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Rudolf Schenker:
Mit der ganzen Welt in einem Boot

 

Die Scorpions sind nicht nur der erfolgreichste Export-Schlager Deutschlands in Sachen Rockmusik. Sie sind vielmehr deutsches Kulturgut und eines der besten Aushängeschilder, das Deutschland je hatte. Sie sind auf der ganzen Welt so bekannt wie Beethoven, Goethe oder Richard Wagner. Sie haben Classic-Rock, Hardrock und Heavy Metal "Made in Germany" begründet, definiert und als Markenzeichen etabliert. Sie haben "deutsche Tugenden" mit Sinn erfüllt und sie vor der Welt ins rechte Licht gerückt, indem sie durch Fleiß, Kontinuität, harte Arbeit und einer Mentalität, die das Wort "aufgeben" nicht kennt, von ihrem engen Probekeller aus in die größten Arenen der Erde aufbrachen und dann "einfach" dort blieben. Geschenkt wurde ihnen nichts, sie haben die Karriereleiter Stufe für Stufe selbst erklommen. Sie eroberten Japan, Europa, Deutschland (in dieser Reihenfolge) und schließlich den Rest der Welt. Die Scorpions zu mögen, war in den 80ern "in" und als sie dann auch noch den Eisernen Vorhang durchbrachen, den Wandel der Zeit erkannten und ihm mit "Wind Of Change" Text und Melodie mit auf den Weg gaben, wurden sie endgültig zum Denkmal. Doch als die Wende und ihre Folgen ihre Schattenseiten preisgaben und "Wind Of Change" noch immer aus allen Radiostationen erscholl (wofür der Song ja nichts kann), wurde das Lied zum Ärgernis für viele und die Scorpions zum Symbol einer (scheinbar) gescheiterten Politik. Auch musikalisch wehte nun ein anderer Wind und die Stacheltierchen aus Hannover wurden mir nichts, dir nichts vom gefeierten Rock-Act zum belächelten Dinosaurier. Gerade in ihrer Heimat war es urplötzlich "in", die Scorpions NICHT zu mögen. Trotzdem folgten sie unbeirrt weiter ihrem Weg, verzettelten sich jedoch mehr und mehr in musikalischen Experimenten und ließen ihre wahren Stärken zunehmend hinter sich. Doch das ist längst Vergangenheit. Seit 2004 und ihrer LP "Unbreakable" stechen die Scorpions wieder heftig zu und sind zur Speerspitze des klassischen Rocks (der nach der Tristesse der 90er mittlerweile den ihm gebührenden Stellenwert wieder innehat) zurückgekehrt. Mit "Sting In The Tail" haben sie kürzlich ein Album abgeliefert, das an die Glanztaten der 80er anknüpft und den großen Meilensteinen ein fettes Ausrufezeichen anfügt. Und genau an dieser Stelle, wo alles wieder rosig scheint, geben sie der verblüfften Öffentlichkeit ihren Abschied bekannt! Klar, daß "Deutsche Mugge" versuchen MUSSTE, sich in den darauf folgenden Medienrummel einzuschalten. Und am 24. März hatten wir Urvater und Gründer Rudolf Schenker an der Strippe...
 

 
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Ihr habt mit der Bekanntgabe der bevorstehenden Auflösung der Scorpions für einen Paukenschlag gesorgt, der in der Öffentlichkeit hohe Wellen geschlagen hat und noch schlägt. War euch bewußt, daß ihr damit einen so großen Medienwirbel auslösen würdet oder war der sogar Teil der Kalkulation?
Nein, das war uns nicht bewußt, es hat uns eher überrascht. Es gibt einen guten Vergleich, den jemand vor kurzem geschrieben hat, der bringt es auf den Punkt: Da hat man jahrelang eine Tasse, aus der man jeden Morgen seinen Kaffee trinkt. Eines Tages fällt sie runter und ist kaputt. Und erst in dem Moment wird einem klar, daß es die beste Tasse war, die man hatte... So ähnlich scheint es jetzt den Medien mit den Scorpions zu gehen. Gerade in Deutschland, wo wir immer ein bißchen seltsam behandelt worden sind. Daß wir irgendwann kommen und sagen: "Das war's jetzt!" - damit hat wohl niemand gerechnet, weil man uns für so abhängig von den Scorpions hielt, daß man glaubte, wir seien gezwungen, so lange auf der Bühne zu stehen, bis wir umkippen. Daraus resultiert meiner Meinung nach das enorme Feedback. Es ist also keine von uns kalkulierte Situation, sondern eine große Überraschung für beide Seiten.

