspart zu übernehmen. Es war irgendein Stück aus der irischen Folkmusik und Werner Kunze hatte sich die Mühe gemacht, daraus einen guten Chorsatz zu basteln. Das waren noch Phasen einer gewissen musikalischen Experimentierfreudigkeit, auch wenn es nur Coverversionen betraf. Die Band sollte ja immer mehr Richtung Kommerz streben, der Zeitgeist war ein anderer geworden, die Leute unten im Saal wollten Spaß haben und sich keine ellenlangen Gitarrensoli anhören. Dieser Trend begann in der DDR verspätet Anfang der 80er, weiter westlich setzte er schon früher ein. So versuchten wir einen Mittelweg zu finden, "wir" sind in diesem Fall die alte Garde; Geist, der Basser Bodo Huth sowie Ute gehörten ja schon der Next Generation an. Geists Bruder Rolf "machte den Ton", d.h. er stand am Mixer und regelte die Instrumente und den Gesang. Boxentragen oder andere fußvolkmäßigen Handlungen waren ihm zuwider. Dafür waren ja zwei weitere Menschen angestellt, die "Hucker". Rolf war ein cleveres Bürschchen und die rechte Hand von B.L. für all die Sachen, die mit Management zusammenhingen. B.L. war nämlich nur bei ausgesuchten Muggen anwesend, wenn es um Promotion ging oder wenn er im Rampenlicht stehen konnte. Sonst organisierte Rolf alles, was mit der Veranstaltung am Ort zusammenhing, und da war er sehr selbstständig. Er hat bei B.L. viel gelernt, was er nach der Wende bei einer eigenen Equipment-Firma anwenden konnte. Nur wenn er sich in musikalische Fragen einzumischen versuchte, war manchmal ein kritischer Punkt erreicht. Was er unten im Saal zusammenmixte, konnten wir von oben nur schwer verfolgen. Rolf war ein Gitarrenliebhaber, was durch seinen Bruder auch noch mehr zum Tragen kam. Die Klampfe war immer gut zu hören, wenn der Sound von den Wänden zurückgeworfen wurde. Von meinen Keyboards konnte ich das nur schwer sagen. Auf der Bühne war alles top, ich hatte ja meinen eigenen Verstärker und eine Monitorbox, aus der die nur von mir gewünschten Instrumente klangen. Das hatte aber mit dem nichts zu tun, was im Saal zu hören war. Außerdem war Rolf geradezu fanatisch nach Höhen - wo es ging, wurden die oberen Frequenzen angehoben, und er verfolgte damit einen kurzweiligen Trend, der besagte, "Alles was Höhen hat, ist gut". Ich habe mal heimlich ein Konzert mitgeschnitten und bin beim Anhören erstarrt. Da blieb nur die Hoffnung, dass das eine Ausnahme gewesen ist.
Im Sommer fand alljährlich ein Pop-Festival im polnischen Sopot statt. Ich freute mich schon, endlich wieder mal in einem anderen Land spielen zu können, als ich die Mitteilung erhielt, ich dürfe nicht mitfahren. Polen war eigentlich zu dieser Zeit visafrei, aber bei einer Dienstreise brauchte man einen gültigen Pass mit eingetragenem Visum. Der wurde mir verweigert. Mein Anwalt wendete sich an eine dafür zuständige Stelle und bat um Stellungnahme. Er erhielt aber keine Auskunft, worin die Gründe einer Verweigerung lagen. Ich wurde selbst aktiv und rannte von Hinz zu Kunz, aber auch mir blieben die Türen der Erkenntnis verschlossen, hinter denen meine Ablehnung ausgebrütet worden war (Hier fehlte also der Privatdetektiv aus dem Film!) Ich erfuhr nur, dass es ein ungeschriebenes Gesetz gäbe, nach dem man verurteilt werden muss, wenn man in einem "Bruderland" eine Straftat begangen hatte. Drum also mein angekündigter Platz in Rüdersdorf. Und dass ich nun nicht nach Sopot fahren durfte, hing wahrscheinlich auch mit meinem polnischen "Tatort" zusammen. Ich habe die wahren Gründe bis heute nicht erfahren. Trotzdem, einen Titel und ein Arrangement durften sie mir für Sopot nicht verweigern! Es wurde kein Preis gewonnen. Klar, denn ich war ja nicht dabei und damit redete ich mir die Sache schön, grinsend natürlich.
Es war November, als ich mit B.L. von einem Konzert in seinen Auto nach Berlin fuhr. Wir kamen ins Quatschen und ich merkte, dass da irgendetwas Unausgesprochenes zwischen uns war. Dann rückte er langsam mit der Sprache raus: Elefant hatte ein Angebot, im Westen zu spielen, bei so einem DKP-Fest oder einer anderen roten Mugge, aber eben im Westen. Da ich schon nicht nach Polen fahren durfte, war mir eine Westreise erst recht gänzlich verwehrt. Nun hatte B.L. die Musiker seiner Band zusammengetrommelt, den Fall geschildert und abstimmen lassen, wer "für Heubach ohne Westen" oder "ohne Heubach mit Westen" war. Das Ergebnis war klar, sie entschieden sich für den Westen. Ich war nicht böse wegen ihrer Entscheidung, denn ich wusste nicht, ob ich an ihrer Stelle nicht auch so gehandelt hätte. Wir waren in der Band zwar Kumpels, aber zu einer Liebesbeziehung ist es nie gekommen. Da wurden gemeinsame Erlebnisse auch zweitrangig. Zum Beispiel besorgten wir uns aus Polen das Spiel Master Mind, um die langen Tanzabende von fünf Stunden zu überstehen und mit dem dann die Pausen überbrückt wurden. Ich spielte vor allem mit Werner Kunze, denn der hatte etwas Logisches in seiner Denkweise. Trotzdem, diese Entscheidung der Band bedeutete für mich, dass am Ende des Jahres Schluss mit Elefant sein würde. B.L. lobte mich wegen der "Größe", die ich gezeigt hätte und wie toll ich das wegstecken könne.
An dieser Stelle möchte ich bemerken: die Zeit bei Elefant hat mir sehr geholfen, zu mir zurückzufinden. Ich bin wieder zum aktiven Musiker geworden, konnte Songs schreiben und fünf von ihnen auf der ersten Elefant-LP unterbringen. Was wollte ich mehr? Das nächste Kapitel in meinem Dasein konnte beginnen!
Lehr- und Wanderjahre: Elke Martens und Megaphon
Es war 1981 - ich hatte das Band-Leben hinter mir gelassen - begann gleich mit neuer Arbeit: Ich hatte von der Generaldirektion Mentor-Verträge für zwei junge Nachwuchskünstler an Land gezogen. Das staatliche nichtkapitalistische Management Komitee für Unterhaltungskunst hatte in den Bezirken seine Fühler ausgestreckt und war fündig geworden. Ich schrieb also einige Songs für meine Schützlinge und es kam sogar zu Rundfunkproduktionen. Die Sängerin Gerda G. war eine Musikantin und hatte Talent. Später wurde sie Schlagersängerin in einem Tanzorchester, heiratete und wurde körperlich ziemlich üppig. Der Sänger Jürgen M. aus einer Rockband wollte auch eine Sololaufbahn, hatte ein gutes Timbre, war aber ansonsten auch austauschbar wie so viele. Die Dritte im Bunde, für die ich Mentor wurde, war Elke Gierth, 25 Jahre jung. Elke hatte die Dresdner Musikhochschule im Fach Gesang mit Auszeichnung abgeschlossen (ich habe das Zeugnis nie gesehen, muss also glauben, was sie gesagt hat). Bei ihrem Studium wurden auch Nebenfächer mit berücksichtigt, wie Bewegungserziehung, Sprecherziehung und natürlich auch GeWi, das Kurzwort für Gesellschaftswissenschaft. In Berlin bekam das Komitee für Unterhaltungskunst nach irgendeinem Auftritt große Ohren, lud sie ein, nahm sie unter Vertrag und kümmerte sich fortan um Autoren für Songs und eine weitere Ausbildung und was weiß ich nicht noch alles. Da hatten sie nämlich einen dicken Fisch an Land gezogen, denn die DDR-Szene war ausgeblutet und es gab auf dem Pop-Sektor keinen nennenswerten Nachwuchs. Elke Gierth hatte den Kollegen in Berlin klargemacht, dass sie eigene Vorstellungen von einer Bühnenshow hatte. Nun brauchte sie nur noch die entsprechenden Leute, um sie in die Tat umsetzen zu können.
Wahrscheinlich war sie sich damals noch nicht bewusst, dass man außer Autoren und Musikern auch die Entsprechende Hardware benötigte und alles, was damit zusammenhing. Ich wurde von der GD als Komponist angesetzt und nahm Kontakt auf. Sie wohnte in Dresden und schickte mir ein Telegramm in einem ganz lustigen Stil, der verriet, dass sie keine dümmliche Schlager- oder Poptussie war. Sie lud mich zu einer Probe nach Dresden ein, denn sie verkündigte mir stolz, eine "eigene" Band zu haben. Ich nahm also den Zug und fand ein attraktives Mädchen vor: Lange, echt blonde Haare, die ihr bis zu Hüfte reichten, wenn sie keinen Pferdeschwanz trug, eine stattliche Oberweite, die sofort den Blick auf sich zog, mir aber nicht so wichtig war; ein relativ sauberes Hochdeutsch und einen richtigen Händedruck. Wir begaben uns mit der Straßenbahn an den Rand Dresdens, wo die Häuser kleiner und die Gärten mehr wurden. In einem barackenähnlichen Etwas, wo sich heute die Clochards verkriechen würden, war ein ungeheizter Raum von vielleicht sechzehn Quadratmeter, die Wände mit Müll vollgestellt, ein paar Stühle und ein kleiner Ofen, sonst nichts. Der Begriff Gartenlaube wäre angebracht gewesen. Von der Decke baumelte eine Glühbirne ohne Schirm und warf ein trübes Licht auf die Band, die gerade dabei war, den Ofen anzuheizen. Es herrschte ein wenig Pfadfinderstimmung und es fehlte nur noch das Lagerfeuer. In der Enge fanden sogar Keyboard, Schlagzeug und Verstärker Platz.
Das Neue an dieser Band war die Besetzung,
denn am Piano war ein Mädchen, das auch noch den Namen Christine Reumschüssel trug. Reumschüssel! Sie schämte sich furchtbar dafür und flüsterte ihn nur, wenn sie mal dazu aufgefordert wurde, ihn zu nennen. Zwanzig Jahre später wäre sie stolz darauf gewesen, gab es doch Leutheusser-Schnarrenberger und ähnliche Namensgebilde. Ich habe sie nach der Wende noch einmal zu Gesicht bekommen, aber zu einer Neubewertung ihres Namens gab sie kein Statement ab. Sie war die beste Vom-Blatt-Spielerin, die ich gekannt hatte. Man konnte ihr alles vorlegen, sie hatte keine Mühe, die Noten in Töne umzusetzen. Dafür konnte sie ohne Noten nicht existieren und glich dann einem nackt in Grönland ausgesetzten Wesen. Sogar Soli, die sonst improvisiert werden, musste ich ihr aufschreiben, und sie spielte sie wie eine Maschine ab. Einmal drehten wir ihr die Noten in einem unbeobachteten Augenblick um 180 Grad. Sie spielte mit sturem Blick auf das Notenblatt ihr Solo und hätte es eigentlich umgekehrt spielen müssen. Daran erkannte ich die Placebo-Wirkung von Noten!
Die Gitarre wurde von einem Amateurmusiker gespielt, der aber wie alle anderen "in Ausbildung" war und auf seinen vorläufigen Berufsausweis hoffte. Offiziell hatte Leo L. einen Job als Hausmeister, es kann aber auch Pförtner gewesen sein oder Mitarbeiter einer Elektronikbude. Er hatte etwas mit Elektronik studiert und konnte mit dem Lötkolben umgehen. In dieser Hinsicht waren die Dresdner ja findig und brachten es sogar zur Professionalität. Dazu die passende Legende:
Dresdner Basteleien
Zu LIFT-Zeiten gab es das Trio um die Elektroniker Grunwald, Radehaus und Cardell. Das waren einst begabte Bastler, die die Marktlücke in Bezug auf Verstärker und Mixer in der DDR nutzten, um eben diesen Markt zu bedienen (und da haben wir sie wieder, die Untergrund-Marktwirtschaft). Sie analysierten einige gängige Markenverstärker wie Sound City, Fender oder Marshall, klauten von allen das Beste und bauten eine eigene Version davon. Es war wie mit dem Kopieren von Musik: Das Ziel der Kopie stand fest, wurde nie erreicht, aber dadurch entstand eine Neuschöpfung, die mit dem Original mithalten konnte oder es sogar übertraf. Peter Grunwald und die beiden anderen besorgten sich auf krummen Wegen Bauteile aus dem Westen, gaben Aufträge an andere illegale Subfirmen für Gehäuse und andere Hardware-Teile, entwarfen Leiterplatten, Gehäusedesign inklusive Kunststoffbezug, besorgten Transformatoren, die auch Trafos hießen, Drehknöpfe, Buchsen und jede Menge Kabel und bauten das Ganze zusammen. Grunwald kam zu Hilfe, dass er gerade bei der Messtechnik Dresden beschäftigt war und seine sozialistische Arbeitszeit nutzen konnte, um in einem Hinterzimmer die Vorarbeiten für einen von ihm entwickelten Gesangsverstärker mit 400 Watt Leistung zu erfüllen. Seine Mitstreiter bauten unterdessen die LAY-Verstärker in Serie (der Name LAY ging auch auf ihr Konto). Es gab fast keine Band, die sich mit Rockmusik beschäftigte, die keinen LAY in ihrem Equipment hatte. Auch "Keule" spielte bei LIFT darüber. Das war nicht nur eine Frage der Professionalität, sondern schlicht und einfache die des Geldes. Für einen Verstärker verlangten sie 4000.- Mark, für einen Original-Marshall legte man gut und gern 8.000,- Mark hin. Außerdem gab es Garantie, diese zwar nicht schriftlich, aber dafür garantiert. Ihre Produkte klangen sehr unterschiedlich, es war geradezu Glücksache, einen guten Verstärker zu erwischen. War man nicht zufrieden, fuhr man zu ihnen und tauschte das Objekt um. Sie hatten immer Ersatz am Lager - da bekam der Nächste eben nicht seinen Ausgesuchten, sondern einen anderen.
Da die Drei so viel Kohle machten, kam es auch bei ihnen zu dem dafür passenden Lebensstil: Weiber, Feten, Alk, schnellere Autos als Trabant oder Wartburg, auf großem Fuß leben, also wie im Westen, und doch nur der Westen zweiter Klasse. Sie merkten bald, wo ihre Grenzen lagen. Es gelang ihnen nicht, ihr privates Hinterhof-Verstärkerbau-Unternehmen legal als Privatunternehmen in die DDR-Planwirtschaft zu integrieren. Wahrscheinlich wäre der Staat überfordert gewesen, die nötige Valuta für Bauteile zu beschaffen. Damit stand für sie fest, im Westen wäre das nicht passiert und sie beschlossen die sogenannte Republikflucht über Bulgarien. Bis nach Bulgarien kamen sie auch mit dem Flieger, aber dann war Schluss. Wer sie am Weiterfliegen hinderte, ist nicht bekannt, es kann wie so oft eine undichte Stelle gewesen sein, die die Stasi aktiv werden ließ. Die machte nicht viel Aufhebens und überließ ihnen die Entscheidung: Zwei Jahre Knast und dann Entlassung in den Westen, wenn sie Schwein hatten, oder ein kurzer Knastaufenthalt und frohe Tage ohne Bauteile in der DDR. Radehaus und Cardell entschieden sich für den langen Weg. Sie sind jetzt - so die Gerüchteküche - in Westdeutschland Professoren für wer weiß was und entwickelten weiterhin Elektronik, diesmal wieder mit Bauteilen und die vielleicht sogar aus der "ehemaligen DDR". Peter Grunwald wählte den kürzeren Weg. Ein typisches Flüchtlingsschicksal also. Er baute dann weiter, aber sehr legal. Er war ja der Kopf des Unternehmens gewesen und beteiligte sich weniger an den Ausschweifungen seiner Mitstreiter. Er baute auch das erste Quadrophonie-Mischpult, das Stern-Combo Meißen auf ihren Touren mit sich rumschleppte. Selbst zu Zeiten, als LIFT vier Techniker hatte, kamen wir nicht auf die Idee, uns so ein Ding anzuschaffen, der Aufwand wäre immens riesig gewesen. Entweder man ist der Erste und kann den Ruhm ernten, oder man bäckt einfach kleinere Soundbrötchen. Nach der Wende wurde Grunwald ein kreativer gefragter Mann und stattete auch das Rundfunk-Popstudio mit der von ihm konzipierten Elektronik aus. Wie man wieder sehen kann - es war nicht alles schlecht im Osten, auch Elektroniker haben überlebt!
Lehr- und Wanderjahre: Elke Martens und Megaphon (Fortsetzung)
Aber zurück zu Leo L., dem Gitarristen und Elektroniker: Er hatte mir sogar einen Verstärker gebaut, der auch funktionierte, mit diversen Westbauteilen natürlich. Der Trommler Uli Mader "machte sein Ding", wie man so schön sagt, war aber kein Naturtalent. Er hätte ebenso in einem Kirchenchor mitsingen können, ohne aufzufallen. Später sattelte er um und wurde Pauker in einem klassischen Orchester. Aber hier trommelte er eben und das mit viel Engagement, denn auch er war noch jung und lernte gern. Ich brachte Noten eines Songs von mir mit und wir begannen mit der Probe. Mir fiel gleich auf, dass der Basser eigentlich den Namen Un-Basser verdient hätte. Er war unrhythmisch, machte viele Fehler, war des Notenlesens fast unkundig und hatte einen IQ unter 90. Nun kenne ich auch andere Musiker mit diesem IQ, aber hier kam eben alles zusammen. Er war aber ein lieber Kerl und das machte es so schwer, ihn auszutauschen. Einen anderen Basser gab's im Raum Dresden nicht, der sich so einem unausgegorenen Projekt angeschlossen hätte. Da musste ich wohl oder übel mit ihm arbeiten. Ich leitete also die Band an diesem ersten Tag an, besprach Repertoire, Harmonien und stilistische Details, war für sie ein Lehrer.
Nach der ersten Zusammenkunft bei den Laubenpiepern fuhr natürlich kein Zug mehr nach Berlin. So ging ich mit Elke Gierth in ihre Wohnung, die sie zur Teilhauptmiete bewohnte: Sie hatte ein Zimmer in einer Erdgeschosswohnung, mit Loggia und eine kleiner Küche, das Bad der Vermieterin durfte einmal in der Woche benutzt werde und das Klo täglich; gewaschen wurde sich in der Pseudoküche unter einem kalten Wasserhahn. Elke hatte ihr Zuhause sehr wohnlich gestaltet, die teilweise antiquarischen Möbel waren praktisch platziert, an den Wänden hingen selbstgemalte und andere Bilder, der Kleiderschrank musste seinen Platz in der Loggia einnehmen. Am meisten fiel ein Hochbett auf, unter dem ein Klavier stand. Gebaut war es von einem ihrer Freunde, der was von ihr wollte, sie aber nicht von ihm - so sagte sie es wenigsten. Vielleicht versuchte er, wie ein Minnesänger durch den Bettenbau ihr Herz zu gewinnen und das Bett auszuprobieren
Elke Gierths Freund kam also aus gutem Hause, hatte künstlerischen Geschmack und den nötigen Grips. Er machte später auch Texte für mich und schrieb etliche für LIFT. Texteschreiben machte er aber nur nebenbei, denn er studierte zu dieser Zeit gerade Filmregie an der Babelsberger Filmhochschule. Später durfte ich neben seinem Debut-Film noch einige andere von ihm vertonen. Er zählte damals zu den DDR-Nachwuchstalenten und wurde nach der Wende u.a. auch Grimmepreisträger. Er war und ist ein Intellektueller aus Dresden, der in Berlin wohnt: Bernd Böhlich! Ich verlor nach der Wende den Kontakt zu ihm und las nur ab und zu mal sporadisch in der Zeitung, welchen Film er gerade gedreht hatte. Durch Zufall begegneten wir uns mal auf der Straße, weil er gerade in meiner Ecke drehte, und da bot er mir an, die Musik für ein neues Projekt zu machen. Das klang ja erst mal fabelhaft und da wusste ich noch nicht, was alles an technischen Erneuerungen auf mich zukommen sollte.
Filmmusik - Aufwand und Nutzen
Früher war es ja einfach mit der heimischen Hardware-Anforderung für das Komponieren von Filmmusik, doch das transportable Videorekorder-Ungetüm, mit dem ich die einzelnen Szenen abspielen konnte und mir auf dem Klavier eine mehr oder weniger lustige Melodie oder ein dramatisches Ungewitter einfallen ließ, war ja nicht mehr zeitgemäß. Als Komponist hatte man mittlerweile seinen eigenen Videorekorder, da wurde die Kassette eingelegt und los ging's: Partitur schreiben, dem Regisseur am Klavier skizzieren, was man musikalisch meint, Stimmen rausschreiben lassen durch einen Notenschreiber und dann die Aufnahme der Musik in Babelsberg mit großem Orchester oder kleinem Ensemble. Später spielte ich die entsprechenden Tracks mit einem Keyboard in einen Computer der Marke ATARI ein, das Musikprogramm passte auf eine 3,5"-Diskette, und das war winzig im Vergleich zu heutigen Musikprogrammen. Gearbeitet wurde mit so genannten MIDI-Daten. Diese steuerten ein Soundmodul an, das dann aus ihnen Musik machte. Je mehr Soundmodule, desto mehr Instrumente konnte man imitieren: Streicher, Bläser, Drums, Klaviere und was es sonst noch alles gab. Mit dem ATARI und der Software NOTATOR arbeitete ich seit 1988. Alle von mir gespielten Daten fanden auch auf einer Diskette Platz - das waren gerade mal 1,4 MB! Damals waren keine Terabyte-Festplatten notwendig. "Und vor zwanzigtausend Jahren lebten die Menschen auch noch in Höhlen und das ging auch!", könnte man jetzt noch hinzufügen.
Also, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben, musste ich mich technisch verändern und zumindest so tun, als sei ich ein top-cooler Mitstreiter der technischen Revolution. Die Zeit schritt schnell voran, denn ATARI gab's ab den 90ern nur noch im Museum und NOTATOR auf dem Second Hand-Markt (Die Softwarefirma hatte auch erkannt, dass mit ATARI nichts mehr zu holen war und stieg auf den PC um. Ab dieser Zeit hieß das Programm LOGIC. Um das Maß voll zu machen: Mitte des ersten Dezenniums des neuen Jahrtausends verabschiedete sich LOGIC vom PC und lief zum Mac über, aber das nur am Rande...) Also musste auch ich auf den PC umsteigen. Ich investierte ein kleines Vermögen in Hardware, Software plus einen neuen PC und kaufte mir das sündhaft teure Keyboard Kurzweil K2400 mit der entsprechenden Ausstattung. Dieses Instrument kam einem Mercedes gleich. Damit auf alles vorbereitet, begann ich, die Filmmusik für B. Böhlich zu komponieren. Wer jetzt durch die vielen technischen Details noch aufnahmefähig ist, soll getrost weiterlesen:
Ich schickte ein Demo nach München, wo PRO7 saß, die den Film in Auftrag gegeben hatten. Monatelang hörte ich nichts mehr von ihnen. Irgendwann erreichte ich Böhlich am Telefon:
"Tut mir Leid, aus dem Auftrag für dich ist nichts geworden, kann auch nichts dafür. Die haben sich irgendwie anders entschieden, haben einen Komponisten aus München gefunden. Was, du hast investiert? Dumm gelaufen, kann ich auch nichts für. Und schönes Wochenende noch!"
"Hallo Mafia!", kann ich da nur sagen, und zwar die Münchener. Das war das Ende meiner Karriere als Filmkomponist. Ich gab es auf, in die Festung der Filmkomponisten eindringen zu wollen, dazu war ich ein zu kleines Licht am Filmmusikhimmel und konnte außer Talent auf diesem Gebiet nichts vorweisen.
Rückkehr auf die Bühne
Ich hatte Interesse an Elke Gierth, sehr großes sogar, und deshalb auch Interesse an dem Erfolg ihres Bandprojektes. Ich wusste jedoch, dass mit ihrem Basser nicht mal Trostpreise zu gewinnen waren. Inzwischen hatte ich auch den Manager des Unternehmens kennengelernt, den Elke Gierth in der Dresdner Szene ausfindig gemacht hatte. Es war der Ungar Istvan Farkas. Er sah wir die meisten Südländer zehn Jahre älter aus, war ein Prahlhans und Auf-den-Busch-Klopfer, hatte aber Beziehungen und konnte die Leute bequatschen. Das war wichtig in dieser Branche, er hat auf diese Weise schon manche Mugge an Land gezogen. Elke, Istvan und ich setzten uns an einen Tisch und ich sagte ihnen, ich würde vorübergehend die Rolle des Bassers übernehmen, bis ein passender anderer gefunden ist. So schlug ich zwei Fliegen mit einer Klappe: Ich war bei Elke und konnte gleichzeitig meinem Helfersyndrom frönen. Dazu brauchte ich aber wieder Geld, um mir eine Anlage kaufen zu können. Also verkaufte ich mein Haus an einen Popmusiker, der aber nicht den ganzen Kaufpreis aufbringen konnte und mir deshalb Musik-Elektronik als Ausgleich anbot. Neben einem Synthesizer war auch noch ein Sequenzer dabei. Damals waren die Dinger im Popbereich gerade im Kommen und es war die Lite-Ausführung eines großen teuren Bruders der Firma Korg.
Auf diesem Sequenzer konnte man per Schalter und Drehknopf eine Tonfolge einstellen, die sich immer wiederholte. Ein Prinzip also, was jedes kleine popelige Musikprogramm mittlerweile kann. Aber damals war das schon eine Ausnahme, zumindest im Osten. Ich schichtete mir aus Synthesizer und Sequenzer einen Turm, hinter den ich mich auf die Bühne stellte und mit modisch kürzer geschnittenen Haaren die Funktion eines Bassgitarristen mit Tasten ausübte.
Das Bandleben bedurfte einiger Umgewöhnung, wir mussten kleinere Brötchen backen und manchmal war es auch nur ein vertrockneter Keks. Ich nahm sogar auf mich, wie in alten Pionierzeiten, als man das amerikanische Land eroberte, zur Mugge mit Leo L.s Trabi zu fahren, Elke Gierth "vertrug" das nicht und fuhr mit dem Herrschaftswagen, einem Polski Fiat. Elke verpasste ich den Künstlernamen Martens, denn bei Gierth dachte jeder an "Elke giert nach...", und das macht sich bei einem Mädel nicht so gut. Mit dem Bandnamen war es auch nicht so leicht, bis ich auf den Namen Megaphon kam. Darunter konnte man sich allerhand vorstellen oder auch nicht. Ab jetzt hieß das Unternehmen Elke Martens und Megaphon.
Wir versuchten das aufzubauen, was man im Westen schon seit Jahrzehnten eine Show nannte. Wenn wir zum Tanz spielten, hatten wir einige Schwierigkeiten, weil Songs in unserem Repertoire waren, die man sehen musste oder sich den Text zu Gemüte führen sollte. Gab es aber Konzerte mit Stuhlreihen, lief es teilweise ganz gut, wenn auch anfangs noch sehr amateurhaft. Die einzigen Profis waren Elke und ich. Aber ich merkte auch, sie lebte ihre Rolle nicht, sie spielte sie nur. Das muss auch in den Bäuchen der Leute so angekommen sein. Verglichen mit Nina lagen schon Welten dazwischen. Es hatte alles irgendwie einen mehr intellektuellen Anspruch oder sollte es zumindest haben, und wer war schon intellektuell von den Leuten unten im Saal? Spielten wir bei der Armee, hatten wir die Kämpfer auf unsere Seite. Was wollte man mehr, ist man in Eggesin im tiefsten Mecklenburg stationiert, darf kein Alk mit ins Objekt nehmen und hatte sehr wenig Ausgang? Da kommt ein hübscher Singezahn, blonde Haare, Titten und eine verbale Anmache - da kann man ja nur vor Begeisterung pfeifen, johlen oder anzügliche Kommentare von sich geben. Spielten wir zum "Kindertanz" (abfällige Bemerkung unsererseits) um 16:00 Uhr, hatten wir schon Schwierigkeiten. Da getraute sich keiner, als erster den Tanzreigen zu eröffnet, bis sich zwei Mädchen auf die Tanzfläche begaben, verfolgt von pubertären Jungenblicken, die ihre Vita Cola schüchtern in der Hand hielten und heimlich unter dem Tisch ihr Kleingeld durchzählten. Wir mussten solche Auftritt durchstehen - Istvan nahm alles mit, die Hauptsache: Kohle! Wir spielten für'n Appel und 'n Ei, sogar ich bekam nicht mehr Gage. Wir verdienten weniger als 100,- Mark pro Auftritt. Ich hätte mich nicht wohl gefühlt, wenn ich mehr Geld gefordert hätte, denn das wäre dem kleinen Kollektiv-Pflänzchen nicht gut bekommen. Elke wurde besser entlohnt. Darauf war ich nicht neidisch und die anderen auch nicht, schließlich trug das Projekt ihren Namen.
Wir wurden immer besser, spielerisch und showmäßig. Wir coverten natürlich Songs, die zum Programm passten. Mein Graf Öderland mit Drum-Solo gehörte genauso dazu wie eine Menge anderer eigener Lieder mit Böhlich-Texten.
Im Herbst war wieder mal ein DDR-Leistungsvergleich angesetzt und... wir bekamen einen Preis! Das war für mich schon eine komische Situation, als wir nach unserem Auftritt den Weg zur Auswertung antreten mussten. Als wir in den Sitzungsraum kamen, sah ich nur Duzfreunde oder Bekannte von mir, die diesmal meine Leistung zu beurteilen hatten - sonst saß ich mit ihnen in der Jury und bewertete Gruppen und Solisten. Ich habe den begrüßenden Handschlag aber geflissentlich übersehen, denn sonst hätte man schnell von Kumpanei sprechen können.
Wieder heimgekehrt machten wir Studioproduktionen
im Rundfunk. Ich hatte das Glück, mir dafür Session-Musiker einladen zu können, die alle einen Namen in der Szene hatten. Mit denen dauerte das Einspielen eines Titels nicht lange. Ich erklärte kurz, in welchem Stil die Musik eingespielt werden sollte oder deutete es am Instrument an. Einmal schrieb ich die Musik für eine 30-minütige Kindersendung mit dem Titel "Geschichtenlieder". Mit dabei waren Altmeister des Chansons Jürgen Walter, die Schauspielerin Franziska Trögener und natürlich Elke Martens. Es waren 15 Songs, die in einem ehemaligen Kino mit einem Ü-Wagen eingespielt werden mussten. Wir schafften das Playback in acht Stunden - das war ein Rekord! Später kam dann noch der Gesang hinzu, der aber wesentlich länger dauerte. Ich habe selten Sänger erlebt, bei denen ein Synchron schnell ablief, sie waren halt keine Instrumentalisten, sondern - Künstler!
1981/82 bekam ich die Möglichkeit, an dem ersten Arrangierbuch mitzuschreiben, das in der DDR erschienen ist und die Begriffe Rock und Pop mit im Titel trug: "ARRANGIEREN ROCK POP". Ein ehemaliger Kollege meines Vaters, Wieland Ziegenrücker, arbeitete mit ihm beim Zentralhaus für Kulturarbeit zusammen und war später bei dem Verlag VEB Lied der Zeit als Verleger und Lektor beschäftigt. Er wollte ein Buch auf den Markt bringen, das nicht die Arrangements der 50er Jahre in den Mittelpunkt stellt, sondern auch auf der Höhe der Zeit sein sollte. Also brauchte er für Rock und Pop einen jungen, unverbrauchten Autor, und der war ich. Für mich war das natürlich Neuland, ich hatte weder Ahnung als Schreiberling, noch wusste ich, wie ich methodisch vorzugehen hatte. Was ich an der Hochschule gelernt hatte, konnte ich völlig vergessen, denn bei diesem Buch handelte es sich um eine Käuferklientel, die nicht schulmeisterlich belehrt werden wollte. Außerdem merkte ich bei der Arbeit, dass es ein Spagat war zwischen Beispielen aus der englischsprachigen Popwelt und Titeln aus dem eigenen Land oder Stücken von mir. Schließlich mussten für Westbeispiele Tantiemen in Valuta gezahlt werden, die im DDR-Haushalt nicht allzu üppig vorhanden waren. Ich versuchte einen Kompromiss, baute auch eigene Beispiele ein in der Hoffnung, man hätte die Titel irgendwann mal im Radio gehört oder sogar auf LP zu Hause. Ich habe nie eine Rückmeldung bekommen, wie das Buch bei den Käufern angekommen ist, denn der Verlag betrieb diese Art von Marktforschung nicht - in der DDR hatte es wegen der Planwirtschaft keinen Markt im westlichen Sinn zu geben. Ich habe auch nie erfahren, wie hoch die Auflage gewesen ist und bekam nur eine Abrechnung, wo die Anzahl der Stückzahl nicht vermerkt war. Um ehrlich zu sein, es interessierte mich eigentlich auch nicht. Die erste Auflage des Fachbuches erschien 1982, von weiteren Auflagen ist mir nichts bekannt. Als ich 1988 das erste Mal in Westberlin in einer Musikbuchhandlung in den Regalen stöbern durfte, entdeckte ich auch ein Fach von einem Meter Breite, in dem nur Arrangierbücher standen. Viele davon waren nur in Englisch erschienen, aber ich wusste sofort: Mein Buch war geradezu Hinterwäldlerisch im Gegensatz zu dem internationalen Angebot. Ich schämte mich ein bisschen und redete mir ein, nicht die Möglichkeit gehabt zu haben, mich genügend informieren zu können. Und wenn auch - ich bin immer noch der Meinung, man muss damit groß geworden sein, um darüber schreiben zu können - aus erster Hand sozusagen. Wenn die DDR-Käseglocke mal ein wenig West-Licht hinein ließ, glaubten wir schon, bis zu den Sternen gucken zu können. Trotzdem: Es war ein Schritt in die richtige Richtung und einer muss ja mal anfangen. Klar, jetzt kann ich mich genüsslich in meinen nichtvorhandenen Schaukelstuhl fläzen und stolz vor meinen Augen vorbeiziehen lassen, wo und wobei und womit und mit wem ich überall der Erste gewesen bin. Aber dabei lasse ich die DDR-Käseglocke immer fein unten, ist besser so, schon wegen der Realität...
Ich fuhr mit Elke Martens später auch mal nach Prag, weil da u.a. Josef Laufer auftreten sollte. Sie war ganz aufgeregt, aber das völlig umsonst: Als wir ihn nach der Veranstaltung kurz am Bühneneingang erwischten, hatte er nur Zeit zum Handreichen ohne ein "Wie geht's", weil neben ihm schon wieder ein anderes Weib stand, blond, mit großen Titten. Ich habe mich gefreut. Diebisch!

