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Bernd Römer:

"Pffffft ft, ft, ft, ft, ft, ft..."

 

 

bernd07 20130210 1017277190Was tut man nicht alles, um die unvermeidlichen Brücken im Titel zu vermeiden... *g* Aber Spaß beiseite: Die Gruppe Karat noch großartig vorzustellen, hieße die sprichwörtlichen Eulen in die Hauptstadt eines unserer erklärten Lieblingsländer zu tragen, das der EU gerade so unglaublich viel Freude macht (Hähä!). So ist es eigentlich auch das Normalste der Welt, die Band - mit über 5 Millionen verkauften Tonträgern und zweieinhalb "Goldenen Schallplatten" (Erklärung folgt...) ein wahres Schwergewicht im Reiche des Ostrocks - in ihrem 35. Jahr zum (Vor)Feiern auf unsere Seiten zu bitten. Wer allerdings "Deutsche Mugge" schon länger kennt, weiß um die besondere Konstellation, die uns mit Karat verbindet und wird sich daher denken können, daß es nicht ganz einfach war, den richtigen Ansatz für ein interessantes Interview mit der Band, in Person von Gitarrist Bernd Römer, zu finden. Schließlich wollen wir keinem Selbstzweck dienen, sondern euch, liebe Leser, hintergründige, informative und auch unterhaltsame Lektüre bieten. Wir waren daher wild entschlossen, dem blonden Saitenhexer intensiv auf den Zahn zu fühlen und ihm dabei möglichst viele konkrete Details zu gestern, heute und morgen zu entlocken, die noch nicht jeder weiß. Daß einer der Anlässe für unser Gespräch eine demnächst erscheinende Bandbiografie war, erhöhte den Reiz der Herausforderung durchaus... Ob wir sie gemeistert haben, müßt ihr entscheiden. Fest steht aber, daß Bernd dieser Aufgabe ein unheimlich netter und aufgeschlossener Partner war, der sich auch vor kritischen Fragen nicht scheute. Vorhang auf...
 

 

Runde Geburtstage sind für die Medien stets willkommener Anlaß zur Rückschau, der proportional zur Größe der Zahl ansteigt. Aber wie ist das bei den Betroffenen? Freut man sich auf solche Anlässe?
Natürlich freut man sich drauf! 35 Jahre sind zwar nicht so ganz rund - 40 Jahre werden runder sein - aber auch die Fünfer-Schritte haben eine gewisse Meilensteincharakteristik.

 

Hält man mal inne und blickt zurück?
Ein Blick zurück ist etwas, was einem sowieso immer mal wieder passiert, das würde ich jetzt nicht unbedingt mit den Jubiläen in Verbindung bringen. Da konzentriert sich das vielleicht etwas mehr, weil man häufiger darauf angesprochen wird. Doch auch in den vielen schweren Situationen der letzten Jahre, die die Band noch näher haben zusammenrücken lassen, war der Rückblick stets präsent.

 

Und wünscht man sich manchmal, die Uhren nochmal zurückdrehen zu können?
Ich glaube nicht. Es gibt sicher Momente, in denen man sich das mal überlegt, aber man verwirft es auch gleich wieder.

 

Geht man heute anders auf die Bühne als am Anfang der Karriere? Falls ja, wo liegen die größten Unterschiede?
Auf jeden Fall! Ich habe das bereits Mitte der neunziger Jahre registriert, als nach der Nachwendeflaute mit wenigen Konzerten vor nur wenigen Zuschauern die Konzertsäle wieder zusehends voller wurden. Da ist mir erst so richtig bewußt geworden, was wir den Leuten mit unserer Musik auf ihrem Lebensweg gegeben haben und welchen Stellenwert unsere Lieder einnehmen. Wir beeinflußten Generationen, und das spüren wir heute noch. Die Menschen liegen sich bei Konzerten in den Armen, schwelgen, toben, reagieren sehr emotional und sind uns über all die Jahre treu geblieben. Das animiert einen dazu, auf der Bühne noch mehr von sich zu geben, noch mehr Innigkeit auszustrahlen und alles noch bewußter anzugehen, als das früher der Fall war.

 

Nachdem ihr den 30. Bandgeburtstag vor fünf Jahren aus nachvollziehbaren Gründen nicht gefeiert habt, steht dieses Jahr ganz im Zeichen von "35 Jahren Karat". Worauf können die Fans sich freuen?
Es gibt natürlich in erster Linie eine neue CD, über die ich aber noch nicht zuviel verraten möchte. (Abwarten... - Anm. d. Verf.) Dann wird ein Buch erscheinen, das auf eine Art geschrieben wurde, die nicht so ganz üblich ist und ein paar spezielle Konzerte wird es auch geben.

 

Beginnen wir mit dem Buch "Über sieben Brücken mußt du gehn" von Christine Dähn, das im März erscheinen soll: Wie stark wart ihr in den Entstehungsprozeß integriert?
Sehr stark, jeder von uns. Ich glaube, jeder Leser wird uns nach der Lektüre des Buches um einiges besser kennen als vorher. Christine hat mit uns sehr ausführlich zusammengesessen und Informationen zusammengetragen. Wir haben gemeinsam viele Situationen nochmal im Detail aufleben lassen und das allein ist es schon wert, sich da hineinzuvertiefen. Es erscheint übrigens am 19. März zur Buchmesse in Leipzig.

 

Was wird da drinstehen, was man von euch bisher nicht wußte? Irgendwelche "Geheimnisse"?05 20130210 1749990158
(lacht) Haha, Geheimnisse... Na, ich sag mal so: Von mir gibt es zum Beispiel eine schöne Geschichte, wie ich überhaupt zum Gitarrespielen gekommen bin. Das ist etwas, das bisher nur wenige wissen. Und so ergibt sich bei jedem ein anderer Schwerpunkt aus seiner Geschichte.

 

Am neugierigsten dürften eure Fans wohl auf das neue Album sein, das nach vielen Ankündigungen nun endlich das Licht der Welt erblicken soll. Wie weit seid ihr damit und wann kommt es heraus?
Wir sind im Endspurt begriffen und es wird auf jeden Fall pünktlich zu unserem ersten Konzert 2010 in Erfurt auf dem Markt sein. Also am 9. April.

 

Heißen soll es "Karat - 1975-2010", was irgendwie nach Grabstein klingt...
"Karat - 1975-2010" ist das Motto für dieses Jahr. Für die CD war es lediglich ein Arbeitstitel. Sie wird aber "Weitergeh'n" heißen.

 

Wer zeichnet für Kompositionen und Texte verantwortlich?
Den Hauptteil der Kompositionen (8 Titel) hat Martin (Becker, keyb - Anm. d. Verf.) geschrieben, die anderen (5 Titel) hat Claudius (Dreilich, voc - Anm. d. Verf.) beigetragen. Texte kamen, neben eigenen von Martin und Christian (Liebig, b - Anm. d. Verf.) teilweise von Leuten, mit denen wir bisher überhaupt noch nicht zusammengearbeitet hatten. Da hat sich vieles erst in der letzten Zeit ergeben, womit wir gar nicht gerechnet hätten und wohl auch sonst niemand. Zum Beispiel wird ein Text von Roland Kaiser dabeisein...

 

Oha! Sieh an... aber nichts von Ed?
Nein, auf dieser Platte nicht. Ed hat zwar einiges geschrieben, das ist aber noch nicht fertig. Wir müssen mal schauen, ob wir im Laufe des Jahres damit noch etwas machen können. Wird man sehen. Es gibt aber auf jeden Fall auch sehr schönes Material von ihm.

 

Wird es komplett neue Songs geben oder greift ihr auch auf bereits vorhandenes Material zurück?
Die CD wird dreizehn komplett neue Songs enthalten, die es bisher noch nicht zu kaufen gab, inklusive "Verloren", "Für mich" und "Nie zu weit" (als neue Aufnahme), die manche schon von unseren Konzerten kennen. Die Titelliste wird lauten: "Aufräumen", "Sommerzeit", "Verloren", "Reise", "Der Klub", "Nie zu weit", "Berlin", "So wie du", "Für mich", "Weitergeh'n", "Für dich", "Es geht vorbei" und "Die kleine Nachtmusik". Dazu als Bonustracks "Melancholie", der als erster Song der neuen Konstellation natürlich mit draufgehört und "Der letzte Countdown" zu Ehren von Franzl Bartzsch, der ihn bekanntlich geschrieben hat

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Sind Gastmusiker zu hören? 
Ja! Mein alter Freund Pitti (Gisbert Piatkowski, Renft, Modern Soul - Anm. d. Verf.) zupft ein bißchen Gitarre mit und unser Produzent André Kuntze (u.a. Frank Schöbel, Dirk Zöllner - Anm. d. Verf.) hat auch mitgespielt. Wir hatten viel Spaß im Studio..

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Ist mit weiteren Remakes zu rechnen?
Nein, erstmal nicht. Das haben wir für "Ostrock in Klassik" in den letzten Jahren gemacht, was auch sehr viel Freude bereitete. Die alten Songs mit Claudius noch einmal zu neuem Leben zu erwecken, war eine tolle Erfahrung. Hier und da wird das sicher nochmal passieren, da wir die älteren Songs für Fernsehauftritte mit Claudius' Stimme benötigen.

 

Was ist eigentlich der Reiz an Remakes?
Für mich war der größte Reiz "Der blaue Planet" und "Albatros" für "Ostrock in Klassik". Die Songs sind damals in einem gewissen Zeitgeist entstanden. Und die mit vielen Soundtüfteleien einer moderaten Modernisierung in klassischem Gewand zu unterziehen, ohne sie im Grundsatz zu verändern, empfand ich als schöne Herausforderung. Es gibt ja auch andere Remakes von uns, wo wir die betreffenden Songs richtig verändert haben. Das sollte man aber nur dann machen, wenn man eine wirklich passende Idee hat, nicht auf Krampf.

 

Nachdem Claudius vor fünf Jahren den Sängerposten übernommen hatte, hieß es, die Band würde jetzt wieder rockiger werden. Die bisher veröffentlichten neuen Songs trugen dem aber kaum Rechnung. Wie sieht das beim Album aus?
(lacht) Tjaaa... kaufen und reinhören! Hahaha...

 

Öj!
Es sind auf jeden Fall einige sehr frische Nummern dabei und ich vermute mal, daß manche Leute überrascht aufhorchen werden!

 

Wie schwierig war es, in einen kreativen Prozeß hineinzufinden? Immerhin fehlt mit Herbert euer jahrelanger Hauptmotor...
Das würde ich gar nicht so sehr in Zusammenhang bringen. Der kreative Prozeß wäre im Grunde genommen sofort weitergegangen, wenn wir nicht durch die bekannten Ereignisse zurückgeworfen worden wären, die uns auch innerlich blockiert haben. Wir hatten schon relativ früh neue Stücke fertig, aber bis man ein ganzes Album beisammen hat, dauert es natürlich eine gewisse Zeit und unfreiwillige Unterbrechungen sind dem nicht gerade förderlich. Erst im letzten Jahr haben wir uns wieder so richtig freigespielt und das Ergebnis werdet ihr in den nächsten Wochen zu hören bekommen.