 

Wie seid ihr zu der Erkenntnis gelangt, daß es für euch an der Zeit ist, eine Deadline zu setzen? War der Entschluß spontan oder ist er allmählich gereift?
Das war eher Zufall. Nachdem wir mit unserem aktuellen Album "Sting In The Tail" fertig waren, ist uns erst so richtig bewußt geworden, wie gut es eigentlich ist. Und unser Manager meinte daraufhin: "Hey Leute, das Album ist so gut! Denkt doch mal darüber nach, ob das für eure außergewöhnliche Karriere nicht der beste Schlußpunkt wäre." Erst dachten wir, der macht einen Scherz. Aber nach reiflicher Überlegung erkannten wir, daß er damit Recht hat. Ich meine, wir haben uns zwar gut gehalten, aber die Jüngsten sind wir nicht mehr und es ist keine angenehme Vorstellung, irgendwann vor unserem Publikum vielleicht nur noch dahinzusiechen, kleiner und kleiner zu werden und am Ende in dubiosen Klubs zu landen. Das wäre unserer Karriere nicht würdig.
Dazu kommt noch etwas anderes: Classic Rock, wie er besonders in den 80ern gespielt wurde, ist mittlerweile wieder sehr stark im Markt oder sogar in alter Stärke zurück, weil viele Bands, die in den 90ern Grunge und ähnliches gemacht haben, nachdem sie ihre Instrumente richtig spielen konnten automatisch zu Classic-Rock-Bands wurden. Insofern sitzen wir mit "Sting In The Tail" genau auf einem Trend, der einfach "Top Class" ist! Damit haben wir den richtigen Moment gefunden, unseren Abschied mit einer mehrjährigen Tournee anzukündigen. Die letzte Tournee zu "Humanity Hour 1" ging zwar auch über zweieinhalb Jahre, so daß die Dauer nichts außergewöhnliches ist. ABER: Das Wichtigste für uns ist, den Fans in aller Welt nochmal zu zeigen: Hier ist eine Band aus Deutschland! Wir haben am Anfang alles falsch gemacht, so wurde es uns jedenfalls erzählt, um am Ende herauszufinden, daß wir im Grunde alles richtig gemacht haben. Das ist der beste Abgang, den man sich wünschen kann.
01 20130307 1782659364Es hat aber auch eine Komponente der Fairneß. Wir halten es für wichtig, daß unsere Fans sich schon jetzt darüber im Klaren sind, daß es das letzte Album und die letzte Tour sein werden. Auch gegenüber unseren Mitarbeitern, die teilweise schon seit 20, 30 Jahren für uns tätig sind, haben wir es als unerläßlich angesehen, frühzeitig für klare Fronten zu sorgen, damit sie genügend Zeit haben, sich nach anderen Möglichkeiten umzusehen. Das gehört alles zusammen.

 

Wie standen James Kottak (dr) und Pawel Maciwoda (bg) der Angelegenheit gegenüber?
Die beiden haben durch ihre Zugehörigkeit zu den Scorpions eine Plattform bekommen, die ihnen anderenfalls niemals geboten worden wäre. Dessen sind sie sich auch bewußt. James arbeitet schon eine ganze Weile parallel mit seiner Band "Kottak" an einer eigenen Karriere. Seine Frau - die Schwester von Tommy Lee (Mötley Crüe) - spielt Schlagzeug und er selbst singt und spielt Gitarre. Er hat gerade eine neue Platte und eine Tournee hinter sich. Für ihn ist das Ende der Scorpions ebensowenig ein Problem, wie für Pawel, der in Polen eine eigene Band hat.

