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Interview vom 3. April 2025



Der 1989 im Landkreis Diepholz (Niedersachsen) geborene Joris Ramon Buchholz ist dem Publikum als Künstler eigentlich nur unter seinem Vornamen JORIS bekannt. Mit seiner Debütsingle "Herz über Kopf" räumte er im Jahre 2015 so richtig ab und brannte sich damit ins Langzeitgedächtnis der Musikfreunde ein. Ihn aber nur auf diesen einen Song zu reduzieren wäre ein großer Fehler. JORIS' Markenzeichen sind seine erstklassigen Texte, die er in wunderbare Melodien kleidet, und seine außergewöhnlich gute Stimme, mit der eben diese Songs zum Leben erweckt. Und dies tat er bisher auf vier Alben und mit einer unglaublich großen Anzahl von Single-Veröffentlichungen. Außerdem gelten seine Live-Konzerte als absolut empfehlenswert. Gerade hat er seine Tour zum aktuellen Album "Zu viel Retro" abgeschlossen, und unsere Kollegin Mandy hatte Gelegenheit, ein wenig mit Joris über das aktuelle Geschehen in seiner Welt und seine bisherige Karriere zu plaudern ...




Das aktuelle Album "Zu viel Retro"


Dein neues Album "Zu viel Retro" ist gerade erschienen und du warst damit auf Tour. Was bedeutet es für dich persönlich?
Also für mich ist es so, dass ich schon immer - glaube ich - am meisten Lust auf Musikmachen live hatte. Ich liebe es, im Studio zu sein, aber ich glaube, Musik wurde ursprünglich erfunden, damit man sie gemeinsam teilt, und das ist das, wo ich die größte Stärke drin finde. Deswegen ist es bei diesem Album was Besonderes, weil wir das auch schon live im Studio gespielt haben. Das heißt, es war quasi eine Live-Platte, die wir live auf die Bühne bringen. Und ich hatte von vornherein das Gefühl, dass sie auf die Bühne gehört. Jetzt gegen Ende der Tour muss ich sagen, bin ich einfach komplett happy, denn in so einem Album-Prozess gibt es auch immer mal Fragen, ob es so der richtige Weg ist - und jetzt weiß ich, dass es definitiv der richtige Weg ist für mich.


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Das aktuelle Album "Zu viel Retro"



Gibt es einen bestimmten Song auf dem neuen Album, auf dessen Live-Performance du dich immer besonders gefreut hast?
Eigentlich fast alle. Jetzt auf der Tour hat sich tatsächlich der Titelsong "Zu viel Retro" hervorgetan. Ich mag es ganz gerne, wenn die titelgebenden Songs nicht unbedingt die "wichtigsten" Songs sind. Und es macht mir irrsinnig viel Spaß, den gerade zu spielen, da ich ihn mit einer alten Nylon-Gitarre spielen kann. Irgendwie ist das so wie man früher Musik gemacht hat, aber auf einer großen Bühne - das ist sehr schön.

Wie hat sich dein Songwriting und deine musikalische Herangehensweise im Vergleich zu deinen vorherigen Alben verändert?
Also ich glaube, dass jedes Album - hoffe ich sehr - für sich steht. Das erste Album stammt aus meiner Studienzeit, da habe ich immer in meinem WG-Zimmer die Songs geschrieben. Das zweite Album war dann so mit dem ersten Erfolg im Rücken, dass wir zeigen wollten, was wir aber auch noch alles können - es war wesentlich rockiger. Und das dritte Album war dann ein losgelöst sein von diesem 'Wir müssen das so machen'. Es war mehr ein "einfach machen, wie man möchte". Das heißt, ich hatte so drei verschiedene Varianten des Musikschreibens schon ausprobiert. Und jetzt war es eben so, dass diese Pandemie kam und ich dann irgendwie ein paar Konzerte auch geben durfte. Aber trotzdem war das natürlich sowas wie eine Zwangspause. Da habe ich mir überlegt: Was macht mir eigentlich Spaß und wo bin ich auch stark? Und ich hab das Gefühl, dass du in der heutigen Zeit nicht mehr so einen richtigen Kompass hast - 'das ist gerade so die gefragte Musik' oder sowas -, sondern im Gegenteil, dass ich das Gefühl habe, ich möchte einfach das machen, worauf ich dann Lust hab. Und das war jetzt eben diese Idee, mal ein Live-Album mit der Band aufzunehmen. Und das hat natürlich verschiedenste Typen, die es mit sich bringt, aber mir hat das echt viel gegeben.