 

Abgesehen von den Problemen, die er euch hinterlassen hatte: Vermißt du Herbert manchmal?
Na logisch vermißt man den alten Kollegen, das ist doch überhaupt keine Frage! Wir haben soviele tolle Sachen gemeinsam erlebt... Das vermeintlich Negative, das vor allem nach außen so wirkt, hat ja ganz andere Hintergründe und spielt dafür keine Rolle. Ich denke sehr oft daran, wieviel Spaß wir zusammen hatten, was für tolle Konzerte wir zusammen gespielt haben... Die schönen Erinnerungen sind immer da!

 

Was erwartest du von eurem neuen Album?
Ich denke, in der heutigen Medienlandschaft sollte man nicht glauben, daß man einen Superhit landet. Sowas wird heutzutage anders konstruiert. Sicher kann es mal zu einem Zufallstreffer kommen, aber die ganze Szenerie ist mittlerweile völlig anders gestrickt als früher. Ich hoffe natürlich, daß die Fans die CD kaufen. Und daß sie sie gerne kaufen und dann vielleicht auch ein bißchen überrascht sind und sagen: "Sieh mal an, Karat hat auch nach 35 Jahren noch viel Frische im Bauch..."

 

25 20130210 1726292034Wie weit wird es die in den letzten Jahren schon etwas eingefahrene Setlist eurer Konzerte verändern?
Selbstverständlich werden einige Songs davon mit in die Konzerte einfließen, das ist völlig klar. Aber "eingefahrene Setlist"... ich weiß nicht. Man ist mit dieser Bezeichnung recht schnell bei der Hand, doch vor Ort sieht das dann immer etwas anders aus. (lacht) Wir haben in all den Jahren immer wieder versucht, andere Wege zu gehen und mehr Neues zum Zuge kommen zu lassen, doch am Ende kommen die Fans und beschweren sich: "Warum habt ihr dies nicht gespielt und jenes nicht gespielt, wir hätten so gerne das andere gehört..." Man merkt auch auf der Bühne, bei welchen Liedern die emotionalsten Reaktionen im Publikum erfolgen. Wenn man 35 Jahre auf dem Buckel hat und so viele Hits im Repertoire, die für die Leute ein Teil ihres Lebens waren und sind, muß man einer gewissen Erwartungshaltung Rechnung tragen. Deshalb wird das Neue bei uns nie den größten Raum einnehmen können. Es wird immer Farbtupfer in das Gesamtbild bringen, aber nie das Konzert beherrschen.

 

Konzerte ist ein gutes Stichwort: Wird es einen speziellen Geburtstagsauftritt geben? Ist in dieser Hinsicht mit Überraschungen zu rechnen?
Ja, es wird ein paar spezielle Konzerte in größeren Städten der "Neuen Bundesländer" geben. Ein bißchen überlegen wir noch, aber vieles steht auch schon fest. Was da genau passiert, will ich aber noch nicht vorwegnehmen, sonst wäre es ja keine Überraschung mehr.

 

26 20130210 1858693615Hättet ihr nicht mal Lust, etwas total verrücktes auf die Bühne zu bringen? Wie wär's z.B. mal mit "Das Monster" als Opener? Oder Lieder wie "Leute welch ein Tag" und "Draußen im Kornfeld" im Programm? Ist so etwas denkbar?
(lacht) Wir haben tatsächlich schon öfter über "Das Monster" nachgedacht, vor allem ich, weil es einer der ersten Karat-Songs war, in die ich mich einbringen konnte. Aber das Stück ist natürlich stark von seinem Originalsänger Neumi (Hans-Joachim Neumann - Anm. d. Verf.) geprägt. Claudius müßte sich dafür total verbiegen, das könnte in Krampf ausarten und würde dann nicht gut wirken. Man müßte also eine Idee haben, wie man "Das Monster" so verändert, daß es zu Claudius' Stimme paßt. Und dann besteht wiederum die Gefahr, daß es den Leuten nicht mehr gefällt, weil sie es so haben wollten, wie es auf der Platte ist. Also, denkbar ist das sicher, aber nur schwer umsetzbar.

 

Was wird die angekündigte DVD enthalten?
Ganz viele spontane Aufnahmen, die uns mit Freunden im Backstagebereich zeigen. Fernsehauftritte werden bestimmt auch zu sehen sein... Ich würde aber auch hier sagen wollen: Laßt euch überraschen!

 

Es schlummern einige Konzerte und TV-Auftritte in den Archiven. Da könnte man ein ziemlich umfangreiches DVD-Paket schnüren, das eure Fans sicherlich zu Luftsprüngen animieren würde. Zuviel ist da einfach in der Versenkung verschwunden. Wäre es nicht an der Zeit, über eine derartige Veröffentlichung zumindest einmal nachzudenken?
Darüber wurde bereits nachgedacht. Es ist aber so, daß man garantiert nicht alles zusammenbekommen kann, was man gerne hätte. Da müßte man sich echt mal viel Zeit nehmen und akribisch alles zusammensuchen, um daraus eine DVD zu machen... Bei der jetzt angedachten DVD wird es jedoch im Großen und Ganzen um einen Querschnitt über unser Tun des letzten Jahres gehen.

 

Apropos... uns liegt ein Konzertmitschnitt des DDR-Fernsehens von 1982 aus Bautzen vor. Beim Anschauen haben wir mehr als verwundert festgestellt, daß "Marionetten" und "Der blaue Planet" aus der Konserve kamen, also playback aufgeführt wurden. Habt ihr das öfter gemacht? Und was war der Grund dafür?
Beim "Blauen Planeten" kann ich das jetzt gar nicht so genau sagen, weil wir den meiner Erinnerung nach immer live gespielt haben. Keine Ahnung, warum das bei dem betreffenden Konzert nötig war. An "Marionetten" kann ich mich aber sehr gut erinnern. Der Song war live einfach nicht rüberzubringen, der hätte total anders geklungen. Da wurde im Studio mit künstlich erzeugten Sequenzern gearbeitet, die auf der Bühne nicht reproduzierbar waren. Dazu hatten wir leider nicht das nötige Equipment. Mittlerweile haben wir aber Wege und Mittel gefunden, diese Dinge umzusetzen und deshalb war "Marionetten" im letzten Jahr fester Bestandteil der Konzerte, oft sogar als Opener.

 

Zurück zur Gegenwart: Wir haben uns ein wenig darüber gewundert, daß Karat auf der Teilnehmerliste für "Ostrock in Klassik" dieses Jahr fehlt. Was ist der Grund?
Wir waren drei Jahre hintereinander dabei und sind der Meinung, daß so eine Konzertreihe auch mal Veränderungen braucht. Außerdem haben wir unsere "35 Jahre" und wollen uns daher mehr auf uns konzentrieren. Die drei Jahre haben aber sehr viel Spaß gemacht und es spricht nichts dagegen, daß wir im nächsten Jahr wieder mitmachen, wenn man uns haben möchte. Die Chemie hinter der Bühne hat immer perfekt gepaßt, alle Beteiligten haben sich super verstanden und auch während der Auftritte war stets zu spüren, daß diese Sache eine ganz eigene Atmosphäre hat. Die erreicht man bei "normalen" Konzerten nicht, das hat eine ganz andere Dimension. Ein Riesenerlebnis für alle.

 

Für die erste CD dieses Projekts gibt es demnächst eine Gold-Auszeichnung. Was bedeutet dir das?
Oh ja... sehr sehr viel! Aber war das nicht für die DVD? Egal, das spielt ja letztlich keine Rolle. Ich hatte vorhin schon angedeutet, daß es uns viel Freude gemacht hat, "Der blaue Planet" und "Albatros" akribisch zu reproduzieren und im klassischen Soundgewand neu auferstehen zu lassen. Und ich finde das Ergebnis sehr gelungen.

 

Hm... darf man da auch anderer Meinung sein?
Natürlich, gerne! Wieso?

 

Weil wir die Originalversion von "Albatros" für das absolute Optimum halten, das man nicht mehr übertreffen kann und von dem man demzufolge besser die Finger gelassen hätte...
Das kann ich auch verstehen, man darf da durchaus geteilter Meinung sein. Der Song ist damals ganz anders aufgenommen worden, wir haben den zweimal richtig live eingespielt und dann war er im Kasten. Nur kleinere Dinge, die man nicht auf einmal spielen kann, wurden später synchronisiert.

 

Hört man dem Titel gar nicht an.
War aber so. Die Streicher wurden natürlich separat aufgenommen, aber unser Part war ziemlich schnell durchgespielt. Da waren wir damals selber etwas baff... Und natürlich hat sowas immer eine ganz eigene Atmosphäre, die man so nicht wieder einfangen kann, da habt ihr Recht. Bei der Klassik-Variante sieht man auf der DVD, daß da ein ganz anderer Rahmen gegeben war. Man kann uns beobachten, wie wir alle einzeln unseren Part einspielen... Also das macht man heute alles ein bißchen anders. Aber allein die Orchester-Instrumentierung, die Rainer Oleak und sein Kompagnon mit sehr viel Herzblut und Akribie erstellt haben, erfreut mein Herz immer wieder, wenn ich die Neufassung höre.

 

Da wir gerade bei dem Thema "Gold" sind: Karat hat ja bereits zwei Goldene in der Vitrine stehen. Ist man da auch heute noch stolz darauf?
Absolut! Die hängen bei mir neben der Eingangstür und ich schaue schon hin und wieder drauf und denke bei mir: ‚Alle Achtung, toll, daß du da mitmachen konntest...'

 

Was hast du seinerzeit empfunden, als du die Nachricht erhalten hast? Und wie ist das überhaupt abgelaufen?
Ich weiß noch genau, daß mich damals Henning Protzmanns Frau angerufen hat: "Mann Bernd, der ‚Blaue Planet' ist vergoldet worden!" Das war einen Monat nach der Veröffentlichung, also auch noch unheimlich schnell. Wahnsinn! Ich habe mich total gefreut und konnte es nicht fassen. Es war ja auch wirklich etwas ganz besonderes, das hatte keine DDR-Band zuvor jemals geschafft und danach eigentlich auch nicht... Also, wir waren vollkommen überrascht. Es kamen dann auch viele spontane Reaktionen von Musikerkollegen aus dem Westen: "Mensch, dufte!" oder "Ich freu mich für euch!". Das hat uns schon ganz schön stolz gemacht.

