Ulla Meinecke
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Eigentlich ist das gar keine neue Platte. Der Handel hat dafür eine spezielle Bezeichnung, es nennt sich „Deluxe Edition Doppel CD mit Buch“ (lacht). Es ist ziemlich dick und sieht aus wie eine hochwertige Schokoladenschachtel. Die erste CD ist eine „Best of“. Darauf sind all meine Songs, die wir 2005 und 2006 noch mal neu aufgenommen haben, und zusätzlich noch zwei ganz neu aufgenommene Titel, die wir vorher noch nie veröffentlicht hatten. In der Mitte befindet sich tatsächlich dieses 120 Seiten starke Buch „Ungerecht wie die Liebe“ im CD-Format, und erstaunlicherweise kann man es auch lesen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das geht! Hinten drin ist noch eine weitere CD. Das ist ein Hörbuch, wo ich einen Teil dieser Geschichten, also soviel wie auf die CD draufpasste, vorgelesen hab. Unabhängig von dieser Deluxe Edition gibt es das Buch auch einzeln zu kaufen. Das Buch heißt wie die CD „Ungerecht wie die Liebe“. Das sind die beiden Produkte, die es jetzt neu im Handel gibt.
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Der Album- und Buchtitel ist sehr ungewöhnlich. Dass Liebe ungerecht ist, hab ich bisher noch gar nicht so gesehen. Ist sie das denn wirklich?
Ich hab den Titel gewählt, weil jeder weiß, dass es das tiefste Menschenrecht ist, von dem, den man liebt, wieder geliebt zu werden. Es gibt gleichzeitig keine, auch keine unsichtbare oder sonstige Instanz, die den Menschen dieses Recht zuspricht. Liebe ist subversiv. Man kann sie nicht bestellen und man kann sie sich auch nicht verdienen! Manchmal geht sie aus der Tür und kommt nicht wieder. Also, diese Vorstellung „Wenn ich alles richtig mache, dann bekomme ich Liebe“ ist eine völlig irrige. Mir ging es einfach bei dem Titel um diesen Zustand der Aufhebung des Rechts in der Liebe. Es gibt ja immer wieder Menschen – was auch völlig normal ist - die sagen: „Was hab ich nicht alles für den getan.“ und „Was hab ich ihr nicht alles im Leben gegeben. Und dann kommt da dieser Blödian vorbei, und weg ist sie.“ Die Antwort lautet: Ja, Liebe ist eine subversive Sache.
Du hast auf dieser CD auch zwei Titel von anderen Künstlern veröffentlicht. Du singst von Stoppok: „Wie tief kann man sehen“ und von Rio Reiser „Der Junge am Fluss“. Warum sind es diese beiden Songs, die Du gecovert hast? Haben sie eine besondere Bedeutung für Dich?
Ja! „Wie tief kann man sehen“ haben wir vor Jahren - aber immer nur live - gemacht. Ich finde, es ist ein wahnsinnig schöner Song. Der ist auch von Danny Dzuik mitgeschrieben worden, den ich ja sowieso sehr schätze. Und mit dem Rio-Titel ist es nicht anders: Man wusste ja, dass Rio und ich uns sehr gut kannten und dass wir auch zusammen Songs geschrieben haben. Besonders in den ersten Jahren nach Rios Tod wurde ich ständig aufgefordert: „Nun sing doch mal was von Rio!“, was ich aber nie gemacht habe, weil ich das gar nicht konnte... Ich hab sehr lange gebraucht, um von dem Abstand zu gewinnen, was geschehen war. Ich konnte mir auch sehr lange seine Sachen nicht mehr anhören... Sein Tod war für mich schon ein richtiger Schlag ins Kontor… Jetzt ist das 14 Jahre her und „Der Junge am Fluss“ ist von Rios letztem Album „Himmel und Hölle“. „Der Junge am Fluss“ ist auf dem Album wie eine Insel, und es ist meine Hommage an Rio. Denn so wie dieser Song ist, und wie diese Texte und diese Bilder sind… diesen Teil von Rio kannte ich. Es hat mir heute nichts mehr ausgemacht, den Song zu machen. Ich musste mich auch nicht überwinden, ich hab mir einfach den Song genommen, ihn gesungen und ich finde, er ist sehr schön geworden.
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Finde ich auch. Allerdings ist nach Rios Tod eine „Tribut-CD“ veröffentlicht worden, auf der Du meines Wissens auch mit einem Song vertreten bist... Wie kann das denn sein?
Ja, ja... das war aber so nicht verabredet. Ach, das ist ein trübes Kapitel. Das war dieses Begängnis im Tempodrom. Die Brüder von Rio und auch seine Mutter waren damals da. Ich wurde dann gebeten: „Willste nicht…?“ und „Kannste nicht…?“ Ich hab dann „Ja klar“ gesagt, und dann stand da diese Kamera. Ich weiß das noch ganz genau, denn auch Marianne Rosenberg stand daneben und hat gefragt: „Was soll die Kamera da?“ Uns wurde dann gesagt: „..das ist nur für uns.“ Also um es kurz zu machen: Es erschien anschließend eine Platte und ein Fernsehfeature. Ich wurde vorher nicht gefragt. Ich persönlich finde eben nicht, und dazu habe ich auch in meinem Buch Stellung genommen, dass man alles verwerten und vermarkten sollte. Aber ich bin mir dessen bewusst: Meine Sicht der Dinge ist anachronistisch für die heutige Zeit. Wie sagt mein Freund Jim Rakete: „Kaum öffnet einer die Tempo-Taschentücher-Packung, dreht gleich ein Kamerateam mit.“ (lacht)
Kommen wir zu Deinem Buch. Es heißt genau wie die CD und beinhaltet sechs einzelne Geschichten. Bitte erzähl unseren Lesern doch einfach mal etwas über das Buch und wie es entstanden ist.
