Interview vom 14. September 2009
Kaum eine DDR Band hatte mit so verschiedenen Musikrichtungen so viel und anhaltend Erfolg wie die Gruppe electra. Die bekennenden Sachsen aus und um Dresden sind überdies eine der dienstältesten deutschsprachigen Gruppen und das praktisch mit einer echten Stammbesetzung. Zugleich ist electra geradezu ein Synonym für die gut ausgebildeten Musiker aus dem Osten, die mit sehr anspruchsvoller Musik und deutschen Texten für den "Ostrock" in all seiner Vielfalt stehen. Das Interview wurde unmittelbar vor dem Konzert der Gruppe in der "Alten Tenne" der Altenburger Brauerei mit Bernd Aust geführt...
Am Nebentisch sitzt fast die Orginalbesetzung der Gruppe electra von 1969. Zum 35. Geburtstag hatte die Band aber mit Conny Bauer und Reinhardt Lakomy zwei sehr prominente Gäste geladen. Was haben die beiden mit electra zu tun?
Mit einigen Kommilitonen der Musikhochschule Dresden habe ich 1969 electra als Berufsformation gegründet. Conny Bauer und Reinhardt Lakomy haben wie wir an der Musikhochschule in Dresden studiert. Vor electra gab es schon eine Amateurband, die wir als Studenten weitergeführt haben. Mit dieser Band haben wir eine Ostseetour gespielt. Mit Conny Bauer als Posaunisten.
Conny Bauer und seine Posaune ist ja ein Begriff im Jazz. War electra ursprünglich als Jazzformation angelegt?
Nein, ganz und gar nicht. Wir spielten einfach richtige Popmusik. Auch Conny Bauer, der ein fabelhafter Gitarrist war, hat das mit uns gespielt. Gitarre war sogar sein Hauptberuf. Posaune studierte er unter anderem, weil er ein zweites Instrument spielen wollte. Bei uns hat er beides abwechselnd gespielt.
1969 startete electra dann also als Rockband und hatte gleich einen ganz großen Erfolg mit "Tritt ein in den Dom" und Stefan Trepte.
Ja, 1969 begannen wir, als electra professionell Musik zu machen. Wir spielten allerdings noch ganz andere Musik. Wir wollten zwar Rock machen und haben auch einige internationale Rocktitel gecovert, doch zunächst brauchten wir erst einmal das richtige Instrumentarium für unsere Musik und mussten Geld verdienen, um uns unseren Traum erfüllen zu können. 1969 war der 20. Jahrestag der DDR und dazu gab es eine große Tournee mit verschiedensten Leuten von Schlagersängern bis zu Rockgruppen. Damit haben wir das Geld verdient, um uns schließlich die notwendigen Instrumente nach unseren Möglichkeiten "besorgen" zu können. Danach wurden erste Titel im Dresdener Rundfunkhaus aufgenommen. Die waren aber noch nicht so spektakulär. Zu der Zeit reiste Luise Mirsch, die Produzentin vom Berliner Rundfunk, mit dem Ü-Wagen durch die DDR und suchte nach interessanten neuen Musikern. Wir sprachen sie an und nahmen mit ihr ein erstes Demo für den Rundfunk auf. Und wir spielten viel auf den Sälen in und um Dresden. Einmal, in Pockau, sollten Stefan Trepte mit seiner Band und electra an einem Abend spielen. Zunächst wollte er nicht, da er von einem gemeinsamen Auftritt wohl nichts wusste. Doch letztlich wurde gespielt und wir hörten Trepte zum ersten Mal singen. Er sang damals in der Art des polnischen Keyboarders und Sängers Czeslaw Niemen, einer Richtung zu der electra immer stand. In der Richtung wünschten wir uns schon länger einen Sänger (In der Stimme Bernd Aust kann man gerade hören, dass er noch heute ein Fan der Musik Niemens ist, so nachdrücklich spricht er diese Sätze. Anm. d. Verf.) Trepte bot uns das. So haben wir ihm die Hand auf die Schulter gelegt, und gefragt, ob er nicht bei electra einsteigen möchte. Das war 1970. So recht glaubte er zunächst nicht an das Angebot, sagte schließlich aber doch zu. Der "Dom" war damals schon geschrieben. So blieb Trepte nichts übrig, als das Stück so zu singen, wie es war. Anfang 1971 wurde das Stück in Leipzig aufgenommen. Es war praktisch das erste Stück Stefans bei electra.