 

War da nicht auch noch eine dritte "Goldene Schallplatte" für die Compilation "14 Karat" im Gespräch? Was ist daraus eigentlich geworden?
Wir sind da, ehrlich gesagt, nicht so dahinter. Ich kann mich erinnern, daß da irgendetwas war, habe aber keine Ahnung, was daraus geworden ist. Ob da jetzt noch zwei verkaufte Exemplare gefehlt haben oder was auch immer... Ich weiß es nicht. Dasselbe hatten wir bei "Schwanenkönig". Da hieß es ein, zwei Jahre nach Erscheinen: "Die Platte ist kurz vor Gold." Meiner Meinung nach müßte sie es auch mittlerweile sein, aber durch die Wende und die Irrungen und Wirrungen, die durch sie entstanden sind, ist möglicherweise einiges an Verkaufszahlen untergegangen oder verschwunden.

 

Ist es nicht ein bißchen seltsam, daß "Der blaue Planet" immer noch als einfaches "Gold"-Album in den Annalen der Musikgeschichte steht? Ganz abgesehen davon, daß die 750.000 verkauften AMIGA-Platten nicht zählen - sollte man nicht davon ausgehen können, daß das Album nach der Wende als CD ebenfalls reichlich über die Ladentische gegangen ist? Zumal ja mittlerweile schon 100.000 verkaufte Exemplare für "Gold" reichen...
Genau derselbe Fall. Ich bin über die Verkaufszahlen nicht genau informiert, in der DDR waren es wohl sogar 800.000 und damit das meistverkaufte Album. Nur "Rock'n'Roll Music" von den Puhdys wurde noch ein bißchen mehr verkauft, aber die hatte ja auch einen ganz anderen Hintergrund. 

 

Vor kurzem habt ihr mit dem Titel "Sommerregen" einen Beitrag zu einem Tributsampler für die Fantastischen Vier geleistet. Davon hat man aber kaum etwas erfahren. Warum habt ihr euch so bedeckt damit gehalten?
Weil die Sache zunächst eben nur für Fanta4 gedacht war. Aber der Song wird später im Jahr noch eine Rolle spielen, wenn die DVD erscheint.

 

Wie ist es zu der Teilnahme an diesem Sampler gekommen und wie entstand der Song?
Die Überlegung kam vom Management der Fantastischen Vier. Man wollte den Jungs eine Überraschung bereiten und hat bei verschiedenen Bands, von denen man wußte, daß sie von Fanta4 gemocht werden, angefragt, ob man sich vorstellen könnte, für dieses Album eine Coverversion einzuspielen. Und wir haben uns eben für "Sommerregen" entschieden, weil der Song uns inspirierte. Dann haben wir ihn gemeinsam mit Rainer Oleak produziert, wobei man vor allem vor Claudius den Hut ziehen muß, weil er ganz anders singen mußte als gewohnt und das wirklich sehr gut hinbekommen hat.

 

28 20130210 1096796171Wie schwer ist es euch gefallen, euch in diesen gänzlich ungewohnten Stil einzuarbeiten?
Wie gesagt, das war vor allem für Claudius nicht einfach. Rapper haben ein ganz eigenes Feeling, ihren Sprechgesang zu artikulieren und das ist für einen Sänger, der zum einen Songs wie "Schwanenkönig" gewohnt ist und zum anderen auch noch als Späteinsteiger die Bühnenbretter betreten hat, natürlich eine große Herausforderung. Dafür gebührt ihm meine Hochachtung.

 

Was habt ihr sonst noch für Pläne in diesem Jahr?
Ach, ich glaube, das reicht erstmal... (lacht) Wir machen jetzt die Platte fertig und werden danach nächtelang im Probekeller sein. Und natürlich in gespannter Erwartung den Konzerten in Erfurt entgegensehen.

 

Was ist eigentlich aus deinem Vorhaben geworden, deine Erfahrungen als Musiker mittels Bandcoaching an junge Künstler weiterzugeben?
Würde ich nach wie vor gerne machen, ist aber ein Zeitproblem und könnte wohl auch nur Bands betreffen, die hier in der Region beheimatet sind. Es ist nicht so, daß ich akribisch nach Bands suchen würde. Wenn jemand auf mich zukommt und es zeitlich paßt, werde ich es gerne tun. Im Moment ist es aber eher schwierig. Es konzentriert sich erstmal in der Hauptsache auf die Band meiner Tochter. Aus Freundschaft zu den Kollegen und auch deshalb, weil ich sie richtig gut finde.

 

Eine Leserin möchte übrigens gerne wissen, was es mit deiner doppelläufigen Gitarre auf sich hat, wo der genaue Unterschied zur einhalsigen liegt und nach welchen Kriterien du entscheidest, auf die sperrige zweihalsige umzusteigen.
Bekannt wurde diese Form der Gitarre durch Jimmy Page von Led Zeppelin, der live darauf "Stairway To Heaven" spielte. Im Osten hat sie Severyn Krajewski von den Roten Gitarren eingesetzt. Fritz Puppel von City hat auch eine. Der untere Hals entspricht einer normalen Gitarre, der obere hat dagegen zwölf Saiten, wie man das von Westerngitarren kennt. Leider habe ich noch keinen Song gefunden, bei dem ich beide Hälse einsetzen kann.

 

Außerdem wurde nach Michas Drumkit gefragt. Kannst du darüber Auskunft geben, welche Marken er auf der Bühne spielt?
Oh... da muß ich aufpassen, daß ich nichts falsches sage. (lacht) Ich glaube, da passe ich lieber. Ich weiß aber, daß Micha schon lange einen Wunsch hegt, der aus Sparsamkeitsgründen wohl nie Wirklichkeit werden wird: Er hat oft überlegt, sich einmal ein goldenes Schlagzeug zu kaufen. Also nicht komplett aus Gold, sondern goldfarben. Das ist so ein Spleen, der immer wieder mal durchscheint. Aber das ist eine so teure Angelegenheit, daß er am Ende doch regelmäßig davon Abstand nimmt. Mal sehen, ob er das irgendwann noch schafft. (lacht)

 

Ein anderes Thema hat letztes Jahr auch für einigen Wirbel und heftige Diskussionen bei uns gesorgt: Euer Auftritt vor den Soldaten im Kosovo. Auch wenn dabei längst nicht jedes Argument der Diskutanten stichhaltig und begründet war, bleibt doch eine gewisse Diskrepanz zwischen den zahlreichen Friedensbotschaften, die eure Lieder transportieren, und einem Auftritt vor Militärtruppen im Einsatz bestehen. Vor allem, wenn das hinterher fast wie ein Urlaubsausflug dargestellt wird. Kannst du das nachvollziehen? Und wie paßt das deiner Meinung nach zusammen?
Ja, das kann ich sehr gut nachvollziehen, daß sich Leute darüber Gedanken machen. Wir haben das im Vorfeld auch getan. Erstmal muß man sagen, daß es natürlich einen gewissen Reiz darstellt, in etwas näher hineinschauen zu können, das weit weg ist. Wo man über Nachrichten hin und wieder etwas vermittelt bekommt ohne genau zu wissen, was da wirklich dran ist. Das wird sicher jedem so gehen, der sich mit dem Thema Kosovo beschäftigt. Zumal es mittlerweile sehr ruhig darum geworden ist und man kaum noch etwas aus der Region hört. Als das Angebot auf dem Tisch lag, haben wir zunächst Erkundigungen eingeholt und Nachforschungen angestellt, so weit das von hier aus möglich war. Wir sind also nicht einfach blauäugig dahin gegangen, sondern haben uns schon sehr intensiv mit der Sache beschäftigt. Es ist tatsächlich so, daß die KFOR, die ja eine gesamteuropäische Truppe mit UNO-Mandat ist, dort unten für Frieden bzw. Ruhe sorgt. Unter anderen Umständen hätten wir niemals zugesagt und wir würden auch nie einen entsprechenden Auftritt anderswo in Erwägung ziehen. Nicht, weil wir Angst davor haben, eventuell einen Querschläger abbekommen zu können, sondern wirklich aus ideologischen Gründen. Und wir haben es dann tatsächlich so erlebt, als wir vor Ort waren. Man hat uns unheimlich nett aufgenommen, sich wahnsinnig aufmerksam um uns gekümmert. Man hat uns das ganze Land gezeigt, abgesehen vom extremen Norden, weil da noch immer eine kritische Situation herrscht. Wir konnten uns mit eigenen Augen davon überzeugen, daß die Anwesenheit der KFOR Ruhe und Frieden ermöglicht. Die Menschen haben den Militärwagen lächelnd zugewunken! Wir haben außerdem mitbekommen, daß die Truppen ihre Anwesenheit so behutsam wie möglich gestalten. Die Soldaten gehen z.B. nicht in "normalen" Ausgang, weil man ja doch mal einen über den Durst trinkt und der Bevölkerung dann ein schlechtes Bild bieten könnte. Man achtet sehr darauf, die Menschen nicht zu stören und ihnen nur das Bewußtsein zu geben: "Wir sind da, damit ihr in Ruhe ein normales Leben führen könnt." Und genauso wird das auch angenommen. Es ist sicher einfach, das anzuzweifeln und kritisch darüber zu diskutieren. Fakt aber ist: Wir waren da! Wir haben gesehen, daß dort unheimlich viel passiert. Daß Straßen gebaut werden und vieles andere mehr. Und das ist nur möglich, weil alle europäischen Staaten dort militärisch präsent sind und es als Aufgabe begreifen, einem anderen europäischen Land einen Neuanfang in Frieden zu ermöglichen. Ich bin mir auch sicher, daß sie sich, wenn die Lage stabil genug dafür ist, zurückziehen werden. Die Konzerte selbst haben natürlich auch Spaß gemacht. Es war ein Riesenabenteuer für uns, mit unserem gesamten Equipment in einer Trans-All dorthin zu fliegen... Da werden auch wieder einige sagen: "Na, seid ihr denn verrückt, mit einem Militärflugzeug zu reisen!?" Aber das sind Transportmaschinen, die in der Hauptsache Hilfsgüter befördern, das muß man dabei auch sehen. Es hat eben immer alles zwei Seiten. Der eine sieht es so, der andere so. Und beide haben irgendwie Recht... Jedenfalls, um den Faden wieder aufzunehmen, haben wir bei den Konzerten gespürt, wie viel es für die dort stationierten deutschen Soldaten bedeutet hat, für zwei Stunden ein Stückchen Heimat erleben zu können. Sie sind weit weg von Zuhause und setzen sich für eine Sache ein, die wir, wie ich gerade ausgeführt habe, als wichtig und notwendig empfinden. Da tut es gut, ein bißchen Rückhalt aus dem Vaterland zu bekommen. Das haben wir auch hinterher gemerkt, als uns Eltern berichteten, daß ihnen ihre Kinder geschrieben hatten, wie toll sie es fanden, daß wir da waren... Es war insgesamt für uns ein großes und nachhaltiges Erlebnis, das kann ich nicht anders sagen. Vor allem mit dem Bewußtsein, was wir dort an Befriedung gesehen haben.

