Dirk Michaelis
Weil wir seit vielen Jahren Musik machen und weil wir darauf achten was der Andere tut. Es ist aber auch schon Tradition, dass City sich einen Gast einlädt und mit ihm zusammen auf Weihnachts-Tour geht. Ich glaube vor mir waren es Norbert Leisegang von Keimzeit und Hans die Geige. Jetzt hat sich Toni wohl gedacht, „Es war toll im letzten Jahr, also nehmen wir mal den Dirk Michaelis ein zweites mal mit“. Darüber habe ich mich gefreut.
Du bist also zum zweiten mal geladen?
Ja, und es ist eine schöne Gelegenheit mit geachteten Kollegen und Freunden gemeinsam zu musizieren, denn das sind keine Konzerte mit getrennten Programmen, also erst spielt der eine und dann der andere, sondern wir machen auch ein paar Songs zusammen. Es ist mir eine große Freude mit den Jungs ihren Hit „Am Fenster“ zu teilen, den Song mal selbst zu singen, den ich als Teenager schon toll fand. Dafür kann ich mit Toni auch „Als ich fortging“ teilen, das ist doch eine schöne „Revanche“. Es wird aber auch gerockt! "Gott in Not" von meinem Album "Solo", geht richtig ab mit den Jungs und ganz neue Rockchansons sind auch im Programm.
Na dann brauch ich auch nicht mehr zu fragen, ob man auf diesen Konzerten „Oh du Fröhliche“ oder andere Traditionals hören wird... (lacht) Nee, Toni ist höchstens "DER Fröhliche", indem er den "Little Drummer Boy" gibt und ich werde ein eigenes nicht veröffentlichtes Weihnachtslied präsentieren.
Wird in Vorbereitung auf diese Weihnachtstour noch zusammen geprobt?
Alles was auf der Bühne professionell aussieht, wird natürlich auch professionell vorbereitet. Wir gelten zwar schon als „alte Hasen“, aber es wird auch geprobt, klar.
Kommen wir zu Dir persönlich: Du stammst aus einer Künstlerfamilie. Mutter und Vater waren Tänzer, Dein Stiefvater war Leiter des nach ihm benannten Gerd Michaelis Chor. Wann gab es für Dich die Berührungspunkte zur Musik, die einen prägenden Eindruck hinterlassen haben?
Wir hatten ein Klavier im Haus und irgendwann hab ich mich dafür interessiert und den Großteil meiner Kindheit habe ich im Friedrichstadtpalast verbracht, allerdings Am Zirkus 1, also im alten Friedrichstatdtpalast. Dadurch war die Luft, die ich als Junge einatmete, nicht nur die alte Zirkusluft sondern auch die Revueluft, die den Friedrichstadtpalast beherrschte. Und das prägt natürlich auch… Ich glaube es gab nichts Spannenderes für mich, als über diese wunderbare große Bühne des alten Friedrichstadtpalastes zu laufen.
Ich habe gelesen, Du hast als Kindergärtner und Krankenpfleger gearbeitet. Hast Du diese, bzw. einen dieser Berufe erlernt?
Nein, ich hab Maurer gelernt, und es ist bei mir ebenso gewesen, wie bei anderen Kollegen auch, dass man für die Musik diverse, andere Jobs machte. Als Amateurmusiker von der Musik zu leben, war erstmal nicht so einfach. Man brauchte als erstes einen so genannten „ordentlichen Beruf“. Dadurch ergab sich, dass viele Kollegen Briefträger oder Kindergärtner, Reinigungskraft oder alles Mögliche waren, aber sich eigentlich hauptberuflich mit der Musik beschäftigt haben. Das heißt nicht, dass ich nicht gründlich oder verlässlich war, es war halt der Tatsache geschuldet, dass ich neben der Musik noch eine Weile einen anderen Job brauchte.
