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Michael Rother

 

 

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Michael Rother hat sich in über 40 Jahren Karriere eine hohe Reputation erspielt. Viele etablierte Musiker und Bands nennen ihn Inspiration und Vorbild, und das nicht ohne Grund. Als genialer Gitarrist bei den Kultbands Kraftwerk, NEU! und Harmonia glänzte er an seinem Instrument ebenso wie als Solist. Dabei hat er über all die Jahre nie großes Aufheben um seine Person gemacht. Ganz im Gegenteil! Über fast zwei Jahrzehnte ist Michael Rother nicht live aufgetreten und meldete sich in den 80ern und 90ern nur mit neuen Alben zu Wort. Erst seit Ende der 90er ist er als Musiker auch wieder live auf der Bühne zu sehen und zu hören. Derzeit ist Michael Rother auf Welttournee. An verschiedenen Orten auf dem Globus gibt er zusammen mit den Musikerkollegen Steve Shelley und Aaron Mullan Konzerte unter dem Motto „Hallogallo 2010 – Michael Rother & Friends present the music of NEU!“. Aber diese Überschrift gibt nicht einmal ansatzweise das wieder, was auf der Bühne abgeht. Zwischen seinen Auftritten in Edinburgh und Mexiko-Stadt hatte Christian die Gelegenheit, mit dem Künstler zu sprechen, der trotz seines weltweiten Erfolgs völlig normal geblieben ist. Er traf auf einen freundlichen und auskunftsfreudigen Menschen, mit dem er über das Gestern, Heute und Morgen sprechen konnte und der ihm tiefe Einblicke in ein Stück Musikgeschichte gewährte. Heute, am 2. September, wird Michael Rother 60 Jahre alt. Unsere Glückwünsche gehen auf diesem Wege an das Geburtstagskind...
 

 

Hallo Michael, Du kommst gerade von Deiner Welttournee zurück. Wie war’s denn bisher?
Welttournee ist etwas übertrieben. Ich starte morgen zur Fortsetzung der Tournee. Sie geht noch bis Ende des Jahres, und aktuell sprechen wir schon über die Konzerte in Australien, Neuseeland und Japan im nächsten Jahr. Ich war seit Ende Mai in der Schweiz, in Spanien, in den USA und vor etwa einer Woche haben wir auf dem Dockville Festival in Hamburg gespielt, danach noch in Edinburgh (SCO) auf dem The Edge Festival. Das Ganze bringt uns irgendwie um die ganze Welt, das stimmt schon, aber wir sind damit noch ziemlich am Anfang. Bis jetzt läuft es sehr gut. Es ist unglaublich, wie viele positive Reaktionen die Leute auf unsere Musik zeigen. Das Erstaunliche ist, dass das überall gleichermaßen der Fall ist, also die Begeisterung in Amerika ist genauso groß wie in Deutschland. Oder besser umgekehrt, denn sogar in Deutschland sind die Leute jetzt begeistert, genauso wie in Amerika oder England. Wenn man die Kommentare im Internet sieht… vielmehr darf man nicht erwarten. Das Echo auf die Musik ist schon erstaunlich. Es scheint jetzt sozusagen genau die richtige Zeit angekommen zu sein für meine Musik der letzten 40 Jahre, also die Summe aus allen Projekten. Das ist es auch, was ich mit „Hallogallo 2010“ präsentiere. Das ist keine Nostalgie-Show, sondern die Gegenwart und ein Blick in die Zukunft, aber basierend auf allen Projekten und allen Arbeiten seit 1971.
 
