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Interview vom 02. November 2024



Im Dezember 2022 gab es einen lauten Knall und bei KARAT waren plötzlich zwei langjährige Mitstreiter und Musiker, die der Band lange Zeit ein Gesicht gaben, nicht mehr da. Einer von ihnen ist Christian Liebig, der seit 1986 Bassist bei KARAT war und viele Höhen und Tiefen miterlebt hat. Liebig war immer der ruhige Pol dieser Kapelle und einer der KARAT-Musiker, der dicht an den Fans dran war. Von ihm hörte man nie ein böses Wort (auch heute nach dem ganzen Theater nicht!) und sein Engagement für "seine" Band war mit viel Herzblut verbunden. Dies wurde irgendwann aber nicht mehr geschätzt und er vor die Tür gesetzt. Jetzt, nachdem der Prozess um seinen Rauswurf bei KARAT beendet ist, hatte er den Wunsch zu reden. Schon länger war ein biographisches Interview mit ihm geplant, denn er spielte in der Vergangenheit u.a. auch bei FREYGANG, ENGERLING und HANSI BIEBL. Gute Gründe also, tief hinab in die Musikgeschichte einzutauchen, und dies tat unser Kollege Christian nun mit seinem Namensvetter. Aber zuerst stand das Geschehen der letzten zwei Jahre (und dem davor) im Vordergrund, das nicht nur ihm, sondern sicher auch vielen von Euch, unseren Lesern, mächtig unter den Nägeln brennt ...




Am 7. Oktober fand ja nun der Gerichtsprozess statt, in dem es um Deinen Ausschluss aus der KARAT GbR ging. Erzähl doch mal kurz, wie der Prozesstermin abgelaufen ist …
Kurz kann man diese Frage leider gar nicht beantworten. Die Richterin eröffnete die Sitzung zunächst als Gütetermin und machte zu unserem Erstaunen von Anfang an klar, dass Zeugenaussagen oder eine Aufarbeitung des Geschehens nicht stattfinden würden und dass es mit diesem Termin, der ja schon mehrfach verschoben worden war, in jedem Fall zu einem Abschluss kommen würde. Entweder durch einen Vergleich oder - falls man sich nicht einigt - durch ein Urteil, was sie dann sprechen würde. In meine Richtung sagte sie noch, der Rauswurf wäre aufgrund einer Aussage von mir gerechtfertigt. Bei einer internen Bandbesprechung hatte ich gesagt, die Band agiere wie eine Sekte. Das wäre eine Beleidigung und somit wäre ein Grund für den Ausschluss gegeben. Dass ich diese Äußerung erst nach meinem Ausschluss getroffen habe, war für sie irrelevant. Dann sagte sie noch, dass wir es gerne auf ein Urteil ankommen lassen könnten, gegen das wir dann in Berufung gehen könnten. Das wäre dann beim Kammergericht und da könnte es mit einem Termin bis zu zwei Jahren dauern. Die Richterin hat sozusagen Druck in Richtung beider Parteien aufgebaut, um damit einen Vergleich zu erzwingen. Es wurde aber festgestellt, dass der Rauswurf zum 31. Dezember 2022 ungültig war, weil Micha Schwandt dem nicht zugestimmt hatte. In einer GbR muss ein Ausschluss einstimmig sein. Offensichtlich haben sie dann selber befürchtet, dass es Schwierigkeiten geben könnte und haben mich nach Michas Ausstieg im Mai 2023 nochmal rausgeworfen.

Am Ende des Tages kam dann eben der Vergleich dabei raus und man muss sagen, dass sowas im Zivilprozess nicht selten vorkommt. Das bedeutet aber, dass irgendwas auch gegen die andere Partei spricht, denn sonst würde so ein Vorschlag nicht gemacht werden. Wie zufrieden oder unzufrieden bist Du denn jetzt mit dem Ausgang des Verfahrens?
Zufrieden? Naja, weißt Du, ich habe die Klage ja mit dem Ziel eingereicht, dass Wahrheit und Gerechtigkeit zum Zuge kommen und um feststellen zu lassen, ob es für meinen Rauswurf belastbare Gründe gibt. Aber das kam in der Verhandlung gar nicht zur Sprache. Mir wurde schlussendlich ein Satz zur Last gelegt, den ich zwar gesagt habe, aber ohne dass die Richterin darauf eingegangen ist, was im Vorfeld über Jahre abgelaufen ist oder in welchem konkreten Zusammenhang ich das gesagt habe. Und dass diese Aussage letztendlich meinen Ausschluss rechtfertigen soll, das verschließt sich mir völlig, da ich sie ja erst nach dem Rauswurf getroffen habe. Und zu dieser Aussage stehe ich nach wie vor! Wie ein anderer Kollege mal sagte: "Es gibt keine Gründe für den Rauswurf, nur Befindlichkeiten." Bei der Verhandlung ging es dann letztendlich nur um Geld, und dass die Sache vom Tisch kommt. Insofern ist das mit der Zufriedenheit so eine Sache. Wir haben auch ernsthaft überlegt, es auf einen weiteren Termin beim Kammergericht, also der nächsten Instanz, ankommen zu lassen, aber auf Grund der Terminsituation der Gerichte hätte das noch weitere zwei Jahre Wartezeit bedeutet. Und irgendwann will man ja auch mal abschließen.


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Wann genau ging denn das Theater für Dich da los? Es ist ja immer die Rede davon gewesen, dass seit 2016 der Haussegen bei KARAT für Dich in Schieflage geraten war …
Ja, so ungefähr. Es fing mit kleinen Dingen an und steigerte sich über die Jahre mehr und mehr, bis es am Ende unerträglich wurde. Und wenn man dann anfängt, sich zu wehren, ist man noch mehr der Böse.

Ab welchem Punkt in Deiner Zeit bei KARAT zeichnete sich denn dieser Ärger ab?
Nachdem ich 1986 bei KARAT eingestiegen war, hatten wir immer ein ziemlich harmonisches Verhältnis untereinander. Sicher hat man hier und da schon gemerkt, dass nicht jeder so nett ist, wie es scheint. Aber das sind Dinge, die überall vorkommen. Es ist nicht schön, aber man kann damit leben. Zu Herbert Dreilich hatte ich allerdings ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Leider änderte sich die Atmosphäre in der Band nach seinem Tod über die Jahre doch erheblich.

Durch den neuen Sänger?
Ja. Ich muss dazu sagen, dass ich mit Claudius vorher schon acht Jahre befreundet war. Er hatte schon vor seinem Einstieg bei KARAT einen Schlüssel zu meiner Wohnung. Immer wenn er in Berlin war, hatte er damit einen Anlaufpunkt und eine Schlafmöglichkeit. Wenn er Urlaub hatte, reiste er uns bei KARAT ja auch hinterher und war bei Konzerten dabei. Und als er dann unser neuer Sänger wurde, zog er erstmal ganz bei mir ein. Meine Freundlichkeit und auch Arglosigkeit ihm gegenüber sind mir dann später massiv auf die Füße gefallen.

Wie nett … Und wie äußerte sich das?
Er fing unter anderem damit an, anderen zu erzählen, ich sei kein guter Bassist und meine Leistung würde immer schlechter werden. Außerdem, dass man gute Bassisten schließlich an jeder Ecke finden würde. Und es wurde ziemlich früh klar, dass er sich zum Bandchef berufen fühlte. Da war schon zu erkennen, wo die Reise möglicherweise hingehen könnte. Herbert war von der Idee, Claudius als Nachfolger in die Band zu holen, überhaupt nicht begeistert. Er hat es regelrecht abgelehnt. Er ahnte schon, dass es zu Problemen kommen würde. Zu meiner Schande muss ich aber gestehen, dass ich das damals nicht wahrhaben wollte.

Na gut, diese angeblich getroffene Aussage von Herbert findet sich ja in der Presserklärung der Witwe ebenfalls wieder, die sie damals im Zuge des Namensstreits veröffentlicht hat, und auch ein anderer, leider schon verstorbener Kollege wusste zu berichten, dass er ihm gegenüber die gleiche Aussage getroffen hat …
Ja, siehst Du?! Nur ich wollte das damals nicht glauben.

Wie ging es weiter?
Mit dem Soloalbum von Maschine. Das war 2014. Er fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, dabei mitzumachen. Ich besprach das mit den Kollegen von KARAT. Die hatten keine Einwände und ich sagte gerne zu. Es gab dann eine Record-Release-Mugge im Kesselhaus Berlin. Alle, die an der Entstehung des Albums beteiligt waren, also Julia Neigel, Toni Krahl, Wolfgang Niedecken, Dirk Michaelis und alle anderen, waren an dem Abend auch dort und es war ein echt tolles Konzert. Im Vorfeld gab es noch einen Dreh zu einem Video in der Nalepastraße, also an alter Wirkungsstätte. Zum Konzert war auch Römer im Publikum und fand das alles auch ganz großartig. Da war die Welt aber noch weitestgehend in Ordnung. Die Tour zu dem Album folgte dann 2017 und das Album "Neubeginner" kam dann ja auch zeitnah raus. Ich habe die ehemaligen Kollegen auch darüber informiert, dass ich mit Maschine auf Tour gehe und ob es Einwände gäbe. Aber da es in der spielfreien Zeit von KARAT war, war das ihrer Meinung nach kein Problem. Allerdings baute sich nach dieser Tour unabhängig davon bei KARAT und dem Management eine Front gegen Maschine auf. Das hatte verschiedene Gründe, unter anderem hatte es mit den Rock Legenden zu tun. Maschine allerdings war völlig unschuldig an den Vorgängen. Jedenfalls wurde mir daraufhin eine weitere Tour mit Maschine von den ehemaligen Kollegen untersagt. Ursprünglich sollte ich in der Maschine-Band auch bei den Rock Legenden spielen, aber auch das wurde dann abgelehnt. Und da ich auch privat mit ihm befreundet bin, waren das wieder neue Gründe, gegen mich ins Feld zu ziehen. Da ich das Ganze nicht nachvollziehen konnte, habe ich das auch deutlich gemacht.


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Christian als Teil des Live-Ensembles von Maschine



Wie unnötig …
Genau. Sowas hat es bei KARAT noch nie gegeben, dass einem Musiker verboten wurde, mit einem anderen zu spielen, und das ist ja auch häufig vorgekommen. Was hatte ich denn mit deren Befindlichkeiten zu tun? Meine Verpflichtungen KARAT gegenüber hätte ich damit auch nicht verletzt, denn die Termine mit Maschine lagen alle außerhalb der für KARAT geblockten Tage, also quasi in der spielfreien Zeit, wenn die Band immer im Urlaub war. Und die Rock Legenden hätten sich quasi angeboten.

Hast Du Dich denn an das Verbot, nicht mehr mit Maschine spielen zu dürfen, gehalten?
Ja, natürlich. Wenn alle dagegen sind und einem mit Rauswurf gedroht wird, muss man sich halt fügen. Auch wenn ich es nicht nachvollziehen konnte. Ich habe noch zwei Muggen, die ich schon lange davor zugesagt hatte, gespielt. Danach durfte ich nicht mehr.