Das ist meine neue Spielwiese. Ich finde es ziemlich super, dass ich mit Mitte 50 noch neue Felder betreten und beackern kann. Es ist mein erstes Prosa-Teil – also eine Fiktion natürlich - mit Figuren, Dialogen usw. So etwas habe ich in der Form noch nicht geschrieben. Es sind fünf relativ kurze Erzählungen, und die sechste ist so lang, wie die anderen fünf zusammen. Diese sechste lange Erzählung heißt „Klassentreffen“, natürlich auch sehr opulent nach 30 Jahren… (lacht). Das hat mir einen höllischen Spaß gemacht. Ich kenne es natürlich von Songtexten, wo man auch mit Figuren arbeitet und Geschichten baut, aber es ist schon etwas anderes in dieser großen und langen Form. Die Dialoge zu setzen hat mir Spaß gemacht, diese Figuren, die mir zum Teil absolut wesensfremd sind, von dem was sie sind, was sie tun, wie sie sich verhalten… das fand ich super! Die Figuren leben dann irgendwie… also wenn die ´ne Wahrheit haben, dann bewegen die sich auch und machen Sachen, die hatte man gar nicht geplant… man gibt ihnen Namen, man stellt sie in eine Situation, und dann bewegen sie sich darin.. Ich habe natürlich eine Dramaturgie für die Geschichten, und auch das hat großen Spaß gemacht. Wenn man will, dass an einer bestimmten Ecke der Geschichte ein Bömbchen hochgeht, dann muss man natürlich vorher die Zündschnürchen verstecken, damit das am Ende auch passieren kann. Der Leser hat das gelesen und sagt: „Ah, deshalb ist das so. Ok.“ Das ist schön und davon bin ich sehr erfrischt. Auf dieser Strecke werde ich mit Sicherheit noch weitermachen.
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Dein letztes Studioalbum mit komplett neuen Titeln erschien vor acht Jahren.
Genau!
Sind Deine vielen anderen Beschäftigungen, denen Du inzwischen so nachgehst, der Grund dafür, dass Du Dich mit neuen Songs so rar machst?
Das bedingt einander. Das ist jetzt das dritte Buch seit 2005. Bücher haben so was an sich, die schreiben sich nicht zwischen Aufstehen und Frühstück (lacht). Zwar fängt man schon irgendwie vor dem Frühstück an, aber… es dauert halt alles seine Zeit. So wie ich eben viele Jahre meinen absoluten Schwerpunkt nur auf einen Song gelegt habe, so kam jetzt diese Form des Schreibens dazu. Dazu kommt das Theaterspielen; ich war in den letzten zwei Jahren auf Tournee. Ich hab da eine singende Rolle, wir haben da einen richtigen Hit mit dem Super-Stück in den Kammerspielen. Ich glaube, wir haben schon über 100 Vorstellungen gespielt, und das ist ja nicht an einem Tag eine Vorstellung, sondern man reist und tut und macht... Also diese Ausflüge und diese verschiedenen Tätigkeiten haben schon dazu geführt, dass es so lange keine neuen Songs mehr gegeben hat. Ich hatte zuletzt auch gar nicht so richtig Lust, mit Gewalt eine neue CD zu machen. Wir spielen auch so viele Konzerte und dabei gibt es einige neue Stücke im Programm, die wir noch nicht aufgenommen haben. Wir werden das aber sicher irgendwann tun.
Ulla, Du bist das erste Mal unser Gast und die Gelegenheit möchte ich natürlich nutzen, um über Deine Karriere und Deine Geschichte ein bisschen zu plaudern. Ich habe gelesen, dass Du auf dem Land aufgewachsen und mit 19 Jahren nach Frankfurt gezogen bist...
...ne, das ist falsch. Ich bin in so einem ganz kleinen Dorf aufgewachsen und dann 1966 mit 12 Jahren nach Frankfurt gezogen.
Ok, also mit 12 Jahren ging’s in die große Stadt. War denn der Unterschied zwischen dem Dorf und der Großstadt mit dem hektischen Treiben einer Millionenmetropole nicht erdrückend für so ein junges Mädchen?
Für mich war das natürlich gigantisch… Na klar! Also zuerst in dem verschlafenen Dörfchen, wo die Alten noch Tracht tragen, und dann der Kontrast mit Frankfurt am Main, das fand ich schon sehr rasant. Mit 12 Jahren ist es natürlich auch ein guter Zeitpunkt, weil es als Kind ja nichts Schöneres gibt, als durch den Wald zu fetzen… Einen Kindergarten gab es in dem Dorf nicht. Da hieß es immer: „Hier nimm dein Schwesterchen an die Hand, und wenn’s läutet seid ihr wieder da.“ Also Gefahren wie in der Großstadt gab es da nicht. Das war ja alles unser: Mitten rein in den Wald und fertig… Aber mit 12 bekommt man so langsam andere Interessen, und da kam mir dieser Umzug nach Frankfurt ganz gelegen.
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Ich hab gelesen, dass Du als Teenager schon erste eigene Songs geschrieben hast. Wann hat Dich der Virus Musik eigentlich gepackt? Wann war für Dich klar: Ich möchte Musikerin werden?
Das war überhaupt nicht klar! Das hätte ich nicht mal zu hoffen gewagt. Ich wusste natürlich, dass es diesen Beruf gibt… Musik war, seit ich denken kann, mein Lebensmittel! Außer der Musik noch Bücher! Als ich endlich lesen konnte, ging für mich eine riesige Tür auf. Ich konnte auch relativ früh lesen, weil einfach keiner da war, der mir hätte vorlesen können. Musik und Lesen waren die beiden Notausgänge meiner Kindheit.
Erinnerst Du Dich noch daran, welches Dein erstes Lied war, das Du komponiert und getextet hast?
