Cäsar Peter Gläser:
Waschküchen, Quietschtiere & Ulf Willi
Interview vom 22. März 2007
Interview vom 22. März 2007
Gäbe es den Begriff "bodenständig" noch nicht - für Peter Gläser, den schon in jungen Jahren wegen einer Ähnlichkeit mit dem römischen Kaiser Gaius Julius alle nur "Cäsar" nannten, müßte er erfunden werden. Es erscheint uns rückblickend immer noch unglaublich, mit welcher Selbstverständlichkeit, Gelassenheit und Ausführlichkeit sich die lebende Legende - in den letzten 40 Jahren immerhin stilprägend u.a. mit Szenedenkmalen wie Renft und Karussell entscheidend an der Entwicklung deutschsprachiger Rockmusik beteiligt - am 22.03.2007 unseren Fragen stellte und in einem mehr als dreistündigen (!) Gespräch so manches mal unsere Kinnladen meterweit herunterklappen ließ. Daher erübrigt sich auch jedes weitere einleitende Wort: Lehnt euch entspannt zurück und begebt euch mit Cäsar und uns auf eine historische Reise durch vier Jahrzehnte deutsche Rock-Geschichte.
Du hast schon kurz nach deiner Einschulung damit begonnen, mehr mit Musik anzufangen als sie nur zu hören. War die Ausbildung an der Volksmusikschule Leipzig ein freiwilliger Entschluß deinerseits und was hat dich angetrieben, so unpopuläre Instrumente wie Blockflöte, Klarinette und Fagott zu erlernen?
Ja, es war ein freiwilliger Entschluss. Das ging schon los, als ich noch ein kleiner Junge war. Da hat mich bereits das Klavier, das im Kindergarten stand, gereizt zu versuchen, ihm ein paar Töne zu entlocken. Etwas später bekam ich von meinen Eltern zu Weihnachten ein Xylofon geschenkt und habe auch daran eine Menge Spaß gehabt. So ging das weiter bis ich bei der Blockflöte landete. Die zu beherrschen habe ich sechs Jahre lang intensiv gelernt und danach zwei weitere Jahre freiwillig drangehangen. Aufgrund der Ernsthaftigkeit und der auch vorzeigbaren Erfolge meiner Bemühungen, wurde mir nahe gelegt, einem Musikstudium zuzustreben. Dafür musste man allerdings Klavier spielen können, also nahm ich zwei Jahre Klavierunterricht. Die Klarinette hat mir einfach gefallen, das war gewissermaßen meine erste Liebäugelei mit der leichten Muse, der Tanzmusik, ausgelöst durch einen englischen Klarinettisten namens Mr. Acker Bilk, der damals ziemlich angesagt war. Das Fagott konnte ich allerdings nie so richtig leiden und ich kann heute gar nicht mehr genau sagen, wie ich dazu gekommen bin. Wahrscheinlich war das als eine Art Hintertür gedacht, falls ich doch eher in der ernsten Musik landen würde, ging aber nur ein Jahr.
Ja, es war ein freiwilliger Entschluss. Das ging schon los, als ich noch ein kleiner Junge war. Da hat mich bereits das Klavier, das im Kindergarten stand, gereizt zu versuchen, ihm ein paar Töne zu entlocken. Etwas später bekam ich von meinen Eltern zu Weihnachten ein Xylofon geschenkt und habe auch daran eine Menge Spaß gehabt. So ging das weiter bis ich bei der Blockflöte landete. Die zu beherrschen habe ich sechs Jahre lang intensiv gelernt und danach zwei weitere Jahre freiwillig drangehangen. Aufgrund der Ernsthaftigkeit und der auch vorzeigbaren Erfolge meiner Bemühungen, wurde mir nahe gelegt, einem Musikstudium zuzustreben. Dafür musste man allerdings Klavier spielen können, also nahm ich zwei Jahre Klavierunterricht. Die Klarinette hat mir einfach gefallen, das war gewissermaßen meine erste Liebäugelei mit der leichten Muse, der Tanzmusik, ausgelöst durch einen englischen Klarinettisten namens Mr. Acker Bilk, der damals ziemlich angesagt war. Das Fagott konnte ich allerdings nie so richtig leiden und ich kann heute gar nicht mehr genau sagen, wie ich dazu gekommen bin. Wahrscheinlich war das als eine Art Hintertür gedacht, falls ich doch eher in der ernsten Musik landen würde, ging aber nur ein Jahr.
Könntest du diese Instrumente heute noch spielen? Sie kamen in deiner eigenen Musik ja nur selten oder gar nicht zum Einsatz ...
Blockflöte sowieso, die spiele ich ja heute noch bei Konzerten und habe damit auch einen Teil meines eigenen Sounds kreiert. Klarinette nicht mehr so, aber ich habe auf dem Jubiläumskonzert "40 years on stage" mal Saxophon gespielt, das ist etwas Ähnliches. Aus dem Fagott würde ich aber wohl keinen Ton mehr herausbringen.
Warum hast du dann später doch auf Gitarre "umgesattelt" und warum in diesem Fall autodidaktisch?
Es kam die Pubertät, die Beatles, die Stones - die Gitarre wurde unheimlich populär und ich wollte das einfach auch können. Da ich über eine gute Vorausbildung verfügte, Noten kannte, Klavier spielen konnte usw. kam ich auf der Gitarre recht schnell zurecht. Durch mein geschultes Gehör konnte ich das Instrument zum Beispiel quasi auf Anhieb stimmen, was sehr wichtig ist. Außerdem hatte ein Schulfreund einen Onkel, der Gitarrist war und uns vieles zeigte.
Es kam die Pubertät, die Beatles, die Stones - die Gitarre wurde unheimlich populär und ich wollte das einfach auch können. Da ich über eine gute Vorausbildung verfügte, Noten kannte, Klavier spielen konnte usw. kam ich auf der Gitarre recht schnell zurecht. Durch mein geschultes Gehör konnte ich das Instrument zum Beispiel quasi auf Anhieb stimmen, was sehr wichtig ist. Außerdem hatte ein Schulfreund einen Onkel, der Gitarrist war und uns vieles zeigte.
War dein Entschluß, eine Lehre als Elektromonteur zu beginnen, eher ein Notnagel oder schon eine ernsthafte Angelegenheit? Hast du zu dieser Zeit schon damit geliebäugelt, eventuell Profi-Musiker zu werden?
Das war eine Idee meines Vaters, der wollte, dass ich einen "richtigen" Beruf erlerne. Darunter verstand er eine Arbeit mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Elektriker war so etwas, Musiker eher nicht. Zumindest nicht für meine Eltern. Da hätte mir ja zum Beispiel mal was auf die Finger fallen können oder so ... obwohl das bei einem Elektromonteur wahrscheinlicher ist (lacht). Es war also schon ein Notnagel. Wir - mein Freund Frank "Bello" Belke und ich - haben uns da ein bisschen über die Lehrzeit gemogelt, unser Geld gespart und uns dafür Verstärker und Instrumente gekauft. Er konnte sehr gut singen und Rhythmusgitarre spielen, ich hatte mehr das Melodische im Blut - so sind wir recht schnell ein Team geworden.
In deiner Vita steht, daß du kurze Zeit später von Klaus "Renft" Jentzsch entdeckt wurdest. Aber wie entdeckt man einen angehenden Gitarristen beim VEB Energieversorgung!?
