Interview vom 29. April 2024
Unser Interview-Gast Wilfried "Willi" Borchert hat wahrlich ein bewegtes Berufs- und Privatleben hinter sich. Knapp 15 Jahre hat er die DDR-Blues und -Pop-Szene mit der Gitarre begleitet. Er gehörte den Gruppen PATHOS, MONOKEL, PASSAT und JOKER FEE an, spielte zusammen mit Hansi Biebl und ging dann "rüber" in den Westen. Dass er aber Mitbegründer einer der bekanntesten Bluesbands der DDR war, in dessen "Urbesetzung" er heute noch unter anderem Namen unterwegs ist, wissen wohl nur die Wenigsten. Wir haben Willi zum Interview eingeladen, um mit ihm eben über diese spannende Biographie und die eben erwähnte Bluesband zu plaudern, mit der man ihn heute noch bei Muggen besuchen kann ...
Lass uns mal ganz vorne in deinem Leben beginnen. Wo bist Du geboren?
In Berlin. Ich bin ein Ur-Berliner, und richtige Berliner gibt es ja heute kaum noch. Man erkennt sie aber sofort an der Sprache.
Wann und auf welchem Weg bist Du der Musik begegnet?
Bei mir ging es los, als sich alle anderen im Alter von 14 bis 16 eine Wandergitarre gekauft haben. Ich stellte fest, dass ich das auch wollte und habe mir eine solche Wandergitarre besorgt. Anfangs habe ich natürlich nur sinnlos darauf herum geklimpert, denn ich hatte ja in meinem näheren Umfeld keine Freunde, die ebenfalls eine Gitarre besaßen. Also setzte ich mich hin und brachte mir alles alleine bei. Ich übte irgendwelche Griffe, bis sie saßen. Später hatte ich sogar ein Tonbandgerät und kopierte hauptsächlich Musik von Johnny Winter. Aber der spielte für mich viel zu schnell, deshalb musste ich mir auf die linke Seite des Tonbands einen schweren Aschenbecher stellen, damit das Band etwas langsamer lief, um mir das anhören und nachspielen zu können.
Du bist auch einer von den Gitarristen, die sich das Spielen komplett autodidaktisch beigebogen haben?
Richtig, alles selbst beigebracht.
Stratocaster (Foto: aetaylor)
Wann hast Du denn Deine ersten Banderfahrungen gemacht?
Da fehlen mir hier und da ein paar Erinnerungen. Aber die erste Band hieß SINUS, mit Jenny Kallabis und Raik Boden. Das war eine Bluesband, aber wann das genau war… Vermutlich in den 60ern. Wir spielten Blues, wobei Jenny mit ihrer Stimme ganz wunderbar Janis Joplin kopieren konnte. Und ich habe viel Johnny Winter einfließen lassen. Auf jeden Fall war alles, was wir gespielt haben, gecovert. Eigene Songs hatten wir nicht. Dann gab es in den 70ern eine Band namens PATHOS, aus der später dann die Gruppe SETZEI wurde. Unter anderem waren außer mir bei PATHOS Marcus Schloussen, Rainer Schossig, dessen Bruder und teilweise auch Jenny Kallabis dabei. Das waren meine Anfänge.
Nun weiß ich ja aus vielen Interviews und Gesprächen mit DDR-Musikern, dass es im Osten diese unsäglichen Einstufungen gab, ohne die man als Musiker nicht auftreten durfte. Wann ist Dir dieser Fluch begegnet?
Ich habe das, wenn ich mich richtig erinnere, irgendwann in den 70er Jahren gemacht. Aber es hat bei mir nur zu einer Grundeinstufung gereicht, das bedeutet, ich habe bloß 5 Mark pro Auftritt erhalten. Aber das hat mich gar nicht weiter interessiert. Normalerweise durftest Du ja ohnehin nur Musik machen, wenn Du nebenbei einen ordentlichen Beruf hattest. Bei mir ging das irgendwann nicht mehr zu vereinbaren, denn als ich bei BABYLON war, hatten wir so viele Muggen, dass ich mich entscheiden musste: Musik oder Beruf. Ursprünglich war ich gelernter Straßenbahnfahrer. Wenn Du aber im Dreischichtsystem Straßenbahn fährst und dazu gleichberechtigt Musik machen willst, geht das zwar eine Weile gut, aber auf Dauer schaffst Du das nicht mehr. Jedenfalls hat mich dieser ganze Zirkus mit den Einstufungen und der KGD nicht gejuckt. Ich habe meine Musik gemacht und gut war es.
Könntest Du heute noch eine Straßenbahn durch die Stadt lenken?
Nee, das sind heute ganz andere Züge und eine völlig andere Technik. Die alten Wagen könnte ich wohl noch fahren, aber mir fällt es nicht im Traum ein, nochmal in den Führerstand einer Straßenbahn zu steigen.
Du hast also dann irgendwann aufgehört zu arbeiten und hast nur noch Musik gemacht. Wie ging es denn nach PATHOS musikalisch bei Dir weiter?