 

06 20130210 1446110301Laß uns jetzt mal ein bißchen in die Geschichte eintauchen: Wann hast du angefangen, dich für Musik zu interessieren und wann und wodurch entstand der Wunsch, selbst welche zu machen?
Hahaha... nein, das verrate ich jetzt nicht! Da müßt ihr auf das Buch warten! (Mist! Aber den Versuch war es wert... - Anm. d. Verf.)

 

Du hast dir das Gitarrespielen selbst beigebracht. Wie funktioniert das eigentlich genau? Und machst du dadurch irgendetwas anders als "gelernte" Gitarristen?
Na gut, jetzt greife ich doch mal ein bißchen vor. (Sieg! - Anm. d. Verf.) Als Jugendlicher ist man damals regelmäßig zum Tanzabend gegangen. Und während andere da irgendwelche Mädels angebaggert haben, hat sich der kleine Bernd in eine Ecke gestellt und zugeguckt, wie der Gitarrist spielt. Ich habe ihm genau auf die Finger geachtet, bin danach zu meiner Gitarre gegangen und habe allein versucht, nachzuspielen was ich mir soeben abgeschaut hatte. Das ist zum Teil recht umständlich, macht aber viel Spaß, weil man hinter viele Dinge selbst steigt. Ab und an hat mir natürlich auch mal ein Gitarrist etwas gezeigt, wie man z. B. das eine oder andere greifen muß, damit es besser klingt. Das hatte nichts mit richtigem Unterricht zu tun, aber ein paar Tips hab ich schon bekommen. 

 

Deine erste Profi-Station war die Horst-Krüger-Band. Wie bist du da reingeraten? Und war es nicht mit Problemen verbunden, ohne Musikschulabschluß in einer Berufskapelle zu musizieren?
Man muß doppelt so fleißig sein wie die anderen, sonst schafft man das nicht. Es war ein absoluter Glücksumstand, daß ich da als kleiner Gitarrist hineingerutscht bin, den eigentlich nur Leute aus Erfurt kannten. Da bin ich eben früh um sieben aufgestanden, habe mich mit Notenmaterial beschäftigt, das ich zwar eigentlich nicht lesen, aber ganz gut deuten konnte, und zusätzlich über diverse Bandaufnahmen die Songs gelernt. Zehn Uhr kamen die Kollegen zur gemeinsamen Probe. Die ging bis abends 18 Uhr. Danach zog ich mich in die Nähkammer von Horst Krügers Mutter zurück und habe bis nach 22 Uhr wie ein Besessener weitergeübt. Anschließend wurde noch ein Schluck Wein oder Bier getrunken und dann bin ich umgefallen. Und am nächsten morgen um sieben wurde wieder das Tonband eingeschaltet und die Ohren gespitzt - einen Monat lang von früh bis abends habe ich das durchgezogen und deshalb hat es funktioniert. Zusätzlich haben mir die studierten Kollegen vieles vermittelt und mit manchem nützlichen Tip geholfen. Es herrschte eine sehr liebevolle, kameradschaftliche Atmosphäre. 

 

Lief der Wechsel zu Karat reibungslos ab?
Da kamen zwei Dinge zusammen. Ich habe mich zu dem Zeitpunkt bei Krüger aus mehreren Gründen nicht mehr so richtig wohl gefühlt und wollte eigentlich aufhören. In diese Phase fiel das Angebot von Karat. Im Buch wird darauf noch näher eingegangen, es vermittelt viele Dinge, die bisher nicht bekannt waren.

 

Was hat dich bewogen, das Karat-Angebot anzunehmen? Daß das einen Aufstieg bedeuten würde, war ja eigentlich noch nicht abzusehen, oder?
Doch, schon. Karat hatte bereits einen Namen und die ganze Muggerwelt wußte, daß dort begnadete Musiker spielen. Ed Swillms, Henning Protzmann und Herbert Dreilich - das waren schillernde Namen, die durch Panta Rhei ihren Glanz schon früher bekommen hatten. Natürlich haben wir uns auch unterhalten, wo es musikalisch hingehen soll und das entsprach hundertprozentig den Vorstellungen, die in meiner Seele schwangen. Auch Eds musikalische Genialität war schon zu spüren.

 

Was war der erste Song, den du mit Karat eingespielt hast und wie hast du dich in der neuen Rolle zurechtgefunden?
Oh, was war der erste Song? Das könnte sogar "Das Monster" gewesen sein...

 

War zumindest die A-Seite der ersten Karat-Single mit dir auf dem Cover und "Abendstimmung" auf der Rückseite.
Ja, das stimmt. Aber "Abendstimmung" wurde noch von der Urbesetzung eingespielt. Da sind Uli Pexa (Gitarre, Gesang) und Konny Burkert (Schlagzeug) zu hören. Der Titel war gerade in den Wertungssendungen des Rundfunks Nummer Eins, als ich zu Karat kam. Der hat mir von Anfang an sehr gut gefallen und so ist es bis heute geblieben. Aber zurück zur Frage: Es spricht vieles dafür, daß "Das Monster" mein erster Karat-Song war.

 

Die Goldmedaille bei der V. Leistungsschau der Unterhaltungskunst 1977 war der erste große Höhepunkt der neuen Karat-Band. Kannst du dich noch erinnern, was da passierte und womit ihr die Jury überzeugt habt?
Wir haben alle Register gezogen, die man ziehen kann! (lacht) Damals war ja Neumi noch dabei... Im Jahr zuvor waren wir noch einigermaßen umstritten, weil man Neumis extravagante Art irgendwie gar nicht mochte. Das stand wohl für eine andere Form von Freiheit, als man sie von uns erwartete. Doch wir haben uns am Ende durchgesetzt. Das Konzert, das letztlich den Ausschlag für unseren Sieg gab, fand im Steintor-Varieté in Halle/Saale statt, und muß rundum überzeugend gewesen sein (lacht). Wir hatten viele Showelemente eingebaut, an die ich mich gar nicht mehr im einzelnen erinnern kann. Ganz zum Schluß - das weiß ich noch - öffnete sich eine Klappe auf der Bühne, aus der Unmengen von Luftballons strömten und die Halle füllten. Wir hatten vor dem Auftritt wie die Blöden Luftballons aufgeblasen, waren dementsprechend aus der Puste und saßen mit hochroten Köpfen in der Umkleide... (lacht) Aber es hat sich gelohnt, denn es war ein Riesenspaß, am Schluß des Konzerts diese ganzen Luftballons in die Gegend zu pusten. Dem Publikum und der Jury hat's offensichtlich auch gefallen (lacht). 

 

24 20130210 1577473861Für Aufsehen sorgten wenig später auch die "Schülerkonzerte". Wie hast du es empfunden, für ein so ungewöhnliches Publikum zu spielen?
Dieses Projekt hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. So etwas hatte bis dahin noch niemand gemacht, jedenfalls in unseren Breiten nicht. Das Programm wurde mit viel Freude gemeinsam mit Walter Cikan (Rundfunkchef) und Christian Bartmann (Journalist, Moderation) entwickelt. Wir haben uns wirklich Mühe gegeben, den ganz jungen Mitbürgern ein wenig die Entstehung der Rockgeschichte zu vermitteln, Instrumente zu erklären - eben alles, was man in eineinhalb Stunden schaffen kann. Das wurde wahnsinnig toll angenommen und war wirklich irre. (Später gab's dafür den Kunstpreis der FDJ. - Anm. d. Verf.) Übrigens haben wir erst vor kurzem auch wieder zwei Schülerkonzerte absolviert, zum Jahresausklang in der Alten Oper in Erfurt, wo auch unser Tourstart am 9. April stattfinden wird. Die sind genauso fantastisch angekommen wie damals, auch wenn die Thematik eine etwas andere war, die einen mehr politischen Hintergrund hatte. Also Sozialkritik, Umwelt... Dinge, die uns in der heutigen Gesellschaft berühren. Die Resonanz bei den 15-17jährigen Kids war umwerfend und es wurde hinterher noch mit viel Elan und Interesse gesprochen und diskutiert. Das hat uns gezeigt, daß die Idee von einst auch heute noch eine gute ist, mit der man etwas bewegen kann. Deshalb wird das auch mit Sicherheit nicht das letzte mal gewesen sein.

 

1978 war ein ungewöhnlich erfolg- und ereignisreiches Jahr für Karat. Aus heutiger Sicht vielleicht sogar das wichtigste überhaupt... Zunächst erschien bei AMIGA eure erste LP. Wir haben uns immer gefragt, wie diese Platte zustandegekommen ist, denn sie repräsentierte ja letztendlich eine Band, die es in der Form schon nicht mehr gab. Was war der Hintergrund für ein Album gerade zu diesem Zeitpunkt?
Puh, das ist eine gute Frage... Irgendwann sagte Amiga: "Wir würden die Songs, die ihr bisher produziert habt, gerne mal auf eine Platte pressen." Ich denke mal, daß das der einfache Grund war. Es lag ja nicht im Ermessen der Künstler, wann eine LP hergestellt werden sollte. Damals wurde man von Amiga angesprochen, wenn die der Meinung waren: "Jetzt ist es Zeit." Wenn das passierte, war man natürlich stolz. Der erste Song, den wir dann bei Amiga produziert haben, war "König der Welt". Alle anderen Titel waren meines Wissens nach zuvor schon im Rundfunkstudio aufgenommen worden. (Mit Ausnahme von "Reggae Rita Star" und "Ballade von den sieben Geistern" - Anm. d. Verf.) Man kann auch nicht sagen, daß es die Band so nicht mehr gab, wie sie auf der LP präsentiert wurde. Zwar war Neumi zum Zeitpunkt der Veröffentlichung auf der Bühne und im Fernsehen nicht mehr sichtbar, weil er seinen Wehrdienst ableisten mußte, Mitglied war er jedoch schon noch. Er war ja auch bei den Aufnahmen dabei und hat "König der Welt" mit eingesungen. Erst als er von der Armee zurückkam, trennten sich unsere Wege, weil die Band sich in eine Richtung entwickelt hatte, die ihm nicht lag.

 

Wenig später entstand "Über sieben Brücken mußt du gehn". Wie hast du damals über den bis heute wichtigsten Karat-Song gedacht, als Ed ihn euch vorstellte? Immerhin war ja keine Gitarrenspur dafür vorgesehen...
Da ist auch keine drauf, das hat mich aber nie gestört. Außerdem haben wir mittlerweile oft genug Varianten gespielt und produziert, wo die Gitarre dabei ist. (lacht) Dieser Song war halt für einen Fernsehfilm gedacht und es war natürlich ein Riesenwurf von "Olle Eddy", auf diesen wirklich schönen Text von Helmut Richter diese Musik zu machen. Wir haben alle gespürt, daß das ein ganz besonderes Lied ist. Da fast parallel dazu "König der Welt" entstanden war, haben wir die beiden balladenhaften Titel auch mal für uns miteinander verglichen und dachten eigentlich, daß "König der Welt" aus musikalischer Sicht die bessere Nummer ist. Wir haben aber schon bald durch die Reaktionen der Leute mitbekommen, daß die Brücken sehr viel tiefer gehen.