In den frühen 80ern bist Du als Amateurmusiker durch die DDR gereist. Was sind Deine bleibenden Eindrücke aus dieser Zeit?
Ein bleibender Eindruck ist das endlose Reisen mit dem Trabant, mit einem viel zu schweren Anhänger, auf dem die selbst gebaute Anlage drauf war. Außerdem hat sich folgendes Erlebnis bei mir eingebrannt: Ich war auf der Autobahn auf dem Rückweg von Eisenach nach Berlin. Plötzlicher Wintereinbruch bei Magdala und der Trabbi war überfordert. Wir mussten Schneeketten aufziehen, um den Berg hoch zu kommen. (lacht)
Bist Du dann noch heil nach Hause gekommen oder hast Du woanders auf besseres Wetter warten müssen?
Ich bin ein Sonntagskind! Bis jetzt bin ich immer heil nach Hause gekommen. Toi Toi Toi (Klopft auf Holz)
Hast Du eine Ausbildung als Musiker gemacht?
Ja, ich war - wie viele meiner Kollegen früher, z.B. Die Puhdys, oder auch Nina Hagen - an der berühmt-berüchtigten Musikschule Berlin-Friedrichshain. Ich glaube, mit den Jungs von Rockhaus, Duo Report und diversen anderen Kollegen zusammen, die dann auch später die DDR-Charts stürmten.
Kommen wir zu Deinem Einstieg als Berufsmusiker bei Karussell 1985. Wie hat man Dich entdeckt? Gab es ein Vorsingen?
Im Jahre 1985 sind Lutz Salzwedel und Tom Leonhardt nach einem Gastspiel im Westen dort geblieben. Der Rest der Band hat deshalb also recherchiert: „Wer könnte der neue Sänger sein?“ Ich glaube, es gab mehrere Optionen, aber wer noch in der Auswahl war, wurde mir nie gesagt. Das war auch ok. Jedenfalls haben sie dann auch einen Hinweis bekommen auf einen jungen Solisten, der so mit Trabant und großem Anhänger durch die Gegend fährt (lacht), und der vielleicht talentiert genug sein könnte, den Posten zu übernehmen. Und so kam ich in die engere Wahl.
Ich wurde dann eingeladen bzw. ging der Einladung voraus, dass plötzlich die Hälfte der Band bei einem Konzert von mir in einem Berliner Jugendclub auftauchte. Da ich ja ein großer Fan von Karussell war - es gab für mich eigentlich nur Renft und Karussell und ein bisschen Engerling - hab ich die natürlich erkannt. Ich war sehr überrascht als ich die Jungs sah, und dachte „Nanu , der sieht ja aus wie Claus Winter, und der dahinter sieht ja aus wie Jochen Hohl…“ Sie haben sich den jungen, dynamischen Solisten da mal angesehen um mal zu gucken, was der so treibt. Ich wurde dann eingeladen und bekam Hausaufgaben: „Wie ein Fischlein unterm Eis“, „Bambule“ und noch einen dritten Song zu proben. Diese Aufgabe habe ich artig erledigt, bin dann nach Naunhof gefahren und hab da mit den Jungs gesungen und gespielt. Es war wie ein Traum.
Das war aber noch kein Konzert, oder?
Nein, in Naunhof war der Proberaum. Eine Garage, die mit Eierpackungen an allen Wänden gedämmt war, weshalb sie von Claus auch scherzhaft „Kim-Studio“ genannt wurde. (Claus Winter war der legendäre Bassist von Karussell, „KIM“ bedeutete „Kombinat für Industrielle Mast“ Anm. d. Verf.) Nach der ersten gemeinsamen Probe verging eine längere Zeit, in der wahrscheinlich noch andere Leute zum Vorsingen eingeladen wurden. Vielleicht haben sie auch geprüft ob ich „reisefähig“ war, und all die Dinge, die damals wichtig waren… Letztendlich kam es dann dazu, dass Geli mich anrief und mir sagte, dass die Band gerne mit mir arbeiten würde. Ich konnte es kaum fassen. Geli ist übrigens die bezaubernde Frau von Wolf Rüdiger Raschke.
