Es war eine unheimliche Achterbahnfahrt! Es beschäftigen einen schon die Gedanken, ob man richtig und im Interesse der Band gehandelt hat, denn ich durfte mich musikalisch viel einbringen und habe auch eine große Verantwortung für die Gesamtproduktion getragen. Das hat mich am meisten beschäftigt. Ich habe mir gesagt: "Hoffentlich ist alles ok!" Es ist ja schließlich eine Gratwanderung zwischen Altem und Bewährtem und dem Weitergehen. Man will die Altfans nicht enttäuschen, man möchte aber auch gerne neue Fans hinzugewinnen. Es sind Tränen der Freude geflossen, aber natürlich auch der Angst. Es ist so, dass ich erst einmal in ein großes Loch gefallen bin, nachdem das alles vorbei war. Wir haben für dieses Album wirklich alles gegeben. Ich habe mich 1 1/2 Jahre lang jeden Tag damit beschäftigt und auf einmal war das vorbei. Darum ist jetzt gerade irgendwie alles leer (lacht).
Ist diese Aufgeregtheit auch ein Stück weit Ungewissheit oder Unsicherheit eines jungen Musikers, wie die eigenen Arbeiten beim Publikum ankommen?
Ja, schon! Aber es ist so, dass ich die ersten zwei Jahre bei Karussell ziemlich hin und her gerissen war und absolut nicht wusste, ob überhaupt alles klar geht. Ob man alles richtig macht, ob man etwas falsch macht - dafür gibt es sowieso kein Geheimrezept. Aber anhand dieses Albums bin ich jetzt soweit gefestigt, dass ich sage, es ist wirklich sehr, sehr gut geworden. Das haben zwar letztlich immer noch die Hörer zu entscheiden, aber ich bin äußerst zufrieden mit dem Ergebnis, was ich bisher musikalisch noch nie mit irgendwas war.
Es gibt auf der CD ein paar Bekannte, nämlich die Songs, die auf der Maxi CD schon veröffentlicht wurden oder das Remake von "Als ich fortging". Die restlichen Songs sind neu. Sind diese allesamt in den letzten 3 Jahren, also nach Eurem Comeback, entstanden, oder sind da auch sog. Schubladen-Funde dabei?
Bis auf "Habse(e)ligkeiten", das ist der einzige Schubladenfund, sind das alles neue Kompositionen. "Habse(e)ligkeiten" hat Oschek tatsächlich bei sich zu Hause im Keller zwischen alten Instrumenten wiedergefunden. Oschek hat über die Jahre immer alles aufgehoben und darum fiel ihm dieser Text wieder in die Hände und ihm ist eingefallen, dass dieses Lied schon einmal für eine Veröffentlichung geplant war. Der Text von Kurt Demmler war schon da. Das Lied wurde letztlich aber nicht aufgenommen und ist irgendwann in der Versenkung verschwunden. Er fand die Geschichte ganz nett, aber textinhaltlich ist er nicht mehr so ganz auf sein Alter zugeschnitten. Darum wurde mir die Ehre zuteil, dieses Lied singen zu dürfen und mit zu arrangieren. Die anderen Titel auf der CD sind tatsächlich allesamt neu und erst in den letzten 1 1/2 Jahren entstanden, denn erst in diesen letzten 1 1/2 Jahren, also nach der Veröffentlichung der letzten Maxi CD, haben wir die richtig intensive Arbeit an neuen Songs betrieben. Wenn man es genau nimmt, sind die Songs über den letzten Winter hinweg entstanden.
Dass "Als ich fortging" in einer Remake-Version mit drauf ist, wird ein Zugeständnis an die Plattenfirma sein, oder?
Ja! Als wir damals mit denen über ein neues Album sprachen, meinten die, sie bräuchten ein Zugpferd, auf das sie setzen können, das bekannt ist und wo jeder weiß: "Alles klar, das ist Karussell." Aber weder die Plattenfirma noch wir wussten damals, dass die Songs für das neue Album so gut werden würden - um es mal vorsichtig zu formulieren. Als wir denen nach Abschluss unserer Arbeit die Aufnahmen für das Album auf den Tisch gelegt haben, Sagten sie: "Hätten wir gewusst, dass das so gut wird, hätten wir den Rest gar nicht gebraucht!" Aber sowas weiß man vorher nicht.
Wie kann man sich den Arbeitsprozess bei KARUSSELL vorstellen? Wie sind die Songs entstanden, wie die Texte? Wie war die Arbeitsaufteilung während der Entstehungs- und Produktionsphase?
Das war diesmal sehr ungewöhnlich. Wir haben angefangen, bei uns in dem kleinen Garagenstudio mit Pro-Tools aufzunehmen. Wir haben da eine kleine Recording-Station, mit der wir zuerst mittelschwere Demos aufgenommen haben. Man kann sagen, dass wir dort wirklich experimentiert haben, z.B. haben wir den Schlagzeuger verschiedene Grooves in verschiedenen Tempi spielen lassen und haben angefangen, dazu zu improvisieren. Davon wurden einzelne Phrasen und Akkord-Folgen aufgenommen, und darauf wurden Melodien entwickelt. Das war unsere Ausgangsbasis. Karussell war schon immer bekannt für sehr melodiöse Rockmusik und schöne Melodiebögen, die sich gut einprägen, und wir haben dieses Mal tatsächlich zuerst mit Akkorden und Melodien angefangen und daraus haben sich improvisierender Weise die Gesangsmelodien entwickelt. Zuerst teilweise sogar auf Englisch, damit man erstmal überhaupt ein Bild hat, wie das Lied funktionieren kann. Erst danach haben wir einige Co-Autoren gefragt, ob sie für uns Texte schreiben wollen und haben uns auch Zuarbeiten schicken lassen. Im letzten halben Jahr haben wir aber gemerkt, dass viele von diesen Arbeiten aus den Schubladen der Autoren gekommen sind. Diese Texte waren nicht auf die Musik angepasst und offenbar wahllos ausgesucht, was da gerade so auf Halde lag. Wir haben es selbst mit Umstrickereien rhythmischer Natur nicht hinbekommen, diese Texte für die Musik passend zu machen. Es hat sich kaum einer die Mühe gemacht, einen Text zur Musik zu machen. Dazu kam, dass vieles davon auch gar nicht Karussell-tauglich war - weder von den Werten, noch von der Schreibweise. Irgendwann haben wir gemerkt, dass wir das selbst machen müssen. Darum haben wir so eine Art Texter-Stab gegründet. Zu diesem Stab gehörten meine Mutter, die im Deutschen und lektorisch sehr fit ist, weil sie damit eine Zeit lang mal beruflich zu tun hatte, Oschek, mein Cousin (Roman Raschke) und ich. Wir haben uns bei uns im Hotel getroffen und tage- und nächtelang an Texten gearbeitet. Wir haben in aller Ruhe die Musik eingelegt und dazu Texte entstehen lassen. Auch dabei haben wir sehr viel improvisiert. Es war so, dass jeder mal dazu gesungen und so etwas angeboten hat. Es waren anfangs immer nur einzelne Textbrocken, die dabei herauskamen. Mal hier ein Satz, mal dort ein Satz. Das hat sich dann erst im Laufe vieler Nächte zu dem zusammengesetzt, was es letztlich geworden ist.