Lass mich überlegen… Ich glaube, dann kam auch schon BABYLON. Victor Heyse musste zur Armee, deshalb bin ich von 1977 bis 1979 für ihn eingesprungen, bis ich dann 1979 selber zur Armee gezogen wurde. Etwas später gab es die sogenannte PUHDYS-Förderungsband, die hieß JOKER FEE. Die nannten sich so, weil Katrin Mentzel, die Frau von Achim Mentzel, da mitmachte. Und wir waren unter den Fittichen der PUHDYS. Allerdings gab es da von meiner Seite aus mal ein bisschen Stress und Ärger mit der KGD, weil ich wohl hier und da mal meinen Mund zu weit aufgerissen hatte, was zum Verlust meiner Spielerlaubnis führte. Wie auch immer, ich war ungefähr eineinhalb Jahre bei JOKER FEE und dann müsste auch schon PASSAT gekommen sein. Das war 1983/84, denn 1984 bin ich aus der DDR ausgereist. Vor der Ausreise stand aber noch Hansi Biebl in meiner Tür, bei dem ich dann neben Christian Liebig, Peter Krause und Biebl selber in der Band spielte. Nun sind wir aber allesamt nacheinander ausgereist, bis auf Christian Liebig, der anschließend zu KARAT wechselte. Wir drei anderen haben dann in der BRD einen Neuanfang versucht, was aber nicht ansatzweise geklappt hat, denn Biebl kannte drüben keiner.
Peter Schneider und Willi Borchert (Pressefoto Brother Loui)
Du galoppierst hier abe fröhlich und schnell durch Deinen Lebenslauf … Bleiben wir aber noch kurz in der DDR, denn wir haben uns ja auch deshalb zu diesem Interview getroffen, weil Du mir erzählt hattest, dass Du einer der Gründer von MONOKEL warst ...
Ja, das stimmt. Peter Schneider und ich haben nämlich MONOKEL gegründet. Und zwar war das 1971. Wir beide haben jedes Wochenende als Duo im Frannz Club gespielt. Peters Opa hatte so ein Monokel und deshalb meinte Peter: "So, wir beide nennen uns jetzt MONOKEL". Wir spielten regelmäßig im Frannz, wenn auch nur Coversongs, aber das war egal. Kurz danach, also im Jahr 1975, gab es dann die erste reguläre Besetzung von MONOKEL als Band. Dabei waren Peter Schneider an der Gitarre, Sebastian Baur an der Leadgitarre, ich spielte Bass. Horst Trümpelmann aus Thüringen war unser Schlagzeuger und Michael Mirek war nicht nur an der Mundharmonika, sondern er war gleichzeitig unser Tontechniker und auch der Tontechniker von ENGERLING. Nach ungefähr anderthalb Jahren verließ ich MONOKEL, weil es mir zu langweilig war, immer nur dieselben Songs zu spielen. 1981 stieg ich aber wieder bei MONOKEL ein, weil dann Micha Linke zur Armee musste. Im Anschluss folgten die schon erwähnten Zeiten bei JOKER FEE, PASSAT und Hansi Biebl. In der jetzigen Zeit war ich dann tatsächlich auch noch mal bei MONOKEL, und zwar bei der KRAFTBLUES-Fraktion, habe mich aber mit Micha Linke nicht mehr so gut verstanden und bin gleich wieder ausgestiegen.
Nur noch mal zur besseren Einordnung: Du bist also einer der Mitgründer von MONKEL und die Band fing ursprünglich mal als Duo an?
Richtig.
Dann stimmt aber interessanterweise die ganze Zeitenrechnung mit all den bereits gefeierten Jubiläen gar nicht …
Genau. Es gab auch eine Menge Theater deshalb. Speiche hat ja auch ein Buch geschrieben, woraufhin ich ihn zur Rede stellte und ihn fragte, weshalb er so einen Mist schreibt, denn das stimmt alles überhaupt nicht. Peter Schneider hat Speiche seinerzeit den Namen MONOKEL überlassen, was aber nicht bedeutet, dass sich Speiche als Gründer von MONOKEL bezeichnen durfte! Genauso musste ich Sebastian Baur erklären, dass auch er nicht Mitbegründer von MONKEL ist, sondern das waren ausschließlich Schneider und Borchert. Somit ist das jetzt einmal richtiggestellt.
Es gibt ja so einige Bandbiografien, die in sich nicht schlüssig sind und durch widersprüchliche Aussagen auffallen.
Das mag sein, aber ich kann immer nur wiederholen: Nicht Speiche war der Gründer von MONOKEL, auch nicht Sebastian Baur. Die haben beide in der ersten Formation mitgespielt, aber die eigentlichen Gründer waren Peter Schneider und ich.
Zurück zu Deiner Zeit mit Hansi Biebl. Du sagtest ja, Ihr hattet alle Ausreiseanträge gestellt. Konntet Ihr denn mit diesem bei den Behörden anhängigen Balast überhaupt noch auftreten?
Nein, wir hatten Berufsverbot, haben aber trotzdem in Kirchen gespielt. Wir sind durch das ganze Land gefahren, um wenigstens in Kirchen spielen zu können. Die Kirchen waren auch immer ausverkauft, wenn Biebl angekündigt war. Natürlich war auch die Stasi bei diesen Auftritten anwesend. Nun gab es eine nette Begebenheit. Hansi Biebl hatte immer die Texte zu seinen Songs ausgedruckt und auf die Stühle gelegt. Da solche Aktionen ja nicht gerade billig waren, sammelte er die Textblätter nach den Konzerten immer wieder ein. Und einmal sagte er zu einem Stasi-Kollegen: "Pass auf, mein Freund, Du kannst Dir gerne ein Blatt mit nach Hause nehmen, aber ich sage Dir gleich, es wird eine Weile dauern, bis Du verstehst, was da auf dem Zettel steht". (lacht)
Dieses Schicksal eines Berufsverbotes in Folge eines gestellten Ausreiseantrags haben ja in der DDR unzählige Musiker erlitten. Wie würdest Du das Gefühl, in einem Land zu leben, in dem man beruflich keine Chance mehr hat, aus heutiger Sicht beschreiben?