Wie war die Anfangszeit mit der Band? Es ist sicher nicht einfach gewesen, die Position am Mikro von Karussell zu übernehmen. Wie reagierten die Fans speziell auch im Hinblick auf Deinen Vorgänger Cäsar?
Seltsam, dass viele Leute mich als Nachfolger von Cäsar betrachten. In der öffentlichen Wahrnehmung ist Lutz Salzwedel wohl nicht so in den Köpfen der Leute hängen geblieben. Was mich aber ein bisschen erstaunt, denn z.B. der großartige Song des letzten Albums „Was kann ich tun“ hatte doch schon klargemacht, dass Lutz ein toller Sänger ist. Vielleicht war die Zeit, die er bei Karussell war, auch zu kurz um sich zu etablieren. Von Anfang an war für mich wichtig, zu versuchen, eigenständig zu sein. Darum habe ich auch keinen Song von Cäsar gesungen. Vielleicht hätte ich es auch gar nicht glaubwürdig gekonnt. Ich war "der Neue" und dementsprechend motiviert, mich als Sänger und Autor zu etablieren, und mich nicht zu verstellen. Die Jungs haben mich auch dementsprechend unterstützt.
Hast Du Dich auch als Texter eingebracht?
Die meissten Texte hat Michael Sellin geschrieben. Die ganze Band hat diese diskutiert. Was ich gern erwähnen möchte ist, dass der Einstieg bei Karussell die wirklich wichtige Chance war, mich als Komponist zu etablieren. Die konnte ich nutzten, weil die Jungs mich haben machen lassen. Jochen hat mich immer bestärkt und Wolf hat mich ermuntert. Ich war im siebten Himmel und konnte es ihnen später auch danken (schmunzelt).
Von heute auf morgen warst Du Frontmann einer der bekanntesten DDR-Rockbands und spieltest vor vielen Fans. Was ging in Dir vor?
Es sollte mein ganzes Leben verändern. Ich werde der Band für diese Möglichkeit immer dankbar sein. Klar bin ich ins kalte Wasser gestoßen worden, als wir nach einer sehr kurzen Probephase gleich in der ehemaligen Sowjetunion und durch Rumänien tourten, es gab ja nicht viel Zeit, sich einzugewöhnen, aber ich glaube, ich hab dann auch alles getan, um der Band zu helfen und alles voranzubringen. Wir hatten ein gutes Feeling.
1987 erschien das erste Album mit Dir als Sänger. Vorher gab es schon mit „Der Halleysche Komet“ eine Single. Kannst Du Dich noch an Deinen ersten Tag in einem professionellen Studio erinnern? Was war überhaupt Dein erster Song?
Mein erster Song, den ich in einem Studio eingesungen hab?
Ja, genau...
(überlegt) Ich glaube, das war im Studio bei Gunther Wosylus, dem ehemaligen Schlagzeuger der Puhdys. Der hat meine allererste Studio-Aufnahme gemacht. Wo is’n die überhaupt heute? Das war der Song „Ab und zu“, den wir später noch mal mit Karussell aufgenommen haben. Aber die allererste Produktion schwirrt bestimmt noch irgendwo rum…ja, und der erste Song den ich mit Karussell produziert habe? Ob es "Der Halleysche Komet", oder „Ab und zu“ war, weiß ich nicht mehr. Oder "Ghetto im Kopf"? Der fehlt übrigens in der 5er Box. Am Besten, ihr fragt mal die Produzentin Luise Mirsch. Der erste Song mit mir als Sänger, der überhaupt erschienen ist, war aber "Der halleysche Komet". Es war jetzt nicht unbedingt eine Perle und aus heutiger Sicht würde ich sagen, ich war jung und wusste es nicht besser, aber irgendwie mussten wir uns auch füreinander interessieren und erst mal anfangen. Der Song erschien dann als Single und wurde gleich unsere erste Nr.1 in den Hitparaden.