Karussell war ja eigentlich immer - wenn man so sagen möchte - eine Demmler-Band. Viele Lieder, insbesondere die ganzen Hits, wurden von Kurt Demmler getextet. Kann man sagen, dass für Karussell das größte Problem darin bestand, einen geeigneten Nachfolger als Texter zu finden?
Wenn man ganz ehrlich ist, ist das unmöglich. Das ist eine eigene Handschrift und eine so gut durchdachte Sache... Es war ja immer Demmlers Handschrift, dass man aus einem Text drei oder vier verschiedene Geschichten oder Deutungsweisen heraushören konnte. Und da hast Du Recht, das hat für uns die Messlatte unendlich hoch gelegt. Es ist uns bei einigen Stücken auf der CD zwar gelungen, es geht auch von der menschlichen Nähe her in diese Richtung, aber es ist nicht die Handschrift eines Kurt Demmler geworden. Es wäre auch anmaßend, das zu sagen. In Anlehnung dessen passiert aber schon einiges, darum sage ich, es ist ein guter Kompromiss für uns. Da wollten wir auch hin. Es gab ja später auch noch die zweite Phase bei Karussell, die nicht mehr die Demmler-Ära war. Die war ganz anders. Sie hatte auch Erfolg, aber sie hat nicht diesen Kultstatus wie die Zeit, in der Karussell ausschließlich mit Demmler-Texten arbeitete und in der diese Doppeldeutigkeiten in den Liedern zu hören sind. Die Sache mit den Texten war für uns wirklich das Schwierigste bei der Arbeit an dem neuen Album. Daran sind wir auch fast zerbrochen - nicht untereinander, aber an der Aufgabe. Die Angst war riesengroß, denn dieses Projekt, so wie es jetzt ist, bedeutet uns immens viel. Dabei geht es weniger darum, ob das jetzt ein Erfolg wird oder nicht, sondern mehr um menschliche Aspekte. Wir spielen gerne als Band zusammen. Wolf sagt immer: "Das ist die herzlichste und höchst kollegialste Besetzung, die es bei Karussell je gegeben hat." Daher kommt auch der Anspruch zu sagen: "Wir möchten gerne auch ein bisschen Kunst machen." Wir möchten nicht alles verkommerzialisieren, sondern versuchen, diesen Mittelweg zwischen Anspruch und Verständlichkeit für die Menschen zu finden.
Du hast gerade erzählt, dass auch Deine Mutter aktiv an der Entstehung der CD beteiligt war. Du sprachst dabei von ihrem Beruf, der beim Schreiben der neuen Texte hilfreich war. Kommt sie aus der musikalischen Ecke oder wie kam es dazu, dass sie auch Texte beigetragen hat?
Meine Mutter hat Germanistik studiert und die Inspiration für die Texte kam daher, dass sich in diesem Jahr bei uns emotional sehr viel getan hat. Um uns herum sind innerhalb kürzester Zeit sehr viele Menschen gestorben. Meine Mutter hat diese Aufgabe, an den Texten mitzuarbeiten, dazu genutzt, die dabei entstandene Last von sich runter zu schreiben. Wir haben ihr Talent zusammen entdeckt. Sie hatte angefangen, etwas aufzuschreiben und ich habe sie gefragt: "Was hast Du denn hier geschrieben?" Ich habe mich in dem, was sie da aufgeschrieben hatte, total wiedergefunden. Der Text von "Loslassen" ist z.B. einer, von dem ich meine, dass er einen extremen Tiefgang hat. Den wollte ich von Anfang an 1:1 so umsetzen, wie meine Mutter ihn geschrieben hat. Der hat mir deshalb sofort gefallen, weil sich darin ein jeder sofort wiederfinden kann, der irgendwann mal etwas verloren hat, das ihm wichtig war. Jetzt nicht unmittelbar die Menschen, die man liebt, sondern vielleicht etwas aus der Vergangenheit. Trotzdem der Text auf die Trennung von einem anderen Menschen bezogen ist, kann man darin auch andere Interpretationsmöglichkeiten finden. Das fand ich höchst interessant. Oder beim Lied "Dann der Regen fällt"... zu dem Stück habe ich zuerst den Refrain gebaut, weil ich die Worte dieser einen Zeile so stark fand. Meine Mutter hat mir anschließend dabei geholfen, das textlich weiter umzusetzen. Ich bin mehr Musiker, Komponist und Arrangeur als Texter. Ich tu mich damit auch unheimlich schwer und bin durch Demmler auch so geprägt, dass mir eigentlich nichts wirklich recht ist. Darum hatten wir es am Anfang auch sehr schwer, weil ich immer gedacht habe: "Das ist nicht Demmler!" Ich musste da erstmal einen Abstand finden. Erst jetzt auf der Musik und mit dieser Produktion sage ich: "Jawohl! Das hat Niveau, das gefällt mir!"
Um das noch zu komplettieren hat man auch Roman Raschke gebeten, etwas beizusteuern. Roman kommt mit seinem Programm ja von einer ganz anderen Baustelle. Wie kam es dazu, dass er auch Material geliefert hat? Wessen Idee war das?