Du warst in der Band dann quasi nur noch ein Einzelkämpfer ohne jemanden an Deiner Seite. Wie geht man in so einer vergifteten Situation denn täglich zur Arbeit? Was macht das mit einem?
Ganz zu Anfang hatte ich zu Martin noch ein meiner Meinung nach gutes Verhältnis. Den hatte ich seinerzeit ja auch in die Band geholt, auch wenn er es heute gerne anders erzählt. Aber irgendwann war zu merken, dass er sich von mir abwandte und sich zum Sprecher der anderen machte. Mit Micha gab ja auch kein ernsthaftes Problem. Aber er hielt sich weitestgehend zurück und bekam vieles gar nicht mit, erst ganz zum Schluss. Es wurde irgendwann normal, mich als trottlig oder vergesslich hinzustellen, meine Meinung wurde nicht mehr ernstgenommen oder ich wurde erst gar nicht gefragt. Zum Schluss wurde ich nicht mal mehr über Vorgänge informiert oder nur, wenn es unbedingt notwendig war. Jeder Fehler auf der Bühne war meiner, auf diesem Niveau halt. Klassisches Mobbing sozusagen. Ich habe immer versucht, das irgendwie wegzustecken, es hat mich aber doch regelrecht krank gemacht. In der Zeit, in der keine Konzerte stattfanden und alle Urlaub machten, entlud sich das bei mir körperlich. Ich hab mich komplett auf den Kopf stellen lassen, aber es wurde kein Grund dafür gefunden. Das war alles psychosomatisch, das weiß ich heute. Wenn in dieser Zeit die Technikcrew nicht so loyal zu mir gestanden hätte, wäre es noch unerträglicher gewesen. Und für die Crew war das ganz sicher nicht ohne Risiko …

Wenn Dir dann auch noch jemand droht, Deinen Arbeitsplatz zu vernichten, dürfte das Arbeiten sicher auch keinen Spaß mehr machen, oder?
Es erzeugt in Dir kein gutes Gefühl, das ist richtig. Das hat mir die Freude an der Musik in dieser Zeit tatsächlich verdorben.

Und dann kam auch noch der Rauswurf Deiner Frau Jana dazu, die den Webauftritt der Band übernahm und Fanartikel verkauft hat. Gab es dafür einen konkreten Anlass?
Gar nicht, auch das war so ein schleichender Prozess, den man anfangs gar nicht so richtig einordnen konnte. Das fing so 2020 an. Aber so nach und nach wurde halt klar, dass etwas vor sich geht. Es wurde ihr so schwer wie möglich gemacht.

Kam Jana nie auf die Idee, die ganze Sache von sich aus zu beenden?
So einfach war das nicht. Sie saß ja auf einem Riesenberg mit Merchandise-Artikeln, die sie alle selber vorfinanziert hatte. Da steckten zig-tausend Euro drin. Zu Hause stehen immer noch Kisten voller Shirts, die sie nicht mehr verkaufen darf.


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Christian und Jana Liebig



Kann man sagen, dass das Jahr 2022 für Dich das herausforderndste von allen Jahren bei KARAT war?
Eigentlich war das Jahr davor genauso schlimm, denn da war Jana noch in den ganzen Mist involviert und ich musste mit ansehen, wie sie mit ihr umgesprungen sind. Vor allem, wenn man bedenkt, was sie außer Merchendise noch nebenbei gemacht hat. Die Webseite betreut, Facebook und Instagram aufgebaut und betreut, sie hat sich um die Fans gekümmert, die Fotos gemacht. Aber sie hat es für sich abgehakt. Sie sagt immer, da ist mir meine Zeit zu schade, um mich noch damit auseinanderzusetzen. Sie nennt es Lehrgeld. Man sagt ja immer, dass die Coronazeit etwas mit den Menschen gemacht hat. Bei KARAT schien das definitiv der Fall zu sein, die Anfeindungen gegen mich waren nach dem Lockdown nicht mehr unterschwellig, sondern eher offensiv.

Bevor Du Deine letzte Mugge hattest, kam Dir Micha Schwandt zuvor und verließ als erster das Schiff …
Stimmt. Mir wurde am 15. September 2022 im Proberaum mündlich gekündigt. Wenn man das juristisch sieht, war das eine Gesellschafterversammlung, bei der mir durch Claudius mitgeteilt wurde, dass ich entlassen bin und zum Ende des Jahres raus sein würde.

Mit welcher Begründung?
Claudius sagte, er könne mit mir nicht mehr arbeiten. Durch mein Verhalten wäre das unmöglich. Und die anderen beiden nickten. Auf Nachfrage, welches Verhalten das sein solle, bekam ich keine konkrete Antwort und auch später, in der schriftlichen Kündigung war immer nur von Verhalten die Rede und dass ich jemandem erzählt hätte, warum Jana raus ist, was ich angeblich nicht gedurft hätte und was ich im Übrigen auch nicht getan hatte. Und in diesem Zusammenhang ist übrigens auch von meiner Seite der Satz mit der Sekte gefallen, der bei Gericht auf einmal der Grund für den Rauswurf sein sollte. Micha hat dem nicht zugestimmt. Dann verkündete er seinen Ausstieg. Da er in diesem Jahr sowieso nur noch drei Konzerte machen wollte und danach wieder Ronny Dehn eingeplant war, war er dann eher weg als ich. Micha hat mich allerdings auch gebeten, über die konkreten Gründe seines Ausstiegs Schweigen zu bewahren. Es lag ihm daran, dass klar gestellt wird, dass sein Ausstieg keine gesundheitlichen oder altersbedingten Gründe hat. Ansonsten wollte er sich nicht öffentlich dazu äußern und das respektiere ich natürlich.

Der Schlagzeuger ist quasi mit einem Bein schon weg, Du bist gekündigt … Wie lief denn die erste Mugge nach diesem lauten Knall ab?
In dem man die Zähne zusammengebissen hat. Ich war fortan kaltgestellt, aber wir haben auf der Bühne unseren Stiefel durchgezogen. Zum Glück hatte ich ja die Techniker noch an meiner Seite, was es halbwegs erträglich machte.

Einen Tag vor Deinem 68. Geburtstag hast Du Dein letztes Konzert bei KARAT gespielt. Was ging da in Dir vor?
Es war alles schon irgendwie tot in mir. Ich hab meinen Stiefel runtergespielt, hab danach meine Sachen gepackt, hab mich noch von den Technikern verabschiedet und bin nach Hause gefahren. Die drei anderen haben in der Garderobe in meinem Beisein ganz offensiv gefeiert.

Wie war denn die Zeit direkt nach dem letzten Konzert. Bis zu dieser Gerichtsentscheidung musstest Du ja auch fast zwei Jahre warten …
Ehrlich gesagt, war ich erst mal froh, dass es vorbei war. Aber bis man realisiert, dass es wirklich vorbei ist, dauert es. Auch für sich mit Abstand aufzuarbeiten, was da eigentlich passiert ist. Im Zuge dieser ganzen Geschichte habe ich mich viel mit Psychologie beschäftigt, um die Vorgänge besser einordnen zu können. Ich kann dir sagen, das war sehr erhellend und hat auch geholfen. Auch dass ich Ed auf meiner Seite wusste, der ganz entsetzt über diese ganzen Vorgänge war, hat geholfen. Und auch er hatte ja unschöne Erlebnisse mit einigen der Beteiligten, was noch unverständlicher ist. Denn ihm verdankt KARAT nun mal den Erfolg. Das war ja jetzt sozusagen nur eine Kurzfassung der Ereignisse, über die ganzen hässlichen Einzelheiten möchte ich mich jetzt nicht auslassen. Auch die Erklärung, wie es zu dieser Gruppendynamik gegen mich kam, würde eines sehr weiten Ausholens bedürfen. Aber wer weiß, vielleicht schreib ich mal ein Buch … ;-)


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Jana und Christian auf Rad-Tour



…. und was machst du jetzt?
Ich habe keine Langeweile, falls du das meinst. Wir haben jetzt Zeit für viele Dinge, die wir früher immer verschoben haben. Und es ist wirklich toll, ohne diesen Druck zu leben. Ich bin natürlich auch sehr froh darüber, dass der Kontakt zu vielen alten Weggefährten durch mein Ausscheiden aus der aktiven Szene nicht abgebrochen ist. So ist man nicht ganz raus. Und wer weiß, vielleicht hol ich den Bass ja nochmal aus der Kiste ….

Du hast mir im Vorgespräch erzählt, dass Du Musiker geworden bist, weil Du die Musik liebst. Dann wollen wir doch mal gucken, wie es dazu gekommen ist. Wir fangen mal ganz vorne an. Wann und wo wurdest Du geboren?
Ich wurde am 22. Dezember 1954 in Ostberlin geboren.

Dann wirst Du also dieses Jahr noch 70!
Das stimmt, auch wenn ich das gar nicht so gut finde. Schlecht wäre andererseits, wenn ich es nicht mehr werden würde.

Hast Du etwas Großes geplant?
Nein. Überhaupt nicht. Ich habe aber auch noch gar nicht weiter darüber nachgedacht, denn ehrlich gesagt, war und ist mir mein Geburtstag immer ziemlich schnuppe. Wenn ich zu solchen Tagen etwas mache, dann immer nur für andere. Ich selber lege da keinen Wert drauf. Außerdem liegt das Datum in der Vorweihnachtszeit und ist somit immer etwas ungünstig, weil die meisten Leute da mit anderen Dingen befasst sind und sich im Vorweihnachtsstress befinden.

Wie bist denn Du als kleiner Junge zur Musik gekommen? Wann und wie hat es Dich erwischt?
Als kleiner Junge habe ich ganz normal wie jeder andere auch im Radio einfach nur Musik gehört. Das war für mich damals noch ohne jeden Hintergedanken. Richtig los ging es eigentlich erst, als mein Freund Jürgen in der 10. Klasse eine Schülerband gründen wollte. Er selbst besaß bereits eine Gitarre und hatte sogar schon ein bisschen Unterricht gehabt. Diese Schülerband sollte nun aber keine Weihnachtslieder spielen, sondern da ging es schon um richtige Beatmusik. Das war ja in der damaligen Zeit der große Kampfbegriff. Nun brauchten wir natürlich für unsere Band auch Gerätschaften, sprich Verstärker und Instrumente. Leider war zunächst nichts davon vorhanden. Jürgen besorgte sich dann irgendwann eine E-Gitarre, aber es fehlte immer noch der Verstärker dafür. Nun kam ich ins Boot und bastelte aus einem alten Radio etwas zusammen, wo man eine Gitarre anschließen konnte. Glücklicherweise kannte ich mich damit ein wenig aus und kannte aber auch noch ein paar Leute, die diesbezüglich noch viel bewanderter waren als ich. Als der Anfang mit der Gitarre getan war, versuchten wir, irgendwelche Lieder nachzuspielen. Ein Schlagzeug hatten wir auch noch nicht, sondern trommelten stattdessen auf ausrangierten Marmeladeneimern rum. So war das halt damals.

Wenn ich Dich richtig verstehe, warst Du zu der Zeit aber noch nicht als Musiker dabei?!
Richtig, ich war als Techniker dabei. Kurz darauf kam ein zweiter Gitarrist dazu. Nun nahm das Ganze also langsam etwas Form an, so dass der logische nächste Gedanke war, dass wir auch einen Bass bräuchten. Plötzlich guckten alle auf mich, aber ich hatte noch niemals in meinem Leben eine Bassgitarre in der Hand, hatte überhaupt keine Ahnung von der Materie. Trotzdem sahen wir uns in der Berliner Zeitung immer den Annoncenteil an und kauften über eine solche Anzeige dann in Königs Wusterhausen, das ist in der Nähe von Berlin, einen Verstärker und in einem Musikgeschäft eine Bassgitarre.