„Café anonym“ zählt für viele noch heute zu den besten Scheiben, die in der DDR erschienen sind. Welche Stärken und Schwächen hat die Platte aus Deiner Sicht mit einem Abstand von 22 Jahren?
Ich glaube, dass diese Platte deutlich macht, dass wir für uns noch kein richtiges Klangbild gefunden haben. Songs wie „Riesengroße Herzen“, „Café anonym“, oder „Als ich fortging“, sind völlig unterschiedlich und ich glaube, es ist zu spüren, dass wir noch auf der Suche waren. Die letzte Platte, die ich mit Karussell machte, „Solche wie du“, war schon viel mehr aus einem Guss. Da hat man schon gespürt, dass ein paar Jahre rum sind und wir eben unseren Stil gefunden haben. Und das sich die Band deutlich mehr auf Dirk Michaelis einließ. Sicher gefiel das nicht allen eingefleischten Karussell-Fans, aber wir hatten plötzlich auch sehr viel Post von jungen Leuten.
Bei einem Interview mit Dir kommt man an dem Song „Als ich fortging“ nicht vorbei. Wie ist der Song entstanden und was verbindest Du mit ihm?
Das wurde ja schon tausendmal erzählt. Ich glaube, das Lied ist mein „Yesterday“. Es ist auch durch den genialen Text von Gisela Steineckert zu einem der emotionalsten, deutschsprachigen Lieder geworden, die ich selbst kenne. Dass ich das große Glück habe, dieses Lied im Original zu singen und die Musik geschrieben zu haben, ist einfach ein Geschenk für das ich immer noch dankbar bin. Ich merke auch, dass ganz viele Menschen, auch in Westdeutschland, plötzlich dieses Lied für sich entdecken. Wie viel Post ich zu diesem Song bekomme und wie viele verschieden Geschichten damit in Verbindung gebracht werden, das ist unglaublich. Dafür bin ich sehr dankbar und auch, dass die Menschen, nur weil sie dieses Lied mit mir in Verbindung bringen, mir pauschal ein tiefes Vertrauen entgegenbringen. Das sie mir mitunter Geschichten offenbaren, die durchaus eine gewisse Diskretion bedürfen. Darüber bin ich sehr dankbar und möchte sagen, diese Geschichten sind auch sehr gut bei mir aufgehoben.
Es wurde unzählige Male von anderen Künstlern oder Bands gecovert und Du hast es auch schon mit Startenor Jose Carreras im Duett gesungen...
Die aktuellste Coverversion ist auf dem neuen Album von "ADORO - Für immer und dich". Sie singen die Top 10 der größten deutschen Erfolge im Klassikgewand und haben auch "Als ich fortging" ausgewählt. Das macht mich stolz, aber mit Josè Carreras zu singen, wird immer ein ganz besonderer Höhepunkt meiner Karriere bleiben. Er hat ja in jedem Jahr zu seiner Benefiz-Gala einen Spezialgast, mit dem er im Duett singt. Er recherchierte nach guten Songs, die auch zu ihm passen würden, und durch eine gute Freundin und Managerin, kam er dann auf „Als ich fortging“. Daraus wurde dann die Idee, das mit mir im Duett zu singen. Ich habe erst gedacht, da will mich jemand veralbern, als ich hörte „Du, das Büro von Jose Carreras versucht dich zu erreichen. Einen Tag später kam ein Fax, ich solle mich da mal melden (lacht)… Da wurde dann gefragt, ob ich den Text auch in spanisch hätte, damit Josè Carreras den Inhalt versteht, und ich hatte den spanischen Text von Elke Bitterhof vorliegen, weil ich mit Karussell in Uruguay war und dort dieses Lied in spanischer Sprache gesungen habe. Dadurch ging es sehr schnell, ich faxte den Text zurück und dann fiel die Entscheidung, dass er es sehr gerne mit mir singen würde. Auch das werte ich als großartigen Ritterschlag für den Song, denn Carreras hätte ja auch sagen können, „Dirk Michaelis? Ja, ein dufter Typ, aber wir singen ‚Let it be’!“ Aber nein! Ich habe mit ihm in spanischer Sprache „Als ich fortging“ singen dürfen. Es war unglaublich. So ein großartiger Künstler kommt auf mich zu und sagt: „It’s a great pleasure for me, because it`s a grande melody“. Ich meine, was soll man dann noch anderes sagen, als „Gracias Senior“.