Das war die Zeit, als die Waschküchen frei wurden, denn die Waschmaschine war erfunden. Und diese Waschküchen, von denen es in Leipzig unheimlich viele gab, waren ideale Proberäume. Es gab da eine richtige Bewegung, man ist von Waschküche zu Waschküche gezogen und hat Musik gemacht. So ähnlich wie bei der Wanderbewegung der Handwerker: Man reist von Keller zu Keller, lernt das eine hier, das andere dort, bringt eigene Erfahrungen wieder mit ein usw. Es ging dabei natürlich hauptsächlich ums "Nachspielen", zu entdecken, was die Beatles gerade für neue Harmonien erfunden hatten, die Hits der Zeit eben. In dieser Szene konnte man recht bekannt werden, denn es gab einen Wettbewerb, wer am schnellsten lernt oder am besten spielt und das sprach sich dann herum. Klaus Renft hatte seinerzeit die Butlers am Start und die waren meine Helden. Ich habe die Band zweimal live gehört, wobei ich sie das erste mal eigentlich NICHT gehört habe. Sie traten in der Messehalle auf, ich ging als 16jähriger hin, um mir anzusehen, was da so läuft. Die Leute dort haben einen mächtigen Krach veranstaltet, gekreischt und Rabatz gemacht - dagegen kam die kleine Anlage der Butlers nicht an und man hörte einfach nichts, so dass ich enttäuscht wieder abzog. Beim zweiten mal im Kino Capitol, während einer Sonntagsmatinee, war es dann besser und ich konnte sie wirklich hören. Ich war total begeistert, die Butlers waren Götter für mich! 1965 kam es zum so genannten "Beatkrawall": Die Amateurbands wurden verboten, was natürlich auch die Butlers betraf. Die Leute wurden teilweise mit Wasserwerfern auseinandergespült und im Schnellverfahren in den Braunkohlentagebau gesteckt. Ein Jahr später wollte Klaus eine neue Band aufbauen und suchte dafür nach Leuten. Er hatte durch die angesprochene "Waschküchengeschichte" von mir gehört und mich eingeladen. Er probte gerade mit Christiane Wunder (später Christiane Ufholz). Als ich da ankam stand ein Polizeiauto vor der Tür, denn die Nachbarn hatten sich über den Lärm beschwert. Kurzerhand nahm er mich mit nach draußen und es kam zu dem berühmten Vorspielen auf der Parkbank. Ich sollte "Monday, Monday" von The Mamas & The Papas spielen, um zu zeigen, ob ich das kann. War natürlich kein Problem für mich, ich hatte die gängigen Hits alle drauf. Durch die "Kellerwanderungen" war ich erfahren und konnte die Hitparade rauf und runter spielen. Er war hingerissen und sprach: "Dich nehm' ich!"
Jentzsch wurde dann sowas wie dein Förderer, du bist schon als Minderjähriger mit ihm aufgetreten. Wie stark hat er deine Entwicklung beeinflußt bzw. gelenkt?
Klaus war einige Jahre älter als ich, was heute vielleicht gar nicht mehr so stark ins Gewicht fallen würde, aber acht Jahre machen bei einem 16jährigen schon viel aus. Er war ein Star - ich ein kleiner, schüchterner Junge. Er verfügte schon über einiges an Lebenserfahrung und so wurde ich gewissermaßen sein "Ziehkind". Wir haben dann auch im "Intermezzo" (gegenüber der Thomaskirche) zum Tanz gespielt, von wo mich mein Papa immer um zehn abholte, weil meine Mama der Meinung war, ein 16jähriger müsse um zehn zu Hause sein. Ich glaube, er hat mich sogar schon dreiviertel zehn abgeholt (lacht). Um zur Frage zurückzukommen: Klaus hat mich schon sehr beeinflusst.
Wie entstand die Klaus-Renft-Combo?
Nach den Butlers war es Klaus eigentlich auf Lebenszeit verboten, Musik zu machen. Doch das wurde wenig später ein bisschen aufgeweicht, so dass er zwar wieder eine Band gründen konnte, die aber nicht seinen Namen tragen und ihn auch nicht als Chef ausweisen durfte. Deswegen hieß das Ganze ab 1966 Ulf Willi Quintett. Ulf Willi war übrigens derjenige, der mich in den Waschküchen entdeckt und vorgeschlagen hatte. Wir waren also das Ulf Willi Quintett oder ... Quartett oder ... Sextett usw., je nachdem, wie viele Musiker gerade in der Band spielten. Das wechselte ziemlich oft.
Unter welchen Bedingungen arbeitete die Band damals und was brachte sie zustande und auf die Bühne?
Wir waren natürlich "Kinder unserer Zeit", Klaus zum Beispiel war ein großer Stones-Fan. Gleichzeitig reifte aber auch schon der Gedanke, deutschsprachige Musik zu machen. Englisch konnten wir ja alle nicht, hatten zwar das Gefühl für diese Musik, verstanden aber nichts, so dass Klaus auf die Idee kam, das Ganze auf Deutsch zu entwickeln.
Die deutsche Sprache war also nicht vorgeschrieben?
Nein, daran war in den Sechzigern noch nicht zu denken. Das war ein Entschluss von Klaus, den man damals "Die Nase" nannte, weil er seiner Zeit immer ein bisschen voraus war. Mir gefiel der Gedanke recht gut, zumal ich ebenso wenig mit Englisch anfangen konnte, wie die anderen. Es war so, dass man, um in der Schule überhaupt zu einer zweiten Fremdsprache zugelassen zu werden, in Russisch mindestens eine Zwei haben musste. Ich hatte eine Vier - also keine Chance. Doch wie sollte man das aufziehen, ohne dabei zum Schlager zu tendieren? Deutsche Schlager gab es ja schon, sehr erfolgreich sogar. Aber wir hatten das Gefühl, dass es etwas anderes sein musste, als "Susi, ich liebe dich", "Warum warst du gestern nicht da" und ähnliches. Damit war der Grundstein dafür gelegt, dass wir eigene Sachen machen wollten. Texte hatten wir allerdings noch nicht, dafür waren wir viel zu scheu und unerfahren. So haben wir es fertig gebracht, einmal, 1968 im Kulturhaus "Zur Sonne" in Schkeuditz, unseren Abend mit eigener Musik auf "Pseudo-Englisch" zu bestreiten, also einer Sprache, die es gar nicht gab und Texten ohne jeglichen Sinn, die sich irgendwie englisch anhörten. Unser Publikum war trotzdem begeistert, denn die Musik gefiel und Englisch verstand es ja auch nicht. Wir aber wurden mehr und mehr von dem Gedanken beseelt: "Deutsch, Deutsch, Deutsch!", waren jedoch noch nicht soweit. Es gab ein einziges Lied, das wir auf Deutsch vortrugen, das hieß "Der dunkle Weg". Der Text war von Manfred Wagenbreth, der anfangs bei der Combo mit von der Partie war, wegen seines Sprachstudiums (Englisch, Französisch) aber wieder ausstieg. Er wurde später Musikredakteur beim MDR und Sänger der Bierfiedler, die heute Sieben Leben heißen.
War der spätere Status der Gruppe schon "ahnbar"?
Ach, wir waren sehr naiv damals. Ich weiß nicht, was Klaus geahnt hat - ich jedenfalls habe gar nichts geahnt. Ich hatte einfach Freude daran, ein Teil des Ganzen zu sein. Erfolg hatten wir auch gleich von Anfang an, so dass es viel Spaß machte. Über andere, weitergehende Dinge habe ich mir nicht den Kopf zerbrochen.
Existierte die Combo weiter, als du 1968 zum Grundwehrdienst eingezogen wurdest und wenn ja: Wie hat sie deine Abwesenheit "kompensiert"?
Die Band existierte weiter. Hier kommt mein Freund "Bello" wieder ins Spiel. Wir hatten uns nach der Aufhebung des Verbots der Beatmusik beide beim Studio Team Leipzig beworben - er wurde genommen, ich nicht (was auch gut so war). Er war also beim Studio Team, ich bei Renft. Als ich zur Armee eingezogen wurde, stieg er bei Studio Team aus und an meiner statt bei Renft ein (die Gruppe hieß aber immer noch Ulf Willi). Nach einem halben Jahr musste auch er zur Armee und es kam Jürgen Matkowitz (später Gruppe Prinzip) dazu. Als der wiederum zur Armee gezogen wurde, war meine Armeezeit gerade beendet und ich stieg wieder ein. Gesungen hat in dieser Zeit übrigens Hans-Jürgen Beyer, ein toller Sänger, der wirklich alles drauf hatte. "Child In Time" von Deep Purple war für ihn überhaupt kein Problem. Er wollte aber lieber Schlagersänger werden und es war ein großes Glück, dass wir mit Thomas "Monster" Schoppe einen mindestens gleichwertigen Ersatz gefunden haben.
