Was macht eigentlich...
TRANSIT
Tja... keine Ahnung eigentlich. (lacht) Für mich war das eine ganz normale Entwicklung. Ein Kind beginnt doch irgendwie immer, sich für Musik zu interessieren, sie zu mögen und selbst irgendwie Musik zu machen. Im "kleinen" Alter äußert sich das, indem man zunächst versucht, etwas zu singen, später vielleicht auch ein Instrument zu spielen. Für mich war das so: Als Kind habe ich Musik sehr gemocht. Bereits bevor ich überhaupt in die Schule kam, habe ich versucht, ein bisschen Mundharmonika zu spielen. Das ist mir nach Gehör so einigermaßen gelungen. Mein Vater hat das auch gefördert. Er hat dafür gesorgt, dass ich später ein Akkordeon bekam. Er war Liebhaber dieses Instruments (lacht). Ich hab dann auch richtig Unterricht bekommen und immer selbst Musik gemacht. Dabei hab ich mich auch weiter entwickelt. Mit 14, im Teenageralter, hab ich dann zum ersten Mal eine Gitarre gehabt. Beim Start hat mir meine damalige Musiklehrerin geholfen. Sie spielte selbst Gitarre. Zwar hatte sie nicht all zu viele Kenntnisse was das Instrument betraf, aber sie konnte ein paar Griffe, die sie mir beigebracht hat. Ich hab dann allein weiter gemacht. Später, in der Schulzeit, beim Abi, hab ich die Musikschule gemacht und hatte noch eine private Musiklehrerin für Gitarre. Das war schon nicht mehr an der Küste, sondern in Eberswalde, wo ich im Kranbau Beruf mit Abitur gemacht und Stahlbauschlosser gelernt habe. Da, im Internat, hab ich dann auch in einer kleinen Band gespielt. Unser Internatsleiter ist auch wichtig dabei. Er war Musikliebhaber und hat immer versucht, aus den Schülern eine Band zusammen zu stellen. Und so hat unsere Band als Trio begonnen. Später kamen neue dazu. So kam es, dass ich Musik etwas intensiver betrieben habe. Als ich mit dem Abitur fertig war, hatte ich einige professionelle Kontakte in die Musik, was mich letztlich dazu brachte, Musik als Beruf zu ergreifen.
Um professionell Musik machen zu können, brauchte man doch eigentlich eine Musikausbildung. Haben Sie nach Beruf und Abi Musik studiert?
Professionell konnte man in der DDR nur mit dem Berufsausweis Musik machen. Da ich schon halbprofessionell Musik machte, ging ich zur Musikschule (lacht - Erinnerungen?) nach Berlin um den Schein zu erwerben. Ich hab mich an der Musikschule in Friedrichshain in der Spezialklasse für Tanzmusik beworben. Die Schule wurde sozusagen für Musiker, die bereits aktiv waren, geschaffen. Die bekamen dort parallel zu ihren Auftritten nachträglich eine Ausbildung mit einem Abschluss. An der Schule waren viele bekannte Musiker der damaligen Zeit. Einer der bekanntesten war wohl Klaus Lenz, in dessen Band ich dann auch spielte. Ich kann mich auch noch an Schikora, Fritzsch, die Brüder Baptist und einige andere Leute erinnern. Irgendwie sind scheinbar fast alle, die dann Rang und Namen in der Tanzmusik hatten, durch diese Spezialklasse gegangen (lacht). Später bin ich dann aber noch an der Musikhochschule gewesen und habe bei Alfons Wonneberg einen Arrangementkurs belegt. In Friedrichshain hatte ich nicht nur die Instrumentalistenausbildung sondern auch den Kapellenleiter gemacht. Sicher hätte man auch ohne den Schein eine Kapelle leiten können, aber damals brauchte man den eigentlich. Also hab ich das gemacht und es hat auch nicht geschadet. Ich war damals wie heute immer interessiert, Dinge, die ich beginne, so professionell wie möglich zu machen, und soweit möglich ordentlich abzuschließen. Dinge, die mir dabei hilfreich schienen, habe ich auch wahr genommen. So eben auch den Kapellenleiter. Zumal die Möglichkeit, sich zu qualifizieren, aus damaliger Sicht sehr günstig waren. Heute sehe ich das zwar ein bisschen anders, aber damals war es fast nicht anders möglich, anerkannte Abschlüsse zu bekommen, da selbst die Musik staatlich geregelt war. Heute braucht man, wenn man Talent hat und besessen davon ist, sich nur auf die Bühne zu stellen und Musik zu machen, keinen Schein oder ähnliches. Entscheidend ist, dass das was man macht genügend Liebhaber findet. Die Kenntnis von Noten, Musiktheorie und -geschichte ist da Nebensache. Obwohl vielleicht die Verbindung von Talent, Besessenheit und empirischer Bildung die beste Grundlage für längerfristige Erfolge in dem Geschäft wäre. Die Ausbildung hat mir jedenfalls nicht geschadet und ich bin so zur Berufsmusik gekommen.
Als Sie anfingen, gab es da musikalische Vorbilder?
Nein, so richtig nicht. Ich war von 1961 bis 1964 in der Internatsband gewesen. Das war die Zeit, als die Beatles bekannt wurden, später auch die Stones und andere Bands. Davor gab es den Rock'n Roll und natürlich habe ich als Schüler mit vielleicht so 12 Jahren auch viel Schlager gehört. Deutsche Lieder von Ted Herold, Peter Kraus und anderen Idolen der damaligen Zeit haben mich ebenso angesprochen, wie die amerikanischen Sachen von Chuck Berry bis Elvis und was da so dazu gehörte. Aber dass ich mich da auf jemanden absolut festgelegt hätte, der mein großes Vorbild war, der mich besonders beeinflusst hätte, das kann man nicht sagen. Ich war eigentlich immer vielseitig interessiert und hab mich von vielem beeinflussen lassen. Ich könnte nicht sagen, dass es irgend jemanden gäbe, von dem ich sagen würde - der ist es! Dazu gab es viel zu viel gute Leute, oder vielleicht besser gesagt, viel zu viele, die mir gut gefielen. Und die haben gewissermaßen alle Einfluss auf das, was ich dann gemacht habe und vor allem auch wie.
Dass Sie bei Klaus Lenz spielten, war mir neu. Lenz gilt als einer der großen Lehrmeister der frühen Beatmusik. Heute würde man wohl Rock- oder Popmusiker sagen. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Zeit bei Klaus Lenz?
Klaus Lenz war mein (im Gespräch entsteht eine kleine unglaublich emotionale Gesprächspause, während der Egon Linde hör- und spürbar um die richtigen Worte ringt, um sein besonderes Verhältnis zu Klaus Lenz präzise darzustellen. Lenz als Person und die als Zeit, das ist in diesem Moment für ihn vermutlich Emotion pur. - Anm. d. Verf.), und ich möchte von Klaus Lenz sprechen, als jemandem, der nicht nur für mich, sondern für viele Musiker ein ganz besonderer Förderer, Lehrer und Wegbereiter war. Wie soll ich das beschreiben? Er hat mir viel beigebracht. Er war ein Musikbesessener, der viele Sachen durchsetzte, auf viele Kleinigkeiten achtete, so dass man gezwungen wurde, sein hohes Niveau zu halten. Wer bei Lenz spielen wollte, musste zunächst ein wenig können, aber musste sich vor allem entwickeln wollen. Wer dann in der Lage war, die hohen Anforderungen, die Lenz an sich und seine Musik stellte, ständig zu erfüllen, konnte viel lernen. Das war eine harte aber sehr effektive Lehre, die auf ihre Art viel besser war als jede Musikschule oder sonst was. Mir hat es für meine späteren eigenen Dinge und überhaupt sehr, sehr geholfen. Dabei war ein enormer Leistungsdruck auszuhalten. Lenz hat mich absolut geformt mit dem, was er von uns verlangte und dem was ich in der Zeit lernen konnte.
