Georgi "Joro" Gogow


Dass Kreativität ein Kuss der

Muse ist, ist eher die Ausnahme...

 


000 20130104 1319480855Deutschland hat unheimlich viele und sehr gute Musiker. Darunter gibt es welche, die an einem Instrument perfekt sind und solche, die gleich mehrere Instrumente hervorragend beherrschen. Einer der Künstler, der gleich mehr als nur einem Instrument Leben einhauchen kann, ist Georgi "Joro" Gogow. Sein Geigenspiel hat der Berliner Band CITY ein unverwechselbares Gesicht verliehen, und er ist deshalb auch ein wichtiger und nicht mehr wegzudenkender Bestandteil dieser Formation. Neben Mani Neumann (Farfarello) und Atilla Radna (Larkin) halte ich ihn für den besten Geiger des Landes und obendrein für einen virtuosen Bassisten. Auch abseits der CITY-Pfade machte Gogow eine gute Figur. Er war Schöpfer und treibende Kraft der Gruppe NO55, die in den 80ern mit zwei Alben und zahlreichen Live-Konzerten ein begeistertes Publikum hinter sich hatte. Er ist ebenfalls geistiger Vater und Gründer des Projekts "Der Wilde Garten" und verlieh nicht selten dem Putensen Beat Ensemble ein fundiertes Rhythmus-Gerüst. Der in Bulgarien geborene Musiker kam vor über vier Jahrzehnten nach Deutschland, um hier seiner Leidenschaft, der Rockmusik, nachgehen zu können. In den vielen Jahren danach hat er an vielen Orten und diversen Stationen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es steht in den nächsten Monaten viel an im Hause Gogow. Im kommenden Jahr feiert seine Band "CITY" den 40. Geburtstag. Aber auch in Sachen Projekte gibt es Neuigkeiten. Über ihn als Musiker, seine Herkunft, seine musikalischen Vorlieben und die Neuigkeiten bei seinen Bands und Projekten plauderten wir mit "Joro" sehr ausführlich.
 

 

Im November bist Du beim Künstlertreffen mit dem Projekt "Cup Of Soul" aufgetreten. Was hat es mit der Band auf sich? Wie ist sie entstanden und was macht ihr?
Was genau wir machen, sagt schon der Name: "Eine Tasse voller Seele", wenn man es wortwörtlich übersetzt. Die Idee ist aus dem "Wilden Garten" heraus entstanden, genauer durch Frl. Bloom, die ein Faible für nordamerikanische und irische Folklore hat. Sie ist ein richtiger Tausendsassa, bei dem man nie genau weiß, was im nächsten Augenblick kommt. Bei einer Tasse Kaffee fragte sie mich: "Wie findest Du die Idee, Sachen zu machen die jeder kennt, aber keiner spielt?". Ich fragte sie, was genau sie meinte und sie sagte, dass sie Sachen aus dem Motown-Repertoire, also Stücke, die alle kennen, z.B. von Marvin Gaye, Diana Ross, Stevie Wonder, Michael Jackson oder von den Jackson Five, spielen wolle. Es sollten Stücke sein, die zum großen Teil von Männern interpretiert wurden. Die Idee hat mich sofort interessiert. Den Gedanken haben wir dann weiter verfolgt, ein kleines Programm erstellt und das war dann die Premiere.
 
 
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Eine bunte Truppe, u.a. mit Andy Wieczorek von Gundermanns Seilschaft und Polkaholix, Klaus Wehrmann von Tutti Paletti und über Fräulein Bloom vom Wilden Garten haben wir ja gerade gesprochen. Wie haben sich all diese unterschiedlichen Musiker gefunden?
Also Andy und ich kennen uns schon sehr lange. Zuletzt haben wir auch sehr oft bei Thomas Putensens Beat Ensemble zusammen musiziert. Außerdem wohnen wir im gleichen Bezirk von Berlin, im Prenzlauer Berg, und begegnen uns daher regelmäßig auf der Straße oder treffen uns bei irgendwelchen Events. Man kennt sich also mehr als nur flüchtig. Andy war sofort interessiert und wollte mitmachen, allerdings unter der Voraussetzung, dass er Bass spielen kann. Ich sagte: "Bitte schön, dann spielst Du Bass und ich Gitarre." (lacht) Er brachte dann auch Klaus Wehrmann ins Spiel. Alexa Feser habe ich durch die Allstar-Band bei "Ostrock in Klassik" kennengelernt. Die beiden Frauen ergänzen sich wunderbar. Die eine singt soulig und jazzig, die andere rockig und rotzig.

 

Was plant Ihr für die Zukunft, wohin soll es mit Cup Of Soul gehen? Ist das ein Nebenprojekt oder soll es intensiver verfolgt werden?
Etwas Größeres planen wir da im Augenblick eher nicht. Es soll auf jeden Fall erstmal ein Nebenprojekt bleiben. Solche Projekte leben immer von der Energie, die jeder einzelne Musiker mit einbringt. Das ist nicht wie bei einer Band, wo man sagt, da ist das Herz, da ist der Motor und da das Hirn. Bei so einem Projekt muss sich jeder einzelne zu gleichen Teilen einbringen. Die Mitwirkenden sorgen dafür, dass es lebendig ist und bleibt.

 

Der Name "Der Wilde Garten" ist jetzt schon zweimal gefallen: Da erschien im Februar eine Zusammenstellung auf CD, nämlich ein Querschnitt aus den ersten beiden Alben. Wird es in naher Zukunft auch neues Material vom Wilden Garten geben?
Wir sind mit "Der Wilde Garten" im Augenblick im Studio und basteln an neuen Sachen.

 

Wer gehört heute zum "Wilden Garten"?
Alles "unbekanntes Gehölz". Ich kenne sie alle, aber sie gehören nicht zur bekannten Szene.

 

Also Matthias Lauschus ist nicht mehr dabei?
Leider, leider nicht! Die großartigen Musiker der ersten und zweiten Stunde sind alle über und über beschäftigt mit anderen Projekten. Das ist die Tragödie, wenn man so viele gute Musiker kennt... (lacht). Man kann nur selten mit ihnen zusammen Musik machen. Matthias ist in der Theater-Szene sehr gefragt und viel beschäftigt. Ich glaube, dass er bei den "Disteln" inzwischen sogar Musikdirektor geworden ist. Er ist dort für alle Programme verantwortlich. Da bleibt für andere Sachen wenig Zeit.

 

Jetzt haben wir über aktuelle Dinge gesprochen, nun wollen wir aber mal über Dich sprechen. Du bist in Bulgarien geboren und hast dort auch eine musikalische Ausbildung genossen. Du hast Violine studiert, stimmt das?
Studiert nicht, aber ich habe ein Musik-Gymnasium besucht.

 

Du bist dann im Jahre 1971 nach Berlin gekommen. Wie kam es dazu, dass Du aus Deiner Heimat weggezogen bist und Dich in der DDR niedergelassen hast?
Dass es Deutschland wurde, war erstmal nicht geplant. Es war damals so, dass wir in Bulgarien eine sehr lebendige, zwar weniger rockorientierte, dafür aber im Tanzmusikbereich, sehr starke Musikszene hatten. Es gab hier aber große Defizite, weil diverse Musiker ausgereist sind. Die meisten wollten eben nicht in einer Bar oder in Tanz-Cafés spielen, sondern sie wollten Rockmusik und eine konzertante Karriere machen. Es gab auch Defizite im Nachwuchsbereich. Die bulgarische Künstleragentur und die ostdeutsche Künstleragentur haben dann eine Vereinbarung getroffen, dass die bulgarischen Musiker in der DDR spielen durften. Im Zuge dieser Vereinbarung haben dann Tausende von bulgarischen Musikern in der DDR gespielt, ich bin als Aushilfe für einen kranken Kollegen gekommen und später hier hängengeblieben.