Also neben vielen Versuchen war es ein Song von meinem ersten Album, „Für Dich tu ich fast alles“. Udo Lindenberg fand das Lied damals süß.
Ein weiterer Umzug folgte dann 1976?
Ja genau. Im Oktober 1976 bin ich nach Hamburg gegangen.
War Udo Lindenberg damals der Grund für Deinen Umzug?
Ja, klar! Logisch! Das kam durch den Aufruf von Udo, dass er eine Mädchenband produzieren wollte und dafür Musikerinnen gesucht hat. Es gab auch schon ein Foto von der Band, und die Mädchen waren alle unheimlich blond und unheimlich langbeinig. Ich hab mit 10 Jahren schon angefangen, Gitarre zu spielen und hab mir gedacht: „Blond bin ich zwar nicht, aber Gitarre spielen kann ich immerhin sehr gut.“ Dann stellte sich heraus, dass das auf dem Foto alles Models waren, die nur zur Bebilderung einer Idee dienten. Das teilte mir Udo alles mit, als ich in Hamburg ankam und er mich vom Bahnhof abholte. Und die Einzige, die von dieser ganzen Idee übrig blieb, war ich. Ich hatte ihm vorher ein Demo geschickt, auch schon mit eigenen Songs natürlich, also auch „Für dich tu ich fast alles“, der erste eigene Song, von dem ich vorhin sprach. Das gefiel ihm. Ich hab mich da mit Gitarre hingesetzt und mir drei Songs ausgedacht. Die hab ich eingespielt und aufgenommen, die Kassette beschriftet, abgeschickt und fertig. Außerdem habe ich die auch noch an zwei Plattenfirmen geschickt, aber da kam nicht mal eine Antwort zurück. Aber Udo meldete sich nach einem Dreivierteljahr. Dann haben wir erstmal telefoniert, und er hat mich nach Hamburg eingeladen. So bin ich nach Hamburg gekommen. In Frankfurt jobbte ich so rum, machte alle möglichen Sachen, z.B. viel in der Gastronomie. Udo sagte: „Eh wär’ doch besser, Du kommst nach Hamburg, da können wir 'ne Platte machen.“ Ich sagte: „Ja, prima, aber wovon soll ich denn da leben?“ Er hatte gerade seiner Sekretärin kündigen müssen und fragte mich, ob ich so was denn könnte. „Ja klar kann ich das“, hab ich geantwortet. Das habe ich aber nur zur Sicherheit behauptet, und Udo sagt heute noch, ich wäre die beste Assistentin gewesen, die er je hatte. (lacht) Bei Udo war ich richtig fest mit Steuerkarte und allem Drum und Dran als Sekretärin angestellt, denn allein von der Musik leben war nicht drin. In dieser Zeit habe ich zwar meine ersten beiden Alben gemacht, aber das war finanziell unerheblich. Ich merkte 1979, dass dieser gemeinsame Weg zu Ende war, und ich dachte: „Ach, gehste mal nach Berlin. Fängst noch mal neu an.“ Das hab ich dann gemacht, und das war genau richtig.
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Deine erste LP „Von toten Tieren und nassen Katzen“ erschien 1976. Udo war da nicht ganz unbeteiligt. Wie ist die Platte überhaupt entstanden?
Udo hat die Kompositionen gemacht, die Texte waren von mir. Er hat aber auch die Arrangements gemacht und seine Musiker haben das Album eingespielt. Das hörte sich alles dann doch sehr nach Udo an (lacht).
Ein Jahr später folgte dann schon die zweite Platte, nämlich „Meinecke Fuchs“. Ein Album, das Dich musikalisch wesentlich anders zeigte, als auf dem ersten. Wo liegen für Dich persönlich die Unterschiede zwischen dem Erstlingswerk und der zweiten Platte?
Udo hat zwar noch als Produzent gezeichnet, aber ihm war natürlich auch aufgefallen, dass das Bild ein bisschen zu eng wird und die Parallelen zu seiner Musik sehr nah lagen. Deshalb hat er dann Paul Vincent dazu geholt, und der hat das zweite Album produziert. Udo schaute immer mal rein… Ich habe mir für das Album auch verschiedene Komponisten gesucht, und deshalb lief das in ein anderes Profil als bei der ersten LP. Es lief mehr in die Richtung, die ich mir vorstellte. Das war auch ein Lernprozess. Ich hatte doch von „Tuten und Blasen“ keine Ahnung… Auch jetzt beim Bücherschreiben ist es so: Ich habe lange gezögert: „So dick und so viel - kann ich das überhaupt?“ und so. Es gibt auch keine Ausbildung für so etwas. Heute gibt es vielleicht „Popularmusik“ als Kurs an der Universität, aber das gab es damals alles nicht. Beim Buchschreiben ist es ähnlich: „Versuch einen Irrtum so lange, bis es schön wird“, und ich leb da so nach dem Motto: „Es muss gehen, andere tun es ja auch.“ Dabei finde ich dann heraus, wie es funktioniert. So war das bei der Musik auch. So findet man nach und nach zu seinem eigenen Stil.
Jetzt liegt zwischen der ersten und der zweiten Platte gerade mal ein Jahr. Die Entstehungsphase ist gerade für einen jungen Musiker sehr, sehr kurz.
Stimmt!
Es muss doch unheimlich stressig gewesen sein, sich innerhalb eines Jahres neue Songs draufzudrücken und die auch noch einzuspielen, oder?