 

Die öffentliche Diskussion ist teilweise recht bizarr. Besonders auffallend ist, daß euch scheinbar kaum jemand so richtig glaubt, daß es euch ernst ist, egal ob Journalisten, Fans oder Kollegen, was sich genau betrachtet wie ein roter Faden durch eure Karriere zieht. Findest du es nicht auch ein bißchen seltsam, daß gerade hier in eurer Heimat scheinbar jeder glaubt, besser über die Scorpions Bescheid zu wissen als ihr selber? Wie gehst du mit dieser Tatsache um?
Also, eins steht fest: Das ist nicht nur bei uns so, sondern bei allen Bands. Es hat immer jemand irgendwelche Gerüchte auf Lager, die dann aufgebaut und weiterentwickelt werden. Da wird diskutiert und sich gegenseitig angestachelt und jeder weiß noch mehr als der andere... Das ist schon immer so. Old News! Aber es ist ein gutes Zeichen. Solange über einen gesprochen wird, ist man interessant und aktuell.

 

Wie sind die Reaktionen im Ausland ausgefallen?
Ähnlich wie hier. Die Mediensituation außerhalb Deutschlands ist für uns zwar schon immer etwas besser gewesen als zu Hause, aber wir haben trotzdem nicht damit gerechnet, daß das Ausland - inklusive Amerika - so wahnsinnig intensiv reagieren würde...

 

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Ihr habt die Entscheidung in einem recht weit gefaßten zeitlichen Rahmen plaziert. Hast du dir schonmal Gedanken darüber gemacht, wie es sein wird, wenn du in ein-zwei Jahren dann tatsächlich vor dem unmittelbaren Ende der Band stehst?
"Zufällig" habe ich gerade ein Buch geschrieben. Das heißt "Rock Your Life", ist soeben in Deutschland, Österreich und der Schweiz erschienen, kommt demnächst in Portugal und Brasilien heraus, wahrscheinlich auch in Rußland, den USA und anderen Ländern... Da habe ich noch eine Menge "freudiges Schaffen" vor mir. Außerdem haben mein Bruder Michael und ich vor kurzem eine neue Schenker-Brothers-Gitarre bei Dean herausgebracht. Die ist sehr gut angekommen und die Fans haben natürlich auch gleich nach einer Schenker-Brothers-CD gefragt. Ursprünglich wollten wir die nebenbei machen, aber da inzwischen die Scorpions-Entscheidung gefallen ist, stellen wir das erstmal zurück, bis die Abschieds-Tournee gelaufen ist.

 

Klaus Meine hat sich für die CD ja schon als Sänger angeboten...
(lacht) Richtig, genau! Das hatte ich noch vergessen zu erwähnen... Es wird wahrscheinlich ein Projekt werden, bei dem wir verschiedene Sänger zur Mitwirkung einladen. Aber nicht irgendwelche, sondern schon Weltklasse-Sänger. Einer davon wird natürlich Klaus sein. Doch um zur ursprünglichen Frage zurückzukehren: Es gibt einen Haufen zu tun und wir werden selbstverständlich Musiker bleiben. Und denkt daran: Der Maya-Kalender endet 2012! Also, was soll man eigentlich noch mehr... Wir haben uns genau den richtigen Zeitpunkt ausgesucht. Wenn man davon ausgeht, daß die Scorpions am 11. Februar 1972 ihre erste LP herausgebracht haben, nämlich "Lonesome Crow", ist es auch vor diesem Hintergrund ein perfekter Kreis, der nicht besser gezirkelt werden konnte.

 

Get Your Sting And Blackout
Farewell-Tour

(Special Guest: Edguy)

07.05. Leipzig, Arena
08.05. München, Olympiahalle
12.05. Frankfurt, Festhalle
14.05. Stuttgart, Schleyerhalle
29.05. Berlin, O2 World
30.05. Zwickau, Stadthalle
01.06. Hannover, TUI Arena
12.06. Recklinghausen, Stadtgarten
12.11. Mannheim, SAP Arena
13.11. Köln, LANXESS Arena
19.11. Hamburg, Color Line Arena