Wie ordnen Sie die Bedeutung von "Tritt ein in den Dom" für die Entwicklung electras ein?
Das Stück war und ist ein Glücksfall. Wir hatten den Sänger, den wir suchten. Der hatte ein fertiges Lied und das stieg im Rundfunk sofort auf Platz 1 ein. Kurz darauf wurde es wieder vom Sender genommen, trotz aller Einsprüche und Bemühungen meinerseits. Rückblickend muss man wohl sagen, das dieses Verbot eher einen zusätzlichen Schub für das Lied und die Gruppe bedeutete. Die Neugierde war geweckt. Es brachte uns von Anfang an eine enorme Popularität. "Tritt ein in den Dom" ist damals wie heute sehr bekannt und aktuell. Electra lies sich vor Jahren vor den Trümmern der Frauenkirche fotografieren, ohne zu wissen, dass sie wieder aufgebaut würde. Vor der Vollendung des Wiederaufbaus haben wir der Frauenkirche eine CD mit u.a. dem "Dom" geschenkt, deren Erlöse vollständig dem Wiederaufbau zu Gute kam. Den Text könnte man den Besuchern der Frauenkirche an die Hand geben, denn man ist von der Leistung der Menschen beeindruckt, die die Kirche geschaffen und wiedererschaffen haben.
"Tritt ein in den Dom" ist erst auf der 3. LP enthalten, obwohl das Lied sehr bekannt war. Wie kommt das?
Unser erste LP erscheint bereits 1971. Die Parteioberen konnten das Lied schon nicht mehr hören und so war es wie einige andere unserer Titel nicht auf der electra LP.
In den Anfangsjahren gab es etwa 80 Titel, von denen electra höchstens 30 auf Platten veröffentlicht haben. Hatte electra Probleme, Lieder und Texte durchzusetzen und zu publizieren?
Nein. Wir hatten viel mehr Probleme damit, dass die Schritte vom Erfinden eines Liedes bis zu seiner Positionierung wenig strategisch und professionell angelegt waren. So kam unsere erste LP selbst für uns überraschend. Ich dachte, LP's machen Schlagersänger und keine Rockgruppen. So wurden Talente gesucht und produziert, ohne dass sich jemand mit der Materie um die Vermarktung auskannte. Das traf auch uns. Von der 1. Platte "electra-combo" sind nur 17000 Exemplare verkauft worden. Der Rest wurde eingestampft. Die Platte wurde nicht beworben oder ähnliches und verkaufte sich nicht. Wir nahmen das nicht so tragisch, da viele Titel auch im Rundfunk produziert wurden. Es erschienen außerdem recht schnell mit "Adaptionen" und "electra 3" weitere Platten. Was uns anfangs auch Probleme bereitete war, dass viele Titel nicht in das Rundfunkschema passten. Sie waren einfach zu lang. Die Adaptionen waren halt Klassik und damit weniger für Rundfunk und Fernsehen geeignet. Da hätte jemand, der uns die Augen hätte öffnen können, schon gut gepasst. Gab's aber nicht. Und so ist zum Beispiel der "Dom" im Orginal über 10 Minuten lang und wurde daher nur selten in den Medien gespielt. Dafür gab es, anders als für Pink Floyd und ähnliche internationale Bands, die zu der Zeit ähnlich große Stücke machten, in der DDR eine zu kleine Basis. International gab es den Weltmarkt. Wir hatten zunächst nur die DDR. Aus diesem Aspekt heraus bedauere ich es heute ein wenig, dass die erste LP doch sehr experimentell war. Das brachte uns damals um Medienpräsenz und verkaufte sich auch nicht gut. Die zweite LP, die "Adaptionen", war sehr erfolgreich beim Publikum. Der klassische Hintergrund brachte uns aber fast vollständig aus den Sendeplätzen des Rundfunks. Live war es eine unheimlich schöne Zeit, mit dieser LP zu touren. In der Medienpräsenz haben wir es schon zu spüren bekommen, dass wir da die Möglichkeiten in der DDR wohl nicht richtig eingeschätzt hatten.