Ihre Klaus-Lenz-Zeit muss weit vor Transit liegen. Welche weiteren Stationen gab es für Egon Linde, bevor Transit gegründet wurde?
Lenz war gewissermaßen bereits meine zweite Station als Berufsmusiker. Er hatte mich von der Evgenie Kantschev Combo als Nachfolger Werner Düwelts geholt, der zum Horst Krüger Sextett gewechselt war. Mein Nachfolger bei Kantschev wurde übrigens auch ein Friedrichshainer: Dieter Birr bevor er zu den Puhdys ging (lacht). Von Lenz bin ich zu Jürgen Heider* (weitere Infos am Ende der Seite) abgeworben worden. Gerade dort kam mir das bei Lenz gelernte sehr zu Gute. Heider kam aus Magdeburg. Seine Band war eine der erfolgreichsten Amateurbands der frühen 60er Jahre in der DDR. Neben einer Rostocker Band, den Evergreens, gewannen sie regelmäßig Preise bei den alljährlichen Amateurwettbewerben. Wenn ich mich richtig erinnere, war Heider wohl auch an der Musikschule Friedrichshain, wurde aber nach mir dort fertig. Seine Band war jedenfalls, als ich zu ihm kam, recht professionell und ich konnte dort als Gitarrist und Sänger all das umsetzen, was ich bei Lenz gelernt hatte. Bei Lenz war ich ja irgendwie der Schüler und war deshalb vielleicht zu wenig selbstbewusst. Bei vielem, was ich bei Lenz machte, hab ich immer geschaut, was sagt der Meister dazu. Mach ich es ordentlich oder nicht? (lacht) Mit dem Wechsel war ich von dem mir oft selbst gesetzten Druck frei. In der Heiderformation konnte ich mich voll entfalten und hab das genutzt. Wir haben frisch und fröhlich aufgespielt und uns auf der Bühne gewissermaßen ausgelebt. Bei Lenz haben wir uns doch etwas mehr nach dem Meister gerichtet (lacht). Ihm sollte es gefallen, er hat uns beurteilt. Wie ich mich dabei fühlte, war nicht ganz so wichtig (lacht). Leider hatten wir einen ganz schweren Autounfall auf dem Weg zu einer Mugge in Leipzig. Bei Köckern auf der Autobahn sind wir beim Überholen eines LKW frontal mit einem Trabi zusammengestoßen. An den Folgen verstarb Heider. Der Rest der Band war teilweise schwer verletzt. Da stand die Frage, wie es weiter gehen würde. Es bestanden ja noch Verträge. Als die Verletzungen auskuriert waren, was bei mir recht schnell der Fall war, haben wir beschlossen, uns nicht aufzulösen und in alle Winde zu zerstreuen, sondern unter neuem Namen weiter zu machen. Und wir wollten den Stil der Band stärker an dem der damals angesagten Bands wie Chicago oder Blood, Sweat and Tears ausrichten. Wir hatten ja einen kleinen Bläsersatz, brauchten dazu aber noch eine Posaune und nach Heiders Tod auch einen Pianisten. Diese Band nannte sich, wenn ich mich recht entsinne, auch schon Transit. Wir hatten uns den Namen gewissermaßen von Chicago, die mit vollem Namen eigentlich Chicago Transit Authority hießen, geklaut, weil wir ja Musik wie sie machen wollten und Chicago wohl nicht gegangen wäre (lacht). Jedenfalls hab ich dann ewig Titel von Chicago und Blood, Sweat and Tears von Bandaufnahmen abgeschrieben. Das war eine tolle Übung. Ich musste hören, die Noten aufschreiben, die Arrangements umsetzen. Unser Pianist wurde Mario Peters, der später zu Klaus Lenz ging. Sein Nachfolger ging zu Alfons Wonneberg, der mittlerweile Professor an der Musikhochschule "Hanns Eisler" und Bandleader war. Mit dem Pianisten übernahm er auch einige meiner Arrangements. Es hat mich sogar ein bisschen stolz gemacht, dass er die gespielt hat. Er hat gesagt: "Da hat Linde ganz gut abgeschrieben", (lacht) und sie halt übernommen. Das war das Ende der ersten Transitformation und der Bläserphase, zumal Horst Krüger am Schlagzeuger, am Saxophonisten und an mir interessiert war.
Aber sie gingen nicht zur Horst Krüger Band, sondern haben Transit in der Form, wie die Band bekannt ist, weiter geführt. Warum sind sie nicht gewechselt?
Ich war kein Reisekader und hätte mit der Krüger Band nirgendwohin reisen dürfen. Mich hatte jemand bei der Stasi angezeigt. Ich hab bis heute keine Ahnung, wer mich da warum angeschwärzt hat. Danach gesucht hab ich auch nicht intensiv. Wer es auch immer war, ich hab demjenigen längst verziehen und es interessiert mich auch nicht im geringsten, auf jemanden mit dem Finger zu zeigen. Ich denke, ich habe, wie viele andere auch, Schwein gehabt, dass wir nicht in Versuchung oder die Not kamen, sich mit dem System arrangieren zu müssen. Es gab da ja auch solche und solche. Die überzeugten Informanten und die, die zu einer Zusammenarbeit gezwungen wurden, weil man sie vermeintlich in der Hand hatte und mit Strafe oder gar Knast drohte. Für jeden der da umhin kam, war es irgendwie einfach nur Glück. Man konnte eben auch völlig haltloser Dinge bezichtigt werden und größte Probleme bekommen. Jedenfalls lautete der Vorwurf gegen mich, ich würde unsere geplanten Auslandsgastspiele nutzen um die Republik verlassen zu wollen. Diese Behauptung stimmte ganz und gar nicht. Warum hätte ich auch rüber gehen sollen? Für mich war klar, hier ist meine Heimat und international hat man vor allem wegen der für den Westen exotischen Herkunft aus der DDR eine Chance. DDR-Rock aus der DDR war authentisch. DDR-Rock im Westen gemacht - das ging nicht, da fehlte das Umfeld. Das musste künstlich wirken. Das haben viele, die in den Westen gegangen sind oder gehen mussten, erleben müssen. Zurück zu der Anzeige. Sie hat mich über Jahre derart gebrandmarkt, dass ich lediglich noch nach Polen und in die CSSR durfte. Selbst in der DDR durfte ich nicht überall hin. Die Anzeige muss noch aus der Heiderzeit stammen, denn mit Jürgen Heider hatten wir Angebote aus Schweden, Bulgarien und weiteren Ländern. Gleich nach seinem Tod sollten wir in Bulgarien spielen. Alle bekamen ihr Visum, nur ich nicht. Es stellte sich heraus, dass es diese Anzeige gab. Erst zum Ende der DDR bot sich uns die Chance, im Westen aufzutreten. Wir sollten in der Region Heidelberg Konzerte geben. Zuvor war eine Konzerttour an die Trasse, sozusagen als Bewährung, geplant. Ich hatte Horror vor dieser Tour, die dann auch ausfiel, weil unser Keyboarder krank wurde. Allerdings kamen wir so auch um die Muggen in Heidelberg.
Lassen Sie uns zu Transit zurück kehren. Wie ging die Entwicklung nach dem Ende der Bläserphase weiter?