Du hast damals noch nicht gesungen?
Nein, nie. Mein erstes Lied war 1971 "Wer die Rose ehrt", unter Tränen im Studio erarbeitet (lacht). Das war wirklich nicht einfach für mich, zumal ich mit Deutsch auch so meine Probleme hatte als Sachse. Ich wollte es zwar, aber ich konnte nicht.
Wie hat sich die Tatsache, daß du Musiker warst, auf deine Soldatenzeit ausgewirkt? Welche Erfahrungen hast du bei der NVA gemacht?
Ich war mit dem Musiker Thomas Bürkholz zusammen an der Grenze. Bürkholz war übrigens ganz am Anfang auch Schlagzeuger bei Ulf Willi gewesen, wir kannten uns also und kamen da auf die Idee, eine Band aufzumachen. Das taten wir auch und haben dabei Jochen Hohl kennen gelernt, den späteren Drummer von Renft und Karussell, der allerdings zu dieser Zeit so ziemlich alles spielte, nur nicht Schlagzeug. Jedenfalls gründeten wir eine Armee-Band und hatten dadurch das Glück, nicht direkt zur Grenze zu müssen. Wir blieben im Ausbildungsobjekt Eisenach, machten Musik und brauchten uns nicht mit Schießbefehl und ähnlichen Dingen auseinandersetzen. Ich bin sehr froh, dass mir das erspart geblieben ist!
Bist du nach der Wehrpflicht wieder direkt bei Renft eingestiegen oder wurde die Gruppe neu gegründet?
Ich bin, wie schon erwähnt, direkt wieder für Matkowitz eingestiegen und brachte Jochen Hohl mit. Ich versuchte, Klaus zu überreden, dass wir noch einen in der Band brauchen und pries Jochen an als einen, "... der alles kann: Saxophon spielen, Klavier, singen ...". Renft ließ sich darauf ein und das erwies sich als gute Idee, denn der Schlagzeuger Fats Pachsteffel entschied sich, die Klaus Renft Combo zu verlassen, um zu Uve Schikora zu wechseln. Wir benötigten also einen neuen Trommler und Klaus verdonnerte Jochen dazu, Schlagzeug zu lernen. Nun war aber das Schlagzeug genau das Instrument, das Jochen niemals lernen wollte. Er hatte gute Ohren, konnte Harmonien erfassen, sich in Melodien hineindenken ... all das lag ihm unheimlich gut, nur Rhythmus nicht. Dennoch fand er sich in die Situation hinein, kaufte sich ein Schlagzeug und lernte in kurzer Zeit, es zu spielen. Später hat er das ja sogar studiert. Jedenfalls hat er zwei Wochen geübt und dann konnten wir schon wieder auftreten.
Mit welchen Ambitionen seid ihr dann gestartet und wie sah das diesbezügliche Umfeld aus?
Wir hatten immer noch vor, eigene und deutschsprachige Lieder zu machen. Ein bisschen war das inzwischen schon weiter gediehen, es gab ein paar Songs auf Deutsch, die von "Bello" geschrieben worden waren, an die ich mich aber nicht mehr so erinnern kann. Am Umfeld hatte sich nichts geändert. Man musste immer noch eine Arbeit nachweisen, wenn man Musik machen wollte, sonst bekam man keine Spielerlaubnis. Eine "richtige" Arbeit war aber für die Musik eher hinderlich, denn sie stahl einem die Zeit. Andererseits musste die Arbeitsstelle das Musikmachen genehmigen. Also hörten wir uns nach einer passenden Gelegenheit um. Es gab ein paar private Unternehmer, die halbtags Musiker einstellten. Man bekam dann einen Stempel ins SV-Buch (Sozialversicherungsnachweis - Anm.d.Verf.) und eine Befürwortung für die Musik. Wir waren für diese Betriebe billige Arbeitskräfte, konnten aber unserer Leidenschaft nachgehen, mit der wir ohnehin ein paar Mark mehr verdienten, die jedoch für Equipment und Instrumente wieder draufgingen. Der reine Idealismus eben! Ich zum Beispiel habe nach der Armee in einem Spielwarengroßhandel gearbeitet. Dort habe ich mich selber vor einen großen Handwagen gespannt und damit Pakete voller Gummibälle, Quietschtiere und anderem zur Post gebracht.
Was hat dich dazu bewogen, 1972 ein "richtiges" Musik-Studium zu beginnen?
Das hing damit zusammen, dass in dieser Zeit Radioleute durchs Land geschickt wurden, um Musiker zu finden. Die Weltfestspiele der Jugend standen vor der Tür und es wurden dringend Bands gebraucht, die junge Leute ansprechen konnten. Die Redakteure haben sich umgehört: Was gibt es für Gruppen, was spielen die usw. Wir sind dadurch aufgefallen, dass wir deutsche Titel aufführten und wurden als eine der ersten Combos ins Studio eingeladen. Parallel dazu hatten wir das Glück, Kurt Demmler kennen zu lernen, der uns einen richtig guten Text, nämlich "Wer die Rose ehrt", schrieb. Das war dann unser Start. Die Arbeit nebenher behinderte uns aber immer mehr, so dass uns klar wurde: Wir brauchen einen Berufsausweis. Es hieß dann: "Ok, ihr seid eine beliebte Band, seid schon im Radio zu hören ... usw. Ihr bekommt einen vorläufigen Berufsausweis mit der Auflage, die dafür erforderliche Qualifikation zu erlangen." Das bedeutete mindestens einen Fachschulabschluss als Musiker. Christian Kunert, Jochen und ich bewarben uns also für ein Studium und waren wenig später Mitglieder der ersten TUM-Klasse (Tanz- und Unterhaltungsmusik) an der Hochschule für Musik in Leipzig.
Als die erste Renft-LP 1973 erschien, war die Gruppe schon Kult. Was meinst du, woran das lag?
Vorteilhaft für die Bands war, dass es noch keine Diskotheken gab und wir auch deshalb sehr viel spielten. Überall, wo Musik gefragt war, lud man Bands ein. Und gute Bands wurden natürlich häufiger eingeladen. Wir hatten damals schon einige deutsche Lieder im Programm, die noch nicht im Radio zu hören waren. "Wer die Rose ehrt" gehörte ebenso dazu wie "Wandersmann" und "Zwischen Liebe und Zorn". Die wurden im Rundfunk durch Zuschriften von vielen Leuten schon auf Platz eins gewählt, obwohl es noch gar keine Aufnahmen davon gab. Das war natürlich für die Radiomacher ein Ansporn dafür, die Aufnahmen mit uns zu realisieren. So schaukelte sich das in gegenseitiger Symbiose immer weiter hoch.
Eine andere Sache war das mit den Texten. Wir hatten noch keine guten Beschallungsanlagen und mussten oft den Leuten die Texte aufschreiben, weil sie sie einfach nicht verstanden haben. Das ging so weit, dass wir manchmal vor dem eigentlichen Song den Text vorgelesen haben. Das gefiel den Leuten!
Wie gestalteten sich die Aufnahmen zur Platte "Klaus-Renft-Combo"?