Einmal machten wir eine Fahrt Richtung Varadero. Ein Polizist fuhr vor unserem Bus auf einem Motorrad japanischer Bauart. Er war ein Typ wie aus einem Film, wo die Frauenherzen schneller zu schlagen beginnen: Ein großer Mulatte, schlank, dunkle Pilotenbrille und mit einer maßgeschneiderten Uniform, die seinen perfekten Körperbau betonte. Und dann zeigte er, was er konnte und wofür er bei uns hätte den Dienst quittieren müssen: Er nahm die Hände vom Lenkrad und fuhr freihändig, wohl wissend, dass er viele weibliche Zuschauer im Bus hatte. Ich kenne die kubanische Straßenverkehrsordnung nicht, kann mir aber die Formulierung eines Ausnahmeparagraphen schwer vorstellen, der so etwas mit 60 km/h erlaubt.
Unsere Fahrt führte zu einer Ranch, oder besser gesagt dem Landsitz Ramon Castros. An der Kubanischen Revolution beteiligte er sich, im Gegensatz zu seinen anderen zwei Castro-Brüdern, nicht aktiv. Er blieb auf der Farm seiner Eltern und eignete sich vielfältiges Wissen über den Zuckerrohranbau an. Für Kuba war Zuckerrohr ein wertvoller Exportartikel und die Ostblockstaaten mussten immer eine gehörige Portion davon importieren, weil ja ein Bruder dem anderen zu helfen hatte. Nach der Revolution wurde Ramon ein wichtiger Berater der kubanischen Regierung in Fragen der Agrikultur. Er galt auf diesem Gebiet als einflussreicher als der zuständige Minister. Auf seiner Ranch wurde für uns eine kleine Bühne aufgebaut und unsere PA angeschlossen. Zwischendurch gab Zach Kindern Autogramme.
Wir begannen, Titel aus unserem Repertoire zu spielen. Es war eine sehr familiäre Atmosphäre und keine Spur von offiziellem Getue und das Dreschen bekannter Phrasen. Danach setzten wir uns mit Roman Castro privat in einen Raum seines Hauses, den ich in keine Wohnkategorie einordnen konnte. Er war sehr spartanisch eingerichtet und glich von der Einrichtung her in etwa den kleinen Hütten, die wir unterwegs an der Landstraße gesehen hatten: Tisch, Stuhl, Bett, Schrank und - ein Fernseher! Achtzehn Jahre später hatte sich daran nichts geändert, auch diese Erkenntnis hatte ich bei meiner zweiten Reise 1996. Ich nehme an, in Kuba wurde der angestrebte Kommunismus auch von den Regierenden in seiner Einfachheit nachvollzogen, und da gab es keine reichen, vollgefressenen Funktionäre, die Wasser predigten und Wein tranken. Oder wir bekamen sie nicht zu Gesicht, damals und achtzehn Jahre später.
Auf alle Fälle unterhielten wir uns mit Händen und Füßen und mit ein paar Englischbrocken mit ihm und seiner Frau, denn es war kein Dolmetscher dabei. Dann kam ein vielleicht fünfjähriger Junge hinzu und trat an die Seite seiner noch relativ jungen Mutter. Ramon verkündete stolz, das sei sein Sohn und ließ durchblicken, dass er schon die Vierundfünfzig überschritten hätte. Uns erschien das damals als eine gute Leistung (falls es nicht sein letzter Spermatropfen gewesen war). Bereitwillig stellte er sich vor unsere Fotoapparate, mit Dina im Arm natürlich, denn wegen ihr hat er sich vor allem so gastfreundlich gezeigt. Ob der wohl gewusst hatte, dass Zach ihr Mann war?