Ich bin ja letztlich gegangen, weil ich die Schnauze voll hatte. Ursprünglich bin ich in guten Verhältnissen aufgewachsen und dann merkst Du nicht, dass Dir eigentlich etwas fehlt. Du lebst mit dieser Gesellschaftsordnung, ohne groß darüber nachzudenken. Dieses Berufsverbot war mir jedenfalls scheißegal, wir haben trotzdem weitergespielt.
Hansi Biebl und Band 1985 (Foto: Archiv Willi Borchert)
Wann genau bist Du in den Westen gegangen?
Das war am 16. April 1984. Aber schon zwei Tage später habe ich gemerkt, dass ich da gar nicht hinpasse.
Wie lange hast Du denn letztendlich auf Deine Ausreise warten müssen? Oder anders gefragt: Wieviel Zeit verging zwischen Antragsstellung und Ausreise?
Das dauerte vielleicht ein halbes Jahr. Aber als es soweit war, musste ich von einem Tag auf den anderen das Land verlassen.
Nun kamst Du also im Westen an. Was war das Erste, das Dir vor die Flinte kam oder Dir aufgefallen ist?
Ich hatte einen Freund aus Kempten in Bayern und der wiederum hatte einen guten Freund, der Musiker war. Letzterer sollte mich vom Lehrter Bahnhof abholen, was er auch tatsächlich tat. Der war so ein reicher Typ, der in einer bekannten Band spielte, die mir aber gerade nicht einfallen will. Jedenfalls sind wir in seinem Mercedes mit Sitzheizung, was ich ja bis dahin überhaupt nicht kannte, über den Kudamm gerast. Die ersten zwei Tage waren ja noch schön und alles war aufregend, weil es neu war. Aber dann merkte ich, dass ich mit den Menschen nicht klar kam, die waren irgendwie anders. Außerdem hatte ich meine Mutter in der DDR zurückgelassen, was mir auch zu schaffen machte. Und meine Freundin Jutta Gericke, die im Osten ziemlich bekannt war, weil sie mit Wolf Biermann und Manfred Krug zu tun hatte, wurde dann auch noch verhaftet. Also stellte ich einen Rückreiseantrag. Aber der wurde nicht angenommen. So nach dem Motto: "Sie wollten unbedingt rüber - ein Zurück gibt es nicht mehr". Ich musste somit gegen meinen Willen im Westen bleiben.
Dich hat also relativ schnell eine Art Heimweh erwischt ...
Ja, kann man so sagen. Ich wusste das vorher alles nicht. Wenn man jung ist, denkt man doch nicht an sowas. Es war eben nicht nur das ganze Leben und das System im Westen anders, sondern vor allem waren die Menschen anders. Meine Mutter wurde dann auch krank, aber man ließ mich nicht mehr zu ihr. Ich bin erst 1989 nach dem Fall der Mauer offiziell wieder rüber gekommen.
Wie hast Du denn Dein Leben im Westen gestaltet? Du sagst ja, Du hast keinen gemeinsamen Nenner mit den Menschen im Westen gefunden, aber trotzdem musstest Du ja irgendwie arbeiten, um zu überleben.
Es ging mehr schlecht als recht weiter. Ich hatte zum Glück ein paar Freunde unter den Musikern. Vor allem der Freund aus Bayern half mir sehr. Meine Freundin wurde zwischenzeitlich aus dem Frauengefängnis in Hoheneck entlassen, was wir Herrn Weizsäcker zu verdanken hatten. Mein bayerischer Freund besorgte uns dann eine Wohnung in Moabit und von da an ging es dann einigermaßen, denn ich hatte jetzt mit meiner Freundin endlich jemanden an meiner Seite.
Was hast Du denn in dieser Zeit beruflich gemacht?
Musik. Jedenfalls soweit es möglich war. Mal hier gespielt, mal da gespielt, und ansonsten lebte ich von Sozialhilfe. Was sollte ich denn machen?
Wachturm an der innerdeutschen Grenze (Foto: Hans Harbig/Pixabay)
War denn bei Deinen musikalischen Versuchen etwas Zählbares dabei? Also etwas, wo Du sagen konntest, da hast Du irgendwo einen Fuß in eine Tür gekriegt?
Na ja, es gab da eine Band namens SOUTHERN FREEWAY, mit denen habe ich über ein Jahr lang im Europacenter gespielt, aber das war auf Dauer nicht so mein Ding. In meiner Verzweiflung habe ich dann einen Taxischein gemacht und bin sieben Jahre Taxi gefahren.
Jetzt nehme ich mal an, Du wirst aus dem Westen den Umbruch in der DDR ganz anders wahrgenommen haben als die Leute, die drüben gelebt haben. Hast Du den Fall der Mauer sehnsüchtig erwartet, um wieder nach Hause zu kommen?