Die einen sagen, „Als ich fortging“ war DIE Wendehymne, bei SAT1 wurde es zum "schönsten Liebeslied der DDR" gewählt. Wie siehst Du das?
Ist doch ganz klar. 1987 bzw. 1986 wusste noch niemand etwas von der Wende. Selbst im Herbst 1989 wusste noch Stunden vorher niemand, dass die Mauer fallen würde… also die Vermutung stehen zu lassen, dass das eine beabsichtigte Wendehymne werden sollte, ist totaler Quatsch. Das habe ich immer zurückgewiesen und werde es auch nie behaupten. Es ist nur wieder ein Beweis dafür, dass die Leute mit einem Song, ist er erst einmal veröffentlicht, machen was sie wollen. Und das sollen sie auch. Für sehr viele DDR-Flüchtlinge, oder ihre Familien und Freunde waren es die Zeilen "Als ich fortging war die Straße steil", oder "Kehr wieder um". Viele Journalisten aus Ost und West, haben dann die Bilder des Mauerfalls , wegen der Zeile "Nichts ist unendlich", mit diesem Lied unterlegt, und dadurch wurde es zum Soundtrack einer ganzen Ära. Letztendlich ist es aber ein ganz privates Lied über das Scheitern zweier Menschen.
Aus persönlichem Erleben?
(zurückhaltend) Womöglich...?!
Eine persönliche Frage zur Wendezeit möchte ich Dir noch stellen. Karussell spielte 1989 in der Messehalle 1 in Leipzig Du hast vorne an der Rampe gestanden und ziemlich dolle Sprüche losgelassen, die doch sehr gewagt waren...
Ich glaube in der Band bestand schon immer der Anspruch, das gesellschaftliche Gewissen etwas anzuregen. Ich weiß jetzt nicht genau, was ich dort gesagt habe, aber es wird schon angemessen gewesen sein. Vielmehr Brisanz transportierten wir aber über unsere Lieder. "Am Ende der Schlacht" und "Wintermärchen" sind heute noch magisch, während "Kinder der Phantasie" heute wohl eher ein Achselzucken auslösen würde.
Im Jahre 1989 erschien die LP „Solche wie du“, deren Songs Du gerade schon erwähnt hast. Auf ihr enthalten ist „Marie“. Ein Freund von uns bezeichnete ihn in einer Diskussion im Forum als DEN Wendehit für ihn. Wie denkst Du über „Marie“?
Ich finde, dass der Song insbesondere vom großartigen Text von Michael Sellin lebt. Es war einer der wenigen Lieder, die nicht nur himmelhochjauchzend den Mauerfall beschrieben haben, sondern durchaus mit einer erstaunlichen Weitsicht auch ein bisschen nachdenklicher gemacht haben. Dieses eher „in-sich-gehen“, anstatt nur laut zu blöken und zu jubeln, hat mir ganz gut gefallen. Und jetzt, mit diesem Abstand von 20 Jahren, hat sich doch gezeigt, dass Michael damals ganz richtig lag.
Arbeitest Du heute noch mit Michael Sellin zusammen?
Bei der Produktion der ersten beiden Solo-Platten haben wir noch sehr eng zusammengearbeitet. Im Moment macht er andere Projekte, aber wir behalten uns wohlwollend im Auge.