Na ja, vor allem für Udo Lindenberg zu arbeiten, ist schon sehr anspruchsvoll. Mein Gott, wann ging der schlafen? Um 3.00 Uhr morgens oder so was? Oder vielleicht auch erst um 4.00 Uhr… Ich war aber vor ihm schon wieder wach und habe dann irgendwann sein Schlaf-Gemach betreten. Da war es immer stockfinster, denn Udo gehörte zu den Leuten, die immer die Fensterscheiben zugeklebt haben wollen. So gegen 10.00 Uhr hab ich ihn dann geweckt, mit Frühstück und Post am Bett, und dann ging’s rund! Und es ging dann so lange rund, bis er wieder aufgehört hat zu arbeiten. Udo hat mich immer irgendwie gebraucht, ob auf Tour oder im Büro, d.h. ich hatte einen Fulltime-Job mit Überstunden. Zwischendrin, wenn ich mal entwischen konnte und er mich mal nicht brauchte, habe ich mich auf einen Elbdampfer gesetzt, das sind in Hamburg so was wie Linien-Busse auf dem Wasser, und bin immer da rauf und runter gefahren und hab dabei geschrieben.
Wann gab es die ersten Auftritte mit Udo gemeinsam? Und wann bist Du erstmals als Solistin aufgetreten?
Ich war ja mit Udo auf den Tourneen. Heute würde man sagen, ich war multitasking. Früher sagte man einfach: „Ich hatte viel zu tun.“ Ich hatte während der Tour viele Jobs, z.B. habe ich sein Büro ambulant weitergeführt, ich hab mich um die Kostüme gekümmert, um die Umzüge dieser tausend Statisten, manchmal habe ich selber in Kostümen auf der Bühne mitagiert, d.h. ich war mal der Gorilla oder das Zebra, ich habe im Chor gesungen, wirklich mehr schlecht als recht zusammen mit den anderen Mädels, und hatte dann in Udos Programm auch einen eigenen Song, was nicht meine Idee war, denn ich fühlte mich auf einer so großen Bühne überfordert. Als ich dann 1979 nach Berlin ging, habe ich mir sofort eine eigene Band gesucht. Das dauerte einen Moment, aber 1980 habe ich mit der eigenen Band angefangen zu spielen.
Du hattest ihn vorhin schon angesprochen: Was war der Grund für den Umzug nach Berlin?
In Berlin brodelte es! Das hat sich allerdings nicht medial abgebildet. Medial abgebildet wurde nur die total überhypte Hamburger Szene. Ich will jetzt nicht so weit gehen zu sagen, es gab sie nicht, aber seien wir mal ehrlich: Im Wesentlichen bestand die Hamburger Szene aus Udo und Otto Waalkes. Diese Szene ist nur deshalb so medial aufgeblasen worden, weil die großen Medien halt alle in Hamburg saßen. Und wie so große Medien eben sind, so ein bisschen bequem auch in Richtung „Man bringe mir die Alpen, ich möchte jodeln“, so waren sie auch in Bezug auf Berlin eingestellt: „Ach Berlin, nööö. Da ist in jeder Himmelsrichtung Osten, und da müssen wir erst so lange hinfahren“, dabei war hier die Hölle los. In Berlin war alles am Start: Anette Humpe fing gerade mit Ideal an, und die Spliffer hießen noch Nina Hagen Band und wüteten da rum. Auch Nena tauchte damals da auf einmal auf. Zu ihr habe ich gesagt: „Du kannst bei uns im Keller mitproben“, denn da probte ja sowieso jeder. Auch Heiner Pudelko mit Interzone war schon aktiv… es war ein Wahnsinn, und ich wusste: Da musst du hin! Das ist der Ort!
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Die nächsten beiden Platten „Überdosis Großstadt“ (1980) und „Nächtelang“ (1981) sind in Berlin entstanden und wurden von Herwig Mitteregger produziert. Wie habt ihr euch kennen gelernt und wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Jim Rakete hat uns vorgestellt. Der tauchte irgendwann in Udos Wohnung auf. Zuerst rief er irgendwann in Udos Büro an und meldete sich mit „Rakete“. Ich kannte ihn nicht und sagte ihm, dass der Chef nicht da sei. Er sagte aber, er wolle schon mit mir sprechen. Ich dachte, was will der Mann von mir? Na ja, und 5 Minuten später tranken wir Kaffee und er erklärte mir, was ich alles falsch mache. Er hatte in jedem Punkt recht und sagte: „Komm doch heute Abend ins Logo, ich will Dir jemanden vorstellen.“ Ich weiß gar nicht mehr, wer da damals im „Logo“ spielte, jedenfalls ging ich da hin und dann stand da dieser merkwürdige Mensch, also Herwig Mitteregger, und Jim stellte uns einander vor. Jim sagte: „So, nun redet mal miteinander.“, und entschwand. So haben Herwig und ich uns kennen gelernt.
Herwig hat ja Rosemarie Precht für Deine Band empfohlen, die später als Cosa Rosa selbst sehr erfolgreich war. Wie kam es genau dazu, dass Rosa Deine Liveband verstärkte?
Ich suchte Musiker und es war irgendwie keiner für die Position am Keyboard da. Herwig spielte zusammen mit Reinhold Heil bei Spliff, und der lebte wiederum mit Rosa zusammen. Ich bin mit Herwig irgendwann zu Reinhold gegangen und Rosa war auch da. Dabei erfuhr ich in einem Gespräch, dass Rosa früher 10 Jahre Klavier gespielt hat. Rosa war damals eigentlich Architektin. Reinhold guckte schon etwas komisch und Herwig hat Rosa quasi aufgehetzt, bei mir mitzumachen. Ich fand die Idee natürlich auch super. Und so entstand das.
Entstand der Albumtitel „Überdosis Großstadt“ durch Deinen Umzug nach Berlin?
Nein, die Überdosis bezog sich mehr auf kulturelle Erscheinungen. Heute lacht man darüber: Damals kamen die ersten Großbild-Werbeplakatwände und diese ganze Entfremdung fanden wir alles too much. Heute findet man das alles niedlich, aber zum damaligen Zeitpunkt wusste man ja nicht, wo das später noch hinführen würde. Also ich fand diese ganze mediale Berieselung und Werbung zu dominant.
