Interview vom 2. August 2024
Im Großen und Ganzen war es nur ein kurzer Moment, als eine junge Frau im Jahre 1986 den Popsong "Im Paradies" sang. Es gab keine Single, dafür aber den einen oder anderen Sampler, auf dem das Stück zu finden ist, und zahlreiche Auftritte im Fernsehen der DDR. Die junge Frau war JACQUELINE, und eben diesen Song bekam sie von Dieter "Maschine" Birr und Peter Meyer (PUHDYS) geschrieben. Es gab noch einen weiteren Titel, den sie produzierte, aber das war's dann leider, und irgendwie verloren viele, die sie und ihre geniale Stimme damals toll fanden, JACQUELINE aus den Augen. Viele Jahre später trat sie unter ihrem kompletten Namen JACQUELINE BOULANGER - zuerst in Bands, später solistisch - als Sängerin wieder in Erscheinung. Jetzt aber im Jazz-Bereich. Mit eigener Band und einigen Album-Produktionen machte sie auf sich aufmerksam, und trat sogar gemeinsam mit Uschi Brüning und Ruth Hohmann im Trio auf. Den Weg der Künstlerin JACQUELINE BOULANGER, die mit einer Vielzahl von Show-Größen bereits die Bühne teilte, wollten wir hier bei Deutsche Mugge mal nachzeichnen, darum lud unser Kollege Christian die Wahl-Rostockerin zu einem Interview ein …
Sag uns bitte zunächst mal, wo Du herkommst. Ich habe gelesen, du bist gebürtige Berlinerin.
Das stimmt, ich bin gebürtige Berlinerin mit Wurzeln in der Demokratischen Republik Kongo, früher Zaire. Mein Vater kam daher, während meine Mutter Deutsche war. Der Name Boulanger ist wiederum von meinem Großvater, der von den Hugenotten abstammte.
Das ist dann also gar nicht Dein richtiger Nachname?
Doch, doch! Der kommt von meinem Großvater. Oder anders gesagt: es ist der Name meiner Mutter.
Wie und wann hat Dich denn die Musik erreicht?
Eigentlich schon in der Schule. Ich hatte einen ganz tollen Musiklehrer, Herr Geppardt, der schon frühzeitig bemerkte, dass mit mir in musikalischer Hinsicht irgendwas los ist. Er versuchte mich auf einem Gymnasium anzumelden, das aber leider abbrannte, und somit war dieser erste Versuch gescheitert. Stattdessen erlernte ich zunächst mal einen bodenständigen Beruf, ich bin nämlich gelernter Koch. Meine Ausbildung fand im damaligen Interhotel "Stadt Berlin" auf dem Alexanderplatz statt, und zwar ganz oben in der Panorama-Etage. Das war eine wertvolle Zeit, weil in dieser Küche echte Könner am Werk waren. Mein Küchenchef Gerd Redlich hat damals schon mit Kurt Drummer, dem Fernsehkoch, zusammen gekocht. Es war insgesamt eine wirklich qualitativ hochwertige Lehre, die ich dort machen durfte.
Man kann also sagen, bei Dir geht auch heute noch die Liebe durch den Magen.
Ja, das kann man durchaus sagen. Ich bin auch heute noch sehr fingerfertig, was das Kochen angeht. Mir fällt es nicht schwer, egal wo ich bin, den Kühlschrank aufzumachen, ein paar Zutaten raus zu fischen und dann geht es los, ich zaubere etwas, das gut zusammen passt. Das dauert dann aber nicht drei oder vier Stunden, sondern in einer halben Stunde steht das Essen auf dem Tisch. Aber lass mich nochmal auf meine Lehrzeit zurückkommen. Wir hatten ja drei Schichten zu bewältigen. Und in meinen Nachtschichten habe ich immer so laut gesungen, dass irgendwann ein Kellner kam und mich darauf hinwies, dass noch Barbetrieb sei und man mich draußen höre. Er gab mir allerdings auch den Ratschlag, mich doch mal bei der Hochschule für Musik zu bewerben.
Und? Hast Du?
Ich hab mich tatsächlich kurz darauf an der Hanns Eisler in Berlin beworben ... In meiner Prüfungskommission saßen damals solche Leute wie Michael Hansen, Jenny Petra und Ruth Hohmann. Anfangs sagten die alle, ich hätte so ein tiefes Loch in der Stimme und würde lispeln. Auch müsste ich noch ein bisschen Klavier lernen. Ich suchte mir an der Musikschule Friedrichshain jedenfalls erst einmal eine Gesangslehrerin, und zwar Gerlinde Kempendorff, die heute eine ganz begehrte Professorin ist. Ich nahm Unterricht in Sprecherziehung, musste aber natürlich auch für die DDR wichtige Fächer wie Politikwissenschaft und so was belegen.
Und wie ging es weiter?
Ein Jahr später bewarb ich mich ein zweites Mal an der Hochschule und dort kam dann die Aussage mit dem Loch in meiner Stimme. Ich nehme mal an, die meinten einfach meine schwarze Stimme, mit der sie nicht viel anfangen konnten. Das passierte übrigens in demselben Jahr, in dem Inka Bause an der Eisler mit Bravour angenommen wurde. Ich wurde also auch zum zweiten Mal nicht angenommen. Trotzdem startete ich fast noch einen dritten Versuch. Zu der Zeit lief mir der Arrangeur und Big Band-Leiter Alfons Wonneberg über den Weg, der seines Zeichens Leiter der Abteilung Tanz- und Unterhaltungsmusik und eben auch Jazzer war. Der sah mich auf dem Flur und meinte nur: "Was machst Du hier, Mädchen? Kehre der Hochschule den Rücken und mach Dein eigenes Ding". Ich hab ihn beim Wort genommen.
Und wo zog es Dich dann hin?
Erst einmal arbeitete ich nebenbei in einer Bar etwas außerhalb von Berlin, in Richtershorn. Da gab es eine Bardame namens Bella, ebenfalls dunkelhäutig, die unbedingt wollte, dass ich gesangstechnisch irgendwo unterkomme. Ihr Mann, Tommy Tute, war damals ein sehr bekannter und angesagter DJ. Vielleicht der Grund, dass die PUHDYS ab und an zu Gast und inzwischen befreundet mit den beiden waren. Nun nahm ich zu der Zeit hin und wieder mit zwei Jungs eigene Musik auf und die hatten den PUHDYS unser Material geschickt. So kam es irgendwann zu dem Birr/Meyer- Song "Im Paradies".
Bevor Du weitererzählst … Nun ist es ja nicht so, dass man in der DDR einfach mal gesagt hat: "Ich schreibe jetzt ein Lied und das nehme ich schnell mal auf." Du hattest aber das Glück, gleich mit dem ersten Titel, den Du mit den PUHDYS aufgenommen hast, eine Plattenveröffentlichung zu bekommen, denn Du bist mit dem Lied "Im Paradies" gleich auf einigen Samplern gelandet.
Das war mir gar nicht so bewusst. Was ich aber gleich bekam, waren Fernsehauftritte und sogar einen Videodreh für die Nummer. Wenn ich mal ganz ehrlich sein darf, der Song war ja gar nicht meine Mugge, aber egal. Hallo… die PHUDYS hatten an die Tür geklopft. Mein Herz brannte nicht ganz für diese Musik, aber ich staune noch heute, wie sehr dieser Song bei den Menschen ankam und immer noch ankommt, wie sehr sie ihn offenbar mögen. In mir steckte wahrscheinlich schon damals die Jazzerin oder Soul-Lady, weshalb mein Musikgefühl vielleicht zweifelte.
Na ja, "Im Paradies" hat ja diesen typischen PUHDYS-Sound. Vielleicht ist es das, was Dich so ein bisschen daran stört. Der Titel klingt ja so, als wäre er auch Teil des zur gleichen Zeit rausgekommenen PUHDYS-Albums "Ohne Schminke" oder von Birrs Solo-Album "Intim".
Das kann gut sein. Vor allem war ich sicher keine Schlagersängerin. Dieser Titel war aber immer Schlager oder Popsong in meinen Ohren! Das soll jetzt aber nicht bedeuten, dass ich keinen Schlager mag, denn ich habe Sänger wie Howard Carpendale. Christian Anders oder Bata Illic angebetet. Sie sangen Schlager überzeugend und mit Herz, ganz nach meinem Gespür. Zurück zu dem Wohin, Peter Meyer hatte damals Beziehungen zu Fritz Buschner, einem Bandleader, der auf Rügen ein Tanz-Orchester leitete, in das ich einstieg. Dort lernte ich den Vater meiner Tochter Mercedes kennen. Kurz vor der Geburt drehte ich also meine erwähnten Videos mit dem PUHDYS-Song und in der Stillzeit war ich dann z. B. beim Schlagerfestival in Dresden oder in der Musiksendung "Bong".
Du bist ja in diesr Zeit irgendwann auch in die Band von Helmar Federowski eingestiegen. War das vor oder nach der Schwangerschaft?
Lass mich kurz überlegen … Ich war also bei Fritz Buschner, wo ich zwecks Mutterschutz raus bin. Dann kam eine kleinere Band, in der ich aber nicht wirklich zufrieden war, deshalb bin ich da auch wieder weg. Und irgendjemand schickte mich dann zu einer Mugge in die Berliner Kongreßhalle, wo die Helmar Federowski Band spielte. Ich ging also hin, weil Federowski eine Sängerin suchte, denn seine Sängerin Jutta, die auch toll war, war ebenfalls schwanger. Ich durfte vorsingen und war plötzlich Frontfrau der Helmar Federowski Band.
Wann hast Du denn den nächsten Anlauf genommen, um auf die Musikschule zu kommen?
Also wir müssen unterscheiden zwischen Hochschule und Musikschule. Die beiden Bewerbungen an der Hochschule waren durch. Unmittelbar danach habe ich mich dank der Worte von Alfons Wonneberg an der Musikschule fest eingetragen und drei oder vier Jahre dort absolviert. Mit Helmar Federowski machte ich dann kurz vor Grenzöffnung noch eine externe Prüfung vor dem Bezirksmusikrat und bekam meine Pappe, meinen Berufsausweis, und zwar gleich mit einer B. Das heißt zwei Stufen übersprungen, denn man beginnt eigentlich mit einer A, dann gibt es AB und dann erst die B.
1988 hatte eine Deiner Kolleginnen aus dem Westen mit "Twist in my sobriety" einen Megahit. Du hast das Lied im Osten gesungen. Wie kam es dazu, dass Du von diesem Welthit die ostdeutsche Version gesungen hast?
Das war eine Initiative von Helmar Federowski. Amiga brachte ja ständig diese Platten heraus, auf denen Westhits neu aufgenommen und von Ostkünstlern gesungen wurden. Ich war da nur eine von vielen, denen man sagte: Komm, Du könntest mal diese Nummer singen".
Gab es denn da hinterher ein paar Resonanzen? Wurde Deine Version über das Studio hinaus bekannt?
Nein, darüber weiß ich nichts. Ich bin auch niemals mit dem Lied aufgetreten, außer innerhalb unserer Band-Muggen. Aber ich bin ohnehin keine gute Adresse für solche Fragen, weil ich mich an viele Kleinigkeiten aus der damaligen Zeit nicht besonders gut erinnere.
Gab es denn außer diesen beiden Titeln, "Im Paradies" und "Twist in my sobriety", noch weitere Rundfunkproduktionen mit Deiner Beteiligung?
Nein, das waren zu DDR-Zeiten nur diese beiden Titel.
Wie lange ging das denn mit Helmar Federowski und Dir?
Gefühlt lief das ganz schön lange, aber konkret dürften es höchstens drei Jahre gewesen sein. Wir sind viel gereist und durften sogar einmal nach Bochum. So langsam näherte sich dann die Wendezeit und als ich aus der Federowski Band ausgestiegen bin, habe ich mit dem Vater meines zweiten Kindes ein Duo gegründet, mit dem wir sogar eigene Songs komponiert haben.
Hatte dieses Duo auch einen Namen?
Wir nannten uns Jacky B. Da gab es dann auch wieder jemanden, der uns in Erkner in einen Club holte, wo wir sogar einige Auftritte mit unseren eigenen Songs machen konnten. Es passierte nichts Großes, aber es war eine aufregende Zeit. Wir wussten ja nicht wohin die Reise gehen würde. Irgendwann hörte uns dann eine Agentur aus dem Westen. Wir trafen uns mit dem Typen bei uns zu Hause in Lichtenberg und er sagte: "Euch beide will ich in meiner Top 40-Band haben! Und zwar will ich das so sehr, dass ich eine Festgage zahle." So kam es dann auch.
Das war also schon nach der Wende?
Ja, klar, ganz kurz danach.