Das heißt also, Du hattest bis dahin wirklich keine Ahnung vom Spielen eines Instruments und auch nicht von der Musik?
Ich war zwar der Musik immer sehr zugetan, hatte aber bislang keinerlei Berührungspunkte damit. Grundsätzlich war ich damals aber durchaus schon Feuer und Flamme für die populäre Beatmusik. Und richtig begeistert war ich, als ich bei Jürgen zum ersten Mal richtig bewusst Musik hören konnte, denn die hatten schon eine echte Stereoanlage, wo man tatsächlich die einzelnen Instrumente heraushören konnte. Ich kannte das ansonsten ja nur von irgendwelchen quäkigen Kofferradios und so was. Deshalb war ich sehr angetan, wie gut und schön Musik klingen kann, wenn sie von einer richtigen Anlage kommt. Deshalb willigte ich ein und versuchte in der Band mitzuspielen, konnte das aber technisch überhaupt nicht umsetzen. Lange Zeit spielte ich nur auf einer einzigen Saite und im kompletten ersten Jahr war der Bass auch gar nicht richtig gestimmt. Es gab damals einfach niemanden, der mir helfen konnte und entsprechende Fachliteratur gab es gleich gar nicht. Das ist heutzutage natürlich völlig anders.


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Damals war's: Christian bei der Gruppe COSY



Was war denn das erste Lied, das Du gespielt hast?
Das weiß ich nicht mehr. Am Anfang haben wir noch keine kompletten Lieder gespielt, sondern einfach rumprobiert und getestet, was geht. Und wir haben uns immer wieder sehr gefreut, wenn mal zwei zusammenhängende Töne auch zusammenpassten. Es war also anfangs alles sehr experimentell, denn bis auf Jürgen, der immerhin schon ein paar Noten und ein paar Griffe auf der Gitarre kannte, hatte keiner von uns wirklich Ahnung.

Ich gehe mal davon aus, dass Du nicht gleich nach dem ersten Festhalten einer Bassgitarre gesagt hast: "Ich werde jetzt Profimusiker!", sondern Du hast sicher erst einmal einen anderen Beruf erlernt, oder?
So ist es. Ich habe Elektromonteur gelernt. Das war mehr eine Verlegenheitslösung. Na gut, etwas in Richtung Elektronik sollte es schon sein und mein ursprünglicher Wunsch war es, Fernsehmechaniker zu werden. Das war in der DDR eine Art Traumberuf unter den Jungs, aber dummerweise gab es diesen Beruf als solchen in der DDR gar nicht. Also habe ich kurzerhand Elektriker gelernt. Während meiner Lehrzeit ging es mit unserer Band immer weiter, wir wurden besser und konnten auch schon ein paar Lieder spielen und hatten sogar schon den einen oder anderen Auftritt mit der Band.

Wie hieß denn Eure Band?
COSY. Es sollte ein kurzer, knackiger und einprägsamer Name sein und so kamen wir auf COSY.

Wie lange hast Du bei COSY gespielt?
Bis 1974, dann wurde ich zur Armee eingezogen. Wir haben alles Mögliche versucht, dass ich um die Armeezeit herumkomme. Ich dachte sogar über Wehrdienstverweigerung nach, aber die Konsequenzen waren mir dann doch zu heftig. Mir blieb also keine Wahl und ich musste wenigstens den sogenannten Grundwehrdienst absolvieren, der über 18 Monate ging. Ich muss dazu sagen, dass ich dem Wehrdienst an sich nicht sehr nahestand. Natürlich kannte ich die Alternative eines Wehrersatzdienstes in Westdeutschland, was bei uns in der DDR aber nicht möglich war, ansonsten hätte ich diese Option nämlich auf jeden Fall wahrgenommen.

Somit wurde also durch den Wehrdienst Deine musikalische Laufbahn erst einmal unterbrochen.
Ja, zwangsweise war das so. Neben mir wurde noch ein weiterer Musiker von COSY eingezogen, so dass es die Band zunächst nicht mehr gab. Ich hatte jedoch das Glück, während meiner Armeezeit ein paar Leute kennenzulernen, die auch Musiker waren und in der sogenannten Regiments-Combo spielten. Ich bekam Gelegenheit, dort auch irgendwann mitzuspielen, aber das war alles sehr sporadisch. Wir konnten immer nur nach Dienstschluss proben und wenn wir alle zusammen Zeit hatten. Trotzdem konnten wir mit der Combo ein paar Muggen machen. Einmal sogar außerhalb der Dienststelle zum Gartenfest in einer Kleingartenanlage. Wir durften auch einmal zur Silvesterparty im Offizierscasino auftreten. Dazu kamen noch zwei, drei andere kleinere Auftritte. Alles in allem war es nicht viel, aber es sorgte für Abwechslung und ich konnte auch mal mit anderen Leuten zusammenspielen, was ich ja bis dahin nie getan hatte. Von Nachteil war das für mich jedenfalls nicht.

Wie ging es denn nach dem Wehrdienst bei Dir weiter?
Nach der Entlassung aus dem Wehrdienst habe ich mich sehr schnell an der Spezialmusikschule Friedrichshain beworben. Da konnten Leute wie ich, die bislang als Amateur in der Musikszene rumdümpelten, sich weiterbilden und gewisse Abschlüsse machen, die in der DDR nötig waren, um Musik machen zu dürfen. Es gab nämlich für Amateurmusiker die Einstufungen Elementarstufe, Grundstufe, Mittelstufe, Oberstufe und Sonderstufe. Man konnte dort sogar seinen Berufsabschluss machen. Hatte man also alle genannten Einstufungen geschafft, konnte man als nächstes seinen Berufsausweis als Musiker machen und somit als Profimusiker arbeiten. In Berlin allerdings war man besonders streng in der Bewertung, weil ja dort auch das Angebot sehr hoch war. Ich bekam jedenfalls im ersten Jahr an dieser Schule Unterricht auf der Bassgitarre. Es war nicht viel, immer nur eine Unterrichtsstunde pro Woche. Parallel dazu gab es zweimal in der Woche Theorieunterricht. Das war gar nicht so schlecht, denn mein Lehrer für diesen Theorieunterricht war ein total dufter Typ. Sehr locker und vor allem geduldig, was auch nötig war, da wir uns ja meistens äußerst dämlich angestellt haben. Das wiederum lag daran, dass die meisten der Schüler bis dahin nie auf professioneller Ebene mit Musik zu tun hatten, sondern bestenfalls einigermaßen talentiert waren. Talent war auch dringend nötig, da es sehr viele Bewerbungen, aber nur wenige Plätze an der Schule gab. Ich selber hatte auch richtig Glück, denn auf meine Stelle gab es neunzig Bewerbungen. So sagte man mir das damals jedenfalls, was ich natürlich niemals überprüft hatte. Auf jeden Fall war ich sehr überrascht, dass die mich angenommen hatten. Ich musste vorher eine Aufnahmeprüfung über mich ergehen lassen, die ich auch bestand und somit Schüler an der Musikschule wurde.

Also bis zu Deinem Besuch an der Musikschule hast Du Dir das Spielen einer Bassgitarre quasi autodidaktisch beigebracht?
Das ist korrekt, galt aber nicht nur für den Bass, sondern ich hatte auch schon eine Menge Vorbildung in Sachen Musiktheorie. Es gab nämlich damals ein kleines, winziges Büchlein von Wolfgang Ziegenrücker über Musiktheorie, welches ich gelesen und eine Menge daraus gelernt habe. Um das Gelernte umsetzen zu können, hatte ich als kleines Hilfsmittel … ein Harmonium, welches ich mal für 10 Ostmark erstanden habe. Ich machte mir das Ding wieder flott, reparierte die Blasebälge und die Mechanik und ich sage dir eins: das Gerät habe ich bis heute und es funktioniert auch immer noch einwandfrei.


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Christian an seinem Harmonium



Ich vermute mal, Du hast auf dieser Musikschule auch ein paar Gleichgesinnte gefunden, mit denen Du dann eine Band gegründet hast.
Von Deiner Vermutung stimmt vieles. Ja, natürlich habe ich dort viele neue Bekanntschaften geschlossen, zumal die allermeisten in etwa meiner Altersgruppe entsprachen. Ausnahme waren die Spezialklassen, wo die Berufsmusiker ausgebildet wurden, da waren manche Musiker auch schon mal etwas älter. Mit einigen der dortigen geschlossenen Bekanntschaften verkehre ich noch heute, beispielsweise mit Basti Baur von KNORKATOR. Es waren aber auch viele andere dort ansässig, die später bekannt wurden, wie zum Beispiel Ed Swillms.

Es gab ja in Berlin auch nur diese Spezialmusikschule und dann noch die "Hochschule für Musik Hanns Eisler". In diesen beiden Schulen haben eigentlich alle Großen irgendwann mal studiert oder gelernt.
Stimmt. In Berlin war es der übliche Gang für einen Musiker, eine dieser zwei Schulen zu besuchen, wenn man Musik machen wollte. In den anderen DDR-Bezirken war die Sache wesentlich einfacher, denn dort war in der Regel die Personaldecke an guten Musikern wesentlich dünner, so dass man schneller und relativ mühelos an seinen Berufsausweis kommen konnte. Im dünn besiedelten Bezirk Rostock zum Beispiel kam man wirklich leicht an seine "Pappe", wie man den Berufsausweis bei uns nannte.

Was war denn nun Deine erste Band nach der Musikschule?
Zuerst wollten wir COSY wiederbeleben. Das schien auch anfangs zu funktionieren, wir holten sogar einen Sänger dazu, merkten aber recht schnell, dass es auf Dauer dann doch nichts wird. Im Anschluss daran spielte ich in der Band von Dean H. Luthmann, der schon etwas älter war und in der Regel allein gemuggt hat. Das ging so in Richtung Bob Dylan. In der Band kam ich allerdings mit dem Schlagzeuger überhaupt nicht klar. Das war zwar ein lieber, netter Typ, aber als Drummer einfach nur grottenschlecht. An der Musikschule gab es in dieser Zeit einen Typen, der jammerte mich voll, er spiele derzeit in einer Band namens BLUESWORKSHOP, das sei aber alles so schwer und kompliziert, was die spielen. Ich sagte ihm, ich bin gerade in einer Band tätig, wo es alles andere als kompliziert ist und so haben wir beide einfach die Bands getauscht. Ja, ich muss sagen, es war dort bei BLUESWORKSHOP wirklich nicht leicht, denn deren Gitarrist schrieb ganz schwierige Sachen, die auch schwierig zu erlernen und zu spielen waren. Es war trotzdem eine schöne Zeit. Wir hatten einen schönen Probenraum und ich habe wieder viel Neues gelernt. Unter anderem hatten wir mal einen Auftritt an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Nach diesem Gig hat der Geiger, der bei BLUESWORKSHOP beschäftigt war, in den Sack gehauen und eine eigene Band gegründet. Diese Band war FREYGANG und der Geiger war André Greiner-Pol. Zwischenzeitlich spielte ich dann noch bei der NOVO BLUES BAND. Die waren, wie der Name schon verrät, in Sachen Blues und Bluesrock unterwegs, traten in vielen unterschiedlichen Besetzungen auf und zu einer dieser Besetzungen gehörte Basti Baur. Das war schon recht solide, was wir abgeliefert haben und es machte wirklich Spaß. Eines Abends hatten wir einen Auftritt im "Club 29" am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte. Im Publikum saß als Gast André Greiner-Pol, der nach dem Konzert zu mir kam und meinte, er hätte morgen mit FREYGANG eine Mugge, aber ihr Bassist sei ausgefallen und er fragte mich, ob ich nicht einspringen könnte. Ich sagte zu, obwohl wir beide wussten, dass keine Zeit mehr für gemeinsame Proben vorher sein würde. Aber Gottlob war ich ja kein Anfänger mehr und war mir sicher, dass das schon irgendwie läuft. Die angesprochene Mugge sollte in Mühlhausen stattfinden. Die Band holte mich ab und schon beim Einsteigen ins Auto beichtete man mir, dass man an diesem Abend auch keinen Drummer habe. Das ist ja ein toller Start, dachte ich bei mir. Da die Fahrt nach Mühlhausen etwas länger dauerte, zeigte André mir unterwegs alles, was ich so wissen muss. Die Mugge selber war dann okay, ich spielte ganz gut mit, wobei ja die meisten Songs ohnehin bluesiger Natur waren, wo man als Bassist schon irgendwie durchkommt. Der Saal war gerammelt voll, der Alkohol floss in Strömen und die Stimmung war entsprechend gut. Von da an spielte ich öfter bei FREYGANG mit.