Zuerst gab es nur die Rundfunkaufnahmen, denn der Rundfunk war ja der treibende Keil der ganzen Sache. Es gab zwei geeignete Studios, unseres war Studio 4. Ein sehr kleines Studio, aber es gab immerhin eine Hammond-Orgel da, die allerdings nicht funktionierte. (lacht) Die Technik kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Wir hatten vier Spuren zur Verfügung. Zum Vergleich: Heute benutzt man allein für das Schlagzeug 9-10 Spuren. Wir hatten nur vier für die ganze Aufnahme! Daraus erklärt sich auch der etwas merkwürdige Sound. Wir haben die vier Spuren also voll gespielt und immer weise vorausgemischt, mussten also stets im Hinterkopf haben, wie das am Ende klingen soll, denn am Mix konnte man nichts mehr ändern, wenn die Aufnahme im Kasten war. Dann wurde noch draufsynchronisiert, z.B. Sologitarren und natürlich der Gesang. Wir haben viel über den Klang gemeckert, das gefiel uns nicht so. Dazu kam noch etwas anderes: Es gibt in der mit Bändern aufgenommenen Musik ein Grundprinzip: Man kann das analoge Material übersteuern, wodurch sich eine so genannte Bandsättigung ergibt. Das klingt dann ganz fett. Heute macht man das anders, aber damals wäre es eine Möglichkeit gewesen, dass die Aufnahme ein bisschen besser klingt. Dagegen hatte die Post etwas! Der DDR-Post gehörte nämlich die gesamte Technik, die im Rundfunk installiert war. Sie hatte die Idealvorstellung, dass ein gewisser Pegel nicht überschritten wurde. Null db war die Grenze, mehr durfte nicht sein. Außerdem war festgelegt, dass man täglich nur vier Stunden aufnehmen durfte, was den kreativen Prozess schon erheblich bremste. Die Rundfunkleute waren dennoch sehr engagiert und manchmal erwischten wir auch einen Techniker der Post, der uns ein bisschen mehr erlaubte, als vorgeschrieben war, aber man musste natürlich trotzdem mit dem auskommen, was gegeben war.
Für die Platte war es für AMIGA am bequemsten, einfach die erfolgreichen Rundfunkaufnahmen auf Vinyl zu pressen. Allerdings hatten wir noch nicht genug Lieder für das ganze Album, so dass wir noch einige gesondert aufnahmen. Andere haben wir auch ein zweites mal eingespielt, weil die erste Aufnahme nicht gut genug war. Es gibt zum Beispiel zwei Varianten von "Cäsar's Blues", die lange mit dem "Affengebrüll" in der Mitte ist bei AMIGA entstanden, die kürzere und einen halben Ton tiefere beim Rundfunk.
Das Album fiel vor allem durch seine Vielfältigkeit auf, die dennoch am Ende einen homogenen Eindruck hinterließ. Wie habt ihr die verschiedenen Vorlieben der einzelnen Musiker so gut unter einen Hut bekommen?
Die Antwort steckt eigentlich schon in der Frage. Das lag einfach daran, dass jeder gemacht hat, was er wollte. (lacht) Die Chemie innerhalb der Band war so gut, dass, wenn einmal eine Idee da war, jeder drauflos spielte und es meistens auch gleich passte. "Zwischen Liebe und Zorn" zum Beispiel haben wir nie geübt, das ist aus einem gemeinsamen Jam heraus entstanden. Desgleichen "Besinnung" oder "Cäsar's Blues". Natürlich haben wir uns auch manchmal gefetzt, doch das war immer produktiv und trug zu einem guten Ergebnis bei, zumal dennoch jede subjektive Sicht mit einfloss. Gab es eine Idee zu einem Countrysong und es war einer unter uns, der Country überhaupt nicht leiden konnte, hat er eben das seine dazu getan, dass es nicht wie Country klingt. Dadurch erhielt alles irgendwie eine persönliche Note aller Beteiligten und jeder konnte damit leben.
Wie kam das Album beim Publikum an und wie wirkte es sich auf die folgenden Konzerte aus?
Das Album kam ja eigentlich nicht beim Publikum an, sondern war schon da. Man kannte die Songs alle bereits und konnte sie endlich in einer Tüte nach Hause tragen. Da war nichts Überraschendes dabei. Bei uns lief das eben andersherum. Wenn ein neuer Song vorhanden war, wurde er auch gleich gespielt. Die Platten waren die Folge davon.
Welche Rolle spielten die Texte für euch? Immerhin waren sie sehr ambitioniert und transportierten auf faszinierende Weise Botschaften und Interpretationen des Alltags, ohne jedoch allzusehr auf den erhobenen Zeigefinger zu setzen ...
Was soll ich dazu sagen? Natürlich legten wir großen Wert auf unsere Texte, aber wir schrieben sie ja nicht selbst. Wir hatten mit Gerulf Pannach und Kurt Demmler zwei engagierte und äußerst fähige Texter, die sich gegenseitig anheizten. Für uns kam es darauf an, dass wir die Texte transportieren konnten und die Botschaft stimmte. Das war in der Regel der Fall. Sicher haben wir auch mal einen Text abgelehnt, waren aber im Großen und Ganzen bei Pannach und Demmler sehr gut aufgehoben.
Es kam auch vor, dass wir Texte angenommen haben, die jedoch der Staat ablehnte. In vielen Fällen entstanden dann sogar bessere Versionen. Das betrifft vor allem die zweite Platte.
Mit Songs wie "Zwischen Liebe und Zorn", "Ketten werden knapper" oder "Wandersmann" habt ihr euch textlich ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt, während auf der anderen Seite Texte wie "Chilenisches Metall" oder "So starb auch Neruda" eindeutig (nennen wir es mal) "sozialistisch geprägt" waren. Wie paßt das zusammen?
Das ist immer eine Auslegungssache. Bei "Wandersmann" etwa bezog sich das "Gehen auf der Stelle hab ich nie gekonnt" auf die Fortschrittlichkeit des Sozialismus gegenüber des Kapitalismus und wurde auch so gesehen. Zu "Zwischen Liebe und Zorn" gibt es eine Geschichte: Das war zu der Zeit, als wir noch keinen Berufsausweis besaßen und uns regelmäßig einstufen lassen mussten. Bei so einer Einstufung hatten wir Gerulf mit dabei, der, bevor wir das Lied spielten, aus dem "Kommunistischen Manifest" von Karl Marx zitierte. Da haben einige Genossen den Saal verlassen und uns damit einen Riesenvorteil in die Hand gespielt. Denn dass sich Staatsorgane einfach abwenden, wenn Teile des Manifests verlesen werden, ging ja eigentlich gar nicht. Für uns war das ein Trumpf, wir hatten später ganz schnell unsere Berufsausweise in der Tasche. Ob das damit zusammenhing? Wer weiß ...
Jedenfalls haben wir dann "Zwischen Liebe und Zorn" gespielt und da war schwer ranzukommen. In dem Text werden ja die Ideale des Sozialismus aufgezählt, zum Beispiel dass jeder nicht immer nur an sich denkt. In den Strophen wird das von Monsters Gebrüll in Geschichten gepackt, bevor ich wieder beginne, den philosophischen Teil vorzutragen. Grundsätzlich muss ich sagen, dass wir keine Sozialismus-Feinde waren, wir wollten nicht im Westen wohnen oder so. Wir hatten aber eigene Vorstellungen von einem freiheitlichen Sozialismus und brachten das zum Ausdruck. Insofern passten für uns auch Texte wie "Chilenisches Metall" ins Bild. Ungewöhnlich für eine sozialistische Regierung war ja, dass Allende nicht durch Revolution ins Amt kam, sondern gewählt wurde. Ich weiß nicht genau, ob das ganz neu war, auf jeden Fall aber bemerkenswert und irgendwie auch beeindruckend. Das hielt zwar nicht lange, hat uns aber doch bewegt. Insofern war es für uns normal, es zum Thema zu machen. Dafür wurden wir hier und da auch als "Der rote Renft" beschimpft, aber wir standen dazu.
Auf der Folgeplatte, schlicht "Renft" betitelt, war ein ziemlich abrupter Stilwechsel zu verzeichnen, die Songs waren weit weniger zugänglich und auch nicht mehr so heiter, wie noch ein Jahr zuvor. Wie kam es zu diesem Wechsel? Und warum habt ihr den Namen der Band gekürzt?