mehr Info: www.the-scorpions.com

Das hat durchaus etwas für sich (grins)... Wir hatten allerdings auf etwas anderes abgezielt. Es ist ja trotz der jetzt feststehenden Entscheidung noch ein langer Weg, bis sie wirklich greift. Aber der Tag wird irgendwann unweigerlich unmittelbar bevorstehen, an dem du dich tatsächlich von den Scorpions verabschieden mußt...
Ja, paßt auf... Der entscheidende Punkt ist, daß ich mich gar nicht von den Scorpions verabschieden muß! Wir werden auch danach weiterlaufen, in den Köpfen der Menschen, in uns selbst. Es ist ja nicht so, daß die Scorpions dann plötzlich weg sind, als hätte es sie nie gegeben. So wie ein Stuhl, den man einfach auf den Sperrmüll wirft, wo keiner mehr nach ihm fragt. Es gibt noch soviel Material... Allein 400 Stunden Rußland von 1988 bis heute, angefangen bei unserer ersten Tournee 1988 von Wladiwostok bis nach Moskau, Nowosibirsk, Irkutsk... inklusive Leningrad, Roter Platz usw. Da werden wir die besten Perlen heraussuchen und zu einer DVD zusammenstellen. Und eins steht fest: In der Zeit, in die wir jetzt mit der zweieinhalbjährigen Tour kommen, wird es noch viele weitere Angebote geben, aus denen wir uns die besten heraussuchen können und werden. Auch darüber hinaus gibt es noch genug zu tun, so daß uns die Scorpions erhalten bleiben. Es geht einfach darum, daß wir uns aus dem Streß lösen wollen. Wir haben in den 90ern erlebt, was es heißt, gegen den Strom zu schwimmen und nicht aktuell zu sein. Man zieht sein Ding durch und dann kommen andere und machen es ganz anders. Aber die anderen sind hip dabei und man selbst wird nur noch belächelt und als altbacken abgetan. Das wollen wir nicht noch einmal durchmachen müssen, deshalb nutzen wir den günstigen Moment, um zu einem wirklichen Happy End zu kommen, statt irgendwann zu einem grausamen, erzwungenen Abschluß. Wir haben in den 90ern sehr viel kreativ gearbeitet und versucht, auch andere Wege zu gehen. Das hat den Fans gar nicht gefallen, weil sie sehr konservativ sind und die Scorpions immer so hören wollen, wie sie sie von "Blackout" und "Love At First Sting" her kennen. Und genau das haben wir jetzt geliefert! Wir haben die Essenz des Scorpions-Sounds gefiltert und zu einem Album zusammengefaßt. Wenn man sich das Beste unserer 80er-Platten heraussucht und zu neuen Stücken auf einer CD formt, kommt "Sting In The Tail" dabei heraus! Hätten wir dieses Album vor 25 Jahren veröffentlicht, wäre es ein Millionenseller geworden. Es ist gar nicht vorstellbar, wie das durch die Decke gegangen wäre... Heute ist die Zeit ein bißchen anders, aber wir sind trotzdem zum Beispiel überall in der Welt, wo Amazon tätig ist, in den Amazon-Verkaufs-Top Ten! In Deutschland sogar Platz Eins. So haben wir eine sehr gute Welle, auf der wir jetzt ausgiebig surfen können. Und das werden wir zusammen mit unseren Fans 03 20130307 1602397438gebührend zelebrieren. Wir haben gerade in Prag vor 40.000 Leuten angefangen und sind dann nach Moskau weitergereist, wo wir von hunderten Fans empfangen wurden, die für uns gesungen haben, die uns Geschenke und Blumen brachten und und und. Das ist der Wahnsinn, was die Fans in Bewegung bringen...! Anschließend haben wir in der neuen Eissporthalle vor 10.000 Menschen gespielt... Also man sieht, was da für eine Party auf uns zukommt. Und ihr könnt euch drauf verlassen, daß wir den Fans soviel wie möglich zurückgeben werden. Wir werden Konzerte der Superlative bieten, mit Pyroshow, Gimmicks aus den 80ern - inklusive der Scorpions-Pyramide! (Drei Musiker stehen nebeneinander, die Beine und Arme ausgebreitet, die beiden anderen stehen in derselben Pose auf den Oberschenkeln der drei und halten eine Gitarre hoch. Kann man schlecht beschreiben, sieht aber phänomenal aus. - Anm. d. Verf.) Die haben Matthias (Jabs, Gitarre - Anm. d. Verf.) und ich vor kurzem übrigens bei einer Aftershow-Party im Hotel mit ein paar KISS-Leuten gemacht. Die meinten, es wäre schon lange ein Traum von ihnen, einmal mit den Scorpions die Pyramide zu machen. Ich sagte: "Ok, laßt uns gleich loslegen!", und schon ging's ab... (lacht) Also es wird eine gigantische Welt-Party werden, das steht fest! Die Leute werden nach dem Konzert nach Hause gehen und sagen: "Scheiße, daß die Scorpions aufhören!" Und das ist genau das Bild, das sie von uns in Erinnerung behalten sollen.

