Interview vom 9. Juni 2024
Langweilig wird Dir als Zöllner-Fan nicht. Dirk Zöllner schreibt Bücher, produziert Alben und ist in zig verschiedenen Häuten auf den Bühnen unserer Republik zu erleben. Es gibt zahlreiche Kooperationen mit Kollegen und viele Produktionen, bei denen er als Gast dabei war. Der Mann sprudelt über vor Energie und Kreativität. Gehen ihm nun langsam die Ideen aus? Zuletzt äußerte er immerhin Zweifel daran, nochmals eine Album-Produktion mit DIE ZÖLLNER anzugehen. Nein! Sie gehen ihm nicht aus. Gerade wird mit einer Crowdfunding-Aktion Geld für ein neues Projekt gesammelt. Zöllner goes Comic! Er hat das Erscheinen einer Grafik-Novelle angekündigt, und die Sammelaktion ist schon weit fortgeschritten. Doch um was genau handelt es sich da und in wie weit kann man sich als Fan, Sympathisant und Unterstützer da mit rein hängen? Dies wollten wir von "Scholle" wissen und luden ihn zum Interview ein …
Bevor wir auf das eigentliche Thema kommen: Die Crowdfunding-Aktion für Dein neues Projekt hat innerhalb kurzer Zeit schon einen Großteil der Kohle eingebracht, die benötigt wird. Ziel sind 33.500 EUR, über die Hälfte ist beisammen. Was macht das mit Dir, wenn Du auf diese aktuelle Zahl und diese bemerkenswert große Beteiligung blickst?
Ich bin in allererster Linie einfach nur dankbar. Natürlich wohnt so einer Aktion eine gewisse Ambivalenz inne. Man muss Klinken putzen, was ja auch Überwindung kostet. Einer meiner engsten Freunde hat mich schon "Bettel-Prinz" genannt. Tatsächlich habe ich viele Ideen und Träume nur durch die Hilfe von Freunden, Fans und Sympathisanten realisieren können. Für das Album "Dirk & Das Glück" von 2017 und die "ZackZackZessions" von 2019 musste ich ebenfalls Crowdfunding-Kampagnen bemühen. Das nutzt sich ab. Umso erfreulicher, dass der Großteil meiner Crowd immer noch mitspielt. Vielleicht weil gemerkt wird, dass ich mir für die Kunst den Arsch aufreiße, dass man für seinen Einsatz am Ende auch etwas Wertiges bekommt.
Dirk "Scholle" Zöllner (Foto: Dajana Prosser-Gehn)
Finanziert wird diesmal eine Graphic Novel namens "Machandeltal". Für die Laien unter uns: Ist das ein klassischer Comic?
So nennt man einen Comic für Erwachsene. In diesem speziellen Fall ist es ein bebilderter Roman. Er behandelt die kulturelle Krise in der Pandemie und blickt zurück ins Ost-Berlin des Jahres 1976, wo sich die Band SB62 gründet.
Wie kommt ein Musiker auf die Idee, so ein Projekt anzuschubsen. Bist Du ein Fan dieser Kunstform oder hat Dich jemand auf die Idee gebracht, eine besondere Geschichte auch mal ganz besonders darzustellen, und nicht die herkömmliche Roman-Form zu wählen?
Ich bin ein Verehrer der bildenden Künste. Bei den Comics haben mich die Geschichten von Asterix und Obelix näher interessiert. Aber ich war ein sehr großer Fan der DDR-Comicserie MOSAIK von Hannes Hegen. Mit den Digedags und Ritter Runkel bin ich über Jahre auf Abenteuer- und Bildungsreisen gegangen. Mindestens neunzig Prozent von dem, was ich an Allgemeinwissen besitze, kommt daher. Dass ich aber nun dieses Kunst-Genre betrete, hat mit verschiedenen glücklichen Begegnungen und günstigen Konstellationen zu tun.
Du bist zwar ein toller Musiker, Bücher schreiben und Schauspielern kannste auch … aber die Novel gezeichnet hast Du nicht. Wer ist das, der diesen Part übernommen hat, und woher kennst Du ihn?
Gezeichnet hat Jörg Menge, ein begnadeter Maler aus Falkensee. Er war neben mir der einzige ostdeutsche Künstler auf einer Podiumsdiskussion der GRÜNEN im Wahljahr 2021. Wir haben uns also in der Fremde aneinander festgehalten, Freundschaft geknüpft und nicht mehr voneinander losgelassen. So ist es eigentlich logisch, dass es genau zu dieser Art von Zusammenarbeit kommen musste.