Wie hieß denn Dein Bühnenpartner, der gleichzeitig Vater Deines zweiten Kindes war?
Ha… Michelles Papa heißt Michael Kestin.
Und plötzlich warst Du also in dieser Top 40-Band und hast die Wendezeit gut überlebt. Andere sind zu dieser Zeit in ein tiefes Loch gefallen, Du scheinst aber einen guten Job gehabt zu haben.
Ich habe immer gearbeitet, solange ich denken kann. Ich kann mich auch gut erinnern, dass man als Musiker vor allem in der Zeit um den Januar voller Schreck bemerkte, dass da relative Flaute herrschte und man sich Gedanken machte, wo das Geld herkommen soll. Aber zum Glück hatten wir die Festgage. Außerdem waren wir zu zweit, Michael hat nebenbei auch noch ein kleines Studio betrieben. Es gab für mich auch immer wieder mal Zeiten, in denen ich in der Gastronomie gejobbt habe, denn das lag mir ja. Anders ging es auch gar nicht, denn ich hatte ja Kinder und konnte es mir nicht leisten, kein Geld zu verdienen.
Wie hieß denn diese Top 40-Band überhaupt?
FIRST FINAL. Wir waren richtig gut unterwegs. Es ging bis nach Holland und quer durch Westdeutschland. Wir spielten in riesigen Zelten vor hunderten von Menschen. Überhaupt waren wir ein total unterschiedlicher Haufen. Unser Gitarrist stand auf AC/DC, unser zweiter Sänger war ein richtig guter Schlagersänger, unser Bassist war ein dürrer Engländer, der ab und an auf die großen Boxen stieg … Wir haben immer richtig abgeräumt bei unseren Shows. Was man so von den Konzerten der ROLLING STONES hört, was da hinter den Kulissen abgeht, das spielte sich bei uns auch ab. Es hat einfach Spaß gemacht. Wir sind auf diesen großen Bühnen rumgesprungen und haben jeden Meter vermessen. Unser Gitarrist Diddi lag auf dem Rücken und hat die Gitarre mit der Zunge gespielt. Da ging richtig die Post ab.
Haben Dein Lebensgefährte und Du Eure JACKY B.-Band weitergeführt oder habt Ihr die ad acta gelegt, als Ihr in die TOP 40-Band eingestiegen seid?
Das war schon allein deshalb kein großes Thema, weil wir ohnehin mit JACKY B. kaum Auftritte hatten. Man buchte uns einfach nicht. Trotzdem haben wir immer weiter an neuen Titeln geschrieben. Gerade vorgestern habe ich mit Michael telefoniert und erfahren, dass sein Bruder überlegt, unsere Songs von damals, die überwiegend noch auf Kassetten sind, digitalisieren zu lassen. Wir waren damals echt aktiv kreativ. Michi hat die Songs komponiert, ich habe die Texte geschrieben und am Ende kam eine ganze Menge Herzenszeug zusammen.
Dieses Rock'n'Roll-Leben hast Du dann irgendwann beendet und hast Dich stattdessen dem Jazz zugewandt. Hat das vielleicht mit Deinem Umzug an die Ostsee zu tun gehabt?
Nicht ganz. Nach FIRST FINAL bin ich nämlich erstmal in ein Tanzorchester gewechselt, das Television Show Orchester unter der Leitung von Klaus Kasparek. Da war ich noch in Berlin. Dieses Orchester spielte überall in Deutschland und recht häufig, unter anderem auch in Berlin im Opernpalais. Da bin ich hin, stellte mich vor und Kasparek meinte sofort: "...die Tante nehmen wir". Wir waren u.a. auf exklusiven Schiffen gebucht, auf der MS Berlin und der MS Deutschland, und haben für große Unternehmen auf Tanzabenden oder zu großartigen Bällen gespielt. Der Bassist dieses Orchesters sagte immer zu mir: "Du bist eigentlich eine Jazzsängerin. Ich habe nebenher eine kleine Swingband, lass uns mal ein bisschen Jazz zusammen machen". So ging das los. Anfangs in einer kleinen Dreier-Besetzung. Ich habe Ella Fitzgerald und Sarah Vaughan gesungen und swingte sofort wie Sau. Als wäre diese Art Musik immer schon in mir gewesen und hatte nur auf den Moment gewartet, wo sie endlich Gehör findet.
Jetzt frage ich mal jemanden, der beide Felder beackert hat: einmal den Pop- und Schlagerbereich und dann den Jazz. Leute, die sich mit Gesang nicht so auskennen und eigentlich gar keine Ahnung davon haben, wüssten sicher gerne, wo für Dich als Sängerin die größten Unterschiede zwischen diesen Genres liegen. Was ist anspruchsvoller, was ist schwieriger?
Meines Erachtens verwendest Du gerade die falschen Worte. Musik ist immer anspruchsvoll, wenn jemand sie ernsthaft und von Herzen ausübt.
Ich meine hier mehr das Handwerkliche, nicht das Inhaltliche.
Ja, da gilt genau das, was ich eben sagte. Ich kann das nur aus meinem ganz persönlichen Blickwinkel sagen. Nun ist es ja auch nicht so, dass ich in dem Orchester oder bei der TOP 40-Band ausschließlich Pop und Schlager gesungen habe. Ganz im Gegenteil, Schlager habe ich eigentlich ganz wenig gesungen. Natürlich war viel Pop dabei, aber auch echt viel Soulmusik. Und Soul ist ja schon sehr nahe am Jazz. Ich bin ja von Natur aus eine Aretha Franklin/Whitney Houston-Tante. Das konnte ich gut und man bekam sehr schnell mit, dass das mein Steckenpferd ist. Deshalb war der Sprung in den Jazz dann gar nicht mehr so groß. Die eigentlichen Unterschiede, die Du ansprichst, sind für mich eher die Zuhörer, das Publikum. Ein Beispiel: ich war mal eine Zeitlang bei einer kleinen Band im Westen als Gastmusikerin tätig. Und bei einem Auftritt musste ich tatsächlich "Du hast mich tausendmal belogen" von Andrea Berg singen, weil die sich das so sehr gewünscht hatten. Ich drückte alle Hühneraugen zu um mich durchzuringen, die Nummer zu machen. Und dann habe ich den Song gesungen - aber auf meine Art! Die Leute im Publikum sind völlig ausgeflippt, weil die das so noch nie gehört hatten. Es kam ziemlich rocklastig rüber und das fanden sie toll. Deshalb also nochmal: es ist nicht die Art der Musik und es ist nicht die Frage, was denn nun wertvoller ist. Sondern am Ende ist entscheidend, wie der Musiker das rüberbringt, was er sagen will, wie leidenschaftlich er das empfindet, was er singt oder spielt.
Darauf zielte meine Frage eigentlich auch ab. Der eine sagt eben, Schlager geht ihm leichter von der Zunge, als wenn er im Klassik-Bereich oder Jazz singen müsste. Deshalb frage ich Dich, ob Dir das eine leichter fällt als das andere.
Ich bleibe dabei, der entscheidende Unterschied liegt im Publikum. Aber natürlich kann man eines sagen: richtig anspruchsvollen Jazz singst Du nicht einfach so, weil Du mal einen Song gehört hast. Das sollte klar sein. Um Jazz gut zu singen und auch um improvisieren zu können, bleibt nur ein Weg: Du musst es lernen. Kein Mensch wird als Jazzsänger geboren hat meine Freundin Uschi Brüning mal gesagt. Insofern stimmt es schon, wenn ich diese Musik machen will, muss ich mich auf den Hosenboden setzen und lernen. Ich muss aber auch viel hören und mich viel ausprobieren. Das muss man im Schlagerbereich vielleicht nicht ganz so sehr. Da hörst Du einen Song und sagst, "Den kann ich", und singst ihn. Wenn man also so an die Sache herangeht, gibt es schon Unterschiede. Jazz ist ein Weg, ist Verständnis und oftmals die Ruhe des Hineinhörens. Ich kann mit dem Singen von einfachen Standards beginnen, da ist es noch nicht wichtig ob ich schon improvisieren kann. Wobei, wenn ich einfach mal den Text weglasse beim singen, ist das ja schon eine Art Improvisation. Aber um das abzukürzen: um eine gute Jazzerin zu werden, braucht es natürlich Zugang zu diesen Klängen und Zeit. Nicht zu vergessen: ganz viel Praxis, sonst bewegt sich gar nichts.
Wann genau ist denn Deine erste Band im Jazzbereich entstanden? Wenn ich das richtig recherchiert habe, hattest Du ab 2003 Deine erste eigene Jazzband.
Das stimmt. Ich habe Dir ja eben erzählt, dass ich zunächst in die Swing-Combo des Bassisten von diesem Tanzorchester parallel eingestiegen bin. Da war ich aber höchstens für ein Jahr, denn in Rostock gab es eine Jazzband, die war in aller Munde und galt als DIE Jazzband der Region schlechthin. Die PASTERNACK GROUP. Die waren schon bei meinem ersten kleinen Auftritt mit dem Swing-Trio alle Mann anwesend. Wie 'ne Jazzpolizei. Jedenfalls boten die mir dann an, bei ihnen einzusteigen, was vom Anspruch her schon eine nächste Stufe war. Kurz darauf zog ich dann auch nach Rostock um. Das war 1999. Für mich machte das Sinn, denn wir harmonierten super miteinander und wir wollten es als Band echt wissen. Es wurden sogar eigene Titel geschrieben, die allerdings wohl noch nicht ganz so das Zeug hatten, dass man auf sie aufmerksam geworden wäre.
Wie lange warst Du da?
Bei der PASTERNACK GROUP war ich etwa drei Jahre und in dieser Zeit haben wir zwei Platten aufgenommen. Irgendwann reichte mir aber auch diese Stufe nicht mehr aus. Das ist das, was ich vorhin sagte: Du bewegst Dich, Du willst immer mehr, Du wirst immer besser, Stillstand gibt's nicht. Daran erkennst Du einen guten Jazzer. Als ich damals in besagte Swing-Combo einstieg, waren die ersten Songs, die wir spielten, fast wie Schlager für mich. Sie fielen mir unglaublich leicht, weil ich die kannte, weil sie mir vertraut waren. Aber je länger ich dabei war, desto stärker wollte ich mehr. So wie später auch bei der PASTERNACK GROUP, ich wollte weiter und wahrscheinlich auch anderes als manch einer von ihnen. Und das ist auch nicht schlimm. Wir ticken zumeist unterschiedlich, wir Menschen. Langjährige Bands sind eine Seltenheit, ein Privileg, weiß ich heute.
Kann man sagen, dass im Jazz der Spruch "Wer rastet der rostet", am besten passt?
Auf alle Fälle passt er sehr gut. Man muss sich halt bewegen. Wer sich nicht bewegt, ist in meinen Augen kein guter Jazzmusiker. Der macht dann einfach die Musik, die er mal irgendwo gehört hat und hält sich daran fest. Im Jazz gibt es aber kein Ausruhen, er ist immer ein Spiegelbild seiner jeweiligen Zeit und Umstände, ist ständige Bewegung, wühlt Dich auf, beansprucht Deinen Geist. Und es steckt dieser permanente Drang dahinter, irgendwie immer mehr davon zu wollen. Aber versteh mich nicht falsch, ich will nicht sagen, dass es das bei anderen Musikrichtungen nicht auch geben kann. Generell gibt es in der Musik eigentlich kein "Fertig" sein. Ich kann irgendwo angekommen sein, gehe aber hoffentlich bald auch weiter. Ich bin Gesangslehrerin und erlebe selbst, was ich beim Unterrichten immer noch lerne über Gesangtechniken, über Gefühl und Stimmung und darüber was es mit den Menschen macht oder auch wie es auf sie wirkt. Und all das bringt mich natürlich ständig weiter und macht mich kompletter. So wie sich Dein Leben bewegt, ändert sich zwangsläufig auch Dein Gesang. Und zwar deshalb, weil singen oder musizieren eben auch mit Erfahrungen und wachsen zu tun hat.
Das Album "Quiet Nights" von der Pasternack Group & Jaqueline Boulanger aus dem Jahre 2001
Wie ging es dann bei Dir weiter?
Ich wollte also nach PASTERNACK etwas eigenes probieren und schaute mich nach Musikern um. Ich bin nach Berlin gefahren und fand den Pianisten Tino Derado, der auch heute noch in meiner Band spielt. Mehr noch, Tino ist mein König und unser musikalischer Leiter. Er empfing mich damals, das muss 2003 gewesen sein, mit dem breitesten Lächeln, das die Welt je gesehen hat in seiner Wohnung in der Marchlewskistraße. Wir spielten zwei Songs zusammen und die Sache war klar. Wir gehörten musikalisch zusammen.
Es war also Liebe auf den ersten Ton.