Es war unsere Idee, dass wir gesagt haben: "Wir möchten mit Leuten zusammenarbeiten, die Karussell schon länger kennen." Im Idealfall solche, die mit der Musik aufgewachsen sind und sich in jeder Ära textlich bestens auskennen. Das war bei vielen "Profi-Textern" - wie ich vorhin schon erwähnt habe - leider nicht der Fall. Romans Projekt ist musikalisch etwas ganz Eigenes und auch sehr außergewöhnlich. Er hat die Gabe, sehr schöne Texte zu schreiben - er durchdenkt das Thema immer sehr gut. Er hat extrem hart gearbeitet und mindestens 12 Texte vorgelegt von denen 2 wirklich besonders gut waren. "Oben sein" und "Deine Farben". Außerdem hat er bei vielen anderen Texten immer was mit bei gesteuert. "Deine Farben" haben wir in Verbindung mit Oschek ausprobiert und es hat tatsächlich auf Anhieb funktioniert. Der Text war für mich auch menschlich ganz oben aus dem Regal. Gerade die Textzeile "Sieh, die Welt ist immer noch bunt": Diese Motivation und die Botschaft "Guck mal hier! Egal was für Scheiße passiert, es gibt immer noch sehr viel Schönes" sind stark. Dann am Ende diese Quintessenz: "...ein paar Farben sind auch von Dir, und ich kann sie sehen", also dass man diese Werte auch erkennt, das hatte für mich tatsächlich auch Demmler-Niveau. Darum war ich von dem Text sofort begeistert und hab' gesagt: "Willst Du nicht noch mehr machen? Probier doch mal mit uns zusammen etwas aus", und so ist dann auch der Text zu "Oben sein?" entstanden. Die Aufgabe für ihn war: "Wir hätten gern ein Lied mit dem Grundansatz, wo sich vielleicht ein jeder wiederfinden kann, das auch Motivation ist." Es beschreibt den Weg nach oben, der auch nicht immer gut ist. Darum auch die Phrase, "Ganz oben, doch allein" und die Frage, "Lohnt sich das?" Du hast zwar alles geschafft, bist oben an der Spitze, aber letztlich ganz allein. Du hast plötzlich ganz viele Freunde, die jetzt Deine Freunde und auf Deiner Seite sein wollen, aber Du kannst nicht mehr filtern, ob die nur Dein Geld und Deinen Ruhm oder Dich als Menschen haben möchten. Das hat mit der Textzeile "...nur für einen Tag" auch einen Bezug zu dieser "Superstar"-Geschichte, weil da ja alles im Prinzip nur für diesen einen Tag ist, warum die da alles mit sich machen und sich verbiegen lassen. Es hat mir sehr gefallen, dass auch der Text diese Offenheit hatte, in vielerlei Hinsicht interpretierbar zu sein.
Ihr habt bei der Produktion nichts dem Zufall überlassen. Das ganze endete sogar mit einer Produktion im Hansa Tonstudio zu Berlin, einem Studio, in dem schon viele große Musiker ihre Scheiben eingespielt haben. Wie kam es dazu, dass Ihr dort an Euren Songs gewerkelt habt? Ist das über Euren Verlag Meisel Music gelaufen?
Das war eigentlich meine Idee. Der Meisel Verlag gab uns die Chance, unser Album bei ihnen zu verlegen und gab uns auch die Freiheit, zu machen was wir wollen. Es war nicht so, dass wir eine Richtung aufgebrummt bekommen haben, in die wir zu gehen hatten, oder einen Produzenten, der in unserer Arbeit herumrührt, sondern sie haben gesagt: "Macht einfach Euer Ding und wir gucken hinterher, was draus wird." Ich habe dann gemerkt, dass wir mit den technischen Voraussetzungen, die wir haben, nur eine gute Demoproduktion eingespielt hatten. Das klang alles ganz nett, war aber klanglich im Vergleich zu dem, was am Ende daraus geworden ist, ein "Pappkoffer". Das war nicht brillant, das war nicht klar, der Druck hat gefehlt und es war mein großer Wunsch, professionelle Unterstützung zu bekommen. Das war die Bitte an meinen Vater: "Können wir nicht mal mit den Leuten bei Meisel reden, ob die uns nicht ein Stück weit entgegen kommen können und ob man da nicht nochmal gemeinsam mit einem Profi in die Aufnahmen reinhören kann?" Daraufhin hat Wolf bei der Plattenfirma angerufen und gefragt und wir bekamen die Zusage, dass die Plattenfirma die Hälfte der Produktion übernehmen würde. Die andere Hälfte mussten wir selbst tragen. Der erste Weg war dann für uns, das nötige Geld aufzutreiben, denn die Hansa Studios sind aufgrund ihrer Qualität nicht ganz preiswert. Und verbunden mit dem Mastering in Amerika war das für uns "kleine" Band, die jetzt nach vielen Jahren erstmal wieder anfängt zu arbeiten, fast zu viel und zu hoch gestochen. Wir haben dann aber auch zur eigenen Gewissensberuhigung gesagt: "Wir wollen das so und wir stecken jetzt alles da rein, was wir haben - völlig egal, ob's ein Gewinn wird!" Wir wollten einfach etwas vorlegen, das Qualität hat. So kam es, dass wir ins Hansa Studio gegangen sind und dort produziert haben.
Du sagtest es gerade: Danach war die Sache aber noch längst nicht beendet. Die Rohfassungen wurden anschließend für das Mastering noch über den großen Teich in die USA geschickt. Was hatte es denn damit auf sich?