Zunächst mal habe ich mich immer wieder geärgert, dass ich überhaupt nach Westberlin gegangen bin. Ich hätte lieber in meiner Heimat bleiben sollen. Nein, ich habe mir nichts Großes von meiner Ausreise erträumt, ich wollte einfach nur raus. Dieses ganze Bunte und Schrille im Westen war überhaupt nicht der Grund, das interessierte mich nicht die Bohne. Auf jeden Fall war ich auf mich selber sauer, weil ich es nicht live miterlebt habe, aber ich durfte ja nicht mehr zurück. Okay, so ganz war es dann doch nicht, denn ich war mit Hilfe eines kleinen Tricks zwischendurch drei Mal wieder drüben in Ostberlin. Marcus Schloussen, der leider schon verstorbene Bassist von RENFT, gab mir den entscheidenden Tipp. Er sagte zu mir: "Pass auf, Du hast doch zwei Vornamen, nämlich Wilfried und Thomas. Damit gehst Du zum Institut für Namensgebung in Berlin-Neukölln und lässt Deinen Vornamen ändern, so dass Du nicht mehr Wilfried Thomas, sondern Thomas Wilfried mit Vornamen heißt". Und mit diesem Trick habe ich es tatsächlich dreimal geschafft, über die Grenze zu kommen. Außer mir haben das auch noch tausende andere Leute erfolgreich praktiziert. Nach dem dritten Mal haben sie das dann aber geschnallt und haben mich wieder zurückgeschickt.
Das war doch aber auch kreuzgefährlich, wenn Du als ehemaliger DDR-Bürger, der in die BRD übergesiedelt ist, jetzt einfach wieder rüber gehst. Hätten die Dich nicht wegfangen können?
Natürlich hätte das passieren können. Ist aber nicht passiert. Ich schätze, nachdem die Stasi den Trick mit den Vornamen aufgedeckt hatte, war es ihnen nur wichtig, in der Zukunft den Leuten an der Grenze die Einreise zu verbieten.
Als die Wendezeit im vollen Gang war, wie ging es da für Dich weiter? Du sagst, Du warst plötzlich wieder zurück im Osten.
Stimmt, ich bin 1989 wieder rüber in die ehemalige DDR, habe meine Mutter und meine alten Freunde wiedergesehen und fühlte mich sofort wieder sauwohl. Das war ein tolles Gefühl. Speiche bezeichnete mich ja immer als "Aktivist der ersten Stunde". Ich konnte nun jedenfalls wieder mit ein paar befreundeten Musikern spielen und auftreten. Heutzutage bin ich auch gut im Rennen, denn ich mache mit Peter Schneider zusammen unter den Namen BROTHER LOUIE ein Projekt mit 60er Jahre-Musik, womit wir richtig viel und gut zu tun haben. Wir haben sogar eine eigene Managerin in Meißen. Natürlich merken wir unser Alter vor allem dann, wenn wir vor und nach den Konzerten alles allein auf- und abbauen müssen, aber was zählt, ist die Musik.
Monokel 40/70 mit Willi Borchert (Pressefoto Speiche)
Du erzählst mir hier hier gerade ganz beiläufig, dass die Urbesetzung von MONOKEL heute also wieder spielt, nur dass ihr Euch heute nicht mehr MONOKEL nennt ...
Genau, wir nennen uns heute BROTHER LOUIE. Aber überall, wo wir auftreten, wird während der Ansage dem Publikum mitgeteilt, dass jetzt die eigentlichen Gründer von MONOKEL kommen. Und gerade viele der älteren Besucher unserer Auftritte sind einfach neugierig, wer sich denn hinter den MONOKEL-Gründern verbirgt. Es ist aber wichtig zu wissen, dass wir keinen einzigen MONOKEL-Titel spielen, denn alle diese Nummern hängen mir zum Hals raus, ich kann sie nicht mehr hören.
Gibt es noch irgendetwas, was wir noch nicht gehört haben aus Deinem ereignisreichen Leben?
Ich könnte zum Beispiel noch berichten, dass ich wegen einer Frau sieben Jahre in Australien gelebt habe. Das ging aber nicht gut und deshalb bin ich wieder zurück nach Deutschland. Ich war mit dieser Frau sogar verheiratet, bin ich es eigentlich immer noch, aber das interessiert in Deutschland niemanden. Würde ich jetzt also hier wieder heiraten wollen, könnte ich das problemlos machen.
Du hast also wirklich eine Unmenge erlebt in Deinem bisherigen Leben.
Und noch vielmehr als das. Als ich zum Beispiel aus Australien zurückkam, wurde ich eine Woche später in Berlin-Biesdorf am Elsterwerdaer Platz zusammengeschlagen. Ich war zu einem ENGERLING-Konzert und wurde auf dem Rückweg nach Hause auf dem Bahnhof von zwei Typen angepöbelt und richtig heftig verprügelt. Selbst als ich ohnmächtig am Boden lag, haben die noch weiter auf mich eingetreten. Das Ergebnis war u.a. ein Oberkieferbruch und blaue Flecken am ganzen Körper.
Wer zum Kuckuck macht sowas, und warum?
Ich habe keine Ahnung. Der eine war ein Russe und der andere ein Deutscher, die ich aber beide nicht kannte. Der Russe ist dann abgehauen und der Deutsche bekam wohl Schiss, weil ich da am Boden lag und am Verbluten war. Nicht weit weg von dem Bahnhof steht das UKB, das Unfallkrankenhaus Berlin. Da rief er an, so dass ich schnell medizinische Hilfe bekam und ich konnte im UKB dann zum Glück wieder zusammengeflickt werden.
Willi Borchert heute (Foto: privat)
Wann war das?
Ach, das ist bestimmt schon zwanzig Jahre her. Auf jeden Fall dachte ich so bei mir: Herzlich willkommen zurück in Ostberlin. Ich habe also eine Menge erlebt, bin aber immer der Musik treugeblieben.
Wer also Willie Borchert heute sehen möchte, muss Ausschau halten nach Eurer Band BROTHER LOUIE.
So ist es.
Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an die Leser unseres Musikmagazins richten?