Gab es einen bestimmten Moment oder eine Erfahrung, die das Album besonders beeinflusst hat?
Also textlich auf jeden Fall. Ich bin in der Zeit Vater geworden. Es gab zwischendrin Momente, wo ich privat viele Sorgen hatte. Meine Freundin musste zwischendurch längere Zeit mal in der Klinik sein, weil sie krank geworden ist, und das war dann ganz schön schwer, alles parallel hinzubekommen - im Studio zu funktionieren, als Familienvater alleine zu sein und natürlich mit großer Sorge um die Partnerin. Das war auf jeden Fall viel, aber ich glaube, das hat dann in die Texte noch eine andere Inspiration mit einfließen lassen.

Gibt es einen Song auf dem Album, der dir besonders am Herzen liegt? Wenn ja, warum?
Also das war genau in der Zeit, da habe ich einen Song geschrieben, der heißt "Eigentlich". Das ist so der Ruhepol in der Mitte des Albums. Meine Freundin ist Politologin, das heißt, ich habe wirklich jeden Tag auch viel mit Politik zu tun und merke, wie viele große Fragen ich ans Weltgeschehen und an unsere Gesellschaft habe. Und es sollte um die elementaren, die wichtigsten Dinge gehen - warum die auf einmal irgendwie ins Wanken geraten. Gibt's für mich dann natürlich auch nichts Wichtigeres als das? Und darum geht es in dem Song. Ich finde, das ist irgendwie für mich einer der wichtigeren.





Welche Botschaft oder Emotion möchtest du den Hörern mit diesem Album mitgeben?
Das Leben ist schön, und ich glaube, das Leben gehört in allen Facetten mit dazu. Aber dieses Album ist grundsätzlich - natürlich damit, dass wir es live aufgenommen haben und so, wie wir es geschrieben haben - einfach in allem krass, wie das nach vorne geht. Und ich glaube, bei all der Schwere, die manchmal stattfindet, die ich jetzt auch selbst erlebt habe, ist das Leben superschön. Und ich hoffe sehr, dass das Album alle mit einem Lächeln im Gesicht zurücklässt.
 
 

Die soeben abgeschlossene Tournee


Wie würdest du deine Tour beschreiben und was hat sie im Vergleich zu deinen vorherigen so besonders gemacht?
Also meine Tour ist bisher - ich habe ja jetzt 15 von 17 Konzerten gegeben - … ja, wie soll ich die beschreiben? Es ist etwas länger, glaube ich. Also wir spielen fast immer zwei Stunden, das ist ein bisschen länger als bei den Konzerten davor. Das ist vielleicht der kleine Unterschied. Ansonsten haben wir einfach wahnsinnig viel Zeit gehabt, uns unglaublich viele Ideen zu überlegen. Wir haben Instrumente gebaut und ich habe das Bühnenbild selber gebaut - ich habe so ein Studio-Bühnenbild gebaut, damit wir die Leute mit ins Studio einladen können. Wir haben also wirklich vielleicht etwas zu viel Zeit gehabt, uns verrückte Ideen zu überlegen. Dadurch ist jetzt viel in diese Show mit eingeflossen. Aber es macht mir einfach unglaublich viel Spaß. Ich meine, es jetzt selber als tolle Chance zu bezeichnen, fällt mir schwer, weil ich sie natürlich nicht so sehe. Aber ich finde, dass die Leute - glaube ich - glücklich nach Hause gehen. Und das ist für mich eine große Ehre, diesen Job machen zu dürfen.

Hast du während der Tour besondere Rituale oder Routinen, die dir helfen, dich auf die Shows einzustimmen?
Ja, wir haben für diese Platte nochmal mit einem Vocal Coach zusammengearbeitet, weil wir als Band alle gemeinsam singen. Das war vorher auch so, aber nicht so wichtig. Und deswegen haben wir jetzt gemeinsam so ein Einsing-Ritual, das wir zusammen als Band machen. Ich mache vorher noch ein bisschen Krafttraining und Yoga - so eine Stunde vor der Show fängt das Ritual an. Ansonsten bin ich sehr diszipliniert geworden: trinke keinen Alkohol, rauche nicht, ich versuche, so halbwegs früh ins Bett zu kommen, um die schon recht anstrengende Show gut hinzubekommen.