Ganz Genau. Einen Bassisten fanden wir erst etwas später, als Tino mir in einer Bar in Berlin Paul Imm vorstellte, einen unglaublich groovigen Amerikaner. Ich war sofort geflasht und wusste, der oder keiner soll es sein. Tino meinte, es wäre äußerst schwierig mit Paul, weil der eigentlich in Frankreich seine Band hat und viel unterwegs ist. Aber das war mir egal und ich sagte, dann treten wir eben nur auf, wenn Paul gerade da ist. Paul Imm - ein Tier am Bass! Danach stieß Heinrich Köbberling zu uns, der als Schlagzeuger in der Jazzwelt einen ausgezeichneten Ruf genießt und daneben ein großer Sympathieträger ist. Als Saxophonist konnten wir irgendwann Gabriel Coburger gewinnen, der ebenfalls bis heute Mitglied meiner Band ist. Gabriel spielt in seiner eigenen Band ausschließlich Eigenkompositionen. Er schreibt sehr anspruchsvolle Jazzstücke, die beileibe nicht jeder versteht. Aber das ist auch wieder der Werdegang eben, eine Entwicklung.
Wie meinst Du das?
Es ist jedenfalls vorgekommen, dass er in Jazzclubs spielt, wo man ihn vielleicht nicht kennt, und nach dem ersten Song drei Viertel der Zuschauer aufstehen und gehen. Aber die, die bleiben, bekommen an diesem Abend genau das, was sie hören wollten und wofür sie gekommen waren. Als er mir vor Jahren eine seiner CDs zum Hören überreichte, tat er das mit dem Hinweis: "Aber schön langsam hören! Einen Titel nach dem anderen." Er hatte Recht damit. Man muss das, was er spielt, erst einmal wirken lassen, ehe man es, wenn man Glück hat oder tief genug in der Thematik steckt begreift. Und genau das ist für ihn das Wichtigste: das Gefühl für die Musik zu entwickeln, beim Spielen, beim Miteinander mit den Kollegen. Ich werde immer wieder sehr inspiriert von meinem umwerfenden Saxophonisten. Bass und Schlagzeug wechselten dann später nochmal.
Jetzt hast Du also Deine eigene Band. Und wie Du eben erzählt hast, ist das ja ein zusammengewürfelter Haufen, denn Ihr habt vorher noch nie zusammengespielt. Nichtsdestotrotz muss das Ganze ja derartig explodiert sein, dass Ihr bereits nach einem Jahr ein eigenes Album produziert habt. Wie ist das Album mit dem Titel "That's me" entstanden?
Ganz so ist es nicht denn Paul Imm, Heinrich Köbberling und Tino kannten sich bereits vorher. Gabriel ist sogar einer von Tinos besten Freunden. Ich hatte immer Tino gebeten, die Musiker auszuwählen. Es macht Sinn, wenn die Musiker hinter mir sich gut verstehen und im Einklang sind. Gute Jazzer erkennen sich sofort und außerdem kannte er die Szene ja viel besser. Eigentlich brauchst du kein Jahr um zu wissen, worauf es den anderen ankommt. Eher werden noch Feinheiten geschliffen, könnte man sagen.
Das Album erschien 2004 und schaffte eine Reichweite, die man sich für sein Debütalbum eigentlich nur wünschen kann. Die Platte ist sogar bis nach Japan in die Läden gekommen, wie ich gelesen habe.
Ja, witzigerweise. So ein Typ aus einem Jazzclub in Berlin meinte, dass die Japaner total auf Jazz stehen und diese Platte unbedingt kennenlernen sollten, deshalb nahm er sie mit nach Japan. Ich habe überhaupt nicht verfolgt, wie sich das Album auf dem japanischen Markt verkaufte, aber es kam wohl gut an. Und lass mich noch eines dazu sagen: auf dieser CD ist ja ein deutschsprachiger Titel drauf. Das ist insofern bemerkenswert, als dass ich immer versucht habe, auch meine Muttersprache Deutsch zu verwenden, was aber gerade im Jazz für mich irgendwie schwierig ist. Ganz genau sagen, warum das so ist, kann ich aber nicht. Natürlich klingt die englische Sprache schöner und weicher für den Gesang, aber spätestens seit Holger Biege, Joy Denalane oder Xavier Naidoo wissen wir, dass sich auch deutsche Texte wunderbar groovig und soulig singen lassen. Dennoch ist das für mich immer ein komplett anderes Gefühl, auf Deutsch zu jazzen. Der Song "Toothless miracle" ist eine Eigenkomposition, ein JazzWalz von Tino, den er für seine große Tochter Mali geschrieben hatte. Den Text habe ich dann im Nachgang verfasst. Damit zieht sich irgendwie ein roter Faden, von dem Duo mit Michael Kestin damals, als der eine die Musik und der andere die Texte geschrieben hatte, bis zu meiner aktuellen Platte, auf der auch wieder eine deutschsprachige Nummer ist. Aber das ist wieder eine andere Geschichte, zu der wir ja sicherlich nachher noch kommen werden.
Jetzt denke ich mal an Deine Geschichte vom Anfang zurück, als Du erzählt hast, dass eine Ruth Hohmann Dir zur Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik in der Jury gegenüber saß, aber ab 2018 habt Ihr gemeinsam auf der Bühne gestanden. Lass uns doch mal wissen, wie es dazu gekommen ist.
Dazu muss ich etwas ausholen. Irgendwann war ich mal im Rostocker Stadthafen im Zirkus Fantasia. Zu der Veranstaltung waren Uschi Brüning und Ernst Ludwig Petrowsky als Gäste geladen. Die beiden waren ja bekannt dafür, dass sie gerne ziemlich crazy Musik gemacht haben. Ich weiß noch wie heute, dass Luten auf der Zither spielte oder eher in diese hinein sprach: "Der Wald…" Und Uschi ging hinter so eine große Pappfigur und guckte aus diesem Gesicht raus - ich hab mich nicht mehr eingekriegt vor Lachen! Daraufhin bin ich einfach nach der Veranstaltung hinter die Bühne gegangen und habe Uschi gefragt, ob wir nicht mal was zusammen machen können, denn ich fand sie und Luten total abgefahren. Anders, aber authentisch.
Kannte Uschi Dich denn vorher?
Nein. Aber daraus wurde dann eine größere Geschichte. Und jetzt kommt wieder Andreas Pasternack ins Spiel, der ja hier in Rostock eine echte Institution ist. Nicht nur wegen seiner Band, sondern weil er generell in Sachen Jazz äußerst umtriebig ist. Er hat viele Jahre lang das Landesjugendjazzorchester mentorisch geleitet. Aktuell leitet er die frühere OSTSEE BIG BAND, die jetzt PASTERNACK BIG BAND heißt und er moderiert mit NDR Chef Boeskens die Radiosendung "Jazztime". Pasti sagte jedenfalls zu mir: "Mach doch mal was mit den Jazz-Ladies. Wir können das ja mit der Big Band begleiten". So habe ich also erst Uschi Brüning angesprochen und als nächstes dachte ich mir, es wäre doch toll, wenn wir auch Ruth Hohmann mit ins Boot holen könnten, die ja immerhin die älteste Jazz-Lady des Ostens ist. Ich kannte Ruth schon ein wenig, weil ich um 2002/2003 herum ein paar Stunden Unterricht bei ihr genommen hatte.
Konnte Ruth Hohmann sich denn noch an Dich und Deine damalige Bewerbung an der Hochschule erinnern?
Ja, ein wenig. Aber auf meine Frage nach den Gründen der Ablehnung hatte sie auch keine genaue Antwort. Das war dann wohl doch schon zu lange her. Ich will mich ja nicht zu weit heraus lehnen, aber es gab Gerüchte, dass der damalige Leiter der Prüfungskommission eher auf Inka Bauses Stimme stand, die übrigens im gleichen Jahr dort angenommen wurde, als auf schwarze Stimmen. Mit Gewissheit sagen kann ich das aber nicht.
Zurück zu der Geschichte mit Uschi Brüning …
Ja, gerne. Ich sagte also zu Uschi Brüning: "Wie wäre es, wenn wir Ruth Hohmann dazu nehmen und die JAZZ LADIES erfinden." Uschi war nicht abgeneigt, also begab ich mich in die Spur und organisierte alles. Ich wusste, wir haben die Big Band an der Seite, die großartige Arrangements hatte. Also probten wir drei gemeinsam mit der Big Band und schon bald gab es die ersten Auftritte. Zunächst hier in Rostock, dann auch auf den Jazzfestivals in Dresden, Berlin und Leipzig, beim Jazzfest in Ahrenshoop usw.
Aber die Idee, diese Konstellation auf Platte zu verewigen, hattet Ihr nicht, oder?
Doch, die Idee war durchaus vorhanden, aber das war ja alles nicht so einfach zu realisieren. Ein Soundingenieur aus Berlin hatte sogar mal ein Konzert mitgeschnitten. Das könnte man tatsächlich auf Platte herausbringen, wenn wir das wollten. Aber so richtig ins Studio gegangen, um eine Platte aufzunehmen, sind wir leider nie. Übrigens fällt mir ein, dass es auch für die Jazz-Ladies eine Eigenkomposition von Posaunist Oliver Gruhn gab, zu der ich wiederum einen deutschen Text schrieb: "Jazz Ladies in da house". Dazu hatte ich sogar eine kleine Choreografie erfunden, mit der wir durch das Publikum auf die Bühne tanzten. Das war so lustig, und die beiden haben diesen Spaß vertrauensvoll mitgemacht. Wir besuchen uns heute noch ab und an. Zumeist sind Uschi und ich bei Ruth daheim zu Gast. Wir schwatzen und albern herrlich und essen Ruths Spargel mit Schinken, der von so einigen Berliner Jazzern geliebt und verehrt wird, wie die Grand Dame selbst auch.
Wenn man sich das überlegt, diese drei grandiosen Stimmen vereint auf einer Bühne … Dieses Erlebnis auf einem Tonträger der Nachwelt zu erhalten, wäre schon ein Ding.
Absolut, da bin ich Deiner Meinung.
Du hast in all den Jahren verschiedene Programme gehabt. Herausstechend war natürlich dieses "That's me"-Album, aber Du hattest auch ein Marvin Gaye-Programm und durftest überhaupt mit ganz vielen Größen zusammen auf der Bühne stehen. Was würdest Du denn für Dich als absolutes Highlight ab den 2000er Jahren bezeichnen?
Das kann ich Dir ganz genau sagen, denn das sind die Ereignisse des letzten Jahres. Manchmal fahre ich ganz allein mit dem Wohnmobil in den Urlaub. Das entspannt mich ungemein und ich komme wunderbar runter und kann die vielen Geschehnisse verarbeiten. Als ich also im letzten Jahr mal wieder auf diese Art unterwegs war, dachte ich so über mich und meinen großen Durchbruch nach und fand, dass ich eigentlich nie besser war in dem, was ich mache, als jetzt gerade. Ich bin total energiegeladen und positiv drauf, fühle mich wie ein Feuerwerk, das permanent explodiert und weiß auch um meine Stimmentwicklung. Da war es fast ein Selbstläufer, dass ich mir gesagt habe: "Jetzt mache ich eine neue Platte!" Und es wird Dich nicht wundern, dass dieses Album, das übrigens "Reach Out" heißt, das Beste ist, das ich je gemacht habe. Hier passte einfach alles zusammen, angefangen von den Fragen nach dem "Wie und wo spielen wir die Songs ein?", über den Modedesigner meines neuen Outfits und den Coverdesigner, die ich nach diesem Gedanken erst ganz neu kennengelernt habe und die beide sehr extravagant sind … Es passte eben einfach! Der richtige Moment, die richtigen Zutaten.
In der Musikszene gibt es ja diesen Begriff "Corona-Produkt", der entstand, als viele Musiker zuhause rumsaßen und nicht arbeiten konnten oder durften. Entlädt sich bei Dir auch gerade diese musiklose Zeit? Ist es das, was wir auf Deinem neuen Album hören und fühlen können?
Das ist ja immer ein Sammelsurium. Großartige Aufnahmen sind meist ein Produkt aus der Erfahrung vieler Jahre. Sicher spielt auch die Corona-Phase hier mit hinein und wenn es nur wegen der Besinnung auf die eigenen Qualitäten war oder die Frage "Wo will ich eigentlich noch hin?". Aber die CD ist nicht allein das Ergebnis dieser Zeit, denn meine Musiker lagen mir schon lange in den Ohren und wollten, was mein Drummer kürzlich direkt nach einer Mugge an mich herantrug, als er mit ernsthafter Miene sagte: "Jacqui, jetzt muss mal langsam was passieren." Sie wissen und ich weiß, dass ich längst im Zugzwang bin, meinen und unseren Entwicklungsstand herzuzeigen, weswegen die Scheibe "Reach Out" hießt. Insofern ist es eher ein Ergebnis des gemeinsamen Wachsens und der Freude aneinander. Vielleicht hat dieses Corona-Loch einfach nur für ein wenig mehr Luft gesorgt.
