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Christian "Kuno" Kunert



mistral 20130209 1870775310Christian "Kuno" Kunert, geboren am 20. Mai 1952 in Leipzig, ist bei vielen Leuten ganz sicher kein Unbekannter. Der ehemalige Thomaner war zwischen 1971 und 1975 Mitglied der Klaus Renft Combo (Ende des letzten Jahrtausends bis Anfang des neuen Jahrtausends nochmals) und auch Teil des Duos "Pannach & Kunert". Kunert kannte das geteilte Deutschland von beiden Seiten. Bis 1976 war er als Musiker in der DDR aktiv, ehe er in den Westen ausgebürgert wurde. Auch dort ging er seinem Beruf (bzw. seiner Berufung) nach. Sein musikalischer Partner Gerulf Pannach wurde ebenfalls in den Westen abgeschoben, so konnten beide ihr gemeinsames Projekt "Pannach & Kunert" fortsetzen. Ihre Mischung aus Folk und Blues, ergänzt durch pfiffige Texte, war im Westen erfolgreich, aber der große Durchbruch gelang nicht. Neben seinem Duo-Projekt schrieb Kuno auch Musik für Filme und Theaterstücke. Nach der Wende traten "Pannach & Kunert" auch vermehrt wieder im Osten auf. Bis zum Tod von Pannach im Jahre 1998 arbeiteten beide Musiker zusammen. Vor ein paar Jahren verlor Kuno sein Gehör, was eine weitere Arbeit in einer Band fast unmöglich macht. Kuno ist dennoch live auf der Bühne anzutreffen. So gab es seit 2007 z.B. einige Lesungen mit Musik oder im vergangenen Jahr eine Teilnahme bei den beiden "Gitarrenhunger"-Konzerten. Der Name Christian Kunert stand schon etwas länger auf meiner ganz persönlichen Liste mit bevorzugten Interviewpartnern. Dort sogar relativ weit oben. Im Dezember schickte ich Kuno eine Mail mit der Bitte, mir ein Interview für unser Musikmagazin zu geben. Als die Zusage kam, habe ich mich sehr gefreut. Viele Fragen hatten sich mir über all die Jahre schon gestellt. Diese und andere, von unseren Lesern gestellte, Fragen, habe ich Kuno nun endlich vorlegen können, aber vielleicht hätte ich vorher den Kleiderbügel aus der Jacke nehmen sollen ;-) Das Ergebnis unseres Gesprächs könnt Ihr jetzt hier nachlesen...
 



Hallo Kuno, Du bist zuletzt als mitwirkender Künstler bei dem Projekt "Gitarrenhunger" in Berlin und Leipzig zu sehen und hören gewesen. Welche Eindrücke hast Du bei den beiden Konzerten sammeln können, und wie hat es dir insgesamt gefallen?
Für mich war´s ok. Schön Hotel und Catering und lauter nette Leute, die mich bemuddelt haben. Und Applaus ist auch was Feines. Ansonsten kann ich nicht viel dazu sagen, weil ich ja nicht mehr so ganz beieinander bin. Lampenfieber und Muffensausen wie eh.
 
 

gh 20130209 1406376645Könntest Du Dir vorstellen, so etwas bei ausgewählten Veranstaltungen öfters zu machen, oder ist die Bühne für Dich nicht mehr so reizvoll?
Eigentlich sollte ich besser zu Hause bleiben, das weiß ich. Aber ich bin auch ein altes Zirkuspferd, das es nicht lassen kann, das den Stress und den Schweiß der Manege liebt. Und was an Unbeschreiblichkeit in einem vorgeht, wenn man ins Licht der Scheinwerfer tritt. Allerdings verhehle ich keinem, dass ich den großen Ritt nicht mehr liefern kann. Im vergangenen Jahr hab ich paar Mal absolviert, was ich "Erzählabend" nenne, mit Videos und Songs garniert. Sowas geht noch ganz gut, sagen mir Leute.

 

Du hast im Jahre 2005 aufgehört mit der Gruppe RENFT zu spielen. Grund dafür war ein gesundheitliches Problem, Dein Hörvermögen ist stark eingeschränkt. Was genau hast Du und wie hat sich das angedeutet? 
Ich habe, dass ich nichts mehr höre. Das kam 2006. Mein Abschied von Renft, wo ich `99 noch mal eingestiegen war, kam viel eher und hatte andere Gründe.

 

002 20130209 1000371606Ich habe über Dich gelesen, dass Du von 1961 bis 1965 im Thomanerchor gesungen hast. War das Dein Wunsch, in diesem großen Chor mitzusingen oder eine "Pflichtveranstaltung"?
Beides. Der Chor war weltberühmt. Da Mitglied zu sein verhieß einen kleinen Schub in Richtung Bedeutsamkeit der eigenen Person. Aber die Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung war hart. Man konnte da nicht völlig unbeleckt antanzen und einfach irgendwas vorträllern.