(Anm. d. Verf.: Während Rudolf - ganz der Vollprofi - seine Antworten in atemberaubender Geschwindigkeit durch den Hörer schmetterte und dem eng gesteckten Zeitrahmen damit zu größtmöglicher Effektivität verhalf, waren wir eifrig damit befaßt, zufrieden grinsend eine ungestellte, aber dennoch schon beantwortete Frage nach der anderen von unserem Zettel zu streichen...)

 

Super, jetzt hast du schon eine Menge Fragen abgearbeitet, die wir eigentlich noch stellen wollten...
(lacht) Wußte ich doch! Durch die Erfahrung mit den ganzen Interviews, die ich schon gegeben habe... Und ich dachte, ich mach es euch ein bißchen leichter, damit ihr nicht soviel fragen müßt und trotzdem die gewünschten Informationen habt. (Genial! Danke, danke, danke! - Anm. d. Verf.)

 

Dann schaffen wir noch eine: Obwohl sich die Scorpions eigentlich immer als unpolitisch definiert haben, seid ihr gegen Ende der 80er Jahre doch dazu übergegangen, am eisernen Vorhang zu rütteln und die ersten Löcher hineinzuschneiden. Was hat euch dazu getrieben und wie habt ihr diese Zeit erlebt?

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Wind des Wandels

Ich folge der Moskwa
runter zum Gorki-Park
und höre dem Wind des Wandels zu.
Eine Sommernacht im August,
Soldaten gehen vorbei
und hören dem Wind des Wandels zu.

Die Welt ist zusammengerückt.
Hättest du je gedacht
daß wir so eng wie Brüder zusammensein können?
Die Zukunft liegt in der Luft,
ich kann es fühlen, überall
weht der Wind des Wandels.

Nimm mich mit
in den Zauber des Augenblicks
in einer ruhmreichen Nacht,
wo die Kinder von morgen weiterträumen
im Wind des Wandels.

Ich laufe die Straße entlang,
entfernte Erinnerungen
sind für immer in der Vergangenheit begraben.
Ich folge der Moskwa
runter zum Gorki-Park
und höre dem Wind des Wandels zu.

Nimm mich mit
in den Zauber des Augenblicks
in einer ruhmreichen Nacht,
wo die Kinder von morgen
mit dir und mir ihre Träume teilen.

Der Wind des Wandels weht geradewegs
der Zeit ins Gesicht,
wie ein Sturm, der die Freiheitsglocke
für den Seelenfrieden läutet.
Laß deine Balalaika singen,
was meine Gitarre sagen will.

(Text: Klaus Meine, Übersetzung: kf)