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Auf den Konzertplakaten und Ankündigungen steht das Ganze unter dem Motto „Rother & Friends spielen Songs von NEU!“...
Ja, aber das ist eigentlich nur eine Verkürzung, die ich den Veranstaltern zuliebe akzeptiert habe. Eigentlich heißt das Projekt „Hallogallo 2010 – Michael Rother & Friends present the music of NEU!, Harmonia and Michael Rother solo“. Es ist vielleicht verständlich, dass die Veranstalter diesen Bandwurmsatz nicht verwenden wollen, auf Plakaten schon mal gar nicht, aber das ist die Wahrheit. Ich habe von Anfang an, und in allen Interviews, klar gemacht, dass es nicht darum geht, NEU! auf die Bühne zu stellen. Das geht auch gar nicht, da ich unter dem Namen NEU! nicht auftreten kann. Das muss ich allen Veranstaltern verweigern, denn NEU! waren Klaus Dinger und Michael Rother. Klaus Dinger ist nun schon etwas länger nicht mehr unter uns, und somit kann das auch nicht NEU! genannt werden. Mir geht es darum, meine Interpretationen, meine Wahrnehmung dieser ganzen Arbeiten jetzt zu präsentieren. Da gehören meine Arbeiten mit Harmonia genauso dazu wie einige meiner Lieblingsstücke aus dem Solo-Katalog. Wir haben in Edinburgh z.B. zum ersten Mal „Silberstreif“ von meinem Soloalbum „Fernwärme“ gespielt. Das macht alles sehr viel Spaß. Es sind Harmonia-Stücke dabei, es sind Stücke dabei, die sehr stark an NEU! erinnern… Es geht auch nicht darum, Titel Note für Note zu rekonstruieren, bzw. das jetzt sklavisch nachzuspielen. Das würde mich überhaupt nicht interessieren. Mir geht es vielmehr um den Geist, um das Konzept und die Freiheit, die in dieser geradeaus laufenden freien Musik entwickelt wurde.

Wird es davon am Ende der Tour eine CD oder DVD geben?
Das kann ich noch nicht sagen, dafür ist es noch zu früh. Wir nehmen einige Konzerte auf, wenn es technisch möglich ist. Wir nehmen immer ein mobiles Aufnahmegerät mit. Darum kümmert sich der Bassist Aaron Mullan, der auch für Sonic Youth Sounds macht und daher der Spezialist für all diese Aufnahmen und die technischen Bereiche ist. Er kümmert sich bei unseren Konzerten darum, dass das Personal an den Mischpulten genau versteht und weiß, worauf wir hinaus wollen und wie sie das einzustellen haben. Ich glaube, am liebsten säße er auch gleichzeitig noch am Mischpult (lacht). Es ist schon sehr gut, so einen Mann im Team zu haben, der in der Lage ist, allen Technikern das so zu erklären, wie ich es gar nicht könnte. Da habe ich in der Vergangenheit, auf Tourneen mit Harmonia oder mit Rother & Moebius, schon so manche unangenehme Überraschung erlebt. Da muss man dann immer durch, aber wenn die richtigen Anweisungen kommen, die Balance stimmt und es gut klingt, hat man sehr viel mehr Spaß auf der Bühne. Auch das Publikum hat dadurch mehr Spaß, ohne genau zu wissen, warum es besser klingt. Es klingt dann halt einfach besser.

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Gehen wir mal etwas in der Zeit zurück. Deine ersten Stationen hast Du gerade ja selbst schon angesprochen. Du bist 1971 als Gitarrist zur Gruppe Kraftwerk gekommen. Wie kam es dazu?
Das war purer Zufall. Ich war zu der Zeit Zivildienstleistender in einer psychiatrischen Einrichtung in Neuss bei Düsseldorf. Ich habe einen ebenfalls dort Zivildienst leistenden Musiker begleitet, der eine Einladung zu einer Band namens „Kraftwerk“ hatte. Dort sollte Musik für Filmaufnahmen gemacht werden. Ich kannte die Band nicht, fand den Namen auch ziemlich eigenartig, hatte aber nichts Besseres vor. Das war auch tatsächlich meine Einstellung: „Ach, dann geh’ ich einfach mal mit.“ Irgendwie hat es sich dann ergeben, dass ich bei diesem ersten Treffen im Studio zusammen mit Ralf Hütter gejammt habe. Klaus Dinger und Florian Schneider saßen im Studio und hörten nur zu. Hinterher haben wir unsere Telefonnummern ausgetauscht. Zwei Wochen später kam ein Anruf und die Frage, ob ich nicht zu Kraftwerk kommen will. In der Zwischenzeit hatte Ralf Hütter nämlich die Band verlassen, um sein Studium zu beenden. Ich weiß nicht, ob’s noch andere Gründe gab, jedenfalls war er ausgeschieden. Florian Schneider wollte das Projekt aber auf die Bühne stellen, weil das erste Album von Kraftwerk schon sehr erfolgreich veröffentlicht war.