 

Beim Internationalen Schlagerfestival Dresden '78 habt ihr dann den Grand Prix abgeräumt. Wie seid ihr auf das Festival gekommen und habt ihr damit gerechnet, daß eure Chancen so gut standen?
Da das bis dahin fast wörtlich ein Schlagerfestival war, haben wir eigentlich gar nicht damit gerechnet, überhaupt dort auftreten zu können. Ich weiß gar nicht, wer auf die Idee gekommen ist. Meistens ging das vom Komitee für Unterhaltungskunst aus. Die hatten den Überblick über die Szene und haben dann entschieden, wer dort zum Zuge kommen sollte. Schon beim Spielen haben wir bemerkt, daß die Leute total drauf gestanden haben. Nicht nur die Medien und die "Offiziellen", es war ringsum zu spüren, daß wir sehr gut ankamen.

 

Was hat sich danach für euch verändert?
Wir haben uns darüber nie Gedanken gemacht. Wir kümmerten uns um unsere Musik, haben uns gefreut, wenn sie gut aufgenommen wurde... Natürlich hat sich danach viel verändert, doch das registriert man erst, wenn man mit einigem Abstand im Nachhinein die Dinge Revue passieren läßt. Dann stellt man fest, daß solche Dinge die Entwicklung einer Band nachhaltig beeinflußt haben. Gerade - wie ich vorhin sagte - als es nach der Wende wieder losging, haben wir gemerkt, welchen Stellenwert das alles hatte und was wir bei den Leuten hinterlassen haben. In dem Augenblick, wo es passierte, waren wir jedoch einfach nur stolz und glücklich und sind die nächsten Dinge angegangen. Das war das, was gezählt hat.

 

Kurz darauf habt ihr als dritte DDR-Band den Sprung in den Westen geschafft. Wie ist das abgelaufen und was hast du dabei empfunden?
Nun ja, dadurch, daß meine Mama aus Wuppertal stammt, hatte ich sowieso eine gewisse "Westbindung", weshalb es mich auch sehr gewundert hat, daß ich überhaupt mit der Band rüberfahren durfte. Das war bestimmt nicht selbstverständlich. Doch wahrscheinlich haben die Devisen gelockt... Den Staat natürlich mehr als uns, denn es ist ja bekannt, daß bei den Musikern selbst nicht allzuviel übrigblieb. Und das Wenige haben wir zum größten Teil in neues Instrumentarium umgewandelt, weil wir besser klingen wollten. Trotzdem war es verrückt, als DDR-Band plötzlich für die BRD interessant zu sein. Unser erstes kommerzielles Konzert fand im West-Berliner Kant-Kino im November '78 statt. Davor waren wir zweimal zu den Pfingstcamps der sozialistischen Jugend im Ruhrgebiet delegiert worden, wo man eingepfercht und ohne Gage auftrat und einmal in der West-Berliner Hafenhalle beim Pressefest der SEW-Zeitung. Das hatte aber eine andere Dimension und war mit der Situation Ende '78 nicht vergleichbar, als uns Peter Schimmelpfennig, der seine Agentur in West-Berlin hatte, für kommerzielle Auftritte rüberholte.

 

Die LP "Über sieben Brücken" machte euch schließlich zur beliebtesten Band in der DDR. Wie hat es sich angefühlt, "ganz oben" zu sein und die Puhdys hinter sich gelassen zu haben?
Auch das war uns nicht so sehr bewußt. Klar hat man sich gefreut, daß es gerade richtig gut läuft, aber wir haben uns nie damit beschäftigt, welchen Meilenstein wir gerade passiert hatten. Darum ging es nicht. Und die Puhdys und wir haben einander ohnehin schon immer so sehr geachtet, daß die einen sich für die anderen mitfreuten, egal wer gerade die Nase vorn hatte.

 

Wir haben uns damals über den seltsamen Gitarrensound auf der Platte gewundert, insbesondere bei "He Mama" und "Gewitterregen". War das so beabsichtigt und wie ist dieser Klang zustandegekommen?
Da wurde ganz viel probiert und ich bin ohnehin einer, der gerne am Sound tüftelt. Irgendwann sagte Ed im Studio: "Also diesen Part (Gewitterregen, Anm. d. Verf.) könnte ich mir wie eine Sitar vorstellen..." Da habe ich mich dann hingesetzt und solange gebastelt, bis ich einen derartigen Sound kreiert hatte. Eine echte Sitar hätte man zu dem Zeitpunkt ja nicht mal eben schnell kaufen können. Und ich bin im Nachhinein auch froh darüber, denn so klingt es einfach interessanter und ist etwas ganz eigenes. Wie ich das genau gemacht habe, verrate ich aber nicht (lacht).

 

Im Westen erschien die LP unter dem Namen "Albatros". Gab es einen Grund für diese Namensänderung und welchen?
Das hing mit den Leuten der Teldec (Karats Plattenfirma im Westen - Anm. d. Verf.) zusammen, weil die unglaublich auf den "Albatros" abgefahren sind. Die sagten: "Ach, die ‚Brücken' sind sowieso bekannt, aber der ‚Albatros' gefällt uns so sehr..." Da gab es sogar einen, der hat sich das Covermotiv auf eine Motorradjacke sticken lassen. Ganz akribisch und difizil, echt verrückt. Man wollte einfach, daß der Titel "Albatros" einen größeren Stellenwert bekommt.

 

Und wer ist eigentlich auf die (aus musikalischer Sicht) vollkommen bescheuerte Idee gekommen, die Eröffnungstrilogie ("Introduktion"-"He Mama"-"Blues") auseinanderzureißen und mit "König der Welt" ein total unpassendes Stück hineinzuschneiden?
Das war auch eine Entscheidung der Teldec, die wollten den "König der Welt" halt irgendwie mit draufhaben. Warum sie das genau an der Stelle gemacht haben und "He Mama" dafür wegließen, kann ich mir auch nicht erklären. 

 

Inzwischen hattet ihr mit Norbert Kaiser einen Stammtexter, der zuvor in diesem Zusammenhang noch gar nicht in Erscheinung getreten war. Wie ist diese Zusammenarbeit entstanden?
Norbert wurde uns von Christian Bartmann empfohlen. Er sagte: "Es gibt hier einen Journalisten, der nebenbei auch viel Lyrik macht. Er hätte bestimmt Interesse, mit euch zusammenzuarbeiten." Also haben wir uns mit ihm getroffen und es hat sofort gepaßt. Und über das musikalisch-textliche Engagement hinaus hat sich schnell eine gute und tiefe Freundschaft entwickelt. Wir haben sehr oft zusammengesessen und gemeinsam viel unternommen. Er hat außerdem hart gearbeitet und unserer Musik im allgemeinen und den Kompositionen von Ed im besonderen sehr gut getan. Es reicht ja nicht aus, nur eine lyrische Idee zu haben und in einen Text umzusetzen. Da kommen melodische Aspekte hinzu und die Tatsache, daß es auch singbar sein muß. Da haben sich Norbert, Ed und Herbert als Sänger ausgezeichnet ergänzt. Das war eine sehr schöne und produktive Phase in der Bandgeschichte.

 

Die nächste LP "Schwanenkönig" stieß nicht überall auf Gegenliebe und erntete viel Kritik. Nicht ganz zu Unrecht, wie wir finden, denn mit "Mitternacht-Blues", "Der Boxer" und "Großstadt" waren tatsächlich auch eher schwache Songs auf der Platte. Warum habt ihr die Geschlossenheit des Vorgängeralbums nicht erreichen können und wie seid ihr mit der Kritik umgegangen? Wir stellen uns das nicht ganz einfach vor, wenn man bis dato so von Erfolg zu Erfolg geeilt ist.
Naja, einerseits finde ich die Songs gar nicht sooo schlecht, auch wenn sie sich sicherlich nicht auf dem Level befinden wie "Albatros" oder - um bei der Schwanenkönig-Platte zu bleiben - "Magisches Licht". Aber es war auch so, daß wir mit zunehmendem Erfolg immer mehr unter Druck standen, neue Songs abzuliefern und Platten aufzunehmen. AMIGA hat uns da ganz schön zugesetzt und gedrängelt, was für den kreativen Prozeß nicht unbedingt hilfreich ist. Man kann letztlich ja nur das aufnehmen, was man zur Verfügung hat und da wir zu der Zeit auch unheimlich viel gespielt haben - wir waren fast jeden Tag auf Achse, das kann sich heute gar niemand mehr vorstellen - war es nicht einfach, nebenbei auch noch neue Songs zu schreiben. Daß unter solchen Umständen nicht immer die ganz großen Lieder entstehen können, ist nicht weiter verwunderlich.

 

Auch das Cover (zumindest der AMIGA-Version) war ziemlich mißlungen. Hattet ihr darauf Einfluß? Oder unter wessen Verantwortung fiel die Gestaltung einer LP damals?
Das hat die AMIGA unter ihrer Obhut gehabt. Die hatten ihren Grafiker, der die Covermotive erstellt und zusammengefügt hat. Sicher hat man es auch mal zu sehen bekommen, aber wirklichen Einfluß nehmen konnte man zu dem Zeitpunkt nicht. Außerdem war das eine Phase, wo man besonders cool aussehen wollte. Ich bin darauf mit meiner Zigarette zu sehen und kam mir auch ziemlich cool vor. Heute unterschreibe ich die Platte nur nachdem ich vorher die Zigarette durchgestrichen habe... (lacht)

 

Unterdessen ging es im Westen weiter bergauf. Peter Maffay coverte die "Brücken" und landete damit einen Riesenhit. Wie habt ihr davon erfahren, welche Reaktionen rief das bei euch hervor und wie gefiel dir Maffays Version?
Wir waren schon stolz, als wir erfuhren, daß Peter den Song spielen möchte. Er hat uns kurz darauf auch bei einem Konzert in Wiesbaden besucht. Wir fanden es prima, daß er extra einen Umweg gemacht hatte, um kurz mit uns zu quatschen. Leider mußte er recht schnell weiter... Ja, wir haben uns schon gefreut und es als Ehre empfunden, daß ein so gestandener und bekannter Musiker aus dem anderen Teil Deutschlands unseren Song in sein Repertoire übernimmt. Mir gefällt seine Version richtig gut, gerade das Saxophonsolo am Ende ist Weltklasse! Daß er den Song anders interpretierte als wir, habe ich als normal empfunden. Wir hatten die "Brücken" seinerzeit eher behelfsmäßig aufgenommen, aber vielleicht haben sie bei uns gerade deswegen eine so innige Atmosphäre... Jedenfalls war es eine tolle Sache für uns, aber leider ist uns einiges an Ruf durch die Lappen gegangen, weil wir nicht im Westfernsehen auftreten durften. Sämtliche Samstagabend-Shows wollten uns haben, doch nach anfänglicher Zusage kam meistens einen Tag vor den Kameraproben das "Nein!". "Keine Präsenz von DDR-Künstlern in den Westmedien" hieß das im Beamtenjargon. Das passierte mehrmals, bis ARD und ZDF schließlich sagten: "Wir hätten euch wirklich gerne gehabt, aber jetzt müssen wir Maffay nehmen." Peter möge uns verzeihen, aber das wurde wörtlich so gesagt. Und wir konnten an der Stelle froh sein, daß er den Song übernommen hatte, sonst wären die "Sieben Brücken" sang- und klanglos unter dem Tisch verschwunden. Er hat sie quasi am Leben erhalten. Und natürlich auch großen Erfolg damit gehabt.