 

Deine erste musikalische Station war von 1972 bis 1973 die Gruppe "Nomen est Omen"...
Richtig!

 

Wer spielte in dieser Band, und wie bist Du dazu gekommen?
Ich habe diese Band mit einem anderen bulgarischen Kollegen zusammen gegründet, den ich neulich erst auf Mallorca besucht habe. Er betreibt dort heute eine eigene Musikschule: Der Gitarrist Milko Savow, der auch aus der bulgarischen Tanzszene kam und der sehr gut gesungen hat. Er war ein richtiger Rocker. Er hat Gitarre gespielt, ich habe Bass gespielt. Außerdem gab es noch zwei weitere Bulgaren an Schlagzeug und Keyboard, und die Bläsertruppe bestand aus "Meso" Sapunov an der Trompete, der zeitweilig auch bei den Alexanders und - wenn mich nicht alles täuscht - auch bei Klaus Lenz gespielt hat, Tchernju Kirtchev am Saxophon, sowie aus Rolf Reimann und Günter Weber, ebenfalls zwei Bläsern. Wir haben damals - wie viele andere Bands auch - internationale Hits nachgespielt, wie z.B. Blood Sweat & Tears und Chicago. Das ging ein Jahr lang, dann sind die Bulgaren aus der Band komplett in den Westen gegangen und die Gruppe löste sich auf. Ich habe mich aber dazu entschlossen, hier zu bleiben und an meiner Karriere zu basteln, die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht sichtbar war.

 

Gibt es Tondokumente von der Band?
Nein, damals wurden keine Aufnahmen gemacht. Wir haben mit der Band die Republik munter rauf und runter bereist und - was auch viele andere Bands gemacht haben - nur live gespielt. Meine ersten Plattenaufnahmen hatte ich später erst bei CITY.

 

City war Deine nächste Station: Du bist 1974 eingestiegen. Wie kam es dazu?
Wir waren mit "Nomen est omen" auf Tour, und ich glaube in Plauen kreuzten sich die Wege von Emil Bogdanow und mir. Damals war er Sänger der Gruppe Prinzip, die ebenfalls dort spielte. So haben wir uns kennengelernt. Als sich "Nomen est omen" etwas später auflöste, hatte ich viel Freizeit, weil ich erstmal keine andere Band hatte. Irgendwann hat mich Emil dann besucht und gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm und zwei anderen Typen zusammen Musik zu machen. Einer der anderen Musiker unterrichtete damals an der Musikschule Friedrichshain und der andere war ein Jazzer. Der eine war Fritz Puppel und der andere Klaus Selmke, der damals eine John Lennon-Brille trug und einen langen Bart hatte. Die erste Besetzung von CITY hatte sich gerade aufgelöst, und Fritz und Klaus suchten deshalb nach neuen Kollegen. Jedenfalls erzählte mir Emil davon und fragte mich, ob wir das nicht zusammen machen wollen. Und so sind Emil und ich bei CITY eingestiegen.

 

Gekommen bist Du als Bassist, hast dann aber die Violine bei CITY eingeführt. Wie kam es dazu, dass Ihr bei CITY dieses damals noch in der Rockmusik eher ungewöhnliche Instrument mit eingebaut habt?
Die Violine war eigentlich nicht geplant. Wir hatten bei CITY damals eine klassische Hardrock-Besetzung mit Sänger, Gitarre, Bass und Schlagzeug. In dieser Besetzung haben wir bei Tanzveranstaltungen gespielt. Diese Veranstaltungen waren immer in Blöcke aufgeteilt. Das waren meistens fünf Blöcke a 45 Minuten und dazwischen jedesmal eine Pause. Über eine so lange Zeit war der Sound dann irgendwann ziemlich ermüdend. Dabei stellte Emil auch fest, dass bei unserer Musik die Frauen nicht nach vorne kamen. Uns stellte sich also die Frage, wie wir die Frauen vor die Bühne bekommen würden (lacht). Wir begannen damit, uns Gedanken zu machen und unser Programm durch mildere Töne etwas aufzulockern. Emil spielte z.B. auf seiner Akustik-Gitarre Lieder von Simon & Garfunkel oder Joan Baez, also die etwas folkloristisch angehauchten Rocknummern, und siehe da, ganz plötzlich waren die Frauen vor der Bühne. Aus dieser Entwicklung heraus setzte sich immer weiter die Überlegung fest, dass wir diese Runde ausbauen sollten. Es stand die Frage im Raum, wer noch andere Instrumente außer Bass und Gitarre spielen kann. Ich sagte daraufhin ganz leise in die Runde, dass ich ein bisschen Geige spielen könne. Zuerst haben mich die Kollegen ein bisschen belächelt und nicht ernst genommen. Sie haben mir offenbar nicht geglaubt, aber irgendwas muss sie dann doch haben unruhig werden lassen. Klaus kam zwei oder drei Wochen später jedenfalls mit einer Geige zur Bandprobe. Auf ihr waren nur drei Saiten, aber ein Geigenbogen im Kasten. Ich habe sie dann gestimmt und gespielt. Anschließend gab's großes Staunen (lacht).



006 20130104 1164847553Du hast sehr starken Einfluss auf die Musik genommen. Titel wie z.B. "Am Fenster", "Bulgarien Rock", "Der King vom Prenzlauer Berg" oder "Nachts um halb Eins" stammen aus Deiner Feder. Hattest Du kompositorische Vorkenntnisse, oder wie bist Du ans Komponieren von Songs geraten?
Kompositorische Vorkenntnisse hatte ich eher nicht, aber ich habe meine Zeit in Bulgarien schon dazu genutzt, meine kompositorischen Alleingänge zu machen. Meine ersten Versuche waren stark von den Beatles und anderen westlichen Rockbands beeinflusst. Das war bei vielen Musikern so, jedenfalls bei denen aus meiner Generation. Ich habe mein Handwerk bei bedeutend älteren Kollegen erlernt, aber die Vorliebe für Rockmusik war aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Ich bin dann aber nicht ausgereist, um die ganz große Karriere in England oder Amerika zu machen - ich glaube auch nicht, dass das Schicksal mir dieses Glück geschenkt hätte, wäre ich nach England gegangen. Jedenfalls habe ich bereits während meiner Armeezeit - und auch schon davor - erste kompositorische Versuche gestartet. Dabei entstanden diverse Gerüste von Songs. Das wurde aber damals nicht weiter verfolgt, da in meiner Umgebung niemand sonst komponiert hat. Die Musiker haben damals eher die großen Evergreens und internationalen Hits nachgespielt, also das Repertoire einer bulgarischen Band bestand hauptsächlich aus Songs anderer Bands und Sänger. Als ich in die DDR ausgereist bin, gab es in Bulgarien eine einzige Band, die Rockmusik und eigene Sachen machte, das war die Gruppe "Shturcite" (Die Grillen) - das bulgarische Pendant zu den Puhdys. Ich selbst hatte schon 1963 meine erste Rockband mit Studenten der Ökonomie-Fakultät gegründet. Damals gab es weit und breit gar keine anderen Rockbands, weder "Shturcite" noch sonst eine andere Gruppe. Ich behaupte jetzt mal frech, dass ich die erste Rockband Bulgariens gegründet habe (lacht).