Das Album „Solche wie du“ ist in den Wirren der Wende fast untergegangen. Stimmst Du dem zu?
Ja! Im Osten gab`s die nicht und im Westen kannte man uns nicht. Das war ein bisschen traurig.
Was meinst Du: Wäre die Platte früher erschienen, hätte sie dann mehr Erfolg gehabt?
Die Chance war ja da, Büttner (AMIGA-Chef, Anm. d. Verf.) wollte die aber nicht machen. Es ist schon interessant, so kurz vor der Wende… Aber „was wäre wenn“ ist spekulativ. Ich glaube „Solche wie du“ ist eine der reifsten LPs von Karussell, und darauf können wir wirklich stolz sein. Ansonsten hätte ich mir gewünscht, dass mehr Leute von der Platte Kenntnis gehabt hätten, aber das war ja nichts Neues für uns. Man wusste ja, dass die brisantesten Songs nicht bei Amiga erschienen, sondern live gespielt wurden.
Ein Jahr später, also 1991, löste sich die Band auf. Wer gab den Anstoß dazu?
Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich von Wolf-Rüdiger nicht mehr angerufen wurde und erst viel später erfuhr, dass er ein Hotel baut. Also, wir haben nie gemeinsam beschlossen, die Band aufzulösen. Es hat einfach aufgehört. Dann hab ich gedacht, ich muss mir wohl selber einen Kopf machen, und habe dann mein Soloprojekt wieder aufgenommen. Was sollte ich auch sonst tun?
Wie hast Du die Wende erlebt und was hast Du kurz nach der Einheit gemacht?
Ich habe erstmal den Niedergang der Band bedauert und eine Weile gebraucht, zu begreifen, dass das jetzt erst einmal vorbei ist, trotzdem wir großartige Songs geschrieben haben, doch Zeiten ändern sich. Es gibt Ups and Downs.
Also wollte ich es noch mal wissen. Ich habe dann auch sehr schnell aufgehört darüber nachzudenken, was ich statt Musik machen könnte. Erstens wollte ich nichts anderes und zweitens konnte ich nichts anderes. Und insofern war dann der Entschluss gereift, den Solokünstler „Dirk Michaelis“ wieder aufleben zu lassen. Es gab nur ein Problem: Ich hatte keinen Trabant und keinen Anhänger mehr. (lacht)
Kannst Du Dich erinnern, was Du am Tag des Mauerfalls gemacht hast?
Ja, da war ich im Palast der Republik auf der Bühne. Am 9. November, und am 10,. November auch. Am 09.November 1989 haben wir Songs gespielt wie „Wintermärchen“ und „Als ich fortging“, und am 10.November 1989 dachten wir, „da wird wohl kein Mensch mehr in den Palast der Republik kommen, die Leute sind doch alle drüben im Westen“. Aber auch am 10.November 1989 war der große Saal ausverkauft und wir sangen spontan die Nationalhymne der DDR, mit der ersten, lange verbotenen, Strophe ("Deutschland, einig Vaterland"). Es war eine nie wieder erlebte hoffnungsvolle Aufbruchstimmung. Dann spielten wir das gleiche Programm mit den gleichen Songs, und da wurde mir sofort klar, wie zeitlos manche Lieder doch sind, dass sie so oder so stimmen. Das war eine gute Erfahrung.
Im Jahre 1994 erschien die LP „Sonnenfeuer“ von Karussell, ohne Dich. Hast Du eine Zusammenarbeit abgelehnt oder warum erschien diese Platte mit einem anderen Sänger?
Das weiß ich nicht. Das musst du Karussell fragen. Ich wusste von der Platte gar nichts.
Du hast ab 1992 insgesamt neun Soloalben gemacht und warst an drei Projekten beteiligt. Was waren in den 20 Jahren nach der Wende Deine schönsten und weniger schönen Erlebnisse?