Zeitgleich mit electras "Säbeltanz" ging die niederländische Gruppe Exeption 1974 mit ihrer Adaption des Säbeltanzes europaweit auf Platz 1 der Hitparaden. Ist man da aus heutiger Sicht besonders traurig, zu der Zeit keine Chance auf der internationalen Bühne bekommen zu haben?
Zunächst kann man den Leuten, die sich gerade um die Adaptionen-LP bemüht haben, das nicht vorwerfen. Wir haben versucht, in dem Land, in dem wir lebten und in seinen Möglichkeiten die Musik zu machen, die uns gefallen hat. Als wir dann später auch im Westen auftreten durften und auch LP's veröffentlichten, haben wir auch die Schattenseiten dieses riesigen Marktes gesehen. Nur ein Beispiel: Die "Sixtinische Madonna" ist im Westen erschienen. Auch der "Dom" war auf der Platte. Sie wurde von der Plattenfirma aber ausschließlich über einen Katalog vertrieben. Sie war nicht im Handel erhältlich. Diese Firma hat uns damit praktisch für den Westmarkt und ein breites Publikum kalt gestellt, da die Platte im Katalog ja nicht gehört werden konnte. Da hätte ein anderes Management sicher etwas positives bewirken können.
Nach der "Adaptionen" LP erschien mit "electra 3" wieder eine rockige LP. War das eine Rückbesinnung auf die Wurzeln?
Das könnte man so sagen und es stimmt doch nicht. Die 3. LP enthält ausschließlich Titel, die wir der Schallplatte zuvor schon angeboten hatten, und die dort durchweg abgelehnt worden waren. Es sind alles eigene Titel aus der Zeit der ersten LP. Sie waren im Rundfunk produziert worden und hatten sich in der Öffentlichkeit bereits zum Teil lange durchgesetzt. Daher kam die Platte eigentlich zu spät. Es war ein bisschen, wie die Tour de France zu gewinnen und 5 Jahre später den Siegerkranz umgehängt zu bekommen. Insofern waren unsere Wurzeln noch einmal sehr erfolgreich, doch musikalisch waren wir schon bei anderen Themen angekommen. Wir brachten ja im gleichen Jahr auch "Die Sixtinische Madonna" heraus. Und die unterscheidet sich stilistisch doch deutlich von "electra 3".
Mir fällt auf, das die 3 erwähnten LP's neben den Adaptionen ein wenig das Wirken dreier großer Sänger wiederspiegeln. Warum verließ Stefan Trepte nach den ersten großen Erfolgen recht schnell die Band?
Ja, das könnte man so sagen. Natürlich hat jeder Sänger Titel gehabt, die besonders gut zu ihm passten. Insofern ist mit den verschiedenen Sängern auch immer ein wenig ein eigener musikalischer Stil verbunden gewesen. Electra hatte sogar parallel immer 2 Sänger. Es gab trotz mehrerer personeller Veränderungen in den vielen Jahren eigentlich immer eine klare musikalische Linie in der jedes Bandmitglied seinen Platz hatte. Dieser Linie folgten die ersten 4 LP's. Von den Anfängen mit Coversongs und den frühen eigenen deutschsprachigen Titeln über Klassikadaptionen bis zu einem komplexeren Werk, das verschiedene Elemente in sich vereinigt. Besonders anfangs hatten die Wechsel auch damit zu tun, dass es, anders als heute nicht unüblich, zumeist nur ein Engagement für einen Musiker gab. Daher musste man sich entscheiden, wo man warum spielen wollte. Entweder - oder... Sicher, auch von daher verabschiedeten sich aus verschiedensten Gründen immer wieder mal Mitglieder von der Band. Das Gerüst electras, die Instrumentalisten, blieb aber relativ konstant und stilprägend. Ein weiterer Grund mag die mehr oder weniger vorhandene Bindung der Musiker an die Band gewesen sein. Wir kamen von ganz unten und haben, besonders anfangs, die Mühen der Ebene zu spüren bekommen. Als erste Erfolge und eine gewisse Bekanntheit vorhanden waren, kam Stefan Trepte zur Band. Einerseits ging es danach weiter bergauf, andererseits blieben einige Wünsche unerfüllt und andere Bands versprachen, diese besser zu erfüllen. Zum Beispiel hatten wir es immer recht schwer, außerhalb der DDR zu touren. So kam es, dass Stefan Trepte irgendwann bei electra ausstieg. Das war geradezu etwas natürliches, empfanden wir. Mit Peter - Mampe - Ludewig und Gisbert Koreng haben wir Sänger eines etwas anderen Typs in die Gruppe integriert. Erst Manuel von Senden sollte nach Mampes Ausscheiden eine ähnliche Solistenrolle einnehmen, wie sie Stefan Trepte hatte. Wie so oft, trifft man sich auch im wahren Leben gelegentlich zweimal. Das heißt, Stefan Trepte kehrte nach 1990 für den zur Oper gegangenen Manuel von Senden zu electra zurück. Seitdem spielen wir wieder gemeinsam, auch seine Lieder. Das sind nun schon wieder 17 Jahre... (lacht).