Dirk Zöllner und Jörg Menge (Foto: Johanna Bergmann)
Wieso heißt das Werk "Machandeltal"? Kenner wissen ja, dass das ein ganz besonderer Flecken Erde ist, den Du Dir als Ruhesitz für's Alter auserkoren hast und an dem Du Deinen 60. gefeiert hast. Was hat das Machandeltal mit der Geschichte zu tun?
Ein Text des Liedermachers Harald Wandel heißt "Machandeltal", den hatte ich - mit seiner Erlaubnis - für das letzte Zöllner-Album neu vertont. Ja, die Worte haben mich berührt und so wurde das Machandeltal allmählich zum Synonym für schöne Begegnungen, für helle Tage oder Sehnsuchtsorte. Zu meinem 60. Geburtstag verortete ich das Machandeltal auf Rügen, die schönsten Menschen sind meinem Ruf gefolgt und haben dort mit mir nicht nur meinen Geburtstag, sondern viele weitere Sommertage gefeiert. Ich bin ein Glückssucher, so wie Sherman, Bärbel und Taifun, die Hauptfiguren der Geschichte. Und ich hoffe nun, mit Ihnen - und allen anderen Beteiligten - ins große Machandeltal einzureiten.
Der eine oder andere Musikfreund wird nach Deiner Ankündigung sicher schon wie blöde gegoogelt, Fachzeitschriften von früher und Literatur gewälzt haben, um den Namen SB62 und die Geschichte dahinter ausfindig zu machen. Glück wird er dabei aber nicht gehabt haben. Ist das eine fiktive Kapelle oder hat sie für Deine Graphic Novel nur einen anderen Namen bekommen?
Nein, die Band SB62 gab es wirklich! Die Geschichte ist allerdings eine Mischung aus Selbsterlebtem und Fiktion. Die Dinge, die man liebte, werden in der Erinnerung immer größer und das lasse ich zu. Mit SB62 bin ich das erste Mal mit Livemusik in Berührung gekommen, was mich derart faszinierte, dass mir die Band in der Erinnerung regelrecht übergroß vorkam. Mein alter Schulfreund Brandy, gleichzeitig Bassist meiner ersten Band CHICORÉE, hat mich bei meinen Recherchen mit einem Kassettenmitschnitt konfrontiert. Ich habe mich allerdings geweigert, diesen Aufnahmen Glauben zu schenken und mit Brandy und anderen Zeitzeugen die Musik von SB62 und anderen ersten musikalischen Lieben komprimiert und kurzentschlossen neu gestaltet. Also genau so, wie ich diese Zeit im Kopf und im Herzen trage.
Okay, ich will Dir Deinen Glauben nicht zerstören! Und wie sieht es mit den darin vorkommenden Figuren aus? Sind die real oder ist das auch eher so `ne Mischung?
Es handelte sich bei SB62 tatsächlich um ein Trio. Gitarre, Bass und Saxophon. Mit gelegentlichen Gästen. Am skurrilsten war dabei auch tatsächlich die Mutter des Gitarristen. Als Gastsängerin. Ach komm, lieber Christian! Ich war oft als Zuschauer bei ihren Proben, im Turm der Erlöserkirche zu Rummelsburg. Die Namen Sherman, Bärbel und Taifun stimmen nicht ganz, aber dazu kann ich nichts Genaues sagen. Es gibt einen Deal, der in der Geschichte auch recht realitätsnah beleuchtet wird. Namen sind doch Schall und Rauch, man sollte den Glauben nicht anfassen!
Eine der Grafiken zu "Machandeltal" von Jörg Menge
Erlöserkirche? Ist das nicht dort, wo in den 80er Jahren die ganzen Blues-Messen stattfanden?
Genau. Aber als das so richtig losging, gab es SB62 schon nicht mehr.
In der Geschichte geht es also um eine Musikgruppe, die SB62 heißt, und die 1976 bis etwa 1984 in der DDR aktiv war. Bitte erzähl doch noch etwas mehr über die Geschichte, die in dieser ersten Novelle erzählt wird.
Die alten Bandkollegen Bärbel und Taifun verbindet eine Art Lebensgemeinschaft. Sie leiden unter der kulturlosen Zeit der Pandemie und sie blicken zurück zu ihren Anfängen, als sie gemeinsam mit Sherman besagte Band gründeten. Es soll die Bewältigung von Zeitenwenden aufgezeigt werden, nähere deutsche Geschichte aus den individuellen Blickwinkeln der Protagonisten. Kein politisch tendenzielles Werk. Eine Serie, nach dem Vorbild des MOSAIK, mit sehr unterschiedlichen markanten Persönlichkeiten. Man sieht in der Pilotfolge also die Anfänge von Sherman, Bärbel und Taifun als Band und ich hoffe, dass genügend Interesse geweckt wird, um eine Fortsetzung zu ermöglichen. Der Erfolg unserer Crowdfunding-Aktion wäre der erste Schritt. Der zweite das Finden eines innovativen Verlages oder eines Mäzens.