Hast du einen Song, den du liebst, aber nie live spielen würdest?
Ich habe einen Song, den ich fast sogar abgelehnt hätte, den ich jetzt aber trotzdem live spiele - der heißt "Stille Schatten". Es geht darin um all die Dinge, auf die ich nicht stolz bin … und das ist irgendwie ganz komisch. Da habe ich mir beim Schreiben schon gedacht: Möchte ich das überhaupt so teilen mit den Menschen? Und jetzt das live zu spielen … aber irgendwie ist das gut. Also ich habe auf jeden Fall lange überlegt, ob ich das teilen möchte.


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Gibt es einen bestimmten Moment auf Tour, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ich versuche eigentlich, an jedem Abend Spontanität drin zu sehen und auch zu gucken, wo sind Momente, die man aufgreifen kann, um nicht jeden Abend das gleiche Konzert zu spielen. Sondern ich finde, dass jeder Abend einzigartig ist. Natürlich gibt es Dinge, die ich wiederhole, da ich nicht jeden Abend ein neues Konzert erfinden kann. Aber ich versuche, die Momente zu sehen - und dadurch könnte ich dir wahrscheinlich zu jeder Stadt sagen, was besonders ist. Ich glaube, das ist auch irgendwie wichtig, sonst wird es irgendwann langweilig.
 


Karriere / Persönliches


Deine Songs sind oft sehr emotional - was war der verrückteste Ort, an dem du eine Songidee bekommen hast?
Ich muss jetzt ganz klassisch sagen, dass ich in einer WG in Mannheim war, wo der Boden aufgerissen war - das war mitten in einer Baustelle. Da haben wir "Herz über Kopf" geschrieben … nachts, mit zwei guten Freunden. Das war einer der verrückteren Orte. Dann habe ich aber auch beim Songschreiben häufiger so Sachen gehabt, wo ich an einen schönen Ort gefahren bin, um dann da irgendwie meine Texte fertig zu schreiben. Das funktioniert bei mir erstaunlicherweise aber so gar nicht. Ich glaube, ich brauche eher einen Ort, wo nicht so viele Reize drumherum sind, um gut schreiben zu können.

Welche deiner eigenen Songzeilen bedeutet dir persönlich am meisten?
Das kann ich so nicht beantworten, es gibt immer mal wieder Zeilen, auf die ich sehr stolz bin. Es gibt zum Beispiel in dem Song "Leb wohl" vom letzten Album den Satz: "Wenn du vom höchsten Punkt der Welt über Nacht ins Leere fällst - Mariannengraben tief." Dieses "Mariannengraben tief" fand ich irgendwie sehr genial. Vom höchsten Punkt zum Mariannengraben ist halt der größte Kontrast, den man haben kann in der Höhe - vom Mount Everest zum Mariannengraben. Und so dieses Gefühl, wenn man aus einer funktionierenden Liebe auf einmal rausfällt, fand ich damit sehr gut beschrieben.


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Gibt es einen Moment in deiner Karriere, auf den du besonders stolz bist oder der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ich glaube, irgendwie bin ich jemand, der nie sagt, "Ich bin total geil", oder sowas. Ich hab immer das Gefühl, es müsste noch viel besser gehen, ich kann Dinge besser machen. Ich bin so jemand, der immer nach Perfektion strebt, aber sie irgendwie nie findet. Dann gibt's noch so klassische Dinge, wie die goldenen oder Platin-Schallplatten, die drei Echos oder diese Dinge, die man so aufzählen würde. Darauf bin ich auch stolz, aber ich glaube, auch das ist nichts, was mich besonders langfristig glücklich gemacht hätte. Ich glaube, ich bin immer am glücklichsten, wenn ich auf der Bühne stehe und merke, dass ganz viele Leute eine gute Zeit haben - weil das so anfassbar ist, es ist so greifbar, was da gerade Schönes passiert.