 

Bleiben wir mal bei "Am Fenster". Das ist ein Song, der sofort genannt wird, wenn jemand nach CITY gefragt wird. Wie ist das Lied entstanden? Gab es zuerst den Text von Hildegard Maria Rauchfuß oder gab es zuerst Deine Komposition?
Emil brachte damals einen Gedichteband von Frau Rauchfuß mit zur Bandprobe. Darin war explizit der Text "Am Fenster" angekreuzt. Auf das genaue Datum der Entstehung von "Am Fenster" können wir uns bis heute nicht einigen, aber wir sind uns alle darin einig, dass die Entstehung von "Am Fenster" unmittelbar mit der Einführung der Geige bei CITY in Zusammenhang gebracht werden muss. Wir suchten damals immer nach Texten. Emil hatte "Die Frau des Seiltänzers" und "Der Spatz" schon getextet, die ersten Versuche waren also schon da - keine Frage. Das war der Moment in dem wir gemerkt haben, dass unser Weg nur eigene Musik und eigene Texte sein kann. Wir wollten uns ein eigenes Profil suchen um aus der Masse herauszustechen. Bei uns war das Hardrock mit melodischem Einschlag. Das balladeske war eher nicht geplant! Das entstand erst in der Phase, in der wir die Geige mit ins Instrumentarium aufgenommen haben. Möglicherweise war das sogar mit dem ersten Geigenstrich geschehen.

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Wann war das genau, dass Klaus die Geige mitbrachte und Du sie "salonfähig" machtest?
Das war 1974. Live zum Einsatz kam sie auch schon, als Emil noch mit dabei war.

 

Wie kann man sich das überhaupt vorstellen? Wie lief das früher bei CITY: Waren zuerst Deine Kompositionen da und dann kamen die Texte auf die Songs oder umgekehrt?
In der ersten Phase der bandkompositorischen Entwicklung waren immer zuerst die Kompositionen da. Es gab einen Song mit einer klaren Struktur beim Vers, beim Refrain und beim Solo-Teil, und erst dann hat man darauf getextet. Als Toni dann nach einem Jahr Emil ablöste und die zentrale Position in der Band eingenommen hatte, war diese Richtung schon eingeschlagen und es gab kein Zurück mehr. Toni kam von der College Formation und hatte bis zu seinem Einstieg bei CITY noch nicht getextet und auch keine eigenen Kompositionen gemacht. Als er dann bei CITY war, war er mehr oder weniger gezwungen, selbst Texte zu schreiben. Wir hatten noch keinen Kontakt zu professionellen Textern. Die waren damals auch noch nicht so profiliert wie die drei oder vier Texter, die später für alle etablierten Rockbands geschrieben haben. Bei uns sollte der Sänger seine eigenen Texte singen und Toni hatte wirklich sehr gute Ideen. Er hat in seinen Texten sehr gut das reflektiert, was die Jugend damals interessierte. Sogar weit darüber hinaus, denken wir an "Der Tätowierte". Das war damals kein alltägliches Phänomen. Über so ein Thema kann man heute sehr gut singen, wo fast jeder ein Geweih am Rücken hat (lacht).

 

Entstanden ist "Am Fenster" also schon sehr früh, aufgenommen wurde es dann aber erst für die erste Platte, oder?
Nein! Der Song war für die Albumproduktion nicht geplant und auch nicht gewünscht. Wir haben ihn bei AMIGA in der Konzertlänge von 7 Minuten angeboten, incl. Solo. Darunter ging's nicht. AMIGA hat den Titel aber abgelehnt. Erstmal wegen der Länge und zweitens wegen der Geige. Sie waren der Meinung, dass die Geige nicht zur Rockmusik passt. Als wir im Studio den "King vom Prenzlauer Berg" oder "Unheimlich heiß" - ich weiß nicht mehr genau, welches Lied es war - aufgenommen haben, hatten wir hinterher erstaunlicherweise noch ein bisschen Studiozeit übrig. Wir haben bei AMIGA immer 4 Stunden Zeit im Studio bekommen, darüber hinaus ging es nicht. Das war sehr eng bemessen, und in diesen vier Stunden musste man alles aufnehmen, was für diese Aufnahmephase vorgesehen war. Wir hatten bei der Aufnahmephase jedenfalls noch 20 Minuten Restzeit übrig, und ich sagte zu dem damaligen Tonmeister Helmar Federowski, auch bekannt durch seine Arbeit mit Silly und Karat: "Da wir noch Zeit haben, würden wir gerne eins unserer Stücke noch zusätzlich aufnehmen. Nur für uns." Helmar sagte dann: "Das machen wir dann aber nur für den Eigengebrauch. Um Gottes Willen nicht in die Öffentlichkeit bringen. Ich bekomme sonst großen Ärger." Wir haben "Am Fenster" dann also live eingespielt. Als der Song im Kasten war, bin ich noch am gleichen Tag zu Wolfgang Martin gegangen, der damals im Rundfunk die "Beatkiste" gemacht hat, habe ihm das Band in die Hand gedrückt und gesagt: "Spiel das mal." Das hat er dann auch gemacht und hinterher müssen Tausende von Leuten vor den Plattenläden gestanden haben, um die Single zu kaufen, die es nicht gab. So haben wir AMIGA - mehr oder weniger - gezwungen, unsere Aufnahme, die eigentlich ihre war, zu verwenden, um daraus eine Single zu pressen.

 

Du hast jetzt die Geschichte des Songs von der Idee bis zur Plattenveröffentlichung gezeichnet. Als die Platte dann gepresst wurde, war einem da bewusst, dass das Lied ein Riesenhit werden würde?
Nein, das war uns 1974 oder 1975 schon klar. Wenn wir das Lied bei Konzerten gespielt haben, war erstmal Ruhe im Saal. Du musst Dir dabei vorstellen, dass wir immer in einer sehr lauten Atmosphäre gespielt haben. Die Klubs waren voller Menschen, es gab viel Alkohol, es wurde geraucht was das Zeug hielt, die Jugend war laut und hat sich ausgetobt... das waren richtige Höhlen (lacht). Und in diesen Höhlen erklang jetzt etwas, das es vorher noch nicht gab. Wir begannen zu spielen und wir merkten, wie es auf einmal still wurde. Das war nach meiner Erinnerung so die ersten drei oder vier mal, bis wir uns mit "Am Fenster" gefestigt hatten, bis wir dem Lied sozusagen das richtige Gerüst gegeben hatten. Bis dahin gab es erstmal nur Staunen. Die Leute wussten zuerst nicht, gefällt ihnen das oder gefällt ihnen das nicht, denn danach gab es überhaupt keine Reaktion. Es scheint ihnen aber sehr gut gefallen zu haben, denn kurz darauf entwickelte sich Stück für Stück dieser merkwürdige Tanz, bei dem erstmal die Jungs und Männer vorne standen - bei Hardrock-Musik sowieso - und plötzlich nahmen die Männer die Frauen auf die Schultern, damit sie gucken konnten, was da vorne passiert. "Am Fenster" war damals ein Frauensong, keine Frage. Das ist jetzt mein Blick auf die damalige Situation. Aber wir alle merkten damals schon, dass dieser Song etwas Großes werden würde.

 

Die Nummer lief ja auch in Griechenland sehr gut, die war da sogar ein Hit...
"Am Fenster" ist dort immer noch ein Hit. Das ging 1977 los. Zuerst wurde in der DDR unser Album veröffentlicht. Dann kam ein Westverleger namens Schimmelpfennig, der in seinem Verlag "Pool" die komplette Platte übernehmen und veröffentlichen wollte. Nachdem die Platte in der BRD erschienen war, muss es in Griechenland eine Schwarzpressung bei der damaligen CBS-Tochter "Epic" gegeben haben. Als das herauskam, gab es rechtliche Auseinandersetzungen zwischen dem West-Verlag und der Epic, was dazu führte, dass wir nach Griechenland fahren mussten. Wir wurden eingeladen, in Griechenland zu touren, und das war dann der erste große internationale Erfolg für CITY.