Nach ein paar Tagen ging ich wieder mal zwischen den Auftritten an unserem Yachthafen baden. Dort war kein Sandstrand wie in Varadero, sondern versteinerte, spitze Korallen, die man erst mal überwinden musste, um ins Meer zu gelangen. Es war unmöglich, ohne Schuhe die Korallen zu betreten. Da leisteten mir meine Badelatschen gute Dienste. Nach ein paar Metern hatte ich eine Stelle gefunden, an der ich meine Badelatschen ablegen konnte und machte den ersten Schritt ins hüfthohe Wasser. Mein rechter Fuß trat auf etwas Rundes, ich blickte auf den Grund und sah, was ich mir eingefangen hatte: Einen Seeigel! Na toll, dachte ich und begab mich mühsam aus dem Wasser zurück ans Ufer. Dann humpelte ich in unser Objekt. Bei jedem Schritt schmerze mein Fuß so sehr, dass ich kaum noch auftreten konnte. Am nächsten Tag ging ich zu unserem Leibarzt, denn die DDR hatte ja bekanntlich ein gutes Gesundheitssystem (dachten wir damals). Der sah sich meinen Fuß an, nahm eine Pinzette und zog achtzehn Stachen aus meinem Fuß.
"Den Rest kriege ich mit meiner Pinzette nicht zu fassen, das sind abgebrochene Stacheln. Die müssen herauseitern!"
Und sie eiterten heraus, ließen sich aber dabei Zeit. Erst am letzten Tag war ich sie los. Ich war verdammt, mit meinem rechten Fuß nicht mehr richtig auftreten zu können, aber damit war ich nicht der Einzige: Den aus den USA immigrierten Schauspieler, Sänger und Frauenliebling Dean Reed hatte ich als Partner. Wir tauschten uns täglich Stachel-Neuigkeiten aus, gaben den Eiterstand bekannt und beglückwünschten uns, wenn wieder mal ein Stachel seine Aktivität aufgegeben hatte. Leider kam es nicht zum Tausch von Telefonnummern und Visitenkarten, aber das ist wieder eine andere Geschichte...
Ich muss an dieser Stelle noch einfügen, dass wir uns bei unseren Auftritten ein T-Shirt überstreiften, das ein Weltfestspiel-Logo trug und nicht weiter auffiel, schließlich gehörten wir zumindest während unserer Auftritte offiziell einer Delegation an und waren keine Touristen aus Los Angeles.
Jam Session

An einem der letzten Tage wurde in unserem Objekt eine Session organsiert, wo sich alle Musiker und Solisten mal so richtig "ausspielen" konnten, wenn ihnen danach war. Alles was Rang und keinen Namen (oder umgekehrt) hatte, fand sich am Abend auf einer kleinen bühnenartigen Fläche in Freien ein, wo eine komplette PA aufgebaut war. Jeder, der wollte, konnte sich in einen Titel "reinhängen" oder ein Sänger wurde bei einem Song begleitet, den alle kannten - eine richtige Jam Session also. Auch Günther Fischer war anwesend. Günther Fischer war neben seinen vielen Filmmusiken auch als Jazzer bekannt, hatte er doch sein Günther-Fischer-Sextett, das aber nicht anwesend war. Seine Kollegen zogen es vor, daheim zu bleiben, weil sie alle Flugangst hatten. Selbst Egon Krenz konnte sie nicht mit dem "Weltfrieden" ködern, sagt die Legende. So stand Günther also einsam und allein mit seinem Altsaxophon neben den anderen, die auf eine Gelegenheit zum Mitspielen warteten. Ich war eigentlich fast immer an einem Fender-Piano zu finden, fiel es mir doch nicht so schwer, mich auch in mir unbekannte Titel reinzuhören und mitzuspielen. Bei irgendeiner Jazznummer sah Günther Fischer seine Gelegenheit gekommen. An einer Stelle, an der ein Solo kommen sollte, ging er zum Mikro und begann zu blasen. Es gab bei diesen Solo nur eine Grundharmonie und die Spiellänge wurde durch kein Schema begrenzt. Er spielte und spielte, dudeldudel-jazzjazz, bis sich ein nächster Solist durch Zeichen bemerkbar machte, er wolle auch mal drankommen. "Günther, 's reicht, der Nächste bitte", gaben wir ihm zu verstehen. Aber Günther hatte einen Hörfehler, in diesem Augenblick. Dudeldudel-jazzjazz, dudeldudel-jazzjazz. "Eh, Günther, aufhören, der Nächste will auch mal!" Dudeldudel-jazzjazz, dudeldudel-jazzjazz. Minuten oder gefühlte Stunden vergingen. "Günther, jetzt reicht's aber!", brüllte einer von hinten. Es war der Tontechniker am Mixer. Er zog den Regler von Günthers Mikro nach unten und damit war vom Altsaxophon über die PA nichts mehr zu hören. Ein normaler Mensch hätte spätestens jetzt begriffen, dass da etwas anders lief als geplant. Aber da Günther einer von den Jazzern war, die nicht zu spielen aufhören konnten, weil sie ihre Soli noch nicht bis zum Orgasmus getrieben hatten, spielte er selbstvergessen weiter, als sei nichts geschehen: Dudeldudel-jazzjazz. Inzwischen war der andere Solist schon wieder mit seinem Solo fertig, aber hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen, konnte man ganz leise noch ein Dudeldudel-jazzjazz hören...
Henry hatte wieder einmal eine Randale mittleren Ausmaßes veranstaltet, weil er dem kubanischen Angebot alkoholischer Getränke nicht widerstehen konnte. Er schlief in unserem Massenschlafsaal über mir, als er mitten in der Nacht aufstand und irgendetwas in seine Teile zu zerlegen begann. Es müssen Möbelstücke oder sonst etwas gewesen sein; in der Dunkelheit konnte ich nur die Geräusche wahrnehmen. Nach und nach machten sich andere Mitbewohner bemerkbar und riefen um Ruhe, doch Henry ließ sich nicht stören. Erst mit den vereinten Kräften von Mitgliedern der Sportlerdelegation konnte Henry beim Zerlegen gebremst werde. Am nächstem Morgen wusste er wie gehabt von nichts.
Wir bekamen offiziell ein Taschengeld, damit wir uns auch ab und zu was kaufen konnten. Dafür gab es in unserem Objekt eine Art Mini-Intershop. Bezahlt wurde zwar mit Pesos, aber für uns gab es nur den konvertierbaren. Es existiert in Kuba noch immer eine zweite Währung, die so genannten "Peso convertible", die für den Erwerb von staatlich nicht subventionierten Luxusgütern sowie für den Gebrauch durch Touristen gedacht sind. Mit diesen Pesos bezahlten wir auch unsere Getränke im Yachthafen. Zach kaufte sich zwei Congas und ich zwei Flaschen Rum "12 Years Old". Weitere zwölf Jahre hielt er bei mir zu Hause nicht, denn bei diesem Getränk konnte man einfach nicht nein sagen. Die anderen Pesos für die Normalos waren quasi Spielgeld, für das man sich kaum etwas kaufen konnte. Es gab sehr viele Sachen auf Zuteilung und erinnerte an die Marken, für die man bis Ende der 50er Jahre auch in der DDR einkaufen musste. Aber damit waren wir damals nicht allein, denn die Briten mussten selbst in der 60ern damit vorlieb nehmen.
Am 8. August hieß es für uns Sachen packen, dem Personal noch einen Bakschisch dalassen und den Flieger nach Hause nehmen. Der Rückflug war weniger spektakulär, keiner türmte über den Transitraum, ich fotografierte in Gander nichts, weil mein Film schon längst voll war und mich kein FDJler stämmigen Ausmaßes daran hinderte, einen Blick auf das Flughafengebäude zu werfen. Das war eigentlich schade, denn da hätte ich jetzt eine weitere Anekdote hinzufügen können. Kurz vor Berlin traten bei orkanartigem Stürmen starke Turbulenzen auf, sodass wir Angst hatten, von der Kubareise doch nicht mehr zurückzukehren. Wir hatte aber Glück und der Flieger konnte in Schönfeld landen. Die Maschine nach uns mit Egon Krenz an Bord musste nach Warschau ausweichen. Von dort wurde er mit einer Staatskarosse nach Berlin gefahren - so etwas machte man halt in der DDR mit jungen Leuten ab vierzig.
Rückkehr in die Wirklichkeit
Nach und nach holte mich der Alltag wieder ein, ich gewöhnte mich an die 2-Takter-Trabiluft, an fehlende Südfrüchte und an dilettantisch tanzendes Jungvolk, das eher den Marsch in den Beinen hatte als lateinamerikanische Rhythmen im Blut. Am 10. November hatten wir mal ein Mini-Gastspiel in Polen, das mit einem Konzert in Rszeszow endete. Als ich den Namen das erste Mal aussprach, wie es geschrieben stand, fehlte mir anschließend ein Stück Zunge. Die Wunde heilte erst, als man mich auf Polnisch aufklärte: Rscheschow - so sprach ich es zumindest nach. Jetzt weiß ich auch, weshalb die Polen eine große Liebe zu den Franzosen pflegen, denn man spricht anders, als man schreibt. Bestimmt ist es nur eine Frage der Gewohnheit, aber es lag uns fern, slawische Sprachen zur Gewohnheit zu machen. Am letzten Tag gab es die Möglichkeit, in einem Hotel zu übernachten, weil die Rückfahrt von über 300 Kilometern einen gewissen Stress verursacht hätte. Till wollte sein Radeberger jedoch zu Hause trinken und auch Scheffi und Endrik hatten nichts gegen eine sofortige Rückreise. Wir klärten noch, wann die nächste Mugge sein sollte, und schon sah man von ihnen nur noch die Rücklichter. Zach fühlte sich am Morgen des 15. November nicht wohl, deshalb fuhr ich seinen 353er Wartburg. In Kalisz war ein Zwischenhalt geplant, denn ich hatte mir schon zu Hause einen Merkzettel gemacht, wo die Dinge draufstanden, die ich mir in Polen kaufen wollte, weil es sie in der DDR nicht gab.

Henry und Zach sahen sich nach anderen Dingen um, bis wir beschlossen, die Fahrt fortzusetzen. Gerhard versank neben mir in einen Schlaf, Henry saß hinter mir. Die Strecke, die ich vor mir hatte, war klar: Kalisz, Jarocin, Frankfurt/Oder, Berlin. Da blieb mir viel Zeit, meinen Gedanken nachzugehen. Wir hatten viel vor in den nächsten Tagen und Wochen und waren voller Elan, die nächsten Herausforderungen in Angriff zu nehmen. Gerhart hatte mal eine Andeutung gemacht, die Chancen stünden nicht schlecht, eine Westtournee zu machen, er müsse nur an den entsprechenden Stellen noch gewaltig rühren. Ja, in den Westen fahren, das wär's! Und dann die zweite LP und dann die Lebensabschnittspartnerin, klug, schön und all das mitbringend, das ich bei den anderen vermisst habe, ohne es mir einzugestehen. Also auf nach Berlin, das Beste aus dem Leben machen...
Interview-Auszug:
Auszug aus einem Interview aus Januar 2011
mit den Fragen zum Unfall in Polen, bei dem
Gerhard Zachar und Henry Pacholski ums Leben
kamen, und Michael Heubach schwer verletzte wurde...
Auszug aus einem Interview aus Januar 2011
mit den Fragen zum Unfall in Polen, bei dem
Gerhard Zachar und Henry Pacholski ums Leben
kamen, und Michael Heubach schwer verletzte wurde...
Am 15. November 1978 kam es zu einem folgenschweren Unfall. Was genau ist da passiert?
Wir hatten eine Polen-Tournee, und am letzten Tag gab's die Möglichkeit, entweder nach Hause zu fahren oder noch eine Nacht im Hotel zu bleiben. Wir haben dann beschlossen, doch nach Hause zu fahren. Auf der Rückfahrt haben wir noch einen Halt gemacht um in Polen Sachen einzukaufen. Anschließend fuhren wir weiter. Ich selbst saß am Steuer, wie mir hinterher erzählt worden ist. Es hätte auf dem Weg ein Linkskurve gegeben, in die ich mit überhöhter Geschwindigkeit rein gefahren wäre. In der Kurve hätte ich gegengelenkt und wäre dann unter einen entgegenkommenden LKW geraten. Der war so groß, dass der Wartburg dazwischen passte. Ich selbst lag nach dem Unfall 10 Tage im Koma. Gerhard und Henry kamen beim Unfall ums Leben. Ich hab mich dann irgendwie nicht richtig aufrappeln können, aber irgendwie hab ich versucht, mich wieder an mein Dasein zu gewöhnen. Da ich auf der rechten Seite gelähmt war, hat es auch 'ne ganze Weile gedauert, bis ich durch eisernes Training - ich wurde physiotherapeutisch behandelt - einigermaßen wieder meine Bewegungen machen konnte. Und nach ca. 2 bis 3 Monaten – glaube ich - kam ich aus dem Krankenhaus raus. Ich war zuerst in der Neurologie Leipzig und wurde dann nach Berlin verlegt. Dort wurde ich untersucht und man stellte fest, dass ich auch noch Hepatitis hatte. Infolge dessen durfte ich noch 2 Monate länger im Krankenhaus bleiben, um meine Hepatitis auszukurieren. Ja, und im Hinterkopf hatte ich immer den Gedanken, "Du musst weitermachen und spielen!" Ich bin nach meinem Krankenhausaufenthalt zuerst von einem guten Bekannten aufgenommen worden, bei dem ich vorübergehend wohnen durfte. So hatte ich erstmal ein Zuhause, machte meine Fingerübungen und versuchte, langsam wieder meine Motorik aufzupeppeln. Immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, "Du musst wieder auf die Bühne!" In dieser Zeit habe ich versucht, kompositorisch etwas zu machen und für andere zu schreiben. Diese Aufgabe half mir etwas darüber hinweg, nicht selbst aktiv auf der Bühne zu spielen.
Du sagtest gerade, "...wie

Von dem Unfall hab ich nichts mitbekommen. Die letzte Erinnerung, die ich an diesen Tag und das Geschehen noch habe ist, sind die Ereignisse ca. 60 Kilometer vor dem Unfallort. Und wie gesagt, wachte ich erst nach 10 Tagen aus dem Koma in einem polnischen Krankenhaus wieder auf. Dort konnte ich beim Blick aus dem Fenster erkennen, dass Schnee auf den Bäumen war und das erste, an das ich mich erinnere war, dass eine in weiß gekleidete Krankenschwester ins Zimmer kam. Dann bekam ich nach zwei oder drei Tagen Besuch, und zwar von meiner Mutter. Es war sehr schwer, denn ich konnte nicht richtig reden, weil ich eben diese Verletzungen und die Lähmung hatte. Und der Besuch war sicherlich auch nicht gerade das Leichteste für sie. Man stellte mir dann meinen eigenen SONY-Radiorecorder, den ich mir mal gekauft hatte, neben mein Bett, und ich hab' mit dem anderen Arm, den ich noch bewegen konnte, das Radio bedienen und über Kurzwelle irgendwelche DDR-Radiosendungen hören können. Auf einem DDR-Radiosender wurde von einem Unfall der Gruppe LIFT berichtet. Und da wurde mir erst mal klar, was passiert sein musste. Das hatte mir vorher nämlich keiner mitgeteilt. Über das Radio erfuhr ich davon zum ersten Mal. Da war ich natürlich sehr geschockt. Als ich dann in Leipzig in der Neurologie lag, besuchte mich der Saxophonist von LIFT, und das nicht nur, um mir gute Genesung zu wünschen. Er wollte bei dem Besuch auch klären, ob meine Anlage in das Eigentum der weiter bestehenden Gruppe LIFT übergehen könnte. Und bei dieser Gelegenheit hat er mir auch nebenbei mitgeteilt, dass ich der Fahrer des Unfallautos gewesen bin. Danach war ich natürlich total am Boden. Aber wie gesagt: es musste weitergehen...
Wie bist Du dann aus dem körperlichen und vor allem seelischen Loch wieder heraus gekommen?
Im Wesentlichen hab ich mich selbst hochgezogen und bin wieder aufgestanden, weil man mit der Zeit auch körperliche Fortschritte in der Reha gesehen hat. Wenn du deinen Arm hoch nehmen willst und an einer bestimmten Stelle tut's dann weh, und der Therapeut dir sagt, "Ja, hier beginnen wir mit der Arbeit", dann weißt du, was auf dich zukommt. Und wenn du weißt, du bekommst den Arm nach einer Woche schon 10 Zentimeter höher als am Anfang, merkst du, dass es weitergeht. Also Leute, die mal einen Unfall hatten oder aus einem anderen Grund in Physiotherapie waren, können das bestimmt bestätigen. Sowas baut auf! Außerdem spielte es eine große Rolle, dass es immer noch Leute gab, die mich nicht vergessen hatten.
Mein zweites Leben
Festmusik mit Risiko
1979 war für die DDR ein Jubiläumsjahr - 30 Jahre hatte sie nun allen Widerständen zum Trotz durchgehalten. Leider. Da war wieder einmal Gelegenheit, sich selbst zu beweihräuchern. Zum Tag der Republik, am 7. Oktober, wurde im Haus des Lehrers am Alex eine Fete in allen Räumen veranstaltet. Auf der Hauptbühne im akustisch undenkbarsten Kuppelsaal, bei dem ja nur ausgesuchte Interpreten mit Spitzenleistungen auftraten, spielte auch eine Bigband - das Orchester Günter Gollasch. Es war das Orchester des Deutschen Demokratischen Rundfunks und wurde dort als Hausband für alles eingesetzt. Damals konnte man sich so etwas noch leisten. Ich bekam den Auftrag, ein Medley unter dem Motto "30 Jahre DDR-Tanzmusik" zu schreiben (man beachte den Titel!) Nun sind 30 Jahre ein weites Feld und ich hatte also die Qual der Wahl. Aber es war die Gelegenheit, einen kleinen pseudorevolutionären Seitenhieb auf die DDR-Kulturpolitik auszuteilen. Es gab ja mittlerweile einige Bands und Songs, die nicht mehr gespielt werden durften und damit quasi als verboten galten. Kein Redakteur wagte es, diese Titel wieder im Rundfunk zu senden. Ich begann mit dem Hit von Bärbel Wachholz, "Damals" (nur für Historiker interessant), und arbeitete mich dann bis zu den 70ern hin. Renft war verboten, weil der kleine David den SED-Goliath nicht schlagen konnte und einige Mitglieder schon das Land verlassen hatten. Damit war für mich klar, hier musste ein Renft-Lied wieder auf die Bretter gebracht werden, die die DDR-Welt bedeuteten. Im Falle, ein Stasi-Beauftragter der Abteilung Kultur hört und erkennt, dass hier eine Bigband es wagt, "Wer die Rose ehrt" zu spielen, würde ich immerhin in einem feuchten Stasikeller unter Daumenschrauben und Elektroschocks aussagen können, dass das Intro und der Zwischenteil von mir seien. Da würde mir Bautzen erspart bleiben. Damals wusste man ja nie, wie irgendetwas ausgelegt wird. Die Nummer zwei in meinem konterrevolutionären musikalischen Gepäck war natürlich der "Farbfilm". Nina hatte ja inzwischen auch die DDR verlassen und war von allen DDR-Sendern gestrichen worden. Es gab bestimmt auch Genossen die wünschten, in den Hirnen einiger Millionen ihrer Landsleute diesen Titel auszulöschen. Aber so ist das eben mit dem Volk: Auch die Genossen müssen mit dem Volk leben, das es gerade gibt, eine Version "Volk zum Selbstbauen" gibt es - außer auf einer Spielwarenmesse - derzeit noch nicht. An dieser Stelle muss ich gestehen: Ich habe den "Farbfilm" doch etwas entfremdet, die Teile in der Dur-Tonart habe ich in Moll arrangiert, die in Moll wurden in Dur umgewandelt. Ich und mein eingezogener Schwanz hofften, dass das keinem auffällt. Und es fiel keinem auf! Zum Ersten war der Raum ja vollkommen akustisch überbelastet, man hörte eigentlich nur Klangbrei, zum Zweiten waren kaum Leute im Saal und zum Dritten interessierte es die einen Dreck, was auf der Bühne passierte, aßen sie doch ihren Kartoffelsalat mit Majo. Ein, zwei mir bekannte Musiker hörten sich das Ganze an, weil ich ihnen zuvor von dem Projekte erzählt hatte. Als ich hinterher meine musikalischen Fangfragen stellte, ob ihnen denn an irgendwelchen Titel etwas aufgefallen sei, mussten sie das verneinen. Ihre Augen wurden sehr groß, als ich von meinen konterrevolutionären Machenschaften berichtete. Ich nahm mir vor, beim Fest "50 Jahre DDR" selbst "Wer die Rose ehrt" und den "Farbfilm" zu singen, und anschließend eine Gedenkminute für Renft und Nina einzulegen. Spätestens dann sollte das Volk aufwachen, denn bei meinen Gesang wird Schlafen zu einer Herausforderung! Aber wie wir alle wissen, bin ich noch mal drum rumgekommen.
Ich habe von dieser Aufführung ein so genanntes Tondokument in meinem Archiv, aufgenommen mit den eingebauten Stereo-Mikros meines Sony-Kassettenrekorders. Nach einigen Jahrzehnten hört sich das sehr lustig an. Ich wurde trotzdem für diese Mugge fürstlich entlohnt, denn für Jahrestage war immer ein großer Topf vorhanden, in den man reingreifen konnte. Das Ergebnis? 3000,- Mark!