Nach Chicago wurde Santana für mich interessant. Daher verstärkte ich die verbliebene Band mit Percussion und wir machten so etwas wie Latin Rock. Das hat viel Spaß gemacht und war eine tolle Zeit. Aber auch die ging vorbei und es folgte für mich eine kurze Episode als Aushilfe bei der College Formation mit Toni Krahl, während der Transit ruhte. Zu der Zeit reifte der Entschluss, etwas eigenes, deutschsprachiges zu versuchen. Aus dieser Idee entwickelte sich dann Transit in der Form, wie wir bekannt wurden. Wir begannen, eigene Titel zu schreiben und haben nach und nach die nachgespielten Titel von Santana, Pink Floyd und was wir noch an internationalen Titeln spielten, aus unserem Programm zu nehmen. In gewisser Weise ist das deutschsprachige Programm 1975 fast wie eine Neugründung der Gruppe gewesen.
Welchen Einfluss hatte die Musik Udo Lindenbergs auf die Gruppe Transit in dieser Zeit?
Unsere Bekanntheit stieg fast über Nacht, als wir den Titel "Ich fahr an die Küste" produzieren durften. Viele sagen uns ja nach, wir hätten es darauf angelegt, Lindenberg zu kopieren. Die Geschichte um diesen Titel und was er gewissermaßen aus Transit machte, ist schon kurios. Was kaum jemand weiß ist, dass wir neben diesem Titel fünf weitere eingereicht hatten, die nicht nach Lindenberg klangen. Die wurden allesamt nicht angenommen. Der Rundfunk sagte uns klipp und klar, wir wollen Titel in der Lindenbergmasche, Lieder, die nach Lindenberg klingen. Mehr in der Art zu machen war nicht unsere Idee, sondern der Rundfunk der DDR hat uns quasi auf den "Lindenberg" geschickt (lacht). Später tat das den gleichen Leuten Leid, als Lindenberg mit dem Sonderzug und anderem im Osten von oben verordnet in Verruf kam. Aber da hatten wir unser Image und einige Titel klangen eben mehr oder weniger lindenbergmäßig. Und Lindenbergs Art kam mir ja entgegen. Ich hatte mich mit ihm und seiner Musik intensiv beschäftigt. Seine Art zu texten fand ich genial. Dazu die Musik. Das war einfach homogen. Etwas authentisches, dem nachzueifern sich lohnte, weil es die beste Form war, gute deutschsprachige Rockmusik zu machen, wie ich fand. Abzustreiten dass das auf mich Einfluss hatte, wäre wohl Quatsch.
Ich habe in der frühen Zeit ein Konzert von Transit gesehen und glaube mich zu erinnern, dass da ein ganzer Lindenberg-Block dabei war.
Das stimmt. Wir haben irgendwann mehrere Titel von Lindenberg im Programm gehabt. Das war zu der Zeit voll in und wir haben das so gut wie möglich für uns ausgenutzt. Auch die Kulturbehörden hatten nichts gegen diese Titel, bis alles anders kam. Es begann nach dem Muster "Was nicht verboten ist, ist erlaubt", dann wurden die Titel wissentlich geduldet, vielleicht auch als Ventil oder eben doch als Ersatz (lacht). Dass das alles überhaupt so kam, war aber auch ein wenig Zufall. Die Ähnlichkeiten in der Stimmfärbung, der norddeutsche Akzent, der Umstand, dass wir beide aus dem Norden kommen - das waren markante Dinge, die in Verbindung mit deutschsprachiger Musik zu Titeln führten, die ein paar Parallelen haben. Und die Lindenbergtitel waren ja eine sagenhafte Werbung für uns. Ich habe Lindenberg nicht imitiert. Weder die Art zu nuscheln noch sich auf der Bühne als Udo Lindenberg zu geben habe ich je versucht, bewusst nach zu machen. Das hätte vermutlich auch nicht funktioniert. Aber auch wenn ich noch so sehr Egon Linde sein wollte und war, die Parallelen waren eben da und die Leute wollten zum Teil in mir Lindenberg erkennen und hören, gleich was ich machte. Ich konnte es nicht verhindern. Dass Lindenberg und Linde nun auch noch fünf gleiche Buchstaben haben, tat ein Übriges. Wobei Linde mein wirklicher Name ist, also kein werbewirksamer Künstlername. Später wurde das zu einem Problem. Da ich mich ja nie verstellt hatte, klang ich auch noch nach Lindenberg, als das man mir nahelegte, besser nicht mehr so zu klingen. Zum Beispiel wurde uns bei offiziellen FDJ-Veranstaltungen schon mal mitgeteilt: "Aber spielt ja keine Lindenbergtitel!" Einige unverfängliche Lindenbergtitel wie "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" und ähnliches waren zwar zugelassen, aber seine eigenen Titel gerieten auf den Index. So ein Transitkonzert mit ohne Lindenbergtiteln, also mit Lindenberg international und Oldies, ohne seine aktuellen eigenen Titel, wurde mal live in Hagenow vom Fernsehen mitgeschnitten. Leider habe ich den Film nie zu sehen bekommen. Aber ich denke, er schlummert noch in den Fernseharchiven. Für uns war eine Stunde Fernsehaufzeichnung schon etwas besonderes. Den Film hätte ich gern als Erinnerung. Leider lebt unser damaliger Manager nicht mehr. Möglicherweise hätte er helfen können. Nach der Wende war mir das nicht wichtig, da war ich total von der Musik entfernt und so redeten wir nicht über das Thema.
Was entgegnen Sie denen, die dennoch Egon Linde mit Udo Lindenberg vergleichen und sie gar zum Lindenberg des Ostens machen?
Zunächst einmal, dass es die beschriebenen Ähnlichkeiten gibt, es sich aber eigentlich verbietet, Lindenberg und Transit miteinander zu vergleichen. Ich bin ohnehin der Meinung, man sollte gar keine kleinlichen Vergleiche Ostmusik/Westmusik anstellen und darüber irgendwelche Wertungen abgeben. Vieles was im Osten gemacht wurde war einfach toll und brauchte sich nirgendwo zu verstecken. Auch an anderen Stellen gibt es Parallelen und trotzdem stellen die zu vergleichenden Dinge etwas Eigenständiges dar. So kam Siggi Scholz damals, als gerade Stern Meißens "Kampf um den Südpol" aufgenommen worden war und erzählte: "Heute haben wir einen richtig guten Titel aufgenommen, 'Papa was a rolling stone'!" (lacht). Beide haben ja ein ähnliches Bassschema. Aber alle im Studio waren sich später einig: Der Südpol ist ein ganz tolles eigenes Stück, ein Meisterwerk, geworden. Zudem gibt es ja viel, viel mehr tolle Titel, ohne solche Parallelen, die ich richtig gut finde. Karat gefiel mir eigentlich immer ganz gut. "Der blaue Planet" oder "Albatros", so etwas sind doch Titel, die sich mit dem was drüben lief, immer messen konnten. Das war gute Musik mit ansprechenden Texten. Es war zwar nicht Lindenberg, aber dennoch in ihrer Art sehr ansprechend. Oder "Als ich fortging" von Karussell, das mir anfangs nicht einmal auffiel. Ich hab dieses Lied erst entdeckt, als es auf einem AMIGA Sampler mit einem Transittitel zu finden war. Das ist ein so schöner Titel... Kurzum: Wir haben schon tolle Musik in der DDR gemacht. Die musste sich nicht verstecken. Die verschiedenen Gruppen und die verschiedenen Stilrichtungen... Erstaunlich wie vielfältig die Szene war. Und wie gesagt: Das Ganze ist ohnehin nur schwer vergleichbar, da die Bedingungen unter denen die Musik entstand, so grundlegend unterschiedlich waren.
Würden Sie heute Ihre Lieder noch einmal so machen, wie man sie hören kann?