Ich war immer überzeugt davon - und wurde nicht selten von meinen Kumpels dafür belächelt - daß wir unbedingt in Rußland spielen müssen. Und zwar auch schon zu Zeiten, wo das überhaupt nicht möglich war. 1986 sind wir bei "Monsters Of Rock" in Budapest (Ungarn) aufgetreten. Da waren 45.000 Menschen, 20.000 davon aus der damaligen DDR. Wir fragten Laszlo, den Veranstalter: "Na, wo ist er denn nun, der Eiserne Vorhang?" Darauf er: "Den gibt es hier schon lange nicht mehr, das Business machen wir mit dem Westen!" Ich erwiderte: "Wir wollen aber auch in Rußland spielen..." Laszlo: "Kein Problem, ihr seid dort gerade mit ‚Still Loving You' eine Riesennummer und der neue Staatschef Michail Gorbatschow macht eine andere Politik mit Glasnost und Perestroika. Macht ihr mal eure neue Platte, dann können wir eine Tournee dort organisieren." Gesagt, getan. Wir stellten unser neues Album "Savage Amusement" fertig und begannen unsere Tour in Rußland. Vorgesehen waren fünf Konzerte in Leningrad (heute St. Petersburg) und fünf in Moskau. Allerdings bekamen die Offiziellen kalte Füße, weil sie befürchteten, daß es nach der Parade zum Ersten Mai, die kurz davor war, zu Unruhen und Ausschreitungen kommen könnte. Deshalb wurden die Termine in Moskau gestrichen und durch fünf weitere in Leningrad ersetzt, wobei wir drauf und dran waren, die ganze Sache wieder abzublasen. Aber weil wir praktisch schon nach Leningrad unterwegs waren sagten wir uns: "Besser so als gar nicht.", und waren dann sehr überrascht, daß wir bei jedem Konzert in der Eissporthalle in Leningrad zwischen 12.000 und 13.000 Leute im Saal hatten. Es war gigantisch, die Menschen kamen aus der ganzen Sowjetunion angereist, um uns zu sehen! Ein voller Erfolg.
Ein Jahr später fand das Music-Peace-Festival in Moskau statt, wo wir mit Freunden wie Bon Jovi, Mötley Crüe, Cinderella und Ozzy Osbourne auftraten. Da haben wir festgestellt, daß es inzwischen - in dieser kurzen Zeit - einen Wahnsinnsumbruch gegeben hatte. Wir dachten: ‚Das gibt's doch gar nicht, was passiert hier!?' Ich kann mich noch gut erinnern, als wir mit einem Boot von unserem Hotel rüber zum Gorki-Park gefahren sind, wo es ein Barbecue geben sollte, das die Hardrock Café-Company aus Amerika organisiert hatte... Da war auf einmal eine unglaubliche Mixtur von Leuten. Australier, Japaner, Deutsche, Engländer, Musiker, Journalisten, Soldaten und und und... Ich sagte: "Schaut euch das an, das ist ja hier wie in der Arche Noah! Ich komme mir vor, als wär ich mit der ganzen Welt in einem Boot!" Klaus empfand das genauso, er spürte diesen Schwung der Umkehrung, dieses "Windchen", ließ sich davon inspirieren und setzte es in einen Text um. Das war "Wind Of Change" und der Song wurde dann zum Soundtrack für die friedvollste Revolution, die auf dieser Erde je stattgefunden hat! Ohne einen Schuß, ohne Verlust an Menschen, das muß man sich immer wieder vor Augen halten! Wir haben "Wind Of Change" später auch auf russisch aufgenommen, sozusagen als Geschenk an die Russen, damit die auch verstehen konnten, worum es ging. Und es war ein Höhepunkt unserer Karriere, als wir 1991 von Gorbatschow in den Kreml eingeladen wurden. Wir fuhren durch Tor 13, durch das ansonsten nur Präsidenten fahren dürfen, an den Leibgardisten vorbei, gingen den langen Korridor entlang und trafen dann Michail Gorbatschow vor 160 Journalisten. Wir brachten den offiziellen Teil hinter uns und haben uns anschließend mit Gorbatschow allein eine dreiviertel Stunde lang über Gott und die Welt unterhalten. Das war wirklich ein Glanzpunkt, vor allem wenn man berücksichtigt, daß das Verhältnis zwischen Deutschen und Russen zur damaligen Zeit immer noch nicht ganz unproblematisch war. Ich habe oft auf Pressekonferenzen gesagt: "Unsere Eltern sind noch mit Panzern gekommen, aber wir kommen mit Gitarren!" (Hammergeil! - Anm. d. Verf.) Gorbatschow hat uns später noch oft darauf hingewiesen, daß wir die einzige Rockband waren, die jemals in den Kreml eingeladen wurde und sogar da spielen konnte. Mehr Feingeist sein als wir damals mit "Wind Of Change" ging nicht! Wir haben den Song auch nie politisch gesehen. Er war und ist eine menschliche Message von einer friedvollen Zukunft, von der Hoffnung, daß die Menschen erkennen, daß Kriege keinen Sinn machen sondern ein Zusammenleben in Freude und Glück mehr wert ist als alles Geld der Welt. Mit Brutalität und Gewalt erreicht man nichts, die braucht niemand!

 

Mal ehrlich, liebe Leser: Kann es ein besseres Schlußwort geben?

 

 
Interview: Knechtel Family
Vorbereitung: cr, kf
Vielen Dank an Julia Höfer (Sony Music)!

Fotos: Plattenfirma, Archiv

 

 


   
   
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