 

Gab es von dem Stück eigentlich eine griechische Version?
Von City direkt nicht - jedenfalls nicht zu meiner Zeit. Aber wenn mich nicht alles täuscht, hatte Toni vor zwei oder drei Jahren erzählt, dass ein bekannter griechischer Sänger "Am Fenster" gecovert hat.

 

Auch "Der King vom Prenzlauer Berg" und andere Deiner Songs waren erfolgreich und zählen heute zu den besten und erfolgreichsten Songs von CITY. Welches Deiner Lieder liegt Dir besonders am Herzen? Hat man einen Favoriten oder unterscheidet man bei eigenen Werken nicht?
Diese Frage wird oft gestellt, und wenn ich über so eine Frage stolpere denke ich, dass sie zum Standard gehört und ein stereotyper Blick auf einen Kreativen ist. Dass Kreativität ein Kuss der Muse ist, ist eher die Ausnahme. Die Regel ist, man setzt sich hin, will was schreiben und müht sich ab. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, wenn ich eine Idee habe. Die klimpere ich dann am Klavier oder auf der Gitarre und verfolge sie anschließend weiter. Manchmal gefällt sie mir nicht, dann lasse ich sie liegen. Manche Dinge lasse ich sicher so lange liegen, bis ich nicht mehr da bin. Ich lebe schon lange mit dem Bewusstsein, dass ich weniger als 90 % meiner Ideen verwirklichen werde. Erfolg mit Musik zu haben, ist keine leichte Angelegenheit. Das ist echte Arbeit. Es ist ein ständiger Druck, besser zu sein als andere und sich nicht ständig zu wiederholen, d.h. nach Möglichkeit kein Selbstplagiat zu werden. Das gelingt nur wenigen Leuten. Ich bin jetzt nicht der fleißigste Schreiber, aber auf jeden Fall ist für mich genau dieses Bewusstsein, kein Plagiat seiner selbst zu werden, immer da. Das Bewusstsein, dass ich mich nicht selbst wiederholen möchte. Deshalb habe ich unter all meinen Kompositionen keinen Favoriten. Ich lasse mir alle Türen offen. Ich habe schon mit Klassik, mit Jazz, mit Folklore gearbeitet. Von allen Seiten fließen auf mich Energien ein, auch von anderen Musikern. Ich lerne jeden Tag dazu, auch von jüngeren Kollegen. Das ist ein Prozess, der nie abgeschlossen sein wird. Er hört auch dann nicht auf, wenn man selbst aufhört, technisch tätig zu sein, d.h. als ausführender Musiker. Der Kopf arbeitet weiter. Und wenn ich in einer Periode bin wie jetzt, wo ich in einer Produktion stecke, dann ist der kreative Prozess mit dem Verlassen des Studios auch nicht zu Ende. Die Songs und Ideen laufen weiter im Kopf und ich überlege, wo ich noch etwas verbessern kann, wo ich etwas verändern kann - praktisch wo ich noch Fett abschneiden kann, damit das Filet fettfrei und schmackhaft wird.

 

Du sprachst gerade von Eurer Tournee in Griechenland. Ihr habt vorher aber schon in West-Berlin gespielt und dort Euren ersten "Auslandseinsatz" gehabt, oder?
Das stimmt. Das war 1977 oder 1978, genau weiß ich das jetzt gar nicht. Das kam dadurch, dass Peter Schimmelpfennig, von dem ich vorhin schon erzählte, unsere Platte im Westen veröffentlicht hatte und uns dort auch dem Publikum vorstellen wollte. Es lag nahe, dass das in West-Berlin stattfinden würde, weil dort auch der Verlag seinen Sitz hatte. Deshalb wurde das Kant-Kino angemietet. Das Kant-Kino war ein legendärer Rock-Schuppen, wo viele große Bands schon gespielt hatten, z.B. die Sex Pistols und AC/DC. Das war ein Laden, der nach Rock'n Roll roch. Verglichen mit anderen Klubs, die es damals auch schon gab, war das ein richtiges Drecksloch. Aber trotzdem: Dort zu spielen war unglaublich! Von der Begeisterung des Publikums her hat es sich nicht unterschieden von dem, was wir aus der DDR kannten, so dass wir gesagt haben: Das war ein Heimspiel.

 

CITY war Ende der 70er und Anfang der 80er bereits eine der erfolgreichsten Bands, die - wie wir gerade ja besprochen haben - sogar Auftritte in der BRD und Griechenland hatte. Trotzdem kam es zum Bruch innerhalb der Band. Warum hat man sich von heute auf morgen nicht mehr verstanden, und wie kam es dann 1981 zu Deinem Ausstieg bei CITY?
Dass das von heute auf morgen gekommen ist, wäre vielleicht zu milde ausgedrückt. Wenn sich etwas anschleicht, so dass die zwischenmenschlichen Beziehungen anfangen, nicht mehr als gesund betrachtet zu werden, dann ist das immer ein längerer Prozess. Das waren damals mehrere Faktoren, die jetzt alle zu besprechen wäre müßig. Es gab sehr starke und nicht ausgeräumte Differenzen, die auch in die künstlerische Arbeit mit hinein flossen. Eine Band ist leider etwas sehr sehr kompliziertes. Bei uns war es so, dass, als wir anfingen Erfolg zu haben, sich auch die Tour-Tätigkeiten verdichteten. Das hat uns irgendwann einfach aufgefressen. Wir haben - nur mal als Beispiel - im Jahr 1981 vor der Trennung 200 Mal live gespielt. Heute ist das nur schwer vorstellbar, wie man sowas verkraften kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass, wenn eine Band heute 200 Mal im Jahr spielt, diese in zwei Jahren noch existieren wird. Das war und ist ein Ding der Unmöglichkeit. Dass wir dabei so lange durchgehalten haben, war an sich schon ein Wunder. Es gab dadurch Verschleiß, es gab ungeklärte Probleme und es gab den Gedanken, lieber nichts zu sagen, um niemanden zu verletzten, bis die Dinge irgendwann eskaliert sind. Ich denke, es wäre ohnehin so nicht weitergegangen. Es gab weder bei uns als Band noch beim Management die Erfahrung zu sagen: "An dieser Stelle ist jetzt Schluss, wir machen ein halbes Jahr Pause und machen dann weiter." Man hätte eine Revision machen müssen, eine Pause, um anschließend ausgeruht und im Kopf frei wieder neu durchstarten zu können. Es fehlte die Zeit um zu schauen: "Wo gibt es Defizite? Wie ist der Lagerbestand? Wo sind noch Reserven? Was ist jetzt die Strategie für die Zukunft?" Wir haben zwar auch Strategien entwickelt, aber die waren immer aus dem Erfahrungswert des Jetzt und man hatte keine Pause, um strategisch nachdenken zu können. Es gab natürlich auch unterschiedliche Qualitäten in der Band. Es gab die Denker, es gab die Antreiber, es gab die explosiven Leute und es gab die etwas bedächtigeren Leute. Die ganzen positiven Synergien kippen an einem bestimmten Punkt um und werden zu Unmut. Aus heutiger Sicht kann ich jedem jungen Kollegen nur raten, sich gut vorzubereiten und den Mut zu haben, bei anhaltendem Erfolg rechtzeitig zu sagen: "An dieser Stelle halten wir mal einen Moment und machen eine Pause, damit wir uns neu definieren können." Ein ganz wichtiger Aspekt dabei ist die Erholung voneinander. Das haben wir damals nicht gekonnt bzw. geschafft.