 

Was waren für Dich überhaupt die ersten Berührungspunkte mit der Musik? Wann hast Du für Dich entdeckt, dass Du das gerne beruflich machen möchtest?
Meine Oma spielte die Orgel in der Kirche, wo mein Opa predigte. Wenn sie den Tutti-Knopf drückte, dann erbebte das Universum. Manchmal musste ich die Register ziehen, und wehe, ich machte was falsch. Dann sprach sie tagelang nicht mit mir. Auch gesungen hab ich da manchmal, auf derart zittrigen Beinen stehend, dass die Kniescheiben an die Brüstung der Orgelempore hämmerten. Dabei hat sie mich begleitet und auf langen Spaziergängen Musiktheorie mit mir gepaukt. Ihre Kinder sind durch die Bank Musiker geworden: Der Sohn Solocellist beim Stuttgarter Rundfunk, die eine Tochter Geigerin in Bremen, die andere Konzertpianistin. Das ist meine Mama. Leider hab ich weder ihr Talent noch ihren Fleiß geerbt, aber dass ich Berufsmusiker werden wollte, wusste ich trotzdem schon früh. Zum Einen erschien es mir angesichts meines Spiegelbildes die einzige Möglichkeit, die Mädchen zu knacken, zum Anderen war da das Erlebnis eines Ferienjobs im Sägewerk, da war ich vielleicht 14, wo schlagartig klar wurde, dass das nichts für mich ist mit früh aufstehen und Achtstundentag und so.

 

Du hast bei der Klaus Renft Combo Keyboard gespielt. Warum ist es gerade dieses Instrument geworden, und welche Instrumente spielst Du noch? Ich habe gelesen, dass Du mehrere Instrumente beherrscht...
Ich hab alles irgendwie mal probiert. Querflöte, Klavier, Okarina, Schlagzeug, Klampfe, Kamm, Mundharmonika, Zerrwanst, Triangel und was weiß ich. Posaune hab ich studiert. Beherrscht im Sinne von "Hier wird gemacht, was i c h sage!" hab ich keins dieser Instrumente. Nicht mal meine Stimmbänder. Dazu sind sie einfach zu eigensinnig. Dass ich bei Renft Keyboards gespielt habe lag daran, dass es dafür eine Planstelle gab, für Kamm oder Triangel nicht.

 

003 20130209 2041366038Du bist Teil der legendären Renft-Besetzung aus den frühen 70ern bis Mitte der 70er gewesen. Wie bist Du überhaupt zur Band gekommen? Wann genau bist Du bei Renft eingestiegen und in welchem Zustand befand sich die Gruppe damals?
Ende ´71 war das. Michael Heubach, mit dem die Band qualitativ einen Sprung gemacht hatte, stieg aus und hinterließ Orgelparts, die fortan dazu gehörten. Und da in Leipzig, wenn ich das recht überlege, zwar alles Mögliche auf der Straße lag bloß keine Orgelspieler, wird die Wahl nicht besonders schwierig gewesen sein.
Renft - das bedeutete eine völlig neue Welt. Rock-Musik machte nach langen Kellerjahren gerade die ersten Schritte ins Licht. Mein erster Gig war ein Konzert! Das gab es noch nicht so lange im Lande. Es musste alles noch ein Etikett haben, wo nicht Rock draufstand. Wir spielten öfter zweimal im selben Laden, erst "Matinee", abends "Jugendtanz" und solche Scherze. Aber die Songs waren dieselben. So groß war das Repertoire gar nicht. Der Unterschied: Der Jugendtanz dauerte doppelt so lange wie die Matinee, weil nach drei Songs allemal Pause war, damit die Kerle sich um die Weiber prügeln konnten und die Musikanten ein`n zur Brust nehmen. Ganz schön behämmert, was?