Du sagst SB62 ist eine Art Sammelbegriff für real Erlebtes, wer steckt da noch drin?
Es gab in der DDR viele Bands, die unter dem Radar ein schönes Hippieleben gelebt haben. FREYGANG im Bluesbereich, FEELING B im Bereich des Punks. Bands, die sich dem Mainstream mehr oder weniger verweigert haben. Aber auch Figuren, die später sehr populär wurden und heute noch zugange sind. Jeder, der Musik liebt, wird die Geheimnisse um SB62 entschlüsseln und sich gut und gern an sie erinnern. Lücken füllt man ganz sicher mit den eigenen persönlichen Erfahrungen auf.
Hält sich die Geschichte eigentlich genau an die damals herrschenden Voraussetzungen für Amateurbands, oder ist das eher nostalgisch-romantisch in Szene gesetzt worden, damit am Ende eine runde und spannende Geschichte daraus werden konnte?
Die Geschichte ist authentisch. Sie hält sich streng an die damals gegebenen Voraussetzungen. Nostalgie wird meines Erachtens nicht bemüht, romatische Erhöhungen sind für dieses Genre natürlich unumgänglich. Soll ja Spaß machen!
Eine weitere Grafik aus der Novelle "Machandeltal" von Jörg Menge
Was ist eigentlich aus den Musikern von einst geworden? Gibt es Kontakt zu ihnen und wie finden sie die Tatsache, jetzt Helden eines "Comics" zu sein?
Ja, es gibt Kontakt, vor allem zu dem, den ich hier Sherman nenne. Alle ehemaligen Protagonisten gefallen sich in ihren Figuren recht gut. Aber das wohl Wichtigste: Ihnen gefällt vor allem ihre Musik, die wir so sorgfältig restauriert haben.
Man kann die Musik in der Graphic Novel über QR-Code hören und ich habe erfahren, dass es sogar eine Vinyl-Single namens "Back To The GDR" geben wird.
Ja, das ist eine Hommage an die afroamerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis, an deren Freilassung die DDR einen nicht geringen Anteil hatte. Auch ich habe Anfang der 70er Jahre Postkarten an den amerikanischen Präsidenten geschrieben, so wie alle Schüler meiner Klasse.
Wird es noch mehr geben, oder ist das eine einzige VÖ, die dazu erscheinen wird?
In der Pilotfolge "Alles auf Anfang" gibt es außer "Back to the GDR" noch den Titel "Bock auf Berlin", ein origineller deutscher Text auf die Komposition von "Sittin on the dock of the bay" von Otis Redding. Diesen Text hat die Mutter des Gitarristen von SB62 geschrieben. Es wurden auch schon eine Reihe weiterer Songs "restauriert" und sie werden aber erst mit der nächsten Folge unserer Graphic Novel veröffentlicht.
Was ist das für Musik? Du sprichst von einem "Nachbau" eines Kassetten-Mitschnitts. Was genau steckt dahinter, und in welcher Form ist dieser Song ins Heute übertragen worden?
Wir haben versucht, das real Gehörte und die Erinnerung an SB62 zusammenzubringen. Mit demselben Instrumentarium: Gitarre, Bass und Saxophon. Kein Schlagzeug, nur bisschen Schellring, Handclapping und Tisch- und Fußgeklopfe. Nur sehr wenig Veränderung an den Texten.
Künstler [Ton & Bild] unter sich … (Foto: Johanna Bergmann)
Wer ist an der Neuaufnahme beteiligt. Du bist zu hören, das ist klar. Aber wer sind Deine "Helfer" und Mitstreiter?
Den Bass spielt besagter Schulfreund und ehemaliger Chicorée-Kollege Brandy (Frank Brennecke, Anm. d. Red.). Außerdem sind bei beiden ersten Songs meine Freunde Steffi Breiting (Gesang) und Tobias Hillig (Gitarre) beteiligt, sowie Holly Loose, der Sänger der LETZTEN INSTANZ. Der Maler Jörg Menge spielt das Saxophon und ich spiele Gitarre und singe ebenfalls mit. Produziert wurde das Ganze von André Kuntze, der ebenfalls ein Mitglied meiner ersten Band CHICORÉE war und dort die Tasten bediente.