Kraftwerk hat damals ganz andere Musik gemacht als die, mit der der Band letztlich der Durchbruch gelang, richtig?
Ja, Kraftwerk hat sich in den Jahren – das weiß ich – von 1968 bis 1980 sehr stark verändert. Eigentlich so wie wir alle. Das Kraftwerk-Konzept, so wie Ralf und Florian es sehen wollen, hat sich – wenn ich richtig informiert bin – erst mit dem Album „Autobahn“ sozusagen herauskristallisiert, wobei viele Fans wie ich der Meinung sind, dass auf den ersten drei Kraftwerk-Alben sehr interessante Musiken enthalten sind. Ich finde es sehr bedauerlich, dass sie diesen Teil ihrer Geschichte den Fans vorenthalten wollen. Ich glaube, bis heute haben sie die Veröffentlichung der ersten drei Alben auf CD verhindert.

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Da gibt es nur ein paar Bootlegs, die im Umlauf sind...
Ja, das Problem mit den Bootlegs kennt man ja. So war es mit NEU! in den 90ern auch. Als Klaus Dinger und ich uns nicht auf eine legale Veröffentlichung einigen konnten, hatte das zur Folge, dass es dann plötzlich weltweit Bootlegs gab, die ich in Japan, Australien und Amerika überall in großen Stapeln fand, und darüber natürlich sehr unglücklich war.

Bei Kraftwerk hast Du Klaus Dinger kennengelernt und mit ihm zusammen gespielt. Ihr habt dann wenig später die Gruppe NEU! gegründet. Was war die Idee und der Hintergrund zu NEU!? Mit welchem Ziel seid Ihr an den Start gegangen?
Mit Kraftwerk und Florian Schneider ging es nicht weiter. Wir haben im Sommer '71 in der Besetzung Schneider, Dinger, Rother versucht, das zweite Kraftwerk-Album aufzunehmen. Dabei sind wir nicht zurechtgekommen. Wir konnten diese Aufregung und diese ekstatische Musik, die wir live aufführten, im Studio nicht reproduzieren. Das funktionierte einfach nicht. Danach war für uns alle klar, dass wir in der Formation nicht weitermachen wollten. Klaus und ich hatten aber doch das Gefühl, dass wir musikalisch weitgehend mit unseren Zielen überein stimmten, und haben deshalb als Duo einfach weitergemacht. Das war erstmal nur der Wunsch, weiter Musik zu machen. Wir kannten die Qualitäten des jeweils anderen. Klaus war ein großartiger Schlagzeuger, beeindruckend war seine Energie und die Wucht, mit der er da auf der Bühne und im Studio spielte. Ich denke, umgekehrt wird er genauso gedacht haben. Ich kann das natürlich nur vermuten, aber er hat sich so ähnlich auch geäußert. Er hat von Anfang an großen Gefallen an meiner melodisch-harmonischen Welt gefunden. Wir waren eine ideale Kombination. Alles Weitere ergab sich dann erst im Studio. Wir hatten beide Vorstellungen, man kann schon sagen Visionen von Musik, irgendwelche Ahnungen, aber es gab kein Konzept. Wir haben auch nie über Musik-Theorie oder ganz konkret, wohin wir wollten, diskutiert, sondern Musik wurde gemacht. Wir sind einfach ins Studio gegangen, jeder hatte seine Ideen, die er dort einwerfen wollte. Die Musik entstand, indem man wie zwei Action-Painter vor einer Leinwand stand, und dann mal der eine etwas drauf warf, dann der andere, und man so im wechselseitigen Reagieren ein Bild vervollständigte. So ist die Musik von NEU! entstanden.