Beim Namen haben wir einfach die Kurzform übernommen, die die Leute sowieso schon benutzten. Das hatte keine besonderen Hintergründe. Der Stilwechsel ist damit zu erklären, dass wir uns weiterentwickelt hatten und von der sehr volkstümlichen Musikform der ersten Platte wegwollten. Zu dieser Zeit war ArtRock stark im Kommen, zum Beispiel YES oder Emerson, Lake & Palmer. Das hat uns angesprochen und wir wollten auch in diese Richtung. Dazu kommt, dass die fröhliche und offene Stimmung im Land nach den Weltfestspielen 1973 wieder runter gefahren wurde und teilweise gar nichts mehr ging. Wir merkten also, dass alles nicht so einfach war, wie es eine zeitlang schien und das spiegelte sich auch in der Musik wider. Außerdem habe ich vorhin schon erwähnt, dass es bei dieser Platte eine Menge Ärger um die Texte gab. Das ging soweit, dass das ganze Album wieder eingestampft werden sollte, weil gewisse Hardliner nicht mit den Texten zurechtkamen.
Die Zwangsauflösung von Renft ist hinlänglich bekannt, die Gruppe wird da heute stets ein wenig als "Opfer" glorifiziert. Betrachtet man sich die Sachverhalte näher, kommt man aber auch zu dem Schluß, daß ihr euer Ende provoziert haben müßt. Es muß euch doch klar gewesen sein, daß ihr mit Songs wie der "Rockballade vom kleinen Otto" die Staatsmacht nicht nur auf den Plan ruft sondern sie geradezu herausfordert? Was waren die Gründe dafür?
So berechnend waren wir nicht, für uns musste es einfach nur stimmig und geradlinig sein. Außerdem waren wir durch unsere Erfolge vielleicht auch ein bisschen übermütig. Auf jeden Fall hatten wir stets den Honecker-Satz im Hinterkopf, dass es keine Tabus in der Kunst und Kultur gibt, solange wir weltanschaulich fest auf dem Boden des Sozialismus stehen. Wir STANDEN fest auf dem Boden des Sozialismus und waren deshalb der Meinung, dass wir das dürfen und tatsächlich keine Tabus beachten müssen. Ein Irrtum ...
Welche Auswirkungen hatte die Zwangsauflösung auf dich persönlich?
Ich bin von der Hochschule für Musik geflogen, wegen "schlechter Studiendisziplin", hatte dann erstmal ein dreiviertel Jahr nichts zu tun, außer dass wir - also die gerade aufgelösten Renfts - heimlich im Tanzsaal "Haus Wiederitzsch" die "Otto-Ballade" und "Glaubensfragen" aufnahmen. Es ahnte wohl keiner, dass wir technisch dazu in der Lage waren oder es interessierte nicht mehr ... auf jeden Fall konnten wir diese beiden Songs ungestört auf Band verewigen. Dazu kam noch, dass wir bei Klaus in der Wohnung für die ZDF-Sendung "Kennzeichen D" den Titel "Glaubensfragen" spielten und ein Interview gaben. Für uns war das die Möglichkeit, den Leuten, die vergeblich Briefe an den Rundfunk schrieben, die Ereignisse nahe zu bringen. Es wusste ja nicht jeder, was passiert war. Renft war einfach plötzlich von der Bildfläche verschwunden, was - wenn überhaupt - nur fadenscheinig begründet wurde. Also lief die Wahrheit über den West-Sender. Ansonsten habe ich eigentlich nur herumgesessen und mich geärgert.
Unter welchen Voraussetzungen startete dann die neue Gruppe Karussell?
Die wenigsten wissen, dass wir recht schnell - einzeln und nach und nach - unsere Spielerlaubnis wiederbekamen. Allerdings war das an die Auflage gebunden, dass wir nicht als Renft und nicht zusammen auftreten. Jochen war schon eine Weile mit Jazzer, einem Fusion-Musiker, unterwegs, und sollte mich fragen, ob ich nicht Lust hätte, an einer neuen Gruppe zu partizipieren, die Wolf-Rüdiger Raschke gerade aus Fusion formte. Also sahen wir uns die Band einmal an, waren angetan von ihrem Sound, der uns ein wenig an Renft erinnerte - obwohl keine eigenen Titel im Repertoire waren - und fanden die Idee sehr gut. Ich muss jedoch gestehen, dass ich den geplanten Namen Karussell als nicht so toll empfand, das klang so beliebig und nach Volksfest. Daran war jedoch nicht zu rütteln, aber Raschke hatte auch Recht. Er meinte, Karussell sei ein internationales Wort, das man überall zuordnen und behalten kann, was sich später als richtig erwies. Jedenfalls beschloss ich, da mitzumachen und die Sache kam ins Rollen.
Obwohl das gegen die Auflage verstieß, daß keine ehemaligen Renft-Musiker zusammen auftreten sollten??
Jochen Hohl war da wohl die Ausnahme, mit ihm hätte wahrscheinlich jeder zusammen spielen können. Die Sache wurde aber auch nicht allzu streng genommen, denn wenn ich mich recht erinnere, wurden auch Kunert und Pannach für ein gemeinsames Programm zugelassen, ehe sie im Gefängnis landeten. Letzteres hing dann auch mehr mit Biermann zusammen und hatte mit dem Renft-Verbot nichts oder nur wenig zu tun. Zurück zu Karussell: Die Band wurde im Sommer 1976 gegründet und hatte es am Anfang richtig schwer, als bekannt wurde, dass Hohl und Gläser mit von der Partie sind. Dazu muss man wissen, dass man, wenn man als Künstler verboten wurde, mit Name und Adresse auf einer schwarzen Liste landete, die unter den Bezirksverwaltungen verteilt wurde. Für Konzerte mussten natürlich Verträge abgeschlossen werden, auf denen die Namen der Beteiligten vermerkt waren und sobald unsere Namen in dem Zusammenhang auftauchten, gab es regelmäßig Ärger und Absagen. Das hat uns ganz schön erbost, denn wofür bekommen wir unsere Spielerlaubnis wieder, wenn wir dann doch nicht auftreten dürfen!? In dieser Situation wurde uns geraten, unseren Wohnsitz nach Berlin zu verlegen und dort die Spielerlaubnis zu beantragen. Das taten wir und siehe da: Plötzlich hatten wir schlagartig Ruhe. Anderthalb Jahre dauerte das etwa.
Wir fanden es stets ein wenig seltsam, daß sich kurz nach einem so rigorosen Vorgehen der Staatsmacht gegen eine Rockband aus ihrem "Rest" nicht nur eine neue Band formieren konnte, sondern diese sogar offen und unverhohlen dort anknüpfte, wo die "ausgestoßene" aufgehört hatte, indem z.B. Songs wie "Besinnung" und später auch "Wer die Rose ehrt" übernommen wurden. Wie erklärst du dir diese scheinbare Inkonsequenz?