Im November 1979 bekam ich das Angebot, wieder in die Musik-Szene einzusteigen. Der Texter der Puhdys, Burkhard Lasch, hatte in Weimar eine Band aufgebaut, für die er als Texter und Manager fungierte. Geld war bei ihm nie ein Problem, hatten ihm doch einige Puhdytexte zum reichen Mann gemacht. Damit konnte er sich außer einer guten PA für die Bühne auch noch Veranstalter für Muggen kaufen, und zu den Medien in Berlin reichte sein Einfluss auch noch. Er erkannte aber, dass das nicht alles war, denn er brauchte noch ein Produkt, das er verkaufen konnte. Für dieses Produkt wiederum sollten Musiker in die Band kommen, die einen Namen hatten und auch gleichzeitig ihr Instrument beherrschten - er dachte also 1979 in der sozialistischen DDR schon wie ein bundesdeutscher Manager, er war der Kapitalist im Sozialismus. Die prominente Magdeburger Band Reform wurde gemolken und der Drummer Peter Piele und der Gitarrist Werner Kunze wechselten in das Lager der Band mit neuer Besetzung "Ute Freudenberg und Gruppe Elefant" über. Dieses war der erste Streich.
Nun brauchte er noch ein Schreiberling und Tastenmenschen, und so kam er deshalb zu mir. Lasch schilderte mir sein Projekt in den höchsten Tönen: DDR-Tourneen, Auslandsgastspiele, Rundfunkproduktionen, Schallplattenproduktionen, TV und nach dem Auftritt immer ein festliches Abendbrot. Das klang gut, verdammt gut sogar. Ich war hungrig nach Musik, hungrig nach dem Live-Spielen, hungrig, wieder unter Leute zu kommen, andere Städte zu sehen und vor allem hungrig auf einen Neuanfang als Musiker. Das alles schien mir hier gegeben.
Lasch lud uns drei Neulinge in sein Haus

Ich kannte meine zukünftigen Kollegen nur vom Hörensagen, ihr Image war gut, wir hatten musikalisch auch ähnliche Vorstellungen, kamen wir doch vom Progressiv-Rock... irgendwie jedenfalls. Da fielen schon mal Namen wie Pink Floyd, King Crimson oder Genesis. Unsere Augen funkelten bei Erinnerungen an nachgespielte Songs und Werke, wir machten schon Pläne, was wir von dieser Strecke noch übernehmen könnten. Da hatten wir aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht, und der Wirt hieß Burkhard Lasch, den ich der Kürze wegen in B.L. umtaufte, und der in einigen Kreisen diesen Spitznamen noch heute trägt.
B.L. ist ein Siegertyp, eine Art Gerhard Schröder der Popmusik, der zwar nicht in Bonn am Kanzleramt rüttelte und Einlass forderte, aber er rüttelte beim Zentralrat der FDJ, er rüttelte im Kulturministerium, bei der Künstleragentur und bei allem, was mit Partei und FDJ zu tun hatte, er war ja schließlich Genosse. Die beginnenden 80er Jahre wollten auf dem Tanzsaal keine großartigen Werke mehr zelebriert wissen, die Diskotheken ersetzen die Bands, die keinen Namen hatten, und die mit Namen spielten bei den so genannten Tanzveranstaltungen abwechselnd mit der Disko. So geschah es mit Elefant, und das wusste Lasch. Er wusste auch, dass ein Repertoire her musste, was den Leuten unten tanzbare Musik bescherte. Gleichzeitig musste er sich aber seine Neueinkäufe bei Laune halten, wusste er doch um deren Geschichte. Also wurde erst einmal ja gesagt und gleichzeitig in der Band andere Verbündete gesucht. Da war vor allen Dingen die begabte Sängerin Ute Freudenberg. Sie gehörte zur Generation Popmusik, stand auch auf Progressiv-Rock, wollte aber draußen Lieder singen, die mit Rock im herkömmlichen Sinn nicht viel zu tun hatten - Popmusik eben. Hier war kein Platz für Schmutz und für ein schmutziges weibliches Wesen schon gar nicht. Da musste ein Kompromiss her.

Bei Elefant waren zwei Gitarristen besetzt, denn neben dem Neueinkauf Werner Kunze war noch der alte Gitarrist Bernd Henning geblieben, der den Spitznamen "Geist" trug. Die Historiker streiten sich nicht mehr um die Herkunft des Namens, "Geist" blieb ein Staubkorn der DDR-Musikgeschichte. Als die Band nach Berlin umzog, weil Kariere nur in Berlin gemacht werden konnte, wenn der Manager Lasch hieß, brauchte Geist eine Bleibe, und Bleiben waren in Berlin verdammt schwer zu bekommen. Da halfen selbst Laschs gute Beziehungen nichts. Er hätte eben doch mal mit einem DM-Schein beim Wohnungsamt vorbeigehen sollen, denn bei harter Währung wurde mancher weich. Ich hatte eine Riesen-Wohnung für mich allein und sah ein, dass hier etwas geschehen musste. Also bekam Geist nebst Frau und Kind die beiden hinteren Zimmer, durften meine Küche mit benutzen, wobei es da ja nicht viel zu benutzen gab. Nun kämpften schon vier Personen um den Platz auf der ein Quadratmeter großen Toilette, die den Namen Klo verdiente. Wir lebten und teilten in friedlicher Ko-Existenz und störten uns kaum.
Der Drummer Peter Piele zog auch bei mir ein, aber nicht in meine Wohnung, sondern in meine Bodenkammer, und das auf seinen persönlichen Wunsch. Zu dieser Zeit gab es noch Bodenkammern und Wäscheboden, weil man es mit den Brandschutzbestimmungen nicht so genau nahm. Später war der Boden gesperrt. Er stellte eine Klappliege auf, Schrank, Stuhl und Tisch kamen vom Sperrmüll, und die Wände wurden gestrichen - das genügte ihm, war es doch nur als Überbrückungsquartier gedacht, wenn er mal nicht nach Magdeburg zurückfahren konnte.
Der Dezember wurde zum Proben genutzt und auch im Januar war noch nicht alles geschafft. Am 26. Januar 1980 aber hatte das neue Projekt Premiere in Gera. Bald folgte auch schon einer der berüchtigten Lektoratstermine im Rundfunk und es passierte, was bei Lasch eigentlich nicht passieren sollte: Ein Text wurde wieder einmal abgelehnt. Es hört sich an wie eine Episode aus dem Kindergarten, denn es ging wieder mal nur um ein Wort. Die Textzeile war:
"Einmal ganz oben, einmal ganz unten, so ist das Leben..."
"Das Leben" war eine Aussage ohne den richtigen Klassenstandpunkt, fand man, denn im Sozialismus gibt es 1. kein "Oben" und "Unten" und 2. ...überhaupt! So wurde "ist das Leben" in "war sein Leben" geändert. Denn das Individuum durfte im Sozialismus mal einen Fehler machen, aber dafür gab es ja die Partei, die dem Außenseiter wieder auf den rechten Weg führte, die führende Rolle der Arbeiterklasse sozusagen. B.L. hatte eigentlich Lektoratserfahrungen, aber auch ihm konnte so etwas widerfahren.
Wir hatten reichlich Auftritte, spielten im Monat zwischen fünfzehn und zwanzig Mal, reisten vom tiefen Süden in den hohen Norden des kleinen Landes und nahmen alles mit was es so an mehr oder weniger prominenten Kulturhäusern gab. Ich gewöhnte mich wieder an nasskalte Säle, die beim Soundcheck nach abgestandenem Bier und nichtgeleerten Aschenbechern stanken, an Interhotels mit gutem Service und an Absteigen mit Massenklo auf dem Flur.
Ich spielte weiterhin Fender-Piano und Moog-Synthesizer, hatte sogar ein Mikrofon stehen, um bei einem A-Capello-Lied den Basspart zu übernehmen. Es war irgendein Stück aus der irischen Folkmusik und Werner Kunze hatte sich die Mühe gemacht, daraus einen guten Chorsatz zu basteln. Das waren noch Phasen einer gewissen musikalischen Experimentierfreudigkeit, auch wenn es nur Coverversionen betraf. Die Band sollte ja immer mehr Richtung Kommerz streben, der Zeitgeist war ein anderer geworden, die Leute unten im Saal wollten Spaß haben und sich keine ellenlangen Gitarrensoli anhören. Dieser Trend begann in der DDR verspätet Anfang der 80er, weiter westlich setzte er schon früher ein. So versuchten wir einen Mittelweg zu finden, "wir" sind in diesem Fall die alte Garde; Geist, der Basser Bodo Huth sowie Ute gehörten ja schon der Next Generation an. Geists Bruder Rolf "machte den Ton", d.h. er stand am Mixer und regelte die Instrumente und den Gesang. Boxentragen oder andere fußvolkmäßigen Handlungen waren ihm zuwider. Dafür waren ja zwei weitere Menschen angestellt, die "Hucker". Rolf war ein cleveres Bürschchen und die rechte Hand von B.L. für all die Sachen, die mit Management zusammenhingen. B.L. war nämlich nur bei ausgesuchten Muggen anwesend, wenn es um Promotion ging oder wenn er im Rampenlicht stehen konnte. Sonst organisierte Rolf alles, was mit der Veranstaltung am Ort zusammenhing, und da war er sehr selbstständig. Er hat bei B.L. viel gelernt, was er nach der Wende bei einer eigenen Equipment-Firma anwenden konnte. Nur wenn er sich in musikalische Fragen einzumischen versuchte, war manchmal ein kritischer Punkt erreicht. Was er unten im Saal zusammenmixte, konnten wir von oben nur schwer verfolgen. Rolf war ein Gitarrenliebhaber, was durch seinen Bruder auch noch mehr zum Tragen kam. Die Klampfe war immer gut zu hören, wenn der Sound von den Wänden zurückgeworfen wurde. Von meinen Keyboards konnte ich das nur schwer sagen. Auf der Bühne war alles top, ich hatte ja meinen eigenen Verstärker und eine Monitorbox, aus der die nur von mir gewünschten Instrumente klangen. Das hatte aber mit dem nichts zu tun, was im Saal zu hören war. Außerdem war Rolf geradezu fanatisch nach Höhen - wo es ging, wurden die oberen Frequenzen angehoben, und er verfolgte damit einen kurzweiligen Trend, der besagte, "Alles was Höhen hat, ist gut". Ich habe mal heimlich ein Konzert mitgeschnitten und bin beim Anhören erstarrt. Da blieb nur die Hoffnung, dass das eine Ausnahme gewesen ist.
Im Sommer fand alljährlich ein Pop-Festival im polnischen Sopot statt. Ich freute mich schon, endlich wieder mal in einem anderen Land spielen zu können, als ich die Mitteilung erhielt, ich dürfe nicht mitfahren. Polen war eigentlich zu dieser Zeit visafrei, aber bei einer Dienstreise brauchte man einen gültigen Pass mit eingetragenem Visum. Der wurde mir verweigert. Mein Anwalt wendete sich an eine dafür zuständige Stelle und bat um Stellungnahme. Er erhielt aber keine Auskunft, worin die Gründe einer Verweigerung lagen. Ich wurde selbst aktiv und rannte von Hinz zu Kunz, aber auch mir blieben die Türen der Erkenntnis verschlossen, hinter denen meine Ablehnung ausgebrütet worden war (Hier fehlte also der Privatdetektiv aus dem Film!) Ich erfuhr nur, dass es ein ungeschriebenes Gesetz gäbe, nach dem man verurteilt werden muss, wenn man in einem "Bruderland" eine Straftat begangen hatte. Drum also mein angekündigter Platz in Rüdersdorf. Und dass ich nun nicht nach Sopot fahren durfte, hing wahrscheinlich auch mit meinem polnischen "Tatort" zusammen. Ich habe die wahren Gründe bis heute nicht erfahren. Trotzdem, einen Titel und ein Arrangement durften sie mir für Sopot nicht verweigern! Es wurde kein Preis gewonnen. Klar, denn ich war ja nicht dabei und damit redete ich mir die Sache schön, grinsend natürlich.
Es war November, als ich mit B.L. von einem Konzert in seinen Auto nach Berlin fuhr. Wir kamen ins Quatschen und ich merkte, dass da irgendetwas Unausgesprochenes zwischen uns war. Dann rückte er langsam mit der Sprache raus: Elefant hatte ein Angebot, im Westen zu spielen, bei so einem DKP-Fest oder einer anderen roten Mugge, aber eben im Westen. Da ich schon nicht nach Polen fahren durfte, war mir eine Westreise erst recht gänzlich verwehrt. Nun hatte B.L. die Musiker seiner Band zusammengetrommelt, den Fall geschildert und abstimmen lassen, wer "für Heubach ohne Westen" oder "ohne Heubach mit Westen" war. Das Ergebnis war klar, sie entschieden sich für den Westen. Ich war nicht böse wegen ihrer Entscheidung, denn ich wusste nicht, ob ich an ihrer Stelle nicht auch so gehandelt hätte. Wir waren in der Band zwar Kumpels, aber zu einer Liebesbeziehung ist es nie gekommen. Da wurden gemeinsame Erlebnisse auch zweitrangig. Zum Beispiel besorgten wir uns aus Polen das Spiel Master Mind, um die langen Tanzabende von fünf Stunden zu überstehen und mit dem dann die Pausen überbrückt wurden. Ich spielte vor allem mit Werner Kunze, denn der hatte etwas Logisches in seiner Denkweise. Trotzdem, diese Entscheidung der Band bedeutete für mich, dass am Ende des Jahres Schluss mit Elefant sein würde. B.L. lobte mich wegen der "Größe", die ich gezeigt hätte und wie toll ich das wegstecken könne.
An dieser Stelle möchte ich bemerken: die Zeit bei Elefant hat mir sehr geholfen, zu mir zurückzufinden. Ich bin wieder zum aktiven Musiker geworden, konnte Songs schreiben und fünf von ihnen auf der ersten Elefant-LP unterbringen. Was wollte ich mehr? Das nächste Kapitel in meinem Dasein konnte beginnen!
Lehr- und Wanderjahre: Elke Martens und Megaphon
Es war 1981 - ich hatte das Band-Leben hinter mir gelassen - begann gleich mit neuer Arbeit: Ich hatte von der Generaldirektion Mentor-Verträge für zwei junge Nachwuchskünstler an Land gezogen. Das staatliche nichtkapitalistische Management Komitee für Unterhaltungskunst hatte in den Bezirken seine Fühler ausgestreckt und war fündig geworden. Ich schrieb also einige Songs für meine Schützlinge und es kam sogar zu Rundfunkproduktionen. Die Sängerin Gerda G. war eine Musikantin und hatte Talent. Später wurde sie Schlagersängerin in einem Tanzorchester, heiratete und wurde körperlich ziemlich üppig. Der Sänger Jürgen M. aus einer Rockband wollte auch eine Sololaufbahn, hatte ein gutes Timbre, war aber ansonsten auch austauschbar wie so viele. Die Dritte im Bunde, für die ich Mentor wurde, war Elke Gierth, 25 Jahre jung. Elke hatte die Dresdner Musikhochschule im Fach Gesang mit Auszeichnung abgeschlossen (ich habe das Zeugnis nie gesehen, muss also glauben, was sie gesagt hat). Bei ihrem Studium wurden auch Nebenfächer mit berücksichtigt, wie Bewegungserziehung, Sprecherziehung und natürlich auch GeWi, das Kurzwort für Gesellschaftswissenschaft. In Berlin bekam das Komitee für Unterhaltungskunst nach irgendeinem Auftritt große Ohren, lud sie ein, nahm sie unter Vertrag und kümmerte sich fortan um Autoren für Songs und eine weitere Ausbildung und was weiß ich nicht noch alles. Da hatten sie nämlich einen dicken Fisch an Land gezogen, denn die DDR-Szene war ausgeblutet und es gab auf dem Pop-Sektor keinen nennenswerten Nachwuchs. Elke Gierth hatte den Kollegen in Berlin klargemacht, dass sie eigene Vorstellungen von einer Bühnenshow hatte. Nun brauchte sie nur noch die entsprechenden Leute, um sie in die Tat umsetzen zu können.
Wahrscheinlich war sie sich damals noch nicht bewusst, dass man außer Autoren und Musikern auch die Entsprechende Hardware benötigte und alles, was damit zusammenhing. Ich wurde von der GD als Komponist angesetzt und nahm Kontakt auf. Sie wohnte in Dresden und schickte mir ein Telegramm in einem ganz lustigen Stil, der verriet, dass sie keine dümmliche Schlager- oder Poptussie war. Sie lud mich zu einer Probe nach Dresden ein, denn sie verkündigte mir stolz, eine "eigene" Band zu haben. Ich nahm also den Zug und fand ein attraktives Mädchen vor: Lange, echt blonde Haare, die ihr bis zu Hüfte reichten, wenn sie keinen Pferdeschwanz trug, eine stattliche Oberweite, die sofort den Blick auf sich zog, mir aber nicht so wichtig war; ein relativ sauberes Hochdeutsch und einen richtigen Händedruck. Wir begaben uns mit der Straßenbahn an den Rand Dresdens, wo die Häuser kleiner und die Gärten mehr wurden. In einem barackenähnlichen Etwas, wo sich heute die Clochards verkriechen würden, war ein ungeheizter Raum von vielleicht sechzehn Quadratmeter, die Wände mit Müll vollgestellt, ein paar Stühle und ein kleiner Ofen, sonst nichts. Der Begriff Gartenlaube wäre angebracht gewesen. Von der Decke baumelte eine Glühbirne ohne Schirm und warf ein trübes Licht auf die Band, die gerade dabei war, den Ofen anzuheizen. Es herrschte ein wenig Pfadfinderstimmung und es fehlte nur noch das Lagerfeuer. In der Enge fanden sogar Keyboard, Schlagzeug und Verstärker Platz.
Das Neue an dieser Band war die Besetzung,