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Hast Du Herwig ermutigt, eigene Texte zu schreiben?
Ja!
Ich hab auch gelesen, dass Du an der Entstehung des Spliff-Klassikers „Deja vu“ nicht ganz unbeteiligt warst?
Ja, das stimmt in dem Sinne, dass ich Herwig sehr ermutigt habe, eigene Texte zu schreiben. Das kann ich gut. Ich dachte damals, dass sich Herwig unterschätzt und hab ihm zweimal die Geschichte vom Geisterschiff erzählt. Der Kern ist ganz kurz geschildert: Ein Junge hat als Kind schon die Geschichte vom Geisterschiff gehört. Am Anfang hat er noch schwer Respekt und denkt: „Vielleicht gibt’s das Geisterschiff ja wirklich.“ Dann wird der Junge Matrose, die See ist seins und die Geschichten von früher sind alle Quatsch, sie sind Seemannsgarn und das Geisterschiff gibt es gar nicht. Und in dem Moment wo der Junge am Ruder steht und die Seefahrt für ihn schon Routine ist – und das ist ja ein Bild für vieles – teilt sich der Nebel, und da kommt es angeschwebt, das Geisterschiff. Und es sieht genauso aus, es ist genau das darauf, was in den alten Geschichten immer erzählt wurde. Das ist die Geschichte, und die hat Herwig sehr beeindruckt. Daraus wurde dann „Deja vu“.
Interessant! Obwohl Du Dir mit Deinen Songs und den Live-Konzerten schon eine große Fangemeinde erspielt hattest, wird hartnäckig behauptet, Dein Durchbruch kam erst mit dem Album: „Wenn schon nicht für immer, dann aber für ewig“...
Das ist richtig...
Wie siehst Du das selbst?
Ja gut, da sprechen die Zahlen für sich. Also, ähnlich wie bei Grönemeyer, hab ich von den ersten vier Alben so zwischen 10.000 und 12.000 Exemplare verkauft und vom 83er Album steht eine Platinscheibe in meinem Arbeitszimmer für mehr als 500.000 verkaufte Platten,..das sind schon Unterschiede. Auch wenn diese 500.000 erst im Laufe der Zeit verkauft wurden – das Ding ist ein „Longtimer“ – gab es bereits nach einem Jahr Gold. Erst im Verlauf der letzten 20 Jahre hat sich die Platte bis zu über einer halben Million Mal verkauft. Das lief immer so vor sich hin... Und das Album „Der Stolz italienischer Frauen“ ist auch sehr gut gelaufen. Aber das sind so Spitzen-Sachen, denn es passiert dir nur einmal im Leben, dass alles durch die „Decke knallt.“
Edo Zanki schrieb für Dich 1983 die „Tänzerin“. Diese Nummer ist bei einer Umfrage zu den besten Songs aller Zeiten von unseren Lesern immerhin auf Platz 4 gewählt worden. Was bedeutet Dir dieser Song?
Der ist einfach Klasse! Es hat einige Versuche gegeben, diesen Song zu covern, sogar Edo selbst hat das mal versucht und auch veröffentlicht, aber diese Versionen sind alle schwächer. Ich finde, behaupte und sage es hier, dass mein eigenes Remake, das ich zusammen mit Ingo York gemacht habe, welches völlig vom Original weggeht und so eine Art „Modern Country Fassung“ ist, die einzige Version ist, die dagegen nicht abfällt.
Der Song ist ja musikalisch recht schlicht gehalten. Du wirst lediglich von Perkussion und Keyboard begleitet...
...also der Song hat eine gigantische Melodie...
...ja, richtig, aber er ist vom Einsatz der Instrumente sehr sparsam gehalten.
Das ist genauso, wie Edo das Demo gemacht hat. Dann wollte er ausholen und sagte: „Jetzt arrangieren wir das“ und da habe ich gesagt: „Nein, jetzt arrangieren wir gar nichts. Das ist es schon!“
Ist das genau die Stärke, die dieses Lied ausmacht?
Ja! Warum hätte man das jetzt noch zurödeln sollen? Nicht zu Unrecht wird bei der GEMA eine Komposition folgendermaßen bewertet: 80% Melodie, 20% Harmonisierung. Ganz viele Songs, die man heutzutage so angeboten bekommt, haben überhaupt keine Melodie. Da wird nur mit Sounds herumarrangiert. So etwas hat mich nie interessiert. Jetzt muss man natürlich weggehen von Formen wie Hip Hop oder „Drum’n Bass“ zum Beispiel. Das funktioniert anders. Ich rede ja vom Song. Ich denke immer: „Alles, wonach der Song schreit, draufmachen. Alles, wonach der Song nicht schreit, weglassen.“
In dieser Zeit ist auch das Duett mit Herwig entstanden. War das also nach der Zeit, als Herwig Dich produziert hat?
Ja.
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Wie kam es dazu?
Ja gut, er hat damals zwar nicht produziert, sondern Udo Arndt, aber wir haben trotzdem immer wieder zusammengearbeitet. Er hat ja auch für das Album einiges geschrieben und wir waren auch sonst in einem stetigen Miteinander.
Und dann habt Ihr spontan gesagt: „Jetzt machen wir etwas zusammen.“?
Das haben wir eigentlich die ganze Zeit gemacht. Bei dieser Produktion war er dann aber nicht mehr der Produzent, und ich hab mir auch wieder ganz andere Komponisten gesucht. Herwig hatte auch für das Album geschrieben insofern war das ziemlich folgerichtig...
Die 80er Jahre waren für Dich live sehr erfolgreich, was sicherlich auch ein Grund für die Live-Platte war, die 1986 in die Läden kam. Was waren für Dich die bisher schönsten Erlebnisse bei einer Tour und was die weniger schönen Erinnerungen?