Wir sind über das Hansa Tonstudio mit Alex Wende in Kontakt gekommen. Das ist der junge Leiter der Studios - er ist gerade mal Mitte 30 - und der hat bereits für Sarah Connor und alle möglichen Größen gearbeitet. Er ist eigentlich der Mixing-Engineer. Wir machen bei Karussell wirklich noch dynamische Musik, d.h. bei uns gibt's auf der Scheibe tatsächlich noch große Unterschiede zwischen laut und leise. Das gibt es heute fast kaum noch. Oft werden Produktionen so komprimiert, dass das alles gleich laut ist. Dabei geht aber die Dynamik in der Musik verloren. Diese Dynamik war unser großer Wunsch. Und weil das in Europa kaum noch einer macht, meinte Alex Wende: "Da gibt's dann nur noch die Chance, bei der Firma Sterling Sound in New York das Mastering machen zu lassen." Die haben schon für viele Musikgrößen gearbeitet, z.B. für Michael Jackson, Coldplay, U2 und Green Day. Alex empfahl uns diese Firma, denn er meinte: "Die haben den Dreh raus!" Sterling Sound haben sich eine einzigartige Technik gebaut, mit der es möglich ist, die Dynamik wie gewünscht umzusetzen. Darum ist unsere CD auch viel lauter als viele andere. Wenn Du die einlegst und bei gleicher Lautstärke mit anderen Produktionen vergleichst, wirst Du merken, dass Dich da etwas ganz anderes anspringt. Ich habe das selbst getestet und bis heute nicht begriffen, was da passiert... Das ist denen hervorragend gelungen. Alex Wende sagte: "Das kostet zwar viel Geld, aber was dann wieder zurück kommt, wird Euch die Tränen in die Augen drücken", und er hatte Recht. Was die da gemacht haben ist einfach Wahnsinn!
Also kann man sagen, Ihr habt ein Album auf internationalem Niveau gemacht...
Absolut!
Eine Leserfrage kam zum Cover. Für die Cover der KARUSSELL-Alben gab es immer gute Ideen. Beim Album "Schlaraffenberg" war der Apfel zu sehen, bei "Café Anonym" war's das Telefon. Was hat es mit dem Cover zu "Loslassen" auf sich?
Man sieht auch an der Schriftsymbolik, dass es ein bisschen auf alt gemacht ist. Damit verbinden wir rein grafisch unsere lange Geschichte. Es ist in dem Farbstil so ein bisschen sepia-monochrom. Das macht das Produkt nicht steril und auch nicht alt. Dadurch, dass da die Farbklekse drauf sind, sieht es praktisch wie ein Konzept aus. Das schafft den Bezug zu den vielen Zetteln, die wir im Studio verwendet hatten, und die am Ende auch durch das ständige Benutzen fleckig und bekleckert waren. Dieser Stil war für uns der einzig authentische, darum hat unser Grafiker Casus Campari das Cover so entworfen.
Es gab im Zusammenhang mit der VÖ etwas Verwirrung. An einigen Stellen (auch bei uns) war die Album-Veröffentlichung für den 17.6. angekündigt. An anderen Stellen - u.a. bei Eurer Plattenfirma - ist sie auf den 22.07. datiert. Was stimmt denn da nun?
Es stimmt eigentlich beides. Der 17. Juni wurde als Veröffentlichungstermin allerdings nur für uns hier in Leipzig verwendet. Der 22. Juli ist praktisch der offizielle Start, also der Tag, an dem die CD deutschlandweit in die Läden kommt und an dem auch die Promotion-Arbeit startet. Der Hintergrund ist ganz einfach: Wir als Band hatten uns, als klar war, dass wir ein Album machen werden, mit unserer Plattenfirma auf einen früheren Veröffentlichungstermin geeinigt. Dieser 17. Juni sollte eigentlich auch der deutschlandweite Veröffentlichungstermin sein. Nun hat sich durch die Qualität der Platte aber die Strategie der Plattenfirma geändert. Wir haben anfangs alle nicht damit gerechnet, dass die neuen Lieder so gut würden, darum haben wir uns jetzt höhere Ziele gesetzt. Dafür benötigen die Plattenfirma und alle Beteiligten etwas mehr Vorlauf, so wurde z.B. ein Radiopromoter für das Album hinzugezogen, der alle möglichen Stationen, die es in Deutschland gibt, mit dem Album versorgen muss. Er braucht für seine Arbeit also etwas mehr Zeit. Darum ist die ganz große Werbung auch noch zurückgehalten worden. Das passiert erst am 22. Juli.
Ist das auch der Grund, warum wir dieses Interview jetzt zum zweiten Mal verschoben haben?
Ganz genau so ist es...
Auf ein wichtiges Thema müssen wir noch kommen, nämlich einen Zeitungsbericht aus dem letzten Monat, in dem mehr oder weniger herauszulesen war, KARUSSELL würde die alten Zöpfe abschneiden und ihre Klassiker, also die alten Hits, in Zukunft vernachlässigen, um sich verstärkt auf das Heute zu konzentrieren. Ist das wirklich Euer Ernst?
Wir wurden da ein bisschen falsch verstanden. Es ging darum, wie wir die Zukunft sehen und was unsere Wünsche sind. Wir haben neue Lieder gemacht, um auch etwas Neues zu bringen und um uns nicht immer nur als Karussell im Kreis zu drehen. Die Leute sollen auch die Chance bekommen, etwas Neues von uns zu hören und deshalb binden wir die neuen Lieder auch mit ins Programm ein. Der Redakteur hat das aber so verstanden, dass wir uns komplett vom alten Set trennen wollen. Das haben wir aber tatsächlich so wortwörtlich niemals gesagt, und das haben wir auch gar nicht vor. Ganz im Gegenteil! Wir versuchen ja gerade die Symbiose zu finden, die Altfans mitzunehmen ins neue Zeitalter und in die neue CD, aber auch neue Leute anzuziehen. Das geht aber nur mit neuen Sachen, denn die alten Songs spielt im Radio doch kaum noch einer. Was aber unser Live-Programm betrifft, werden die alten Lieder immer ihren Platz haben. Wir würden die alten Fans doch verlieren, wenn wir die nicht mehr spielen würden. Diese Menschen möchten "Autostop" hören, die möchten "Als ich fortging" hören... auch das "Fischlein" und andere Lieder. Wir spielen diese Songs sehr gerne. Bei "Autostop" ist bei uns auf der Bühne einfach nur Spaß angesagt, da wird Unsinn gemacht und das passiert alles auf einer ganz lockeren Basis. Oder "Als ich fortging"... Was kann Dir als Band denn schöneres passieren, als ein Lied anzustimmen und alle Leute pfeifen und rasten aus? Es wäre idiotisch und uns würde auch etwas fehlen, wenn wir diese Lieder nicht mehr spielen würden. Ich war total geschockt, als ich diesen Artikel gelesen habe. Es liest sich auch wie eine Kampfansage an ehemalige Bandmitglieder, und davon möchten wir uns distanzieren. Die Zeit mit Dirk Michaelis war eine sehr wichtige Zeit für Karussell, die auch einen großen Erfolg mit sich brachte, nämlich mit "Als ich fortging" eigentlich den größten Karussell-Hit. Wir haben auf gar keinen Fall vergessen, woher wir kommen, deswegen ist es mir an dieser Stelle auch sehr wichtig zu sagen, dass das ein großer Irrtum ist, was da in der Zeitung stand. Wir spielen weiter die alten Songs und binden die neuen ganz geschickt ins Programm ein. Es ist nicht so, dass man sich das im Block am Stück reinziehen muss, sondern wir mischen das gut. Wir haben bei unseren Live-Konzerten schon gemerkt, dass das gar nicht groß auffällt. Die Leute nehmen das gut an und von daher funktioniert das Konzept prima.