 

Wie hast Du die Zeit zwischen 1971 und dem Verbot der Band erlebt. Was sind für Dich die schönsten Erinnerungen, was die weniger schönen?
Man musste den Veranstaltern vorher sagen, dass eine Steckdose mit 220 Volt Wechselstrom und Schutzkontakt benötigt wird. Wenn das nicht klappte, hat Cäsar, der ja gelernter Elektriker war, dann irgendwas Verbotenes mit Silberpapier gebastelt, damit die Anlage aufhörte zu brummen. Es gab Veranstalter, die die Welt nicht mehr verstanden. Hatten sich eine "Combo" engagiert, und dann kommt da so ´ne Horde Wüstlinge an. Manchmal zog einer den Netzstecker vor Schreck. Wir fuhren zu sechst im Wolga, hintendran den Hänger mit dem ganzen Kram. Roadies gab es keine. Aber sonst war´s ganz nett. Ich erinnere mich an lange Nächte voller Irrsinn, Derbheiten und Lachen. Zank nicht zu vergessen. Später waren wir oft zwei Wochen hinternanderweg unterwegs, schliefen manchmal alle im selben Raum - wenn man so viel und eng zusammen ist, geht man sich irgendwann auf die Nerven. Aber alles in allem war es eine traumhafte Zeit. Ich glaube, es gab überhaupt nur einen einzigen Gig, wo's nicht voll war. Und zwar bei ´ner LPG im Speiseraum, irgendwo in der Pampa. An einem Tisch saßen fünf Bauern und guckten ungläubig. Das war´s dann. Man hatte Kulturpläne zu erfüllen, Geld war da, aber "Kultur" war erfahrungsgemäß mit Langeweile verbunden. So wurde gekauft, wo der Finger auf der Angebotsliste der KGD gerade hängen geblieben war. Das hätten auch Pittiplatsch oder die Säbelfechter vom Erich-Weinert-Ensemble sein können. Die fünf Bauern hätten genauso geguckt.

 

Unser Magazin wird auch von vielen Musikfreunden aus dem Westen gelesen. Wie können die sich das vorstellen, als die Klaus Renft-Combo verboten wurde? Wie und wo habt Ihr vom Verbot erfahren und mit welcher Begründung hat man Euch die Spielerlaubnis entzogen?
Jetzt langweilen wir die Ossis, aber ok: Die Band war innerhalb von 5 Jahren aus dem Untergrund aufgestiegen in die DDR-Hitparaden. Viele nahmen ihr das übel. "Staatsband" hieß es oder "der rote Renft". Am Rande der Gitarrero-Konzerte, die Du anfangs angesprochen hast, hab ich mich mit Jürgen Kerth unterhalten. Der meinte, Renft sei für ihn "grausam" gewesen. Konnte ich ihm nachfühlen. Aber richtig zahm oder gar anbiedernd, wie man das angesichts von Songs wie "Baggerführer Willi" oder "Gänselieschen" vielleicht annehmen konnte, sind wir nie gewesen. Höchstens bisschen naiv. Was hinter den Kulissen lief an Bevormundung und Zensur, das wusste ja niemand. Ich glaube, mit der Zeit waren wir ein bisschen erwachsener geworden und wollten uns nicht mehr reinreden lassen. In keiner Beziehung. Da regnete es Vorladungen, Verwarnungen und Drohungen, aber die Prominenz wirkte noch eine Weile imprägnierend. Dann kam wohl zu viel auf einmal zusammen, das Outfit, das Benehmen, die Sprüche auf der Bühne, die Songtexte und was weiß ich. Deshalb wurde eine "Programm-Abnahme" organisiert, ein Vorspiel vor einer Kommission aus Parteiniks, Staatsangestellten und willfährigen Kollegen, eine Farce. Da saßen nur Abnicker, Sesselfurzer, Schnullis. Ziemlich erbärmlich. Bevor überhaupt ein Ton gespielt war hieß es, die Kommission habe entschieden, dass RENFT "nicht mehr existiert". Aber die hatte nichts zu entscheiden. Das war längst an höherer Stelle geschehen, wie man inzwischen weiß.

 

Wie war die Zeit direkt danach? War es eher eine Aufbruchstimmung mit Plänen für neue Projekte oder eine Art Schockzustand und Handlungsunfähigkeit?
Ach was. Party war da angesagt! Großer Tisch im Ratskeller! Ich muss gestehen, dass ich erleichtert war, weil das Verbot die quälenden Diskussionen um den weiteren Weg innerhalb der Band überflüssig machte. Statt Zank und Zerwürfnis und einer ruhmlosen Selbstauflösung bekam Renft jetzt eine Art Orden, ein Berufsverbot. Wow! Die Regierung fühlt sich von Dir bedroht und ruft den Geheimdienst zu Hilfe. Das war bitteschön, bei allem Stress, der totale Kick für so einen kleinen Rockmusiker aus der Provinz wie mich. Wir machten noch bisschen Wind, Beschwerdebriefe an den Kulturminister und an Honecker und so. Es blieb beim Verbot, gottseidank. Sonst hätten wir ja weiterspielen müssen. Und mit dem schönen Legenden-Nimbus wär auch nix geworden. Der ernährt heute, nach über 30 Jahren, noch Leute.