FREYGANG hatte ja immer diesen Ruf, keine dieser typischen DDR-Bands zu sein. Es war doch eher eine Anarcho-Truppe, oder wie siehst Du das?
Ja, absolut richtig. Die hatten auch nie eine feste Besetzung. Der Einzige, der immer dabei war, war André Greiner-Pol. So kam ich wieder mal in den Genuss, ständig mit anderen Musikern zusammen auf der Bühne zu stehen. Das war eine spannende Zeit, zumal viele von den ständig wechselnden Musikern auch eigene Songs und neue Ideen mitbrachten.

Eine geregelte Struktur, wie Du sie später bei KARAT kennengelernt hast, gab es bei FREYGANG also eher nicht.
Jein. Eine gewisse Struktur musste sein. Es gab ja bereits richtige Verträge, wenn wir irgendwo spielen sollten und das musste alles organisiert werden. Deshalb hatten wir auch eine Art Manager, der sich um diese Dinge gekümmert hat. Alles in allem war die Truppe auf ihre Weise schon chaotisch, aber ohne eine gewisse Grundordnung wäre das alles gar nicht gegangen.

Wie lange warst Du denn bei FREYGANG?
Ungefähr ein dreiviertel Jahr, maximal ein Jahr. Länger war das nicht.


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Das Cover der Kassetten-Ausgabe vom Album "Meeting" der Modern Soul Band



Was kam danach?
Danach kam das erste Angebot einer Profiband, und zwar das der MODERN SOUL BAND.

Wie wurde denn Hugo Laartz auf Dich aufmerksam? Ich kann mir kaum vorstellen, dass Hugo zu FREYGANG gelaufen ist und Dich da entdeckt hat.
Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Stattdessen lief das folgendermaßen: Hugo war natürlich auch mal an der Musikschule in Friedrichshain. Seine Band suchte nun einen neuen Bassisten, weil Jörg Dobbersch, der seinerzeit bei der MSB den Bass zupfte, etwas anderes machen wollte. Da es auf allen anderen Wegen nicht klappte, trat Hugo an seine ehemaligen Lehrer und Dozenten der Musikschule heran und fragte, ob sie ihm nicht helfen könnten. Daraufhin wurde ich ihm empfohlen. Irgendwie schaffte Hugo es, mich zu kontaktieren und ich spielte bald darauf bei der Band vor. Die wollten mich auch gleich einstellen, was sich dann aber doch noch eine Zeit lang verzögerte, weil es mit dem neuen Engagement von Jörg Dobbersch wohl doch nicht so schnell klappte. Der Tag kam dann aber doch und ich wurde neuer Bassist bei der MODERN SOUL BAND. Das war meine erste Berufsband, in der ich spielte und dadurch erhielt ich auch einen vorläufigen Berufsausweis. Eigentlich hatte ich ja zu der Zeit noch den Status eines Amateurmusikers. Aber wenn man in eine Profiband kommt, wo bereits mehr als 50 Prozent der Mitglieder Berufsmusiker sind, konnte man als Amateur einen sogenannten "Vorläufigen Berufsausweis" bekommen. Das war insofern wichtig, weil man ja als Amateurmusiker verpflichtet war, einem normalen Beruf nachzugehen und nur freiberuflich als Musiker zu arbeiten.

Da waren die Musiker ja sehr freizügig und erfinderisch, wie ich immer wieder gehört habe.
Ja, die Phantasien kannten da keine Grenzen. Es gab jede Menge Schlupflöcher und wenn man es einigermaßen geschickt anstellte, war das alles auch gar nicht so problematisch. Hatte man aber wenigstens den "Vorläufigen Berufsausweis", war man auf diese Regelungen nicht angewiesen und war aus der Zwickmühle heraus, einen ordentlichen Beruf nachweisen zu müssen.

Von welchem Jahr reden wir, wenn es um Deine Zugehörigkeit bei der MODERN SOUL BAND geht? Und welche Besetzung war gerade aktuell?
1977 habe ich dort angefangen. Der Sänger war Klaus Nowodworski, als Sängerin agierte Gonda Streibig. Am Schlagzeug saß Ulrich Kersten. Leider ist der völlig in der Versenkung verschwunden. Ich würde gerne mal wieder Kontakt mit ihm aufnehmen, denn der war ein total dufter Typ. Gitarre spielte Nick Nicklisch. Bleiben noch die Bläser. Am Saxophon war Joachim Schmauch, der leider schon verstorben ist. Trompete spielte Christian Höhle und die Posaune wurde von Dagobert Darsow bedient, der leider auch nicht mehr lebt. Und natürlich darf ich Hugo Laartz, den Bandchef, nicht vergessen.

Das war eine interessante Besetzung, in der Du damals gespielt hast.
Ich muss sagen, ich war wirklich Feuer und Flamme. Ich habe richtig dafür gebrannt, weil das einen unglaublichen Spaß gemacht hat. Wir haben auch teilweise richtig schwere Sachen gespielt, die für jeden von uns immer wieder große Herausforderungen darstellten. Zum Beispiel spielten wir ein Medley von CHICAGO, das war schon ein echt kompliziertes Ding.

Wenn das Deine erste Profistation war, wirst Du auch erstmals richtig rumgekommen sein …
Ja, wir haben richtig viel gespielt. Manchmal einen Monat am Stück.

Warst Du mit der MODERN SOUL BAND auch an einer Plattenproduktion beteiligt?
Kurz nach meinem Einstieg in die Band wurde die Platte "Meeting" produziert. Auf dem Cover sind zwei Schaufensterpuppen zu sehen und das Besondere daran ist, dass dieses Foto tatsächlich in einem Schaufenster aufgenommen wurde. Und zwar war das im damaligen Centrum-Warenhaus am Alex, was heute noch steht, aber inzwischen Galeria Kaufhof heißt. Die Fotografin stand draußen vor dem Fenster und hat quasi durch die Scheibe diese beiden Puppen fotografiert.

War das Deine erste Plattenproduktion, die Du mitgemacht hast?
Ja.

Das ist doch sicherlich für jeden Musiker ein ganz besonderer Moment, wenn man in ein Studio gehen darf, um eine Platte aufzunehmen. Wie hast Du denn diese Aufnahme in Erinnerung?
Ich war natürlich sehr aufgeregt. Zumal das ja seinerzeit noch nicht so leicht zu handeln war wie heute, wo man alles am Rechner aufnehmen und notfalls korrigieren kann. Wir haben auf jeden Fall alle zusammen und komplett live gespielt, so wie sich das gehört. Man musste also möglichst fehlerfrei durchkommen. So wurden eben früher die Platten aufgenommen.


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Christian und Hansi Biebl



Du hast gerade gesagt, dass Du für diese Band richtig gebrannt hast. Wieso bist Du denn schon 1980 wieder bei der MSB ausgestiegen?
Es gab da einen Gitarristen, der hieß Hansi Biebl. Der war in der Bluesszene aktiv und galt dort als das ganz hohe C. Es gab ja immer diese zwei Lager. Das eine Lager hielt Hansi Biebl für den besten Gitarristen der DDR, das andere Lager vergab diesen Titel an Jürgen Kerth. Für mich waren beide absolute Spitze. Ich hörte von irgendwoher, dass Hansi Biebl gerade dabei war, eine neue Band zusammenzustellen. Und ich dachte mir, sowas würde ich ja auch gerne mal machen. Ich nahm all meinen Mut zusammen, besorgte mir die Telefonnummer von Biebl und rief ihn aus einer Telefonzelle an. Und Hansi meinte sofort, ich solle mal mit meinem Bass bei ihm vorbeikommen, dann können wir mal reden und ich könnte ihm vorspielen. Vor unserem Treffen machte er sich erstmal kundig über mich und kam zu einer Mugge im Studentenclub Berlin, wo ich spielte. Er sah und hörte sich das an und lud mich dann offiziell zu sich nach Hause ein. Zuhause hatte er sogar einen eigenen Proberaum, wo wir beide dann in Ruhe Session machten. Es dauerte nicht lange, da hatte sich Hansi für mich entschieden. Nun brauchten wir noch einen Drummer. Es gab mehrere Optionen, die an Hansi von verschieden Seiten herangetragen wurden. Zuerst interessierten wir uns für den Schlagzeuger von WAHKONDA, der auch echt gut war. Der entschied sich aber letztlich gegen uns, weil er glaubte, dass WAHKONDA gerade steil auf dem Weg nach oben war und eine große Nummer werden würde. Am Ende klappte es mit WAHKONDA dann aber doch nicht so, wie er es gerne gehabt hätte. Die Wahl fiel dann auf Herbert Junck, was wiederum eine Empfehlung von Henry Kotowski war, mit dem Hansi Biebl schon früher zusammenspielte. Herbert Junck war natürlich sofort interessiert an einem Mitwirken bei uns, denn Biebl hatte in der Szene das Ansehen wie ein kleiner Gott.

Hattest Du bei der Auswahl des Schlagzeugers Mitsprachrecht? Du bist ja schließlich als Bassist das passende Gegenstück zum Schlagzeuger.
Wir entschieden das schon zusammen, aber auch alleine hätte sich Hansi für Herbert Junck entschieden. Insgesamt war die Geschichte mit Herbert schon sehr kurios. Hansi gab Herbert beim Vorspiel ein paar Grooves vor, die dieser dann nachspielen sollte. Und seltsamerweise wirkte das beim Herbert oftmals eher zäh, was er spielte. Es stellte sich nach und nach heraus, dass er sich eigentlich immer am Anfang etwas schwer tat und es generell ein paar Momente dauert, bis er sich die Dinge aneignete, aber wenn er es erst einmal verinnerlicht hatte, dann war er unschlagbar gut. Herbert hatte einen so tollen Groove und er spielte überhaupt so was von gut! Also er war, um es mal darauf runterzubiegen, ein irre guter Schlagzeuger. Ich verstand mich Herbert einwandfrei, er war ein richtig netter Kerl.