Der Albumtitel "Loslassen" würde die von der Zeitung getroffene Aussage ja eigentlich untermauern...
Ja, die deuten das "Loslassen" als Abkehr von den alten Songs. Aber der Titel ist ja vielseitig interpretierbar. Ich habe auch gesagt, dass es "Loslassen von der Vergangenheit" bedeuten kann. Das meine ich gar nicht mal musikalisch, sondern dass man aufhört, ständig im Gestern zu leben. Viele Menschen reden zu viel von Früher. Ich finde, dass ein Mensch extrem schnell altert, wenn er immer nur in der Vergangenheit, z.B. in den kultigen 70er und 80er Jahren lebt. Darum ist "Loslassen" vielseitig interpretierbar. Es kann auch das Loslassen von einer alten Beziehung, einer Freundschaft, der Vergangenheit, vielleicht auch einer Musikrichtung sein. Letzteres bezieht sich aber auf keinen Fall darauf, dass man sie komplett loslässt, sondern dass man auch ein Stück weit bereit ist, die Zukunft entgegen zu nehmen.
Kommen wir zurück zur CD: Es ist schon beeindruckend, dass Oschek auch im Jahre 2011 noch immer so klingt wie Oschek früher. Das dürfte für die Band mit das dickste Pfund sein, oder?
Auf jeden Fall! Als die Idee aufkam, Karussell wieder an den Start zu bringen, war es mein Wunsch, dass da noch ein zweiter Sänger dazu kommt. Weder habe ich eine Gesangsausbildung noch diese Wahnsinns-Röhre. Ich bekomme auch diese Tenor-Höhen nicht hin, denn ich bin eher Bariton. Von daher war es für mich OK, die Cäsar-Lieder zu singen, aber ich würde mich z.B. niemals - das wäre eine Frechheit und Anmaßung - am "Fischlein unterm Eis" vergreifen. Das wird man von mir nie erleben, dass ich eines dieser Lieder singe. Damit tu ich nicht nur mir keinen Gefallen, sondern auch dem Rest der Welt nicht (lacht). Das kann man schon gut selbst einschätzen. Darum ist es auch ein absoluter Gewinn, dass sich Oschek für das Comeback von Karussell der Band wieder angeschlossen hat. Eine Idealbesetzung! Hinzu kommt, dass ich in Oschek einen sehr starken Kollegen an meiner Seite habe, der mich in vielen Punkten geformt und auch aufgebaut hat. Von ihm habe ich sehr viele gute Live-Tricks gelernt. Das Gute bei ihm ist, dass er nie aufgehört hat, Musik zu machen. Selbst als Mitte der 80er seine Zeit bei Karussell vorbei war, hat er mit anderen Bands jedes Wochenende gespielt. Er hat über all die Jahre gemuggt, gemuggt und gemuggt, daher ist auch seine Stimme niemals verblasst, sondern, und das sagen auch die Experten, noch kräftiger geworden. Diese Meinung kann ich teilen, denn ich habe auch auf der CD gemerkt, dass er wahnsinnig gut singt. Eigentlich ist er "DER" Sänger von Karussell, auch wenn die Band jetzt wieder zwei hat. Da ist durch Zufall eine schöne Umschreibung der Situation entstanden. In einem Interview hat man mich gefragt, wer wir sind und was wir machen, da habe ich gesagt: "Mein Name ist Joe Raschke, ich bin zweiter Sänger, Keyboarder und Harp-Spieler bei Karussell." Anschließend wurde er gefragt und sagte: "Mein Name ist Oschek Reinhard Huth, ich bin Zweitsänger und Gitarrist bei Karussell." Damit war auch die Front nach außen hin für uns absolut definiert. Es ist kein Kampf zwischen zwei Sängern, sondern der Wunsch, der in Erfüllung geht, dass es wieder das Karussell ist, wie man es aus der Kultzeit von damals noch kennt. Es wird dadurch deutlich, dass es wie in der Anfangszeit zwei Sänger und eine gleichberechtigte Band gibt, die miteinander Musik machen, und nicht wie später, wo ein Sänger im Vordergrund stand und im Hintergrund eine Begleitband.
Ihr seid zwei sehr unterschiedliche Sänger und Du sagst, es war Euer Wunsch, dass diese Konstellation wieder bei Karussell in Erscheinung tritt. Das bietet Euch auch für die Zukunft einige Möglichkeiten mehr. Werdet Ihr speziell auf diesen Vorteil bauen oder bleibt die Musik der wichtigste Teil bei KARUSSELL?
Die Musik wird natürlich der wichtigste Teil bei Karussell bleiben. Aber der Vorteil mit den zwei Sängern ist genauso wichtig. Dadurch, dass es zwei Stimmen sind, haben wir eine sehr große Vielfarbigkeit in unserer Musik. Es sind andere Songs und andere Stilistiken. Du hast sicher gehört, dass meine Songs ein bisschen anders sind als die, die Oschek singt. Aber gerade dieser Kontrast zwischen Alt und Jung wird vom Publikum sehr gut wahrgenommen und auch sehr gern angenommen. Gerade wenn Familien mit Kindern kommen, die mögen das besonders. Eigentlich ist Karussell schon eine so alte Band, und trotzdem habe ich immer wieder das Gefühl, dass ich sie mit meiner Energie anstecken kann. Auch Oschek sagt das: Wir profitieren unheimlich voneinander. Ich fühle mich neben ihm sausicher, weil ich weiß, er steht neben mir an meiner Seite. Er fühlt sich durch mich auch sicherer, denn er moderiert nicht so gerne (weil er lieber singt). Ausserdem ist es nicht so stressig wenn man abwechselnd singt. Darum sind wir für einander wie geschaffen und auch unheimlich wichtig für einander.