Das ist in der Tat ein wenig seltsam und ich muss dazu etwas weiter ausholen. Bezüglich des Renft-Verbotes gab es nämlich eine große Uneinigkeit zwischen Berlin und Leipzig. Während man in Berlin eher dafür war, Renft weitermachen zu lassen, fuhr Leipzig den harten Kurs und setzte ihn bekanntlich auch durch. Da sind anschließend sogar "Köpfe gerollt". Unter anderem wurde Ruth Oelschlegel, die das Verbot ausgesprochen hatte, von ihrer bisherigen Position weggelobt. Das war in der DDR so: Wenn ein ansonsten verdienter Genosse einen Fehler gemacht hatte, wurde er einfach in eine andere Stellung delegiert, die dem Anschein nach sogar höher einzuschätzen war, als die vorherige. Die Hauptsache war aber, dass die betreffende Person aus dem Blickwinkel herauskam. Frau Oelschlegel also, bisherige Chefin der Konzert- und Gastspieldirektion Leipzig, wurde zur Leiterin des Bach-Archivs im Goliser Schlösschen, wo sie mit absoluter Sicherheit nie wieder etwas mit Rockmusik und Politik zu tun haben konnte. Betraf auch andere, aber die habe ich nicht mehr im Kopf. Jedenfalls vertraten die Berliner Kulturmächtigen die Auffassung, dass die wertvollen Renft-Lieder der sozialistischen Kultur erhalten bleiben müssten. Das Problem war aber, dass die Aufnahmen von Renft im Giftschrank lagerten und somit nicht gespielt werden konnten. Deshalb war man über die Existenz von Karussell ganz froh und legte uns keine Steine in den Weg, als wir zunächst "Besinnung" und später "Wer die Rose ehrt" neu aufnehmen wollten. Immerhin waren es nicht nur die gleichen Songs, sondern auch die gleiche Stimme, was die Identifikation erleichterte.Anfangs haben wir uns kaum getraut, unseren Produzenten zu fragen, ob wir nicht "Besinnung" machen könnten - er jedoch meinte nur: "Klar, kein Problem." Wir sahen uns ungläubig an und waren uns nicht sicher, ob wir richtig gehört hatten. Es war plötzlich das normalste der Welt, "Besinnung" noch einmal aufzunehmen und man bot uns gleich mit an, "Wer die Rose ehrt" ebenfalls zu machen. Das landete dann auf der zweiten Platte.
Gab es Kontrollen und bestimmte Auflagen?
Das übliche halt: 60:40 und all das. Das betraf uns aber als Band weniger, denn wir spielten ja hauptsächlich eigene Songs. Zu Anfang zwar nicht, aber die Leute von der AWA (DDR-Gegenstück zur GEMA - Anm.d.Verf.) kannten die Sachen, die wir spielten, sowieso nicht. Klar, "Satisfaction" von den Stones, das wir auch im Programm hatten, war bekannt, aber anderes von Vanilla Fudge und ähnliches kannten die nicht. Das haben wir bei Kontrollen einfach als eigene Songs ausgegeben. Außerdem waren die Kontrolleure leicht auszumachen, denn die wollten am Einlass ja nicht bezahlen. Da wurde eben mal schnell kurz das Licht gelöscht und wir wussten, dass wir aufpassen und unser Programm "anpassen" müssen. (lacht)
Die drei Karussell-Alben "Entweder - oder", "Das einzige Leben" und "Schlaraffenberg" zählen für uns zu den absoluten Highlights der DDR-Rockmusik überhaupt. Was bedeuten dir diese Platten rückblickend?
Für mich waren diese Alben ein guter Anschluss an die Renft-Tradition. Das war mein Antrieb und meiner Meinung nach hat das auch gut funktioniert. Vor allem bei den ersten beiden Alben. "Schlaraffenberg" fand ich schon nicht mehr so toll, da begann das alles nachzulassen, weshalb ich danach auch ausgestiegen bin.
Auch bei Karussell wurden unterschiedliche Stile zu einem homogenen Ganzen verschmolzen. Welche Unterschiede gab es bei der Arbeit im Vergleich zur Renft-Combo?
Bei Karussell herrschte oft mehr Ratlosigkeit, wie man bestimmte Ideen umsetzen sollte, als bei Renft. Deshalb hört man bei Karussell auch meine Handschrift immer wieder durch, selbst wenn die Songs nicht von mir waren. Lieder waren immer genug da, aber man wusste nicht so recht, wie man damit umgeht. Darum habe dann meistens ich mich gekümmert. Bei Renft wurden die Ideen gleich von allen umgesetzt, man spielte einfach drauf los und es passte, weil eben jeder wusste, was er will. Bei Karussell musste das alles erst durchexerziert werden. Man könnte sagen, dass Renft eher aus dem Bauch arbeitete und Karussell mehr nach dem Kopf. Musikalisch jedenfalls.
Welche Rolle spielte der Renft-Mythos für die Karriere von Karussell?
Eine große. Es konnte einer Band wie Karussell gar nichts Besseres passieren. Die Leute waren sofort aufmerksam, da sich die Machart der Songs bekannt anfühlte und letztlich auch durch meine Stimme an Renft anschloss. Somit hatte es Karussell beim Publikum gleich ziemlich leicht. Vor allem natürlich bei den Renft-Fans (aber auch nicht bei allen, viele hatten dem "Original" die Treue geschworen), die einen Ersatz für das bekamen, was sie verloren hatten, der sogar recht ähnlich daherkam, wenn es auch nicht völlig dasselbe war. Im Laufe der Zeit geriet das mehr und mehr in Vergessenheit, weil auch die Generation der Zuhörer wechselte, die Renft nicht mehr erlebt hatte.
Dein Ausstieg kam für viele sehr überraschend, war doch Karussell für den unbeteiligten Beobachter eine aufstrebende Gruppe, die von Erfolg zu Erfolg eilte, was man nicht zuletzt auch mit deiner Person verband (Der Sound der Band änderte sich ja nach deinem Weggang auch prompt in eine weniger originelle Richtung ...). Was hat dich zur Abkehr von Karussell bewogen?
Man hat sich selber einfach zu sehr beschnitten, das hatte mit dem Renft-Gedanken nichts mehr zu tun. Es wurde vieles angezweifelt, was vor allem auch Kurt Demmler auf die Palme trieb, der in bestimmte Texte "Trojanische Pferde" einbaute, also Textstellen, auf die sich das Lektorat mit Sicherheit stürzen würde, um von den wahren Absichten abzulenken, die dadurch weniger auffielen und dann eben abgesegnet wurden. Diese Selbstbeschneidung hat auch mich sehr gestört und ich habe schließlich die Konsequenz gezogen.
Du hast dann in der AMIGA-Blues-Band Gitarre gespielt. Erzähl uns bitte etwas zu diesem Projekt.
Die Idee hatte Hansi Biebl, der aber dann gar nicht dabei war, weil er aus Ärger mit den Kulturbehörden einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Der Gedanke blieb aber, AMIGA hat ihn schließlich doch übernommen und die Platte gemacht. Das war 1983. Die Sache hatte Projekt-Charakter, obwohl wir auch ein paar Konzerte gespielt haben. Die Beteiligten kamen aus den verschiedensten Bands: Modern Soul, Monokel, Engerling, Silly ... Goro von City/NO55 war auch dabei. Gemeinsam gaben wir Blues-Klassiker zum Besten. Hat für den Moment Spaß gemacht, war dann aber auch wieder vorbei.
Der Blues war auch in deiner Vergangenheit schon öfter in deinen Arbeiten an geklungen. Was bedeutet dieser Stil für dich?
Gar nicht so sehr viel wie immer vermutet wird, obwohl ja vieles auf dem Blues basiert. Darauf festlegen wollte ich mich aber nie, mir kam es stets auf Vielseitigkeit an.
Dein neues Projekt Cäsars Rockband hat an frühere Erfolge mit Renft und Karussell nie anknüpfen können. Warum nicht? Und hast du zu diesen Zeiten je den Ausstieg aus Karussell bereut?
Ich weiß nicht so recht, warum es mit Cäsars Rockband nicht klappte. Wahrscheinlich war ich schon zu weit weg von meinem Land, mit den Gedanken nicht bei der Sache ... Außerdem war ich nicht mehr kompromissbereit, was sich im Erfolg bei Rundfunk und AMIGA niederschlug. Ich sollte ja sogar eine Platte bekommen, aber die wurde plötzlich wieder abgesagt, angeblich, weil ich als Gitarrist zu wenig Gitarrenmusik ablieferte. Das war alles sehr fadenscheinig und ich vermute, dass da etwas anderes dahinter gesteckt haben muss. Den Ausstieg habe ich dennoch nicht bereut, es war eine schöne Zeit, die mir viel gebracht hat, in der ich mich weiterentwickeln konnte usw. Aber sie war eben vorbei und es ist ja nicht weiter schlimm, wenn man mal keinen Erfolg hat. Ich war solange "ganz oben" gewesen und empfand es als normal, dass man auch mal mit Tiefschlägen leben muss. Außerdem war mir klar, dass durch meine Kompromisslosigkeit nicht mehr an dieses "ganz oben" zu denken sein konnte. Man lernt, damit umzugehen und wieder aufzustehen. Das ist mir in meinem Leben öfter gelungen.