Schön war es erstmal, wieder unterwegs zu sein. Es war sehr schön zu spüren, dass man auch nach der Wende, ein Publikum hat. Es war aber auch sehr schwer. Karussell war ja eine der populärsten Bands der DDR, und es gibt ja kaum jemanden der das Lied "Als ich fortging" nicht kannte, doch ich kannte ja die Erfahrung in kleinen Clubs zu spielen, und sich dadurch dann wieder „hoch zu muggen“... Ich glaube, dass es am spannendsten ist, wenn man spürt, dass die Leute sich wieder erinnern und auch sehr aufgeschlossen gegenüber den neuen Songs sind. Ich spiele ja nicht zwei Stunden lang „Als ich fortging“, sondern habe da schon einige Songs nachlegen können, die zwar nicht so populär sind, aber trotzdem beliebt… Ich meine, Paul McCartney kommt auch nicht ohne „Yesterday“ von der Bühne, und Rod Stewart muss auch „Sailing“ auf seinen Konzerten singen. Da gibt es noch viele andere Beispiele, und insofern ist es für mich schön, dass ich die Chance hatte, die wunderbaren Songs von Karussell und Songs des Solisten Dirk Michaelis zu etablieren und weiterhin auf Tour sein zu können.
Du hast Dein eigenes Label „ROCKchanSONGS“ gegründet. Warum?
Man ist dadurch unabhängiger. Ich hatte auch keine Lust mehr, jemanden fragen zu müssen, welcher Song jetzt geht und welcher nicht. Ich brauchte auch niemanden, der mir sagt „Ich bringe deine Platte raus und weiß wie es geht“. Wenn meine Platte im Laden steht, dann ist es eine, die von mir selbst gemacht und veröffentlicht wurde.
Werden auf Deinem Label auch andere Künstler veröffentlicht?
Das Hauptaugenmerk liegt auf meinen Projekten. Ich habe auch kein so großes Budget, um noch andere Künstler zu veröffentlichen. Vielleicht irgendwann einmal, aber in erster Linie ging es darum, dass Dirk Michaelis ein Podium hat, welches unabhängig ist.
Mitte /Ende der 90iger Jahre bist Du mit Dirk Zöllner und Andrè Herzberg als die "3HIGHligen" aufgetreten. Wie kam es zu diesem Projekt?
Wir sind Freunde! Wir haben uns auch privat öfter mal getroffen und hatten dann ca. 1993 die Idee, etwas zusammen zu machen. Wir sind so unterschiedlich, dass es unterschiedlicher gar nicht mehr geht. André Herzberg von „Pankow“, Scholle von den „Zöllnern“ und ich, da stellte sich erstmal die Frage, ob das überhaupt geht. Diese Frage stellten sich ja auch dann die Besucher. Wir sind ja drei unterschiedliche Frontmänner, ich weiß auch nicht wie das funktioniert hat, aber ich glaube, es hängt damit zusammen, dass wir uns künstlerisch sehr achten. Ursprünglich hieß das Projekt auch nicht so, sondern die Leute nannten uns so: „Seht mal, jetzt kommen die drei Heiligen“ Da haben wir gesagt, „Das ist cool, das greifen wir mal auf.“ Wir haben es dann noch etwas anders geschrieben, nämlich nicht „heilig“ im Sinne von „heilig“, sondern „high“. Damit war es perfekt.
Dirk Zöllner haben wir auch schon gefragt: Wie groß sind die Chancen einer Fortsetzung der "3HIGHligen“?
Ich weiß jetzt nicht was Dirk geantwortet hat… Es liegt einfach daran, einen gemeinsamen Termin zu finden. Jeder hat ja seine Projekte, die stehen für jeden Einzelnen im Vordergrund. Ich sag mal so: Ich könnte mir schon vorstellen, dass es noch mal stattfindet! Aber wann? Vielleicht weiß es André... (lacht)
Du bist außerdem auch Botschafter der „Jose Carreras Stiftung“. Kam es durch Euren gemeinsamen Auftritt, über den Du vorhin schon erzählt hast, dazu?