Bei der neuen Scheibe hätte es ja jetzt auch die Gelegenheit gegeben, dass Dein alter Herr nicht nur im Background, sondern auch als Solist mal in Erscheinung tritt. Hat er sich nicht getraut oder ist das eine Überraschung, die Ihr für eine der nächsten Produktionen noch zurückgehalten habt?
Nein, das gab's noch nie!
Ich weiß, aber vielleicht mal für die Zukunft?
Er ist nicht der Solosänger, sondern die markante "Würz-Stimme" von Karussell, z.B. die hohe Stimme beim Song "Das einzige Leben". Das ist ganz markant Wolf. Er hat ganz vielen Songs damit das gewisse Etwas verliehen, z.B. auch "Habse(e)ligkeiten". Aber wenn Du die Stimme einzeln im Studio hörst, dann friert's Dich weg (lacht). Er klingt alleine - ich sag es mal vorsichtig - lustig, aber wenn man ihn dazu mischt, dann funktioniert das ausgezeichnet. Darum ist ein Stück mit Wolf als Solosänger nicht geplant. Ganz im Gegenteil...
Nun machen viele Musiker und Bands eine Platte und gehen dann auf eine Tournee. Ihr spielt das ganze Jahr immer wieder und ohne Pause. Eine eigene Tour zum Album wird es demnach wohl nicht geben?
Also erstmal nicht. Wir haben unsere Sommer-Tour, bei der wir ganz viele Konzerte spielen, auch wieder in Verbindung mit "Regenbogen" wie im letzten Jahr. Wir nutzen diese Tour, um das Album mit zu promoten. An dem Punkt für eine eigene Tour sind wir noch nicht. Erstmal müssen die Songs laufen. Wir versuchen erstmal, sie ins Radio zu bekommen, und erst dann wird die eigentliche Promotion losgehen. Wenn man dabei merkt, dass das greift, kann man eine eigene Album-Tournee planen, die sich dem Motto entsprechend dann auch "Loslassen" nenne würde. Wenn wir jetzt losziehen und sagen, wir gehen jetzt auf "Loslassen-Tour" und präsentieren da ausschließlich unser neues Album, kommen pro Konzert vielleicht 30 Leute (lacht)...
Naja, dann muss es aber schon ganz doof laufen... Gibt's denn schon andere Termine? Wird die CD vielleicht sogar im TV vorgestellt?
Ja, da gibt es schon Anfragen und Ansätze, aber da kann und möchte ich noch nicht allzu viel verraten. Ich möchte uns nicht unglaubwürdig machen, weil das alles noch in der Entstehung ist. Aber es sind ein paar interessante Sachen dabei, wo wir - wenn es klappt - uns und unsere Platte vorstellen können. Wir haben dafür jetzt auch eine tolle Verbündete an unserer Seite, das ist Veronika Jarzombek. Die kennt man vielleicht noch als Managerin von Yvonne Catterfeld. Ihr hat die Sängerin einen Teil ihres Erfolgs zu verdanken. Das ist eine ganz starke Frau und tolle Managerin - sehr hartnäckig und immer im Einsatz.
Dann habe ich noch zwei Leserfragen, die ich an dieser Stelle stellen möchte. Ein Leser möchte wissen, wann genau bei Euch der Entschluss gereift ist, KARUSSELL wiederzubeleben, und wessen Idee das war...
Das war tatsächlich eine Aneinanderreihung von guten Zufällen. Ich bin ein Mensch, der nicht an Schicksal oder Vorhersehung glaubt, aber in dieser Zeit hat sich vieles getan, das für die Sache förderlich war. Ich selbst habe schon immer irgendwie Musik gemacht. Ich hatte eine Klavierausbildung mit Harmonielehre, habe viel geprobt, kann aber nicht vom Blatt spielen, sondern habe mich damit immer nur beschäftigt. So kam ich zur Musik. Später habe ich Schlagzeug in mehreren Bands gespielt, habe angefangen, Gitarre zu lernen. Ich habe mich eigentlich mit allem, was irgendwie einen Klang von sich gibt, beschäftigt. Als ich dann fit war und spielen konnte - so mit 15 oder 16 Jahren - habe ich zu meinem Vater gesagt: "Mensch, lass uns doch ein bisschen was zusammen machen!" Karussell fand ich schon immer interessant und habe mich bereits in meiner Kindheit damit beschäftigt. Für Freunde haben wir bei uns im Hotel immer wieder mal Karussell-Songs gespielt. Mein Vater Piano, ich habe Mundharmonika gespielt und die Lieder von Cäsar gesungen. Das hat uns große Freude gemacht und das war auch etwas, das wir gemeinsam machen konnten. Das war ein tolles Hobby für Vater und Sohn. Es ging dabei auch darum, dass man etwas macht, was man gerne zusammen macht - rein freundschaftlich und nicht nur wie Vater und Sohn. Wir konnten dadurch auch ein Stück Zeit nachholen, denn er war in meiner Kindheit und frühen Jugend so gut wie nie zu Hause. Dadurch hatten wir so gut wie nix voneinander. Dieses gemeinsame Spielen machte im Laufe der Zeit langsam die Runde. Im Jahre 2007 bekamen wir dann eine Einladung von Freunden, die einen Unternehmerverbandstag in der Leipziger Moritzbastei planten. Das sollte eine geschlossene Veranstaltung mit 250 VIPs werden. Wir wurden gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, als Vater und Sohn unter dem Namen Karussell Songs zu spielen, und wir haben zugesagt. Bis zu diesem Auftritt hatten wir noch sechs Wochen Zeit, und genau vier Wochen vor dem Auftritt rief Oschek an. Das ist jetzt wirklich keine erfundene Geschichte: Nachts um 2:00 Uhr klingelte bei uns im Hotel das Telefon und Oschek war dran. Er erzählte, dass er gerade bei einer guten Flasche Rotwein zu Hause säße und dabei die alten Platten von Karussell wieder hervorgekramt hätte. Er sagte: "Das war eine tolle Band und eine so schöne Zeit. Es tut mir fast schon weh! Ich hätte ganz doll Lust darauf, wieder mit Karussell zu arbeiten." Darauf antwortete ihm Wolf: "Du wirst lachen, es gibt in dieser Richtung sogar schon eine Anfrage und wir sind zu zweit für einen Auftritt eingeladen. Bring Deine Gitarre mit, lass uns ein bisschen proben und wir spielen zu dritt." Und so kam es auch. Wir haben geprobt, sind dann zu dritt zu diesem Unternehmertag gefahren und haben gespielt. Am nächsten Tag stand in der Zeitung: "Karussell gibt Comeback! Alter Sänger wieder dabei..." Da war mir klar, dass wir ab diesem Punkt nicht mehr zurück können. Entweder wir lassen das ganz und treten auch nicht mehr zu dritt auf, oder wir machen es richtig. Und so kam es dazu, dass Karussell wieder aktiv an den Start ging.