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Ich glaube, wenn ich richtig recherchiert habe, war das Debüt-Album von NEU! auch gleichzeitig die erste LP-Produktion, an der Du beteiligt warst.
Richtig, das erste NEU!-Album war die erste Platte, die ich veröffentlicht habe.

Kurz vor dem Ende der Gruppe NEU! im Jahre 1975 kamen zwei Musiker zur Gruppe, die mit Dinger kurze Zeit später die Band La Düsseldorf gründeten, nämlich einmal sein Bruder Thomas und Hans Lampe. War da schon klar, dass es NEU! in der Form nicht mehr lange geben würde?
Das war historisch ein bisschen anders. Ich habe ab 1973 schon mit Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius das Projekt „Harmonia“ gemacht. Das war für mich sehr wichtig. Klaus Dinger und ich haben uns im Grunde 1974 nur noch einmal getroffen, um das dritte NEU!-Album aufzunehmen. Unser Verständnis von NEU! war das eines Projektes. Wir waren ja keine Band und sind auch nicht erfolgreich aufgetreten. Klaus und ich haben 1972 versucht, NEU! auf die Bühne zu bringen, und sind dabei völlig gescheitert. Wir haben Versuche in diese Richtung dann auch sehr schnell eingestellt. Wie gesagt, ich habe ab 1973 mit Harmonia gearbeitet. Dort ging das mit Live-Auftritten sehr gut, auch mit Plattenaufnahmen. Klaus hatte in der Zwischenzeit in Düsseldorf auch mit anderen Musikern, nämlich mit den von Dir genannten Hans Lampe und seinem Bruder Thomas, angefangen, eigene Ideen zu entwickeln. Wir haben diskutiert, wie wir das dritte NEU!-Album aufnehmen wollten und haben dabei einen Kompromiss gefunden. Ich war eigentlich nur daran interessiert, mit Klaus zu arbeiten und Klaus wollte gerne die beiden anderen Musikern bei der Album-Produktion dabei haben. So haben wir dann eine Seite als Duo, und die andere Seite mit Hans Lampe und Thomas Dinger aufgenommen. Es war von Anfang an klar, dass ich nach Beendigung der Aufnahmen zu „NEU `75“ zu Harmonia zurückkehren würde. Das habe ich dann auch getan. Erst im Sommer ´76 hat sich Harmonia aufgelöst, und ich war gezwungen, mich als Solomusiker zu versuchen und habe dann „Flammende Herzen“ aufgenommen.

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...und das sehr erfolgreich, denn dieses Album fand regen Zuspruch bei den Musikfans im Lande. Wie ist die Platte entstanden und hast Du mit so einem Erfolg gerechnet?
Meine eigene Begeisterung für die Musik war – glaube ich – bei allen Projekten gleich groß, sonst hätte ich die Musik auch nie gemacht. Ich war gleichermaßen überzeugt von NEU! wie von Harmonia. So war es auch bei meinem ersten Soloalbum, als ich es aufgenommen hatte. Ich habe damals aber schon gewusst, auch aus der Erfahrung heraus, dass meine eigene Begeisterung und Überzeugung nichts damit zu tun hat, wie das Publikum reagiert. Bei NEU! war die Resonanz sehr positiv, da war gleich das erste Album ein ziemlicher Erfolg, Harmonia war hingegen ein kompletter kommerzieller Misserfolg. Bei „Flammende Herzen“ war meine Begeisterung auch wieder sehr groß. Zunächst gab es zwar Zustimmung bei den Plattenfirmen, ich habe aber trotzdem erstmal keinen Vertrag bekommen, weil auch damals schon die Plattenfirmen sehr skeptisch waren, jedenfalls in den oberen Etagen. Da war ich schon ziemlich zerknirscht und enttäuscht. Erst als das Album dann auf diesem kleinen Label „Sky Records“ erschienen ist und das Publikum die Chance hatte, die Musik zu hören, kam dann auch der große Erfolg. Und dieser Erfolg hat mich sehr positiv überrascht, weil ich zunächst mit einem Scheitern wie bei Harmonia gerechnet hatte. Meine eigene Begeisterung, die Überzeugung, dass mir die Musik gelungen war, war ja vorhanden. Aber das Publikum reagiert mal so und mal so, das habe ich in den Jahren akzeptiert und akzeptieren lernen müssen. Langfristig hat man als Künstler sowieso keine Chance, wenn man sich zu sehr mit den Erwartungen des Publikums befasst. Man muss vielmehr darauf achten, dass man seine eigene Überzeugung in der Musik ausdrückt. Die eigene Begeisterung lässt sich durch keine Vorschrift und keine Verkaufszahlen ersetzen.