Bleibt der Musik treu, vor allem der Musik der 60er und 70er Jahre. Da wurde die Musik erfunden und die Besucher unserer Konzerte, die ja mit uns altgeworden sind, freuen sich immer riesig, diese Art Musik mal wieder live zu erleben. Die singen auch vieles mit, feiern mit uns die alten Zeiten und haben jede Menge Spaß. Also kommt in unsere Konzerte!
In Berlin. Ich bin ein Ur-Berliner, und richtige Berliner gibt es ja heute kaum noch. Man erkennt sie aber sofort an der Sprache.
Wann und auf welchem Weg bist Du der Musik begegnet?
Bei mir ging es los, als sich alle anderen im Alter von 14 bis 16 eine Wandergitarre gekauft haben. Ich stellte fest, dass ich das auch wollte und habe mir eine solche Wandergitarre besorgt. Anfangs habe ich natürlich nur sinnlos darauf herum geklimpert, denn ich hatte ja in meinem näheren Umfeld keine Freunde, die ebenfalls eine Gitarre besaßen. Also setzte ich mich hin und brachte mir alles alleine bei. Ich übte irgendwelche Griffe, bis sie saßen. Später hatte ich sogar ein Tonbandgerät und kopierte hauptsächlich Musik von Johnny Winter. Aber der spielte für mich viel zu schnell, deshalb musste ich mir auf die linke Seite des Tonbands einen schweren Aschenbecher stellen, damit das Band etwas langsamer lief, um mir das anhören und nachspielen zu können.
Du bist auch einer von den Gitarristen, die sich das Spielen komplett autodidaktisch beigebogen haben?
Richtig, alles selbst beigebracht.
Stratocaster (Foto: aetaylor)
Wann hast Du denn Deine ersten Banderfahrungen gemacht?
Da fehlen mir hier und da ein paar Erinnerungen. Aber die erste Band hieß SINUS, mit Jenny Kallabis und Raik Boden. Das war eine Bluesband, aber wann das genau war… Vermutlich in den 60ern. Wir spielten Blues, wobei Jenny mit ihrer Stimme ganz wunderbar Janis Joplin kopieren konnte. Und ich habe viel Johnny Winter einfließen lassen. Auf jeden Fall war alles, was wir gespielt haben, gecovert. Eigene Songs hatten wir nicht. Dann gab es in den 70ern eine Band namens PATHOS, aus der später dann die Gruppe SETZEI wurde. Unter anderem waren außer mir bei PATHOS Marcus Schloussen, Rainer Schossig, dessen Bruder und teilweise auch Jenny Kallabis dabei. Das waren meine Anfänge.
Nun weiß ich ja aus vielen Interviews und Gesprächen mit DDR-Musikern, dass es im Osten diese unsäglichen Einstufungen gab, ohne die man als Musiker nicht auftreten durfte. Wann ist Dir dieser Fluch begegnet?
Ich habe das, wenn ich mich richtig erinnere, irgendwann in den 70er Jahren gemacht. Aber es hat bei mir nur zu einer Grundeinstufung gereicht, das bedeutet, ich habe bloß 5 Mark pro Auftritt erhalten. Aber das hat mich gar nicht weiter interessiert. Normalerweise durftest Du ja ohnehin nur Musik machen, wenn Du nebenbei einen ordentlichen Beruf hattest. Bei mir ging das irgendwann nicht mehr zu vereinbaren, denn als ich bei BABYLON war, hatten wir so viele Muggen, dass ich mich entscheiden musste: Musik oder Beruf. Ursprünglich war ich gelernter Straßenbahnfahrer. Wenn Du aber im Dreischichtsystem Straßenbahn fährst und dazu gleichberechtigt Musik machen willst, geht das zwar eine Weile gut, aber auf Dauer schaffst Du das nicht mehr. Jedenfalls hat mich dieser ganze Zirkus mit den Einstufungen und der KGD nicht gejuckt. Ich habe meine Musik gemacht und gut war es.
Könntest Du heute noch eine Straßenbahn durch die Stadt lenken?
Nee, das sind heute ganz andere Züge und eine völlig andere Technik. Die alten Wagen könnte ich wohl noch fahren, aber mir fällt es nicht im Traum ein, nochmal in den Führerstand einer Straßenbahn zu steigen.
Du hast also dann irgendwann aufgehört zu arbeiten und hast nur noch Musik gemacht. Wie ging es denn nach PATHOS musikalisch bei Dir weiter?
Lass mich überlegen… Ich glaube, dann kam auch schon BABYLON. Victor Heyse musste zur Armee, deshalb bin ich von 1977 bis 1979 für ihn eingesprungen, bis ich dann 1979 selber zur Armee gezogen wurde. Etwas später gab es die sogenannte PUHDYS-Förderungsband, die hieß JOKER FEE. Die nannten sich so, weil Katrin Mentzel, die Frau von Achim Mentzel, da mitmachte. Und wir waren unter den Fittichen der PUHDYS. Allerdings gab es da von meiner Seite aus mal ein bisschen Stress und Ärger mit der KGD, weil ich wohl hier und da mal meinen Mund zu weit aufgerissen hatte, was zum Verlust meiner Spielerlaubnis führte. Wie auch immer, ich war ungefähr eineinhalb Jahre bei JOKER FEE und dann müsste auch schon PASSAT gekommen sein. Das war 1983/84, denn 1984 bin ich aus der DDR ausgereist. Vor der Ausreise stand aber noch Hansi Biebl in meiner Tür, bei dem ich dann neben Christian Liebig, Peter Krause und Biebl selber in der Band spielte. Nun sind wir aber allesamt nacheinander ausgereist, bis auf Christian Liebig, der anschließend zu KARAT wechselte. Wir drei anderen haben dann in der BRD einen Neuanfang versucht, was aber nicht ansatzweise geklappt hat, denn Biebl kannte drüben keiner.