Wie hast Du die Zeit mit Hansi Biebl, dem Gott der ostdeutschen Bluesszene, für Dich erlebt? Und wie lange warst Du dabei?
Hansi war ein Meister seines Faches und ein ganz ernsthafter Musiker. Wir spielten nur eigene Sachen, also ausschließlich Songs aus Hansis Feder. Wir spielten sehr viel, manchmal bis zu zwanzig Muggen im Monat. Es kam auch vor, dass wir zwei bis drei Wochen Stück unterwegs waren. Eigentlich hätten wir jeden Tag dreimal spielen können, so gefragt waren wir und so viele Angebote bekamen wir. Unglaublich! Ich erinnere mich zum Beispiel noch an eine Mugge in einem kleinen Club, der aus baulicher Sicht eher eine Art alter Dorfsaal war. Die Betreiberin des Ladens hat uns Unsummen dafür angeboten, dass wir jeden Monat wenigstens einmal bei ihr auftreten, was Hansi aber abgelehnt hat. Ich will damit sagen, wir konnten uns vor Angeboten nicht retten. Wir mussten wirklich die eine oder andere Anfrage aussortieren, denn nie im Leben hätten wir alles geschafft zu spielen, was uns angeboten wurde.

Hattet Ihr denn überhaupt Zeit, neues Songmaterial zu erschaffen und vielleicht auch mal wieder eine neue Platte aufzunehmen, wenn Ihr so viel live gespielt habt?
Ja, das haben wir gemacht. Die LP hieß "Der lange Weg". Die Zeit, immer wieder mal neue Songs einzustudieren und diese auch ins Live-Programm aufzunehmen, haben wir uns trotzdem genommen.

Diese Platte erschien ja relativ früh. Ich meine mehr die Zeit danach, als es bei euch so unglaublich heiß her ging. Du sprachst ja eben von zwanzig Muggen im Monat. Habt ihr denn in dieser extremen Zeit noch Muse gehabt, an neuem Material zu arbeiten?
Ja stimmt, es blieb nicht viel Zeit, aber wir haben trotzdem immer wieder mal neue Songs einstudiert.

Hansi Biebl hatte ja schon vorher tiefe Spuren in der Musiklandschaft hinterlassen. Unter anderem gibt es ja dieses legendäre Album "Savannah" mit Eberhard Klunker und Olaf Wegener aus dem Jahr 1975, was zunächst nicht erscheinen durfte, dann sehr viel später durch Zufall wiederentdeckt und 2009 dann doch noch veröffentlicht wurde. Habt ihr denn auch die älteren Sachen von Biebl gespielt?
Ob nun Songs von "Savannah" dabei waren, weiß ich gar nicht mehr. Von den beiden anderen Platten, also vom ersten als auch von dem neuen Album "Der lange Weg" haben wir natürlich ganz vieles gespielt. Und dafür hatte Hansi eine ganz besondere Idee, die zwar nur rein soundmäßigen Charakter hatte, aber trotzdem geil war. Und zwar habe ich jede Bass-Spur, die ich aufgenommen hatte, ein zweites Mal eingespielt, also den Bass quasi gedoppelt. Dadurch klingen meine Basstöne manchmal wie ein Effektgerät, aber es sind alles natürliche Töne, die einfach nur das Zusammenmischen der beiden Bass-Spuren entstanden sind. In der Zeit spielte ich auch schon einen Bass, der zur Hälfte Fretless war. Das bastelte ich mir selbstständig zusammen. Ich hatte nämlich damals einen Jazzbass, auch wenn das kein originaler Fender war. Mit diesem Bass habe ich vorher auch schon bei der NOVO BLUESBAND, bei FREYGANG und bei der MODERN SOUL BAND gespielt. Ich hatte halt nur diesen einen Bass. Heute ist das anders, da hat jeder Musiker mehrere Variationen seines Instrumentes rumzustehen, aber ich hatte wirklich nur diesen einen Bass. Nun musst du wissen, dass ich seinerzeit immer noch zweigleisig gefahren bin, denn nebenbei lief ja auch immer noch meine Ausbildung. Mit ganz viel Tricksereien, die nichts anderes als Schwänzen waren, kam ich über die Runden, denn wir spielten ja mit Hansi Biebl extrem viel. Inzwischen war ich übrigens bereits an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" gelandet, weil … entschuldige bitte, wenn ich hier manchmal hin- und herspringe … ich die Berufsausbildung an der Musikspezialschule nicht weitermachen konnte, weil just zu diesem Zeitpunkt dieser Zweig mit der Berufsausbildung eingestellt wurde. Also hätte ich direkt zur Berufsschule gehen müssen. Um nun aber endlich auf die Hochschule zu kommen, musste ich neben meinem Gitarrenbass noch einen weiteren Bass spielen können, und zwar den Kontrabass. Deshalb habe ich gleich im zweiten Jahr an der Musikschule in Friedrichshain angefangen, Kontrabass zu spielen. Quasi schon als Vorbereitung auf das spätere Studium an der Hochschule.


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Die Biebl-LP "Der lange Weg"



Wo hattest Du den denn her?
Ich kaufte mir einen gebrauchten Kontrabass inklusive Bogen und begann fleißig darauf zu üben. Da ich noch nie zuvor einen solchen Kontrabass in den Händen hatte, begann mein Lehrer in Friedrichshain logischerweise beim Urschleim, um mir das Spielen eines Kontrabasses beizubringen. Natürlich wollte ich das schnellstmöglich bewältigen, um ohne große Verzögerungen an die Musikhochschule gehen zu können und somit meinen Berufsausweis zu bekommen. Das klappte auch recht gut, denn schon nach einem Jahr spielte ich an der Hochschule zur Aufnahmeprüfung vor und bestand diese auch. Jetzt konnte ich also endlich mein Hochschulstudium anfangen, aber ich möchte betonen, dass all diese Dinge nach wie vor parallel zu den vielen Muggen liefen. Es war vom reinen Zeitfaktor her alles sehr schwierig zu bewerkstelligen, aber ich war ja noch jung und enthusiastisch, und packte das irgendwie.

Lass uns zurück zu Hansi Biebl kommen. Wie lange dauerte deine Zeit bei ihm?
Ich war mit Hansi bis wenige Stunden vor seinem Abgang in den Westen aktiv zusammen.

Wusstet ihr oder wusstest du von seinen Plänen?
Das war so: wir hatten ein Angebot, zwei Abende in Westberlin im "Quasimodo" zu spielen. Tatsächlich ließ man uns rüberfahren. Natürlich war alles sehr kompliziert, wir mussten tausend Anträge ausfüllen und so weiter. Wir konnten es eigentlich gar nicht fassen, dass sowohl Hansi als auch ich, aber auch Herbert Junck, der vorher schon mal ein Zollverfahren wegen Instrumentenschmuggels am Hals hatte, die Genehmigung erhalten hatten, denn wir waren nun wirklich nicht die Wunschbürger, die der Staat gerne gehabt hätte. Wir spielten also zwei Abende vor ausverkauftem Haus, was aber auch nicht schwer war, denn das "Quasimodo" war nicht sehr groß. Vor dem ersten Auftritt teilten Hansi und seine Frau Astrid, die die Managerin der Band war und ebenfalls mitgereist war, uns mit, was sie vorhatten. Der Plan sah vor, dass Hansi drüben bleibt, Astrid wegen der Tochter wieder mit uns zurückkommt und man dann später auf Familienzusammenführung plädieren wollte. Hansi bat uns innständig, dass Herbert und ich auch im Westen bleiben sollen, um dann zu dritt als Band in der BRD weiterzumachen. Oha, das hatte gesessen!

Wie wir wissen, haben Herbert und du diese Möglichkeit nicht wahrgenommen, sondern ihr seid wieder nach Hause gefahren.
Glaub mir, wir haben wirklich stundenlang überlegt, was wir machen sollen, ehe wir uns entschieden, wieder zurückzufahren in die DDR. Du musst wissen, dass das damals auch ein unglaublicher Druck war, der auf einem lastete. Mir war klar, wenn ich drübenbleibe, kann ich wahrscheinlich nie wieder rüber in die DDR. Ich werde meine Eltern wohl nicht mehr wiedersehen und außerdem hatte ich ja auch schon ein eigenes Kind. Es war eine echt harte Entscheidung, die wir treffen mussten. Bei Herbert verhielt es sich ähnlich. Er hatte zwar noch kein Kind, aber auch schon eine Frau und eine sehr enge Bindung zu den Eltern. Okay, wir trauten uns also nicht, drüben zu bleiben, was Hansi wiederum bewog, seinen Plan aufzugeben und doch wieder mit uns zurückzufahren. Wir machten dann in der DDR weiter, als sei nichts gewesen, aber natürlich wurde die Sache eines Tages ruchbar und kam ansatzweise ans Tageslicht. Ob es nun genau Hansis Gedankenspiele waren, die rauskamen, wissen wir bis heute nicht, aber auf jeden Fall hatten wir uns inzwischen im Osten schon wieder unbeliebt gemacht. Es war nämlich ursprünglich geplant, dass wir nach der ersten Mugge am späten Abend gleich wieder zurück nach Ostberlin fahren sollten und vor der zweiten Mugge am nächsten Tag wieder rübermachen durften. Dazu tauchte vor dem Ende unseres ersten Konzertes plötzlich ein Typ von der Künstleragentur der DDR im "Quasimodo" auf und ermahnte uns zur Eile, damit wir es noch vor Mitternacht zurück nach Ostberlin schafften. Aber Hansi zeigte ihm einen Vogel und meinte zu ihm: "Nö, wir bleiben hier". Hansi meinte damit natürlich nur, dass wir zwischen den beiden Gigs drüben bleiben und dort übernachten, aber wie zu erwarten war, gab das mächtigen Stress und Ärger im Osten. Am Abend nach der Mugge zerstreuten wir drei uns dann auch in Westberlin und trafen uns erst nächsten Tag zur Mugge wieder.

Mal abgesehen von dem Ärger wegen eures eigenmächtigen Fernbleibens nach der ersten Mugge … Wie ging es denn mit Hansi weiter, denn der hatte ja seine Pläne mit Sicherheit nicht einfach aufgegeben, oder?
Natürlich nicht. Hansi stellte kurz nach diesen Ereignissen einen offiziellen Ausreiseantrag.

Das dürfte für Euch als Band ja das Aus bedeutet haben …
Nein, noch nicht gleich. Aber es war so, dass uns alle Muggen, die in staatlichen Kulturhäusern und Clubs gebucht waren, wegbrachen. Später kriegten wir raus, dass der FDJ-Zentralrat ein Rundschreiben auf den Weg brachte, in welchem die Anweisung stand, mit uns keine neuen Verträge mehr abzuschließen und auch die bestehenden Verträge zu annullieren. Das führte dazu, dass wir nach und nach nur noch privat spielen konnten, und selbst das reduzierte sich mit der Zeit immer mehr. Letztlich war das aber gar nicht schlimm, denn wir gründeten dann eine Art Dissidenten-Band. Herbert Junck bekam ein Angebot von NO55, was er eigentlich nicht annehmen wollte, doch Hansi riet ihm zur Zusage, weil er dann erstmal eine Möglichkeit hätte, weiter Musik zu machen. Nebenher bekamen wir immer mehr Angebote von Kirchen, die anfragten, ob wir nicht in bei ihnen spielen wollten. Das waren sozusagen die Vorreiter der späteren Bluesmessen in den Kirchen. Wir suchten uns für diese Veranstaltungen jemanden, der auch schon einen Ausreiseantrag zu laufen hatte und fanden Peter Krause, der früher auch schon bei Biebl getrommelt hatte. Von nun an waren wir eine Art Dissidenten-Band, die in Kirchen und Gemeindesälen spielte.