 

no002 20130104 1446301633Gisbert Piatkowski und Du haben dann die Band NO55 gegründet. Mit welchen Zielen habt Ihr die Band gegründet und wie sahen zu Beginn der Arbeit die Erfolgschancen aus, NO55 in die DDR-Musikszene zu etablieren?
Wir hatten gar keine Ziele! Was hätten wir machen sollen? Berufsmusiker machen nunmal Musik. Nach dem Zerwürfnis und meinem Ausstieg bei CITY gab es nicht die Zeit, um lange zu überlegen, ich musste nahtlos von heute auf morgen weitermachen. Nicht nur, weil ich als Berufsmusiker weiter Musik machen musste, sondern weil sich durch meinen Ausstieg auch ein paar soziale Schwerpunkte verschoben haben. Man hatte auch ein bisschen Verantwortung für andere Leute. Es war Familie da, die versorgt werden musste, und es waren Techniker da, die auch mitgegangen sind. Das ging relativ schnell. Ich habe nicht lange überlegt, sondern sofort Musiker gesucht um eine neue Band zu gründen und ohne Pause weiter zu machen. Es war auch eine Erschöpfung da. Man war schon erschöpft, und das ging dann nahtlos weiter bis 1983. Erst '83 kam so ein kleines bisschen Beruhigung rein, wo man sagen konnte, wir gehen die Sachen jetzt etwas ruhiger an.

 

Trotz der Erschöpfung und des Stresses warst Du 1983 neben NO55 auch noch an der AMIGA Blues Band beteiligt...
Das war die Folge. Unser Sänger, Frank Gahler, kam aus der Blues-Szene und er hatte deshalb viele Kontakte. Über ihn kam ich zu dem Projekt. Der Ideengeber zur AMIGA Blues Band war damals - glaube ich - Hansi Biebl, der die organisatorische Leitung später, kurz vor seinem Weggang in die BRD, an Hugo Laartz und mich übergeben hat. Wir sollten die Idee weiter verfolgen, Leute aus der Blues-Szene zusammen trommeln, und so kam es dazu. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist die LP "Not Fade Away".

 

Du hast bis dahin immer überwiegend nur mit Toni Krahl als Texter zusammen gearbeitet. Bei NO55 kam es dann zur Zusammenarbeit mit Werner Karma. War das Deine Idee, Karma als Texter für NO55 zu gewinnen, und wie kann man sich Eure Zusammenarbeit vorstellen?
Naja, wir kannten uns vorher schon. Werner Karma war damals noch kein so bekannter Texter. Erst durch seinen Erfolg mit Silly hat er einen Star-Status erreicht und war in der Rock-Szene sehr geachtet. Man ist sich damals bei verschiedenen Veranstaltungen und Konzerten immer mal wieder begegnet und hat Nettigkeiten ausgetauscht. Irgendwann gab es bei uns die Notwendigkeit, aktuelle und gute Texte von jemandem zu haben, der sein Ohr sehr genau in der nervösen und hysterischen Situation der damaligen DDR hatte, und der vor allem die Kunst beherrschte, Dinge ein kleines bisschen mehr als nur versteckt zwischen den Zeilen anzusprechen und zu formulieren. Werner war - und ist immer noch - ein sehr mutiger Mensch, der diese Ansprüche erfüllte. Für mich kam damals kein anderer in Frage, und wir arbeiten bis heute zusammen. Er hat auch für "Der Wilde Garten" Texte geschrieben. Richtig tolle Sachen - Hits, die noch keiner kennt. Aber bald (lacht).

 

Im Jahre 1982 seid Ihr dann mit Tom Robinson durch die DDR getourt. Wie war das möglich, dass NO55 diese Tour gemeinsam mit dem Briten machen konnte?
Tom Robinson ist bei einem seiner Besuche in West-Berlin auch in die DDR gekommen. Ich glaube das kam durch Olaf Leitner, den damaligen Redakteur beim RIAS. Er und Wolfgang Martin hatten Kontakt, und die haben das eingefädelt. Wir waren wiederum mit Wolfgang Martin relativ eng befreundet, und er rief mich an und sagte: "Ich habe Tom Robinson hier, mit dem ich ein Interview mache. Wollen wir uns nicht mal treffen?" Wir haben uns daraufhin bei uns getroffen, das war eine ganz tolle Atmosphäre und Tom ein ganz toller Typ. An diesem Abend ist dann die Idee entstanden, eine gemeinsame Tournee zu machen. Und das ging dann Schlag auf Schlag. Von dieser Tournee existiert eine sehr sehr gute Aufnahme aus dem "Astra-Kino" in Johannisthal - bisher unveröffentlicht.

 

Es gab insgesamt zwei äußerst bemerkenswerte Alben und zwei Singles von NO55. Irgendwann in der Wendezeit hat sich die Gruppe dann aufgelöst. Was waren die Gründe dafür und wann genau habt Ihr Euch getrennt?
Wir haben uns gar nicht richtig getrennt! Ich muss dazu sagen, dass NO55 in Skandinavien sehr erfolgreich war. Wir haben z.B. in Dänemark auf sehr großen Festivals gespielt und hatten dort insgesamt drei Tourneen. Irgendwann hat uns ein schwedischer Manager nach Schweden geholt, und dort haben wir bei einem Hardrock-Festival gespielt. Dieses Festival fand Ende August '89 statt. Zu dem Zeitpunkt war die Situation in der DDR krank. Jeder wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Die Reihen lichteten sich immer mehr, und auch unser Sänger Frank Gahler hat sich abgesetzt. Er ist nach dem Festival in Schweden von der Fähre aus über - ich glaube - Malmö nach Hamburg gefahren. Das hatte uns aber erstmal nicht weiter behelligt. Ob "Gala" weg war oder nicht, spielte in dem Moment keine Rolle. Jeder wusste, dass in dem Augenblick die Band-Belange oder Deine eigenen private Belange eher untergeordnet waren. Wichtiger war, was mit uns allen und mit unserem Land passierte. Das war die große Frage, jedenfalls aus meiner damaligen Empfindung. Dass "Gala" gegangen ist, war letztlich ein Schlussstrich unter NO55, aber mit dem Mauerfall wäre die Band sowieso aufgelöst worden - wie viele andere Bands ja dann auch.

 

Du glaubst, das Ende der DDR hätte auch das Aus für NO55 bedeutet, trotz Eures Erfolges in Skandinavien?
Unser Zuhause war die DDR - nicht Skandinavien. Hier passierten die Dinge und hier war die Situation unerträglich. Hier wollten die Leute Veränderungen. Jeder hat so gehandelt, wie er es für richtig hielt.