Zu der Zeit, als wir damals bei Transit unsere Lieder produziert haben, was ja fast immer eine Gemeinschaftsarbeit zwischen Siggi Scholz und mir war, war ich sehr oft nicht zufrieden mit den Titeln. Ich hätte gern hier noch etwas verändert, da noch etwas anders gemacht und so weiter. Irgendwie erschienen mir die Titel oft als noch nicht fertig, wenn sie eingespielt wurden. Nach der Wende habe ich dann ziemlich rigoros mit der Musik gebrochen und mich anderen Themen und Aufgaben ganz und gar gestellt, und so kaum noch alte Sachen gehört. Transit kam ja im Rundfunk fast gar nicht mehr vor. Jahre später hab ich dann eher zufällig eine alte Transitkasette bei einer Autobahnfahrt eingelegt und war so etwas von berührt von dem was da zu hören war, dass mir die Tränen kamen. Das ist ordentlich gemachte Musik, die ihren Platz hat und Vergleichen Stand hält. Da hab ich mich gewissermaßen, ohne je zerstritten gewesen zu sein, mit meiner Musik versöhnt, und die Titel als passable Ergebnisse akzeptiert. Nicht perfekt aber ok. Für unsere Musik müssen wir uns nicht schämen. Sie wurde so, wie sie ist, gemacht und das ist in Ordnung. Nun bin ich weit entfernt davon, nachträglichen Ruhm oder so zu erwarten. Ich bin mit diesem Abschnitt meines Lebens und seinen Resultaten im Reinen. Mir ist das, was Olaf Leitner in seinem Rocklexikon zu Transit schreibt, gerade wegen der nicht endenden Lindenbergvergleiche wichtig gewesen. Es hat mich in dem, was wir damals gemacht haben, für mich selbst bestätigt, mir etwas Selbstsicherheit im Umgang mit diesem Thema gegeben und mich irgendwie auch zufrieden gemacht. Er kam recht unvoreingenommen von außen, hat das gehört und hat das eben doch bewertet.
Eine Person, über die man im Zusammenhang mit Transit und Egon Linde reden muss, ist Siegfried Scholz, der Name fiel ja schon mehrfach. Sie haben sehr lange mit ihm Musik gemacht. Wann trafen Sie mit ihm zusammen?
Ich habe kurz nach dem Abi in einer dieser damals angesagten Gitarrenbands gespielt. Eine Band mit der typischen Besetzung: Rhythmusgitarre, Melodiegitarre, Bass, Gesang und Schlagzeug. In Riebnitz-Dammgarten, wo Siggi her kommt, haben wir uns bei einem Konzert im Sportpalast kennen gelernt. Wir haben da gespielt und Siggi kam danach auf mich zu und sagte, dass er sich das angehört habe und es ihm gefallen habe. Ich kannte ihn nicht persönlich, wusste aber, dass er zu einer der damals in unserer Ecke der Küste - ich bin in Zingst aufgewachsen - bekannten Bands, den Tempis, gehörte. Siggi spielte Klavier. Einer seiner Brüder Gitarre. Die Tempis waren damals, als ich 14 bis 16 war, die angesagteste Band in unserer Region. Ein wenig haben wir uns aus den Augen verloren, als ich nach Eberswalde ging und die Berliner Szene viel näher lag und interessanter wurde. Zumal es da ja viel mehr an Musik gab, was mich interessierte. Siggi hat einen ganz anderen Weg genommen. Er ist ja viele Jahre kein Berufsmusiker in dem Sinne gewesen, sondern hat Tontechnik studiert und war für den Rundfunk tätig. Er hat viele Musiker und Bands als Tonmeister produziert. Mir fallen so aus dem Stehgreif Rundfunkaufnahmen für Jürgen Kerth, Karussell und Stern Meißen ein. Viele seiner Produktionen hat es später auf den Amiga-Platten der Bands gegeben. Es war nicht unüblich, dass Amiga für LP's Rundfunkaufnahmen übernahm. Auch die Transit-LP ist so entstanden. Jedenfalls habe ich ihn von da weggeholt (lacht). Musik haben wir zusammen aber eben erst viel später gemacht. Das war 1975 meine ich. Jedenfalls habe ich mit Siggi begonnen, die ersten deutschsprachigen Transittitel zu schreiben. Aber es stimmt, wir haben dann recht lange gemeinsam gespielt. Bis zu meinem letzten Auftritt. Mit Siggi bin ich noch heute befreundet. Er macht auch heute noch gelegentlich Musik, auch wenn er mittlerweile Rentner ist. Im Gegensatz zu mir hat er nie mit der Musik aufgehört.
Gibt es einen Titel aus der Transitgeschichte, den sie besonders hervorheben würden?
Nein. Eigentlich eher nicht. Da hat für mich jeder seine Bedeutung, seine Stärken und Schwächen. Was ich so registriere ist, dass "Ein Mädchen wie du für mich warst" recht bekannt und beliebt geblieben ist. Vielleicht auch die Titel zum Thema Küste und See. Und einige mögen eben die Lieder, in denen wir uns mit Sagenthemen beschäftigt haben, besonders. Aber einen Titel würde ich nicht gesondert hervorheben wollen.
Wie kamen Sie eigentlich darauf, relativ häufig Geschichts- und Sagenthemen in ihren Liedern aufzugreifen und zu besingen?
Zu jedem unserer Titel gibt es eine Geschichte. Die sind mir auch irgendwie alle gegenwärtig. Was die Sagenthemen betrifft ist es so, dass Rockmusik doch etwas Rebellisches hat. So war das auch in der DDR. Nur durfte es das von Staats wegen nicht geben. Da durfte es nichts geben, gegen das rebelliert wurde. Also gab es auch nichts. Alles war in Ordnung... Wenn dann die Texte im Lektorat eingereicht wurden, und da war etwas zu hören, was eingebildet oder wirklich missverstanden werden konnte, was nicht im Sinne der DDR Politik war, dann wurde auch ohne Rückfrage und Begründung gestrichen. Zumindest musste man um entsprechende Passagen hart kämpfen. Anfangs waren die Künstler zu den Lektoratssitzungen ja noch zugelassen, später dann nicht mehr. Unser früher Titel "Sturmflut" zum Beispiel. Da sind wir wirklich fast an der Zeile "Ein Sturm kommt auf. Auf Nord - West dreht der Wind" gescheitert. Das Wort "West" wurde uns als verfänglich angekreidet. Da halfen alle Fakten nichts, denn es ist nun mal so, dass diese Windrichtung real die größte Gefahr einer Sturmflut in sich birgt. Und dann auch noch Nord - West. Das war ja nicht einmal klar. Das hätte ja eine versteckte Anspielung auf irgendwas sein können. Heute kann man drüber lachen. Damals war es ein echt nervender Kampf. Besonders hart war er, wenn es um aktuelle Themen ging. So besannen wir uns auf andere Themen, die aktuelles transportieren konnten, die uns zudem interessierten und die wir kannten. So kamen wir auf die Sagen und die Küste. Siggi und ich kamen von der Küste und die Themen interessierten uns ebenso, wie Sagen, Geschichten und Mythen ja viele Menschen faszinieren. So lagen die lokalen Geschichten von der Küste irgendwie nahe. Wir kannten sie von klein auf und betraten mit der Thematik ein Gebiet, das wenig bedient wurde. So kamen Balladen wie das Hildebrandslied oder die Bernsteinhexe zu Stande. Zudem konnte man mit dem Verweis auf alte Sagen oder Fakten auch viel Aktualität transportieren, ohne offensichtlich angreifbar zu werden. Wer einen Zeitbezug suchte, hat ihn gefunden oder nicht. Wobei wir, wenn man ehrlich ist, mit unseren Texten keine Revolution machen wollten und einzelne Deutungen nie beabsichtigt waren. Die Bernsteinhexe zum Beispiel sollte keineswegs eine Anspielung auf die heutige Zeit sein, auch wenn sinnbildlich Hexenverbrennungen gerade zu DDR Zeiten immer stattgefunden haben und es sie selbst heute gibt. Natürlich ist die Anklage des sinnlosen Kampfes zwischen Vater und Sohn im Hildebrandslied zeitlos. Wenn man wollte, hat man darin eine Anklage des Wettrüstens zwischen Ost und West sehen können. Zumindest wäre die mit der Thematik vermittelbar gewesen. Wir haben eben nicht über SS 20 und Pershing geschrieben, sondern diese uralte Geschichte dazu benutzt. Damit gingen wir meist dem ganzen Lektoratsquatsch aus dem Weg. Und wir haben dennoch interessante, zeitlose Geschichten erzählt, die auch in 100 Jahren als Geschichten erzählt werden können und interessant bleiben. Titel mit strengem Gegenwartsbezug schaffen so etwas eher selten. Unsere Sagentitel sind also in einer Mischung aus Liebhaberei und Pragmatismus gegenüber dem Lektorat entstanden.