Ein anderer Leser möchte wissen, nach welchen Kriterien die Gruppe für die Reunion zusammengestellt wurde, und ob auch andere ehemalige Musiker gefragt wurden, ob sie Lust und Zeit für einen Neubeginn hätten?
Dirk Michaelis wurde 1994 das letzte Mal gefragt. Da hat er gesagt, dass er mit Karussell nie wieder etwas zu tun haben möchte. Darum kam für uns auch nicht in Frage, noch einmal bei ihm nachzufragen. Er hat sich ja inzwischen auch sehr liebevoll und mühevoll seinen Status als Solist selbst erarbeitet. Dan Lucas alias Lutz Salzwedel kam auch nicht in Frage. Die Gründe sind bekannt. Cäsar kam auch nicht mehr in Frage, auch wenn wir in der Phase, wo er so krank war, oft darüber gesprochen haben, ob man dann nicht nach seiner Gesundung eine Super-Symbiose macht. In dieser Vorstellung hätte ich dann " nur" Keyboard gespielt und ein paar Lieder gesungen, aber es wäre für mich eine sehr große Erfüllung gewesen, mit Cäsar gemeinsam auf einer Bühne zu stehen und zusammen Musik zu machen. Er und Oschek sind die Helden meiner Kindheit, weil ich mit diesen ersten drei Platten unheimlich viel verbinden konnte. Damit waren die Sänger fast alle durch. Larry B. ist inzwischen bei der Stern-Combo Meißen und kam auch nicht in Frage. Hinzu kam, dass das "Sonnenfeuer"-Album, auf dem Larry gesungen hat, nicht ganz Karussell war. Das wissen die Insider auch...
Trotzdem ist das eine sehr gute Platte...
Ja, stimmt, es hat auch nicht an Larry B. gelegen. Aber trotzdem waren die Songs ganz anders als das, was man von Karussell kennt. Das ist in der Nachwendezeit leider auch komplett untergegangen. Keiner hatte Bock auf Ostrock, keiner hatte Bock auf deutsche Musik und deshalb ist das auch schief gegangen. Aber um auf die eigentliche Frage zurück zu kommen: Für uns war wichtig, dass die gemeinsame Arbeit mit Karussell Spaß machen muss und man sich da nur mit Leuten zusammentun sollte, mit denen das auch gelingen würde. Wir haben auch darauf geachtet, dass Karussell ein regionales Produkt bleibt. Es bringt uns nichts, wenn jemand in Berlin wohnt und geil Gitarre spielt, aber zu den Proben immer fahren muss. Alles nur Hetze und Wahnsinn - das bringt nichts. So kam z.B. Hans Graf zu Karussell. Er ist eine Gitarren-Koryphäe, die im Leben nicht wirklich zum Einsatz gekommen ist. Er hat zwar bei der Gruppe GRAF gespielt, ist aber eigentlich sein Leben lang Gitarren-Lehrer gewesen - er gibt bis heute Unterricht. Er ist der Gitarren-Gott, den man sich in unseren Gefilden vorstellen kann. Jan Kirsten als Bassist lag nahe, denn er hat seit Ende der 80er bei Karussell gespielt und für die Band auch einige Lieder geschrieben. Er hat sich über das Comeback von Karussell sehr gefreut, und kam für die Position am Bass auch nur als einziger in Frage. Und Jan empfahl uns für die Position am Schlagzeug Benno Jähnert. Jan erzählte, dass Benno ein ganz lieber Kollege ist, der sich förmlich den Hintern für das aufreißt, wo er aktiv mitwirkt, und der schön geradeaus spielt. Das war für uns eine Prämisse, dass wir keinen Trommler haben, der alles kaputt trommelt. Man hört das auch auf der CD sehr gut, dass Benno mit Breaks und anderem Zeugs sehr sparsam umgegangen ist. Wir wollten von Anfang an, dass es läuft und groovt, und dass die Songs nicht zerkloppt werden. Das war der Grund, warum Benno zu uns kam, und er macht einen fantastischen Job.
Die letzte Leserfrage: Wo sehen die Musiker die größten Unterschiede zwischen KARUSSELL heute und - sagen wir mal - KARUSSELL 1980 mit Cäsar?
Punkt 1 ist, dass Cäsar nicht mehr dabei ist. Das ist der größte Unterschied! Punkt 2 ist der neue, dicke Sound. Ansonsten sehe ich persönlich da keine großen Unterschiede. Karussell heute ist wie Karussell früher eine Band mit wertvoller Lyrik in Verbindung mit diesen bekannten, schönen und eingängigen Melodien. Wir sind eine Band mit zwei Sängern, die gemeinsam miteinander Musik macht. Das war für mich auch der markante Punkt auf den ersten drei Alben, darum ist heute - außer dass Cäsar nicht mehr dabei ist und Kurt nicht mehr für uns schreiben kann - kein großer Unterschied zu früher.
Hast Du einen Lieblingssong auf der neuen Scheibe?
Ja, ich habe sogar mehrere. Von meinen eigenen Kompositionen, sofern man das als Künstler überhaupt sagen darf, sind es "Loslassen", "Oben sein?" und "Rettet unsere Nacht". Diese Songs singe ich auch sehr gerne und für mich ist es das größte, damit eigene Lieder erschaffen zu haben. Von den Oschek-Songs sind es "Deine Farben", "Keine Zeit" und "Lied für Euch", die ich sehr mag. "Lied für Euch" ist z.B. total authentisch und es beschreibt auch sein Leben. Ich mag diesen Song deshalb so gerne, weil er seinen Werdegang beschreibt, seine Verbindung mit einer Zeit, die plötzlich umgebrochen ist und natürlich, dass er die Leute damit direkt anspricht. Wir haben das in Leipzig zum ersten Mal gespielt. Er singt in dem Lied: "Und wenn die Lieder Euch gut tun, dann gebt uns Euer ja", und da haben in Leipzig Tausend Leute "Ja" geschrieh'n. Das war schon sehr bewegend.