Ich möchte wieder zurück zu electras Musik kommen. Die Platten 5, 6 und 7 erschienen bis 1989. Es sollte noch eine weitere Platte folgen. Warum wurde die LP nicht realisiert?
Das hat direkt mit der Wende zu tun. Die Titel hatten wir bereits von Januar bis April in meinem Studio eingespielt. Einige, wie "Goldhamster", liefen auch im Rundfunk. Als die LP "Der aufrechte Gang" erscheinen sollte, gingen die Grenzen auf und uns lief das Publikum davon. Ich habe zu dieser Zeit eine Platte mit dem "Duo Sonnenschirm" (Beschattung durch Duo Sonnenschirm - Anm. d. Verf.) produziert. Eine wunderschöne Platte wie ich finde, die genau in den Herbst 89 hinein aufgelegt wurde, und völlig unbeachtet blieb. Sehr viele Leute waren zu der Zeit einfach nicht mehr bereit, sich weiter das anzuhören, was sie 40 Jahre lang hatten. Sie wollten verständlicherweise eher die großen Namen hören und sehen, Verpasstes nachholen. Da ich unserem Album die Bedeutungslosigkeit ersparen wollte, haben wir es nicht veröffentlicht, und es ist fast in Vergessenheit geraten.
Das Album erschien 2004 zum Jubiläum "35 Jahre electra". Sind das die Orginaltitel, oder wurden sie technisch nachbearbeitet?
Das sind die Orginalaufnahmen. Wir wollten aus den vielen Titeln, die in der DDR nicht auf Platte erschienen waren, noch einige veröffentlichen. So holte ich mir Material aus dem Rundfunkarchiv und brachte es zu AMIGA. Unter anderem war da auch der "Goldhamster" dabei. Der Titel gefiel besonders und man fragte mich, ob es davon noch mehr gäbe. Ich antwortete: " ...davon haben wir eine ganze Platte ..." Die schickte ich an AMIGA, um zum Jubiläum eine bestmögliche electra-Werksausgabe herausgeben zu können. Amiga meinte, es wären zwar keine Megahits dabei, aber für eine Jubiläums CD würden sich diese neuen Titel sehr gut eignen. Die CD sollte in Berlin in einem Riesenstudio gemastert werden. Doch nicht die Technik macht die Qualität des Masterings, sondern der Mensch der dahinter steht. Ich war erstaunt, wie man einen Titel so verunstalten kann. Also hab' ich gesagt: "... so will ich das nicht!" und hab' das erste Mal eine CD selbst gemastert. Das gab etwas lange Gesichter bei AMIGA, zumal es Geld kostete. Es hat sich am Ende aber, glaube ich, gelohnt. Auch wenn ich ,wie mit den meisten unserer Titel, doch nicht 100% zufrieden bin. Die gemasterten Aufnahmen habe ich an Stefan Trepte geschickt. Dort klang das alles recht gut und so haben wir das Album von 1989 im Jahr 2004 herausgegeben.
Ist electra damit die Band mit dem ersten und letzten Rocksong der DDR?
Das kann ich nicht sagen und es wäre auch keine besondere Leistung.