Peter Schneider und Willi Borchert (Pressefoto Brother Loui)
Du galoppierst hier abe fröhlich und schnell durch Deinen Lebenslauf … Bleiben wir aber noch kurz in der DDR, denn wir haben uns ja auch deshalb zu diesem Interview getroffen, weil Du mir erzählt hattest, dass Du einer der Gründer von MONOKEL warst ...
Ja, das stimmt. Peter Schneider und ich haben nämlich MONOKEL gegründet. Und zwar war das 1971. Wir beide haben jedes Wochenende als Duo im Frannz Club gespielt. Peters Opa hatte so ein Monokel und deshalb meinte Peter: "So, wir beide nennen uns jetzt MONOKEL". Wir spielten regelmäßig im Frannz, wenn auch nur Coversongs, aber das war egal. Kurz danach, also im Jahr 1975, gab es dann die erste reguläre Besetzung von MONOKEL als Band. Dabei waren Peter Schneider an der Gitarre, Sebastian Baur an der Leadgitarre, ich spielte Bass. Horst Trümpelmann aus Thüringen war unser Schlagzeuger und Michael Mirek war nicht nur an der Mundharmonika, sondern er war gleichzeitig unser Tontechniker und auch der Tontechniker von ENGERLING. Nach ungefähr anderthalb Jahren verließ ich MONOKEL, weil es mir zu langweilig war, immer nur dieselben Songs zu spielen. 1981 stieg ich aber wieder bei MONOKEL ein, weil dann Micha Linke zur Armee musste. Im Anschluss folgten die schon erwähnten Zeiten bei JOKER FEE, PASSAT und Hansi Biebl. In der jetzigen Zeit war ich dann tatsächlich auch noch mal bei MONOKEL, und zwar bei der KRAFTBLUES-Fraktion, habe mich aber mit Micha Linke nicht mehr so gut verstanden und bin gleich wieder ausgestiegen.
Nur noch mal zur besseren Einordnung: Du bist also einer der Mitgründer von MONKEL und die Band fing ursprünglich mal als Duo an?
Richtig.
Dann stimmt aber interessanterweise die ganze Zeitenrechnung mit all den bereits gefeierten Jubiläen gar nicht …
Genau. Es gab auch eine Menge Theater deshalb. Speiche hat ja auch ein Buch geschrieben, woraufhin ich ihn zur Rede stellte und ihn fragte, weshalb er so einen Mist schreibt, denn das stimmt alles überhaupt nicht. Peter Schneider hat Speiche seinerzeit den Namen MONOKEL überlassen, was aber nicht bedeutet, dass sich Speiche als Gründer von MONOKEL bezeichnen durfte! Genauso musste ich Sebastian Baur erklären, dass auch er nicht Mitbegründer von MONKEL ist, sondern das waren ausschließlich Schneider und Borchert. Somit ist das jetzt einmal richtiggestellt.
Es gibt ja so einige Bandbiografien, die in sich nicht schlüssig sind und durch widersprüchliche Aussagen auffallen.
Das mag sein, aber ich kann immer nur wiederholen: Nicht Speiche war der Gründer von MONOKEL, auch nicht Sebastian Baur. Die haben beide in der ersten Formation mitgespielt, aber die eigentlichen Gründer waren Peter Schneider und ich.
Zurück zu Deiner Zeit mit Hansi Biebl. Du sagtest ja, Ihr hattet alle Ausreiseanträge gestellt. Konntet Ihr denn mit diesem bei den Behörden anhängigen Balast überhaupt noch auftreten?
Nein, wir hatten Berufsverbot, haben aber trotzdem in Kirchen gespielt. Wir sind durch das ganze Land gefahren, um wenigstens in Kirchen spielen zu können. Die Kirchen waren auch immer ausverkauft, wenn Biebl angekündigt war. Natürlich war auch die Stasi bei diesen Auftritten anwesend. Nun gab es eine nette Begebenheit. Hansi Biebl hatte immer die Texte zu seinen Songs ausgedruckt und auf die Stühle gelegt. Da solche Aktionen ja nicht gerade billig waren, sammelte er die Textblätter nach den Konzerten immer wieder ein. Und einmal sagte er zu einem Stasi-Kollegen: "Pass auf, mein Freund, Du kannst Dir gerne ein Blatt mit nach Hause nehmen, aber ich sage Dir gleich, es wird eine Weile dauern, bis Du verstehst, was da auf dem Zettel steht". (lacht)
Dieses Schicksal eines Berufsverbotes in Folge eines gestellten Ausreiseantrags haben ja in der DDR unzählige Musiker erlitten. Wie würdest Du das Gefühl, in einem Land zu leben, in dem man beruflich keine Chance mehr hat, aus heutiger Sicht beschreiben?
Ich bin ja letztlich gegangen, weil ich die Schnauze voll hatte. Ursprünglich bin ich in guten Verhältnissen aufgewachsen und dann merkst Du nicht, dass Dir eigentlich etwas fehlt. Du lebst mit dieser Gesellschaftsordnung, ohne groß darüber nachzudenken. Dieses Berufsverbot war mir jedenfalls scheißegal, wir haben trotzdem weitergespielt.
Hansi Biebl und Band 1985 (Foto: Archiv Willi Borchert)
Wann genau bist Du in den Westen gegangen?