Man kann auch einen "persönlichen Song" von Dir bei der Crowdfunding-Aktion kaufen. Um was für einen Song handelt es sich da, und werden da für die fünf Käufer, auf die dieses Angebot limitiert ist, tatsächlich je ein eigener Song einzeln aufgenommen?
Ja, so wird es sein. Kostet ja immerhin 500 Euro! Ich werde die Komposition von "BACK to the GDR" unter den extra gefertigten Text legen. Aber ich habe auch angeboten, einen existierenden Text zu vertonen. Zweimal ist dieses "Dankeschön" noch zu bekommen. Du siehst, hier wird nicht nur gebettelt, hier wird auch was geboten!
In welcher Form bekommt der Käufer diesen Song? Auch als Vinyl?
Ich nehme den Song mit Gitarre im Studio auf und verschicke ihn in bester Qualität per Audiofile. Vielleicht spielen den sogar Brandy und Jörg mit ein!
Wohin wird die Reise mit "Machandeltal" gehen, wenn alles mit der ersten Ausgabe gut laufen sollte? Wieviele Teile könnte es geben und wie weit planst Du da im Voraus?
Den Fortgang der Geschichte habe ich schon im Kopf und Jörg hat auch schon ein paar Seiten gezeichnet. Um es mal richtig dramatisch auszudrücken: Ich würde mir wünschen, dass es ein Alterswerk wird und vielleicht so gut gelingt, dass es nach meinem Ableben von jemand anderem weitergeführt werden kann.
"Scholle" auf der Bühne (Foto: Bodo Kubatzki)
Erlaube mir bitte noch ein oder zwei Fragen als Nachschau auf das aktuelle Album "Portugal". Bei der Leserumfrage unseres Magazins am Anfang dieses Jahres hat es den 2. Platz belegt. Hand auf's Herz: Enttäuscht, dass es nicht die 1 wurde?
Ich habe natürlich auf einen Sieg gehofft, denn ich halte "Portugal" für ein gelungenes Gesamtwerk. Aber von Enttäuschung kann keine Rede sein, ich freue mich über den zweiten Platz und die sehr gute Rezension auf Eurem Podium.
Du hast in dem Zusammenhang mit der VÖ geäußert, dass Du nicht weißt, ob Du noch einmal ein Album produzieren wirst. Hat sich an dieser Einstellung nach den knapp 10 Monaten nach Erscheinen von "Portugal" was geändert, oder blickst Du noch genauso pessimistisch in die Zukunft wie im vergangenen Herbst?
Zu einer neuen Studioproduktion mit meiner Band DIE ZÖLLNER bin ich noch nicht bereit. Die Latte hängt qualitativ sehr hoch und es bedarf einer ungeheuren Energie, dieses Niveau zu halten. Mit Pessimismus hat das nichts zu tun, eher mit einem altersbedingten Bedarf an Ruhe und Harmonie. Auch der finanzielle Aufwand ist schwer zu stemmen und ich kann nicht noch mal so eine Crodfunding-Aktion starten. Aller guten Dinge sind drei!
Ich wünsche Dir maximale Erfolge für das aktuelle Projekt. Schon Ideen, was als nächstes kommt? Ich meine, Du bist ja erfinderisch und alles andere als faul? Gründest Du als nächstes eine Brauerei? Stellst Du ein E-Auto her? Oder malst Du gar in Öl für's Louvre? ;-)
Ich gehe jetzt erstmal auf Tour mit den Zöllnern im Trio Infernale, mit André Gensicke an den Tasten und Tobias Unterberg am Cello. Die Zusammenarbeit mit Manuel Schmid und dem Programm "Die schönsten Balladen aus dem Land vor unserer Zeit" will ich nochmal wiederholen, aber erst im Frühjahr kommenden Jahres. Vielleicht gibt es ja auch wieder mal eine Tour mit den 3HIGHligen. Würde ich mir jedenfalls wünschen. Immer wieder gern irgendwas mit meinen Freunden Steffi Breiting und Tobias Hillig. Aber eine Show um das "Machandeltal" und unsere Graphic Novel will ich auch noch entwickeln. Ich habe mir vorgenommen, nur noch nach dem Lustprinzip zu arbeiten. Momentan würde ich gern ein wenig Urlaub haben. Mit meinen Kindern und der Liebsten. Ich habe da einiges nachzuholen. Aber diesen Wunsch werde ich mir nur erfüllen können, wenn ihr mich bei der Crowdfunding-Aktion nicht im Stich lasst. Sie läuft noch bis zum 30. Juni.