 

Ich habe diese Frage auch Pitti schon in einem Interview gestellt: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass NO55 nochmal zum Leben erweckt wird? Gibt's vielleicht eine kleine Chance für ein Comeback?
Eher nicht. Wir waren im Sommer 2010 beim 60. Geburtstag von Bernd Haucke, unserem letzten Schlagzeuger bei NO55. Er hat viele Kollegen eingeladen, mit denen er dort dann live musiziert hat, u.a. hat er mit Frank Gahler einen größeren Monokel-Teil gespielt, und auch mit Gisbert "Pitti" Piatkowski hat er zusammen gespielt. Ich bin dieser Einladung sehr gerne gefolgt und war dort. Im Vorfeld zu dieser Feier gab es Überlegungen, ob wir nicht auch eine kleine Runde als NO55 zusammen spielen sollten, und ohne Probe haben wir uns telefonisch verständigt, was wir dort machen wollen. Ich muss sagen, was wir dann dort gemacht haben war sehr gut. Wir sind nach 20 Jahren erstmals wieder und ohne Probe auf die Bühne gegangen und haben vier oder fünf Stücke gespielt. Das war schon großartig... Das war aber kein Grund, nochmal darüber nachzudenken, die Band wieder zu beleben. NO55 ist 20 Jahre nicht am Markt gewesen. Wen sollen wir denn jetzt noch hinter dem Ofen hervor locken? Das wäre dann möglicherweise nur eine kleine Gemeinde, die das interessieren würde. Wenn man in einem kleinen Klub in Berlin Leute einladen würde, wäre das ok. Wenn wir aber plakatieren, würde kein Mensch kommen. Wir waren nicht präsent, haben seit über 20 Jahren keine Platten produziert und die Zeiten haben sich geändert. Es ist schön, wenn man sich trifft und zusammen sitzt, dabei vielleicht auch zusammen Musik macht, aber nicht unter dem kommerziellen Aspekt, damit Geld zu verdienen.

 

Ihr würdet also evtl. für ein einzelnes Konzert oder ein Festival nochmal als NO55 auftreten, hab ich das richtig verstanden?
Ja, vielleicht mal ein einzelnes Konzert. Das wäre vorstellbar. Aber große Tourneen oder sowas wird es nicht geben. Ich kann mir ein 75-minütiges Programm für ein einzelnes Konzert sehr gut vorstellen. Wir haben ja sehr viel Musik geschrieben, das ist alles noch da. Zum Teil sind die Songs auch heute noch sehr gut. Wenn ich mal Langeweile habe, spiele ich sie auch ab und zu noch auf Gitarre. Wie gesagt, wir haben bei Bernd Hauckes 60. Geburtstag gespielt, und es hat Laune gemacht. Die Musiker sind in den letzten 20 Jahren alle weitergegangen. Es ist keiner auf dem damaligen Stand stehen geblieben. Jeder hat sich weiter entwickelt, und gerade das war sehr interessant. Man kann sagen, wir haben etwas, das schon archiviert und antiquiert war, entstaubt und nochmals zum Leben erweckt.

 

007 20130104 1924048959Aus NO55 hat sich 1989 das Mama Blues Projekt entwickelt. Welche Erinnerungen hast Du an dieses Projekt, und wäre so ein Projekt heute noch einmal möglich und denkbar?
Ja. In meinem Wesen bin ich eigentlich ein "Projekt-Mensch". Ich betrachte all meine künstlerischen Zuhauses als Projekt, weil ich ein Reisender bin. Ich bin auf die Erde gekommen und gehe irgendwann auch wieder. In der Zwischenzeit reise ich von einem zum anderen Punkt. Zum Glück habe ich auch einen Beruf, der es mir ermöglicht, ständig auf Reisen zu sein. Und so wie ich körperlich/physisch immer auf Reisen bin, so bin ich auch immer künstlerisch/geistig auf Reisen. Es gibt nichts interessanteres und bereichernderes, als sich mit anderen Musikern und Künstlern auszutauschen und an Projekten zu arbeiten. Egal, wer da den Stempel aufdrückt. Wenn ich das bin, ok, wenn das ein anderer ist, ist es umso besser. Mir sind in meiner Laufbahn großartige Musiker begegnet, dafür bin ich sehr dankbar. Das Mama Blues Projekt war ein Versuch, die Tradition der AMIGA Blues Band mit anderen Mitteln nochmal zu beleben. Die Platte ist aber in den Wirren der Veränderungen in Deutschland nicht beachtet worden und untergegangen.

 

Mit der politischen Wende im Land verschwanden plötzlich auch ganz viele Bands und Musiker von der Bildfläche. Auch von Dir war bis 1992 nichts zu hören und zu sehen. Was hast Du in dieser Zeit gemacht?
Ich habe mit meiner damaligen Frau, der Traudl, eine Firma gegründet, die sich mit Tonträgerhandel beschäftigt hat. Es gab auch die Idee, einen Verlag zu gründen, da waren meine Kollegen von CITY aber schneller. Nach der Wende hatten hunderte von Künstlern kein künstlerisches Zuhause mehr. Die gesamte Veranstaltungs- und Vermittlungsstruktur ist über Nacht, wie der Staat DDR, verschwunden. Das heißt nichts anderes, als dass alle mit einem Schlag arbeitslos geworden sind. Es ist schon viel über die DDR-Rockszene geschrieben worden, aber mir ist bisher noch nichts in die Hände gekommen, das sich mit dieser besonderen Zeit kurz nach der Wende beschäftigt. Damals sind alle arbeitslos geworden, die Fernsehredakteure, die Rundfunkredakteure, die AMIGA-Leute und auch die Musiker. Es gab für sie keine Klubs mehr, es gab keine NVA-Auftritte, keine FDJ-Großveranstaltungen... da war alles plötzlich weg. Alle Leute mussten sich neu orientieren, und ich auch. Es haben nur wenige Künstler diese Phase überlebt.

 

Im Jahre 1992 kam es dann zur "Wiedervereinigung" der Gruppe CITY, denn Du bist dort wieder eingestiegen. Wie kam es zu Deiner Rückkehr? Wurden vorher alle Differenzen, die es mal gegeben hat, ausgeräumt?
Nein, auf einmal nicht. Nach der Trennung im Jahre 1981 gab's erstmal eine Eiszeit. Etwas später hat sich dann Stück für Stück eine normale Kollegialität eingestellt. Wir sind uns im Laufe der Zeit bei vielen Künstlertreffen begegnet, und Stück für Stück hat man wieder angefangen, miteinander zu reden. Nach der Wende blieb der Kontakt aufrecht und jeder wusste dann auch wieder, was der andere macht. Im Jahre 1992 kam es dann zu einem Treffen, bei dem von Fritz die Frage aufgerufen wurde, ob es vorstellbar wäre, nochmal neu zu starten. Es gab von allen Seiten eine kurze Überlegung und wir haben dann gesagt: "Warum nicht?" Zu verlieren hatte man nichts, eigentlich nur etwas zu gewinnen. Die Verluste hatten wir durch die Trennung alle erlitten. Mehr als das, was wir damals verloren haben, nämlich Kontinuität und mehr Erfolg, als wir ihn hatten, konnten wir also nicht mehr verlieren.

 

Bleiben wir mal kurz bei CITY. Wenn man sich anschaut, welche Bands der ehemaligen DDR noch aktiv sind und was sie heute so machen, fällt auf, dass CITY eine der wenigen Kapellen ist, die sich über all die Jahre selbst treu geblieben ist. Ihr spielt nach wie vor unverfälschten Deutschrock, und habt Euch dabei nicht beirren lassen. Wie siehst Du das?
Das hat aber auch mit der Grundidee der Band und der Authentizität, die durch die Profilierung entstanden ist, zu tun. Eigene Musik in einem Umfeld zu machen, in dem man sich nur durch eigene nationale Anbindung verständigen konnte. Wir haben auch ein englischsprachiges Produkt gemacht, das ist gefloppt. Dieser Flopp hat bei uns allen aber die Besinnung darauf verschärft, dass das nicht der Weg ist, und die Erkenntnis gebracht, dass man hier nur deutschsprachig überleben kann. Daran ist ja auch nichts Verwerfliches. Die mentale Situation in der DDR war zu der Zeit ziemlich zerrissen. Es gab auch ein sehr starkes Ressentiment gegen die DDR-Musik. Ich habe Leute kennengelernt, die vehement behauptet haben, sie hören überhaupt keine deutsche Musik und auch kein DDR-Radio, das sei alles Scheisse. Da dachte ich: "Na gut, geistige Armut kann auch so formuliert werden." Aber dass wir unbeirrt unseren Weg gegangen sind, war die Stärke von CITY und bleibt es auch.