Was wünscht Ihr Euch für dieses Album?
Ganz ehrlich? Wir wünschen uns damit natürlich auch Erfolg. Es ist für mich keine Schande, das zu sagen. Es heißt ja immer, man rennt dem Kommerz oder diesem Erfolg hinterher, oder vielleicht auch dem Geld. Es ist aber einfach so, dass man gerne mit den Liedern auch Menschen erreichen möchte. Man möchte gerne vor vielen Menschen spielen, denen das gefällt und diese Lieder präsentieren. Ich wünsche mir, dass neue Fans dazu kommen, dass es mehr werden und dass man, wenn man ein Karussell-Plakat auf der Straße sieht, sagt: "Ok, das ist kein alter Hut, sondern das sind die Songs, die gerade laufen. Da sind zwei dabei, die mir gut gefallen, deshalb gehe ich zu dem Konzert."
Ich nenne Dir jetzt ein paar Stichwörter. Bitte antworte darauf spontan und maximal in 2 Sätzen, was Dir dazu einfällt...
Ostrock in Klassik:
Neee.... (längeres Schweigen) mehr fällt mir dazu nicht ein (lacht).
10. Februar 2008 in Grimma:
Das war unser Konzertstart nach dem Comeback.
Naunhof:
Unser Zuhause.
Takayo:
Die Band von Jan Kirsten mit Uli Schrödter an der Geige.
meine erste Platte/CD:
Die war von den Fantastischen Vier und hieß "Jetzt geht's ab". Das war das erste Album, das die veröffentlicht haben.
Kurz vor Schluss noch eine Frage, die mir als im Westen des Landes wohnhafter Beobachter gekommen ist. Euer Fanclub hält bei Konzerten zum Song "Autostop" immer diese selbstgemachten Pappschilder mit Ortsnamen hoch. Darauf sind ausschließlich Orte aus den östlichen Bundesländern zu lesen. Wär doch nicht schlecht, wenn der Daumen - insbesondere jetzt mit der neuen CD - auch mal in Richtung Westen rausgehalten würde, oder?
Ja, absolut! Das liegt aber nicht daran, dass das irgendwie geplant ist, sondern dass die Mitglieder unseres Fanclubs tatsächlich alles Leute aus dem Osten sind. Jedes Fanclub-Mitglied zeigt das Schild mit dem Ortsnamen hoch, woher es kommt. Der Song "Autostop" hat bei Konzerten zwar auch im Westen gut funktioniert, aber da kennen uns leider noch zu wenig Leute. Das liegt daran, dass wir da noch zu wenig gespielt haben. Man muss da auch ehrlich sein... Wir sind hier im Osten bekannt und haben hier Geschichte geschrieben. Hier ist der Großteil unserer Fans. Aber es gibt auch Fans im Westen - so ist das ja nicht. Wir hatten z.B. ein Erlebnis bei einem Konzert im Westen: Da war ein Besucher im Publikum, der das Lied "Schlaraffenberg" mitsang. Das Lied war bekanntlich ja kein Hit von Karussell, sondern nur ein Albumtitel, und dazu kam, dass wir im Westen spielten. Das hat mich total gewundert. Es gibt also auch Leute im Westen, die von uns etwas mitbekommen haben, uns kennen, und die vielleicht auch schon zu DDR-Zeiten unsere Platten hatten.
Es gab ja auch im Westen eine LP-Pressung von Karussell auf Pool/Teldec...
Ja, stimmt. Die hat ja inzwischen auch einen nicht geringen Wert. Selbst wir rennen dieser Platte hinterher, weil sie hier noch fehlt. Die hätten wir gerne in unserem Archiv.
Aber um nochmal darauf zurück zu kommen: Ihr hättet also nichts dagegen, auch im Westen bekannter zu werden?! Gibt es denn da schon Strategien oder Ideen, wie das erreicht werden kann?
Ja, also ein wichtiger Punkt ist, dass es in Zukunft vertraglich so geregelt sein wird, dass der, der uns bucht und ein Konzert mit uns bewirbt, auf keinen Fall die Worte "Ostrock", "Ostmusik" oder "DDR" für die Werbung verwenden darf. Das ist Strategie Nr. 1. Es geht nicht darum, dass man seine Vergangenheit leugnet - um Gottes Willen! Darum geht's nicht! Es ist aber so, dass man, wenn man diese Worte liest, sie sofort und automatisch mit einer alten Band verbindet. Das ist nicht gut und es liest sich auch nicht gut. Die westdeutschen Bürger haben Probleme mit diesen Worten. Ich bin auch der Meinung, dass das so lange vergangen ist. Wir leben im Jetzt und Hier, und da sind wir uns auf jeden Fall alle einig. Wer Karussell und die Vergangenheit kennt, OK... Aber wer die Band noch nicht kennt, sollte sie völlig unbefangen kennenlernen. Da muss strategisch halt etwas verändert werden. Darum habe ich mich auch über die CD-Rezension von Andreas Hähle auf www.deutsche-mugge.de riesig gefreut, als er in der Analyse des Produkts geschrieben hat: "...es handelt sich hier um eine gesamtdeutsche Band." Es ist ja nicht so, dass die Songs auf die Vergangenheit unmittelbar bezogen sind oder dass man Probleme aus dieser Zeit aufgreift, sondern sie sind rundherum allgemein geschrieben und allgemein menschlich. Deswegen sollte auf diese Begriffe bei der Bewerbung und Beschreibung unserer Band auch möglichst verzichtet werden, denn sie machen den Zustrom von neuen Zuhörern praktisch unmöglich.
Damit sind wir schon am Ende. Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Hört Deutsche Musik und gönnt sie Euch auf dem besten Medium das Ihr finden könnt (was mp3 schon mal ausschliessen sollte)
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Pressematerial KARUSSELL, Archiv Deutsche Mugge