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Später hast Du mit einem sehr bekannten Musiker immer wieder zusammengearbeitet, der selbst sagt, er sei von Dir und Deiner Musik beeinflusst worden. Ich meine damit Brian Eno, den Mitbegründer von Roxy Music. Wie habt Ihr Euch kennengelernt?
Brian Eno kam 1974 in Hamburg zu einem Harmonia-Konzert. Er war in Deutschland auf Promotion-Reise und hörte davon, dass wir in Hamburg spielen. Er bat dann darum, dort hingebracht zu werden und wir wurden einander vorgestellt. Brian ist bei der Zugabe sogar mit eingestiegen und wir haben auf der Bühne ein bisschen gejammt. Wir haben ihn dann eingeladen, Harmonia in Forst (dort hatte die Band ihr Studio, Anm. d. Verf.) zu besuchen. 1976 ist er dann gekommen und hat 11 oder 12 Tage mit uns gewohnt. Wir haben damals eine Menge Musik aufgenommen, was jetzt vor Kurzem in einer neueren Version des Albums „Harmonia & Brian Eno – Tracks & Traces“ (2009, Grönland / Cargo Records) erschienen ist. Das war auch eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit.

Wir sprachen eingangs schon über Deine Welttournee. Wann begann es bei Dir, international zu werden?
Auf kleinster Flamme fing das schon mit Harmonia an. Wir haben damals allerdings nur in Holland, in Amsterdam und anderen kleineren Städten, vor Insider-Gruppen gespielt. Aber so richtig ging das erst in den letzten 12 Jahren los. Ich habe 1998 erst wieder angefangen, live zu spielen, nachdem ich mit dem Ende von Harmonia 1976 völlig aufgehört hatte, Konzerte zu geben. Ich habe 1979 mein eigenes Tonstudio eingerichtet und mich in den Folgejahren bis einschließlich 1998 im Studio aufgehalten. Ich war sehr glücklich darüber, mit eigenen Geräten in einem eigenen Studio Musik entwickeln zu können. 1998 haben wir dann unsere erste Tournee nach Amerika gemacht, 1999 nach Japan. Seit 2001 sind die NEU!-Alben bei Grönland Records weltweit erschienen, und die Resonanz wächst seitdem von Jahr zu Jahr. Es ist erstaunlich! Man kann das sehr gut verfolgen, wenn man sich die internationale Presse anschaut, das verdoppelt sich quasi jedes Jahr. Harmonia hatte z.B. in 30 Jahren nicht so viel Presse wie allein im letzten oder vorletzten Jahr.

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Hätte der Erfolg für Dich durch das Spielen von Konzerten nicht noch größer werden können? Ich stelle mir gerade vor, dass speziell die ersten Platten live umgesetzt richtig heißer Stoff gewesen wären.
(lacht) Ja, es gab sogar auch Angebote, aber damals war die Technologie eben noch nicht so weit wie heute. Ich kannte keine Musiker, die mir geeignet erschienen, meine Gitarrenparts zu spielen, und ich hätte ja ungefähr drei Gitarren gebraucht. Heutzutage, mit dem Einsatz von Laptops, Sampling und den ganzen Klanggestaltungsmöglichkeiten, ist das eine ganz andere Situation. Aber 1977 hätte ich eine richtige Band benötigt, und die Musiker dafür kannte ich nicht. Jaki Liebezeit wäre natürlich ein wunderbarer Schlagzeuger gewesen, wie auch auf der Platte, aber das alleine hätte noch kein vollwertiges Klangbild ergeben. Da ist die Entwicklung der technischen Möglichkeiten inzwischen auch zu meinen Gunsten viel weiter. Heute kann ich eine Musik auf die Bühne bringen, mit der ich selbst auch zufrieden bin.