Die Gitarre wurde von einem Amateurmusiker gespielt, der aber wie alle anderen "in Ausbildung" war und auf seinen vorläufigen Berufsausweis hoffte. Offiziell hatte Leo L. einen Job als Hausmeister, es kann aber auch Pförtner gewesen sein oder Mitarbeiter einer Elektronikbude. Er hatte etwas mit Elektronik studiert und konnte mit dem Lötkolben umgehen. In dieser Hinsicht waren die Dresdner ja findig und brachten es sogar zur Professionalität. Dazu die passende Legende:
Dresdner Basteleien
Zu LIFT-Zeiten gab es das Trio um die Elektroniker Grunwald, Radehaus und Cardell. Das waren einst begabte Bastler, die die Marktlücke in Bezug auf Verstärker und Mixer in der DDR nutzten, um eben diesen Markt zu bedienen (und da haben wir sie wieder, die Untergrund-Marktwirtschaft). Sie analysierten einige gängige Markenverstärker wie Sound City, Fender oder Marshall, klauten von allen das Beste und bauten eine eigene Version davon. Es war wie mit dem Kopieren von Musik: Das Ziel der Kopie stand fest, wurde nie erreicht, aber dadurch entstand eine Neuschöpfung, die mit dem Original mithalten konnte oder es sogar übertraf. Peter Grunwald und die beiden anderen besorgten sich auf krummen Wegen Bauteile aus dem Westen, gaben Aufträge an andere illegale Subfirmen für Gehäuse und andere Hardware-Teile, entwarfen Leiterplatten, Gehäusedesign inklusive Kunststoffbezug, besorgten Transformatoren, die auch Trafos hießen, Drehknöpfe, Buchsen und jede Menge Kabel und bauten das Ganze zusammen. Grunwald kam zu Hilfe, dass er gerade bei der Messtechnik Dresden beschäftigt war und seine sozialistische Arbeitszeit nutzen konnte, um in einem Hinterzimmer die Vorarbeiten für einen von ihm entwickelten Gesangsverstärker mit 400 Watt Leistung zu erfüllen. Seine Mitstreiter bauten unterdessen die LAY-Verstärker in Serie (der Name LAY ging auch auf ihr Konto). Es gab fast keine Band, die sich mit Rockmusik beschäftigte, die keinen LAY in ihrem Equipment hatte. Auch "Keule" spielte bei LIFT darüber. Das war nicht nur eine Frage der Professionalität, sondern schlicht und einfache die des Geldes. Für einen Verstärker verlangten sie 4000.- Mark, für einen Original-Marshall legte man gut und gern 8.000,- Mark hin. Außerdem gab es Garantie, diese zwar nicht schriftlich, aber dafür garantiert. Ihre Produkte klangen sehr unterschiedlich, es war geradezu Glücksache, einen guten Verstärker zu erwischen. War man nicht zufrieden, fuhr man zu ihnen und tauschte das Objekt um. Sie hatten immer Ersatz am Lager - da bekam der Nächste eben nicht seinen Ausgesuchten, sondern einen anderen.
Da die Drei so viel Kohle machten, kam es auch bei ihnen zu dem dafür passenden Lebensstil: Weiber, Feten, Alk, schnellere Autos als Trabant oder Wartburg, auf großem Fuß leben, also wie im Westen, und doch nur der Westen zweiter Klasse. Sie merkten bald, wo ihre Grenzen lagen. Es gelang ihnen nicht, ihr privates Hinterhof-Verstärkerbau-Unternehmen legal als Privatunternehmen in die DDR-Planwirtschaft zu integrieren. Wahrscheinlich wäre der Staat überfordert gewesen, die nötige Valuta für Bauteile zu beschaffen. Damit stand für sie fest, im Westen wäre das nicht passiert und sie beschlossen die sogenannte Republikflucht über Bulgarien. Bis nach Bulgarien kamen sie auch mit dem Flieger, aber dann war Schluss. Wer sie am Weiterfliegen hinderte, ist nicht bekannt, es kann wie so oft eine undichte Stelle gewesen sein, die die Stasi aktiv werden ließ. Die machte nicht viel Aufhebens und überließ ihnen die Entscheidung: Zwei Jahre Knast und dann Entlassung in den Westen, wenn sie Schwein hatten, oder ein kurzer Knastaufenthalt und frohe Tage ohne Bauteile in der DDR. Radehaus und Cardell entschieden sich für den langen Weg. Sie sind jetzt - so die Gerüchteküche - in Westdeutschland Professoren für wer weiß was und entwickelten weiterhin Elektronik, diesmal wieder mit Bauteilen und die vielleicht sogar aus der "ehemaligen DDR". Peter Grunwald wählte den kürzeren Weg. Ein typisches Flüchtlingsschicksal also. Er baute dann weiter, aber sehr legal. Er war ja der Kopf des Unternehmens gewesen und beteiligte sich weniger an den Ausschweifungen seiner Mitstreiter. Er baute auch das erste Quadrophonie-Mischpult, das Stern-Combo Meißen auf ihren Touren mit sich rumschleppte. Selbst zu Zeiten, als LIFT vier Techniker hatte, kamen wir nicht auf die Idee, uns so ein Ding anzuschaffen, der Aufwand wäre immens riesig gewesen. Entweder man ist der Erste und kann den Ruhm ernten, oder man bäckt einfach kleinere Soundbrötchen. Nach der Wende wurde Grunwald ein kreativer gefragter Mann und stattete auch das Rundfunk-Popstudio mit der von ihm konzipierten Elektronik aus. Wie man wieder sehen kann - es war nicht alles schlecht im Osten, auch Elektroniker haben überlebt!
Lehr- und Wanderjahre: Elke Martens und Megaphon (Fortsetzung)
Aber zurück zu Leo L., dem Gitarristen und Elektroniker: Er hatte mir sogar einen Verstärker gebaut, der auch funktionierte, mit diversen Westbauteilen natürlich. Der Trommler Uli Mader "machte sein Ding", wie man so schön sagt, war aber kein Naturtalent. Er hätte ebenso in einem Kirchenchor mitsingen können, ohne aufzufallen. Später sattelte er um und wurde Pauker in einem klassischen Orchester. Aber hier trommelte er eben und das mit viel Engagement, denn auch er war noch jung und lernte gern. Ich brachte Noten eines Songs von mir mit und wir begannen mit der Probe. Mir fiel gleich auf, dass der Basser eigentlich den Namen Un-Basser verdient hätte. Er war unrhythmisch, machte viele Fehler, war des Notenlesens fast unkundig und hatte einen IQ unter 90. Nun kenne ich auch andere Musiker mit diesem IQ, aber hier kam eben alles zusammen. Er war aber ein lieber Kerl und das machte es so schwer, ihn auszutauschen. Einen anderen Basser gab's im Raum Dresden nicht, der sich so einem unausgegorenen Projekt angeschlossen hätte. Da musste ich wohl oder übel mit ihm arbeiten. Ich leitete also die Band an diesem ersten Tag an, besprach Repertoire, Harmonien und stilistische Details, war für sie ein Lehrer.
Nach der ersten Zusammenkunft bei den Laubenpiepern fuhr natürlich kein Zug mehr nach Berlin. So ging ich mit Elke Gierth in ihre Wohnung, die sie zur Teilhauptmiete bewohnte: Sie hatte ein Zimmer in einer Erdgeschosswohnung, mit Loggia und eine kleiner Küche, das Bad der Vermieterin durfte einmal in der Woche benutzt werde und das Klo täglich; gewaschen wurde sich in der Pseudoküche unter einem kalten Wasserhahn. Elke hatte ihr Zuhause sehr wohnlich gestaltet, die teilweise antiquarischen Möbel waren praktisch platziert, an den Wänden hingen selbstgemalte und andere Bilder, der Kleiderschrank musste seinen Platz in der Loggia einnehmen. Am meisten fiel ein Hochbett auf, unter dem ein Klavier stand. Gebaut war es von einem ihrer Freunde, der was von ihr wollte, sie aber nicht von ihm - so sagte sie es wenigsten. Vielleicht versuchte er, wie ein Minnesänger durch den Bettenbau ihr Herz zu gewinnen und das Bett auszuprobieren
Elke Gierths Freund kam also aus gutem Hause, hatte künstlerischen Geschmack und den nötigen Grips. Er machte später auch Texte für mich und schrieb etliche für LIFT. Texteschreiben machte er aber nur nebenbei, denn er studierte zu dieser Zeit gerade Filmregie an der Babelsberger Filmhochschule. Später durfte ich neben seinem Debut-Film noch einige andere von ihm vertonen. Er zählte damals zu den DDR-Nachwuchstalenten und wurde nach der Wende u.a. auch Grimmepreisträger. Er war und ist ein Intellektueller aus Dresden, der in Berlin wohnt: Bernd Böhlich! Ich verlor nach der Wende den Kontakt zu ihm und las nur ab und zu mal sporadisch in der Zeitung, welchen Film er gerade gedreht hatte. Durch Zufall begegneten wir uns mal auf der Straße, weil er gerade in meiner Ecke drehte, und da bot er mir an, die Musik für ein neues Projekt zu machen. Das klang ja erst mal fabelhaft und da wusste ich noch nicht, was alles an technischen Erneuerungen auf mich zukommen sollte.
Filmmusik - Aufwand und Nutzen
Früher war es ja einfach mit der heimischen Hardware-Anforderung für das Komponieren von Filmmusik, doch das transportable Videorekorder-Ungetüm, mit dem ich die einzelnen Szenen abspielen konnte und mir auf dem Klavier eine mehr oder weniger lustige Melodie oder ein dramatisches Ungewitter einfallen ließ, war ja nicht mehr zeitgemäß. Als Komponist hatte man mittlerweile seinen eigenen Videorekorder, da wurde die Kassette eingelegt und los ging's: Partitur schreiben, dem Regisseur am Klavier skizzieren, was man musikalisch meint, Stimmen rausschreiben lassen durch einen Notenschreiber und dann die Aufnahme der Musik in Babelsberg mit großem Orchester oder kleinem Ensemble. Später spielte ich die entsprechenden Tracks mit einem Keyboard in einen Computer der Marke ATARI ein, das Musikprogramm passte auf eine 3,5"-Diskette, und das war winzig im Vergleich zu heutigen Musikprogrammen. Gearbeitet wurde mit so genannten MIDI-Daten. Diese steuerten ein Soundmodul an, das dann aus ihnen Musik machte. Je mehr Soundmodule, desto mehr Instrumente konnte man imitieren: Streicher, Bläser, Drums, Klaviere und was es sonst noch alles gab. Mit dem ATARI und der Software NOTATOR arbeitete ich seit 1988. Alle von mir gespielten Daten fanden auch auf einer Diskette Platz - das waren gerade mal 1,4 MB! Damals waren keine Terabyte-Festplatten notwendig. "Und vor zwanzigtausend Jahren lebten die Menschen auch noch in Höhlen und das ging auch!", könnte man jetzt noch hinzufügen.
Also, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben, musste ich mich technisch verändern und zumindest so tun, als sei ich ein top-cooler Mitstreiter der technischen Revolution. Die Zeit schritt schnell voran, denn ATARI gab's ab den 90ern nur noch im Museum und NOTATOR auf dem Second Hand-Markt (Die Softwarefirma hatte auch erkannt, dass mit ATARI nichts mehr zu holen war und stieg auf den PC um. Ab dieser Zeit hieß das Programm LOGIC. Um das Maß voll zu machen: Mitte des ersten Dezenniums des neuen Jahrtausends verabschiedete sich LOGIC vom PC und lief zum Mac über, aber das nur am Rande...) Also musste auch ich auf den PC umsteigen. Ich investierte ein kleines Vermögen in Hardware, Software plus einen neuen PC und kaufte mir das sündhaft teure Keyboard Kurzweil K2400 mit der entsprechenden Ausstattung. Dieses Instrument kam einem Mercedes gleich. Damit auf alles vorbereitet, begann ich, die Filmmusik für B. Böhlich zu komponieren. Wer jetzt durch die vielen technischen Details noch aufnahmefähig ist, soll getrost weiterlesen:
Ich schickte ein Demo nach München, wo PRO7 saß, die den Film in Auftrag gegeben hatten. Monatelang hörte ich nichts mehr von ihnen. Irgendwann erreichte ich Böhlich am Telefon:
"Tut mir Leid, aus dem Auftrag für dich ist nichts geworden, kann auch nichts dafür. Die haben sich irgendwie anders entschieden, haben einen Komponisten aus München gefunden. Was, du hast investiert? Dumm gelaufen, kann ich auch nichts für. Und schönes Wochenende noch!"
"Hallo Mafia!", kann ich da nur sagen, und zwar die Münchener. Das war das Ende meiner Karriere als Filmkomponist. Ich gab es auf, in die Festung der Filmkomponisten eindringen zu wollen, dazu war ich ein zu kleines Licht am Filmmusikhimmel und konnte außer Talent auf diesem Gebiet nichts vorweisen.

Ich hatte Interesse an Elke Gierth, sehr großes sogar, und deshalb auch Interesse an dem Erfolg ihres Bandprojektes. Ich wusste jedoch, dass mit ihrem Basser nicht mal Trostpreise zu gewinnen waren. Inzwischen hatte ich auch den Manager des Unternehmens kennengelernt, den Elke Gierth in der Dresdner Szene ausfindig gemacht hatte. Es war der Ungar Istvan Farkas. Er sah wir die meisten Südländer zehn Jahre älter aus, war ein Prahlhans und Auf-den-Busch-Klopfer, hatte aber Beziehungen und konnte die Leute bequatschen. Das war wichtig in dieser Branche, er hat auf diese Weise schon manche Mugge an Land gezogen. Elke, Istvan und ich setzten uns an einen Tisch und ich sagte ihnen, ich würde vorübergehend die Rolle des Bassers übernehmen, bis ein passender anderer gefunden ist. So schlug ich zwei Fliegen mit einer Klappe: Ich war bei Elke und konnte gleichzeitig meinem Helfersyndrom frönen. Dazu brauchte ich aber wieder Geld, um mir eine Anlage kaufen zu können. Also verkaufte ich mein Haus an einen Popmusiker, der aber nicht den ganzen Kaufpreis aufbringen konnte und mir deshalb Musik-Elektronik als Ausgleich anbot. Neben einem Synthesizer war auch noch ein Sequenzer dabei. Damals waren die Dinger im Popbereich gerade im Kommen und es war die Lite-Ausführung eines großen teuren Bruders der Firma Korg.
Auf diesem Sequenzer konnte man per Schalter und Drehknopf eine Tonfolge einstellen, die sich immer wiederholte. Ein Prinzip also, was jedes kleine popelige Musikprogramm mittlerweile kann. Aber damals war das schon eine Ausnahme, zumindest im Osten. Ich schichtete mir aus Synthesizer und Sequenzer einen Turm, hinter den ich mich auf die Bühne stellte und mit modisch kürzer geschnittenen Haaren die Funktion eines Bassgitarristen mit Tasten ausübte.
Das Bandleben bedurfte einiger Umgewöhnung, wir mussten kleinere Brötchen backen und manchmal war es auch nur ein vertrockneter Keks. Ich nahm sogar auf mich, wie in alten Pionierzeiten, als man das amerikanische Land eroberte, zur Mugge mit Leo L.s Trabi zu fahren, Elke Gierth "vertrug" das nicht und fuhr mit dem Herrschaftswagen, einem Polski Fiat. Elke verpasste ich den Künstlernamen Martens, denn bei Gierth dachte jeder an "Elke giert nach...", und das macht sich bei einem Mädel nicht so gut. Mit dem Bandnamen war es auch nicht so leicht, bis ich auf den Namen Megaphon kam. Darunter konnte man sich allerhand vorstellen oder auch nicht. Ab jetzt hieß das Unternehmen Elke Martens und Megaphon.
Wir versuchten das aufzubauen, was man im Westen schon seit Jahrzehnten eine Show nannte. Wenn wir zum Tanz spielten, hatten wir einige Schwierigkeiten, weil Songs in unserem Repertoire waren, die man sehen musste oder sich den Text zu Gemüte führen sollte. Gab es aber Konzerte mit Stuhlreihen, lief es teilweise ganz gut, wenn auch anfangs noch sehr amateurhaft. Die einzigen Profis waren Elke und ich. Aber ich merkte auch, sie lebte ihre Rolle nicht, sie spielte sie nur. Das muss auch in den Bäuchen der Leute so angekommen sein. Verglichen mit Nina lagen schon Welten dazwischen. Es hatte alles irgendwie einen mehr intellektuellen Anspruch oder sollte es zumindest haben, und wer war schon intellektuell von den Leuten unten im Saal? Spielten wir bei der Armee, hatten wir die Kämpfer auf unsere Seite. Was wollte man mehr, ist man in Eggesin im tiefsten Mecklenburg stationiert, darf kein Alk mit ins Objekt nehmen und hatte sehr wenig Ausgang? Da kommt ein hübscher Singezahn, blonde Haare, Titten und eine verbale Anmache - da kann man ja nur vor Begeisterung pfeifen, johlen oder anzügliche Kommentare von sich geben. Spielten wir zum "Kindertanz" (abfällige Bemerkung unsererseits) um 16:00 Uhr, hatten wir schon Schwierigkeiten. Da getraute sich keiner, als erster den Tanzreigen zu eröffnet, bis sich zwei Mädchen auf die Tanzfläche begaben, verfolgt von pubertären Jungenblicken, die ihre Vita Cola schüchtern in der Hand hielten und heimlich unter dem Tisch ihr Kleingeld durchzählten. Wir mussten solche Auftritt durchstehen - Istvan nahm alles mit, die Hauptsache: Kohle! Wir spielten für'n Appel und 'n Ei, sogar ich bekam nicht mehr Gage. Wir verdienten weniger als 100,- Mark pro Auftritt. Ich hätte mich nicht wohl gefühlt, wenn ich mehr Geld gefordert hätte, denn das wäre dem kleinen Kollektiv-Pflänzchen nicht gut bekommen. Elke wurde besser entlohnt. Darauf war ich nicht neidisch und die anderen auch nicht, schließlich trug das Projekt ihren Namen.
Wir wurden immer besser, spielerisch und showmäßig. Wir coverten natürlich Songs, die zum Programm passten. Mein Graf Öderland mit Drum-Solo gehörte genauso dazu wie eine Menge anderer eigener Lieder mit Böhlich-Texten.
Im Herbst war wieder mal ein DDR-Leistungsvergleich angesetzt und... wir bekamen einen Preis! Das war für mich schon eine komische Situation, als wir nach unserem Auftritt den Weg zur Auswertung antreten mussten. Als wir in den Sitzungsraum kamen, sah ich nur Duzfreunde oder Bekannte von mir, die diesmal meine Leistung zu beurteilen hatten - sonst saß ich mit ihnen in der Jury und bewertete Gruppen und Solisten. Ich habe den begrüßenden Handschlag aber geflissentlich übersehen, denn sonst hätte man schnell von Kumpanei sprechen können.
Wieder heimgekehrt machten wir Studioproduktionen