 

Später bist Du gemeinsam mit Gerulf Pannach als Duo aufgetreten. Was genau habt Ihr gemacht und wie war diese Arbeit als Duo für Euch beide?
Was sollen wir schon gemacht haben. Singen und klampfen. Was anderes konnten wir ja nicht. Gerulf kam aus der Singe-Szene, trat solo auf und schrieb Texte für Renft. Auch auf Tournee war er manchmal mit. Seine Songs waren ziemlich wildwüchsig, die haben wir dann, auch einige von meinen, gemeinsam gesungen, was enorm Spaß machte. Auftreten durften wir damit nicht, aber wir hatten in dem einen Jahr bis zur Verhaftung ein vollständiges Programm beieinander.

 

Gibt es davon eigentlich noch Tondokumente?
Wir haben paar Mal was aufgenommen, wie wir glaubten heimlich. Die technischen Bedingungen waren unter aller Sau. Ein Teil ist verschollen, anderes gelangte in den Westen, wurde im Radio gespielt und auf Platte rausgebracht. Ich glaube, es klingt alles verdammt ernst und trocken. Hört sich bestimmt nicht so gut an.

 

Nachdem Wolf Biermann ausgebürgert wurde, haben viele Kunstschaffende aus den verschiedenen Genres dagegen protestiert. Du und einige andere wurden deshalb auch verhaftet. Welche Erinnerungen hast Du an dieses unglaubliche Unrecht, das man Dir und anderen Künstlern getan hat, noch? 
Naja, Knast vergisst man nicht. Das macht im Hirn, was der Böse-Buben-Finger mit Deinem Autolack macht, wenn er Sauereien auf die Motorhaube kritzelt. Da kannste Dir den Wolf polieren, das kriegste nicht wieder weg. Und so ist es ja wohl auch gedacht. Andererseits - wenn ein Berufsverbot die staatliche Anerkennung für aufmüpfige Künstler ist, dann ist Einlochen wohl sowas wie der Nationalpreis. Nicht ganz so gut dotiert, zugegeben. Aber doch unter Auszeichnung zu verbuchen. Übrigens saßen wir unter dem Vorwurf der staatsfeindlichen Hetze. Wegen der Songs und ihrer Veröffentlichung im Westen. Nicht wegen Biermann.

 

Das mündete darin, dass auch Du im Jahre 1977 ausgewiesen und nach West-Berlin - man kann fast sagen - abgeschoben wurdest. Was ging in Dir vor, als Du Dich plötzlich in einem ganz anderen Land wiedergefunden hast mit dem Wissen, vorerst nicht mehr in Deine Heimat zurückkehren zu können?
Die neue Welt war beeindruckend. Fremd, furchteinflößend, lecker. Und sie hatte den großen Vorteil, dass man nicht mehr überall erkannt wurde. Ich konnte ins Restaurant gehen, ohne dass die Leute die Köpfe drehten und tuschelten. Oder irgend´ne Renftnummer anstimmten. Nach einer Weile ging mir das dann allerdings auch auf den Sack, und ich fand es an der Zeit, mal wieder mit `ner einigermaßen bekannten Schnauze rumzurennen. Wenigstens ab und zu.
Zum anderen war da die Sehnsucht nach meinem vergammelten Leipzig, den Kneipen und den Kumpels dort. Ich hab mich bemüht, das schnell und gründlich zu verdrängen, auch die Knasterfahrung, denn es galt, noch eine Weile zu leben, und zwar mit mindestens genau so viel Schmackes wie vorher. Mir hat dabei immer am meisten meine Arbeit geholfen.

 