Waren die weiterentwickelten technischen Voraussetzungen der einzige Grund, oder gab es noch andere, dass Du 1998 wieder auf die Bühne zurück gekehrt bist?
Der Anstoß dazu kam von einem Freund, der in Düsseldorf ein Festival organisierte und mich frage: „Sag mal, hast Du nicht Lust da etwas zu spielen?“ Ich denke, wenn man 20 Jahre lang im Studio gearbeitet hat und sich in dieser Zeit auch die Technologie so verändert hat, dass man mit ihr sehr gut arbeiten kann, dann ist das gar nicht so eine große Sache. Man verändert sich ja auch. Ich werde, wenn ich in ähnlichem Tempo weiter live auftrete, irgendwann auch mal wieder das Bedürfnis verspüren, in Ruhe im Studio zu arbeiten. Solche zyklischen Veränderungen finde ich nicht weiter überraschend. Das Interesse verschiebt und verlagert sich. Ich reise sehr gerne und bin deshalb auch schon seit Jahrzehnten als Reisender auf der Welt unterwegs. Und diese Reisen mit Musik bereiten mir ein unglaubliches Vergnügen. Man lernt Länder jetzt ganz anders kennen. Morgen geht es für mich z.B. nach Mexiko. Die Veranstalter kümmern sich um einen und man bekommt einen ganz anderen Zugang, wenn man als Musiker reist. Man hat einfach leichter Kontakt und wird auch gleich an die richtigen Adressen gebracht, wo interessante Sachen passieren. Man ist einfach mitten im Leben drin.