Wird es noch einmal ein Album mit neuen oder unveröffentlichten Titeln von electra geben?
Das glaube ich nicht. Zu den Jubiläen haben wir ja viele bis dahin unveröffentlichte Titel auf je einer Doppel CD herausgebracht.
Dann ist es wohl jetzt Zeit, das Interview zu beenden, damit Sie sich für das Konzert vorbereiten können. Ich bedanke mich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen wie uns, dem Publikum, ein schönes Konzert!
Mit einigen Kommilitonen der Musikhochschule Dresden habe ich 1969 electra als Berufsformation gegründet. Conny Bauer und Reinhardt Lakomy haben wie wir an der Musikhochschule in Dresden studiert. Vor electra gab es schon eine Amateurband, die wir als Studenten weitergeführt haben. Mit dieser Band haben wir eine Ostseetour gespielt. Mit Conny Bauer als Posaunisten.
Conny Bauer und seine Posaune ist ja ein Begriff im Jazz. War electra ursprünglich als Jazzformation angelegt?
Nein, ganz und gar nicht. Wir spielten einfach richtige Popmusik. Auch Conny Bauer, der ein fabelhafter Gitarrist war, hat das mit uns gespielt. Gitarre war sogar sein Hauptberuf. Posaune studierte er unter anderem, weil er ein zweites Instrument spielen wollte. Bei uns hat er beides abwechselnd gespielt.
1969 startete electra dann also als Rockband und hatte gleich einen ganz großen Erfolg mit "Tritt ein in den Dom" und Stefan Trepte.
Ja, 1969 begannen wir, als electra professionell Musik zu machen. Wir spielten allerdings noch ganz andere Musik. Wir wollten zwar Rock machen und haben auch einige internationale Rocktitel gecovert, doch zunächst brauchten wir erst einmal das richtige Instrumentarium für unsere Musik und mussten Geld verdienen, um uns unseren Traum erfüllen zu können. 1969 war der 20. Jahrestag der DDR und dazu gab es eine große Tournee mit verschiedensten Leuten von Schlagersängern bis zu Rockgruppen. Damit haben wir das Geld verdient, um uns schließlich die notwendigen Instrumente nach unseren Möglichkeiten "besorgen" zu können. Danach wurden erste Titel im Dresdener Rundfunkhaus aufgenommen. Die waren aber noch nicht so spektakulär. Zu der Zeit reiste Luise Mirsch, die Produzentin vom Berliner Rundfunk, mit dem Ü-Wagen durch die DDR und suchte nach interessanten neuen Musikern. Wir sprachen sie an und nahmen mit ihr ein erstes Demo für den Rundfunk auf. Und wir spielten viel auf den Sälen in und um Dresden. Einmal, in Pockau, sollten Stefan Trepte mit seiner Band und electra an einem Abend spielen. Zunächst wollte er nicht, da er von einem gemeinsamen Auftritt wohl nichts wusste. Doch letztlich wurde gespielt und wir hörten Trepte zum ersten Mal singen. Er sang damals in der Art des polnischen Keyboarders und Sängers Czeslaw Niemen, einer Richtung zu der electra immer stand. In der Richtung wünschten wir uns schon länger einen Sänger (In der Stimme Bernd Aust kann man gerade hören, dass er noch heute ein Fan der Musik Niemens ist, so nachdrücklich spricht er diese Sätze. Anm. d. Verf.) Trepte bot uns das. So haben wir ihm die Hand auf die Schulter gelegt, und gefragt, ob er nicht bei electra einsteigen möchte. Das war 1970. So recht glaubte er zunächst nicht an das Angebot, sagte schließlich aber doch zu. Der "Dom" war damals schon geschrieben. So blieb Trepte nichts übrig, als das Stück so zu singen, wie es war. Anfang 1971 wurde das Stück in Leipzig aufgenommen. Es war praktisch das erste Stück Stefans bei electra.
Wie ordnen Sie die Bedeutung von "Tritt ein in den Dom" für die Entwicklung electras ein?