Im Westen bist Du dann später auch wieder mit Gerulf Pannach gemeinsam aufgetreten. Wie lange hat es gebraucht, bis Du im Westen richtig "angekommen" bist und Dich neuen Projekten zugewandt hast? 
Wenn ich mich recht entsinne, waren es nicht mal fünf Wochen von der Knastentlassung bis zum Konzert in der Akademie der Künste, dem ersten öffentlichen Auftritt des Duos Pannach & Kunert überhaupt. Da war die Hornhaut auf den Fingerkuppen noch nicht nachgewachsen. Total ausverkauft, das Ding, live über den RIAS, Wahnsinn. Auch die Eissporthalle ´n paar Tage später, wo wir mit Biermann auftraten, war voll. Da waren 10000 Leute versammelt. Und wir haben uns wacker geschlagen! Und dann hatten wir auch schon wieder ein bisschen bekanntere Gesichter. Etwas später hatte ich ´ne Freundin aus Virginia, die hier studierte. Ich glaube, ihre Mommy war nicht ganz sicher, ob ich der ideale Lover war für ihre Kleine. Als sie uns in Berlin besuchte, gingen wir zu dritt in die Philharmonie. Da kam in der Pause einer an, ob ich nicht der Christian Kunert sei von "Pannach & Kunert" und schmierte mir ordentlich Honig ums Maul. Den hatte der Himmel geschickt! Was im Konzert gespielt wurde, weiß ich nicht mehr. Aber an die Pause kann ich mich gut erinnern. Das Erste, was ich solo machte, war eine Fernsehmusik für die "Rappelkiste" im ZDF. Das war auch noch im ersten Jahr. Hatte keine Ahnung, wie sowas geht, hab´s aber dabei gelernt. Dann kamen andere Jobs, zum Beispiel am Grips-Theater, wo ich komponiert habe, musikalisch begleitet und sogar geschauspielert. Alles Neuland. So bekam ich es mit den Eingeborenen zu tun und hatte keine Probleme mit ihnen. Es gab da prozentual gesehen genauso viele patente Leute und Pfeifen wie wahrscheinlich überall auf der Welt. Mit Gerulf verband mich eine lange Freundschaft und gemeinsames künstlerisches Interesse. Er ist gestorben, 1997 an Krebs. Wir hatten unsere Durchhänger, vor allem in den ersten Jahren in Westberlin, Streit und Trennung inbegriffen. Aber spätestens seit Mitter der 80-ger machte das richtig Spaß. Nicht nur uns. Wenn wir gut drauf waren, hatte ich manchmal das Gefühl, niemand auf der Welt kann das, was Du hier machst, in diesem Moment besser. Manfred Maurenbrecher überschrieb damals einen Artikel im "tip" über Pannach & Kunert "Der Blues der neuen Jahre". Das gefiel mir. Ich hab übrigens gerade sein Interview bei Euch gelesen mit großem Vergnügen und Wiedersehensfreude. Das Foto mit dem Beil ist geil. Mauri sowieso.

 

Ich habe von verschiedenen Leuten gehört, dass es in dieser Zeit eine richtige Szene in Berlin gegeben hat, wo sich die ausgebürgerten und geflüchteten Künstler getroffen und gemeinsam gefeiert haben. Stimmt dieses "Gerücht" und wenn ja, welchen Stellenwert hatte diese Szene in Deinem Leben?
Ich zog zunächst nach Charlottenburg, in einen Hinterhof der Kantstraße. Dort stand ein zerfallendes Hexenhäuslein, direkt neben der S-Bahn. Das hatte zwei Stockwerke und viele Einschusslöcher aus den letzten Kriegstagen. Oben, in der ehemaligen königlich-preußischen Marmeladenfabrik, da hab ich gehaust. "Deine Mörderhöhle" hat es mal eine Freundin getauft. Auf meiner Zimmerdecke huschten die Steinmarder hin und her. Wenn sie Zoff hatten, war ein Gekreische wie wenn die Straßenbahn um die Ecke fährt. Seit ich wusste, dass es keine Ratten sind, mochte ich sie ganz gern. Unten war der Verlag der linksintellektuellen Zeitschrift "Extradienst". Weil aber die Zeit der 68-er langsam zu Ende ging, war auch damit bald Schluss, und es entstand eine Insiderkneipe. Da hab ich viel Zeit verbracht, da konnte ich nämlich in Hausschuhen runter und hatte keinen sturzgefährdeten Heimweg. Und da hab ich ganz viele von den alten Recken kennengelernt, auch Künstler aller Sorten und überhaupt sehr illustres Volk. Ostler waren da keine.moerderhoehle 20130209 1316572273 Mit Gerulf saß ich viel im FLÖZ, das war damals eine SEW-Kneipe, da waren wir als Ostler eher die Exoten. Oder wir zechten bei unserem Freund Kostas, dem Lindenstraßen-Griechen, in seinem "Terzo Mondo". Da tanzten sie nachts Sirtaki und Geschirr wurde zerdeppert aus Freude am Leben. Aber das waren eher Südler. Später bin ich nach Kreuzberg, weil es mir in Charlottenburg zu teuer wurde. Wieder Hinterhof, die Hölle, aber irgendwie auch himmlisch. Es gab natürlich auch wieder eine Stammkneipe, wo ich zum Inventar gehörte. Das ging so weit, dass der Kneiper mich zu Hause anrief, wenn ich mal ´n Abend aussetzte und mir Kredit und Rabatt anbot. Ich war damals nämlich ein freundlicher Bursche in den besten Jahren, unterhaltsam und trinkfest und zog Leute. Aber das waren beileibe nicht alles Ostler.