Damit ist fast eine weitere Frage beantwortet. Die Texte gerade zu den Sagenstoffen stammen also aus der Feder von Siegfried Scholz und Ihnen.
Der Wahrheit willen muss man sagen, Siggi war der Texter. Ich war sozusagen Siggis Lektorat. (lacht) Und ich hab auch gemäkelt. Mach mal hier, sag das mal so, lass uns das mal so formulieren… Es ist ja auch so, dass es immer Leute gibt, die kreativ sind, Gedanken und Ideen haben, aber Probleme, diese auf den Punkt zu formulieren. Siggi sprudelte vor Ideen und ich hab die ein wenig gelenkt und gelegentlich geordnet. Ich habe sozusagen an seinen Sachen nur beratend mitgewirkt. Musikalisch war es so, dass ich eingriff, wenn mir musikalisch etwas besser erschien, oder ich komponierte von vorn herein die Musik zu Siggis Texten. Ich habe Siegfrieds kreativem Geist viel zu verdanken. Ohne ihn hätte es Transit in der Form nicht gegeben. Ich hab das Manko, gelegentlich an meiner Grundidee zu scheitern, sie zu zergrübeln anstatt sie zu entwickeln, zu verbessern und zu verfolgen. Siggi war da anders. Er schrieb seine Idee eben einfach auf. Egal wie gut oder schlecht. So konnte man drüber reden und sie entwickeln.
Ich hab gelesen, dass sie mit Siegfried Scholz als Duo aufgetreten sind. Stimmt das so?
Ja. Siggi und ich, wir hatten uns zusammengesetzt, um über Neues nachzudenken. Dazu kam, dass wir gerade ein Bassproblem hatten. Auch die ganzen Umstände drum herum spielten eine Rolle. Jedenfalls beschlossen wir, uns von der Band und den damit verbundenen Aufgaben und Mühen zu entlasten. Das Ergebnis war eine Zeit als Duo. So ganz toll lief das auch nicht, so dass wir uns irgendwann musikalisch trennten. Ich hab dann mit einem anderen Keyborder einen Neuanfang versucht und als auch das nicht so lief wie ich mir das vorstellte, hab ich kurz vor der Wende sämtliche Auftritte abgesagt und mich einer neuen Idee zugewandt. Ich hatte mir mit Peter Hacks Hilfe ein kleines Studio aufgebaut. Computer, Mischpult, und was man so brauchte. Damit hab ich dann für verschiedene Leute Playbackbänder, Demos und ähnliches produziert. Dann kam die Wende und wir standen ohne Arbeit da. Keiner wollte mehr einen DDR Künstler im Osten beschäftigen (lacht). Selbst Artisten hatten keine Arbeit. So mussten wir uns wieder nach etwas Neuem umsehen.
Das Neue waren dann Ihre Theaterproduktionen?
Mir kam der Zufall zu Hilfe. Ein Bekannter, Wolf Butter, ein klassisch ausgebildeter Musiker, hatte das Angebot für eine Aufführung am Volkstheater in Rostock die Kleine Meerjungfrau zu vertonen. Er suchte ein geeignetes Studio für Musik- und Textaufnahmen, die im Stück, das in einer Schwimmhalle in Rostock als Weihnachtsspektakel aufgeführt wurde, eingebaut werden sollten. Er bot mir das an und so produzierte ich mein erstes Theaterstück. Ich hatte Schwierigkeiten mir vorzustellen, wie man die Aufführung synchron zu den Aufnahmen bekommen wollte, aber das hat das Ensemble wirklich toll gelöst. Es waren vorwiegend Tänzer, die mit Masken vor den Gesichtern auftraten. Playback fürs Theater sozusagen. (lacht)
Es folgten weitere Theaterstücke wenn ich recht informiert bin.
Stimmt. Nachdem die Kleine Meerjungfrau durchaus ein Erfolg war, bekam mein Bekannter den Auftrag, in Cottbus die Musik zum Stück "Mein Kampf" zu schreiben. Auch hier konnte ich einige Studioaufnahmen beisteuern. Und schließlich haben wir in Brandenburg ein Kinderballett produziert, bevor der Regisseur der Kleinen Meerjungfrau in Magdeburg das Stück "Die Elbe" im Magdeburger Binnenhafen aufführte. Das war ein gigantisches Spektakel, für das ich die Musik produzieren durfte. Ohne meinen Freund Butter hatte ich dann noch den Auftrag, Urbänder für ein Playback zu vier Arien eines Bachsohns zu produzieren. Das war recht anspruchsvoll und hat viel Spaß gemacht. Leider reichte das alles nicht, um halbwegs ordentlich davon leben zu können. Dafür waren es einfach zu wenig Aufträge. So hab ich mich dann noch einmal umorientiert und dabei der Musik ganz den Rücken gekehrt. Mein Feuer war irgendwie erloschen, ich hatte mich in den Jahren etwas ausgebrannt und wollte etwas ganz neues machen. Vielleicht lag es auch daran, dass ich während der Bandjahre immer der treibende Keil war, alle mitziehen, anspornen, antreiben musste. War ja nicht weiter schlimm, aber irgendwann reichte die Kraft dazu nicht mehr. Heute würde man das vielleicht Burn-out-Syndrom nennen. Jedenfalls hatte ich da dann überhaupt keine Lust mehr auf Bühne. Zunächst nicht mehr, darauf zu stehen, dann nicht mehr, dafür zu arbeiten.
Ich möchte noch einmal auf ein spezielles Thema in der Geschichte der Gruppe Transit eingehen: Die Störtebeker Suite. Sie war doch eigentlich wohl für eine größere Aufführung konzipiert?
Die Störtebeker Suite ist 1982 vom Rundfunk aufgezeichnet worden und 1997 als CD beim Label Barbarossa erschienen. Eine öffentliche Aufführung der gesamten Suite hat es wirklich nicht gegeben. Das hat sich nicht ergeben, da der geeignete Rahmen irgendwie fehlte. Für unser Konzertpublikum wäre die 45-minütige Suite vermutlich nicht ganz passend gewesen. Wir haben das aber nie ernsthaft versucht, muss ich gestehen. Sie wurde einmal als ganzes im Rundfunk gesendet. In einer dieser Mitschnittsendungen, ich glaube bei DT 64. Live gab es nur Ausschnitte. Wir hätten uns schon vorstellen können, das Stück auf eine LP zu bringen. Aber leider...
Mich erinnert der Titel "Störtebeker Suite" an die Störtebeker Festspiele Ralswiek. Gab es da mal Kontakte?