Wie hast Du dieses Loch erlebt?
Ich erinnere mich noch genau, als ich nach einem Monat Pandemie gesagt habe: "Geil, ich habe Freizeit!" Nach zwei Monaten merkte ich dann aber, dass hier irgendwas nicht stimmt und mir manche Dinge unglaublich fehlen. Das war aber nicht nur die Musik und das Singen als solche, sondern vor allem das vor-Menschen-stehen, ihnen etwas zu geben und das entgegenzunehmen, was sie mir zurückgeben. Das hat mir wahnsinnig gefehlt. Ich hatte sogar das Gefühl, in diesem verflixten ersten Corona-Jahr um zehn Jahre gealtert zu sein. Dieses Adrenalin, dieses Hochfahren von Körper und Stimme, das fehlte ungemein. Das war mir vorher nie so klar, weil ich solche Momente nicht kannte. Es war eine komische und aufwühlende Zeit für mich.
Du hast es vorhin ja schon angesprochen: Auch auf Deiner neuen CD bzw. Platte befindet sich wieder ein Song in deutscher Sprache, nicht wahr?
Ich habe die allergrößte Achtung vor Leuten wie Udo Lindenberg, Heinz Rudolf Kunze oder Grönemeyer, weil ich es ungemein wichtig finde, dass wir Deutschen Musiker unsere Sprache gerade auch medial mehr benutzen. Deswegen probiere ich selber es auch immer wieder mal. Die Nummer auf dem Album ist ein Thelonius Monk-Titel namens "Well you needn't". Irgendwann hat die großartige Carmen McRae auf etliche Monk-Titel Texte geschrieben und ein Album daraus gemacht, "Carmen sings Monk". Und von diesem Album habe ich mir den Song "It's over now", wie sie ihn neu benannt hat genommen, ihn inhaltlich so gelassen, aber meinen eigenen Text drauf geschrieben. Er ist richtig witzig geworden, weil ich dabei immerzu an Tino und seinen unfassbaren Humor denken musste. Von ihm kommt auch der Titel "Lass ma gut sein", den der Song auf unserer Platte hat. Insofern ist für mich der rote Faden geblieben, immer mal wieder auf Deutsch zu singen.
Mit dem Veröffentlichen neuer Alben ist das heutzutage ja so eine Sache. Wir wissen, die CD stirbt und die Schallplatte erlebt zwar ein Revival, ist jetzt aber auch nicht unbedingt mehr der gängige Tonträger. Wie ist das im Jazzbereich? Du hast ja gesagt, das Publikum beim Jazz ist ein anderes als beim Schlager oder Pop. Laufen die CD-Verkäufe beim Jazz noch besser oder ist dort genauso wie überall zu beobachten, dass quasi der physische Tonträger stirbt?
Auch hier bin ich nicht diejenige, die so etwas fachmännisch beurteilen kann, außer natürlich, wenn es um die Verkäufe meines eigenen Albums geht. Das neue Album präsentieren wir ja gerade auf den aktuellen Konzerten und hier gibt es etwas Neues für mich. Normalerweise komme ich nicht vor dem Konzert, nicht während der Pause und auch nicht nach dem Konzert heraus, weil ich dieses Bad in der Menge an dieser Stelle nicht verarbeiten kann. Ich brauche stattdessen meine Musiker und liebe es, wenn wir uns nach dem Konzert in den Armen liegen und knutschen und ich diesen "Orgasmus", den wir gerade gemeinsam auf der Bühne erlebt haben, wegatmen kann. Mit dem Erscheinen der neuen Platte änderte sich das Ganze dahingehend, dass ich tatsächlich rauskomme und die Scheibe signiere, was ich vorher sehr selten gemacht habe. Vor allem bei der Vinyl macht das richtig Spaß, denn das Teil sieht so unglaublich gut aus und hat soviel Platz zum schreiben. Und da darf ich sagen, dass die sich auch wirklich gut verkauft. Auf einigen Konzerten natürlich mehr, auf anderen etwas weniger. Letztens traten wir in MV, in der Kirche von Alt-Bukow, kurz vor der Insel Poel auf, wo es schon eine Ausnahme war, dass überhaupt ein Jazz-Konzert stattfand. Da habe ich nach dem Auftritt ganze drei CDs und eine LP verkauft. Das hört sich vielleicht wenig an, für diese Region und dieses Publikum war das aber viel. Ich bin mir sicher, wenn ich nicht selber draußen gestanden hätte, wäre gar nichts verkauft worden. Außerdem kam ich mit den Leuten ins Gespräch, die Sonne schien und sie wollten eine Menge wissen. Das war also gut so. Das andere Extrem erlebten wir letztes Weihnachten in der Jacobikirche in Stralsund. Da habe ich wirklich eine Stunde lang am Signier-Tisch gestanden und richtig viel verkauft, obwohl es in der Kirche echt kalt war und ein Gast sagte: "Danke, dass Sie mit uns hier gefroren haben". Man steckt vorher also nie drin. Grundsätzlich kann ich mir gut vorstellen, dass die Plattenverkäufe zurückgehen, was für mich aber nicht das große Problem ist, denn ich mache eigentlich keine CD nur mit dem Gedanken an einen guten Verkauf. Ja, ich weiß, ich bin ein lausiger Geschäftsmann. Aber ich nehme eine CD auf, um auch uns selbst zu zeigen, wie weit wir gekommen sind. Wenn ich die eigene CD dann alle paar Monate im Auto laut anmachen kann und an den bewussten Stellen immer noch Tränen in den Augen habe oder schmunzeln kann, dann weiß ich wofür die Produktion gut war und hoffe, dass es den Käufern genauso geht.
Tränen in den Augen hat man auch, wenn man die lange Liste sieht mit den Namen der Künstler, mit denen Du schon auf der Bühne gestanden hast, und wenn man feststellt, diese Momente selbst verpasst zu haben. Die Namen Ruth Hohmann und Uschi Brüning haben wir schon genannt. Dazu kommen solche Leute wie Stefan Gwildis, Julia Neigel und, um in Deinem Genre zu bleiben, auch Finn Ziegler und Jens Winter. Das sind ja alles große Namen. Hat man, wenn man schon so viele berühmte Leute neben sich auf der Bühne hatte, noch Wünsche nach Duett-Partnern? Mit wem möchtest Du irgendwann mal etwas zusammen machen?
Im Moment habe ich da niemanden im Kopf. Aber weil Du gerade Stefan Gwildis genannt hast - in dem Jahr, als ich Julia Neigel hier in Rostock hatte und sie da auch erstmals live erlebt habe, sind wir schnell darauf gekommen, dass wir beide schon mit Stefan Gwildis zusammen Musik gemacht hatten. Unsere Idee war gleich, Stefan davon überzeugen, dass wir zu dritt auf die Bühne müssen. Das zum Beispiel würde ich liebend gerne erleben. Ja, wenn ich ehrlich bin, möchte ich durchaus mal mit dem einen oder anderen Star auf der Bühne stehen. Früher hatte ich den Wunsch, unbedingt einmal Aretha Franklin zu befragen, was sie zu meinem Gesang sagt. Ich wollte Tipps von ihr haben. Sie benutzte ihre Stimme so krass und ich bin nicht sicher, ob sie je Gesangsunterricht hatte. Oder wenn ich heute sehe, wie Gregory Porter für Sting einen der Sting-Songs auf die Porter-Weise singt, dann möchte ich gerne dabei sein und mitmachen. Ich liebe Gregory. Was einen Duett-Partner im Hier und Jetzt angeht, so muss das gar kein Großer der Szene sein. Bring mir einfach einen, der das Herz am rechten Fleck hat und bei dem Funken sprühen, dann singe ich gerne mit ihm. Im letzten Jahr war ich mit der MODERN SOUL BAND unterwegs und habe dort u.a. mit Toni Krahl von City zusammen auf der Bühne gestanden. Der ist so unglaublich sympathisch und witzig. Das sind Momente und Begegnungen, die bleiben haften und von denen kann es nicht genug geben.
Ich weiß nicht, ob Du mir zustimmen wirst, aber wenn wir schon die Namen Julia Neigel und Toni Krahl nennen, die ja neuerdings beide bei SILLY am Mikrofon stehen, dann wird es vielleicht Zeit, dass Du auch da mal als Gast auftrittst. Ich könnte mir nämlich gut vorstellen, dass Du auch Tamara Danz ganz gut singen könntest.
Jein. Also ja, ich könnte das ganz bestimmt, aber ehrlich gesagt liegt mir da gar nichts dran. Auf meinen Konzerten kommen ganz oft Leute, die sagen: "wie Ella" oder "wie Sarah Vaughan" Das meinen die ganz lieb und wertschätzend, aber ich möchte eigentlich nur klingen wie Jacqueline Boulanger! Aber zurück zu Deiner Frage. Klar, wenn die von SILLY mal Lust auf mich kriegen, bin ich die Erste, die laut "Hier!" ruft. Aber nicht so sehr wegen der Songs, sondern wegen den Menschen, mit denen ich dann musiziere. Sicher sind das alles wunderbare Songs, die auch supergut zu Tamara passten, aber für mich persönlich sehe ich natürlich was anderes. Grundsätzlich begeistern mich Sängerinnen wie Etta James, Nina Simone oder Dee Dee Bridgewater mit ihrer Andersartigkeit und Stimmgewalt. Das sind so die Richtungen, nach denen ich Ausschau halte und wo ich hin und wieder überlege, ob ich nicht mal ein Programm von denen machen sollte, vielleicht so wie eine Carmen McRea mit den Monk-Titeln. Mit super Material trotzdem ganz eigen bleiben.
Was liegt als Nächstes bei Dir an? Was steht in Deinem Terminkalender, wo kann man Dich live sehen, was für Zukunftspläne hast Du?
Ich möchte in Zukunft weiter auf die Bühnen Deutschlands und gerne auch darüber hinaus. Für das nächste Jahr bereite ich gerade eine Menge vor, um die Jazzfestivals zu stürmen, mache unter Anderem kleine Videos zum Präsentieren. In naher Zukunft bin ich beispielsweise am 31. August in Berlin im b-flat-Jazzclub, was großartig werden wird. Das b-flat ist ja ein sehr angesagter Club, in dem ein internationales Publikum ein- und ausgeht. Auch deswegen bin ich gern dort, man gerät so nicht in die Gefahr im eigenen Brei zu schmoren. Dann noch ein Tipp für eine sehr interessante Veranstaltung, auch wenn meine Band nicht dabei ist: am 6. September kommt Bob Beamon (!) nach Rostock. Da findet das 3. Inklusionsfestival bei uns statt, das von Christian Schenk, dem ehemaligen Zehnkämpfer organisiert wird. Bob Beamon wiederum ist ein US-amerikanischer Weitspringer, der in den 60er Jahren einen Jahrhundert-Weltrekord sprang, der danach 23 Jahre lang Bestand hatte. Eine großartige Geschichte dahinter. Und dieser Bob Beamon hat jetzt im hohen Alter seine Liebe für Percussion-Instrumente, in diesem Fall für Congas, wiederentdeckt. Als feststand, dass Bob Beamon nach Rostock und auf dieses Festival kommen wird, bat uns Christian Schenk eindringlich, wir mögen doch eine Band zusammenstellen, die für Bob Beamon sozusagen ein Gerüst bildet, damit er sich auf der Bühne beim Konzert einfach beteiligen kann. Die Band besteht aus regionalen Künstlern wie Dirk Zöllner, Wolfgang Schmiedt, Andre Gensicke, Enrique Marano und Christoph Keck. Seit über acht Jahren existiert sie unter dem Namen ROSTOCK COWBOYS, in leicht wechselnden Besetzungen. Sie entstand witziger Weise in St. Anton am Arlberg in Österreich. Wie es dazu kam, ist eine längere Geschichte und vielleicht für später mal gut. Und gleich eine Woche später spiele ich mit meiner eigenen Band wieder in Rostock Kulturhafen, im Zelt des Circus Fantasia. Das sind die drei größten Geschichten des nächsten Monats. Ein paar kleinere Sachen stehen auch noch im Kalender, aber ich selbst würde auf eins von den dreien gehn'.
Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an die Leser richten? Hast Du vielleicht noch eine Botschaft für Deine Fans?