Das war am 16. April 1984. Aber schon zwei Tage später habe ich gemerkt, dass ich da gar nicht hinpasse.
Wie lange hast Du denn letztendlich auf Deine Ausreise warten müssen? Oder anders gefragt: Wieviel Zeit verging zwischen Antragsstellung und Ausreise?
Das dauerte vielleicht ein halbes Jahr. Aber als es soweit war, musste ich von einem Tag auf den anderen das Land verlassen.
Nun kamst Du also im Westen an. Was war das Erste, das Dir vor die Flinte kam oder Dir aufgefallen ist?
Ich hatte einen Freund aus Kempten in Bayern und der wiederum hatte einen guten Freund, der Musiker war. Letzterer sollte mich vom Lehrter Bahnhof abholen, was er auch tatsächlich tat. Der war so ein reicher Typ, der in einer bekannten Band spielte, die mir aber gerade nicht einfallen will. Jedenfalls sind wir in seinem Mercedes mit Sitzheizung, was ich ja bis dahin überhaupt nicht kannte, über den Kudamm gerast. Die ersten zwei Tage waren ja noch schön und alles war aufregend, weil es neu war. Aber dann merkte ich, dass ich mit den Menschen nicht klar kam, die waren irgendwie anders. Außerdem hatte ich meine Mutter in der DDR zurückgelassen, was mir auch zu schaffen machte. Und meine Freundin Jutta Gericke, die im Osten ziemlich bekannt war, weil sie mit Wolf Biermann und Manfred Krug zu tun hatte, wurde dann auch noch verhaftet. Also stellte ich einen Rückreiseantrag. Aber der wurde nicht angenommen. So nach dem Motto: "Sie wollten unbedingt rüber - ein Zurück gibt es nicht mehr". Ich musste somit gegen meinen Willen im Westen bleiben.
Dich hat also relativ schnell eine Art Heimweh erwischt ...
Ja, kann man so sagen. Ich wusste das vorher alles nicht. Wenn man jung ist, denkt man doch nicht an sowas. Es war eben nicht nur das ganze Leben und das System im Westen anders, sondern vor allem waren die Menschen anders. Meine Mutter wurde dann auch krank, aber man ließ mich nicht mehr zu ihr. Ich bin erst 1989 nach dem Fall der Mauer offiziell wieder rüber gekommen.
Wie hast Du denn Dein Leben im Westen gestaltet? Du sagst ja, Du hast keinen gemeinsamen Nenner mit den Menschen im Westen gefunden, aber trotzdem musstest Du ja irgendwie arbeiten, um zu überleben.
Es ging mehr schlecht als recht weiter. Ich hatte zum Glück ein paar Freunde unter den Musikern. Vor allem der Freund aus Bayern half mir sehr. Meine Freundin wurde zwischenzeitlich aus dem Frauengefängnis in Hoheneck entlassen, was wir Herrn Weizsäcker zu verdanken hatten. Mein bayerischer Freund besorgte uns dann eine Wohnung in Moabit und von da an ging es dann einigermaßen, denn ich hatte jetzt mit meiner Freundin endlich jemanden an meiner Seite.
Was hast Du denn in dieser Zeit beruflich gemacht?
Musik. Jedenfalls soweit es möglich war. Mal hier gespielt, mal da gespielt, und ansonsten lebte ich von Sozialhilfe. Was sollte ich denn machen?
Wachturm an der innerdeutschen Grenze (Foto: Hans Harbig/Pixabay)
War denn bei Deinen musikalischen Versuchen etwas Zählbares dabei? Also etwas, wo Du sagen konntest, da hast Du irgendwo einen Fuß in eine Tür gekriegt?
Na ja, es gab da eine Band namens SOUTHERN FREEWAY, mit denen habe ich über ein Jahr lang im Europacenter gespielt, aber das war auf Dauer nicht so mein Ding. In meiner Verzweiflung habe ich dann einen Taxischein gemacht und bin sieben Jahre Taxi gefahren.
Jetzt nehme ich mal an, Du wirst aus dem Westen den Umbruch in der DDR ganz anders wahrgenommen haben als die Leute, die drüben gelebt haben. Hast Du den Fall der Mauer sehnsüchtig erwartet, um wieder nach Hause zu kommen?
Zunächst mal habe ich mich immer wieder geärgert, dass ich überhaupt nach Westberlin gegangen bin. Ich hätte lieber in meiner Heimat bleiben sollen. Nein, ich habe mir nichts Großes von meiner Ausreise erträumt, ich wollte einfach nur raus. Dieses ganze Bunte und Schrille im Westen war überhaupt nicht der Grund, das interessierte mich nicht die Bohne. Auf jeden Fall war ich auf mich selber sauer, weil ich es nicht live miterlebt habe, aber ich durfte ja nicht mehr zurück. Okay, so ganz war es dann doch nicht, denn ich war mit Hilfe eines kleinen Tricks zwischendurch drei Mal wieder drüben in Ostberlin. Marcus Schloussen, der leider schon verstorbene Bassist von RENFT, gab mir den entscheidenden Tipp. Er sagte zu mir: "Pass auf, Du hast doch zwei Vornamen, nämlich Wilfried und Thomas. Damit gehst Du zum Institut für Namensgebung in Berlin-Neukölln und lässt Deinen Vornamen ändern, so dass Du nicht mehr Wilfried Thomas, sondern Thomas Wilfried mit Vornamen heißt". Und mit diesem Trick habe ich es tatsächlich dreimal geschafft, über die Grenze zu kommen. Außer mir haben das auch noch tausende andere Leute erfolgreich praktiziert. Nach dem dritten Mal haben sie das dann aber geschnallt und haben mich wieder zurückgeschickt.