Vielen Dank für Deine Zeit und Deine Antworten …
Ich danke Dir und Deutsche Mugge, lieber Christian!
Bevor wir auf das eigentliche Thema kommen: Die Crowdfunding-Aktion für Dein neues Projekt hat innerhalb kurzer Zeit schon einen Großteil der Kohle eingebracht, die benötigt wird. Ziel sind 33.500 EUR, über die Hälfte ist beisammen. Was macht das mit Dir, wenn Du auf diese aktuelle Zahl und diese bemerkenswert große Beteiligung blickst?
Ich bin in allererster Linie einfach nur dankbar. Natürlich wohnt so einer Aktion eine gewisse Ambivalenz inne. Man muss Klinken putzen, was ja auch Überwindung kostet. Einer meiner engsten Freunde hat mich schon "Bettel-Prinz" genannt. Tatsächlich habe ich viele Ideen und Träume nur durch die Hilfe von Freunden, Fans und Sympathisanten realisieren können. Für das Album "Dirk & Das Glück" von 2017 und die "ZackZackZessions" von 2019 musste ich ebenfalls Crowdfunding-Kampagnen bemühen. Das nutzt sich ab. Umso erfreulicher, dass der Großteil meiner Crowd immer noch mitspielt. Vielleicht weil gemerkt wird, dass ich mir für die Kunst den Arsch aufreiße, dass man für seinen Einsatz am Ende auch etwas Wertiges bekommt.
Dirk "Scholle" Zöllner (Foto: Dajana Prosser-Gehn)
Finanziert wird diesmal eine Graphic Novel namens "Machandeltal". Für die Laien unter uns: Ist das ein klassischer Comic?
So nennt man einen Comic für Erwachsene. In diesem speziellen Fall ist es ein bebilderter Roman. Er behandelt die kulturelle Krise in der Pandemie und blickt zurück ins Ost-Berlin des Jahres 1976, wo sich die Band SB62 gründet.
Wie kommt ein Musiker auf die Idee, so ein Projekt anzuschubsen. Bist Du ein Fan dieser Kunstform oder hat Dich jemand auf die Idee gebracht, eine besondere Geschichte auch mal ganz besonders darzustellen, und nicht die herkömmliche Roman-Form zu wählen?
Ich bin ein Verehrer der bildenden Künste. Bei den Comics haben mich die Geschichten von Asterix und Obelix näher interessiert. Aber ich war ein sehr großer Fan der DDR-Comicserie MOSAIK von Hannes Hegen. Mit den Digedags und Ritter Runkel bin ich über Jahre auf Abenteuer- und Bildungsreisen gegangen. Mindestens neunzig Prozent von dem, was ich an Allgemeinwissen besitze, kommt daher. Dass ich aber nun dieses Kunst-Genre betrete, hat mit verschiedenen glücklichen Begegnungen und günstigen Konstellationen zu tun.
Du bist zwar ein toller Musiker, Bücher schreiben und Schauspielern kannste auch … aber die Novel gezeichnet hast Du nicht. Wer ist das, der diesen Part übernommen hat, und woher kennst Du ihn?
Gezeichnet hat Jörg Menge, ein begnadeter Maler aus Falkensee. Er war neben mir der einzige ostdeutsche Künstler auf einer Podiumsdiskussion der GRÜNEN im Wahljahr 2021. Wir haben uns also in der Fremde aneinander festgehalten, Freundschaft geknüpft und nicht mehr voneinander losgelassen. So ist es eigentlich logisch, dass es genau zu dieser Art von Zusammenarbeit kommen musste.
Dirk Zöllner und Jörg Menge (Foto: Johanna Bergmann)
Wieso heißt das Werk "Machandeltal"? Kenner wissen ja, dass das ein ganz besonderer Flecken Erde ist, den Du Dir als Ruhesitz für's Alter auserkoren hast und an dem Du Deinen 60. gefeiert hast. Was hat das Machandeltal mit der Geschichte zu tun?
Ein Text des Liedermachers Harald Wandel heißt "Machandeltal", den hatte ich - mit seiner Erlaubnis - für das letzte Zöllner-Album neu vertont. Ja, die Worte haben mich berührt und so wurde das Machandeltal allmählich zum Synonym für schöne Begegnungen, für helle Tage oder Sehnsuchtsorte. Zu meinem 60. Geburtstag verortete ich das Machandeltal auf Rügen, die schönsten Menschen sind meinem Ruf gefolgt und haben dort mit mir nicht nur meinen Geburtstag, sondern viele weitere Sommertage gefeiert. Ich bin ein Glückssucher, so wie Sherman, Bärbel und Taifun, die Hauptfiguren der Geschichte. Und ich hoffe nun, mit Ihnen - und allen anderen Beteiligten - ins große Machandeltal einzureiten.