Welche Herausforderungen hast du auf deinem Weg als Musiker erlebt und wie bist du mit ihnen umgegangen?
Ich habe gerade am Anfang häufig Leute um mich herum gehabt, die natürlich Erfahrungen hatten in dieser Branche. Und als ich angefangen habe, habe ich "Herz über Kopf" geschrieben, und da gab es ein Label, das gerne einen Plattenvertrag mit mir machen wollte. Dann hatte ich so ein paar Berater, die das auch alle sehr gut gemacht haben. Aber viele haben gesagt, "Das, was du da jetzt gerade machst, das geht nicht, das haben wir schon fünfmal gemacht - das geht nicht". Ich muss jetzt auch im Nachhinein zugeben, dass ich ein sehr dickköpfiger Mensch war - auch damals. Das stimmte auch in wahrscheinlich über der Hälfte der Fälle, dass es nicht ging. Aber in erstaunlich vielen Fällen ging es eben doch. Vielleicht nicht ganz so, wie ich es mir in dem Moment gedacht habe. Aber Dinge gehen doch. Und ich glaube, das ist so ein typisches Phänomen von Menschen: Wenn sie längere Zeit etwas machen, dann haben sie das Gefühl, dass sie die Welt oder Dinge verstehen - und die Wahrheit ist: Es gibt immer wieder neue Wege, die man gehen kann, und vieles kann man auch neu erfinden. Ich finde, das war so eine Anfangserfahrung, die ich selber hatte: dass so die Profis der Branche auch ein bisschen eingestaubt sind.

Gibt es Künstler oder Bands, die dich aktuell besonders inspirieren und mit denen du gerne mal live singen würdest?
Es gibt immer ganz viele Bands. Ich finde, dass es im deutschsprachigen Raum auch viele neue, tolle Musiken gibt. Und das freut mich ehrlich gesagt, weil ich hatte die letzten Jahre das Gefühl, es kommt nicht so viel. Aber man muss nur hingucken - es kommt extrem viel neue, gute Musik. Ich kann es nicht ganz konkret beantworten. Ich liebe es, mit Leuten Musik zu machen.


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Gehst du privat selber gerne auf Konzerte oder Festivals?
Ja, total. Auf Festivals eher nicht - das ist mir immer etwas zu anstrengend. Wenn man dann erkannt wird, kann man auf Konzerten zur Not woanders hingehen oder weggehen. Auf Festivals bin ich im Sommer selber dann so viel unterwegs, dass ich es nicht schaffe. Aber auf Konzerte: Ich wohne in Berlin und probiere, ein- bis zweimal pro Monat auf Konzerte zu gehen. Jetzt gerade bin ich ja jeden Abend auf einem Konzert. Ansonsten gibt es mir viel, und ich finde es auch schön, Musik als Mensch aus dem Publikum erleben zu können.

Wenn du nicht Musiker geworden wärst - wo wärst du heute?
Gute Frage. Also ich war eingeschrieben für Rechtswissenschaften in Hamburg. Ich hätte gerne Medizin studiert, mein Numerus Clausus war aber zu schlecht. Ich hatte den Medizinertest in Innsbruck in Österreich gemacht, aber ich glaube, das wäre beides nichts für mich gewesen weil ich immer Musik gemacht habe. Aber ich habe ein großes Gerechtigkeitsbedürfnis und wäre wahrscheinlich - wie meine Freundin - irgendwie in NGO-Arbeit, sowas in die Richtung.

Was können wir als Nächstes von dir erwarten? Gibt es bereits Pläne für neue Projekte?
Eventuell gibt es ein paar kleine Pläne, aber jetzt so, dass ich nach dem Motto ‚Jetzt gibt's die siebte Staffel irgendwas', richtig was raushauen würde … das gibt es nicht. Ich bin auch gerade so drauf, dass ich mir sage, "Ich habe bis zu dieser Tour wahnsinnig viel an diesem Album gearbeitet, und dann werde ich danach erstmal ein bisschen Urlaub machen". Im Sommer kommen ja schon die Open Airs und im Dezember spielen wir ein paar "Hoffnungslos Hoffnungsvoll"-Konzerte, da es ja zehn Jahre alt wird. Da spielen wir vier ganz kleine Club-Konzerte.

Vielen Dank, dass du dir die Zeit für ein Interview mit mir genommen hast.



Interview: Mandy Dutsch
Bearbeitung: Christian Reder
Fotos: Pressematerial Joris








   
   
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