Ca. ab Mitte der 80er Jahre hörte man kaum noch etwas von dir. Was hast du in dieser Zeit gemacht?
Anfang 1986 habe ich einen Ausreiseantrag gestellt und drei Jahre auf die Genehmigung gewartet. Dass man in dieser Zeit nicht mehr viel von mir gehört hat, dürfte keine Überraschung sein. 1988 hat mich mein Sohn, der auch Musiker ist, gefragt, ob ich nicht in seiner Band ein bisschen mitspielen wolle. Erst hielt ich das für völlig unmöglich, in einer blutjungen Amateurband aktiv zu sein, doch nachdem ich drüber geschlafen hatte, dachte ich: Bevor du rum sitzt und gar nichts tust, kannst du das auch machen.' Die Band hieß Die Spieler und so wurde daraus Cäsar & Die Spieler. Ich hab Gitarre gespielt und gesungen, wie immer halt. Mehr wurde daraus jedoch nicht, ich hatte ja schließlich ganz andere Dinge im Kopf.
Als die DDR schon in den letzten Zügen lag, erfolgte nach all den Jahren doch noch die Ausbürgerung in den Westen. Was waren die Gründe hierfür?
Das ging ziemlich schnell, als ich wieder spielte. Wahrscheinlich hat es niemanden gestört, wenn ich zu Hause herumsaß. Aber als ich aber wieder auftrat, tat das wohl schon ein bisschen weh und man wollte mich loswerden. Das war Ostern 1989 und keiner hätte gedacht, dass ein halbes Jahr später alles anders sein würde.
Was hast du anschließend in Westberlin so getrieben?
Ich habe erstmal den Taxi-Schein gemacht. Das bot sich an, man konnte ein bisschen Geld verdienen und war trotzdem nicht unfrei. Der Job ist übrigens nicht einfach, die Prüfung war ganz schön schwer. Ich habe das aber gemeistert und bin anschließend drei Jahre lang Taxi gefahren. Die Chance, wieder als Musiker tätig zu sein, kam erst später, als die ehemaligen DDR-Bürger sich darauf besannen, dass die Verwestlichung nach der Wende ihnen ihre Identität raubte.
Was haben die Ereignisse der Wendezeit in dir ausgelöst und wie hast du sie erlebt?
Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht soviel fern gesehen, wie in diesen Tagen. Da passierte ja beinahe stündlich etwas Neues und Aufregendes! Es war aber schon seltsam, von der anderen Seite aus zu sehen, was in meiner Heimat geschah. Gerade in Leipzig mit den Montagsdemonstrationen und so. Ich habe gestaunt, welches künstlerische Potential in den Leuten steckte. Diese ganzen Spruchbänder und Slogans, die da unterwegs waren - das fand ich enorm. So durchdacht und so klug ... Schade, dass sich diese Stimmung nicht lange hielt und das Geld dann zu regieren begann.
Hast du zu dieser Zeit je darüber nachgedacht, noch mal mit Renft oder Karussell durchzustarten? Und warum kam es nie zu einer Reunion?
Weil ich während meiner Armee-Zeit IM gewesen bin und der Gruppe Renft damit im Nachhinein nicht den Ruf schädigen wollte. Die BILD-Zeitung kocht das gerade wieder hoch, weil es in meiner Autobiographie steht und tut so, als habe man mich soeben enttarnt. Fakt ist aber, dass ich das selbst getan habe und auch nicht erst jetzt, sondern so ziemlich nach der Wende. Ich habe das damals meinen Kollegen mitgeteilt und für mich war das der Grund, nicht bei Renft mitzumachen, sondern meinen eigenen Weg weiter zu gehen. Das war zumindest der "politische Grund". Es kam aber noch ein anderer dazu, denn ich hatte schon wieder eine Band und wollte die nicht im Stich lassen.
Du hast dann als Lyriker, Schauspieler, Komponist, Theatermusiker die verschiedensten Projekte in Angriff genommen. Das klingt nach viel Arbeit und wenig Langeweile. Welche Erfahrungen hast du bei diesen unterschiedlichen Aktivitäten gesammelt und inwiefern haben sie dich weitergebracht?
Das sind halt alles Sachen, die mich schon immer interessiert haben. Als sich die Gelegenheiten boten, habe ich eben zugegriffen. Das hat mich schon weitergebracht und meinen Erfahrungsschatz vergrößert.
Auch drei CD's sind in dieser Zeit entstanden. Bitte erzähl uns etwas dazu.
Was soll ich dazu sagen ... Man hat eben Ideen für Songs und wenn genug da sind, macht man eine CD. Das Übliche halt. Die Zeiten ändern sich, die Technik, die Musik ... das Feld ist groß und bleibt immer interessant. Das ist mein Leben.
War es "Heimweh", das dich 1997 wieder zurück nach Leipzig zog?
Ja, und die Liebe.
Ein sehr ungewöhnliches Projekt war 1998 "Ekkehard Schall liest aus Mein Kampf'", an dem du als Komponist partizipiert hast. Wie kam das zustande und welche Absicht steckt(e) dahinter?
Das war gewissermaßen ein Folgeprojekt der Leute, mit denen ich schon "Wanderungen in der Mark Brandenburg" gemacht hatte, die 24teilige CD-Serie. Da das so gut gelaufen war, kam die Idee für etwas neues in dieser Richtung. Das war "Ekkehard Schall liest aus Mein Kampf'". Das ist nun kein einfacher Stoff, mit dem man schnell die falschen Leute für sich gewinnen kann. Wir haben uns das gründlich überlegt und es dann doch gemacht, weil wir festgestellt hatten, dass die Leute im Westen viel weniger über das Dritte Reich aufgeklärt sind als die im Osten. Es gab bei der Uraufführung auch eher Berührungsängste aus dem Westen, während die "Ossis" viel besser damit zurechtkamen, wobei ich es dahingestellt sein lasse, aus welchen Gründen. Es ging uns darum zu zeigen, dass der Hitler eine "geniale" Seite hatte, auch wenn das jetzt ein bisschen gefährlich klingt. Aber ein ganzes Volk dermaßen zu verführen, verlangt ja schon ein gewisses Maß an Genialität. Einiges davon wurde von der DDR übernommen oder zumindest versucht, es ähnlich zu machen. Die ganze Propaganda, der Geheimdienst und das alles. Da sind schon Ähnlichkeiten in der Anlage zu sehen. Darüber wollten wir aufklären. Die Schwierigkeit war, dafür zu sorgen, dass es nicht den falschen Leuten gefällt und die Sache nicht in einem ungewollten Licht erscheint. Leider kam uns das bayerische Finanzministerium dazwischen, das die Rechte hatte und die Sache wieder einstampfen ließ. Der Eulenspiegel-Verlag kam dagegen nicht an und das Ding war Geschichte.
Was hat dich dazu bewogen, im Jahre 2000 ein eigenes Label aus der Taufe zu heben und welche Ambitionen verbindest du damit?
Dazu gehört ein bisschen Mut aber man ist weitgehend unabhängig und entscheidet selbst, was man macht und wie. Das ist eigentlich der Hintergrund. Neben meinen eigenen Arbeiten unterstützen wir zum Beispiel "Christmas In Rock". Jedes Jahr zu Weihnachten liefern Leipziger Bands Songs ab, die auf rockige Art etwas mit dem Fest zu tun haben und auf einer CD zusammengefasst werden. Der Erlös geht dann an wohltätige Zwecke, wie zum Beispiel die Krebshilfe. Es kommt dabei nicht soviel zusammen, aber es ist ein kleiner Baustein dafür, dass es manchen Leuten etwas besser geht. Außerdem arbeiten wir mit dem Hallenser Liedermacher Paul Bartsch zusammen, der seine Musik über unser Label veröffentlicht.