1981/82 bekam ich die Möglichkeit, an dem ersten Arrangierbuch mitzuschreiben, das in der DDR erschienen ist und die Begriffe Rock und Pop mit im Titel trug: "ARRANGIEREN ROCK POP". Ein ehemaliger Kollege meines Vaters, Wieland Ziegenrücker, arbeitete mit ihm beim Zentralhaus für Kulturarbeit zusammen und war später bei dem Verlag VEB Lied der Zeit als Verleger und Lektor beschäftigt. Er wollte ein Buch auf den Markt bringen, das nicht die Arrangements der 50er Jahre in den Mittelpunkt stellt, sondern auch auf der Höhe der Zeit sein sollte. Also brauchte er für Rock und Pop einen jungen, unverbrauchten Autor, und der war ich. Für mich war das natürlich Neuland, ich hatte weder Ahnung als Schreiberling, noch wusste ich, wie ich methodisch vorzugehen hatte. Was ich an der Hochschule gelernt hatte, konnte ich völlig vergessen, denn bei diesem Buch handelte es sich um eine Käuferklientel, die nicht schulmeisterlich belehrt werden wollte. Außerdem merkte ich bei der Arbeit, dass es ein Spagat war zwischen Beispielen aus der englischsprachigen Popwelt und Titeln aus dem eigenen Land oder Stücken von mir. Schließlich mussten für Westbeispiele Tantiemen in Valuta gezahlt werden, die im DDR-Haushalt nicht allzu üppig vorhanden waren. Ich versuchte einen Kompromiss, baute auch eigene Beispiele ein in der Hoffnung, man hätte die Titel irgendwann mal im Radio gehört oder sogar auf LP zu Hause. Ich habe nie eine Rückmeldung bekommen, wie das Buch bei den Käufern angekommen ist, denn der Verlag betrieb diese Art von Marktforschung nicht - in der DDR hatte es wegen der Planwirtschaft keinen Markt im westlichen Sinn zu geben. Ich habe auch nie erfahren, wie hoch die Auflage gewesen ist und bekam nur eine Abrechnung, wo die Anzahl der Stückzahl nicht vermerkt war. Um ehrlich zu sein, es interessierte mich eigentlich auch nicht. Die erste Auflage des Fachbuches erschien 1982, von weiteren Auflagen ist mir nichts bekannt. Als ich 1988 das erste Mal in Westberlin in einer Musikbuchhandlung in den Regalen stöbern durfte, entdeckte ich auch ein Fach von einem Meter Breite, in dem nur Arrangierbücher standen. Viele davon waren nur in Englisch erschienen, aber ich wusste sofort: Mein Buch war geradezu Hinterwäldlerisch im Gegensatz zu dem internationalen Angebot. Ich schämte mich ein bisschen und redete mir ein, nicht die Möglichkeit gehabt zu haben, mich genügend informieren zu können. Und wenn auch - ich bin immer noch der Meinung, man muss damit groß geworden sein, um darüber schreiben zu können - aus erster Hand sozusagen. Wenn die DDR-Käseglocke mal ein wenig West-Licht hinein ließ, glaubten wir schon, bis zu den Sternen gucken zu können. Trotzdem: Es war ein Schritt in die richtige Richtung und einer muss ja mal anfangen. Klar, jetzt kann ich mich genüsslich in meinen nichtvorhandenen Schaukelstuhl fläzen und stolz vor meinen Augen vorbeiziehen lassen, wo und wobei und womit und mit wem ich überall der Erste gewesen bin. Aber dabei lasse ich die DDR-Käseglocke immer fein unten, ist besser so, schon wegen der Realität...
Ich fuhr mit Elke Martens später auch mal nach Prag, weil da u.a. Josef Laufer auftreten sollte. Sie war ganz aufgeregt, aber das völlig umsonst: Als wir ihn nach der Veranstaltung kurz am Bühneneingang erwischten, hatte er nur Zeit zum Handreichen ohne ein "Wie geht's", weil neben ihm schon wieder ein anderes Weib stand, blond, mit großen Titten. Ich habe mich gefreut. Diebisch!
Teil 10
Der zehnte und letzte Teil von Michael Heubachs Autobiographie handelt von seiner Zeit als Mentor der Mädchenband NA UND, seiner Rückkehr zur Gruppe LIFT und über die Beschaffung und "Entsorgung" von überteuerten Westinstrumenten. Außerdem erzählt Michael über eine Dienstreise ins Ausland, genauer gesagt zu einem GENESIS-Konzert in Budapest, sowie die Beschaffung eines "Reisepasses" für Tripps in den Westen. Er gibt Einblicke in seine erste Westberlin-Reise, sowie Geschichten über seine weiteren, späten aber häufigen Westreisen, nach Westberlin, Köln, Hamburg und nach Lüneburg und über die Zeit nach der Wende...
Der zehnte und letzte Teil von Michael Heubachs Autobiographie handelt von seiner Zeit als Mentor der Mädchenband NA UND, seiner Rückkehr zur Gruppe LIFT und über die Beschaffung und "Entsorgung" von überteuerten Westinstrumenten. Außerdem erzählt Michael über eine Dienstreise ins Ausland, genauer gesagt zu einem GENESIS-Konzert in Budapest, sowie die Beschaffung eines "Reisepasses" für Tripps in den Westen. Er gibt Einblicke in seine erste Westberlin-Reise, sowie Geschichten über seine weiteren, späten aber häufigen Westreisen, nach Westberlin, Köln, Hamburg und nach Lüneburg und über die Zeit nach der Wende...

Nach Auflösung des Unternehmens Elke Martens hielt ich weiterhin Kontakt mit dem Gitarristen Leo L. und zu Istvan Farkas. In dieser Zeit machte er mir ein Angebot, denn clever wie er war, hatte er schon ein nächstes Projekt im Auge: Eine Mädchenband! Mädchen an Instrumenten waren in der Popmusik rar, es gab nur erst eine Mädchenband in der DDR, die war aus Berlin und hieß MONA LISE. Bei ihr spielte am Keyboard Liese Reznicek, die nach mir die Spezialschule für Musik in Halle besucht hatte (aber das habe ich ja schon mal erwähnt). An der Dresdner Bezirksmusikschule gab es ein paar Mädels, die auch im Fach Tanzmusik ausgebildet wurden. Die sammelte Istvan zusammen und gründete die Mädchenband NA UND! Jedenfalls schien es so, als hätte er sie gegründet. Sie waren noch blutjung und mädchenhaft kindisch, hatte aber den Ehrgeiz, den Berlinern mal den Daumen zu zeigen. Ohne Anleitung wäre das aber auf die Dauer nicht möglich gewesen und so organisierte Istvan für mich einen weiteren Mentorvertrag. Damit war ich verantwortlich für den musikalischen Weg von vier Mädchen - der Mentor als Hahn im Korb. Das einzige Talent war die Schlagzeugerin, alle anderen waren so lala. Sie wollten in erster Linie eine Hardrock-Coverband sein. Ich schrieb natürlich auch ein paar Songs, es kam aber nie zu einer Veröffentlichung welcher Art auch immer. Die Pianistin schien mir unter 150 Zentimeter und hatte dementsprechend kleine Hände. Ihre Handspanne schaffte nicht mal eine Oktave und ich musste mir immer etwas einfallen lassen, wie ich Pianoparts umarbeiten konnte, damit sie für sie spielbar waren. Eigentlich hätte man die Gitarristin auch auswechseln müssen, aber es war die einzige, die es gab. Mit dem nötigen Selbstbewusstsein überspielte sie aber ihre dilettantische Spielweise. Dem männlichen Publikum war es ohnehin egal, die hörten ja die Mädchenband nicht, sie sahen sie nur. Bei der Armee wurden Feste gefeiert, das könnt ihr glauben! Bei einem Unfall überlebten zwei Mädchen nicht, an ein Weiterspielen war im ersten Augenblick nicht zu denken und ich stieg als Mentor aus dem Projekt aus.
Im Sommer inspirierte mich eine kurz zuvor beendete Beziehung zu fünfzehn Songs, die ich hintereinander schrieb und in meinem Wohnzimmer in der Schönhauser Allee "produzierte", und die ich - man beachte - auch sang! Schuld daran war nicht nur eben erwähnte Beziehung, sondern auch mein neu erworbener polyphoner Synthesizer YAMAHA CS60. Den hatte ich mir aus Westberlin auf abenteuerlichen Wegen rüberbringen lassen. Der Verkäufer war ein alter Bekannter: Franz Bartzsch. Ich bezahlte dafür die horrende Summe von 24.000,- Mark und das nur, weil hier vier Töne auf einmal gespielt werden konnten. Heute sind es 128. Ich hatte mit diesem Instrument nicht viel Glück. Ende 1986 machte Till Patzer mit einer Band eine Sowjetunion-Tournee, bei der mein Synthesizer mitgenommen worden ist, um ihn dort zu verkaufen. Der Clou: Es wollte ihn keiner! Entweder er war zu teuer oder das Modell schon zu museal. Da blieb ihnen nur noch eine Möglichkeit, nämlich das Ding verschwinden zu lassen, um wenigstens die Versicherungssumme zu kassieren. Als ihr Equipment samt Synthesizer am Moskauer Flughafen aus einem Lastkraftwagen in den Frachtraum gebracht werden sollte, gaben sie dem Fahrer durch Gesten zu verstehen: Das Ding bleibt da! Der verstand natürlich nicht, was da geplant war und wollte es wieder auf dem Rollfeld abstellen.
"Njet, njet, mein Sohn, hier lassen, du verstehen?",

Trotzdem, dieser Synthesizer hat mich zu vielen neuen Songs inspiriert. Ich hatte damals noch keinen eigenen Drumcomputer, aber der Musiker Julius Krebs, der zu meinen guten Bekannten zählte, hatte ein gutes Modell der Firma ROLAND. Den lieh ich mir einmal von ihm aus und suchte ein paar brauchbare Universal-Beats. Diese nahm ich dann in einer Länge von fünf Minuten mit meinem Kassettenrekorder auf, sehr vorsintflutlich, aber effektiv! Das wiederholte ich mit verschiedenen Beats in verschiedenen Tempi und erstellte mir so einen Beatfundus. Hatte ich eine kreative Phase, stellte ich den Rekorder an und ließ einen Beat laufen, während ich dazu spielte. Heute würde ich mich verschämt umdrehen, müsste ich jemandem ein auf diese Weise erstelltes Demo anbieten, aber damals war es eben Alltag, der Alltag eines Ostmusiker eben.
Live-Elektronik ohne Fallnetz
1983 durfte ich auch mal die musikalischen Übergänge in einer Wissenschaftssendung von Radio DDR 2 am Keyboard improvisieren. Die Sendung wurde live aus der Archenhold-Sternwarte übertragen. Ich schleppte also mit einem Kumpel den CS60 unter die Kuppel der Sternwarte, wo ein langer Tisch stand, auf dem Mikros für die geladenen Wissenschaftler aufgebaut waren. Auf diesen Tisch musste auch mein Synthesizer einen Platz finden. Er wurde mit der Tonregie im Ü-Wagen verkabelt, ich bekam Kopfhörer, und das war der ganze technische Aufwand. Ich erhielt vom Sternwartenchef Prof. Dr. Hermann noch ein paar Hinweise, welchen Charakter die Musik haben sollte und los ging's - wir gingen auf Sendung. Ich improvisierte. Ich spielte mit Klängen. Ich mache Science-Fiction-Musik oder das, was ich mir drunter vorstellte. Ich wusste, hier hören Millionen zu. In der ganzen DDR-Welt. Es hörten aber keine Millionen, es werden einige hundert gewesen sein und die alle aus dem Raum Dresden. Aber in diesem Moment hoffte ich nur, ein paar Einfälle zu haben, denn es war eben keine Aufzeichnung, die man schneiden konnte, es war auch keine Sendung, wo man sich wochenlang darauf vorbereiten konnte... Nein, hier wurde ich ins Wasser der Improvisation geworfen. Mir fielen noch ein paar klassische Themen von Bach und Mussorgski ein, die ich mit einfließen ließ. Dafür nutzte ich die Zeit, während die hochwissenschaftlichen Diskussionen stattfanden. Nach einer Stunde hatte ich die Feuertaufe überstanden. Seitdem macht es mir nichts mehr aus, unvorbereitet irgendwo mitzumischen, an welchem Instrument auch immer. Es wird schon klappen, sagte ich mir. Genauso geht es mir bei Interviews. Wer was von mir hören oder sehen will, nur zu! Bis jetzt habe ich immer Glück gehabt und bin nicht ins Stolpern gekommen, wenn es auch manchmal eine Gradwanderung war. Mit zunehmendem Alter wurde meine Interview-Haut dünner, denn ich verfolge ja auch die Konkurrenz und deren Fehler. Da sieht man sich schon vor, dass einem nicht das gleiche widerfährt.
Lehr- und Wanderjahre: LIFT 2
Im März 1983 machte mir Werther Lohse das Angebot, die alten Zeiten im neuen Gewand bei LIFT wieder auferstehen zu lassen. Er hatte den Platz Endrik Molls eingenommen und trommelte wieder. Gleichzeitig übernahm er die Führung der Band, denn er war der einzige, der dafür infrage kam.
Es war kein Auferstehen aus Ruinen, aber LIFT rannte in den letzten Jahren ihrem Erfolg hinterher. Der letzte Hit war "Am Abend mancher Tage", der es ins musikalische DDR-Guinnessbuch der Rekorde geschafft hatte. Das Unternehmen hatte sich ziemlich totgelaufen und totgemuggt, es passierte nicht mehr viel an neuen Kreationen. Ein neuer Wind musste her, die 80er Jahre hatten ihre neuen Spuren hinterlassen, und den wollte man folgen.
Ich war ziemlich träge, denn die Geschäfte liefen ja bei mir eigentlich ganz gut. Warum sollte ich wieder den Bühnenstress auf mich nehmen, verrauchte Proberäume, verrauchte Kneipensäle und der Kampf ums Essen nach 22:00 Uhr in den Hotels? Aber Werther redete und redete und wurde ein bisschen zum Burkhard Lasch oder Istvan Farkas, bis ich endlich sagte, "Okay, versuchen wir's." Ich hatte aber eine Bedingung: Ich wollte Hans die Geige mit ins Boot nehmen! Hans, der Geiger aus der Spezialschule Halle, der mittlerweile ein Image als Popgeiger (...) erlangt hatte.
Wir unterhielten uns auch darüber, wo es stilistisch hingehen sollte. Lieder. Welche Art von Liedern? "Lieder" ist ein Gummibegriff, Lieder können alles sein, auch wenn sich eine Melodie nur erahnen lässt, der Schöpfer aber sagt, "des is 'n Lied". Nun gut, ein Lied muss man in der Badewanne vor sich hinsingen können, während man vergnügt mit seinem Quietscheentchen spielt. "Wasser und Wein" und "Am Abend mancher Tage" sind Beispiele dafür, wobei man beim letzteren schon seine Schwierigkeiten haben wird, alle Töne nachzusingen.