Auf alle Fälle! Bitte tut alles dafür, dass ihr glücklich seid. Ich bin der festen Überzeugung, dass den meisten Menschen bei ihrer Erziehung vergessen wurde zu sagen, dass das Wichtigste im Leben ist, glücklich zu werden mit dem, was du tust. Mit einem Glücksgefühl ergibt sich alles andere. Wenn du glücklich bist, wirst du den richtigen Job finden. Und wenn du glücklich bist, begegnet dir auch der richtigen Partner. Und du wirst steinalt werden, wenn du ein glücklicher Mensch bist. Charles Aznavour, der im Alter von 94 noch auf der Bühne stand, drückte das mit den Worten aus: "Erst kommt die Liebe, dann das Leben!" Ist das nich schön?
Das war ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch.
Sag uns bitte zunächst mal, wo Du herkommst. Ich habe gelesen, du bist gebürtige Berlinerin.
Das stimmt, ich bin gebürtige Berlinerin mit Wurzeln in der Demokratischen Republik Kongo, früher Zaire. Mein Vater kam daher, während meine Mutter Deutsche war. Der Name Boulanger ist wiederum von meinem Großvater, der von den Hugenotten abstammte.
Das ist dann also gar nicht Dein richtiger Nachname?
Doch, doch! Der kommt von meinem Großvater. Oder anders gesagt: es ist der Name meiner Mutter.
Wie und wann hat Dich denn die Musik erreicht?
Eigentlich schon in der Schule. Ich hatte einen ganz tollen Musiklehrer, Herr Geppardt, der schon frühzeitig bemerkte, dass mit mir in musikalischer Hinsicht irgendwas los ist. Er versuchte mich auf einem Gymnasium anzumelden, das aber leider abbrannte, und somit war dieser erste Versuch gescheitert. Stattdessen erlernte ich zunächst mal einen bodenständigen Beruf, ich bin nämlich gelernter Koch. Meine Ausbildung fand im damaligen Interhotel "Stadt Berlin" auf dem Alexanderplatz statt, und zwar ganz oben in der Panorama-Etage. Das war eine wertvolle Zeit, weil in dieser Küche echte Könner am Werk waren. Mein Küchenchef Gerd Redlich hat damals schon mit Kurt Drummer, dem Fernsehkoch, zusammen gekocht. Es war insgesamt eine wirklich qualitativ hochwertige Lehre, die ich dort machen durfte.
Man kann also sagen, bei Dir geht auch heute noch die Liebe durch den Magen.
Ja, das kann man durchaus sagen. Ich bin auch heute noch sehr fingerfertig, was das Kochen angeht. Mir fällt es nicht schwer, egal wo ich bin, den Kühlschrank aufzumachen, ein paar Zutaten raus zu fischen und dann geht es los, ich zaubere etwas, das gut zusammen passt. Das dauert dann aber nicht drei oder vier Stunden, sondern in einer halben Stunde steht das Essen auf dem Tisch. Aber lass mich nochmal auf meine Lehrzeit zurückkommen. Wir hatten ja drei Schichten zu bewältigen. Und in meinen Nachtschichten habe ich immer so laut gesungen, dass irgendwann ein Kellner kam und mich darauf hinwies, dass noch Barbetrieb sei und man mich draußen höre. Er gab mir allerdings auch den Ratschlag, mich doch mal bei der Hochschule für Musik zu bewerben.
Und? Hast Du?
Ich hab mich tatsächlich kurz darauf an der Hanns Eisler in Berlin beworben ... In meiner Prüfungskommission saßen damals solche Leute wie Michael Hansen, Jenny Petra und Ruth Hohmann. Anfangs sagten die alle, ich hätte so ein tiefes Loch in der Stimme und würde lispeln. Auch müsste ich noch ein bisschen Klavier lernen. Ich suchte mir an der Musikschule Friedrichshain jedenfalls erst einmal eine Gesangslehrerin, und zwar Gerlinde Kempendorff, die heute eine ganz begehrte Professorin ist. Ich nahm Unterricht in Sprecherziehung, musste aber natürlich auch für die DDR wichtige Fächer wie Politikwissenschaft und so was belegen.
Und wie ging es weiter?
Ein Jahr später bewarb ich mich ein zweites Mal an der Hochschule und dort kam dann die Aussage mit dem Loch in meiner Stimme. Ich nehme mal an, die meinten einfach meine schwarze Stimme, mit der sie nicht viel anfangen konnten. Das passierte übrigens in demselben Jahr, in dem Inka Bause an der Eisler mit Bravour angenommen wurde. Ich wurde also auch zum zweiten Mal nicht angenommen. Trotzdem startete ich fast noch einen dritten Versuch. Zu der Zeit lief mir der Arrangeur und Big Band-Leiter Alfons Wonneberg über den Weg, der seines Zeichens Leiter der Abteilung Tanz- und Unterhaltungsmusik und eben auch Jazzer war. Der sah mich auf dem Flur und meinte nur: "Was machst Du hier, Mädchen? Kehre der Hochschule den Rücken und mach Dein eigenes Ding". Ich hab ihn beim Wort genommen.
Und wo zog es Dich dann hin?
Erst einmal arbeitete ich nebenbei in einer Bar etwas außerhalb von Berlin, in Richtershorn. Da gab es eine Bardame namens Bella, ebenfalls dunkelhäutig, die unbedingt wollte, dass ich gesangstechnisch irgendwo unterkomme. Ihr Mann, Tommy Tute, war damals ein sehr bekannter und angesagter DJ. Vielleicht der Grund, dass die PUHDYS ab und an zu Gast und inzwischen befreundet mit den beiden waren. Nun nahm ich zu der Zeit hin und wieder mit zwei Jungs eigene Musik auf und die hatten den PUHDYS unser Material geschickt. So kam es irgendwann zu dem Birr/Meyer- Song "Im Paradies".
Bevor Du weitererzählst … Nun ist es ja nicht so, dass man in der DDR einfach mal gesagt hat: "Ich schreibe jetzt ein Lied und das nehme ich schnell mal auf." Du hattest aber das Glück, gleich mit dem ersten Titel, den Du mit den PUHDYS aufgenommen hast, eine Plattenveröffentlichung zu bekommen, denn Du bist mit dem Lied "Im Paradies" gleich auf einigen Samplern gelandet.
Das war mir gar nicht so bewusst. Was ich aber gleich bekam, waren Fernsehauftritte und sogar einen Videodreh für die Nummer. Wenn ich mal ganz ehrlich sein darf, der Song war ja gar nicht meine Mugge, aber egal. Hallo… die PHUDYS hatten an die Tür geklopft. Mein Herz brannte nicht ganz für diese Musik, aber ich staune noch heute, wie sehr dieser Song bei den Menschen ankam und immer noch ankommt, wie sehr sie ihn offenbar mögen. In mir steckte wahrscheinlich schon damals die Jazzerin oder Soul-Lady, weshalb mein Musikgefühl vielleicht zweifelte.
Na ja, "Im Paradies" hat ja diesen typischen PUHDYS-Sound. Vielleicht ist es das, was Dich so ein bisschen daran stört. Der Titel klingt ja so, als wäre er auch Teil des zur gleichen Zeit rausgekommenen PUHDYS-Albums "Ohne Schminke" oder von Birrs Solo-Album "Intim".
Das kann gut sein. Vor allem war ich sicher keine Schlagersängerin. Dieser Titel war aber immer Schlager oder Popsong in meinen Ohren! Das soll jetzt aber nicht bedeuten, dass ich keinen Schlager mag, denn ich habe Sänger wie Howard Carpendale. Christian Anders oder Bata Illic angebetet. Sie sangen Schlager überzeugend und mit Herz, ganz nach meinem Gespür. Zurück zu dem Wohin, Peter Meyer hatte damals Beziehungen zu Fritz Buschner, einem Bandleader, der auf Rügen ein Tanz-Orchester leitete, in das ich einstieg. Dort lernte ich den Vater meiner Tochter Mercedes kennen. Kurz vor der Geburt drehte ich also meine erwähnten Videos mit dem PUHDYS-Song und in der Stillzeit war ich dann z. B. beim Schlagerfestival in Dresden oder in der Musiksendung "Bong".
Du bist ja in diesr Zeit irgendwann auch in die Band von Helmar Federowski eingestiegen. War das vor oder nach der Schwangerschaft?
Lass mich kurz überlegen … Ich war also bei Fritz Buschner, wo ich zwecks Mutterschutz raus bin. Dann kam eine kleinere Band, in der ich aber nicht wirklich zufrieden war, deshalb bin ich da auch wieder weg. Und irgendjemand schickte mich dann zu einer Mugge in die Berliner Kongreßhalle, wo die Helmar Federowski Band spielte. Ich ging also hin, weil Federowski eine Sängerin suchte, denn seine Sängerin Jutta, die auch toll war, war ebenfalls schwanger. Ich durfte vorsingen und war plötzlich Frontfrau der Helmar Federowski Band.
Wann hast Du denn den nächsten Anlauf genommen, um auf die Musikschule zu kommen?
Also wir müssen unterscheiden zwischen Hochschule und Musikschule. Die beiden Bewerbungen an der Hochschule waren durch. Unmittelbar danach habe ich mich dank der Worte von Alfons Wonneberg an der Musikschule fest eingetragen und drei oder vier Jahre dort absolviert. Mit Helmar Federowski machte ich dann kurz vor Grenzöffnung noch eine externe Prüfung vor dem Bezirksmusikrat und bekam meine Pappe, meinen Berufsausweis, und zwar gleich mit einer B. Das heißt zwei Stufen übersprungen, denn man beginnt eigentlich mit einer A, dann gibt es AB und dann erst die B.
1988 hatte eine Deiner Kolleginnen aus dem Westen mit "Twist in my sobriety" einen Megahit. Du hast das Lied im Osten gesungen. Wie kam es dazu, dass Du von diesem Welthit die ostdeutsche Version gesungen hast?
Das war eine Initiative von Helmar Federowski. Amiga brachte ja ständig diese Platten heraus, auf denen Westhits neu aufgenommen und von Ostkünstlern gesungen wurden. Ich war da nur eine von vielen, denen man sagte: Komm, Du könntest mal diese Nummer singen".
Gab es denn da hinterher ein paar Resonanzen? Wurde Deine Version über das Studio hinaus bekannt?
Nein, darüber weiß ich nichts. Ich bin auch niemals mit dem Lied aufgetreten, außer innerhalb unserer Band-Muggen. Aber ich bin ohnehin keine gute Adresse für solche Fragen, weil ich mich an viele Kleinigkeiten aus der damaligen Zeit nicht besonders gut erinnere.
Gab es denn außer diesen beiden Titeln, "Im Paradies" und "Twist in my sobriety", noch weitere Rundfunkproduktionen mit Deiner Beteiligung?
Nein, das waren zu DDR-Zeiten nur diese beiden Titel.
Wie lange ging das denn mit Helmar Federowski und Dir?
Gefühlt lief das ganz schön lange, aber konkret dürften es höchstens drei Jahre gewesen sein. Wir sind viel gereist und durften sogar einmal nach Bochum. So langsam näherte sich dann die Wendezeit und als ich aus der Federowski Band ausgestiegen bin, habe ich mit dem Vater meines zweiten Kindes ein Duo gegründet, mit dem wir sogar eigene Songs komponiert haben.
Hatte dieses Duo auch einen Namen?
Wir nannten uns Jacky B. Da gab es dann auch wieder jemanden, der uns in Erkner in einen Club holte, wo wir sogar einige Auftritte mit unseren eigenen Songs machen konnten. Es passierte nichts Großes, aber es war eine aufregende Zeit. Wir wussten ja nicht wohin die Reise gehen würde. Irgendwann hörte uns dann eine Agentur aus dem Westen. Wir trafen uns mit dem Typen bei uns zu Hause in Lichtenberg und er sagte: "Euch beide will ich in meiner Top 40-Band haben! Und zwar will ich das so sehr, dass ich eine Festgage zahle." So kam es dann auch.
Das war also schon nach der Wende?
Ja, klar, ganz kurz danach.
Wie hieß denn Dein Bühnenpartner, der gleichzeitig Vater Deines zweiten Kindes war?
Ha… Michelles Papa heißt Michael Kestin.
Und plötzlich warst Du also in dieser Top 40-Band und hast die Wendezeit gut überlebt. Andere sind zu dieser Zeit in ein tiefes Loch gefallen, Du scheinst aber einen guten Job gehabt zu haben.
Ich habe immer gearbeitet, solange ich denken kann. Ich kann mich auch gut erinnern, dass man als Musiker vor allem in der Zeit um den Januar voller Schreck bemerkte, dass da relative Flaute herrschte und man sich Gedanken machte, wo das Geld herkommen soll. Aber zum Glück hatten wir die Festgage. Außerdem waren wir zu zweit, Michael hat nebenbei auch noch ein kleines Studio betrieben. Es gab für mich auch immer wieder mal Zeiten, in denen ich in der Gastronomie gejobbt habe, denn das lag mir ja. Anders ging es auch gar nicht, denn ich hatte ja Kinder und konnte es mir nicht leisten, kein Geld zu verdienen.