Der eine oder andere Musikfreund wird nach Deiner Ankündigung sicher schon wie blöde gegoogelt, Fachzeitschriften von früher und Literatur gewälzt haben, um den Namen SB62 und die Geschichte dahinter ausfindig zu machen. Glück wird er dabei aber nicht gehabt haben. Ist das eine fiktive Kapelle oder hat sie für Deine Graphic Novel nur einen anderen Namen bekommen?
Nein, die Band SB62 gab es wirklich! Die Geschichte ist allerdings eine Mischung aus Selbsterlebtem und Fiktion. Die Dinge, die man liebte, werden in der Erinnerung immer größer und das lasse ich zu. Mit SB62 bin ich das erste Mal mit Livemusik in Berührung gekommen, was mich derart faszinierte, dass mir die Band in der Erinnerung regelrecht übergroß vorkam. Mein alter Schulfreund Brandy, gleichzeitig Bassist meiner ersten Band CHICORÉE, hat mich bei meinen Recherchen mit einem Kassettenmitschnitt konfrontiert. Ich habe mich allerdings geweigert, diesen Aufnahmen Glauben zu schenken und mit Brandy und anderen Zeitzeugen die Musik von SB62 und anderen ersten musikalischen Lieben komprimiert und kurzentschlossen neu gestaltet. Also genau so, wie ich diese Zeit im Kopf und im Herzen trage.
Okay, ich will Dir Deinen Glauben nicht zerstören! Und wie sieht es mit den darin vorkommenden Figuren aus? Sind die real oder ist das auch eher so `ne Mischung?
Es handelte sich bei SB62 tatsächlich um ein Trio. Gitarre, Bass und Saxophon. Mit gelegentlichen Gästen. Am skurrilsten war dabei auch tatsächlich die Mutter des Gitarristen. Als Gastsängerin. Ach komm, lieber Christian! Ich war oft als Zuschauer bei ihren Proben, im Turm der Erlöserkirche zu Rummelsburg. Die Namen Sherman, Bärbel und Taifun stimmen nicht ganz, aber dazu kann ich nichts Genaues sagen. Es gibt einen Deal, der in der Geschichte auch recht realitätsnah beleuchtet wird. Namen sind doch Schall und Rauch, man sollte den Glauben nicht anfassen!
Eine der Grafiken zu "Machandeltal" von Jörg Menge
Erlöserkirche? Ist das nicht dort, wo in den 80er Jahren die ganzen Blues-Messen stattfanden?
Genau. Aber als das so richtig losging, gab es SB62 schon nicht mehr.
In der Geschichte geht es also um eine Musikgruppe, die SB62 heißt, und die 1976 bis etwa 1984 in der DDR aktiv war. Bitte erzähl doch noch etwas mehr über die Geschichte, die in dieser ersten Novelle erzählt wird.
Die alten Bandkollegen Bärbel und Taifun verbindet eine Art Lebensgemeinschaft. Sie leiden unter der kulturlosen Zeit der Pandemie und sie blicken zurück zu ihren Anfängen, als sie gemeinsam mit Sherman besagte Band gründeten. Es soll die Bewältigung von Zeitenwenden aufgezeigt werden, nähere deutsche Geschichte aus den individuellen Blickwinkeln der Protagonisten. Kein politisch tendenzielles Werk. Eine Serie, nach dem Vorbild des MOSAIK, mit sehr unterschiedlichen markanten Persönlichkeiten. Man sieht in der Pilotfolge also die Anfänge von Sherman, Bärbel und Taifun als Band und ich hoffe, dass genügend Interesse geweckt wird, um eine Fortsetzung zu ermöglichen. Der Erfolg unserer Crowdfunding-Aktion wäre der erste Schritt. Der zweite das Finden eines innovativen Verlages oder eines Mäzens.
Du sagst SB62 ist eine Art Sammelbegriff für real Erlebtes, wer steckt da noch drin?
Es gab in der DDR viele Bands, die unter dem Radar ein schönes Hippieleben gelebt haben. FREYGANG im Bluesbereich, FEELING B im Bereich des Punks. Bands, die sich dem Mainstream mehr oder weniger verweigert haben. Aber auch Figuren, die später sehr populär wurden und heute noch zugange sind. Jeder, der Musik liebt, wird die Geheimnisse um SB62 entschlüsseln und sich gut und gern an sie erinnern. Lücken füllt man ganz sicher mit den eigenen persönlichen Erfahrungen auf.