Aber vorher wurde geprobt. Als Proberaum diente uns der Keller von Werthers Haus in Berlin-Rahnsdorf, in dem wir es uns ab Juni 1984 gemütlich machten. Die Premiere von LIFT 2 war am 3. September in Kyritz. Wer kennt Kyritz? Das war uns aber nicht so wichtig, denn irgendwo mussten wir ja zum ersten Mal spielen. In diese Zeit fielen auch neue Rundfunkproduktionen. Später hatten wir in Berlin unser erstes Konzert im einem Kino International. In Berlin zu spielen war ja für alle schwer und so auch für uns. Wir hatten einen Mentor - alle Topbands hatten gefälligst auch einen Mentor zu haben, der von Seiten der Gastspieldirektion für unser Fortkommen zuständig war und uns mit Rat und Tat zur Seite stehen sollte. Das war auch früher schon so, es war sozusagen ein kleiner Draht nach "oben", und ich war ja auch jahrelang Drahtzieher für andere. Nach unserem Konzert kam unser Mentor in die Garderobe. Es war nicht irgendein Mentor, sondern eine gestandene Persönlichkeit, die, vom Journalismus kommend, die Arbeit im Radio und den Verlagen kennengelernt hatte: Jürgen Balitzki, den alle "Bali" nannten. Er hatte schon beim DDR-Nachrichtendienst ADN seine ersten journalistischen Sporen verdient, auch wenn die der Allgemeinheit noch verborgen blieben. Er wusste mit einer Schreibtastatur umzugehen, was ihm bei späteren Büchern sehr zustatten kam. In dieser Zeit wurde er auch Mentor der alten LIFT-Band, ehe er zum Rundfunk überwechselte. Er hat ein profundes Wissen über Bands und Trends - ein gut informierter Rundfunkmensch eben. Nun hat er also wieder zurückgefunden ins Reich der Mentoren, zurückgefunden zu LIFT.
"Bali" las uns die Leviten! Unser Konzert war einfach und schlicht Scheiße, gab er uns zu verstehen, was wir natürlich nicht wahr haben wollten. Er erkannte sofort die Sterilität unseres Drumcomputer, erkannte auch den Widerspruch zwischen dem Anspruch, die 70er in die 80er rüberzuretten und dem Ergebnis, dort nicht angekommen zu sein. Heute sehe ich, wie recht er eigentlich hatte. Aber wir glaubten an uns, redeten hintere Plätze in den Hitparaden schön, freuten uns über einen Nummer-eins-Hit, ließen uns von TV-Sendungen blenden, an denen wir teilnahmen, waren stolz auf Auslandstourneen, und selbst kleinste Erwähnungen in den Printmedien verbuchten wir als Erfolg. Das war die äußere Hülle. Wir hatten immer noch nicht begriffen, dass der Zeitgeist ein anderer geworden war, den man aber fühlen musste. Die jungen Leute unten im Saal waren unter zwanzig, wir auf der Bühne hatten die Mitte dreißig erreicht und Till war schon in den Vierzigern. Da trennte uns mindesten eine Musikgeneration.
Eigentlich lagen wir LIFT'linge mit unseren privat

LIFT war zwar nicht unbedingt ein totgeborenes Kind, aber die Altersschwäche war ihm anzumerken. Es traten die Krankheiten der altgedienten Rocker auf, die ihre Pfründe abstecken wollten, bewusst oder unbewusst. Hinzu kam noch eine gehörige Portion Eitelkeiten, die sich mit zunehmendem Alter auch nicht mehr verhehlen ließen. So erkannte Werther, dass er das Frontschwein war und deshalb mehr Futter benötigte, das zu bezahlen war. Mit anderen Worten: Die von uns ausgemachte gleiche Bezahlung, sprich Gage, war mit einem Mal hinfällig geworden, und die nach vorn gestreckte Hand des Bettlers war maßgebend geworden und forderte ihren finanziellen Tribut. Für uns bedeutete das, entweder weniger Geld oder eine höhere Gesamtgage, die der Veranstalter tragen musste. Und das wiederum bedeutete weniger Auftritte. Hier ging die Rechnung des Milchmädchens auf. Das forderte natürlich meinen Protest heraus, denn mir ging es um die Sache und nicht um die Kohle. Ein Zyniker würde sagen, "Gebt den Reichen, was den Reichen gebührt", und hätte damit die Bibel auf seiner Seite, wenn auch sehr eigenwillig interpretiert. Das LIFT-Projekt scheiterte nicht nur am Geld, nein, jeder hatte doch seine persönliche Vorstellung vom Zweck des Musikmachens. Es fehlte eine Führungspersönlichkeit, wie Gerhard Zachar es eine war, der den Laden zusammenhielt. Deshalb beschlossen wir Mitte 1986 die Scheidung, ohne Richter und ohne Tränen. Jeder ging seiner Wege - ich hatte ja meine Familienangelegenheiten und die damit verbunden Verantwortlichkeiten. Till zog sich auf seinen Alterswohnsitz nach Pirna zurück, von wo aus er bequeme Bürgermuggen (LIFT-Ausdruck für Veranstaltungen mit dem 'gemeinen Volk') machen konnte - als Volkskünstler für's Volk sozusagen. Werther führte die Band weiter wie ein kleines Kammerorchester oder besser: wie eine Unplugged-Band mit Niedervoltanschluss.

Ich arbeitete weiterhin als Mentor für einige Interpreten und konnte damit meine Beziehung zum Komitee für Unterhaltungskunst aufrechterhalten. Einige prominente Popkünstler und Autoren hatten schon das Land verlassen, weil sie im Westen größere Chancen zur Selbstverwirklichung sahen. Da wussten sie noch nicht, dass der Kapitalismus für jeden etwas hat, zum Beispiel für Künstler ein Hungerdasein, sollten sie nicht zu denen zählen, die das Glück auf ihrer Seite hatten. Die verbliebenen Prominenten versuchte man natürlich bei der Stange zu halten. Entweder man gab ihnen West-Reisepässe in der Hoffnung, dass sie zurückkommen ins glorreiche Land, oder man finanzierte ihnen Konzertbesuche für westlichen Bands. Auf diese Weise durfte ich mit dem ehemaligen Sänger der DDR-Kultband Modern Soul, Klaus Nowodworski, ein Konzert von GENESIS besuchen. GENESIS gehörte bei vielen Art-Rockern zu den Vorbildern und nicht wenige versuchten, deren Musik zu covern. Nun denke man nicht, GENESIS hätte in Ostberlin oder einer anderen Bezirkshaupstadt in einem Saal gespielt... Nein, das Konzert fand in einem Stadion statt, und das befand sich in - Budapest! Ungarn war schon immer das liberalste sozialistische Land, und man leistete sich ab und zu mal einen Topakt. Die Gastspieldirektion finanzierte für uns also Hin- und Rückflug, die Unterkunft in einem 4-Sterne-Hotel und bezahlte auch die Tickets. Außerdem gab es noch ein kleines Tagesgeld zum Überleben. Das Stadion war natürlich ausverkauft, wir saßen Reihe 96 oder 196 und ärgerten uns, keinen Feldstecher mitgenommen zu haben. Als "Vorband" kam eigentlich nur ein Vor-Sänger und das war der britische Popstar Georg Michael, der in den sauren Apfel beißen musste und bei Tageslicht seine schmalzigen Balladen zu singen hatte. Es war wie Unterhaltungsmusik in Reihe 96 oder 196 und ich hätte genüsslich an einer Paprikaschote genagt, wenn ich mein Geld nicht für ein paar Jeans zurücklegen musste, die in Budapest günstig zu haben waren.
GENESIS spielten wie die Götter, der Sound drang aber nur als Gesäusel an unsere verwöhnten Musikerohren. Aber es war umsonst und draußen! Wir sahen ein paar kleine Gestalten auf der Bühne rumhüpfen, der Beckenschlag des Drummers kam akustisch erst einige Augenblicke später bei uns an, und mir wurde klar, dass 300 Meter in der Sekunde eine verdammt lange Zeit sein konnten. "Phil Collins sehen und sterben!", es ging nicht - bei seiner sichtbaren Größe wäre der eigene Tod die reinste Verschwendung gewesen.
So rochen wir wieder einmal den Duft der großen freiheitlichen Welt und wussten, dass wir klein waren wie die Fliegen, die zu den Rockheronen aufschauten und einmal um deren Nasen kreisen durften. Im Hotel versuchten wir, uns international zu geben, obwohl wir uns nicht mal einen Kaffee für harte Währung leisten konnten oder wollten. Bestimmt saß in einer Ecke hinter einer Zeitung mit einem kleinen Loch in der Mitte, wie man es aus Agentenfilmen der 30er Jahre kennt, ein Stasimensch, der aber seinen Kaffee bezahlen konnte. Mit harter Währung.
Weil wir nach getaner Arbeit einen Bericht schreiben mussten - wir waren ja "dienstlich" als geschickte Berichterstatter dort, offiziell zumindest -, in dem stand, was der Besuch in Budapest unserer Volkswirtschaft gebracht hatte, hatte das Vertrauen der Gastspieldirektion ein grenzenloses Ausmaß angenommen. Klar, die wollten auch wissen, mit welchem Wasser die Westsuppe in den Stadien gekocht wurde, und wir machten ihnen begreiflich: es war auch nur Wasser, aber das aus einer verdammt guten kapitalistischen Quelle... nein, das sagten wir natürlich nicht, wir holten einen winzig kleinen roten Pinsel raus und sagten das, was alle mittlerweile sagten: Das, was man hören wollte und nicht nur das. So berichteten wir: Der Klassenfeind kocht auch nur mit Wasser, das mit Teelöffeln in mühsamer Kleinarbeit aus dem Fluss der Arbeitslosigkeit geschöpft wurde. Dieses poetische Bild hätte sie überzeugt, wäre es geschrieben worden.
Ein Jahr später, es war im Spätherbst 1988, schickte man mich und Arnold Fritzsch wieder in die weite Welt, die diesmal Moskau bedeutete, immerhin zwei Flugstunden entfernt. Dort sollten wir ein paar Tage die Pop-Szene beobachten. "Szene" war sechzig Jahre lang ein Fremdwort in der Sowjetunion; von Lenin über Stalin, Chrustschow und Breschnew bis in die frühen Achtziger war davon nichts zu spüren. Erst Gorbatschow lockerte das ganze Land ab Mitte der Achtziger auf und damit begann sich auch in Moskau endlich eine Szene zu entwickeln - so wurde es uns von Kennern der dortigen Kulturlandschaft berichtet. Perestroika war ein Fremdwort bei unserer regierenden Altherrenriege, aber weiter unten, bei den noch nicht zu Mumien Erstarrten, fühlte man schon, wohin sich der Wind drehte. Zum ersten Mal konnte man sich deshalb auch in der DDR hinter den platten Spruch "Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen!" stellen, nur diesen sowjetischen "Sieg" wollten uns einige Herren nicht gönnen. Was wir in Moskau zu sehen bekamen, waren zarte Pflänzchen der Punk und Post-New Wavemusik. Wenn wir unseren arroganten westlichen Blick mal draußen ließen, mussten wir neidlos eingestehen, da war etwas in Bewegung, was auf popmusikalischem Gebiet für sowjetische Verhältnisse geradezu revolutionär war, wenn man bedenkt, was da jahrzehntelang gelaufen ist. Das aufgebaute Equipment war sehr "ungewöhnlich" und wir erkannten Produkte der DDR-Firma Musima wieder; auch vieles, was mit Verstärkern und Boxen in Zusammenhang gebracht werden konnte, hatte einen DDR-Stempel. Die hatten eben keine Omis im Westen und keine Kohle, sich das Zeug 1:4 aus erster Hand zu besorgen! Es erinnerte mich ein wenig an Kuba. Und mit den Vorbildern war es ja auch noch nicht so weit her, gab es doch keinen RIAS oder die öffentlich-rechtliche Fernsehsender des Klassenfeindes.
Ein Reisepass für den Westen
Irgendwann fragte mich mal jemand, warum ich denn noch keinen Westreispass hätte, der müsste doch für mich drin sein, die anderen fahren ja auch. Ich entgegnete, dass ich erstens nicht die anderen sei und zweitens keinen Grund angeben könne, der mir so eine Reise möglich machte. Aber es wurmte mich doch, nicht zu den Passbesitzern zu gehören, das gebe ich zu. Da fiel mir die Sache mit einem neuen Arrangierbuch ein, oder einem Fachbuch für Komposition, für das ich Informationen aus erster Hand nur im Westen bekommen würde. Ja, das war's! Ich erinnerte mich an einen mir sympathischen Kulturfunktionär, der an ziemlich einflussreicher Stelle im Kulturministerium saß und mit dem ich auch privat sprechen konnte. Ich schildete ihm meinen Fall, und er setzte mit mir ein Schriftstück auf, das die Genossen der Staatssicherheit zu bearbeiten hatten... nein, natürlich ging es seinen offiziellen Weg über den Kulturminister. Jetzt, viele Jahre später, muss ich die Erfahrung machen, dass so eine Herangehensweise keinesfalls DDR-typisch war; es war eher eine menschliche Eigenschaft, weil der Mensch sich eben schützen will, wovor auch immer. Und wenn er Feinde an allen Ecken sieht, obwohl die Welt rund ist, kann es geradezu neurotische Züge annehmen, was man mit den Staatsbürgern so veranstaltet - heute hat man für so was Innenminister. Die Methoden sind andere geworden und damit der Spielraum größer, aber unterm Strich jagen wir einer absoluten Freiheit nach, die es nicht einmal im Science Fiction-Roman gibt.
Es dauerte und dauerte, bis ich die Genehmigung bekam, mit einem Visum für einen Tag aus der DDR in ein nichtsozialistisches Land zu reisen (ja, so war es halt, das Amtsdeutsch). Bei Westberlinreisen musste man bis 24:00 Uhr wieder zurück sein, sonst gab es zwar kein Bautzen, aber dafür Ärger. Mein erstes Visum hatte ich für einen Zeitraum von zwei Monaten und durfte in dieser Zeit zehn Mal aus- und natürlich wieder einreisen. Bei Reisen nach Westdeutschland oder "BRD", wie die Genossen sagten, konnte man länger bleiben.
Arnold Fritzsch hatte schon einen Westreisepass und gehörte damit zu den Privilegierten. Wir beschlossen, gemeinsam mit seinem Auto über den Grenzübergang Invalidenstraße den Ostteil Berlins hinter uns zu lassen. Außerdem wollte ich bei meiner ersten Fahrt auch gleichzeitig ein paar Bekannte aus Westberlin besuchen. Die hatte ich mal in Ostberlin kennengelernt, sie hatten auch ein Kleinkind und zählten sich zur alternativen Szene, eine Art strumpfstrickende Ökos sozusagen. Er war aus Westdeutschland nach Berlin emigriert, weil man da nicht zum Bund musste. "Haben die's gut!", dachte ich mir, einfach die Stadt wechseln, und schon kann man sich vor den Waffen und Zivildienst drücken. Ein bisschen komisch war mir schon, als ich dem argwöhnisch dreinblickenden Grenzbeamten den Pass hinter's Glas steckte. Wir hatten den Vorteil, nicht den normalen Grenzübergangsweg nutzen zu müssen, denn wir waren ja schließlich "dienstlich" unterwegs. Bei uns ging es schneller, und manchmal glich die Ausreise einem Durchwinken. Nur manchmal hatten die Zeit. Da passierte es mir am Grenzübergang Friedrichstraße, dass ich den Dienstweg verlassen musste, weil mich ein Grenzer nach Kontrolle meines Passes mit den Worten "Kommse ma' mit!" in einen Nebenraum verwies. Dort musste ich mich ausziehen und selbst die Unterhosen durfte ich nicht anbehalten. "Lehnse sich ma an die Wand, stützense sich mit den Händen ab und machense de Beene breit... Achtung, jetz' kommt mei' Finger..." Und der Finger kam und tastete in meinem Darmausgang und suchte nach Dingen, die auch nur im Entferntesten etwas mit Mikrofilm und Kalaschnikow zu tun hatten. "So, jetz gehn 'se sich wieder anziehn!", war die abschließende Bemerkung, ehe er mich in dem Raum allein ließ. Die meisten Grenzer und Zöllner waren Sachsen oder kamen aus Thüringen.
Bei meinem Bekanntenbesuch wurde ich zum ersten Mal ins Karstadt am Leopoldplatz geführt und vom Konsum erschlagen. Trotzdem gab es irgendeinen Artikel nicht und ich machte meine erste Erfahrung: Im Westen gibt's nicht alles und wenn doch, muss man wissen wo. Also gingen wir zur U-Bahn und fuhren zu dem zweiten Karstadt vom Norden in den Süden zur Hermannstraße. Die ersten zwei Stationen verliefen noch in Westberlin, aber dann fuhren wir durch einige Geisterbahnhöfe, die nur mit einem Notlicht versehen waren und auf denen DDR-Grenzer patroulierten. Gruselig! Erst am Bahnhof Friedrichstraße war wieder ein Umsteigebahnhof, ehe es weiterging und ich wieder Straßennamen lesen konnte, die zu U-Bahnstationen gehörten, die von oben nicht ausfindig gemacht werden konnten. Es war schon sehr merkwürdig, sich mit einem Ostpass unter der eigenen Stadthälfte zu bewegen, aber nicht aussteigen zu können.
Arnold schleifte mich in meinen ersten Westladen. Es war eine Drogerie, die aus allen Nähten zu platzen schien. Der Überfluss zeigte sich mir von seiner ersten Seite: Konsumiere oder stirb! Auf die Frage, was er denn kaufen wolle, antwortete er mir mit einer Selbstverständlichkeit, die nur Westroutiniers aufweisen konnten:
"Wegwerfwindeln, für den Sohn." Und nachdem er meinen skeptischen Blick sah, fügte er noch hinzu: "...Der brauch die halt..." Er bezahlte an der Kasse 4,99 DM, ich rechnete schnell und kam auf 20 Ostmark. Für Windeln! Und das bei einem 1:4-Kurs. Ich kam mir vor wie in einem Film: Man sieht eine bunte Welt und weiß gleichzeitig, das war Las Vegas nur auf Zelluloid, nach zwei Stunden wird's hell im Saal und die Wirklichkeit hat einen wieder. Als ich wieder in Ostberlin war, wurde es aber nicht heller, sondern dunkler. Ich sah wieder die Tristess der Stadt und war trotzdem dort zu Hause.
Am nächsten Tag holte ich mir im Bahnhof Zoo eine Fahrkarte nach Köln. Ich legte cool die 240,- DM hin und fügte noch beiläufig "Hin und Rück" hinzu, schließlich sollte mich keiner für einen DDR-Menschen halten. Zu dieser Zeit gab es den Begriff "Ossi" noch nicht. Nur die Westberliner benutzen den Ausdruck "Wessi" für "Flüchtlinge" aus Westdeutschland. Ulrike hatte sehr ferne Bekannte in Köln-Porz, die sie noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Pünktlich zu Weinachten kam das Paket mit Kaffe, Seife und Nylons, das war's schon. Ehe ich meine Fahrt antrat, wurde die Beziehung noch einmal kurz brieflich aufgefrischt und mein Besuch angemeldet. Drum saß ich wenig später in einem Zug, der ohne Zwischenhalt bis zum Grenzübergang Marienborn durchfuhr. Ich kam mir vor wie auf einer Insel: Um mich herum nur Westbürger, draußen der Osten, der uns aber nichts anhaben konnte, weil wir ja nur auf der Durchreise waren und, nicht einmal ein Halt in Magdeburg. Wie üblich kam ein Kontrolleur, der aber aus dem Osten war, "denn noch sind sie hier auf dem Boden der Deutschen Demokratischen Republik!" - er verkörperte diesen Satz. Deshalb mussten wir auch unsere Ausweise vorzeigen und ich war der Einzige, der einen Pass vorwies. Die anderen guckten nicht schlecht, als sie Hammer und Ehrenkranz auf meinem Pass aufblitzen sahen. Der Kontrolleur kommentierte meine Reise nicht und stellte auch keine weiteren Fragen. Der muss wohl geahnt haben, dass ich darauf keinen Wert legte.
In Köln angekommen, wurde ich vom Bahnhof abgeholt und in einen Mittelklassenwagen gebeten, der als Zweitwagen meiner Gastfamilie diente. Es war wieder die Welt aus dem Film, mit ihrer Sauberkeit, den glatten Asphaltstraßen und den geschnittenen Hecken, den wie frisch herausgeputzten Häusern und das westpuppenstubenhafte Einkaufszentrum in Köln-Porz. Der Hausherr hatte einen guten mit 8.000,- DM bezahlten Job, ihre zwei Kinder studierten und teilten sich den Drittwagen für die Fahrt zum Studienort. Mein Gastgeber führte mich stolz durch sein Haus, ich schlief oben mit eigenem Bad und eigener Toilette - "wenn mal Gäste kommen", fügte er hinzu. Heute ist so etwas normal geworden für Leute, die es sich leisten können, aber damals musste ich mich im Osten schon ganz schön umsehen, um diese Art von Lebensstandard vorzufinden. Im Wohnzimmer stand ein großer Fernseher, über den man auch Teletext empfangen konnte. Teletext war der Vorläufer von Videotext, den man heute auf allen TV-Geräten abrufen kann. Damals jedoch war es ein Zeichen des Lebensniveaus, dass man sich einfach leisten musste, hatte man dazu die Möglichkeit. Mir wurde auch stolz die Heimanlage vorgeführt, natürlich das Beste vom Besten! Verstärker, Tuner, Kassettendeck, Plattenspieler und Boxen, alles waren ausgesuchte Firmen. Ich durfte mich in einen fetten Sessel setzen und mir laut Schlagermusik anhören. Ich versuchte zu lächeln.
Gleich am ersten Tag wollte ich mein Begrüßungsgeld in Empfang nehmen, das ja dem DDR-Bürger zustand, der die Bundesrepublik besuchen durfte. Auf dem dafür zuständigen Amt legte ich meinen Reisepass vor und wollte schon meine ausgestreckte Hand hinhalten, als ich die argwöhnische Miene der Amtsperson sah.
"Sie waren doch gestern schon in Westberlin? Warum haben Sie sich denn dort nicht die 100,- DM abgeholt? Hat man Ihnen nicht gesagt, dass das Geld nur am ersten Reisetag in dem dafür zuständigen Ort zu erhalten ist? Das tut uns ja nun leid..."
Mir auch.
Wenige Monate später nutzte ich den ersten Trip im neuen Jahr nach Westberlin, um mir im Bezirksamt Tiergarten meine 100,- DM Begrüßungsgeld abzuholen - der Fehler von Köln sollte mir nicht mehr unterlaufen!
Ehe ich nach drei Tagen wieder den Zug Richtung Grenze nehmen musste, gab es natürlich die Überraschung, wegen der ich ehrlich gesagt eigentlich hingefahren bin: Einem feierlichen Akt gleich, der mich an Weihnachtsbescherung erinnerte, stellte man mehrere Pakete auf den Teppichboden und ließ sie mich öffnen. Ich nahm ein Kleidungsstück nach dem anderen heraus, ließ laut ein "Ooh!" und "Aah!" ertönen und dachte mir im Stillen, es ist doch verwunderlich, was die Leute so alles wegwerfen ... ist ja noch gut, das Zeug ...
Aber, es waren wirklich schöne Sachen für die Damenwelt darunter und sie werden zwar in erster Linie an Ulrike gedacht, jedoch nicht mit einkalkuliert haben, dass sie ja erst fünfundzwanzig war und ihr außerdem kein verbürgerlichter Westgeschmack anhaftete. Nachdem ich mich noch einmal überschwänglich, aber unehrlich bedankt hatte, gaben wir die von mir ausgewählten Kleidungsstücke auf der Post als Paket nach dem Osten auf. Und siehe da - schon wenige Wochen später kam in Weimar ein Paket an, an dem man die Spuren der Zollkontrolle unschwer erkennen konnte.
Die Westreisen waren ein schönes Nebenbei, weil ich ja die Illusion hatte, jederzeit drüben bleiben zu können, wenn ich wollte. Bei mir wich diese Illusion dann der Tatsache, dass ich ohne Familie das Land allein nicht verlassen würde, da ich die Gewähr brauchte, in dieser so anderen, fremden Welt auch gut überleben zu können. Aber das Leben in der eingemauerten DDR war etwas leichter zu ertragen, man gehörte ja schließlich zu den Privilegierten, zwar nicht ganz, aber besser als gar nichts - das redete ich mir ein.
Ich teilte mir meine Westberlin-Tage ein, nahm oft illegal ein paar D-Mark mit, um irgendwo etwas billig erstehen zu können, was es im Osten nicht gab, jedoch gebraucht wurde. In dieser Zeit begann auch meine Arbeit mit dem Computer. Einige Musiker arbeiteten schon länger damit, ich schob es dennoch hinaus, dafür Geld zu investieren. Aber irgendwann entzündete sich die Flamme in mir und ich beschloss, den großen Schritt zu wagen: Einen Atari ST 1024 mit Monitor! - diese Geschichte habe ich ja bereits beschrieben. Also:
Der Preis des Schmuggelns
Ein paar Monate später schmuggelte ich 5000,- Ostmark über die Grenze. Ich behielt sie einfach im Portmonee, denn wenn sie mich kontrollieren wollten, würden sie es ja sowieso finden. Der Kurs hatte sich verändert, von einem Tag auf den anderen. Ich erhielt nur noch 600,- DM, das entsprach einem Kurs von 1:8,3. Da bahnten sich für die Musiker schlechte Zeiten an, die noch ihr Equipment aufstocken wollten und deren Omi gerade ihren Westtod hinter sich gebracht hatte. Das Geld tauschte ich am Bahnhof Zoo um.