Wie hieß denn diese Top 40-Band überhaupt?
FIRST FINAL. Wir waren richtig gut unterwegs. Es ging bis nach Holland und quer durch Westdeutschland. Wir spielten in riesigen Zelten vor hunderten von Menschen. Überhaupt waren wir ein total unterschiedlicher Haufen. Unser Gitarrist stand auf AC/DC, unser zweiter Sänger war ein richtig guter Schlagersänger, unser Bassist war ein dürrer Engländer, der ab und an auf die großen Boxen stieg … Wir haben immer richtig abgeräumt bei unseren Shows. Was man so von den Konzerten der ROLLING STONES hört, was da hinter den Kulissen abgeht, das spielte sich bei uns auch ab. Es hat einfach Spaß gemacht. Wir sind auf diesen großen Bühnen rumgesprungen und haben jeden Meter vermessen. Unser Gitarrist Diddi lag auf dem Rücken und hat die Gitarre mit der Zunge gespielt. Da ging richtig die Post ab.
Haben Dein Lebensgefährte und Du Eure JACKY B.-Band weitergeführt oder habt Ihr die ad acta gelegt, als Ihr in die TOP 40-Band eingestiegen seid?
Das war schon allein deshalb kein großes Thema, weil wir ohnehin mit JACKY B. kaum Auftritte hatten. Man buchte uns einfach nicht. Trotzdem haben wir immer weiter an neuen Titeln geschrieben. Gerade vorgestern habe ich mit Michael telefoniert und erfahren, dass sein Bruder überlegt, unsere Songs von damals, die überwiegend noch auf Kassetten sind, digitalisieren zu lassen. Wir waren damals echt aktiv kreativ. Michi hat die Songs komponiert, ich habe die Texte geschrieben und am Ende kam eine ganze Menge Herzenszeug zusammen.
Dieses Rock'n'Roll-Leben hast Du dann irgendwann beendet und hast Dich stattdessen dem Jazz zugewandt. Hat das vielleicht mit Deinem Umzug an die Ostsee zu tun gehabt?
Nicht ganz. Nach FIRST FINAL bin ich nämlich erstmal in ein Tanzorchester gewechselt, das Television Show Orchester unter der Leitung von Klaus Kasparek. Da war ich noch in Berlin. Dieses Orchester spielte überall in Deutschland und recht häufig, unter anderem auch in Berlin im Opernpalais. Da bin ich hin, stellte mich vor und Kasparek meinte sofort: "...die Tante nehmen wir". Wir waren u.a. auf exklusiven Schiffen gebucht, auf der MS Berlin und der MS Deutschland, und haben für große Unternehmen auf Tanzabenden oder zu großartigen Bällen gespielt. Der Bassist dieses Orchesters sagte immer zu mir: "Du bist eigentlich eine Jazzsängerin. Ich habe nebenher eine kleine Swingband, lass uns mal ein bisschen Jazz zusammen machen". So ging das los. Anfangs in einer kleinen Dreier-Besetzung. Ich habe Ella Fitzgerald und Sarah Vaughan gesungen und swingte sofort wie Sau. Als wäre diese Art Musik immer schon in mir gewesen und hatte nur auf den Moment gewartet, wo sie endlich Gehör findet.
Jetzt frage ich mal jemanden, der beide Felder beackert hat: einmal den Pop- und Schlagerbereich und dann den Jazz. Leute, die sich mit Gesang nicht so auskennen und eigentlich gar keine Ahnung davon haben, wüssten sicher gerne, wo für Dich als Sängerin die größten Unterschiede zwischen diesen Genres liegen. Was ist anspruchsvoller, was ist schwieriger?
Meines Erachtens verwendest Du gerade die falschen Worte. Musik ist immer anspruchsvoll, wenn jemand sie ernsthaft und von Herzen ausübt.
Ich meine hier mehr das Handwerkliche, nicht das Inhaltliche.
Ja, da gilt genau das, was ich eben sagte. Ich kann das nur aus meinem ganz persönlichen Blickwinkel sagen. Nun ist es ja auch nicht so, dass ich in dem Orchester oder bei der TOP 40-Band ausschließlich Pop und Schlager gesungen habe. Ganz im Gegenteil, Schlager habe ich eigentlich ganz wenig gesungen. Natürlich war viel Pop dabei, aber auch echt viel Soulmusik. Und Soul ist ja schon sehr nahe am Jazz. Ich bin ja von Natur aus eine Aretha Franklin/Whitney Houston-Tante. Das konnte ich gut und man bekam sehr schnell mit, dass das mein Steckenpferd ist. Deshalb war der Sprung in den Jazz dann gar nicht mehr so groß. Die eigentlichen Unterschiede, die Du ansprichst, sind für mich eher die Zuhörer, das Publikum. Ein Beispiel: ich war mal eine Zeitlang bei einer kleinen Band im Westen als Gastmusikerin tätig. Und bei einem Auftritt musste ich tatsächlich "Du hast mich tausendmal belogen" von Andrea Berg singen, weil die sich das so sehr gewünscht hatten. Ich drückte alle Hühneraugen zu um mich durchzuringen, die Nummer zu machen. Und dann habe ich den Song gesungen - aber auf meine Art! Die Leute im Publikum sind völlig ausgeflippt, weil die das so noch nie gehört hatten. Es kam ziemlich rocklastig rüber und das fanden sie toll. Deshalb also nochmal: es ist nicht die Art der Musik und es ist nicht die Frage, was denn nun wertvoller ist. Sondern am Ende ist entscheidend, wie der Musiker das rüberbringt, was er sagen will, wie leidenschaftlich er das empfindet, was er singt oder spielt.
Darauf zielte meine Frage eigentlich auch ab. Der eine sagt eben, Schlager geht ihm leichter von der Zunge, als wenn er im Klassik-Bereich oder Jazz singen müsste. Deshalb frage ich Dich, ob Dir das eine leichter fällt als das andere.
Ich bleibe dabei, der entscheidende Unterschied liegt im Publikum. Aber natürlich kann man eines sagen: richtig anspruchsvollen Jazz singst Du nicht einfach so, weil Du mal einen Song gehört hast. Das sollte klar sein. Um Jazz gut zu singen und auch um improvisieren zu können, bleibt nur ein Weg: Du musst es lernen. Kein Mensch wird als Jazzsänger geboren hat meine Freundin Uschi Brüning mal gesagt. Insofern stimmt es schon, wenn ich diese Musik machen will, muss ich mich auf den Hosenboden setzen und lernen. Ich muss aber auch viel hören und mich viel ausprobieren. Das muss man im Schlagerbereich vielleicht nicht ganz so sehr. Da hörst Du einen Song und sagst, "Den kann ich", und singst ihn. Wenn man also so an die Sache herangeht, gibt es schon Unterschiede. Jazz ist ein Weg, ist Verständnis und oftmals die Ruhe des Hineinhörens. Ich kann mit dem Singen von einfachen Standards beginnen, da ist es noch nicht wichtig ob ich schon improvisieren kann. Wobei, wenn ich einfach mal den Text weglasse beim singen, ist das ja schon eine Art Improvisation. Aber um das abzukürzen: um eine gute Jazzerin zu werden, braucht es natürlich Zugang zu diesen Klängen und Zeit. Nicht zu vergessen: ganz viel Praxis, sonst bewegt sich gar nichts.
Wann genau ist denn Deine erste Band im Jazzbereich entstanden? Wenn ich das richtig recherchiert habe, hattest Du ab 2003 Deine erste eigene Jazzband.
Das stimmt. Ich habe Dir ja eben erzählt, dass ich zunächst in die Swing-Combo des Bassisten von diesem Tanzorchester parallel eingestiegen bin. Da war ich aber höchstens für ein Jahr, denn in Rostock gab es eine Jazzband, die war in aller Munde und galt als DIE Jazzband der Region schlechthin. Die PASTERNACK GROUP. Die waren schon bei meinem ersten kleinen Auftritt mit dem Swing-Trio alle Mann anwesend. Wie 'ne Jazzpolizei. Jedenfalls boten die mir dann an, bei ihnen einzusteigen, was vom Anspruch her schon eine nächste Stufe war. Kurz darauf zog ich dann auch nach Rostock um. Das war 1999. Für mich machte das Sinn, denn wir harmonierten super miteinander und wir wollten es als Band echt wissen. Es wurden sogar eigene Titel geschrieben, die allerdings wohl noch nicht ganz so das Zeug hatten, dass man auf sie aufmerksam geworden wäre.
Wie lange warst Du da?
Bei der PASTERNACK GROUP war ich etwa drei Jahre und in dieser Zeit haben wir zwei Platten aufgenommen. Irgendwann reichte mir aber auch diese Stufe nicht mehr aus. Das ist das, was ich vorhin sagte: Du bewegst Dich, Du willst immer mehr, Du wirst immer besser, Stillstand gibt's nicht. Daran erkennst Du einen guten Jazzer. Als ich damals in besagte Swing-Combo einstieg, waren die ersten Songs, die wir spielten, fast wie Schlager für mich. Sie fielen mir unglaublich leicht, weil ich die kannte, weil sie mir vertraut waren. Aber je länger ich dabei war, desto stärker wollte ich mehr. So wie später auch bei der PASTERNACK GROUP, ich wollte weiter und wahrscheinlich auch anderes als manch einer von ihnen. Und das ist auch nicht schlimm. Wir ticken zumeist unterschiedlich, wir Menschen. Langjährige Bands sind eine Seltenheit, ein Privileg, weiß ich heute.
Kann man sagen, dass im Jazz der Spruch "Wer rastet der rostet", am besten passt?
Auf alle Fälle passt er sehr gut. Man muss sich halt bewegen. Wer sich nicht bewegt, ist in meinen Augen kein guter Jazzmusiker. Der macht dann einfach die Musik, die er mal irgendwo gehört hat und hält sich daran fest. Im Jazz gibt es aber kein Ausruhen, er ist immer ein Spiegelbild seiner jeweiligen Zeit und Umstände, ist ständige Bewegung, wühlt Dich auf, beansprucht Deinen Geist. Und es steckt dieser permanente Drang dahinter, irgendwie immer mehr davon zu wollen. Aber versteh mich nicht falsch, ich will nicht sagen, dass es das bei anderen Musikrichtungen nicht auch geben kann. Generell gibt es in der Musik eigentlich kein "Fertig" sein. Ich kann irgendwo angekommen sein, gehe aber hoffentlich bald auch weiter. Ich bin Gesangslehrerin und erlebe selbst, was ich beim Unterrichten immer noch lerne über Gesangtechniken, über Gefühl und Stimmung und darüber was es mit den Menschen macht oder auch wie es auf sie wirkt. Und all das bringt mich natürlich ständig weiter und macht mich kompletter. So wie sich Dein Leben bewegt, ändert sich zwangsläufig auch Dein Gesang. Und zwar deshalb, weil singen oder musizieren eben auch mit Erfahrungen und wachsen zu tun hat.
Das Album "Quiet Nights" von der Pasternack Group & Jaqueline Boulanger aus dem Jahre 2001
Wie ging es dann bei Dir weiter?
Ich wollte also nach PASTERNACK etwas eigenes probieren und schaute mich nach Musikern um. Ich bin nach Berlin gefahren und fand den Pianisten Tino Derado, der auch heute noch in meiner Band spielt. Mehr noch, Tino ist mein König und unser musikalischer Leiter. Er empfing mich damals, das muss 2003 gewesen sein, mit dem breitesten Lächeln, das die Welt je gesehen hat in seiner Wohnung in der Marchlewskistraße. Wir spielten zwei Songs zusammen und die Sache war klar. Wir gehörten musikalisch zusammen.
Es war also Liebe auf den ersten Ton.
Ganz Genau. Einen Bassisten fanden wir erst etwas später, als Tino mir in einer Bar in Berlin Paul Imm vorstellte, einen unglaublich groovigen Amerikaner. Ich war sofort geflasht und wusste, der oder keiner soll es sein. Tino meinte, es wäre äußerst schwierig mit Paul, weil der eigentlich in Frankreich seine Band hat und viel unterwegs ist. Aber das war mir egal und ich sagte, dann treten wir eben nur auf, wenn Paul gerade da ist. Paul Imm - ein Tier am Bass! Danach stieß Heinrich Köbberling zu uns, der als Schlagzeuger in der Jazzwelt einen ausgezeichneten Ruf genießt und daneben ein großer Sympathieträger ist. Als Saxophonist konnten wir irgendwann Gabriel Coburger gewinnen, der ebenfalls bis heute Mitglied meiner Band ist. Gabriel spielt in seiner eigenen Band ausschließlich Eigenkompositionen. Er schreibt sehr anspruchsvolle Jazzstücke, die beileibe nicht jeder versteht. Aber das ist auch wieder der Werdegang eben, eine Entwicklung.