 

15 20130210 1831039775Mit "Der blaue Planet" begann eure bis heute erfolgreichste Phase. Für den Beobachter ist es dabei stets nicht ganz leicht, die Mechanismen zu durchschauen. Wie ist das für den Musiker? Merkt man schon beim Produzieren einer LP, daß man an etwas Besonderem arbeitet?
Irgendwie schon. Das war uns bereits bei der Produktion des Songs "Der blaue Planet" bewußt, daß da etwas besonderes entsteht. Ich kenne keinen anderen Song, der eine solche Form der Instrumentierung hat, das ist etwas ganz individuelles, das die Seele berührt. Und natürlich hat der Hammer-Text von Norbert Kaiser sein Teil dazu beigetragen, daß "Der blaue Planet" zu so einem Erfolg wurde. (Bereits die Vorab-Single wurde im Westen aus dem Stand 100.000 mal verkauft - Anm. d. Verf.) Das hat dann auch auf die LP abgefärbt. Wenn man mit einem so gelungenen Stück anfängt, überträgt sich das Feeling auch auf die weiteren Arbeiten. Wir haben damals einen Monat lang jeden Tag im Studio verbracht, immer von mittags bis in die Nacht. Da herrschte eine unglaublich kreative Atmosphäre, da kam hier eine Idee dazu und da eine weitere... Viel Einfluß hatte auch Helmar Federowski. Auf dem Papier war er zwar nur "Tonmeister", hat in Wirklichkeit aber die Funktionen eines Produzenten ausgefüllt. Es wurde soviel an Sounds gebastelt... Wir waren ja nicht so mit Equipment ausgerüstet, wie die Kollegen im Westen, die - überspitzt ausgedrückt - einfach auf einen Knopf drücken und dann den gewünschten Sound haben. Da waren Ideen gefragt, wenn man die Musik interessant klingen lassen wollte. Es gibt zum Beispiel einen Effekt auf der Platte (lacht), den Ed mit einem Gasfeuerzeug erreichte. Er hielt es direkt vor das Mikrofon und drückte mit dem Daumen auf den Auslöser, wobei so ein kurzes Zischen entstand. Das haben wir dann mit einem Echo kombiniert, so daß es am Ende so klang: "Pffffft ft, ft, ft, ft, ft, ft..." (Er ahmt einen Nachhall-Effekt nach, den man leider nur schwer niederschreiben kann... - Anm. d. Verf.) Das war natürlich cool! Und dann wurde auf Kartons herumgehauen, um bestimmte Trommeleffekte zu erzeugen (lacht). Durch solche Dinge bekommt eine Produktion ein ganz eigenes Leben.

 

Am 6.September 1982 seid ihr in der ZDF-Hitparade mit Dieter Thomas Heck aufgetreten und habt mit "Jede Stunde" den zweiten Platz erreicht. Das muß euch doch wie ein Märchen vorgekommen sein... 
Und was war da noch? Na?

 

Du hattest Geburtstag und das Publikum hat dir unter Leitung von Dieter Thomas Heck ein Ständchen gesungen.
(lacht) Genau. Mann, war ich überrascht...

 

Hast du dich nicht manchmal gekniffen und dich gefragt: "Träume ich das alles nur?"
Das war schon ganz schön verrückt... Man muß überhaupt sagen, daß das eine wirklich wahnsinnige Zeit war. Wir haben ja auch in immer größeren Hallen gespielt und sahen sogar einem Konzert in der Waldbühne entgegen. Und dann kam noch die "Hitparade" dazu, mit Dieter Thomas, der sich für uns und deutschsprachige Musik allgemein sehr einsetzte und das immer noch tut. Da ist auch eine Freundschaft entstanden...

 

Wenn man sich auf einem solchen Höhenflug befindet, denkt man da auch mal darüber nach, was danach wohl kommt und wie das weitergehen soll?
Nein, gar nicht. Wir waren einfach in der Sache drin und haben, wie bei früheren Erfolgen auch, immer auf das nächste Projekt geschaut. Natürlich haben wir uns schon auch auf einer kleinen Wolke befunden, keine Frage, aber eben nicht so bewußt, um das alles richtig erfassen zu können. Unser Grundanliegen war, immer besser zu werden und uns weiterzuentwickeln.

 

Es kamen danach mehrere Brüche in der Band. Ed zog sich mehr und mehr zurück, Thomas Natschinski vertrat ihn immer öfter, Thomas Kurzhals wurde als neuer Keyboarder und Komponist hinzugezogen, Henning Protzmann ging, dann Ed und schließlich auch Norbert Kaiser. Wie hast du diese Zeit des Umbruchs erlebt?
Henning ist gegangen oder mußte gehen, weil es zwischen ihm und der Band Probleme gab. Er wollte musikalisch in eine andere Richtung und die Band verjüngen, ähnlich wie das Stern Meißen zu der Zeit praktizierte, die sich ein jüngeres Publikum erschließen wollten und dabei den Weg des bisher Geschaffenen verließen. Das wollten wir nicht, dadurch kam es zu Auseinandersetzungen und schließlich zum Bruch mit Henning. Da spielten auch noch andere Dinge eine Rolle, für die der Rahmen eines Interviews aber zu klein ist, weshalb ich hier ebenfalls auf unser Buch verweisen möchte, wo alles detaillierter dokumentiert ist. Bei Ed lag es an dem Druck, den ich vorhin schonmal erwähnt habe. Ständig saß ihm die AMIGA im Nacken und wollte neue Songs und LPs. Das war aber bei dem Aufwand an Konzerten, den wir mittlerweile bewältigen mußten, gar nicht mehr möglich. Bei der Produktion von "Die sieben Wunder der Welt" hatte Ed sogar einen Nervenzusammenbruch, weil das einfach zuviel war. Als logische Konsequenz zog er sich zurück, machte bei immer weniger Konzerten mit, so daß unser Freund Thomas Natschinski öfter eingesprungen ist. Er hatte zum Glück in dem Moment gerade ein bißchen Luft und auch Lust darauf. Trotzdem hat sich Ed immer mehr zurückgenommen, er war einfach kaputtgespielt worden. Das muß man so sagen, daran trägt AMIGA einen großen Teil der Schuld. Wobei auch Henning oft gedrängelt hat, der am liebsten immer gleich zwei LPs gemacht hätte... Thomas Kurzhals kam ins Spiel, als Thomas Natschinski die Rolle als Keyboarder zeitlich nicht mehr ausfüllen konnte. Er hätte zwar gerne weitergemacht, hatte aber mittlerweile so viele Kompositionsaufträge, die er nicht ablehnen konnte, daß ihn das viele Unterwegssein an seine Grenzen stoßen ließ und er sich zwangsläufig gegen uns entscheiden mußte.

 

"...im nächsten Frieden" war eure letzte Produktion für AMIGA und ging in den Wendezeiten fast komplett unter. Dazu war die LP musikalisch kaum noch mit dem zu vergleichen, wofür Karat in den ersten 10 Jahren gestanden hatte und mit unter dreißig Minuten zudem extrem kurz. Wie konnte ein solcher Tiefpunkt passieren und wie siehst du die LP aus heutiger Perspektive?
Ähnlich wie ihr sie gerade beschrieben habt. Obwohl da auch durchaus schöne Songs dabei waren, z.B. "Immer so"... Bei der LP war der große Unterschied, daß wir mit West-Produzenten gearbeitet haben. Die gehen einfach anders an die Sache heran und können mit unserer Denkweise nicht umgehen. Dieses Basteln und Experimentieren... die Zeit bekommt man im Westen nicht, das haben wir da zum ersten mal gespürt. Da wird auf die Uhr geguckt und gesagt: "Hoppla, das kostet jetzt aber zuviel Geld, das wird anders gemacht!" Dabei ging viel von unseren ursprünglichen Intensionen verloren.

 

Was hast du während der Produktion von der Wende mitbekommen und wie hast du sie empfunden?
Das werde ich oft gefragt, deshalb kann ich das auch genau sagen. Am 9.11. waren wir gerade im Studio in der Brunnenstraße - wir pendelten bei der Produktion ständig zwischen Hamburg und Berlin - wo die Streicher für das Remake von "Über sieben Brücken" eingespielt wurden. Wir hatten vor, für diese Version heimlich den Peter Maffay für ein Duett mit Herbert zu gewinnen. Davon wußte AMIGA nichts, die wollten wir vor vollendete Tatsachen stellen, damit sie uns gar nicht erst in die Quere kommen konnten. Jedenfalls waren gerade die Streicher dran und als wir am Ende des Tages das Studio verließen, stand da im Flur ein kleiner Junost-Fernseher, in dem gerade die Pressekonferenz mit Schabowski lief. Und genau in dem Moment passierte das Ding mit dem Zettel. Wir sahen uns an und fragten uns: "Was ist hier los? Irgendwas stimmt hier nicht..." Richtig geschnallt haben wir es nicht, weil natürlich auch viele Leute um das kleine Gerät herumstanden, aber Brocken wie "...jetzt sofort" und "...unverzüglich" haben uns aufhorchen lassen. Das war schon kurios... Zumal es mal wieder so eng mit den "Sieben Brücken" zusammenhing, wenn auch nur für uns.

 

Auch die darauffolgende Produktion - nun komplett für die kleine Westfirma - hatte wenig Spektakuläres zu bieten und übernahm kaum mehr als eine Alibifunktion. Es gab Karat zwar noch, aber irgendwie auch nicht. Wie war die Stimmung in der Band zu jener Zeit?
Richtig gut drauf waren wir seinerzeit nicht, nach der Wende passierte ja nicht mehr viel. Konzerte im Osten hatte man kaum noch, weil die Leute logischerweise erstmal nachholen wollten, was sie bisher verpaßt hatten und deshalb lieber zu den Stones gingen. Hätte ich auch nicht anders gemacht, völlig klar. Dadurch war freilich auch kein Geld da und erstmal auch keine Perspektive. Bis die Leute merkten, daß die große Weltmusik nicht alles ist und sie ihre Emotionen und Lebenswege mit anderen Bands erlebt hatten. Bis dahin hatten wir es schwer, auch durch die personellen Umbrüche, durch die sich die Band selbst neu aufstellen mußte.