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Ich habe gelesen, dass es eine sehr enge Verbindung zwischen Dir, der amerikanischen Band Red Hot Chili Peppers und zu ihrem Gitarristen John Frusciante gibt. Wie kam es dazu, dass Ihr sogar gemeinsam aufgetreten seid, immerhin ist die Musik der Peppers grundlegend anders als Deine...
Naja, dass Musiker und Bands unsere Musik gehört haben und auch heute noch hören, bei denen man es eigentlich nicht vermutet, hat man in letzter Zeit immer häufiger feststellen können. Nicht nur die Red Hot Chili Peppers, auch Noel Gallagher von Oasis hat sich zu NEU! bekannt, und Bono und The Edge von U2 ebenfalls. Die Liste ist relativ lang. Man würde, wenn man sich die Musik dieser Bands anhört, vielleicht genauso wenig denken: „Naja, das ist ja klar woher da der Wind weht“, wie bei den Red Hot Chili Peppers. 2003 hat ein deutscher Journalist die Idee gehabt, John und mich zusammen zu bringen, nachdem John und auch „Flea“ (Michael Balzary, Bassist der Chili Peppers, Anm. d. Verf.) in mehreren Interviews in den Jahren davor erzählt haben, wie toll sie NEU!, Michael Rother und Harmonia finden. Besonders John hatte wohl mein Gitarrenspiel gelobt und seine Bewunderung ausgedrückt. So haben wir 2003 dann backstage beim Red Hot Chili Peppers-Konzert in Hamburg ein Interview zusammen gemacht, anschließend hat John mich bei der Zugabe damit überrascht, dass er auf mich zu kam und mich aufforderte, doch auf der Bühne mit zu jammen. Nach anfänglichem Zögern habe ich zugestimmt und mir eine Gitarre genommen. Daraus wuchs dann eine Freundschaft. Im Jahre 2004 haben wir in Amerika zwei Konzerte zusammen gemacht und John hat mich in Forst besucht. Wir sind auch jetzt in Kontakt, vielleicht wird er bei einigen Auftritten meines Projektes im nächsten Jahr mal einsteigen. Aktuell arbeitet er an einem neuen Album. Nachdem er sich von den Red Hot Chili Peppers getrennt hat, ist er erstmal mit dem Erschaffen eigener neuer Musik beschäftigt. Wir haben beide Interesse daran, unsere Zusammenarbeit in Zukunft wieder aufzugreifen. Er gehört einfach zu den Musikern - genauso wie Josh Klinghoffer, der John Frusciante und mich damals bei den Konzerten in Amerika begleitet hat, und Benjamin Curtis, der früher bei Secret Machines war, heute bei "School of Seven Bells" spielt, und der eigentlich auch für die „Hallogallo 2010“-Tour vorgesehen war, eingeladen wurde und auch zugesagt hatte, aber letztlich nicht konnte, da seine Band das zweite Album veröffentlicht hat, und er mit der Band derzeit auf einer endlosen Tournee ist, und deshalb schweren Herzens absagen musste - an die ich zuerst denken würde, wenn es darum geht, Musiker für eine Zusammenarbeit zu finden. Das sind alles sehr sympathische Menschen, tolle Musiker und Freunde. Es macht sehr viel Vergnügen, wenn alle Faktoren flahe 20130307 1603642987zusammen kommen, wie jetzt mit Aaron Mullan und Steve Shelley (Sonic Youth), der auch großartig am Schlagzeug ist und der dem Ganzen so eine Kraft gibt, dass die Leute auf dem Doppel-Festival in Hamburg vor der Bühne im Regen tanzten. Es ist ein Glücksfall, dass so ein Enthusiasmus bei diesen Musikern und Musiker-Freunden vorhanden ist, sich so ein Zeitfenster auftut, weil die eigene Band Sonic Youth gerade mal nicht aktiv ist, und wir deshalb darüber nachdenken können, welche Reisen wir zusammen machen. Wie gesagt, ich fliege morgen nach Mexiko und die Jungs kommen übermorgen nach. Wir spielen dann in Mexico-City und Guadalajara, und von da geht’s in den USA weiter.

Das wäre dann auch meine letzte Frage gewesen: Was liegt als nächstes bei Dir an? Wird es mal wieder ein neues Album von Dir geben?
Ich bin in diesen Monaten arbeitsmäßig mehr als total ausgelastet. Da ist an gar nichts anderes zu denken. Aber wir nehmen ja einige der Konzerte auf, und das wäre vielleicht schon ein Grundstock für eine neue Veröffentlichung. Aber im Moment ist da noch kein Gedanke. Ich habe auch nur 24 Stunden am Tag Zeit. Ich würde gerne mal wieder Zeit haben, im Studio in Ruhe zu arbeiten, aber andererseits genieße ich auch diese Etappe, diese Phase, die mich so dermaßen durchrüttelt, die vielen Reisen und die doch sehr aufregenden Erfahrungen, die man dabei macht. Wir haben in New York beim Open Air-Konzert am Lincoln-Center z.B. vor 5000 Leuten gespielt. Das sind natürlich sehr schöne Erfahrungen, wenn einem die Begeisterung der Leute entgegen schlägt.

Dann danke ich Dir, dass Du trotz engem Terminplan Zeit für dieses Gespräch gefunden hast und wünsche Dir morgen eine gute Reise nach Mexiko und volle Häuser beim Rest der Tour...
(lacht) Ja, gerne! Wir haben ja schon längere Zeit darüber gesprochen, und das wollte ich jetzt nicht noch einmal verschieben. Eigentlich hätte ich es meinem Zeitplan nach tun müssen, aber ich bin froh, dass wir uns jetzt unterhalten konnten.

 

Interview: Christian Reder
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Michael Rother privat. Klaus Dinger, Ann Weitz, Bob Messineo, Christine Roedelius, Peter Lindbergh, Roberta Accettulli

 

 

 


   
   
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