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Hatte das für dich nicht noch mehr Nachteile, weil Du ja quasi mit Abtrünningen musiziert hast?
Ja, ich denke schon. Aber ich war keinen unmittelbaren Drohungen oder Repressalien ausgesetzt. Es beschränkte sich auf die üblichen Dinge, wie zum Beispiel, dass diese Typen ganz offen auf unseren Veranstaltungen rumlungerten und dir damit zu verstehen gaben: "Wir haben dich im Visier, wir beobachten dich". Mich hat das jedenfalls überhaupt nicht interessiert. Und man muss sagen, die Verantwortlichen in der DDR haben die Kirchen und ihre Räumlichkeiten respektiert. Somit waren wir in den Kirchen geschützt und der Staat wusste, er war an dieser Stelle machtlos.

Wie lange lief das mit dieser Dissidenten-Band?
Das ging ungefähr bis zum Sommer 1983, weil dann plötzlich Hansis Ausreiseantrag stattgegeben wurde. Man weiß ja, dass man ab Überbringung der Ausreiseerlaubnis noch maximal 48 Stunden Zeit hatte, alles in Ordnung zu bringen. Ich habe Hansi am letzten Abend vor der Ausreise noch gesehen. Am nächsten Morgen mussten wir ganz früh los zum Tränenpalast in Ostberlin, denn dort erfolgte der Grenzübertritt für die Ausreisewilligen.

Warst du danach arbeitslos oder ging es für dich mit etwas anderem nahtlos weiter?
Ich habe danach zum zweiten Mal bei der MODERN SOUL BAND angefangen, weil Hugo Laartz mitbekommen hatte, dass es bei Hansi mit der Anzahl der Auftritte arg zurückging. Da aber auch die MSB nicht mehr so häufig auftrat wie noch zu Zeiten von Klaus Nowordworski, ließ sich das ganz gut miteinander verbinden. Alles in allem war ich da circa zwei Jahre.

Aber wie bist du denn zu ENGERLING gekommen?
ENGERLING suchte einen neuen Bassisten, weil sich mein Vorgänger, Günther Krex, verändern wollte. Der wollte mit einer neuen Band arbeiten und war gerade dabei, sich ein Studio einzurichten. Also brauchte ENGERLING einen Nachfolger und man hat mich einfach mal angefragt. Da auch ich zu dem Zeitpunkt nichts gegen eine Veränderung hatte, sagte ich zu, zumal ich die Band schon immer toll fand.

Allzu lange ging das Intermezzo aber für dich nicht. Was hast du denn in dieser relativ kurzen Zeit bei ENGERLING erlebt?
Wir haben extrem viel gespielt, haben während meiner Zugehörigkeit zwei, drei Songs produziert, die auch heute noch gerne live gespielt werden.

Weißt du noch, welche Songs das waren?
Lass mich überlegen… Der eine Song hieß "Frühprogramm", der zweite war der "Narkose Blues". Beide wurden in der Brunnenstraße aufgenommen.

Wie war das im Jahr 1986? Hat Ed Swillms dich angerufen oder hat er dir einen Brief geschrieben, dass Du zu KARAT kommen sollst?
Nee, das war ganz anders. Einer der KARAT-Techniker war Hansi Biebl-Fan. Und wenn der Zeit hatte, ist der zu den Biebl-Muggen gekommen oder wir haben privat was mit unseren Fans gemacht. Das war früher so, dass man sich als Musiker auch mal privat mit den Fans getroffen hat. Jedenfalls verriet mir dieser Techniker, dass KARAT auf der Suche nach einem Bassisten sei. Ich spielte ja damals gerade bei ENGERLING, und irgendwie wurde die Verbindung zu KARAT hergestellt. Ich weiß aber nicht mehr, wie man mich kontaktiert hatte und mit wem ich zuerst gesprochen habe. Jedenfalls besuchte ich Ed dann mal in seinem winzig kleinen Studio in Mahlsdorf, wo wir stundenlang Session machten. Von da an war ich Mitglied bei KARAT. Ed hat das alles in die Wege geleitet, obwohl er live schon gar nicht mehr mitgespielt hat. Dazu kam noch, dass sich Ed und Hansi Biebl kannten und respektierten und sich Ed bei Hansi per Telefonat in den Westen nach mir erkundigt hatte. Später erfuhr ich, dass er zuvor schon etliche Vorspieltermine für andere Bassisten gab, mit denen man aber nicht zufrieden war.


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Christian bei Engerling



Jetzt hast du jahrelang Blues gemacht und auch ein bisschen Soul gespielt, also ein ganz spezielles Feld beackert. Und nun kommst du plötzlich in eine Popband. War das ein großer Spagat für dich oder konntest du dich schnell damit anfreunden?
Na ja, manche Sachen waren schon anders. Aber man muss wissen, dass Ed ja ursprünglich aus der Soul-Richtung kam, denn er spielte ja vorher bei PANTA RHEI. Der Geist von Eds Kompositionen kam also aus dieser Richtung und wurde nur noch in diese Pop-Schiene transferiert. Insofern waren die Stilistiken meiner Bands gar nicht so weit weg von Eds Musikauffassung.

Da hat vor kurzem doch mal ein Zeitgenosse gemeint, die Songs von KARAT könnte auf dem Bass jeder spielen. Du wirst es besser wissen und bestätigen, dass es letztlich doch ziemlich kompliziert ist, oder?
Sicher gibt es bei KARAT auch ein paar einfache Nummern, aber das Gros der Titel stellt schon eine Herausforderung dar. Es gibt auch ein paar Nummern, in denen ein von Ed eingespielter Synth-Bass vorkommt, die ich dann aber live auf einem echten Bass gespielt habe.

Du bist 1986 zu einer Zeit zu KARAT gestoßen, als es kurz vorher ein kleines Erdbeben gab. Stichwort: Henning Protzmann. War von den Aufräumarbeiten noch etwas zu bemerken? Hast du von diesem Wirbelsturm noch etwas mitgekriegt?
Ich habe insofern etwas mitbekommen, weil es für eine so hoch angesiedelte Profiband dann doch anfangs etwas chaotisch zuging. Das war aber sicherlich dem Umstand geschuldet, dass Henning der organisatorische Leiter von KARAT war. Frau Walter übernahm dann die Aufgaben von Henning und natürlich ging es am Anfang noch etwas holprig vonstatten. Nun kam dazu, dass ausgerechnet währenddessen noch ein neues Album produziert werden sollte. Zu allem Unglück starb ein paar Tage nach meinem Einstieg bei KARAT auch noch ein sehr guter Freund von Ed, nämlich Achim Graswurm, ein sehr guter Trompeter. Das hat Ed total umgehauen, der war dadurch für eine gewisse Zeit völlig am Boden. So kamen also einige Dinge zusammen. Henning spielte ja zunächst noch eine Weile mit, während ich noch mit ENGERLING unterwegs war. Nebenbei habe ich aber schon mit den Jungs von KARAT geprobt und die Vorbereitungen für das neue Album liefen ebenfalls schon.

Interessanterweise hat Henning Songs von dem Album "Fünfte Jahreszeit" teilweise selber noch live gespielt.
Ja, das stimmt.

Und du hast dir nun innerhalb kürzester Zeit die ganzen Songs aufdrücken müssen. Wie schwer oder wie leicht ist dir das gefallen, dich so schnell einarbeiten und dann auch gleich auf die Bühne zu müssen?
Ich stand ziemlich unter Strom, zumal es eine echte Doppelrolle war, die ich ausgefüllt habe. Wir probten für das neue Album und für die Live-Auftritte und dazu spielte ich ja immer noch mit ENGERLING Konzerte. Ich schenkte den Jungs von ENGERLING natürlich reinen Wein ein. Die wussten, dass ich zu KARAT gehe, aber ich bin nicht sofort ausgestiegen. Also das war eine ganz schöne Belastung. Andererseits wusste ich, dass ich mit KARAT auch wieder in den Westen komme, was natürlich toll war. Wobei ich sagen muss, dass man mich anfangs nicht rüberfahren lassen wollte. Als nämlich bekannt wurde, dass ich der neue Bassist bei KARAT werde, legte man der Band von staatlicher Seite aus nahe, doch lieber jemand anderen zu suchen, weil ich kein Reisekader wäre. Spätestens nach der Sache mit Hansi Biebl hatte ich meinen Stempel aufgedrückt bekommen. Man musste also davon ausgehen, dass ich nie wieder in den Westen reisen darf. Ich weiß nicht mehr genau, welches Amt mir da Steine in den Weg legen wollte, Fakt war aber, ich wurde als Reisekader abgelehnt. Und was machten meine Kollegen von KARAT? Die sagten klipp und klar, dann fahren sie eben auch nicht mehr rüber. Die haben zu mir gehalten und sind auch nicht eingeknickt. Das war umso bemerkenswerter, wenn man weiß, dass der Terminplan von KARAT im Westen sehr gut gefüllt war. Die haben ja eine Zeitlang mehr Auftritte in der BRD als in der DDR gehabt. Für mich war diese Solidarität innerhalb der Band eine sehr schöne Erfahrung, zumal das ja auch nach hinten hätte losgehen können. Es war ein reines Pokerspiel, ob der Staat nachgibt oder ob er stark bleibt und KARAT sich selber ins Abseits befördert. Am Ende hat aber der Staat nachgegeben. Allerdings haben die mir noch schnell einen reingewürgt, denn man hat die Ausstellung meines Reisepasses extrem lange verzögert, so dass Henning Protzmann noch einige Konzerte im Westen spielen musste, obwohl ich eigentlich schon offiziell zur Band gehörte. Und in der DDR konnte ich auch nicht mitspielen, denn da gab es keine Termine.

Jetzt kommst du also in diese Band und triffst da plötzlich auf so große Namen wie Herbert Dreilich und Micha Schwandt, mit dem du ja die Rhythmusabteilung gebildet hast. Wie hat Micha dich als neuen Partner aufgenommen?
Sehr positiv, das muss ich schon sagen. Das galt aber auch für alle anderen. In dieser Zeit herrschte ein tolles Klima in der Band. Ich denke mal, die waren alle ziemlich befreit, dass der große Knatsch endlich vorbei war und man wieder einem normalen Alltag als Band nachgehen konnte. Bevor ich nun aber erstmals mit KARAT auf der Bühne stand, haben wir das Album "Fünfte Jahreszeit" aufgenommen.


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Christian und Boddi Bodag von Engerling



Du gehörtest nun also zur Band. Irgendwann löste sich der Stress mit den staatlichen Organen in Wohlgefallen auf und du durftest wieder in den Westen reisen. Du kamst ja nun auch über Westberlin hinaus rüber in den ganz großen Westen. Wie hast du denn deinen ersten Ausflug in die BRD erlebt? Was waren deine ersten Eindrücke, die du aufgesogen hast?
Das kann ich dir ganz genau sagen. Wir sind irgendwo in Thüringen rüber über die Grenze und das erste, was mir auffiel, war die Tatsache, dass die Grenzer auf westlicher Seite gar nicht kontrolliert haben, die winkten uns einfach durch. Hinter dem Grenzübergang fuhren wir gleich an die erste Raststätte und tranken ein Bier. Des Weiteren fielen mir überall an den Straßen die Schilder mit den Radiosendern und dem Verkehrsfunk auf. Sowas gab es im Osten nicht. Außerdem fiel mir auf, dass es auf den Feldern im Westen nicht diese großen quaderförmigen Heuballen gab, sondern da gab es schon diese Bindegeräte, mit denen das Stroh und Heu zu großen Rollen gebunden wurde.

Ich finde interessant, dass dir als erstes so profane Dinge aufgefallen sind.
Natürlich war es in den Städten auch viel bunter und heller als bei uns, aber das tangierte mich erstmal nicht so sehr. Teilweise fand ich das sogar ein bisschen nervig und aufdringlich. Ähnlich aufdringlich wie im Osten die Parolen "Auf ewig verbunden mit der Sowjetunion" und alle diese Sprüche.