Dann ging ich zu dem Musikladen "Sound und Drumland", aus denen nach der Wende justmusic wurde. Ich strebte zielgerichtet in die Abteilung Tasteninstrumente und kaufte mir einen Synthesizer, ich glaube es war ein Modell der Firma KORG und kein besonderes Modell. Der Preis war angemessen, aber nur für Westbürger, denn ich bezahlte zwar dafür 1100,- DM. Aber alles in allem musste ich dafür über 7.500 Ostmark locker machen. Das liest sich jetzt alles so leicht, nur damals mussten sämtliche Tantiemen dran glauben, um so eine Anschaffung möglich zu machen. Nachdem der Kauf getätigt war, klemmte ich mir das Instrument in seiner Papphülle unter den Arm und machte mich auf zu dem Grenzübergang Friedrichstraße. Der Durchgang für Dienstreisende war leer, ein gelangweilter Zöllner stand an seinem Tresen, auf dem man sein Sachen zur Kontrolle ausbreiten musste. Ich wollte schon mit einem jovialen "Hallo" an ihm vorbeiziehen, als er mir Halt gebot.
"Was hammer denn da." - Das war keine Frage, das war eine Feststellung.
"Ähm ... ein Instrument."
"Und was für'n Instrument? Auspacken!"
Ich entfernte die Verpackung und er glotzte auf den Synthesizer.
"So, und wo is die Einfuhrgenehmigung? Wie hammse das Ding überhaupt bezahlt? Und womit?"
Ich wollte schon antworten "mit Geld", unterließ es aber, denn mit dem war nicht zu spaßen. Ich kam ins Schwitzen, denn mein Repertoire an Ausreden zu diesem Thema war sehr begrenzt. Ich erzählte irgendetwas von einem Freund, der aus Amerika zu Besuch war, und der mir das Objekt geschenkt hatte, weil es auch in Amerika noch einige gute Menschen gibt. Und außerdem machte ich ihm begreiflich, dass ich diesen Synthesizer beruflich benötigen würde und ohne ihn mein Leben keinen Sinn mehr hätte. Dann wollte ich mit ihm noch das Lied "Du hast den Farbfilm vergessen" singen, um mich auf andere Gedanken zu bringen, unterließ das aber, denn seine Stirn wies schon sehr viele Falten auf.
"Das Objekt wird eingezogen. Sie hören von uns! Gehnse weiter!"
Und so verließ ich geknickt den Grenzübergang und schrieb 7.500 Mark in den lauen Frühlingswind.
Nach einem Dreivierteljahr wurde ich zum Außenministerium bestellt und eine Frau, die garantiert eine hohe Position und Haare auf den Zähnen hatte, lies mich auf einem Stuhl Platz nehmen, der am Fußende eines langen rechteckigen Tisches stand. Sie nahm am Kopfende Platz, die Entfernung betrug gefühlte 10 Meter. Sie ließ mich wissen, dass ich zu der Gattung Mensch gehörte, die man in ein Umerziehungslager stecken müsste, denn anders wäre mir nicht beizukommen. Nachdem ich Abbitte geleistet hatte, meine Sünden bereute und auf ihre Absolution wartete, überlegte ich, wie die das im Film immer mit dem Arsen gemacht haben. Gerade als mein Plan feststand, verkündete sie mir:
"So, Sie können Ihren Synthesizer wiederhaben, müssen dafür die Summe von 1.100,- Mark erstatten und können ihn dann beim Zoll abholen!"
Ich wartete noch auf das "Wegtreten!", aber es blieb aus.
Das scheute mich jedoch nicht, meine Westreisen weiterhin zu forcieren. Jedes Mal, wenn die zwei Monate Visumbesitz abgelaufen waren, stellt ich erneut einen Antrag, in dem ich die Begründung des vorangegangenen nur etwas variierte. Es klappte auch immer problemlos. Dann setzte ich alles auf eine Karte - ich beantragte ein Dauervisum und reichte den Antrag wie immer beim Gluschke, dem Chef des Komitees für Unterhaltungskunst ein. Ich ließ mich sogar herab, meine Bitte mit einigen Phrasen zu würzen:

Was tut man nicht alles für ein Dauervisum! Einige Tage später bestellte er mich in sein Dienstzimmer und baute sich hinter seinem Schreibtisch auf. Dann sagte er nur:
"Sie wollten ein Dauervisum?"
Er holte tief Luft und sprach, jedes Wort einzeln betonend, weiter:
"WIR SIND DOCH KEIN REISEBÜRO!"
Und damit hatte er Recht, was ich ihm aber nicht bestätigte. Ich müsse doch froh sein, überhaupt reisen zu dürfen, und damit hatte er abermals Recht. Aber mein Stolz verbat es mir, ihm das ebenfalls zu betätigen.
David lehrt Goliat
Um das Kapitel Westreisen abzuschießen: Die Gastspieldirektion hat es zwar nicht vollbracht, mir ein Dauervisum zu genehmigen, aber sie schien dennoch auf meine Mitarbeit nicht verzichten zu wollen. Ich weiß nicht, wem ich das zu verdanken hatte, aber man machte mir ein einmaliges Angebot: Das Mitwirken bei einem Workshop des Klassenfeindes! In der Bundesrepublik fand alljährlich ein Workshop zum Thema Rockmusik statt. Da kamen junge Musiker, die an drei Tagen "workshoppten" und damit ihr Wissen zu den Themen Interpretation, Text, Management, Rock History, Equipment und Rockkomposition- und Arrangement erweiterten. Letzteres sollte ich übernehmen und mir dafür einen Mitstreiter suchen. Ich ging meinen Bekanntenkreis durch und blieb bei Julius Krebs hängen, der ein guter Musiker war, sich in Musikelektronik auskannte und selbst schon ein paar Stücke geschrieben hatte, die man im Weitesten der Gattung E-Pop zuordnen konnte. Natürlich war Julius sofort einverstanden, es war seine erste Westreise und es gab sogar noch Geld dafür - Westgeld! Wir überlegten uns ein paar Beispiele, an denen wir komplexe musikalische Strukturen erläutern wollten. So packten wir ein paar Synthesizer und ein wenig Equipment in seinen sowjetischen Fiat-Nachbau der Marke LADA und auf ging's nach Lüneburg. Ein paar mürrisch dreinblickende Grenzer überprüften am Grenzübergang Marienborn unsere Papiere, der Zöllner erstellte eine Liste mit den ausgeführten Arbeitsmitteln, und nach weniger als fünfzig Metern war Julius zum ersten Mal im Westen.
Die erste Stadt, die wir anstrebten, war Hamburg. "Hamburg sehen und..." - weiterfahren, aber vorher musste ich der Bitte eines einzelnen Herrn stattgeben, der es "einmal wissen wollte". So machten wir einen Besuch bei den Prostituierten in Hamburgs berühmter Herbertstraße. Nachdem sich Julius genüsslich die Mädels angeschaut hatte, die sich hinter großen Glasscheiben präsentierten, machte er eine D-Mark locker und besuchte eine Peepshow - das musste sein. Ach, wie gern hätte er etwas Geld investiert und dem Puff einen Besuch abgestattet, aber selbst bei dem Versuch, sich die Nase an der Scheibe mit den Weibern seiner Begierde platt zu drücken, wurde er gestört, denn die hatten ja auch so etwas wie eine Ehre und wollten sich ohne Bezahlung auch nicht nur begaffen lassen.
Am Tag nach unserer Ankunft begann für uns der Ernst des Rocklehrer-Lebens. Es passierte das, was für uns bislang unvorstellbar gewesen war: Ostmusiker erklärten im Westen, was man auf Westinstrumenten für Westmusik machen konnte. Unsere Beispiele waren entweder improvisiert oder beruhten auf Standards, die aus Amerika oder UK kamen. Wir bauten unsere Instrumente auf einer Bühne auf, von der wir in einen mittleren Saal blickten, der gefüllt war mit neugierigen Musikanten, die ganz anders waren, als wir es bisher von ähnlichen Veranstaltungen in der DDR gewohnt waren. Es war irgendwie unverkrampfter, aber ich hatte auch den Eindruck, als wären sie eher zu einer Art Happening gekommen als zum Lernen. Wir fühlten uns auf der Bühne wie die Affen, die von Zoobesuchern beglotzt wurden. Nachdem wir unseren Vortrag zu Ende gebracht hatten, räumten wir ihnen noch die Möglichkeit ein, Fragen an uns zu richten. Und spätestens dann merkten wir: Ihre Welt war nicht die unsere, ihre Probleme waren nicht unsere und die Art der Fragestellung war für uns neu. Wir versuchten trotzdem, das Beste draus zu machen, aber wir hatten uns in unsere Haut sehr unwohl gefühlt und waren froh, als alles vorbei war. Hier kam nicht zusammen, was zusammen gehört, selbst Willy Brandt hätte das gemerkt. Sicherlich hat es an den mangelnden Erfahrungen gelegen, die wir ja auch nicht haben konnten. Wir haben nie erfahren, wie unser Gastspiel von den Westlern aufgenommen wurde, dafür waren sie zu diplomatisch. Oder anders: "Was kann man denn von einem unterdrückten Menschen aus dem anderen Teil Deutschland anderes erwarten? Trotzdem - wo hatten die bloß die Synthesizer her, wenn man so eingemauert ist...?"
Nach dem Frühstück im Hotel hörten wir Radio

Der lange Epilog
Mitte der 90er Jahre machte mir Dina Straat das Angebot, für sie ein paar Titel zu schreiben. Die Zeit heilt viele Wunden und ich glaubte, sie sah das Unglück von einst in einem etwas abgeklärteren Licht. Wir wurden wieder Freunde, denn ich war ja nach ihren eigenen Worten damals bei LIFT schon ein kleiner Teil ihrer Familie und hatte manches Frühstück in ihrer Wohnung zusammen eingenommen - mit Gerhard selbstverständlich. Ich nahm mein Equipment und zog in einen kleinen Nebenraum in ihrem Haus in Berlin-Karow ein. Den nannte ich dann Studio und als er in den Keller verlegt wurde, hieß er "Gruftstudio". Da bastelte ich an verschiedenen Musiken, die teilweise kommerziell oder auch experimentell waren und deshalb nur mein Ego kitzelten. Es war kein Profistudio, ich konnte gerade mal Demos erstellen und vermied den Begriff "Studio" wenn's ging. Mittlerweile war der Ausdruck inflationär geworden - jeder, der was auf sich hielt oder auf den man etwas halten sollte, hatte ein "Studio" und "produzierte" - für wen auch immer. Vor allem in Ostzeitschriften erschienen Rubriken unter dem Motto: "Was macht eigentlich...". Da kamen alte DDR-Künstler zu Wort, die sich ihren Liegeplatz auf einem städtischen Friedhof schon herausgesucht hatten, und die oft ihre "neue CD" anpriesen, die keine Sau hören geschweige denn kaufen wollte. Der Zusatz "Gruft" relativierte mein Studio zu dem, was es war: eine Bastelbude. Natürlich versuchte ich, computertechnisch auf dem aktuellen Stand zu sein, und besorgte mir auch semi-professionelle Soundmaschinen, aber mit gut ausgestatteten Studios konnte ich nicht mithalten.
Zwei Songs, die ich für Dina geschrieben hatte, wurden sogar mal in einem professionellen Studio aufgenommen. Dafür lieferte ich die MIDI-Files, die dann mit anderen Sounds versehen wurden. Dina sang so lange, bis Intonation und Interpretation stimmten, am Schluss wurde gemischt und die entsprechende Portion Schlager-Hall hinzugefügt. Aus meinem Versuch, etwas Bodenständiges aus den Songs zu retten, wurde nichts und übrig blieb ein - wenn auch besserer - Schlager-Allerweltsbrei. Schade! Für die zwei Songs wurde Dina zur Kasse gebeten: Dann erschienen die zwei Songs auf einem Sampler, auf dem (alte) neu erfundene "Nachwuchskünstler" vereint waren. Der wurde nach Aussage des Produzenten bei Radiostationen angeboten und wird dort an der Füllung von Papierkörben beteiligt gewesen sein. Dina musste 500 Exemplare für 5000,- DM abkaufen, dafür kostete sie die Produktion nichts. Es gibt nicht viele Künstler, die bei Veranstaltungen die in der Pause angebotenen CDs auch gut verkaufen können. Deshalb fanden Dinas CDs im Keller ihre Ruhe. Der Produzent war Tonmeister, Studiobesitzer und Verlagsinhaber in einer Person und wird bei den auf dem Sampler zu hörenden Interpreten kräftig abgesahnt haben. Sei's drum!
Schlussworte
Wer bis hierhin gelesen hat und der Meinung ist, hier hat Geschichtsfälschung stattgefunden, dem widerspreche ich nicht, schließe mich seinem Urteil an und füge hinzu: Die Erde ist eine Scheibe!
Ende! Michael Heubach und wir haben uns bei der Veröffentlichung hier fast ausschließlich auf musikalischen Inhalt seiner Biographie beschränkt. Die vollständige Biographie, incl. privaten Einblicken, liegt beim Autor. Interessierte Verleger können uns schreiben, wir leiten die eingehende Post gerne an Michael Heubach weiter...