Das Stück war und ist ein Glücksfall. Wir hatten den Sänger, den wir suchten. Der hatte ein fertiges Lied und das stieg im Rundfunk sofort auf Platz 1 ein. Kurz darauf wurde es wieder vom Sender genommen, trotz aller Einsprüche und Bemühungen meinerseits. Rückblickend muss man wohl sagen, das dieses Verbot eher einen zusätzlichen Schub für das Lied und die Gruppe bedeutete. Die Neugierde war geweckt. Es brachte uns von Anfang an eine enorme Popularität. "Tritt ein in den Dom" ist damals wie heute sehr bekannt und aktuell. Electra lies sich vor Jahren vor den Trümmern der Frauenkirche fotografieren, ohne zu wissen, dass sie wieder aufgebaut würde. Vor der Vollendung des Wiederaufbaus haben wir der Frauenkirche eine CD mit u.a. dem "Dom" geschenkt, deren Erlöse vollständig dem Wiederaufbau zu Gute kam. Den Text könnte man den Besuchern der Frauenkirche an die Hand geben, denn man ist von der Leistung der Menschen beeindruckt, die die Kirche geschaffen und wiedererschaffen haben.
"Tritt ein in den Dom" ist erst auf der 3. LP enthalten, obwohl das Lied sehr bekannt war. Wie kommt das?
Unser erste LP erscheint bereits 1971. Die Parteioberen konnten das Lied schon nicht mehr hören und so war es wie einige andere unserer Titel nicht auf der electra LP.
In den Anfangsjahren gab es etwa 80 Titel, von denen electra höchstens 30 auf Platten veröffentlicht haben. Hatte electra Probleme, Lieder und Texte durchzusetzen und zu publizieren?
Nein. Wir hatten viel mehr Probleme damit, dass die Schritte vom Erfinden eines Liedes bis zu seiner Positionierung wenig strategisch und professionell angelegt waren. So kam unsere erste LP selbst für uns überraschend. Ich dachte, LP's machen Schlagersänger und keine Rockgruppen. So wurden Talente gesucht und produziert, ohne dass sich jemand mit der Materie um die Vermarktung auskannte. Das traf auch uns. Von der 1. Platte "electra-combo" sind nur 17000 Exemplare verkauft worden. Der Rest wurde eingestampft. Die Platte wurde nicht beworben oder ähnliches und verkaufte sich nicht. Wir nahmen das nicht so tragisch, da viele Titel auch im Rundfunk produziert wurden. Es erschienen außerdem recht schnell mit "Adaptionen" und "electra 3" weitere Platten. Was uns anfangs auch Probleme bereitete war, dass viele Titel nicht in das Rundfunkschema passten. Sie waren einfach zu lang. Die Adaptionen waren halt Klassik und damit weniger für Rundfunk und Fernsehen geeignet. Da hätte jemand, der uns die Augen hätte öffnen können, schon gut gepasst. Gab's aber nicht. Und so ist zum Beispiel der "Dom" im Orginal über 10 Minuten lang und wurde daher nur selten in den Medien gespielt. Dafür gab es, anders als für Pink Floyd und ähnliche internationale Bands, die zu der Zeit ähnlich große Stücke machten, in der DDR eine zu kleine Basis. International gab es den Weltmarkt. Wir hatten zunächst nur die DDR. Aus diesem Aspekt heraus bedauere ich es heute ein wenig, dass die erste LP doch sehr experimentell war. Das brachte uns damals um Medienpräsenz und verkaufte sich auch nicht gut. Die zweite LP, die "Adaptionen", war sehr erfolgreich beim Publikum. Der klassische Hintergrund brachte uns aber fast vollständig aus den Sendeplätzen des Rundfunks. Live war es eine unheimlich schöne Zeit, mit dieser LP zu touren. In der Medienpräsenz haben wir es schon zu spüren bekommen, dass wir da die Möglichkeiten in der DDR wohl nicht richtig eingeschätzt hatten.
Zeitgleich mit electras "Säbeltanz" ging die niederländische Gruppe Exeption 1974 mit ihrer Adaption des Säbeltanzes europaweit auf Platz 1 der Hitparaden. Ist man da aus heutiger Sicht besonders traurig, zu der Zeit keine Chance auf der internationalen Bühne bekommen zu haben?