 

Ein weiteres Gerücht ist, dass es Überlegungen gab, mit den Musikern der späteren Nina Hagen Band in der BRD als RENFT weiter Musik zu machen. Stimmt das?
Das war Jennis Ding. Der war ja gleich rüber nach dem Verbot. Wir kannten die "Lokomotive Kreuzberg"-Leute vom Politlied-Festival in Ost Berlin. Aber die wollten wohl lieber mit Nina als mit Klaus Renft.

 

Wie ging es für Dich im Westen beruflich und privat weiter?
Wie gesagt, es gab Jobs, die mir richtig Spaß machten wie die Vertonung der Brasch-Filme oder die diverse Theaterarbeit. Auch Tatort-Musik gehört dazu und das Schauspielern in einer Fernsehserie mit Brigitte Horney. Es gab auch weniger lustige Jobs wie beispielsweise die musikalische Leitung der "Stachelschweine", was mir fast den Rest gegeben hätte. Aber dümmer bin ich dabei auch nicht geworden. Als ich las, dass Franz Bartzsch gestorben ist, kam mir wieder in Erinnerung, wie er mir einst bei der Produktion einer Fernsehspiel-Musik geholfen hat, weil ich mit der Studiotechnik nicht zurecht kam. Wir kannten uns aus der Ostrock-Szene. Sein Song "Wind trägt alle Worte fort" war für mich einer, der auch international hätte bestehen können. Dass wir zusammen in der Kneipe saßen, ist vielleicht vier Jahre her, im "Roseneck" in Hohenschönhausen, der Stammkneipe vom Bass-Bären Schloussen, unweit meiner Gefängniszelle übrigens. Heinz Prüfer saß auch noch dabei. Kommt mir alles vor wie gestern. Wär´n wir mal sitzen geblieben.

 

ifl 20130209 1498783240Vor einiger Zeit hatte ich eine Platte in Händen, die Du Ende der 80er produziert hast. Das war eine LP von der "Kuno Bänd", auf der verdammt geile Musik ist. Stimmt es, dass die Platte offiziell gar nicht erschienen ist, und wenn ja, warum hast Du diese Hammersongs nicht rausgebracht?
Das war eine Maxisingle mit drei Songs, hergestellt für Werbezwecke.

 

Was war die Kuno Bänd überhaupt für ein Projekt? Kannst Du uns dazu bitte etwas Näheres erzählen?
Ach ja, ich war wieder mal unglücklich verliebt. Sowas hab ich immer versucht, mit Arbeit zu kompensieren. Die Musiker, die ich mir geangelt hatte, bestanden darauf, nach Noten zu spielen. Da war ich manche lange Nacht sehr allein mit meinem Elend und hab schwarze Punkte gepinselt. Paar Auftritte gab es auch, ganz proper, aber insgesamt fehlte mir der Atem, das ganze Ding zusammenzuhalten. Immerhin: Der Tagesspiegel schrieb damals über unser Quasimodo-Konzert, die Kuno-Bänd sei - das kann ich auswendig - "das beste, was die Westberliner Szene derzeit zu bieten hat". Das war schon was. Aber das konnte natürlich auch viel heißen.

 

Wie und wo hast Du die Wende und den Fall der Mauer erlebt? Was ging damals in Dir vor?
Es war für mich genauso aufwühlend und spannend wie für alle, die damals diese frische Luft schnupperten.

 

kunoband 20130209 2001777258Im Jahre 1990 fand sich die Band zu einer Wiedervereinigungs-Tournee durch die DDR wieder zusammen. Bitte erzähle uns etwas darüber.
Das kann ich nicht, weil ich nicht dabei war. Aber ich wünsche meinen alten Kumpels nachträglich noch viel Erfolg! (Das kommt davon, wenn man einer falschen Quelle vertraut, Anm. d. Verf.)

 

Wie hast Du die Zeit nach der Wende beruflich wie privat erlebt?
Da war einiges an Kitzel. Ich war zum Beispiel verliebt in eine Frau aus Leipzig, die im Sommer `89 beruflich paar Tage in Westberlin gewesen war. Ich hab sie selbst noch zu dieser unterirdischen Grenzstelle Friedrichstraße gebracht, als sie zurück musste. Ein tragödientaugliches Sujet! Endlose Telefonate ins knackige Ost-Festnetz folgten und Tonnen schmachtender Briefe. Einmal Treffen in der Tscheche, wobei sie einfach hinfahren konnte, ich aber über Bayern musste, weil ich keine DDR-Straßen benutzen durfte. Dann, im Spätherbst, ging plötzlich alles ganz easy. Ich durfte wieder nach Leipzig, das grau war und bröckelte als ob nichts gewesen wär. Sie hatte eine tolle Wohnung, ich hab mich da gefühlt wie der King. Und es gab zum Frühstück meine Kindheits- Brötchen, diese irrsinnigen Ost-Semmeln, für die ich Marathon laufen würde, wenn es sie denn noch gäbe.