Kann ich gar nicht sagen. Ich finde diese Theatertour unheimlich schön, wobei auch die Crew super ist. Da ist übrigens Jasmin Wagner dabei, die früher unter dem Namen „Blümchen“ Musik gemacht hat. Eine wahnsinnig tolle junge Frau! Aber wir verstehen uns alle supergut. Bei den Tourneen mit Band oder jetzt auch beim Theater war dieses Gemeinsam-irgendwo-hinfahren-und-einen-gemeinsamen-Abend-gestalten einfach schön! Es war auch scheißegal, wie groß oder wie klein die Veranstaltung war. Dieses Gefühl, mit Leuten, die man mag und künstlerisch auch ganz toll findet, unterwegs zu sein, in irgendeine Stadt einzufallen und da herumzuwüten, das ist einfach klasse. Spezielle Erinnerungen sind dann oft ganz persönliche Dinge, wo man heute noch drüber lacht, z.B. kleine Missgeschicke, die passiert sind, wie im richtigen Leben, wenn z.B. eine kleine Katze sich auf einem Baum verstiegen hat und dann die Feuerwehr kommt, die ganze Nachbarschaft steht drum herum und es wird alles immer schlimmer… darüber lacht man natürlich noch Jahre später.
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Wie ist die Liveplatte überhaupt entstanden? Wie muss man sich das vorstellen? Heute werden Mitschnitte von mehreren Konzerten hinterher zusammengeschraubt... wie war das bei Euch damals?
Ja, da hat man auch mehrere Konzerte mitgeschnitten, und irgendwann gesagt: „Das war’s jetzt.“ So Sachen, wie Overdubs im Nachhinein und so ist Quatsch. Ich hab das auch bei der zweiten Liveplatte nicht gemacht.
Ja, die ist 13 Jahre später erschienen und heißt „Kurz nach 8“.
Genau.
Dieses Album baut auch so ein bisschen auf der ersten Liveplatte auf?
Ja. Die Leute sagen oft zu mir: „Mann, bist Du schnell!“ Ich bin gar nicht so schnell. Ich arbeite nur in der traditionellen Form. Dieses ganze Gedroppe und 40 Spuren, dann zählen wir mal die einzelnen Silben zusammen, machen mal hier noch irgendeinen Effekt rein und korrigieren wir da noch einen schiefen Ton, das hat es bei mir nie gegeben. Das wird es auch nicht geben. Das find ich Quark. So schlimm kann es alles nicht sein. Ich stell mich beim Konzert dahin, sing und damit isses gut. Ich sing auch nicht zehn Fassungen, ich sing erstmal drei und dann ist es schon meistens eine von denen.
Wenn es jemand beurteilen kann, dann Du: Die Musik-Live-Szene in Deutschland hat sich ja verändert. Kannst Du das an irgendwelchen markanten Punkten festmachen? In welche Richtung hat sie sich positiv bzw. negativ verändert?
Ich weiß jetzt nicht, was Du meinst..
Naja, ich denke da speziell an die Werbung. Auch die Locations sind doch heute ganz andere als früher, teilweise richtig neue Hallen, viel größer...
...es funktioniert aber oft auch gar nicht. Diese Krankheit gab es schon immer, die ist inzwischen nur so extrem, dass die Leute sich riesige Hütten buchen und sich dann wundern, dass die Karten nicht verkauft werden. Was soll das? Es muss ja alles riesig aufgeblasen werden und dann gehen viele damit baden. Aber wenn die meinen, soll`n sie's machen.
Selbst zu meinen erfolgreichsten Zeiten hab ich mich entschieden, dass ich nicht ein Konzert in der Deutschlandhalle oder in einer anderen Riesenhütte spiele, sondern vielleicht fünf Mal im „Quartier Latin“, da kommen dann auch 6000 Leute. Da sind die Kosten zwar höher, aber das war mir Wurst. Diese ganzen großen Hallen haben mich nie interessiert. In kleineren Hallen macht es doch viel mehr Spaß.
Der Mauerfall vor 20 Jahren ist bei den Interviews mit unseren Gästen stets ein Thema, weil jeder doch seine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse damit hat. Du bist als Wahlberlinerin natürlich auch direkt damit in Berührung gekommen. Welche Erinnerungen hast Du an die Zeit zwischen 1989 und 1991 und wo warst Du, als die Mauer am 09.11.1989 fiel?
Das kann ich Dir genau sagen. Ich saß auf der Couch und nähte einen neuen Reißverschluss in eine alte Jeans und dann nuschelte dieser... wie hieß er noch?
...Schabowski...