Zunächst kann man den Leuten, die sich gerade um die Adaptionen-LP bemüht haben, das nicht vorwerfen. Wir haben versucht, in dem Land, in dem wir lebten und in seinen Möglichkeiten die Musik zu machen, die uns gefallen hat. Als wir dann später auch im Westen auftreten durften und auch LP's veröffentlichten, haben wir auch die Schattenseiten dieses riesigen Marktes gesehen. Nur ein Beispiel: Die "Sixtinische Madonna" ist im Westen erschienen. Auch der "Dom" war auf der Platte. Sie wurde von der Plattenfirma aber ausschließlich über einen Katalog vertrieben. Sie war nicht im Handel erhältlich. Diese Firma hat uns damit praktisch für den Westmarkt und ein breites Publikum kalt gestellt, da die Platte im Katalog ja nicht gehört werden konnte. Da hätte ein anderes Management sicher etwas positives bewirken können.
Nach der "Adaptionen" LP erschien mit "electra 3" wieder eine rockige LP. War das eine Rückbesinnung auf die Wurzeln?
Das könnte man so sagen und es stimmt doch nicht. Die 3. LP enthält ausschließlich Titel, die wir der Schallplatte zuvor schon angeboten hatten, und die dort durchweg abgelehnt worden waren. Es sind alles eigene Titel aus der Zeit der ersten LP. Sie waren im Rundfunk produziert worden und hatten sich in der Öffentlichkeit bereits zum Teil lange durchgesetzt. Daher kam die Platte eigentlich zu spät. Es war ein bisschen, wie die Tour de France zu gewinnen und 5 Jahre später den Siegerkranz umgehängt zu bekommen. Insofern waren unsere Wurzeln noch einmal sehr erfolgreich, doch musikalisch waren wir schon bei anderen Themen angekommen. Wir brachten ja im gleichen Jahr auch "Die Sixtinische Madonna" heraus. Und die unterscheidet sich stilistisch doch deutlich von "electra 3".
Mir fällt auf, das die 3 erwähnten LP's neben den Adaptionen ein wenig das Wirken dreier großer Sänger wiederspiegeln. Warum verließ Stefan Trepte nach den ersten großen Erfolgen recht schnell die Band?
Ja, das könnte man so sagen. Natürlich hat jeder Sänger Titel gehabt, die besonders gut zu ihm passten. Insofern ist mit den verschiedenen Sängern auch immer ein wenig ein eigener musikalischer Stil verbunden gewesen. Electra hatte sogar parallel immer 2 Sänger. Es gab trotz mehrerer personeller Veränderungen in den vielen Jahren eigentlich immer eine klare musikalische Linie in der jedes Bandmitglied seinen Platz hatte. Dieser Linie folgten die ersten 4 LP's. Von den Anfängen mit Coversongs und den frühen eigenen deutschsprachigen Titeln über Klassikadaptionen bis zu einem komplexeren Werk, das verschiedene Elemente in sich vereinigt. Besonders anfangs hatten die Wechsel auch damit zu tun, dass es, anders als heute nicht unüblich, zumeist nur ein Engagement für einen Musiker gab. Daher musste man sich entscheiden, wo man warum spielen wollte. Entweder - oder... Sicher, auch von daher verabschiedeten sich aus verschiedensten Gründen immer wieder mal Mitglieder von der Band. Das Gerüst electras, die Instrumentalisten, blieb aber relativ konstant und stilprägend. Ein weiterer Grund mag die mehr oder weniger vorhandene Bindung der Musiker an die Band gewesen sein. Wir kamen von ganz unten und haben, besonders anfangs, die Mühen der Ebene zu spüren bekommen. Als erste Erfolge und eine gewisse Bekanntheit vorhanden waren, kam Stefan Trepte zur Band. Einerseits ging es danach weiter bergauf, andererseits blieben einige Wünsche unerfüllt und andere Bands versprachen, diese besser zu erfüllen. Zum Beispiel hatten wir es immer recht schwer, außerhalb der DDR zu touren. So kam es, dass Stefan Trepte irgendwann bei electra ausstieg. Das war geradezu etwas natürliches, empfanden wir. Mit Peter - Mampe - Ludewig und Gisbert Koreng haben wir Sänger eines etwas anderen Typs in die Gruppe integriert. Erst Manuel von Senden sollte nach Mampes Ausscheiden eine ähnliche Solistenrolle einnehmen, wie sie Stefan Trepte hatte. Wie so oft, trifft man sich auch im wahren Leben gelegentlich zweimal. Das heißt, Stefan Trepte kehrte nach 1990 für den zur Oper gegangenen Manuel von Senden zu electra zurück. Seitdem spielen wir wieder gemeinsam, auch seine Lieder. Das sind nun schon wieder 17 Jahre... (lacht).