 

Bitte erzähle uns etwas über das Projekt "Kuno und die Trällerasseln".
Das war dann schon Mitte der 90-er. Ich war inzwischen im Harz gelandet, vermietete Zimmer und glaubte, keine Lust mehr auf Musikmachen zu haben. Frisch verheiratet war ich auch und mit einem Knaben beglückt. Da hörte ich meine Frau eines Tages gemeinsam mit der Nachbarin, ebenfalls eine junge Mutter, im Garten singen. Das klang toll, und wir haben es dann mal zu dritt versucht, was auch klang. Dann hab ich wieder Songs geschrieben und Demos gemacht und ein kleines Label gefunden für die Produktion einer CD. Aber da hat mich das Glück verlassen. Ich war 10 Jahre in keinem Studio gewesen und kannte die Technik nicht. Auch die Leute dort waren mir fremd, ich fühlte mich extrem allein. Dann kamen Huddeleien mit den Ohren, mitten in der Produktion, mit Krankenhaus und allem drum und dran. Ich hab das dann irgendwie fertig gemacht, weil es Termine gab. Aber wer die Demos kannte, war enttäuscht, zurecht, wie ich meine. Hätt ich sie mal einfach veröffentlicht. Vielleicht mache ich das noch eines Tages, wenn mir mal langweilig ist.

 

010 20130209 1634474597Wenn man die Leidensgeschichte der Gruppe Renft mit all den Schicksalsschlägen der Jahre zwischen 1975 bis heute sieht wird man den Gedanken nicht los, dass das Bandprojekt unter keinem guten Stern stand und steht. Woher nimmt man die Kraft, immer wieder aufzustehen und weiterzugehen?
Was für ´ne Leidensgeschichte? Jemand, der sein Leben am Fließband verbringt, und der Efeu rankt derweil übers Ehebett, der hat vielleicht ´ne Leidensgeschichte. Unser Leben war vollgepackt mit Abenteuer und Unwägbarkeiten. Wenn man, was ich ganz gern mal tue, alles Verbot und Knast und Abschiebung, auch Liebesleid und Armutszeit und sonstiges Elend unter Vita-Würze verbucht, bleibt nur Dank an das Schicksal. Alle Renftler haben profitiert von den widrigen Umständen. Der Jenni war, mit kleinen Unterbrechungen, geradezu vom Erfolg gejagt. Nicht unbedingt, weil er so ein bedeutender Musiker gewesen wäre, oder ein Beau oder besonders gebildet. Nee, weil er pfiffig war und die Zeit passend. Nie wieder wird jemand so einfach zu Erfolg kommen im Rock-Geschäft wie unsereiner. Wenn Du Jennis Grab siehst oder Dir vor Augen führst, dass es in Leipzig eine Renft-Straße gibt, bist Du nicht mehr weit von der Feststellung, dass er sogar eines erfolgreichen Todes gestorben ist. Da rede ich jetzt wohlgemerkt nicht von der Quälerei, die so ein Krebsleiden bedeutet. Aber dafür muss man nicht bei Renft gespielt haben. Gestorben wird in der besten Gesellschaft. Mein Lieblingssatz aus der Stasiakte geht so: "Die Renft-Combo ist eine Beatgruppe, deren Mitglieder in Leipzig wohnhaft sind. Sie halten sich ständig in den Gaststätten in der Innenstadt von Leipzig auf und trinken dort." Von wegen Leidensgeschichte.

 

Du hast im letzten Jahr ein Hörbuch veröffentlicht, das den Titel "Das muss Sie gar nicht interessieren" trägt. Wird es irgendwann weitere Hörbücher von Dir geben? Vielleicht sogar nochmal etwas "Musikalisches"?
Das ist ein Mitschnitt aus der ehemaligen Stasi-Zentrale in Leipzig, das hab nicht ich veröffentlicht. Der Gig war lange ausgemacht, dann kam das mit den Ohren, und ich hab natürlich abgesagt. Aber die netten Veranstalter wollten unbedingt trotzdem. So hab ich alle Verantwortung von mir gewiesen und bin da hin. Hab zum ersten Mal sowas gemacht, zwei Stunden ein´n vom Pferd erzählen. Es war gut besucht. Das Manuskript war aber viel zu lang, die Zeit wurde knapp, die Luft schlecht. Ich bin da durch, immerhin. Wie es sich anhört, weiß ich nicht. Mit der Musik ist es mühsam. Ich hab paar Sachen vertont inzwischen, auch paar Songs geschrieben und Gitarre geübt, um es nicht zu verlernen. Aber es kostet jedesmal Überwindung und ist eine ziemlich freudlose Angelegenheit, denn der Sinn für Musik, im wahrsten Sinne des Wortes, ist mir abhanden gekommen.