 

Nach einer längeren Pause, in der sich auch die restliche Ostrockszenerie ein wenig erholt hatte, war Karat mit "Die geschenkte Stunde" fast in alter Stärke zurück. Wie lange habt ihr an dem Album gearbeitet und wie ist es zu erklären, daß die Band plötzlich wieder so erstarkt war? Gab es eine Art Aufbruchstimmung?
Es lag vor allem daran, daß wir zu einer ähnlichen Produktionsweise wie früher zurückgefunden hatten. Auch die Songs waren runder. Produziert haben wir "Die geschenkte Stunde" in Quadenschönfeld bei Familie Schubert. Da hatten wir ein schönes, ländliches Umfeld, in dem wir uns sehr wohl gefühlt haben. Mit dem Produzenten Ralf Bostelmann-Böhme sind wir ebenfalls gut zurechtgekommen. Da wurde wieder experimentiert und getüftelt... das hatte schon einiges von unserem alten Flair. Wir haben viel zusammengesessen, waren ja auch die ganze Zeit da, weil man gleich dort übernachten konnte. Diese schönen Umstände schlagen sich natürlich auch auf die Produktion nieder und das hört man der CD an.

 

Trotz dieses Zwischenhochs konnte Karat nie ernsthaft an frühere Erfolge anknüpfen. Was meinst du, woran das lag? Wart ihr einfach nicht mehr zeitgemäß?
Nein, ich denke, das lag zum einen daran, daß man Ed Swillms nicht 1:1 ersetzen kann. Er ist ein einmaliger Komponist, ein Genie und was er geschaffen hat in der Zeit, als wir das Glück hatten, mit ihm zusammenarbeiten zu können, ist nicht wiederholbar. Das muß man einfach akzeptieren. Und ich bin nach wie vor überzeugt davon, daß Songs wie "Albatros", hätten sie weltweit veröffentlicht werden können, heute noch einen ganz anderen, viel größeren Stellenwert einnehmen würden! Dazu kommt, daß unsere großen Erfolge auch mit der Zeit zusammenhingen, in der sie stattfanden. Wir haben mit unseren Songs Themen berührt, die damals sehr viele Menschen bewegten und die Norbert Kaiser in einzigartiger Weise in wunderbare Texte eingebettet hat, die die Herzen der Leute ansprachen und auf breites Interesse stießen. Dieses große Interesse war 1995, als "Die geschenkte Stunde" erschien, einfach nicht da. Das war die Zeit, in der sich die Szene im Osten zwar langsam erholte, aber es hatte praktisch wieder bei Null begonnen. Unter diesen Umständen ist es nur natürlich, daß man nicht genau da anknüpfen kann, wo man schon einmal war.

 

Kurz nach Veröffentlichung der zwar keineswegs schlechten, aber dennoch wenig beachteten CD "Balance" erlitt Herbert einen Schlaganfall und war lange Zeit außer Gefecht. Karat lag auf Eis. Wie seid ihr mit dieser Situation umgegangen?
Das war ein richtig harter Tiefschlag, der uns allen wahnsinnig weh getan hat. Er war ja nicht nur der alte Mitkämpfer, sondern auch der Macher, der sich über die Jahre aufgeopfert hat, um Eds Ausscheiden irgendwie aufzufangen. Und dann so ein Schlaganfall, so aus heiterem Himmel... damit rechnet man ja im Leben nicht! Ich sehe den Moment noch vor mir, der hat sich fest eingebrannt. Wir haben in Magdeburg gespielt und waren gerade bei den "Sieben Brücken", bei meinem Gitarrenpart, nach dem eigentlich nochmal gesungen wird. Ich hatte also mein Solo gespielt, ging einen Schritt nach hinten und sah Herbert plötzlich auf dem Schlagzeugpodest sitzen. Ich dachte: "Hoppla, jetzt warst du zu laut. Herbert ist sauer..." Ich merkte aber schnell, daß da etwas anderes sein muß, denn er sah gar nicht gut aus. Wir haben den Chorus so gut es ging noch zu Ende gespielt und sind anschließend sofort hinter die Kulissen gegangen. Es war dann Micha, der erkannte, was los ist. Wir hatten zunächst noch an eine Kreislaufschwäche gedacht, aber Micha meinte: "Das ist was richtig Schlimmes!" Zum Glück war das Krankenhaus in der Nähe und der Rettungswagen schnell da. Und dann... (stockt), naja, dann begann die Zeit des Wartens und Hoffens, daß Herbert alles gut übersteht...

 

Hat er ja zum Glück auch.
Ja, Gott sei Dank! (Es ist schwer in Schriftform rüberzubringen, aber an der Stelle seufzt Bernd tatsächlich erleichtert auf, als habe sich die Szene soeben noch einmal abgespielt. Es folgt ein kurzes Schweigen, bevor wir den Faden wieder aufnehmen. - Anm. d. Verf.)

 

Nach Herberts Genesung ging es mit großen Schritten auf das Jubiläum "25 Jahre Karat" zu. Dazu gab es eine Best of-CD mit ein paar neuen Liedern und einigen Remakes. Das empfanden wir als Zäsur, denn bis dato hatte es immer nur neues Material gegeben. Sei mal ganz ehrlich: Hättest du nicht auch lieber ein komplett neues Album am Start gehabt?
Nö, kann ich so nicht sagen. Sicher hätte ich vielleicht noch gern den einen oder anderen neuen Titel mit dabei gehabt, aber grundsätzlich kann man nach einem Vierteljahrhundert Bandgeschichte schon einen Rückblick machen und in dieser Weise zelebrieren. Ich fand auch die Remakes richtig gut. Die wurden anders und von anderen Leuten als damals arrangiert, so daß die Songs ein neues Gesicht bekamen, das mir nach wie vor gut gefällt. Ich denke, das ist auch legitim. Wenn wir Autogrammstunden gegeben haben und die Songs im Hintergrund liefen, haben wir viele positive Reaktionen bekommen, die Leute fanden das richtig interessant. Auch die Reihenfolge war meiner Meinung nach optimal... Also nein, ich kann absolut nicht sagen, daß mir daran irgendetwas mißfallen hätte. Das war vollkommen in Ordnung so.

 

Mit einem fast völlig wiedergenesenen Herbert Dreilich habt ihr ein besonderes Konzert in der Berliner Wuhlheide veranstaltet. Ein Riesenpublikum sah Karat noch einmal in alter Stärke und Topform. Viele ehemalige Weggefährten waren dabei und sogar Peter Maffay gab sich die Ehre. Das hat sicher einen immensen Spaß gemacht...
Aber wirklich! Wir hatten zwar leider Gottes reichlich mit dem Sound zu kämpfen, der erst bei Peter Maffay richtig stimmte (lacht), aber egal, das spielt keine Rolle. Wir waren wahnsinnig aufgeregt und hatten unheimlich viel Spaß. Gerade der Teil, als unsere Kinder die "Abendstimmung" aufführten... Das war richtig etwas für's Herz.

 

Zwei weitere Jahre später gab es endlich auch wieder ein komplett neues Karat-Album, an dem allerdings - und daraus wurde kein Hehl gemacht - außer Herbert und dir kein anderer Karat-Musiker beteiligt war. Wie hält man unter solchen Umständen ein Bandgefühl aufrecht? Oder gab es das überhaupt noch?
Es ist schwer gewesen, das muß ich sagen und brauche das gar nicht großartig zu dokumentieren. Da hat sich schon einiges an Bandgefühl entzweit.

 

Wie findest du "Licht und Schatten" aus heutiger Sicht?
Ein paar Songs finde ich schon gut, keine Frage, und die Arbeit mit Leslie Beathoven hat durchaus auch Spaß gemacht, doch wenn man bedenkt, daß die Band nicht richtig integriert war, ist das einfach nicht schön. Da hat etwas gefehlt. "Licht und Schatten" war ein kleiner Ego-Trip von Herbert, das muß man leider so festhalten. Vielleicht hing das noch mit dem Schlaganfall zusammen, der hinterläßt ja Spuren und macht im Kopf einiges kaputt. Das kann einen Menschen schon verändern und möglicherweise war das das Resultat. Wer weiß...

 

Danach gab es lange keine positiven Nachrichten mehr aus dem Bandlager. Herbert erkrankte an Krebs und verstarb schließlich nach einem Jahr. Das war sicher auch für euch eine schwere Zeit...
Ja sicher. Erst der Schlaganfall und dann noch die Krebs-Diagnose... Das war noch ein Tiefschlag obendrauf. Wir sind durch ein tiefes, tiefes Tal gegangen. (schweigt nachdenklich) Aber so traurig das alles auch war, es gibt keine Band, die so zusammenhält wie wir. Da bin ich mir ganz, ganz sicher. Auch wenn wir manchmal gar nicht so sanft miteinander umgehen, es bleibt immer fair. Wir mögen uns letztendlich alle ganz dolle und halten, gerade wenn es uns schlecht geht, ganz fest zusammen. Dazu gehört übrigens auch unsere Adele (Adelheid Walther, Management - Anm. d. Verf.), die immer ein wichtiger Faktor ist, wenn es darum geht, nach vorn zu blicken und den Mut nicht zu verlieren.

 

Im Januar 2005 habt ihr mit Claudius ein neues Kapitel in der Bandgeschichte aufgeschlagen. Wie lange hat es gedauert bis ihr euch sicher wart, daß das funktionieren könnte?
(lacht) Ein, zwei Proben, mehr nicht. (wieder nachdenklich) Es war aber auch nicht einfach, diesen Entschluß zu treffen. Schließlich war der liebe Kollege verstorben... Eigentlich hatten wir ja einen ganz anderen Plan. Claudius sollte seinen Papa unterstützen, allmählich wieder auf die Bühne zu kommen. Ob Herbert es jemals wieder voll gepackt hätte, war ohnehin zweifelhaft, aber mit der Hilfe des Sohnes wäre ihm vieles sicher leichter gefallen. Leider ist es dazu nicht gekommen, das Ende kam dann ganz schnell. In den letzten Wochen hatte Herbert so wahnsinnig abgebaut, daß wir uns schließlich eingestehen mußten: "Es ist zu spät. Er schafft es nicht..." (erneutes Schweigen)

 

vostiimg 20130210 1743992997Parallel zum Neustart habt ihr erfahren, daß Herbert sich den Bandnamen hatte patentieren lassen, was wiederum zu Stillstand und schließlich gerichtlichem Streit führte. Es ist zwar nur Spekulation, aber wir würden trotzdem gerne wissen, ob du eine Vorstellung hast, wieso er das getan haben könnte?
Die Frage ist, ob er überhaupt er selbst war, als er es tat... Das Datum der Namenseintragung lag kurz nach seinem Schlaganfall, also einem Zeitpunkt, an dem er garantiert nicht im Vollbesitz seiner Kräfte war. Er hat es ja auch viele Jahre verheimlicht, als hätte er sich dafür geschämt. Als wir es erfahren haben, sagte er, er habe es getan, damit sich kein dritter den Namen schützen läßt und das glaube ich ihm auch. Das hätte theoretisch tatsächlich passieren können, denn "Karat" war nicht geschützt. Blauäugig, wie wir oft im Leben waren, wären wir gar nicht auf die Idee gekommen, daß uns jemand den Namen streitig machen könnte. Wir waren Karat, warum sollte plötzlich jemand anderes Karat sein?  Und eines möchte ich dazu auch noch sagen, weil das kaum jemand weiß. In der Zeit, als Herbert so stark abbaute, hat er uns versichert, daß es keine Probleme geben würde und nach seinem Tod hat uns seine Frau, also die Erbin des Titels, mit Unterschrift bestätigt, daß wir weiterhin als Karat agieren dürfen. Daß sie das irgendwann nicht mehr wollte ist etwas, das keiner auf der Welt versteht. Auch daß eine Unterschrift vor dem Gesetzbuch nichts wert ist bzw. man eine Unterschrift einfach so widerrufen kann, hat uns arg verblüfft. Gott sei Dank hat der Richter das anders gesehen, und zwar wirklich umfassend. Es gab nicht einen einzigen Gesichtspunkt, der dafür gesprochen hätte, daß uns der Name nicht zusteht.