Ich möchte wieder zurück zu electras Musik kommen. Die Platten 5, 6 und 7 erschienen bis 1989. Es sollte noch eine weitere Platte folgen. Warum wurde die LP nicht realisiert?
Das hat direkt mit der Wende zu tun. Die Titel hatten wir bereits von Januar bis April in meinem Studio eingespielt. Einige, wie "Goldhamster", liefen auch im Rundfunk. Als die LP "Der aufrechte Gang" erscheinen sollte, gingen die Grenzen auf und uns lief das Publikum davon. Ich habe zu dieser Zeit eine Platte mit dem "Duo Sonnenschirm" (Beschattung durch Duo Sonnenschirm - Anm. d. Verf.) produziert. Eine wunderschöne Platte wie ich finde, die genau in den Herbst 89 hinein aufgelegt wurde, und völlig unbeachtet blieb. Sehr viele Leute waren zu der Zeit einfach nicht mehr bereit, sich weiter das anzuhören, was sie 40 Jahre lang hatten. Sie wollten verständlicherweise eher die großen Namen hören und sehen, Verpasstes nachholen. Da ich unserem Album die Bedeutungslosigkeit ersparen wollte, haben wir es nicht veröffentlicht, und es ist fast in Vergessenheit geraten.
Das Album erschien 2004 zum Jubiläum "35 Jahre electra". Sind das die Orginaltitel, oder wurden sie technisch nachbearbeitet?
Das sind die Orginalaufnahmen. Wir wollten aus den vielen Titeln, die in der DDR nicht auf Platte erschienen waren, noch einige veröffentlichen. So holte ich mir Material aus dem Rundfunkarchiv und brachte es zu AMIGA. Unter anderem war da auch der "Goldhamster" dabei. Der Titel gefiel besonders und man fragte mich, ob es davon noch mehr gäbe. Ich antwortete: " ...davon haben wir eine ganze Platte ..." Die schickte ich an AMIGA, um zum Jubiläum eine bestmögliche electra-Werksausgabe herausgeben zu können. Amiga meinte, es wären zwar keine Megahits dabei, aber für eine Jubiläums CD würden sich diese neuen Titel sehr gut eignen. Die CD sollte in Berlin in einem Riesenstudio gemastert werden. Doch nicht die Technik macht die Qualität des Masterings, sondern der Mensch der dahinter steht. Ich war erstaunt, wie man einen Titel so verunstalten kann. Also hab' ich gesagt: "... so will ich das nicht!" und hab' das erste Mal eine CD selbst gemastert. Das gab etwas lange Gesichter bei AMIGA, zumal es Geld kostete. Es hat sich am Ende aber, glaube ich, gelohnt. Auch wenn ich ,wie mit den meisten unserer Titel, doch nicht 100% zufrieden bin. Die gemasterten Aufnahmen habe ich an Stefan Trepte geschickt. Dort klang das alles recht gut und so haben wir das Album von 1989 im Jahr 2004 herausgegeben.
Ist electra damit die Band mit dem ersten und letzten Rocksong der DDR?
Das kann ich nicht sagen und es wäre auch keine besondere Leistung.
Wird es noch einmal ein Album mit neuen oder unveröffentlichten Titeln von electra geben?
Das glaube ich nicht. Zu den Jubiläen haben wir ja viele bis dahin unveröffentlichte Titel auf je einer Doppel CD herausgebracht.
Dann ist es wohl jetzt Zeit, das Interview zu beenden, damit Sie sich für das Konzert vorbereiten können. Ich bedanke mich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen wie uns, dem Publikum, ein schönes Konzert!
Interview: Fred Heiduk
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Archiv electra
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Archiv electra