Nein. Aber ich war vor ein paar Jahren mal mit dem Boot dort und hab mir auch die Aufführung angesehen. Da hatte ich schon den Gedanken, deine Musik würde hier sehr gut hin passen. Was Lippi da sang, das waren Kunstballaden, die nicht so recht zum Spektakel passen wollten. Er profitiert sicher von seiner Bekanntheit, aber das machte die Balladen und seinen Auftritt nicht passender. Ohne irgendwelche Ambitionen zu haben oder anmaßend wirken zu wollen, hab ich das Empfinden, richtig eingesetzt würde das ein oder andere Stück aus unserer Störtebeker Suite sich in Ralswiek ganz gut machen. Schließlich handelt das Stück ja von der wirklichen Geschichte und würde sich damit vermutlich selbst tragen. Das was zu hören war hätte für meinen Geschmack einen anderen Typ Sänger gebraucht. So wie man mich vermutlich immer mit Udo Lindenberg vergleichen wird, so wird man Lippi vordergründig mit "Erna kommt" und weniger mit großen Balladen identifizieren. Oder es wäre etwas volkstümlicheres von Lippi gesungen worden. Etwas, das keiner großen Gesangskunst bedurft, sich aber gut in das Spektakel eingepasst hätte. Eingängige Stücke, die ins Ohr gehen mit einem Bezug zum Thema. Einige Stücke der Suite hätten aus meiner Sicht durchaus gut gepasst. Stellenweise hätte ich sie geschickter und passender empfunden.
Was würden Sie tun, wenn Ralswiek an Sie heranträte? Würden Sie sich für eine Saison wieder auf die Bühne stellen? Oder anders gefragt: Gibt es eine Chance, Egon Linde noch einmal live zu erleben?
Ralswiek würde ich nicht machen. Wenn ich für eine Saison jeden Abend die gleichen Titel möglichst gleich machen sollte... das würde mich total langweilen oder gar anöden. Nein, das wäre überhaupt nichts für mich. Ich bewundere die Leute mit dieser Ausdauer. Ich kann mich an meine Tanzmusikzeit noch gut erinnern, als ich so Bühnen- und Tourneeprogramme von der KGD begleitet habe. Da bin ich auf der Bühne regelmäßig fast gestorben. Nach ein paar Tagen konntest Du jeden Dialog mitsprechen, immer die gleichen Abläufe und Titel. Das war ganz und gar nichts für mich. Ich liebe es, wenn auf der Bühne jeden Abend etwas Neues passiert. Man muss schon die Möglichkeit haben, auch mal aus dem Schema auszubrechen. Bei so einer Sache wie Ralswiek kann man das nicht. Schon von daher wäre eine ganze Saison nichts für mich.
Und wie wäre ein einmaliger Auftritt?
Das schon eher. Aber damit das gut wird, muss alles penibel vorbereitet sein. Wir hatten ja auch Angebote, als Transit noch einmal live zu spielen. Was da an Vorbereitung dazu gehört, das schüttelt man nicht einfach aus dem Ärmel. Das braucht gehörig Energie und Zeit. Für eine große Geschichte reicht meine derzeitige Besessenheit nicht aus. Wenn es so einfach wäre, einfach auf die Bühne und los, würde ich das heute vielleicht ab und an sogar machen. Aber da ich eine große Tour von vorn herein ausschließe, da meine Präferenzen einfach anders gesetzt sind, scheue ich den Aufwand ein einzelnes Konzert vorzubereiten. Der Aufwand dafür ist relativ noch viel höher. Mein letzter Auftritt war die Schiffstaufe meines Bootes 1999. Damals hab ich Siggi gebeten, dort Musik zu machen. Er sagte zu, unter der Bedingung, dass wir das zusammen machen (lacht). Dann haben wir uns einen Tag zuvor bei ihm getroffen und sein vorbereitetes Programm durchgespielt. Erstaunlicherweise waren die Griffe und die Texte noch vollkommen präsent. Wir hatten so viel Spaß an dem Tag... Einfach geil! Am nächsten Tag haben wir die Mugge gemacht. Meine Gäste fanden es vielleicht zum Teil aus Sympathie ganz toll, aber für mich selber war die eigentliche Aufführung schon nicht mehr das, was die Probe am Tag zuvor war. Ich empfand bei Weitem nicht mehr das Glücksgefühl vom Vortag.
Jetzt haben wir einen großen Sprung gemacht. Von 1982 dem Jahr mit dem vielleicht größten Erfolg der Gruppe Transit zum letzten Auftritt Egon Lindes. Dazwischen liegen Jahre, die unter anderem mit einem mehr oder weniger offiziellem Spielverbot verbunden sind.
Das stimmt so nicht ganz. Wir hatten nie ein Spielverbot. Allerdings wurde es uns zeitweise sehr schwer gemacht aufzutreten. Das hing mit der vermeintlichen Lindenbergnähe zusammen. Er war in Ungnade gefallen und so verlangten die Kulturgewaltigen von uns, alles was nach Lindenberg klang aus dem Programm zu streichen. Dazu kam, dass man uns öffentliche Auftritte erschwerte. Das hemmte unsere Kreativität zusätzlich. Irgendwie waren wir dieser Sache auch müde. Das halte ich gar nicht für ungewöhnlich. Beim einen kommt der Zeitpunkt früher, beim anderen später. Dazu veränderte sich um 1984 der Zeitgeschmack in der Musik gerade enorm. Das machte es auch nicht einfacher, neu durchzustarten. Ich kann gar nicht mal sagen, welches die letzten Titel waren, die wir produzierten. Irgendwie fehlte der rechte Antrieb aus der Band, so dass die Probleme mit dem Lindenbergimage nicht der Auslöser waren, sondern eher das Ende von Transit wie man uns kannte lediglich beschleunigte. Wir waren zu dem Zeitpunkt nicht ohne Erfolg, aber eine weitere Entwicklung schien es auch nicht zu geben. Ich bin kein Ewiggestriger. Ich hab diese Phase durchlebt und bin weiter gegangen, hab mich entwickelt. Aus heutiger Sicht ist es so, aber auch das halte ich für relativ normal, dass ich mich mit einigem von dem, was ich gedacht und gefühlt habe, nicht mehr voll identifizieren kann. Ich könnte natürlich durchaus mal meine Lieder spielen, aber das kann nicht mehr mein Lebensinhalt sein. Ich kann auch nicht verstehen, wie das Leute über viele Jahre hinbekommen, immer mit den gleichen Sachen durch die gleichen Städte zu touren. Mal kommt hier was dazu, mal ist da etwas neu oder verändert, aber im Grunde ist es immer das Gleiche. Ich habe durchaus Respekt davor, wenn man das kann. Ich möchte das nicht und frag mich gelegentlich, wie die Leute das aushalten. Mir fehlt da die Herausforderung.
Ist es aber nicht auch so, dass zum Teil das Publikum gar nichts anderes als die größten Hits zulässt?
Das glaube ich nicht. Natürlich wollen die Menschen etwas wiedererkennen, sich an Markantes und vor allem Schönes erinnern. Daher gehören bei Künstlern, die lange aktiv sind, die großen Hits ins Programm. Aber es gibt genug Beispiele die beweisen, dass man auch nach 20 und mehr Jahren anspruchsvolle neue Sachen zum Teil sogar im aktuellen Zeitgeschmack machen kann. Das liegt maßgeblich an jedem selbst. Das letzte Beispiel ist doch Udo Lindenberg. Auf seiner neuen Platte vereint er, wenn ich das richtig verstanden habe, alte Rocktraditionen mit neuen Dingen des Zeitgeists. Und das Album ist ja durchaus erfolgreich. Es geht also. Man muss nicht im eigenen Saft schmoren und langsam verdorren. Um es etwas bildlich zu sagen: Mir wäre es, als müsste man jeden Tag das gleiche essen. Das würde einem schnell zum Halse raus hängen. Ich habe für mich die Erfahrung gemacht, wenn man nicht wirkliche Begeisterung empfindet, wirklich Gefühl in einen Vortrag legt, dann kommt das beim Publikum auch nicht an. Dann hören die Leute wohl, was sie hören wollen, reißt sie aber nicht mit. Es gibt da ein Zitat von Goethe, das mir so spontan einfällt: Applaus von Kindern und von Affen, wenn euch danach der Gaumen steht, doch werdt ihr nie zu Herzen schaffen, wenn es euch nicht von Herzen geht. Da steckt viel Wahrheit drin.