Wie kam es zum Projekt Väter & Söhne?
Boddy Bodag (Engerling) hat einen Sohn, der Schlagzeug spielt. Ich habe einen Sohn, der Bass spielt. Eigentlich habe ich zwei Söhne, die Bass spielen, aber ich spreche jetzt von dem jüngeren. Irgendwann hatten wir mal eine Mugge zusammen, bei der mein Sohn bei Engerling aushalf. Da haben Boddy und ich festgestellt, dass wir ja eigentlich familiär eine Band zusammen haben. Orgel, Gitarre, Bass und Schlagzeug - perfektes Rockteam! Warum machen wir da nicht ein Projekt draus? So entstand die Idee, die wir dann in die Tat umsetzten. Ist aber schon eine Weile her. Man weiß zwar nicht, was kommt, aber ich denke, es wird eine einmalige Sache bleiben. Auf jeden Fall hat uns allen das viel Spaß gemacht.
Zur Zeit feierst du dein 40jähriges Bühnenjubiläum. Bitte erzähl uns etwas über das Spezial-Konzert in Leipzig und die Tour, die in diesem Jahr folgen wird.
Ich hatte 2003 mal eine schlechte Phase, wo ich ein bisschen durchgeknallt bin. Da ist mir meine Band davongelaufen, da sie aus Profis bestand, die Geld verdienen mussten. Als ich zur Besinnung kam, waren alle weg und ich ging daran, eine neue Band aufzubauen. Ich stellte mir Rock'n'Roll mit zwei Geigen vor, das empfand ich als gute Idee. Anfangs konnte ich mir das fast nicht so richtig vorstellen, aber das Ungewöhnliche daran hat mich gleichzeitig gereizt. Mittlerweile hat sich das Ganze entwickelt, geht gut los und spricht viele Leute an. Jedenfalls war wieder Frieden eingekehrt und es kam der Gedanke auf, eine Big Band auf die Bühne zu stellen. Aber im wörtlichen Sinne - also keine Jazz-Big-Band sondern eben eine "große Band", bestehend aus den Alten und den Neuen Spielern. Daraus wurde das Spezial-Konzert im Leipziger "Anker". Das hat tierisch gefetzt, die ganze Bühne voller Musiker! Es stellte sich heraus, dass unser Schlagzeuger Jogy Franke hervorragend Geige spielen kann, was vorher keiner wusste und unser Bassist Matti Rabold hat dieses Instrument auch mal gelernt. So haben wir den Renft-Song "Baggerführer Willi" mit fünf Geigen aufgeführt, also unsere zwei etatmäßigen Geiger Jane Maende und Till Uhlmann, die zwei "neu entdeckten" aus der aktuellen Besetzung und Conny Plänitz aus der alten Band. Und ich habe dazu Saxophon gespielt (lacht). Das war einfach der Brüller, weil auch niemand mit sowas gerechnet hatte. Der Höhepunkt! Und weil das soviel Spaß machte, haben wir das für die Tour nochmal reaktiviert. Im Moment hat sich zwar meine Autobiographie etwas in den Vordergrund geschoben, aber da wir im 40. Jahr sind, werden wir im Herbst noch mal auf einen Höhepunkt zusteuern. Dazu sage ich aber noch nichts weiter!
Wenn man sich deinen Werdegang ansieht, fällt schon auf, daß du in den letzten 40 Jahren sehr aktiv gewesen bist und kaum eine Gelegenheit hast verstreichen lassen, die sich dir bot. In diesen Tagen erscheint auch noch deine Autobiographie und wir fragen uns ernsthaft, woher du die Zeit für all das nimmst. Schläfst du auch irgendwann mal!? ;-)
Jaja. (Pause, dann todernst:) Also, wenn man älter wird, schläft man einfach weniger und hat dadurch mehr Zeit für andere Sachen. Hahaha! Nee, also das Jahr war schon voller Arbeit, da gibt es nichts zu meckern. Es ist ja nicht nur die Autobiographie erschienen, sondern auch noch ein Hörbuch mit Namen "Cäsar erzählt". Da habe ich vier Stunden über mich erzählt und dabei festgestellt, dass man in diese kurze Zeitspanne gar nicht alles reinpacken kann, was man möchte. So entstand die Idee zum Buch.
Wenn du die 40 Jahre deiner Karriere mal Revue passieren läßt: Gibt es etwas, worauf du besonders stolz bist? Und etwas, das du am liebsten ungeschehen machen würdest?
Naja, was ich am liebsten ungeschehen machen würde - darauf brauche ich wohl nicht zu antworten, das dürfte klar sein. Und besonders stolz? Da ist es schwer, etwas zu sagen, ohne dass es selbstverliebt klingt. Ich habe mir darüber einfach noch gar keine Gedanken gemacht. Ich lebe im Jetzt und schaue nicht häufig zurück.
Bitte verliere ein paar Sätze zu den folgenden Stichworten ...
· Erfolg:
Eine total gute Sache, wenn man dabei nicht den Boden unter den Füßen verliert. Dann ist es wertvolle Selbstbestätigung. Andernfalls kann er auch zum Problem werden.
· Ostalgie:
(überlegt) Ach, warum nicht. Ist ja auch ein Stück weit Identität für die, die von da kommen und sich nicht davon irritieren lassen, wenn der "Wessi" den Begriff negativ benutzt.
· DDR als Show & Filmkomödie:
Mit Abstand gesehen kann es das schon sein, aber eigentlich war es das überhaupt nicht.
Wir meinten eher "Good Bye, Lenin", "DDR-Show" bei RTL und solche Sachen ...
Ach so! Das sehe ich nicht so eng, man kann schon ein bisschen darüber schmunzeln. Es war ja nicht alles Mist. Wir haben auch viel gelacht und Sachen wie die StaSi einfach negiert. Uns zum Beispiel am Telefon erstmal mit "Hallo Kameraden!" gemeldet und so was. Das hat doch am Ende eh keiner mehr ernst genommen.
· Nichtraucherschutz:
Finde ich vernünftig, würde es bei Kneipen aber auf Freiwilligkeit basieren lassen. Das Rauchen kann man sowieso nicht verbieten und die Leute sortieren sich dann von ganz allein. Also: Nichtraucherschutz ja, aber es kommt auf das "Wie?" an. Das muss nicht so militant durchgesetzt werden. Ich selber rauche seit vier Jahren nicht mehr und kann das alles ganz gut nachvollziehen.
· Musik & Internet:
Im Grunde genommen bin ich dafür. Es erleichtert das Arbeiten schon erheblich und ist für unbekannte Bands eine Plattform, über die man sich präsentieren kann. Sicher, wenn das alle machen, ist es nicht so leicht, als kleine Ameise im großen Haufen gefunden zu werden. Aber es ist OK.
· Deutschland, ein Sommermärchen:
Ich bin eigentlich kein Fußball-Fan, habe mich aber im letzten Jahr erstmalig dafür interessiert. Mein männlicher Geiger ist Fan und hat es soweit gebracht, dass ich zuhöre, wenn sein Lieblingsverein Werder Bremen erwähnt wird. Er lässt es sich auch nicht nehmen, in Grün-Weiß auf der Bühne zu erscheinen ... warum auch nicht?
Jedenfalls finde ich es gut, wie die WM verlaufen ist. Auch dass Deutschland nicht gewonnen hat, denn dann neigen manche schnell zum Übermut. Andererseits hat die Sache eine Nation zusammengeschmiedet unter diesem neuen Trainer, das war ja unglaublich und hat auch die positive Seite der Deutschen wachgerüttelt. Unser Land hat dabei international einen guten Eindruck hinterlassen, das finde ich toll.
Wir danken sehr für dieses Gespräch, von dem wir, ehrlich gesagt, schon lange geträumt haben ... Danke!
Interview: Knechtel Family
Fotos: Archiv Cäsar