Hält sich die Geschichte eigentlich genau an die damals herrschenden Voraussetzungen für Amateurbands, oder ist das eher nostalgisch-romantisch in Szene gesetzt worden, damit am Ende eine runde und spannende Geschichte daraus werden konnte?
Die Geschichte ist authentisch. Sie hält sich streng an die damals gegebenen Voraussetzungen. Nostalgie wird meines Erachtens nicht bemüht, romatische Erhöhungen sind für dieses Genre natürlich unumgänglich. Soll ja Spaß machen!
Eine weitere Grafik aus der Novelle "Machandeltal" von Jörg Menge
Was ist eigentlich aus den Musikern von einst geworden? Gibt es Kontakt zu ihnen und wie finden sie die Tatsache, jetzt Helden eines "Comics" zu sein?
Ja, es gibt Kontakt, vor allem zu dem, den ich hier Sherman nenne. Alle ehemaligen Protagonisten gefallen sich in ihren Figuren recht gut. Aber das wohl Wichtigste: Ihnen gefällt vor allem ihre Musik, die wir so sorgfältig restauriert haben.
Man kann die Musik in der Graphic Novel über QR-Code hören und ich habe erfahren, dass es sogar eine Vinyl-Single namens "Back To The GDR" geben wird.
Ja, das ist eine Hommage an die afroamerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis, an deren Freilassung die DDR einen nicht geringen Anteil hatte. Auch ich habe Anfang der 70er Jahre Postkarten an den amerikanischen Präsidenten geschrieben, so wie alle Schüler meiner Klasse.
Wird es noch mehr geben, oder ist das eine einzige VÖ, die dazu erscheinen wird?
In der Pilotfolge "Alles auf Anfang" gibt es außer "Back to the GDR" noch den Titel "Bock auf Berlin", ein origineller deutscher Text auf die Komposition von "Sittin on the dock of the bay" von Otis Redding. Diesen Text hat die Mutter des Gitarristen von SB62 geschrieben. Es wurden auch schon eine Reihe weiterer Songs "restauriert" und sie werden aber erst mit der nächsten Folge unserer Graphic Novel veröffentlicht.
Was ist das für Musik? Du sprichst von einem "Nachbau" eines Kassetten-Mitschnitts. Was genau steckt dahinter, und in welcher Form ist dieser Song ins Heute übertragen worden?
Wir haben versucht, das real Gehörte und die Erinnerung an SB62 zusammenzubringen. Mit demselben Instrumentarium: Gitarre, Bass und Saxophon. Kein Schlagzeug, nur bisschen Schellring, Handclapping und Tisch- und Fußgeklopfe. Nur sehr wenig Veränderung an den Texten.
Künstler [Ton & Bild] unter sich … (Foto: Johanna Bergmann)
Wer ist an der Neuaufnahme beteiligt. Du bist zu hören, das ist klar. Aber wer sind Deine "Helfer" und Mitstreiter?
Den Bass spielt besagter Schulfreund und ehemaliger Chicorée-Kollege Brandy (Frank Brennecke, Anm. d. Red.). Außerdem sind bei beiden ersten Songs meine Freunde Steffi Breiting (Gesang) und Tobias Hillig (Gitarre) beteiligt, sowie Holly Loose, der Sänger der LETZTEN INSTANZ. Der Maler Jörg Menge spielt das Saxophon und ich spiele Gitarre und singe ebenfalls mit. Produziert wurde das Ganze von André Kuntze, der ebenfalls ein Mitglied meiner ersten Band CHICORÉE war und dort die Tasten bediente.
Man kann auch einen "persönlichen Song" von Dir bei der Crowdfunding-Aktion kaufen. Um was für einen Song handelt es sich da, und werden da für die fünf Käufer, auf die dieses Angebot limitiert ist, tatsächlich je ein eigener Song einzeln aufgenommen?
Ja, so wird es sein. Kostet ja immerhin 500 Euro! Ich werde die Komposition von "BACK to the GDR" unter den extra gefertigten Text legen. Aber ich habe auch angeboten, einen existierenden Text zu vertonen. Zweimal ist dieses "Dankeschön" noch zu bekommen. Du siehst, hier wird nicht nur gebettelt, hier wird auch was geboten!
In welcher Form bekommt der Käufer diesen Song? Auch als Vinyl?