Mein verstorbener Freund Peter Hacks ** (weitere Infos am Ende der Seite), mit dem ich auch künstlerisch zusammen arbeitete, schenkte mir zu DDR Zeiten ein Buch "Die Maßgaben der Kunst" in dem ich einen Hinweis fand, warum ich damals mit der Rockmusik nicht so recht glücklich war. Da geht's zwar um ein ganz anderes Thema, aber irgendwo in dem Buch steht sinngemäß: Wenn man ein Genre vergewaltigt, kann aus dem Gebiet nichts wirklich Gutes mehr hervorgehen. Das traf gewissermaßen auch auf die DDR Rockmusik zu. Wir, die Musiker, haben das Beste draus gemacht. Dass man aber immer und immer wieder an Grenzen stieß, hat zumindest mich müde gemacht. Die Zensur, diese teils willkürliche Auslegung von Texten, hat einerseits viele auch zu kreativen Höchstleistungen getrieben, musste man doch kluge Möglichkeiten suchen, Aussagen in Texte zu packen, die genehmigt wurden. Gleichzeitig ist aber auch viel Unsinn verbrochen worden. Und es wurde seichtes Mittelmaß gefördert. Dem Druck zu widerstehen war schon schwer.
Meinen Sie, dass das heute anders wäre oder ist?
Ich weiß nicht. Heute richtet sich in diesem Land doch alles nach der Kohle. Ich weiß nicht, ob das schon immer so war. Aber zur Zeit sehe ich wenig anderes, was zählt. Auch in der Musik. Gemacht wird, was sich verkauft. Für vieles andere ist in Medien und Regalen kaum Platz. Ich bin durchaus ein politischer Mensch und interessiere mich für das, was um mich herum geschieht. Wenn man dann Liechtenstein und solche Auswüchse oder die Milliardenverluste der Banken in Amerika sieht, kommt man schon ins Grübeln. Und wenn man dann noch etwas Fantasie entwickelt, was alles gar nicht thematisiert wird... Heute ist sehr vieles eine einzige große Heuchelei. Profit und Geld regieren. Alles andere ordnet sich unter. Ich halte das für sehr bedenklich und falsch. Um auf die Musik zurück zu kommen - das Lektorat ist verschwunden. Dafür gibt es die Verkaufszahlen die entscheiden, was gemacht werden kann. Kunst ist Teil des Marktes und wird nach dessen Regeln betrieben. Auf eine andere Art kann es heute ebenso zermürbend sein, wie es vor 20 Jahren war. Mir war es nie gegeben, mich hinter einer Maske zu verbergen. Mir standen meine Emotionen immer im Gesicht geschrieben. Auch das hat zum Ausstieg aus der Musik beigetragen.
Gibt es Titel, die sie besonders mögen?
Ich hab zunächst mal kein Problem damit, etwas von anderen Künstlern gut zu finden. Ich hab ja schon erwähnt, wie tief mich dieses Lied von Karussell, weit nach dem es heraus kam, berührt hat. Ich habe das mal versucht für mich nachzusingen (lacht)... Das ist in so einer Tonlage, da hab ich ein paar Probleme (lacht). Dieses Lied ist so einfach und klar, da stimmt einfach alles. Damit kann ich mich selbst identifizieren. Als ich das hörte war mir, als habe ich das alles selbst 1000 mal erlebt. Der Text von Gisela Steieckert ist einfach genial und super umgesetzt. Ich muss gestehen, dass ich zu der Zeit, als ich selbst Musik machte, kaum DDR-Musik gehört habe. Aber ich weiß sehr wohl, dass viele Künstler und Bands Großes geschaffen haben. Das muss man einfach anerkennen. Das beginnt bei Bettina Wegners "Kleine Hände", das ich einmal live gehört habe und das mich tief beeindruckte und geht bis zu den großen, bekannten Gruppen wie Karat und Puhdys. Die Puhdys waren trotz Dieter Birr nicht unbedingt mein Geschmack. Mir fehlte die Einheit aus Text und Musik, wobei auch die Puhdys mit "Geh zu ihr" einen Titel hatten, der mich überzeugt hat. Anderen werden wieder andere Titel und Musiker gefallen. Und das ist auch ganz in Ordnung. Dass sie meinen Geschmack nicht getroffen haben, kann man den Puhdys nicht vorwerfen (lacht). Das war, wie ich auch schon sagte, bei Karat etwas anders. Die gefallen mir aus heutiger Sicht sogar eher noch besser als damals. Das war die Art Musik die ich mochte, auch wenn ich zu DDR-Zeiten eigentlich eher international orientiert war. Was aus dem deutschen Raum kam, da war Lindenberg unanfechtbar. Was Nina Hagen machte, nachdem sie im Westen war, hat mich auch mächtig überrascht. Ich kannte sie noch, als sie mit Micha Heubach den Farbfilm im Rundfunk aufgenommen hat. Sie haben sich damals eine Kalmpfe von mir geliehen. Irgendwie hatten sie gerade kein vernünftiges Instrument und haben sich für den Farbfilm meine Fender Stratocaster geliehen. Bis sie sich von ihrer Band, aus der dann Spliff hervor ging, trennte, hat mir das, was sie drüben machte, wirklich sehr gefallen. Danach hatte ich so meine Schwierigkeiten mit ihrer Musik. Auch Spliff selbst war eine tolle deutschsprachige Band.
Was macht Egon Linde heute, da er keine Musik mehr macht?
Ich bin jemand der sich durchaus schnell langweilt wenn etwas eingeschliffen ist, der Entwicklung und Dynamik liebt. So habe ich mehrere Male in meinem Leben neue Herausforderungen angenommen und, wie ich finde, erfolgreich bewältigt. Nach der Musik habe ich mein Geld mit Glas-Aluminium-Konstruktionen verdient. Das Unternehmen betreibe ich noch heute. Daneben habe ich meinem Hobby mehr Raum eingeräumt. Ich bin ja von Haus aus eher Seemann und gehöre irgendwie aufs Wasser. So habe ich allmählich mein Hobby, die Segelschiffahrt, zu einem zweiten Beruf gemacht. Heute fahre ich mit meinem eigenen Boot mit Chartergästen oder auch als Skipper mit fremden Booten (siehe Bilder am Ende dieser Seite, Anm. d. Red.). Dort sehe ich mittelfristig auch meine private und berufliche Perspektive. Ich möchte mir irgendwann mal die Welt vom Boot aus ansehen. Ich hab es schon ein Mal geschafft, ein Jahr auszusteigen und war mit dem Boot in der Karibik und auf den Kanaren. Ich weiß also, wie sich das anfühlt, wovon ich träume. Ich habe nicht vor, wenn ich das Alter für die Rente erreicht habe, mich zurück zu lehnen und nichts mehr zu machen. Ich möchte weiter aktiv bleiben und Neues, Interessantes erleben und gestalten. Ob das immer die Seefahrerei bleibt, weiß ich auch nicht. Aber das, was da kommen soll, wird mich erreichen und ich werde es annehmen. Bisher war ich immer - und bin es immer noch - sehr glücklich mit dem, was ich gemacht habe. Es macht mir Spaß zu arbeiten. Ob das die Musik war, meine Firma oder die Segelei - es hat mich immer zumindest für eine Zeit ausgefüllt.