Genau! Der nuschelte da was von Reisefreiheit... sofort... Aber die Atmosphäre war vorher ja schon da. Es wäre völlig vermessen zu sagen, ich hätte es gewusst. Natürlich habe ich das nicht, gar nicht… Aber dass unheimlich viel Bewegung war und unheimlich viel in der Luft lag, war spürbar. Ich habe in diesem Moment sofort die Jeans weggelegt, meine Freundin angerufen und gefragt: „Elli, haste das gesehen?“ Und die heulte und sagte: „Was ist denn das jetzt?“. Ich sagte: „Nicht lange herumreden, wir gehen da hin.“ Ich habe dann meinen damaligen Freund, einen Drehbuchautor der ein Auto hatte, vom Computer losgeeist: „Mach das Ding aus, hol Elli ab, hol mich ab, ich möchte zur Bornholmer Straße!“ Das war noch sehr früh damals, da war noch gar nichts zu sehen. Es war irre kalt und wir standen ein bisschen blöd herum. Elli hat sich noch mit jemand anderem dort getroffen. Man sah nichts, und ich habe nur gesagt: „Wir warten hier.“ Dann kamen einzelne Leute angerannt, erst nicht viele, und zwei junge Männer rannten direkt auf unser Auto zu. Die hatten Arbeitsklamotten an. Später stellte sich heraus, dass die in einer Fabrik für Bürsten gearbeitet haben. Die stellten dort Bürsten zum Entrosten großer Schiffe her. Die beiden waren völlig wirr und fragten: “Wo geht’s den hier zum Kern?“ Wir fragten: „Zum was?“, „Na zum Kern… zum Kuhdamm?“. Die wollten also ins Stadtzentrum. Wir sagten: „Leute, wenn ihr mit uns noch ein bisschen wartet, dann fahren wir Euch überall hin, wo Ihr wollt. Wir zeigen Euch alles, was Ihr sehen wollt.“ Mein Freund nahm dann den einen, Timo hieß er, diskret beiseite und steckte ihm einen Fünfziger zu. Und der andere, sein Name war Sven, sagte überhaupt kein Wort. Timo redete ohne Punkt und Komma. Beide waren völlig außer sich. Dann sind wir die ganze Nacht mit denen rumgezogen. Sie wollten dies sehen, dann das sehen, dann haben wir Pizza gegessen. Dann sind wir nachts zurück zur Grenze und die hatten Angst. Ich weiß noch, dass der Timo den Schritt über diesen großen Strich machte, und so’n alter Grenzer, der da stand, sagte: „Pass mal bloß auf, dass Dir die Hose nicht platzt, Junge.“
Ja, dann war der Kessel geflickt und die Suppe gegessen. Wir sind dann immer wieder rüber und rüber, die ganze Woche lang… Wir haben fast nicht geschlafen, waren ständig unterwegs um zu sehen, wo wieder neue Türchen aufgebrochen werden. Wenn man dort schon diese zahnlosen Bagger sich erheben sah von der anderen Seite, das war großer Jubel und gute Laune und man freute sich. Zwei Tage später kam dann auch die Gegeneinladung. Timo lud zu sich in seine Einraumwohnung ein, er hatte Frikadellen gemacht. Etwas später kam er dann zu mir und brachte eine Flasche Rotkäppchensekt mit. Diese Flasche habe ich bis heute.
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Gab es vor der Wende eigentlich eine DDR-Tour für Dich?
Ganz kurz vor dem Mauerfall. Ich wurde mehrfach ein- und wieder ausgeladen. Kein Mensch wusste, warum. Da hab ich wahrscheinlich wieder irgendwas gesagt, was denen nicht passte, keine Ahnung. Und dann auf der Ebene des Kulturaustausches gab es diese Tour, sechs Wochen vor dem Mauerfall, eine riesige Open-Air-Veranstaltung. Da waren Heinz Rudolf Kunze, Manfred Maurenbrecher, und ein paar andere. Wir waren als Künstler immer so in Paaren unterwegs, und Maurenbrecher war sozusagen mein „Mitmacher“. Da waren unheimlich viele Leute unterwegs und das ganze mündete dann in einem großen Konzert in Berlin Weißensee. Dass da schon unheimlich viel Bewegung war, das merkte man. Ich weiß noch, dass ich mit Heinz Rudolf Kunze ein kurzes Gespräch deshalb hatte. Der sagte: „Guck mal, unser Publikum“, ich sagte: „Das ist nicht unser Publikum. Wir sind hier bestenfalls Anlass. Allerhöchstens Soundtrack. Die machen hier gerade ihr eigenes Ding. Ich weiß zwar nicht was für eines, aber hier geht es sicher nicht um uns.“ Das war schon merkwürdig damals.
Hattest Du vor dem Mauerfall auch mal ein Ohr für die musikalischen Sachen, die aus dem Osten kamen?
Ja, im Radio. Als Berliner? Aber klar doch! Was gab es denn damals? Es gab im Westen drei Fernsehprogramme und dann noch DDR1 und DDR2. Es gab außerdem noch die Radiosendungen wie z.B. DT64. Na klar hat man dort reingehört. Logisch.
Viele deutsche Musiker fielen nach dem Mauerfall in ein Loch. Live lief nicht viel, neue Songs deutscher Künstler wollte keiner haben...
...Du meinst jetzt aber die Ostkollegen?
Nein, in vielen Gesprächen mit anderen Musikern haben wir gemerkt, dass es auch Westkollegen gibt, die das Gleiche erlebt haben...
Echt? Das war bei mir nicht so. Es ist mal eine Platte von mir in der DDR veröffentlicht worden. Mir war das anfangs gar nicht so bewusst, aber jetzt weiß ich, dass ich eine der wenigen Musiker bin, die im Westen und im Osten erfolgreich war. Und das ist bis heute so, egal womit ich komme, ob mit neuer CD, Büchern oder egal was. Wir touren gleichermaßen im gesamten Bundesgebiet. Wir spielen wirklich von Erfurt bis nach Konstanz und von Emden bis Thüringen. Ich weiß, dass es bei vielen Kollegen anders ist. Es ist bei vielen Ostkollegen so, dass sie im Westen keinen Fuß auf den Boden kriegen und bei vielen Westkollegen, wenn sie aus dem Süden sind, kommen sie nicht über die Weißwurstgrenze hinaus. Aber auch für mich gibt es „tödliche“ Flecken auf der Landkarte (lacht). Also z.B. Schwaben… schwierig, schwierig...
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Da bist Du nicht mit allein. Es haben einige Musiker so ihre Probleme, in Schwaben ein Publikum zu erreichen.
Ja, es gibt so Orte, da denke ich: „Da muss man auch nicht mehr spielen.“
In den ersten Jahren Deiner Karriere und auch ab 1994 gab es von Dir keine Single-Veröffentlichungen...