 

Was auffällt ist, dass - korrigiere mich bitte, wenn ich das falsch sehe - Du seit Deinem Wiedereinstieg nicht mehr als Komponist in Erscheinung getreten bist. Warum ist das so, warum gibt es keine neuen CITY-Songs von Dir?
Diese Frage wird gelegentlich gestellt... Die Band hat sich in den 10 Jahren nach meinem Ausstieg ohne mich profiliert. Ich hatte am Anfang bei CITY eine Stilrichtung eingeschlagen, dann kam "Am Fenster", das war eine zweite stilistische Richtung und nach der Trennung haben sich beide Seiten musikalisch in verschiedene Richtungen weiterentwickelt. Ich wollte nach meinem Wiedereinstieg keine künstlerische Auseinandersetzung. Darum habe ich parallel zu CITY das Projekt "Der Wilde Garten" gegründet.

 

Du bist Gründer dieses Projekts. Mit welchen Zielen hast Du es damals gegründet, nur um Dich kompositorisch austoben zu können?
Kompositorisch war ich ja nie untätig, auch in der Zeit nach NO55 nicht. Nach NO55 habe ich noch ca. ein halbes Jahr mit Pitti zusammen Ideen auf Band aufgenommen. Wir finden dieses Band aber leider nicht wieder. Weder er noch ich wissen, wo die Aufnahmen geblieben sind. Es gab dabei sehr interessante Stücke, aber so ist das manchmal im Leben... Da ich aber nie aufgehört habe, an neuem Material zu arbeiten, habe ich die Zeit zwischen dem Ende von NO55 und dem Wiedereinstieg bei CITY dazu genutzt, meine gesamten Notizen durchzustöbern, denn ich hatte es mir in den 80ern nach meinem Ausstieg bei CITY zur Gewohnheit gemacht, alle Ideen, die mich besucht haben, sofort zu notieren. Ich hatte ständig etwas zum Notieren bei mir. Im Auto saß ich z.B. auch immer hinten und hatte auf der Hutablage immer einen Stapel Notenpapier und angespitzte Bleistifte. Ich habe, wenn mir eine Idee gekommen ist - egal ob am Tag oder in der Nacht - sie sofort schriftlich festgehalten. Darunter gab es zum Teil kleine Collagen von ein paar Takten, manchmal auch schon aufgearbeitete Ideen... In dieser Zeit konnte ich also mein komplettes Archiv ordnen, und dabei bin ich über wirklich gute Sachen gestolpert. Da gab es Sachen, die zwar nicht in eine Rockband passten, aber die es auf alle Fälle wert waren, auf irgendeiner Plattform umgesetzt zu werden. Eine Plattform, wo die verschiedensten Stilistiken aufeinander treffen konnten, wo poppige Ideen, folkloristische Ideen, jazzige Ideen, aber auch rockige Ideen miteinander verwoben zu einer ganz eigenen Musik werden konnten. Halt "Der Wilde Garten". Einen Garten, dem man aber auch Grenzen gibt, einen Zaun, und in den man dann Leute reinläßt und mit ihnen experimentiert. Die ersten Versuche gab es dann mit Tobias Morgenstern als Akkordeonspieler. Er gab mir unheimlich viel Inspiration. Ich habe von ihm etwas aufgegriffen und gab an ihn auch etwas zurück.

 

wg002p 20130104 1998005738...und wie bist Du an die anderen Musiker gekommen, die sich an dem Projekt beteiligt haben?
Ich bin nicht hausieren gegangen, um interessierte Musiker zu finden. Tino Eisbrenner ist z.B. in dem Moment auf mich zugekommen, als die Idee zum "Wilden Garten" in meinem Kopf schon sehr weit fortgeschritten war. Er sprach mich an, weil er mit Jessica zu dem Zeitpunkt den Song "Aus der Ferne" gecovert hatte. Er sollte mir das dann vorstellen. Ich habe mir das angehört und fand es wirklich interessant. Ich habe ihm von meiner Idee erzählt und er war sofort Feuer und Flamme. Das war dann auch gleich die erste Besetzung des "Wilden Gartens", Tino Eisbrenner, Tobias Morgenstern und ich. Tobias ist kurze Zeit später nach Zollbrücke gegangen, wo er sein "Theater am Rand" aufgebaut hat, und stand mehr oder weniger nicht mehr zur Verfügung. Wir haben uns umgeschaut, und Felix (Matthias Lauschus) hat Interesse gezeigt. Dazu habe ich noch Manne von CITY angesprochen, der sich uns anschloss. Wir haben zuerst in einer Vierer-Besetzung gespielt. Nach der Trennung von Tino Eisbrenner gab es eine kleine Verschnaufpause. In der Zeit wurden wir von Matthias Freihof angesprochen, der sich uns anschließen wollte, und er brachte auch Stefan Kling mit in die Gruppe. So entstand die zweite Besetzung des Projekts. Die dritte Besetzung war mit Ben Patton, einem sehr talentierten Sänger aus Boston (USA), der zwar nur sechs Monate dabei war, uns aber in der Zeit sehr befruchtet hat. Parallel dazu war eine bulgarische Akkordeonspielerin mit dabei, sie hieß Ivana. Danach kam Frl. Bloom als Sängerin zum "Wilden Garten".

 

Vor gar nicht allzu langer Zeit - ich glaube 2008 - hast Du Dich Thomas Putensen und seinem Beat Ensemble angeschlossen. Ihr habt Songs von Manne Krug neu interpretiert. Wie bist Du zu dem Projekt gekommen und bist Du da heute noch aktiv?
Ich kenne Thomas seit 1988. Er hat mich damals angesprochen und gefragt, ob ich einen Song von ihm produzieren würde. Das habe ich dann auch gemacht. Dabei handelt es sich um einen ganz großartigen Song, der heißt "Greifswald", und ist ein Liebesbekenntnis zu seiner Geburtsstadt. Dabei haben wir uns angefreundet und er hat mich Stück für Stück in seine chaotische Musikwelt eingeführt (lacht). Wir hatten sehr viel Spaß miteinander, und irgendwann hat er mich dann gefragt, ob ich gelegentlich mit ihm zusammen spielen könnte. Das fing in den 90er Jahren mit den legendären Soirees von ihm im Berliner "Frannz Club" an, wo er immer mit unterschiedlichen Musikern aufgetreten ist. Dabei habe ich ihn schon gelegentlich begleitet. Danach gab es immer wieder verschiedene Konzerte und verschiedene Programme, bei denen ich mitgespielt habe. Später gab es dann das Programm mit Liedern von Manfred Krug. Das war schon etwas Außergewöhnliches und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich von Krug und seiner Musik bis dahin nur sehr wenig kannte. Das war eine ganz andere Baustelle. Ich wusste, dass er gesungen hat, auch von Günther Fischer, dem großen Komponisten, und dass sie zusammen Musik gemacht haben. Später war Krug dann weg. All das passierte parallel zu meiner Karriere, aber ich habe die Musik kaum gehört. Ich habe auch keine Platten von Manfred Krug gehabt. Ich habe damals ganz andere Musik gehört, z.B. Frank Zappa. Aber Gott sei Dank wurde dieses Versäumnis dann nachgeholt. Ich habe mich ernsthaft mit der Musik und den Texten von Manfred Krug und Günther Fischer auseinander gesetzt und dann gesagt: "Oh ja, das würde ich gerne machen."