Das war doch aber auch kreuzgefährlich, wenn Du als ehemaliger DDR-Bürger, der in die BRD übergesiedelt ist, jetzt einfach wieder rüber gehst. Hätten die Dich nicht wegfangen können?
Natürlich hätte das passieren können. Ist aber nicht passiert. Ich schätze, nachdem die Stasi den Trick mit den Vornamen aufgedeckt hatte, war es ihnen nur wichtig, in der Zukunft den Leuten an der Grenze die Einreise zu verbieten.
Als die Wendezeit im vollen Gang war, wie ging es da für Dich weiter? Du sagst, Du warst plötzlich wieder zurück im Osten.
Stimmt, ich bin 1989 wieder rüber in die ehemalige DDR, habe meine Mutter und meine alten Freunde wiedergesehen und fühlte mich sofort wieder sauwohl. Das war ein tolles Gefühl. Speiche bezeichnete mich ja immer als "Aktivist der ersten Stunde". Ich konnte nun jedenfalls wieder mit ein paar befreundeten Musikern spielen und auftreten. Heutzutage bin ich auch gut im Rennen, denn ich mache mit Peter Schneider zusammen unter den Namen BROTHER LOUIE ein Projekt mit 60er Jahre-Musik, womit wir richtig viel und gut zu tun haben. Wir haben sogar eine eigene Managerin in Meißen. Natürlich merken wir unser Alter vor allem dann, wenn wir vor und nach den Konzerten alles allein auf- und abbauen müssen, aber was zählt, ist die Musik.
Monokel 40/70 mit Willi Borchert (Pressefoto Speiche)
Du erzählst mir hier hier gerade ganz beiläufig, dass die Urbesetzung von MONOKEL heute also wieder spielt, nur dass ihr Euch heute nicht mehr MONOKEL nennt ...
Genau, wir nennen uns heute BROTHER LOUIE. Aber überall, wo wir auftreten, wird während der Ansage dem Publikum mitgeteilt, dass jetzt die eigentlichen Gründer von MONOKEL kommen. Und gerade viele der älteren Besucher unserer Auftritte sind einfach neugierig, wer sich denn hinter den MONOKEL-Gründern verbirgt. Es ist aber wichtig zu wissen, dass wir keinen einzigen MONOKEL-Titel spielen, denn alle diese Nummern hängen mir zum Hals raus, ich kann sie nicht mehr hören.
Gibt es noch irgendetwas, was wir noch nicht gehört haben aus Deinem ereignisreichen Leben?
Ich könnte zum Beispiel noch berichten, dass ich wegen einer Frau sieben Jahre in Australien gelebt habe. Das ging aber nicht gut und deshalb bin ich wieder zurück nach Deutschland. Ich war mit dieser Frau sogar verheiratet, bin ich es eigentlich immer noch, aber das interessiert in Deutschland niemanden. Würde ich jetzt also hier wieder heiraten wollen, könnte ich das problemlos machen.
Du hast also wirklich eine Unmenge erlebt in Deinem bisherigen Leben.
Und noch vielmehr als das. Als ich zum Beispiel aus Australien zurückkam, wurde ich eine Woche später in Berlin-Biesdorf am Elsterwerdaer Platz zusammengeschlagen. Ich war zu einem ENGERLING-Konzert und wurde auf dem Rückweg nach Hause auf dem Bahnhof von zwei Typen angepöbelt und richtig heftig verprügelt. Selbst als ich ohnmächtig am Boden lag, haben die noch weiter auf mich eingetreten. Das Ergebnis war u.a. ein Oberkieferbruch und blaue Flecken am ganzen Körper.
Wer zum Kuckuck macht sowas, und warum?
Ich habe keine Ahnung. Der eine war ein Russe und der andere ein Deutscher, die ich aber beide nicht kannte. Der Russe ist dann abgehauen und der Deutsche bekam wohl Schiss, weil ich da am Boden lag und am Verbluten war. Nicht weit weg von dem Bahnhof steht das UKB, das Unfallkrankenhaus Berlin. Da rief er an, so dass ich schnell medizinische Hilfe bekam und ich konnte im UKB dann zum Glück wieder zusammengeflickt werden.
Willi Borchert heute (Foto: privat)
Wann war das?
Ach, das ist bestimmt schon zwanzig Jahre her. Auf jeden Fall dachte ich so bei mir: Herzlich willkommen zurück in Ostberlin. Ich habe also eine Menge erlebt, bin aber immer der Musik treugeblieben.
Wer also Willie Borchert heute sehen möchte, muss Ausschau halten nach Eurer Band BROTHER LOUIE.
So ist es.
Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an die Leser unseres Musikmagazins richten?
Bleibt der Musik treu, vor allem der Musik der 60er und 70er Jahre. Da wurde die Musik erfunden und die Besucher unserer Konzerte, die ja mit uns altgeworden sind, freuen sich immer riesig, diese Art Musik mal wieder live zu erleben. Die singen auch vieles mit, feiern mit uns die alten Zeiten und haben jede Menge Spaß. Also kommt in unsere Konzerte!
Interview: Christian Reder
Übertragung: Torsten Meyer
Fotos: Willi Borchert privat, Hans Harbig/Pixabay, aetaylor/Pixabay
Übertragung: Torsten Meyer
Fotos: Willi Borchert privat, Hans Harbig/Pixabay, aetaylor/Pixabay