Die waren auch nie so erfolgreich. Also z.B. „Die Tänzerin“ kam als Single heraus, und hat sich 4600 mal verkauft. Das war nie der Hit. Die Leute haben lieber immer gleich das ganze Album gekauft. Das fand ich sowieso besser.
Du siehst Dich also eher als Albumkünstlerin?
Absolut!
Seit den 90ern trittst Du auch mit Lesungen auf. Hast Du diese Kunstform für Dich erst zu dieser Zeit entdeckt, oder war es schon immer ein Wunsch von Dir?
Nein, ich lese auch nur mein eigenes Zeug. Ich lese die Bücher, die ich geschrieben habe. So, wie ich in der Regel auch nur das singe, was ich selber geschrieben habe. Ich mache zwar Ausflüge woanders hin, aber in der Regel präsentiere ich meine eigenen Sachen. Aber so neu war es nicht, denn ich habe auch als Sängerin mit einer Rockband zwischen den Songs immer Geschichten erzählt.
Die Vorbereitungen zu Deinem zweiten Buch 2007 „Willkommen in Teufels Küche“ waren sehr umfangreich und ungewöhnlich. Du hast mit vielen Leuten vorher gesprochen. Wie ist die Vorbereitung konkret gelaufen?
Ich hatte die Idee zu einem Thema und dann recherchierte ich, beschäftige mich damit und hab mit vielen Leuten gesprochen. Das ging beim 12-jährigen Jungen los und ging bis zum 85-jährigen Professor. Manche Leute kannte ich, manche nicht. Ich habe Leute auch einfach angesprochen, Leute, die ich in irgendwelchen Zusammenhängen gesehen habe. Meine Prüfung zur Auswahl dieser Leute war die, dass ich den Titel des Buches gesagt habe. „Willkommen in Teufels Küche“, das ist das, woran ich arbeite „Glanz und Elend der Chaotiker“. Die, die bei der Nennung des Titels schon schief grinsten, die hab ich mir dann zur Brust genommen (lacht).
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Die dritte Deiner künstlerischen Ausdrucksformen neben der Musik und dem Bücherschreiben ist die Schauspielerei. Du hast es im Laufe des Gesprächs schon angesprochen. Wie bist Du dazu gekommen?
Wie die Jungfrau zum Kind. Mich hat einer angerufen und gefragt (lacht). Ich bin da eher zurückhaltend. Deutschland ist ein Land, wo jeder Künstler immer alles kann, so nach dem Motto „Ich bin Schauspieler, klar kann ich auch Regie führen“. Mitnichten in den meisten Fällen. Ich habe also überlegt: „Kann ich das überhaupt?“ Dann wurde mir das aber nahe gebracht und Leute, die mich kennen und am Theater arbeiten, trauten mir das zu. Und auch da wächst man hinein. Im Herbst kommt ein neues Stück, bei dem ich auch wieder mitmache, und natürlich hab ich jetzt schon mehr Erfahrung. „Learning by doing“, wie immer.
Kann man Dich derzeit auf der Theaterbühne sehen?
Wir haben gerade im Schlossparktheater hier in Berlin gespielt, aber es geht eigentlich erst im Juli richtig los. Da sind wir dann wieder bei den Hamburger Kammerspielen. Wir spielen also ganz viel in Hamburg, aber auch im Schlossparktheater Berlin.
Wo kann man sich erkundigen, wo Du genau zu sehen bist?
Auf meiner Internetseite, außerdem bei den Hamburger Kammerspielen und dem Schlossparktheater Berlin. Das Programm heißt „Männerbeschaffungsmaßnahmen“.
Ich sage Dir eine paar Stichworte und würde Dich bitten, mir nicht länger, als in zwei Sätzen, darauf zu antworten.
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Usingen:
Da bin ich nur geboren, habe da aber nie gewohnt.
Dein erstes Instrument?
Gitarre.
Deine erste Platte, die Du Dir gekauft hast?
John Lee Hooker.
Dein erster Fernsehauftritt?
Aktuelle Schaubude, Hamburg.
Die Abenteuer des Tom Sawyer?
Der Stern am Bücherhimmel meiner Kindheit.
Männerbeschaffungsmaßnahmen?
Super Stück, macht super Spaß. Eine so tolle Mannschaft, dass wir sogar im Theater zusammen kochen.
Die Abenteuer des Tom Sawyer hast Du mal als Hörbuch veröffentlicht...
...ein sehr schönes Hörbuch! Im Freien gelesen, acht Tage lang, in der Uckermark. Ein Hippie-Projekt vor dem Herrn. Wir haben Feuer gemacht, gekocht, gelesen, Musik gemacht... Ingo York machte dafür die Zwischenmusiken. Er hat ja 12 Jahre lang in Amerika gelebt, man hört die Atmosphäre, Vögelgezwitscher und Bäume rauschen, einfach wunderschön! Hat wahnsinnig Spaß gemacht und Günter Amendt, mein ältester Freund, war der Regisseur.
Wie sieht die Planung für das weitere Jahr aus? Es gibt die CD, es gibt das Buch und Theaterspielen steht an. Gibt es darüber hinaus noch etwas?
Ja, etliche Konzerte mit der Band und – über ein ungelegtes Ei, sollte man eigentlich nicht reden aber - es gibt noch eine neue Form des Schreibens, die ich gerade ausprobiere.
Gibt es noch Wünsche für die Zukunft, die Du Dir beruflich erfüllen möchtest?
Klar. Weiter schreiben. Das Schreiben eines Drehbuchs interessiert mich. Weiter Musik machen und Theater spielen… nur nicht mit jedem. Mit einer tollen Mannschaft und einem tollen Stück schon...
Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Passt auf Euch auf! (lacht)
Übertragung: Steffen Huth
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Pressematerial Ulla Meinecke, Jim Rakete, Martin Becker, M. Kreft, Ute Henkel, Ulf Massen, Daniel Biskup