 

renft2000 20130209 1005031105Kommen wir nun zu ein paar Fanfragen: Unser Nutzer "Karl" schrieb, "Ich habe Dich erst in den Neunzigern für mich entdeckt, nicht nur als atemberaubenden musikalischen Künstler, sondern auch als Mann mit einem ganz besonders kabarettistischen Einschlag. Auf der Bühne und vielmehr noch in verfassten Texten. Meine Frage, kannst Du uns - Deinen Fans - nicht endlich die letzten Groschen aus der Tasche locken, indem Du uns davon papierseitenweise was vor die hungrigen Augen wirfst?"
Eure letzten Groschen als Nahziel - werd mal sehen, was ich für mich tun kann. Aber ich bin halt auch ein fauler Hund und steh mir mitunter selbst im Wege. Für Deine Komplimente ist auch ein Mann meines Alters noch empfänglich, stelle ich gerade fest. Merci, Karl.

 

Unser Nutzer "Albrecht" fragte, "Immer wieder lausche ich auf deiner Hompage dem "Fischlied" aus dem Totenschiff-Musical - bleibt es unverkäuflich, weil unbezahlbar? Gibt's noch andere Pannach/Kunert-Schätze zu heben?"
Ich glaube nicht, dass da noch viel vergraben ist. Wenn Dir der "Fischchor" gefällt, freut mich das sehr. Ich hatte ganz vergessen, dass er zu hören ist auf meiner Homepage. Klar könnte man die Demos veröffentlichen, ich hab sie einst ganz alleine in fleißigen Nachtstunden zusammengeschustert mit der festen Überzeugung, dass sie zu Galoppern werden, auf denen unser Werk um die Welt reiten wird. Aber vielleicht sind es doch nur Brauereipferde geworden.

 

008 20130209 1565707451Unser Leser Joe hat auch noch zwei Fragen: "Hat Kuno vor, mal ein Buch mit Geschichten aus seiner Zeit bei Renft und mit Gerulf P. zu schreiben? Hörbuch und auch die Storys bei anderen Gelegenheiten (Gitarrenhunger) machen mächtigen Appetit auf solche Schnurren aus den wilden Zeiten. Salli Sallmann erzählt ja auch herrliche Sachen über die Zeit in W.-Berlin."
Alles aufschreiben? Dann hätte ich ja nichts mehr zu erzählen. Ich verweise mal auf das rote Buch mit den Pannach-Texten. Da hab ich schon eine ganze Menge aufgeschrieben. Wenn man es lesen will und nicht hat, sollte man E-bay befragen oder den Verlag nerven, ob er noch Bestände hat oder es neu auflegt. Heißt "Als ich wie ein Vogel war" und ist erschienen im Verlag "Schwarzkopf und Schwarzkopf". Auch wenn´s rot ist.

 

"Bestehen Aussichten, dass Kuno aus altem Material noch mal eine CD herausbringt? In welchem Stadium befindet sich des geheimnisvollen "Totenschiff" (Musical mit G.P. nach B.Traven)?"
Solche Aussichten bestehen immer. Je nach Fortschreiten des Altersirrsinns. Das Textbuch des "Totenschiffs" ist jetzt um die 15 Jahre alt, bei dem Tempo, mit dem die Welt sich momentan dreht, also schon ziemlich altbacken. Auch gibt es rechtliche Probleme, die schon immer eine Aufführung verhindert haben. Das betrifft allerdings nicht die Musik beziehungsweise die Songs. Das Leben ist ja noch lang.

 

Wir würden uns wünschen, dass Du weiterhin als Kulturschaffender in irgendeiner Form Deinen Fans und Interessierten erhalten bleibst. Gibt es vielleicht schon Ideen über neue Projekte?
Das ist ja sehr nett, aber hör ma off mit Deinen "Kulturschaffenden"! Ich bin vielleicht ein Zusammenklimperer, ein Schmalzgröhler, ein Tönequäler - alles, was Du willst. Ein Kulturschaffender bin ich höchstens im Garten, wenn ich selektiere: Löwenzahn nein, Löwenmaul ja. Was die Projekte betrifft - ich meine, den Papageno werd ich nicht mehr singen, so gern ich es einmal getan hätte. Aber vielleicht beschrifte ich vermehrt Papier. Ich sammle schon fleißig Gründe dafür.

 

Ich danke Dir für die Zeit und die Antworten. Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Wie bitte? Leser richten? Gott bewahre!

 

Interview: Christian Reder
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Kuno privat, Holger John, Herbert Sculuze. Redaktion
 
 
 

   
   
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