Ich nehme den Song mit Gitarre im Studio auf und verschicke ihn in bester Qualität per Audiofile. Vielleicht spielen den sogar Brandy und Jörg mit ein!
Wohin wird die Reise mit "Machandeltal" gehen, wenn alles mit der ersten Ausgabe gut laufen sollte? Wieviele Teile könnte es geben und wie weit planst Du da im Voraus?
Den Fortgang der Geschichte habe ich schon im Kopf und Jörg hat auch schon ein paar Seiten gezeichnet. Um es mal richtig dramatisch auszudrücken: Ich würde mir wünschen, dass es ein Alterswerk wird und vielleicht so gut gelingt, dass es nach meinem Ableben von jemand anderem weitergeführt werden kann.
"Scholle" auf der Bühne (Foto: Bodo Kubatzki)
Erlaube mir bitte noch ein oder zwei Fragen als Nachschau auf das aktuelle Album "Portugal". Bei der Leserumfrage unseres Magazins am Anfang dieses Jahres hat es den 2. Platz belegt. Hand auf's Herz: Enttäuscht, dass es nicht die 1 wurde?
Ich habe natürlich auf einen Sieg gehofft, denn ich halte "Portugal" für ein gelungenes Gesamtwerk. Aber von Enttäuschung kann keine Rede sein, ich freue mich über den zweiten Platz und die sehr gute Rezension auf Eurem Podium.
Du hast in dem Zusammenhang mit der VÖ geäußert, dass Du nicht weißt, ob Du noch einmal ein Album produzieren wirst. Hat sich an dieser Einstellung nach den knapp 10 Monaten nach Erscheinen von "Portugal" was geändert, oder blickst Du noch genauso pessimistisch in die Zukunft wie im vergangenen Herbst?
Zu einer neuen Studioproduktion mit meiner Band DIE ZÖLLNER bin ich noch nicht bereit. Die Latte hängt qualitativ sehr hoch und es bedarf einer ungeheuren Energie, dieses Niveau zu halten. Mit Pessimismus hat das nichts zu tun, eher mit einem altersbedingten Bedarf an Ruhe und Harmonie. Auch der finanzielle Aufwand ist schwer zu stemmen und ich kann nicht noch mal so eine Crodfunding-Aktion starten. Aller guten Dinge sind drei!
Ich wünsche Dir maximale Erfolge für das aktuelle Projekt. Schon Ideen, was als nächstes kommt? Ich meine, Du bist ja erfinderisch und alles andere als faul? Gründest Du als nächstes eine Brauerei? Stellst Du ein E-Auto her? Oder malst Du gar in Öl für's Louvre? ;-)
Ich gehe jetzt erstmal auf Tour mit den Zöllnern im Trio Infernale, mit André Gensicke an den Tasten und Tobias Unterberg am Cello. Die Zusammenarbeit mit Manuel Schmid und dem Programm "Die schönsten Balladen aus dem Land vor unserer Zeit" will ich nochmal wiederholen, aber erst im Frühjahr kommenden Jahres. Vielleicht gibt es ja auch wieder mal eine Tour mit den 3HIGHligen. Würde ich mir jedenfalls wünschen. Immer wieder gern irgendwas mit meinen Freunden Steffi Breiting und Tobias Hillig. Aber eine Show um das "Machandeltal" und unsere Graphic Novel will ich auch noch entwickeln. Ich habe mir vorgenommen, nur noch nach dem Lustprinzip zu arbeiten. Momentan würde ich gern ein wenig Urlaub haben. Mit meinen Kindern und der Liebsten. Ich habe da einiges nachzuholen. Aber diesen Wunsch werde ich mir nur erfüllen können, wenn ihr mich bei der Crowdfunding-Aktion nicht im Stich lasst. Sie läuft noch bis zum 30. Juni.
Vielen Dank für Deine Zeit und Deine Antworten …
Ich danke Dir und Deutsche Mugge, lieber Christian!
Interview: Christian Reder
Fotos: Johanna Bergmann, Dajana Prosser-Gehn, Bodo Kubatzki
Grafiken: Jörg Menge
Fotos: Johanna Bergmann, Dajana Prosser-Gehn, Bodo Kubatzki
Grafiken: Jörg Menge
"Machandeltal
Erster Teil - alles auf Anfang" Die Gründung der Band SB62 im Ostberlin der 70er Jahre erzählt in einer Bildergeschichte. Die Crowdfunding-Aktion zur Realisierung dieser Grafik-Novelle läuft noch bis zum 30. Juni 2024. Alles Wissenswerte gibt es HIER |