Du hast aber in dieser Phase auch mitbekommen, wie Ed Swillms komplett die Segel gestrichen hat.
Nein, da muss ich widersprechen. Okay, er hat am Ende fast nichts mehr gemacht. Das Album hat er ja noch komplett mit eingespielt. Aber danach ging es dann schon bergab.

Ed kam aber zu keiner Zeit auf euch zu und hat gesagt, dass er ab sofort aufhört zu arbeiten, oder?
Nein, das hat er nie gesagt. Er hat ja auch immer die Option offengehalten, dass er vielleicht eines Tages doch nochmal tätig wird und er hat tatsächlich auch noch einige Sachen geschrieben, die wir auch gespielt haben, die aber niemals aufgenommen wurden. Ed kam sogar noch mit auf Tour und machte einige Auftritte mit. Das weiß ich so genau, weil ich selber noch ein paar Mal mit ihm zusammen auf der Bühne stand. In diesen Momenten fiel mir immer wieder auf, was Ed für ein begnadeter Musiker ist, was für ein tolles Feeling er mitbrachte. Das war echt beeindruckend. Abgesehen davon, dass auch Thomas Kurzhals ein absolut genialer Keyboarder war, technisch perfekt bis in die Zehenspitzen, war Ed doch nochmal ein ganz besonderer Mensch und Musiker.

Ihr habt wirklich zwei Granaten an den Keyboards gehabt, das kann man nicht anders sagen.
Das stimmt.

Wir reden jetzt von einer Zeit, als ihr kaum noch in der DDR gespielt habt. Ihr wart im Westen ziemlich erfolgreich, habt dort ohne Ende gespielt und dann kommt die Wende. Jetzt erlebst du das komplette Gegenteil von dem, was die letzten Jahre war, denn nach dem 9. November 1989 kam die totale Flaute, das totale Tief.
Ich muss dich kurz korrigieren, denn wir haben nicht nur im Westen gespielt. 70 bis 80 Prozent der Auftritte fanden im Westen statt, das ist richtig, aber wir spielten durchaus auch in der DDR. Wir machten regelmäßig eine Westtournee im Frühjahr, Sommer und Herbst, die manchmal bis zu sechs Wochen ging, von denen jeder einzelne Tag verbucht war. Zwischendurch spielten wir aber auch immer wieder im Osten, was am Ende locker hundert Muggen im Jahr bedeutete.

… und dann dieses Loch, von dem ich gerade sprach. Wie hast du persönlich die Wende erlebt?
Als Schabowsky seinen berühmten Coup landete, waren wir in Berlin, weil wir gerade im Studio in der Brunnenstraße ein neues Album aufgenommen haben. Die Platte hieß "Im nächsten Frieden" und war bereits eine Co-Produktion mit einer Hamburger Plattenfirma. In der Kantine des Studios stand so ein kleiner Russenfernseher mit Schwarz-/Weiß-Bild und da liefen die ganzen Ereignisse über den Bildschirm. So sahen wir auch die Szenen mit der überraschenden Grenzöffnung. In der Nacht um 2:00 Uhr fuhr ich von der Brunnenstraße nach Hause nach Pankow. Und auf der Schönhauser Allee Richtung Bornholmer Brücke standen sie Autos schon Schlange und im Stau. Ich bin trotzdem erstmal nach Hause gefahren, weil ich mich in dem Gedränge nicht anstellen wollte.


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KARART-Autogrammkarte aus der Wendezeit



Hättest du in diesem Monet schon gedacht, dass die Öffnung der Mauer für dich einen beruflichen Abstieg bedeutet?
Jein. Na ja, ich hatte schon irgendwie damit gerechnet. Man muss sehen, dass das Jahr 1989 für die etablierten DDR-Bands schon kein Zuckerschlecken mehr war. Die Menschen wollten die DDR-Musik nicht mehr hören und lehnten die großen Bands zum Teil regelrecht ab. Die einzigen, die wirklich gut zu tun hatten, war die Bands, die so eine Art Revoluzzer-Image hatten wie zum Beispiel PANKOW. Aber selbst bei denen lief es längst nicht mehr so rund. Früher waren die Konzerte immer ausverkauft, aber das war nun vorbei. Es hatte sich also schon angedeutet, wenn man die Augen halbwegs offen hatte. Und so war mir durchaus klar, dass es für uns erstmal ziemlich dünne wird, sollten die Grenzen jetzt offenbleiben. Klar, die Leute wollten zunächst mal nur noch Musik aus dem Westen hören. Andererseits war zu diesem Zeitpunkt ja überhaupt noch nicht klar, wie es weitergehen würde, denn erst einmal konnte man jetzt ungehindert in den Westen fahren. Mehr nicht.

Für euch waren aber auf einen Schlag sämtliche Auftrittsmöglichkeiten im Osten weggebrochen, denn die Leute in der DDR interessierten sich gerade überhaupt nicht mehr für eure Musik. Aber ihr habt unbeirrt weitergemacht. Ihr habt euch nicht etwa aufgelöst, ihr habt sogar ein weiteres Album produziert, obwohl gar keine Nachfrage mehr da war. Wo habt ihr dieses Durchhaltevermögen hergeholt? Woher kam der Optimismus, dass sich das alles mal wieder ändern wird und ihr weitermacht, obwohl sich viele andere Bands aufgelöst haben?
Ich weiß nicht, wo jeder einzelne von uns sich die Kraft geholt hat, aber mir war durch meine Erfahrungen klar, dass man im Westen auch nur mit Wasser kocht. Ich habe mir gesagt, dass ist jetzt eine riesige Euphoriewelle, die Menschen wollen in den Westen fahren, sie wollen ihre Stars auch mal live sehen und die Platten kaufen, aber irgendwann kommt die Einsicht, dass unsere Musik aus dem Osten auch toll und hochwertig war und beides Bestand haben wird. So ist es ja letztendlich auch gekommen. Man kann auch niemanden einen Vorwurf machen, wenn sie sich jetzt erstmal die Bands reinziehen wollten, die man zu DDR-Zeiten niemals sehen und deren Platten man nicht kaufen konnte. Zu Beginn der Wendezeit wurden wir Musiker aber im Osten teilweise richtig angefeindet.

Thomas Kurzhals hatte aber nicht so ein gutes Nervenkostüm, denn der hat gesagt, er kann nicht mehr und er hört jetzt auf.
Na ja, das war diese Zeit, in der wir sehr wenig gespielt haben und auch unsere Beliebtheit ziemlich gesunken war. Dazu kam, dass Thomas Kurzhals jemand war, der nie gerne gereist ist. Er war ein sehr gemütlicher Typ, der es gerne bequem hatte, aber er war nicht sehr reisefreudig. Nach der Wende wollte er sich dann seinen Traum vom eigenen Studio erfüllen und lieber verstärkt in diesem Studio arbeiten als rumzureisen. Das hat er dann auch gemacht, was man akzeptieren muss. Diese Entscheidung fiel ihm auch ziemlich leicht, da es ja gerade ziemlich schlecht lief für KARAT. Insofern hat Thomas dann seinen Austritt aus der Band erklärt, was natürlich für alle ein Schock war. Es gab trotzdem kein böses Blut untereinander, denn jeder wusste, dass Thomas´ Entscheidung einzig und allein den aktuellen Umständen geschuldet war.

Du hast es gerade angerissen und mir damit schon fast meine nächste Frage geklaut. Es wird ja immer wieder davon berichtet, dass es nach der Wende ganz oft unschöne Anfeindungen gegenüber Ost-Künstlern gab. Hast du davon persönlich etwas wahrgenommen oder hast du das nur am Rande mitbekommen?
Mehr am Rande, denn ich kann von mir nicht behaupten, dass ich selber in irgendeiner Form mal angefeindet wurde. Aber ja, andere Künstler waren durchaus davon betroffen. Allerdings wurden auch viele Gerüchte gestreut, die überhaupt nicht gestimmt haben. Es gab auch damals schon jede Menge Fake News. Zum Beispiel habe ich mal eine Doku gesehen, die besagte, dass manche DDR-Künstler ein Gehalt vom Staat bezogen hätten. Was für ein Blödsinn! Oder es wurde erzählt, der eine oder andere Künstler hätte die Instrumente vom Staat bezahlt bekommen. Das war so ein kompletter Unfug, der da unter die Menschen gebracht wurde …

Du hast in den Neunzigern wieder eine ganze Menge erlebt und die Talsohle nicht nur durchschritten, sondern dann auch wieder verlassen. Es gab aber nicht nur schöne Erlebnisse, sondern du hast auch miterleben müssen, wie euer Frontmann auf der Bühne einen Schlaganfall erlitten hat.
Ja, das war alles andere als ein Erlebnis, das man in Erinnerung behalten möchte. Wir spielten gerade ein Open Air in Magdeburg und waren fast durch mit dem Konzert. Als letzte Nummer vor den Zugaben fingen wir gerade "Über sieben Brücken" an, als Herbert mir zuraunte: "Christian, Christian, ich kann nicht mehr stehen! Hilf mir mal bitte!" Im nächsten Moment saß er auch schon auf dem Schlagzeugpodest und konnte nicht mehr singen. Man merkte also, dass da irgendwas mit Herbert nicht stimmte. Nach dem Konzert fuhr ich dann gleich mit Herbert ins Krankenhaus, denn im Stillen vermutete ich schon, dass er so etwas wie einen Schlaganfall haben könnte. Und genau das stellte sich dann auch heraus. Herbert blieb noch eine ganze Woche im Krankenhaus, wo ich ihn dann auch besuchte. Im Anschluss wurde er nach Wandlitz in die dortige Reha-Klinik überwiesen, wo ich ihn auch wieder mehrfach besuchte, was schon echt hart war. Dieser Schlaganfall hat auf jeden Fall seine Spuren hinterlassen, das muss man schon sagen. Glücklicherweise war sein Sprachzentrum nicht betroffen, aber er hatte im linken Arm und im linken Bein echte Probleme.


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Rhythmus im Blut



Herberts motorische Fähigkeiten auf der linken Körperhälfte waren ziemlich eingeschränkt, ich erinnere mich …
Klar, man hat das auch gesehen. Und schon bald konnte er auch keine Gitarre mehr spielen. Wir wussten zu dem Zeitpunkt noch nicht, ob Herbert jemals wieder auf der Bühne stehen würde. Ob er so fit wird, dass er vor Publikum auftreten kann … Wir wussten es nicht.

Herbert hat sich aber für so einen heftigen Schlag relativ schnell berappelt. Und ihr als Band seid damals durch die Berichterstattung zu Herberts Unfall medial auf einer ganz hohen Welle geschwommen.
Ja, das stimmt. Während der ersten Konzerte nach dem Schlaganfall saß er erstmal auf einem Hocker, weil er gar nicht so lange stehen konnte. Und dann kam von Peter Maffay die Einladung an Herbert, dass er ihn auf seiner "Begegnungen"-Tour begleiten könnte. Herbert sang zwei Songs, eins davon war zusammen mit Maffay "Über sieben Brücken…" Wir wurden dann eingeladen zu einer der Maffay-Shows. Wow, das war echt beeindruckend! Ein gigantischer technischer Aufwand mit einer Riesenbühne, das war schon geil. Für Herbert selbst war das ein großes Erlebnis, so etwas mal mitmachen zu dürfen. Maffay kümmerte sich auch wirklich ganz doll um Herbert und er war dabei sehr einfühlsam.