 

31 20130210 1558098750Wie habt ihr es fertiggebracht, Ed Swillms nach so langer Zeit in die Band zurückzuholen, wenn auch nur als Gast?
So richtig weg war er nie. Wir haben ihn oft besucht, er wohnt ja auch gar nicht so weit von mir entfernt... Naja, was heißt "oft"? Alle halben Jahre vielleicht mal, aber das ist für Musiker schon "oft". Ich habe ganz enge Freunde, die ich manchmal jahrelang nicht sehe und denen ich trotzdem total vertraue. Da gehört Ed dazu, keine Frage! Naja... und diese Konstellation "Ostrock in Klassik", die hat ihn schon gereizt, wieder mitzumachen. Auch der Neustart mit Claudius, den er richtig cool fand. Aber bei allen Konzerten dabeizusein, schafft er einfach nicht mehr. Man darf auch nicht vergessen, er ist fünf Jahre älter als ich - (lacht) wie alt, kann sich dann jeder ungefähr ausrechnen (Ein Blick auf die Karat-Homepage tut's auch... - Anm. d. Verf.) - doch was er mitmacht, macht er voller Energie und mit soviel Esprit, daß es uns allen wahnsinnig viel Spaß macht.

 

Wir haben jetzt über 35 Jahre Karat-Geschichte gesprochen. Das wollen wir aber nicht beenden, ohne noch ein paar kurze Standardfragen gestellt zu haben: Gibt es etwas in diesen 35 Jahren, auf das du besonders stolz bist? Und andererseits etwas, das du am liebsten streichen möchtest? 
Na klar möchte ich am liebsten etwas streichen, darüber haben wir ja gerade ausführlich gesprochen... (lacht) Aber insgesamt gesehen möchte ich letztendlich eigentlich gar nichts missen. Auch die vielen Tiefen, die durchaus hätten wegbleiben können, haben die Band am Ende nur fester zusammengeschweißt. Deshalb haben sie auch ihren Stellenwert und gehören zu den schönen Ereignissen, die wir en gros hatten und hoffentlich noch haben werden, dazu. Nur so kann man die guten Dinge so werten, wie sie es verdienen. Und stolz? Auf meine Tochter! Und auf mein Enkelchen!

 

Ähm... wir sprachen von 35 Jahren Karat...
Es gibt Dinge, die zählen mehr. (lacht)

 

Hast du einen Lieblingssong von Karat und wenn ja, welchen?
Schwer zu sagen, aber ich denke, es ist schon der "Albatros". Bei der Neufassung hat meine liebe Tochter übrigens die Konzertgitarre in der Einleitung gespielt! Da bin ich ganz stolz... Das kann ich nämlich nicht, das ist eine Art Gitarrenspiel, das mir überhaupt nicht liegt. Aber da sie das kann, brauche ich es ja auch nicht zu können. (lacht)

 

Was war für dich der peinlichste Moment bei einem Konzert?
Bei einer Westmugge mußten wir ewig warten, bis wir dran sind und haben deshalb ein bißchen zuviel getrunken. Daraufhin hatten wir dann sichtlich und hörbar enorme Schwierigkeiten uns so zu präsentieren, wie wir das eigentlich wollten... Das passiert uns heute definitiv nicht mehr. Wir sehen eine große Verantwortung darin, wenn wir auf die Bühne gehen und wollen den Leuten immer das bestmögliche Konzert liefern.

 

Und welcher der schönste?
Zum einen unser erstes Konzert in der Waldbühne, die fast voll war und wo eine wahnsinnige Atmosphäre herrschte. Und zum anderen - das betrifft jetzt leider nur West-Konzerte, weil die Emotion, daß man dort solche Erfolge hatte, schon etwas ganz besonderes war - ein Konzert Anfang der 80er in der Fabrik in Hamburg. Da bin ich mit dem Zug über Westberlin hingefahren. Ich weiß gar nicht, wie ich das geschafft habe, das war eigentlich nicht möglich... Jedenfalls bin ich eine Nacht in Westberlin geblieben und habe meinen Schwiegervater, der kurz zuvor die Ausreise bewilligt bekommen hatte, und seine neue Familie besucht. Danach fuhr ich nach Hamburg zu unserem Konzert. Und als da die "Sieben Brücken" anklangen - wenn ich dran denke, wird mir jetzt auch gleich wieder etwas wehmütig - mußte ich mich umdrehen, denn die Tränen flossen ohne Ende. Das war ein irgendwie trauriger, aber auch glücklicher Moment, ganz schwer zu beschreiben. Da standen vor der Tür nochmal soviele Leute, wie im Konzertsaal, weil sie nicht mehr reinkonnten, die Fabrik war total überfüllt. Da ging mir so vieles durch den Kopf, daß es für mich so gut läuft, aber die Grenze nach wie vor Familien trennt und ganz viele Schicksale bestimmt. Und das nicht zum besten...

 

Könntest du dir vorstellen, mal bei einem Song den Leadgesang zu übernehmen?
Auf keinen Fall! Wenn ich singen würde, hätte die Band keine Fans mehr.

 

Was war das schönste Geschenk von einem Fan?
Das war auf Kuba und zwar etwas ganz einfaches. Weil es dort kaum etwas gab, bauten sich die Kinder ihr Spielzeug selber. Und ein kleines Mädchen schenkte mir ihre selbstgemachte Puppe. Das fand ich so lieb, so bewegend... Leider habe ich sie nicht mehr.

 

Was würdest du tun, wenn du eines Tages aufwachst und plötzlich keine Haare mehr hast?
(erschrockenes Schweigen) Ein Alptraum! Aber... (lacht), wenn ich manchmal so in die Runde werfe: "So, jetzt schneide ich mir die Haare ab!", dann ist sofort großes Entsetzen um mich herum und alle sagen: "Bloß nicht!" Das ist wie bei Micha ein Markenzeichen. Zum Glück haben mein Opa und mein Papa bis ins hohe Alter noch volle Haare gehabt, und mein Bruder, der fünf Jahre älter ist als ich, auch, so daß ich in dieser Hinsicht voller Hoffnung in die Zukunft blicken kann.

 

Welche drei Alben würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?
Es ist ganz schwer, sich da festzulegen, aber wahrscheinlich "Guitar Shop" von Jeff Beck - ich bin gitarristenabhängig (lacht) - irgendein Live-Album von Jimi Hendrix und als drittes... ich glaube, sogar etwas von uns. Wenn ich von da nie wieder zurückkönnte, würde ich eine "Die schönsten Titel von Karat"-Zusammenstellung dabeihaben wollen.

 

Würdest du gerne mal in einem Film mitspielen und am liebsten als was?
Na wenn, dann als Gitarrist. (lacht) Ich weiß nicht, ob ich mich als Schauspieler eigne, aber als Gitarrist bin ich ganz brauchbar..

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Mit wem würdest du gerne mal zuammenarbeiten?
Da gibt es ganz viele. Zu viele, um mich wirklich entscheiden zu können. Die Puhdys sagen ja immer, daß sie mit den Stones spielen wollen, was eine sehr coole Konstellation wäre. Man hört es unseren Liedern zwar nicht so an, aber die meisten davon haben einen großen Rhythm & Blues-Hintergrund. Ed ist ein Riesen-Stonesfan und hat aus diesen Gewässern ganz viele Inspirationen geschöpft... Aber ich schweife ab. Ich habe mit den Gitarreros sehr viel Freude gehabt. Wenn sowas nochmal passiert, wäre ich gerne wieder dabei. Ist allerdings ziemlich schwer, das heute nochmal zustande zu bringen. Damals war es etwas ganz großes, wie ein Aufschrei innerhalb unseres eingekapselten Ostens. Da sind ganz enge, bis heute anhaltende Gitarrenfreundschaften entstanden. Man hat es also schon erlebt, dieses Zusammenspiel von vielen verschiedenen Leuten, und das würde ich jederzeit wieder machen.

 

Wie würdest du deinen letzten Tag auf Erden verbringen, wenn du wüßtest, das es der letzte ist?
Dann hoffe ich, daß meine Familie um mich ist, weil das das Wichtigste auf Erden ist. Mein Kind natürlich, mein Enkelchen... und vielleicht gibt es bis dahin sogar auch schon ein Urenkelchen!

 

Wie würdest du jemandem, der Karat noch nie gehört hat, deine Band in einem Satz beschreiben?
Wie soll man die eigene Musike beschreiben...? Hm. Also ich sehe uns irgendwo als zeitlos an, weil die Songs, die vor vielen Jahren geschrieben wurden, heute immer noch Bestand haben und weil wir nie so trendig waren, daß unsere Eigenständigkeit darunter gelitten hätte. Und natürlich auch sehr tiefgehend.

 

Was war das bescheuertste Gerücht, das du je über dich gehört hast?
Bernd steigt bei Karat aus... ;-)

 

Gibt es etwas, das du unseren Lesern unbedingt noch sagen möchtest?
Ja, ich möchte euch unbedingt mit auf den Weg geben, daß ihr noch etwas anderes lesen müßt als dieses Interview, nämlich unser Buch (lacht). Ich freue mich immer noch wahnsinnig darüber, daß es so viele Fans gibt, die uns über all die Jahre die Treue gehalten haben und hoffe sehr, daß das noch viele Jahre so bleibt. Wir geben euch dafür immer unser bestes!

 

 
Interview: Knechtel Family
Vorbereitung: cr, kf
Vielen Dank für tolle Unterstützung
an Adele Walther (Happy Production)
Fotos: Benjamin Weinkauf, Bernd Römer privat, Happy Produktion, Redaktion
 
 
 
 

   
   
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