Bleiben meine letzten 3 Fragen. Zum einen ist das: Wie gefällt Ihnen das Cover der Bernsteinhexe von Cultus Ferox?
Tut mir leid, ich kenn das gar nicht.
Man hat sie also gar nicht gefragt?
Nein. Aber ich werde mich mal schlau machen. Solange drauf steht, dass das Stück etwas mit Transit zu tun hat, ist es ja nicht allzu schlimm. Schön, dass sich jemand des Stücks erinnert hat. (Die Bernsteinhexe ist auf der Maxi CD "Flamme des Meeres" der Mittelalterband Cultus Ferox enthalten. Fans berichten: "Mit "Bernsteinhexe" hat es "Cultus Ferox" wieder einmal geschafft, sich selbst zu übertreffen und den Hörer in seinen Bann zu ziehen". Was dort nicht steht ist, dass nicht nur der Text von Transit stammt, sondern das Lied quasi original gecovert wurde. Der Hinweis auf Transit ist jedoch auf der CD vorhanden. - Anm. d. Verf.)
Und meine zweite Frage ist: Wird man Sie noch einmal mit Transit oder zumindest den Transittiteln auf einer Bühne erleben dürfen?
Dazu kann man weder ja noch nein mit Bestimmtheit sagen. Ich finde mittlerweile wieder Spaß an Musik und stehe zu den meisten der Transittitel. Andererseits kann ich mir eine größere Tour nicht vorstellen. Die wird es wirklich nicht geben. Und für ein einziges Mal das ganze drum herum in Gang setzen? Das schießt wohl etwas über das Ziel hinaus. Wenn es so etwas überhaupt noch mal gibt, dann am ehesten wie zu meiner Bootstaufe. Recht spontan, ohne große Vorbereitung und wohl als einmalige Aktion aus purem Spaß an der Freude und vermutlich mit meinem Freund Siggi als Duo.
Die letzte Frage geht noch einmal in die Richtung "Lindenberg des Ostens". Haben Sie mal Kontakt zu Lindenberg gehabt?
Wirklichen Kontakt zu ihm hatte ich nie. Ich glaube auch nicht, dass er mich kennt. Es gab mal jemanden, der einen Kontakt herstellen wollte, aber daraus ist irgendwie nichts geworden. Und Udo mal am Rande eines Konzertes in München die Hand zu schütteln, das ist nicht die Art Kontakt, die ich mir vorstelle. Natürlich würde ich mich freuen, mit ihm mal einen Kaffee zu trinken und sich auszutauschen. Aber verbiegen würde ich mich dafür nicht. Gelegentlich wurde ich auch schon mal darauf angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte etwas mit Lindenberg zu machen, vielleicht einmal gemeinsam aufzutreten. Solche Gedanken sind wohl reine Fantasie. Ich habe früher Lindenbergsongs gesungen. Das ginge also sicher. Aber da es mich nicht auf eine Bühne zieht, auch nicht zu Udo Lindenberg, wird daraus wohl nichts werden.
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Pressematerial Band, Privatarchiv Egon Linde, Herbertr Schulze
geb. 01.07.1938 Magdeburg,
gest. 01.05.1969 Halle,
Vibraphonist, Bandleader, Komponist.
Es waren in den 60er Jahren vorwiegend junge Amateurmusiker, die den Wünschen ihres Publikums Rechnung trugen. Heider hatte schon früh ein leidenschaftliches Interesse für moderne Tanzmusik. Mit 17 Jahren gründete er in seiner Heimatstadt Magdeburg zunächst ein Trio, das er dann zum fünf Musiker umfassenden Jürgen Heider Swingtett (JHS) erweiterte. Die 1960 gegründete Formation spezialisierte sich auf Tanzmusik, Schlager, Jazz, Chorbegleitung und Chansons. Dank mitreißender Gestaltung von Tanzabenden im "Kristallpalast" und in anderen großen Häusern der Stadt Magdeburg gewann die Gruppe breite Anerkennung, die schnell auch über die Region hinausging. Das JHS nahm in bezirklichen Ausscheiden den ersten Platz ein und wurde 1962 und 1965 in zentralen
DDR-Leistungsvergleichen als beste Combo in dieser Kategorie anerkannt. Namhafte Interpreten arbeiteten, als sie in die Pop-Musik einstiegen, eng mit Heider und seinen Instrumentalisten zusammen (Reinhard Lakomy, Monika Hauff, Klaus-Dieter Henkler). Besondere Popularität genoss Heider durch seine Kompositionen in aktuellen Rhythmen der 60er Jahre wie Slop oder Slow-Shake. Es waren Orchestertitel, die vom Rundfunk übernommen sowie von bekannten Verlagen wie VEB Lied der Zeit und Harth Musik Verlag publiziert wurden. Darüber hinaus war Heider als Musikredakteur in Fernsehproduktionen tätig und leistete kompositorische Arbeiten für die Städtischen Bühnen und das Puppentheater Magdeburg. Die Jazz-Rezensenten schätzten ihn als hervorragenden Vibraphonisten und Solo-Improvisator. Begeisterung löste das JHS bei seinen Gastspielen in Polen, Ungarn, Bulgarien und der Sowjetunion aus. Erfolgreich waren auch die mit lyrischen Momenten verbundenen Jazzkonzerte. Nicht vergessen werden soll Heiders aktives Wirken bei der Entwicklung des von in- und ausländischen Musikern hochgeschätzten "Impro"-Treffs sowie des Magdeburger Jazzklubs. 1967 wechselte Heider vom Amateurstatus zum Berufsmusiker. 1969 setzte auf einer Konzertreise ein Verkehrsunfall dem Leben des 30jährigen Musikers ein jähes Ende.
(Heinz Dassuy)
Literatur: Hans-Albert Möwes, Die Bedeutung des Jürgen Heider Swingtett, Programmkonzeption, Ms. 1979.
Bildquelle: *Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg (2. v.l.).
** Peter Hacks
Er gilt als der begabteste Schüler Brechts und - so Georg Hensel - als "der geistreichste und drastischste, der sprachmächtigste und eleganteste Komödiendichter der DDR". Die meisten seiner Stücke spielen auf aktuelle Verhältnisse in Ost und West an, mit Witz und Humor verwendet Hacks alte Stoffe, die von ihm umfunktioniert werden. Zur Enttäuschung und Verärgerung der SED-Kulturpolitiker weigerte er sich zu liefern, was sie von ihm immer wieder verlangten: Dramen im Geist des sozialistischen Realismus. Sein psychologisch virtuoses und auch erfolgreichstes Stück ist "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe".
Zu Peter Hacks Werk gehören neben seinen Theaterstücken viele Balladen. Unter anderem seine "Jünglingsballaden" (in "Kinderkurzweil" bei Faber & Faber 2006 neu verlegt) von denen Egon Linde zum Beispiel die Stücke "Jona", "Goethe Tischbein" und "Kahlbutz" vertonte. Die Stücke waren ursprünglich Grundlage eines Balladenprogramms der Schauspielerin Karin Gregorek. Einige der Lieder wurden später von Transit im Rundfunk produziert. Hacks Balladen sind Teil der im TiP (Theater im Palast, Anm. d. Red.) aufgeführten Produktion "Ohne Zorn und Eifer", zu der Egon Linde wiederum Titel beisteuerte und an der er, trotz unerklärter Bedenken Vera Oelschlägels, mitwirkte.