Wie meinst Du das?
Es ist jedenfalls vorgekommen, dass er in Jazzclubs spielt, wo man ihn vielleicht nicht kennt, und nach dem ersten Song drei Viertel der Zuschauer aufstehen und gehen. Aber die, die bleiben, bekommen an diesem Abend genau das, was sie hören wollten und wofür sie gekommen waren. Als er mir vor Jahren eine seiner CDs zum Hören überreichte, tat er das mit dem Hinweis: "Aber schön langsam hören! Einen Titel nach dem anderen." Er hatte Recht damit. Man muss das, was er spielt, erst einmal wirken lassen, ehe man es, wenn man Glück hat oder tief genug in der Thematik steckt begreift. Und genau das ist für ihn das Wichtigste: das Gefühl für die Musik zu entwickeln, beim Spielen, beim Miteinander mit den Kollegen. Ich werde immer wieder sehr inspiriert von meinem umwerfenden Saxophonisten. Bass und Schlagzeug wechselten dann später nochmal.
Jetzt hast Du also Deine eigene Band. Und wie Du eben erzählt hast, ist das ja ein zusammengewürfelter Haufen, denn Ihr habt vorher noch nie zusammengespielt. Nichtsdestotrotz muss das Ganze ja derartig explodiert sein, dass Ihr bereits nach einem Jahr ein eigenes Album produziert habt. Wie ist das Album mit dem Titel "That's me" entstanden?
Ganz so ist es nicht denn Paul Imm, Heinrich Köbberling und Tino kannten sich bereits vorher. Gabriel ist sogar einer von Tinos besten Freunden. Ich hatte immer Tino gebeten, die Musiker auszuwählen. Es macht Sinn, wenn die Musiker hinter mir sich gut verstehen und im Einklang sind. Gute Jazzer erkennen sich sofort und außerdem kannte er die Szene ja viel besser. Eigentlich brauchst du kein Jahr um zu wissen, worauf es den anderen ankommt. Eher werden noch Feinheiten geschliffen, könnte man sagen.
Das Album erschien 2004 und schaffte eine Reichweite, die man sich für sein Debütalbum eigentlich nur wünschen kann. Die Platte ist sogar bis nach Japan in die Läden gekommen, wie ich gelesen habe.
Ja, witzigerweise. So ein Typ aus einem Jazzclub in Berlin meinte, dass die Japaner total auf Jazz stehen und diese Platte unbedingt kennenlernen sollten, deshalb nahm er sie mit nach Japan. Ich habe überhaupt nicht verfolgt, wie sich das Album auf dem japanischen Markt verkaufte, aber es kam wohl gut an. Und lass mich noch eines dazu sagen: auf dieser CD ist ja ein deutschsprachiger Titel drauf. Das ist insofern bemerkenswert, als dass ich immer versucht habe, auch meine Muttersprache Deutsch zu verwenden, was aber gerade im Jazz für mich irgendwie schwierig ist. Ganz genau sagen, warum das so ist, kann ich aber nicht. Natürlich klingt die englische Sprache schöner und weicher für den Gesang, aber spätestens seit Holger Biege, Joy Denalane oder Xavier Naidoo wissen wir, dass sich auch deutsche Texte wunderbar groovig und soulig singen lassen. Dennoch ist das für mich immer ein komplett anderes Gefühl, auf Deutsch zu jazzen. Der Song "Toothless miracle" ist eine Eigenkomposition, ein JazzWalz von Tino, den er für seine große Tochter Mali geschrieben hatte. Den Text habe ich dann im Nachgang verfasst. Damit zieht sich irgendwie ein roter Faden, von dem Duo mit Michael Kestin damals, als der eine die Musik und der andere die Texte geschrieben hatte, bis zu meiner aktuellen Platte, auf der auch wieder eine deutschsprachige Nummer ist. Aber das ist wieder eine andere Geschichte, zu der wir ja sicherlich nachher noch kommen werden.
Jetzt denke ich mal an Deine Geschichte vom Anfang zurück, als Du erzählt hast, dass eine Ruth Hohmann Dir zur Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik in der Jury gegenüber saß, aber ab 2018 habt Ihr gemeinsam auf der Bühne gestanden. Lass uns doch mal wissen, wie es dazu gekommen ist.
Dazu muss ich etwas ausholen. Irgendwann war ich mal im Rostocker Stadthafen im Zirkus Fantasia. Zu der Veranstaltung waren Uschi Brüning und Ernst Ludwig Petrowsky als Gäste geladen. Die beiden waren ja bekannt dafür, dass sie gerne ziemlich crazy Musik gemacht haben. Ich weiß noch wie heute, dass Luten auf der Zither spielte oder eher in diese hinein sprach: "Der Wald…" Und Uschi ging hinter so eine große Pappfigur und guckte aus diesem Gesicht raus - ich hab mich nicht mehr eingekriegt vor Lachen! Daraufhin bin ich einfach nach der Veranstaltung hinter die Bühne gegangen und habe Uschi gefragt, ob wir nicht mal was zusammen machen können, denn ich fand sie und Luten total abgefahren. Anders, aber authentisch.
Kannte Uschi Dich denn vorher?
Nein. Aber daraus wurde dann eine größere Geschichte. Und jetzt kommt wieder Andreas Pasternack ins Spiel, der ja hier in Rostock eine echte Institution ist. Nicht nur wegen seiner Band, sondern weil er generell in Sachen Jazz äußerst umtriebig ist. Er hat viele Jahre lang das Landesjugendjazzorchester mentorisch geleitet. Aktuell leitet er die frühere OSTSEE BIG BAND, die jetzt PASTERNACK BIG BAND heißt und er moderiert mit NDR Chef Boeskens die Radiosendung "Jazztime". Pasti sagte jedenfalls zu mir: "Mach doch mal was mit den Jazz-Ladies. Wir können das ja mit der Big Band begleiten". So habe ich also erst Uschi Brüning angesprochen und als nächstes dachte ich mir, es wäre doch toll, wenn wir auch Ruth Hohmann mit ins Boot holen könnten, die ja immerhin die älteste Jazz-Lady des Ostens ist. Ich kannte Ruth schon ein wenig, weil ich um 2002/2003 herum ein paar Stunden Unterricht bei ihr genommen hatte.
Konnte Ruth Hohmann sich denn noch an Dich und Deine damalige Bewerbung an der Hochschule erinnern?
Ja, ein wenig. Aber auf meine Frage nach den Gründen der Ablehnung hatte sie auch keine genaue Antwort. Das war dann wohl doch schon zu lange her. Ich will mich ja nicht zu weit heraus lehnen, aber es gab Gerüchte, dass der damalige Leiter der Prüfungskommission eher auf Inka Bauses Stimme stand, die übrigens im gleichen Jahr dort angenommen wurde, als auf schwarze Stimmen. Mit Gewissheit sagen kann ich das aber nicht.
Zurück zu der Geschichte mit Uschi Brüning …
Ja, gerne. Ich sagte also zu Uschi Brüning: "Wie wäre es, wenn wir Ruth Hohmann dazu nehmen und die JAZZ LADIES erfinden." Uschi war nicht abgeneigt, also begab ich mich in die Spur und organisierte alles. Ich wusste, wir haben die Big Band an der Seite, die großartige Arrangements hatte. Also probten wir drei gemeinsam mit der Big Band und schon bald gab es die ersten Auftritte. Zunächst hier in Rostock, dann auch auf den Jazzfestivals in Dresden, Berlin und Leipzig, beim Jazzfest in Ahrenshoop usw.
Aber die Idee, diese Konstellation auf Platte zu verewigen, hattet Ihr nicht, oder?
Doch, die Idee war durchaus vorhanden, aber das war ja alles nicht so einfach zu realisieren. Ein Soundingenieur aus Berlin hatte sogar mal ein Konzert mitgeschnitten. Das könnte man tatsächlich auf Platte herausbringen, wenn wir das wollten. Aber so richtig ins Studio gegangen, um eine Platte aufzunehmen, sind wir leider nie. Übrigens fällt mir ein, dass es auch für die Jazz-Ladies eine Eigenkomposition von Posaunist Oliver Gruhn gab, zu der ich wiederum einen deutschen Text schrieb: "Jazz Ladies in da house". Dazu hatte ich sogar eine kleine Choreografie erfunden, mit der wir durch das Publikum auf die Bühne tanzten. Das war so lustig, und die beiden haben diesen Spaß vertrauensvoll mitgemacht. Wir besuchen uns heute noch ab und an. Zumeist sind Uschi und ich bei Ruth daheim zu Gast. Wir schwatzen und albern herrlich und essen Ruths Spargel mit Schinken, der von so einigen Berliner Jazzern geliebt und verehrt wird, wie die Grand Dame selbst auch.
Wenn man sich das überlegt, diese drei grandiosen Stimmen vereint auf einer Bühne … Dieses Erlebnis auf einem Tonträger der Nachwelt zu erhalten, wäre schon ein Ding.
Absolut, da bin ich Deiner Meinung.
Du hast in all den Jahren verschiedene Programme gehabt. Herausstechend war natürlich dieses "That's me"-Album, aber Du hattest auch ein Marvin Gaye-Programm und durftest überhaupt mit ganz vielen Größen zusammen auf der Bühne stehen. Was würdest Du denn für Dich als absolutes Highlight ab den 2000er Jahren bezeichnen?
Das kann ich Dir ganz genau sagen, denn das sind die Ereignisse des letzten Jahres. Manchmal fahre ich ganz allein mit dem Wohnmobil in den Urlaub. Das entspannt mich ungemein und ich komme wunderbar runter und kann die vielen Geschehnisse verarbeiten. Als ich also im letzten Jahr mal wieder auf diese Art unterwegs war, dachte ich so über mich und meinen großen Durchbruch nach und fand, dass ich eigentlich nie besser war in dem, was ich mache, als jetzt gerade. Ich bin total energiegeladen und positiv drauf, fühle mich wie ein Feuerwerk, das permanent explodiert und weiß auch um meine Stimmentwicklung. Da war es fast ein Selbstläufer, dass ich mir gesagt habe: "Jetzt mache ich eine neue Platte!" Und es wird Dich nicht wundern, dass dieses Album, das übrigens "Reach Out" heißt, das Beste ist, das ich je gemacht habe. Hier passte einfach alles zusammen, angefangen von den Fragen nach dem "Wie und wo spielen wir die Songs ein?", über den Modedesigner meines neuen Outfits und den Coverdesigner, die ich nach diesem Gedanken erst ganz neu kennengelernt habe und die beide sehr extravagant sind … Es passte eben einfach! Der richtige Moment, die richtigen Zutaten.
In der Musikszene gibt es ja diesen Begriff "Corona-Produkt", der entstand, als viele Musiker zuhause rumsaßen und nicht arbeiten konnten oder durften. Entlädt sich bei Dir auch gerade diese musiklose Zeit? Ist es das, was wir auf Deinem neuen Album hören und fühlen können?
Das ist ja immer ein Sammelsurium. Großartige Aufnahmen sind meist ein Produkt aus der Erfahrung vieler Jahre. Sicher spielt auch die Corona-Phase hier mit hinein und wenn es nur wegen der Besinnung auf die eigenen Qualitäten war oder die Frage "Wo will ich eigentlich noch hin?". Aber die CD ist nicht allein das Ergebnis dieser Zeit, denn meine Musiker lagen mir schon lange in den Ohren und wollten, was mein Drummer kürzlich direkt nach einer Mugge an mich herantrug, als er mit ernsthafter Miene sagte: "Jacqui, jetzt muss mal langsam was passieren." Sie wissen und ich weiß, dass ich längst im Zugzwang bin, meinen und unseren Entwicklungsstand herzuzeigen, weswegen die Scheibe "Reach Out" hießt. Insofern ist es eher ein Ergebnis des gemeinsamen Wachsens und der Freude aneinander. Vielleicht hat dieses Corona-Loch einfach nur für ein wenig mehr Luft gesorgt.
Wie hast Du dieses Loch erlebt?
Ich erinnere mich noch genau, als ich nach einem Monat Pandemie gesagt habe: "Geil, ich habe Freizeit!" Nach zwei Monaten merkte ich dann aber, dass hier irgendwas nicht stimmt und mir manche Dinge unglaublich fehlen. Das war aber nicht nur die Musik und das Singen als solche, sondern vor allem das vor-Menschen-stehen, ihnen etwas zu geben und das entgegenzunehmen, was sie mir zurückgeben. Das hat mir wahnsinnig gefehlt. Ich hatte sogar das Gefühl, in diesem verflixten ersten Corona-Jahr um zehn Jahre gealtert zu sein. Dieses Adrenalin, dieses Hochfahren von Körper und Stimme, das fehlte ungemein. Das war mir vorher nie so klar, weil ich solche Momente nicht kannte. Es war eine komische und aufwühlende Zeit für mich.