 

putensen 20130104 1939003820Gehörst Du noch dem Putensen Beat Ensemble bei dem Krug-Programm an?
Wenn das Programm in der größeren Besetzung aufgeführt wird, dann ja... Thomas ist aber so, dass er immer mehrere verschiedene Programme parallel laufen hat. Wenn sich aber wieder größere Veranstaltungen im kommenden Frühjahr und Sommer ergeben, und ich zeitlich nicht anderweitig verplant bin, spiele ich natürlich wieder gerne mit.

 

Dir liegt die Musik Deiner alten Heimat Bulgarien sehr am Herzen. Du hast Elemente der bulgarischen Musik früher in Deine Kompositionen eingebaut und bist der Kultur noch sehr nah, richtig?
Das stimmt! Vielleicht haben die Rockmusiker der DDR in mir auch immer einen Musiker gesehen, der das orientalische Element immer noch sehr stark mit sich herumträgt. Z.B. gab es in den 80ern ein Projekt, das nannte sich "Percussion Total". Es gab dabei vier verschiedene Trommler, u.a. Herbert Junck von Silly, Michael Behm von der Stern-Combo Meißen und Peter Michailow. Für dieses Projekt habe ich damals sogar ein polyrhythmisches Werk geschrieben. Wenn Thomas Kurzhals, damals Keyboarder bei Karat, und ich uns heute begegnen, singt er mir nach so vielen Jahren davon immer das Hauptmotiv vor. Das ist immer sehr lustig (lacht). Also, die bulgarische Folklore war für mich und mein Selbstverständnis immer eine wichtige Quelle, denn wir sind mit Folklore aufgewachsen. Man muss sich dabei aber auch die Anomalie vorstellen. Im staatlichen Fernsehen und Radio dudelte das ununterbrochen von früh bis abends. Es gab Kanäle, wo nur Folklore lief, und dann welche, auf denen der Schlager gespielt wurde. Rock hat auf dem Balkan nie richtig Fuß gefasst. Das hat möglicherweise auch mit dem slawischen Gemüt zu tun. Viele junge Leute lieben Rockmusik und spielen sie auch. Meine Generation wurde das erste mal durch Elvis und Little Richard darauf aufmerksam. Auch wir haben Rock gespielt, aber wir waren die Ausnahmen. Das war eine totalitäre Geschichte in Bulgarien und das hat sich in etwas krasserer Form auf die Gelüste der jungen Musiker niedergeschlagen. Die Verfolgung war bis Ende der 60er nicht anders als in der DDR. Was ich davon aber mitgenommen habe, ist die Toleranz gegenüber der Folklore und die Toleranz gegenüber anderen Stilistiken - wenn sie nicht gerade unerträglich schnulzig sind. Die bulgarische Folklore ist unheimlich eigenständig. Man muss sich dabei vorstellen, dass 500 Jahre türkische Besatzung auf dem Balkan dazu geführt haben, dass die versklavten Völker wenig Bewegungsfreiheit hatten. Man bekam durch die osmanischen Türken im Mittelalter noch ein zweites Mittelalter übergestülpt. Das müssen schlimme Zeiten gewesen sein. Das hat dazu geführt, dass die Bulgaren, die Serben, die Mazedonier, möglicherweise auch die Griechen, musiziert, gedichtet und getanzt haben, und sich aus dieser Situation heraus unzählige Kulturenklaven entwickelt haben. Das ist z.B. der Grund, warum sich die Musik an der Donau sehr stark von der in Westbulgarien an der Serbischen Grenze unterscheidet. Die Rhodopen Gebirge haben diese wunderbaren Frauengesänge hervorgebracht, die keine Begleitung haben und allein in sich rhythmisch und polyphon sind usw. Natürlich hat sich nach dem Krieg und der Entwicklung der Bildung auch auf dem künstlerischen Gebiet eine ganze Menge getan. Es gab eine ganze Menge Leute, die von der Klassik kamen und die es sich zur Aufgabe gemacht haben, dieses Erbe zu bewahren und sie weiter zu entwickeln. Ich kenne sehr viele großartige bulgarische Musiker. Aber mit dem orientalischen Element in der bulgarischen Musik klingt das für westeuropäische Ohren ein bisschen fremd. Die Bulgaren sind schon ein bisschen anders. Die Großartigkeit der verschiedenen Musikstrukturen und -stilistiken, die Leichtigkeit darin, das traurige Element, das tänzerische Element oder das euphorische Element haben mich immer interessiert. Ich weiß nicht warum, denn in meiner Umgebung war das nicht Gang und Gäbe. Wir haben als Jugendliche Klassik, Rock oder Jazz gehört, aber Folklore eher nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich vor meinem Eintritt in die bulgarische Armee, mit einer Zigeunerfamilie den ganzen Sommer am Strand Musik gespielt habe. Das muss bei mir Spuren hinterlassen haben. Fest steht, dass das Lied "Am Fenster" ohne diese Erfahrungen nicht denkbar wäre.

 

002 20130104 1992994930So wie Du davon erzählst, hat das schon eine ganze Menge Hintergrundwissen und hört sich so an, als ob Du Dich damit jetzt schon über Jahre hinweg beschäftigst...
Am Anfang vielleicht nicht ganz so intensiv. Aber mit zunehmendem Alter und wahrscheinlich auch mit zunehmender künstlerischer Reife entdeckt man, wo die Quelle der Kraft liegt - so will ich es mal nennen. Wir werden durch das Älterwerden auch feinfühliger und feinsinniger. Diese Quelle der Kraft, die ich für mich als Quelle meines Handelns, Denkens und auch Musizierens entdeckt habe, ist klarer geworden, und ist sehr lebendig. Daraus schöpfe ich mein Leben.

 

Bleibt mir abschließend noch die Frage, was es bei CITY Neues gibt. Nächstes Jahr steht - wenn ich richtig gerechnet habe - das nächste Jubiläum ins Haus. Gibt es schon konkrete Pläne für 2012, und was habt Ihr für 2011 geplant?
Wir möchten das 40-jährige Jubiläum von CITY natürlich mit einem neuen Album beginnen. Es sind aber noch viele weitere Punkte geplant. Die kann ich aber im Vorfeld noch nicht verraten, denn sonst wäre es ja keine Überraschung mehr. Ich selbst bereite gerade neue Songs für "Der Wilde Garten" vor. Deshalb bin ich gerade auch im Studio. Das wird aber dieses Jahr wohl noch dauern. Ich bin jetzt mit der Hälfte des Albums fertig, und jetzt schauen wir mal, wie sich das weiter entwickelt. Dann müssen wir mal schauen, ob noch Zeit für andere Projekte, wie z.B. "Cup Of Soul", bleibt. Aber die Zeit ist leider nicht immer da. Man hat nur 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Bei Selbstbetrachtung würde ich mich zwar als besessener Musiker bezeichnen, aber ich schaffe nicht alles... Wie ich vorhin schon sagte: Wenn ich 10% von dem schaffe, was in meinem Kopf ist, dann bin ich schon glücklich (lacht).

 

Ich danke Dir für die Zeit und die Antworten. Möchtest Du den Lesern abschließend noch etwas sagen?
Lebt das Leben lustig. Bewegt Euch in Eurem Umfeld mit Humor und schaut optimistisch nach vorne.

 

 

Interview: Christian Reder
Bearbeitung: cr
Fotos Georgi Gogow privat, Redaktion
 
 
 

   
   
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