Nach unserem Duett haben wir den Kontakt aufrecht erhalten. Wir haben jetzt keine Brieffreundschaft gegründet oder rufen uns jede Woche an, aber wir sind miteinander bekannt und ich bekomme über die Stiftung Informationen über die Tätigkeiten von Jose. Ich finde es schön, dass er sich an mich erinnert und dass er mir die Ehre zuteil kommen ließ, als Botschafter mitzuwirken.
Welche Aufgaben hast Du als Botschafter?
Es geht in erster Linie darum, den Leuten zu erzählen, dass es diese Stiftung gibt. Beispielsweise in so einem Interview zu erzählen das diese Stiftung Leukämiekranken Menschen hilft. Ich weiß nicht, ob du es weißt, aber mein Gitarrist macht auch gerade eine Chemotherapie. Er hat Leukämie. Dieser Umstand hätte jetzt nicht sein müssen, mir zu signalisieren, dass es wichtig ist, sich zu engagieren, doch es zeigt, wie dicht und wie nah das Thema ist, und dass es jeden unvorbereitet treffen kann. Ich drücke Thommy die Daumen und bin höchst motiviert, der Stiftung zu helfen.
Der Gesamterlös Deiner CD „Halleluja“ wird dieser Stiftung gespendet. Wir von "Deutsche Mugge" weisen auf unserer Webseite ja auch darauf hin. Darf man fragen, wie hoch die Einnahmen bis jetzt sind?
Leider ist die Reaktion noch nicht so groß, wie erhofft, aber man kann diese CD für 9,99 € über meine Homepage www.dirk-michaelis.de erwerben und der Ertrag wird der Stiftung gespendet. Wie viel Geld bis jetzt hereingekommen ist, weiß ich ehrlich gesagt noch nicht, aber wir werden Euch unterrichten.
Eine private Frage: Welche CD hast Du Dir als letzte gekauft?
Es gibt da gerade ein tolles Projekt, welches ich nicht aussprechen kann: „Them Crooked Vultures“. Das ist eine Superlativ-Band mit Dave Grohl von den „Foo Fighters“ und John Paul Jones von „Led Zeppelin“. Ziemlich akademisch, aber genau die richtige Musik für einsame Fahrten auf der Autobahn. Ich könnte aber auch noch „The Parlor Mob“ empfehlen, oder, als krassen Gegensatz, die neue CD von "ADORO - Für immer und dich". Warum wohl?
Gibt es eine Frage, die Du gerne beantworten möchtest, die Dir aber nie einer gestellt hat?
Was machen Sie mit Ihrem Jackpotgewinn? (lacht) Nein, mal im ernst, die Frage die ich mir selbst oft stelle, lautet: „Worin liegt der Sinn des Lebens?“ Aber vielleicht hilft mir das Buch, welches mir meine Söhne gerade zum Geburtstag (26.11.) geschenkt haben, die Biografie des Dalai Lama.
Karussell ist inzwischen wieder regelmäßig live zu sehen. Hast Du mal über eine weitere Zusammenarbeit nachgedacht?
Darüber denke ich nach, wenn es Anlass dazu gibt.
Ist nach „XV - Fünfzehn“, Deinem zuletzt erschienenden Album, eine neue Platte geplant?
Die neue Platte ist sogar fast fertig, aber durch die Erkrankung von Thommy, der das Album auch produziert und die wunderbaren Gitarren einspielt, ist die Fertigstellung erstmal in den Hintergrund getreten. Thomas muss erst einmal wieder gesund werden. Das hat höchste Priorität.
Ausarbeitung: Christian Reder
Übertragung: Steffen Huth
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Patricia Heidrich, Pressematerial + Privatarchiv Dirk Michaelis