Du hast es vorhin ja schon angesprochen: Auch auf Deiner neuen CD bzw. Platte befindet sich wieder ein Song in deutscher Sprache, nicht wahr?
Ich habe die allergrößte Achtung vor Leuten wie Udo Lindenberg, Heinz Rudolf Kunze oder Grönemeyer, weil ich es ungemein wichtig finde, dass wir Deutschen Musiker unsere Sprache gerade auch medial mehr benutzen. Deswegen probiere ich selber es auch immer wieder mal. Die Nummer auf dem Album ist ein Thelonius Monk-Titel namens "Well you needn't". Irgendwann hat die großartige Carmen McRae auf etliche Monk-Titel Texte geschrieben und ein Album daraus gemacht, "Carmen sings Monk". Und von diesem Album habe ich mir den Song "It's over now", wie sie ihn neu benannt hat genommen, ihn inhaltlich so gelassen, aber meinen eigenen Text drauf geschrieben. Er ist richtig witzig geworden, weil ich dabei immerzu an Tino und seinen unfassbaren Humor denken musste. Von ihm kommt auch der Titel "Lass ma gut sein", den der Song auf unserer Platte hat. Insofern ist für mich der rote Faden geblieben, immer mal wieder auf Deutsch zu singen.
Mit dem Veröffentlichen neuer Alben ist das heutzutage ja so eine Sache. Wir wissen, die CD stirbt und die Schallplatte erlebt zwar ein Revival, ist jetzt aber auch nicht unbedingt mehr der gängige Tonträger. Wie ist das im Jazzbereich? Du hast ja gesagt, das Publikum beim Jazz ist ein anderes als beim Schlager oder Pop. Laufen die CD-Verkäufe beim Jazz noch besser oder ist dort genauso wie überall zu beobachten, dass quasi der physische Tonträger stirbt?
Auch hier bin ich nicht diejenige, die so etwas fachmännisch beurteilen kann, außer natürlich, wenn es um die Verkäufe meines eigenen Albums geht. Das neue Album präsentieren wir ja gerade auf den aktuellen Konzerten und hier gibt es etwas Neues für mich. Normalerweise komme ich nicht vor dem Konzert, nicht während der Pause und auch nicht nach dem Konzert heraus, weil ich dieses Bad in der Menge an dieser Stelle nicht verarbeiten kann. Ich brauche stattdessen meine Musiker und liebe es, wenn wir uns nach dem Konzert in den Armen liegen und knutschen und ich diesen "Orgasmus", den wir gerade gemeinsam auf der Bühne erlebt haben, wegatmen kann. Mit dem Erscheinen der neuen Platte änderte sich das Ganze dahingehend, dass ich tatsächlich rauskomme und die Scheibe signiere, was ich vorher sehr selten gemacht habe. Vor allem bei der Vinyl macht das richtig Spaß, denn das Teil sieht so unglaublich gut aus und hat soviel Platz zum schreiben. Und da darf ich sagen, dass die sich auch wirklich gut verkauft. Auf einigen Konzerten natürlich mehr, auf anderen etwas weniger. Letztens traten wir in MV, in der Kirche von Alt-Bukow, kurz vor der Insel Poel auf, wo es schon eine Ausnahme war, dass überhaupt ein Jazz-Konzert stattfand. Da habe ich nach dem Auftritt ganze drei CDs und eine LP verkauft. Das hört sich vielleicht wenig an, für diese Region und dieses Publikum war das aber viel. Ich bin mir sicher, wenn ich nicht selber draußen gestanden hätte, wäre gar nichts verkauft worden. Außerdem kam ich mit den Leuten ins Gespräch, die Sonne schien und sie wollten eine Menge wissen. Das war also gut so. Das andere Extrem erlebten wir letztes Weihnachten in der Jacobikirche in Stralsund. Da habe ich wirklich eine Stunde lang am Signier-Tisch gestanden und richtig viel verkauft, obwohl es in der Kirche echt kalt war und ein Gast sagte: "Danke, dass Sie mit uns hier gefroren haben". Man steckt vorher also nie drin. Grundsätzlich kann ich mir gut vorstellen, dass die Plattenverkäufe zurückgehen, was für mich aber nicht das große Problem ist, denn ich mache eigentlich keine CD nur mit dem Gedanken an einen guten Verkauf. Ja, ich weiß, ich bin ein lausiger Geschäftsmann. Aber ich nehme eine CD auf, um auch uns selbst zu zeigen, wie weit wir gekommen sind. Wenn ich die eigene CD dann alle paar Monate im Auto laut anmachen kann und an den bewussten Stellen immer noch Tränen in den Augen habe oder schmunzeln kann, dann weiß ich wofür die Produktion gut war und hoffe, dass es den Käufern genauso geht.
Tränen in den Augen hat man auch, wenn man die lange Liste sieht mit den Namen der Künstler, mit denen Du schon auf der Bühne gestanden hast, und wenn man feststellt, diese Momente selbst verpasst zu haben. Die Namen Ruth Hohmann und Uschi Brüning haben wir schon genannt. Dazu kommen solche Leute wie Stefan Gwildis, Julia Neigel und, um in Deinem Genre zu bleiben, auch Finn Ziegler und Jens Winter. Das sind ja alles große Namen. Hat man, wenn man schon so viele berühmte Leute neben sich auf der Bühne hatte, noch Wünsche nach Duett-Partnern? Mit wem möchtest Du irgendwann mal etwas zusammen machen?
Im Moment habe ich da niemanden im Kopf. Aber weil Du gerade Stefan Gwildis genannt hast - in dem Jahr, als ich Julia Neigel hier in Rostock hatte und sie da auch erstmals live erlebt habe, sind wir schnell darauf gekommen, dass wir beide schon mit Stefan Gwildis zusammen Musik gemacht hatten. Unsere Idee war gleich, Stefan davon überzeugen, dass wir zu dritt auf die Bühne müssen. Das zum Beispiel würde ich liebend gerne erleben. Ja, wenn ich ehrlich bin, möchte ich durchaus mal mit dem einen oder anderen Star auf der Bühne stehen. Früher hatte ich den Wunsch, unbedingt einmal Aretha Franklin zu befragen, was sie zu meinem Gesang sagt. Ich wollte Tipps von ihr haben. Sie benutzte ihre Stimme so krass und ich bin nicht sicher, ob sie je Gesangsunterricht hatte. Oder wenn ich heute sehe, wie Gregory Porter für Sting einen der Sting-Songs auf die Porter-Weise singt, dann möchte ich gerne dabei sein und mitmachen. Ich liebe Gregory. Was einen Duett-Partner im Hier und Jetzt angeht, so muss das gar kein Großer der Szene sein. Bring mir einfach einen, der das Herz am rechten Fleck hat und bei dem Funken sprühen, dann singe ich gerne mit ihm. Im letzten Jahr war ich mit der MODERN SOUL BAND unterwegs und habe dort u.a. mit Toni Krahl von City zusammen auf der Bühne gestanden. Der ist so unglaublich sympathisch und witzig. Das sind Momente und Begegnungen, die bleiben haften und von denen kann es nicht genug geben.
Ich weiß nicht, ob Du mir zustimmen wirst, aber wenn wir schon die Namen Julia Neigel und Toni Krahl nennen, die ja neuerdings beide bei SILLY am Mikrofon stehen, dann wird es vielleicht Zeit, dass Du auch da mal als Gast auftrittst. Ich könnte mir nämlich gut vorstellen, dass Du auch Tamara Danz ganz gut singen könntest.
Jein. Also ja, ich könnte das ganz bestimmt, aber ehrlich gesagt liegt mir da gar nichts dran. Auf meinen Konzerten kommen ganz oft Leute, die sagen: "wie Ella" oder "wie Sarah Vaughan" Das meinen die ganz lieb und wertschätzend, aber ich möchte eigentlich nur klingen wie Jacqueline Boulanger! Aber zurück zu Deiner Frage. Klar, wenn die von SILLY mal Lust auf mich kriegen, bin ich die Erste, die laut "Hier!" ruft. Aber nicht so sehr wegen der Songs, sondern wegen den Menschen, mit denen ich dann musiziere. Sicher sind das alles wunderbare Songs, die auch supergut zu Tamara passten, aber für mich persönlich sehe ich natürlich was anderes. Grundsätzlich begeistern mich Sängerinnen wie Etta James, Nina Simone oder Dee Dee Bridgewater mit ihrer Andersartigkeit und Stimmgewalt. Das sind so die Richtungen, nach denen ich Ausschau halte und wo ich hin und wieder überlege, ob ich nicht mal ein Programm von denen machen sollte, vielleicht so wie eine Carmen McRea mit den Monk-Titeln. Mit super Material trotzdem ganz eigen bleiben.
Was liegt als Nächstes bei Dir an? Was steht in Deinem Terminkalender, wo kann man Dich live sehen, was für Zukunftspläne hast Du?
Ich möchte in Zukunft weiter auf die Bühnen Deutschlands und gerne auch darüber hinaus. Für das nächste Jahr bereite ich gerade eine Menge vor, um die Jazzfestivals zu stürmen, mache unter Anderem kleine Videos zum Präsentieren. In naher Zukunft bin ich beispielsweise am 31. August in Berlin im b-flat-Jazzclub, was großartig werden wird. Das b-flat ist ja ein sehr angesagter Club, in dem ein internationales Publikum ein- und ausgeht. Auch deswegen bin ich gern dort, man gerät so nicht in die Gefahr im eigenen Brei zu schmoren. Dann noch ein Tipp für eine sehr interessante Veranstaltung, auch wenn meine Band nicht dabei ist: am 6. September kommt Bob Beamon (!) nach Rostock. Da findet das 3. Inklusionsfestival bei uns statt, das von Christian Schenk, dem ehemaligen Zehnkämpfer organisiert wird. Bob Beamon wiederum ist ein US-amerikanischer Weitspringer, der in den 60er Jahren einen Jahrhundert-Weltrekord sprang, der danach 23 Jahre lang Bestand hatte. Eine großartige Geschichte dahinter. Und dieser Bob Beamon hat jetzt im hohen Alter seine Liebe für Percussion-Instrumente, in diesem Fall für Congas, wiederentdeckt. Als feststand, dass Bob Beamon nach Rostock und auf dieses Festival kommen wird, bat uns Christian Schenk eindringlich, wir mögen doch eine Band zusammenstellen, die für Bob Beamon sozusagen ein Gerüst bildet, damit er sich auf der Bühne beim Konzert einfach beteiligen kann. Die Band besteht aus regionalen Künstlern wie Dirk Zöllner, Wolfgang Schmiedt, Andre Gensicke, Enrique Marano und Christoph Keck. Seit über acht Jahren existiert sie unter dem Namen ROSTOCK COWBOYS, in leicht wechselnden Besetzungen. Sie entstand witziger Weise in St. Anton am Arlberg in Österreich. Wie es dazu kam, ist eine längere Geschichte und vielleicht für später mal gut. Und gleich eine Woche später spiele ich mit meiner eigenen Band wieder in Rostock Kulturhafen, im Zelt des Circus Fantasia. Das sind die drei größten Geschichten des nächsten Monats. Ein paar kleinere Sachen stehen auch noch im Kalender, aber ich selbst würde auf eins von den dreien gehn'.
Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an die Leser richten? Hast Du vielleicht noch eine Botschaft für Deine Fans?
Auf alle Fälle! Bitte tut alles dafür, dass ihr glücklich seid. Ich bin der festen Überzeugung, dass den meisten Menschen bei ihrer Erziehung vergessen wurde zu sagen, dass das Wichtigste im Leben ist, glücklich zu werden mit dem, was du tust. Mit einem Glücksgefühl ergibt sich alles andere. Wenn du glücklich bist, wirst du den richtigen Job finden. Und wenn du glücklich bist, begegnet dir auch der richtigen Partner. Und du wirst steinalt werden, wenn du ein glücklicher Mensch bist. Charles Aznavour, der im Alter von 94 noch auf der Bühne stand, drückte das mit den Worten aus: "Erst kommt die Liebe, dann das Leben!" Ist das nich schön?
Das war ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Christian Reder
Übertragung: Torsten Meyer
Fotos: Pressematerial Jacqueline Boulanger, Dana Barthel, Thorsten Murr
Übertragung: Torsten Meyer
Fotos: Pressematerial Jacqueline Boulanger, Dana Barthel, Thorsten Murr