Und er erfüllte Herbert einen großen Traum, denn er wollte immer mal mit der Maffay-Band spielen.
Richtig. Und das war auch schön so. Ich freue mich noch heute darüber, dass Herbert so schnell wieder fit wurde um das machen zu können. Anderenfalls ist es schon ein bisschen skurril, dass erst ein Schlaganfall all diese Dinge in Gang setzen musste. Auf jeden Fall war Herberts Teilnahme an dem Maffay-Konzert ein Testlauf, denn KARAT spielte noch nicht wieder.

Das nächste Highlight für dich war ja das Jubiläum "KARAT 25/2000", stimmt`s? Das war ein Riesenkonzert mit vielen Ehemaligen und den Kindern der Musiker auf der Bühne. Das war ein ziemlich beeindruckendes Ding, denn so etwas hat es davor nie gegeben und danach sowieso nicht. Ist dieser Abend wie eine Art Rausch an dir vorbeigezogen oder hast du das bewusst wahrgenommen, was da passierte.
Ganz so rauschartig war es dann doch nicht, denn es gab jede Menge technische Probleme. So ist bei der Mikrofonierung des Orchesters ein bisschen was schiefgegangen. Unser Tontechniker bekam schon graue Haare, denn er konnte die Band gar nicht richtig so aussteuern, wie er es gerne gehabt hätte. Aber irgendwie mussten wir das Orchester ja in unsere Soundwelt integrieren, was technisch recht schwierig umzusetzen war. Da klang die Maffay-Band allein deutlich besser als wir mit Orchester. Trotzdem war es ein großer Erfolg, zumal ja auch die Freilichtbühne Wuhlheide, wo das Konzert stattfand, restlos ausverkauft war.

Ihr habt Kollegen dabeigehabt, die noch aus der Urbesetzung stammten, die aber an dem Abend nicht auf der Bühne standen. Konrad Burkert und Ulrich Pexa sind zwei von diesen Ehemaligen. Habt ihr hinterher noch richtig die Korken knallen lassen oder wie lief der restliche Abend abseits der Öffentlichkeit noch ab?
Ja klar, es knallten noch jede Menge Korken. Es waren wirklich eine Unmenge Leute da, auch ein paar Stammfans durften rein, also es ging äußerst turbulent zu.

War das für dich eins der geilsten Konzerte? Oder gab es bessere?
Auf Grund der widrigen Umstände technischer Art, von denen ich dir gerade erzählt habe, war es nicht unbedingt mein bestes Konzert. Wenn du ernsthaft wissen willst, was mein geilstes Konzert war, muss ich erstmal lange nachdenken. Vielleicht eins in Kuba. Die Leute waren so was von euphorisch, das kann man nicht in Worte fassen. Du musst dir das vorstellen, als wenn man eine alte Doku über die BEATLES sieht und die Leute einfach nur ohrenbetäubend laut kreischen und regelrecht ausrasten. Das erzeugt dann automatisch einen Rückkopplungseffekt und du gibst nochmal einen Tick mehr Gas auf der Bühne. Das ist schon irre. Wir spielten zum Beispiel sechsmal auf einer großen Freilichtbühne in Havanna vor wahnsinnig begeisterten Menschen. Das waren vielleicht meine schönsten Konzerte, weil das eben so extrem war.


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Studienkollegen: BuzzDee und Christian



Ich erinnere mich, dass eure Fans nach dem 1997er Album "Balance" sehr lange auf ein neues Studioalbum von KARAT gewartet haben, welches mit "Licht und Schatten" erst sechs Jahre später, also 2003, erschien. Ihr hattet da eine Phase, die bei mir den Eindruck erweckte, ihr kriegt es nicht hin mit einem neuen Album, aus welchen Gründen auch immer. Was war denn da los?
Da war tatsächlich nicht so viel Licht, sondern mehr Schatten. So genau kann ich es auch nicht erklären, aber es war in der Zeit alles irgendwie nicht ganz so fruchtbar. Zum einen war es so, dass Herbert versucht hat, viel zu schreiben, weil Ed dieser Aufgabe einfach nicht mehr nachkam. Wir unterstützten Herbert, so gut es ging, denn er war immer noch angeschlagen von seinem Schlaganfall. Auf jeden Fall tat es ihm sehr gut, wenn er merkte, er kriegt einen Song besonders gut hin. Ich für meinen Teil fuhr oft zu ihm, hörte mir seine Songideen an, redete viel mit ihm und freute mich, dass ihn das aufbaute, denn er war einfach noch nicht wieder der Alte. Damit meine ich nicht nur seinen körperlichen Zustand, sondern die Sache geisterte ihm immer noch mächtig durch den Kopf und zog ihn nach unten. Auch die Tatsache, dass er nicht mehr Gitarre spielen konnte, belastete ihn sehr. Deshalb half ihm das Schreiben neuer Lieder über manche Klippe hinweg und baute ihn mental ein bisschen auf. Wir haben dann versucht, etwas aus dem zu machen, was er geschrieben hat. Ob das Album am Ende wirklich mehr Licht als Schatten aufwies, müssen andere beurteilen.

Es sind durchaus ein paar gute Nummern drauf, aber es war eben kein typisches KARAT-Album.
Da hast du Recht. Man muss aber fairerweise sagen, dass das, was Ed geschaffen hat, nicht einfach so kopiert und immer wieder nachgemacht werden kann. Das sind Meisterwerke.

Jetzt muss ich mal einen Schritt zurückgehen. Ihr habt 1994 das Album "Die geschenkte Stunde" aufgenommen. Davon gibt es witzigerweise zwei Versionen. Nämlich eine, die nie das Licht der Welt erblickt hat und dann die, die letztendlich erschienen ist. Wieso wurde denn die ursprüngliche Fassung des Albums nicht veröffentlicht worden, sondern musste neu produziert werden?
Das kann ich dir heute gar nicht mehr so genau sagen. Offensichtlich war es so, dass entweder wir als Band oder der Produzent oder die Plattenfirma nicht hundertprozentig zufrieden waren. Ich musste mit meinem Bass nichts nachfummeln, aber ich weiß, dass einiges nachträglich neu eingespielt wurde.

Nun lass uns schnell wieder zurückkommen auf den Zeitstrahl und wir müssen über eine weitere unschöne Geschichte reden. Ihr hattet einen Auftritt bei RTL und am Ende der Show klärte euch Herbert darüber auf, dass er schwerkrank ist. Wusstest du das vorher schon?
Ja, ich wusste es. Ein oder zwei Wochen vorher zog mich Herbert ins Vertrauen. Er rief mich an und erzählte mir, dass er beim Arzt war und dieser ihm gesagt hätte, dass da irgendwas sei, aber wir erst den genauen Befund abwarten müssten. Außer mir und seiner Frau wusste aber niemand etwas davon. Wir saßen dann also bei RTL in der Garderobe, als der Anruf kam. Sein Arzt rief ihn persönlich an und ich sah sofort an Herberts Gesicht, dass der Befund nicht gut war. Er klärte jetzt ohne Umschweife die anderen auf, dass er erstmal den Stecker ziehen und ins Krankenhaus muss, um sich einer OP zu unterziehen. Man operierte ihn am Magen, der Rest ging dann ziemlich schnell. Es war furchtbar.

Jetzt geht ja jeder anders mit einem solchen Thema um. Der eine hat die rosarote Brille auf - wie ich früher - … der andere kennt das Prozedere und weiß, es geht auf das Ende zu. Zu welcher Fraktion hast du denn gehört?
Ich denke, ich war ziemlich ambivalent drauf. Natürlich sagt man sich, die Hoffnung stirbt zuletzt. Andererseits war mir als rational denkender Mensch klar, was seine Krankheit bedeutete und dass die Überlebenschancen hier nicht sehr hoch waren. Im Laufe der Zeit stellte sich dann leider heraus, dass noch viel mehr auf dem Bildschirm zu sehen war, nämlich einige Metastasen, so dass ich wusste, das kann Herbert nicht überleben. Trotzdem hofft man immer noch auf ein medizinisches Wunder, was aber leider ausblieb. Es war einfach eine ganz schlimme Geschichte …

Du gehörtest ja zu den Kollegen bei KARAT, die ein sehr enges Verhältnis zu ihm hatten. Wie ging es dir in dieser Zeit?
Mir ging es wirklich total schlecht. Nicht nur, weil es Herbert schlecht ging, was man ihm auch ansah. Der körperliche Verfall war nicht zu übersehen. Dazu kam aber auch die bange Frage, wie würde es mit der Band weitergehen. Hören wir ganz auf oder starten wir nochmal neu durch? Es kam alles zusammen und das war grausam. Ich besuchte Herbert bis zum Schluss immer wieder und kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie es ihm immer schlechter ging, man seinen körperlichen Verfall mit ansehen musste und nichts dagegen tun konnte. Ich weiß nicht, wie er sich gab, wenn er alleine war. Aber wenn ich bei ihm war, wirkte Herbert sehr mutig und versuchte gut drauf zu sein, machte seine Witzchen. Er jammerte nicht, sondern war einfach ein tougher Typ. Er wusste, dass er mit seinem Schicksal leben musste und riss sich bis zum Schluss zusammen. Kurz und gut: ich bewunderte ihn für seine Stärke und seinen Mut.


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Damit können wir das Thema KARAT beenden. Seit 2022 hast du ja ziemlich viel Leerlauf und ich vermute, Du würdest gerne wieder irgendwo spielen. Gibt es für dich in irgendeiner Form Licht am Ende des Tunnels? Gibt es eine Option, wo du in nächster Zeit vielleicht mal wieder zu sehen sein wirst?
Es gibt tatsächlich eine Option, aber dazu möchte ich jetzt noch nichts sagen, denn wenn es am Ende nicht zustande kommt, steht man immer ein bisschen blöd da. Ja, es gibt hier und da auch mal ein paar lose Angebote, so habe ich zuletzt drei Nummern für eine Studioproduktion eingespielt. Aber es ist nicht so, dass ich todtraurig zuhause sitze, mich in einem tiefen Tal befinde und rumjammere, dass ich unbedingt wieder Musik machen will. Mein Leben besteht nämlich nicht nur aus Musik.

Christian, ich danke dir für dieses ausführliche Gespräch. Vielleicht hast du am Ende noch ein paar abschließende Worte für unsere Leser übrig?
Ja, sehr gerne. Liebe Deutsche Mugge-Leser, wenn ihr KARAT-Musik mögt, dann denkt immer daran, geschrieben hat sie Ed Swillms. Zumindest die großen und markanten Songs. Auch Herbert Dreilich hat etwas dazu beigetragen. Und die Band KARAT, die immer so einen gewissen humanistischen Touch reinbringen wollte in ihr Wirken, die gibt es in der Form nicht mehr. Aber behaltet die Musik in guter Erinnerung und mich bitte auch. Und auch Henning Protzmann, der die Band gegründet hat, dürfen wir nicht vergessen. Henning war und ist ein super Bassist, für mich einer der Besten auf seinem Gebiet. Dankeschön.

 

Anmerkung: Wir haben das Management der Gruppe KARAT um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten und erhielten die Antwort, "Karat wird dazu keinen Kommentar abgeben. Das haben wir, wie auch allen bekannt ist, noch nie getan und das werden wir auch nicht tun."

 

Interview: Christian Reder
Übertragung: Torsten Meyer, Christian Reder
Fotos: Jana Liebig, Redaktion




   
   
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