Interview vom 20. Oktober 2023
Wer hat die Musik zu "Lili Marleen" geschrieben? Genau diese Frage brachte den Hamburger Künstler Johannes Kirchberg dazu, sich mit dem Lied und auch mit dem Autoren, Hans Leip, zu beschäftigen und eine CD mit dessen Werken herauszubringen. Unsere Kollegin Antje hat mit Johannes darüber und einiges mehr gesprochen ...
Du nimmst dir vorwiegend Programme von Literaten wie Johannes R. Becher, Wolfgang Borchert oder eben wie im aktuellen Fall von "Lili Marleen" Hans Leip vor. Wie wählst du die aus?
Ich habe eher das Gefühl, dass die mich auswählen. Es fing alles 1999 mit Erich Kästner an. Das war mein allererstes Programm, was ich gemacht habe. Seitdem lässt mir Erich Kästner keine Ruhe. Ich habe viele Programme mit Texten von ihm gemacht. Dann kamen die anderen Autoren Stück für Stück auf mich zu. Manchmal habe ich beispielsweise eine Begegnung mit einem Gedicht und das bewegt mich dann mitunter so sehr, dass ich mich mit dem Autoren beschäftige. Bei Hans Leip war es tatsächlich so, dass ich mich gefragt habe, wer "Lili Marleen" geschrieben hat. Weil ich es einfach nicht wusste. Dann habe ich nachgeschaut und es stand da, dass es Hans Leip war. Den kannte ich nicht. Ich dachte, wer so ein schönes Lied geschrieben hat, hat doch bestimmt auch mehr geschrieben. Und siehe da - hat er. Er hat so ein riesiges Werk hinterlassen. Als sich dann noch herausstellte, dass er Hamburger war und ähnlich wie Erich Kästner ist als Autor in Nazi-Deutschland geblieben, aber nicht in der Partei und darüber hinaus auch noch großer Verehrer von Wolfgang Borchert war, weckte das meine Neugier. Als ich mich mit dem Schaffen von Hans Leip beschäftigt habe, kamen die ausgewählten Gedichte zu mir.
Wie bist du zu Erich Kästner gekommen? Klassisch in der Schule?
Ja, auch in der Schule. Aber ich habe irgendwann mal die "Lyrische Hausapotheke" in die Hände bekommen. Das kann ich nur jedem empfehlen. Das ist so ein tolles Buch und eben zu benutzen wie eine Hausapotheke. Je nachdem wie es einem geht, kann man vorne im Inhaltsverzeichnis nachschauen, welche Beschreibung zutrifft und dann gibt es ein Gedicht dazu. Meistens stimmt das auch. Ich hatte 1999 das Angebot oder den Auftrag, ein Programm zum 100. Geburtstag von Erich Kästner am Leipziger Schauspielhaus zu machen. So hat alles angefangen.
Ich muss nochmal nachfragen: du hattest vor der Arbeit an "Lilli Marleen" keine Berührung mit Hans Leip?
Nein, gar nicht. Ich kannte Hans Leip überhaupt nicht. In Hamburg gibt es eine Hans Leip Oper, das wusste ich. Aber das war mir relativ egal, ehrlich gesagt. Das kam wirklich nur durch das Lied.
Wird es eine alleingestellte Tour dazu geben?
Naja eine Tour direkt nicht. Es gibt ein Bühnenprogramm. Das hatte letztes Jahr im November auf dem Theaterschiff in Hamburg Premiere. Dort läuft es in diesem und in nächsten Monat noch. Es wird sicher auch im nächsten Jahr einige vereinzelte Termine geben. Hans Leip ist leider nichts, womit man die Massen hinter dem Ofen hervorlocken kann, weil ihn eben niemand kennt. Da muss man froh sein, wenn es dafür überhaupt Veranstalter gibt. Ich spiele es aber im November beispielsweise auch in Wurzen im Ringelnatzhaus. Das ist dann ein richtiges Programm, wo ich auch schauspielerisch unterwegs und im Zwiegespräch mit Hans Leip bin. Ich stelle ihn als Künstler vor, als Hamburger, als Lebemann und ich erzähle auch die ganze Geschichte zu Lili Marleen, die wahnsinnig spannend und auch lustig ist. Die ja aber keiner kennt. Wie schafft es jemand, so einen Text zu schreiben? Da war er ja auch erst Anfang 20 … 1915. Im 2. Weltkrieg, 1941, wurde dieses Lied berühmt. Auf einmal wird er 26 Jahre, nachdem er den Text geschrieben hat, damit reich und berühmt. Ich frage mich, was das mit einem Menschen macht, der zwischendrin ja auch so viele andere Sachen geschrieben hat. Ich spiele das Stück sehr gerne, denn es ist sehr anspruchsvoll. Ich habe es zusammen mit einer Regisseurin erarbeitet. Natürlich hat es auch was mit dem Krieg und der Heimkehr in das zerstörte Hamburg zu tun.
Mit einem Blick in die Termine auf der Homepage habe ich festgestellt, dass du die Programme immer abwechselnd spielst, also nie nur eines am Stück mit mehreren Terminen. Damit du selber ein bisschen Abwechslung bei der Arbeit hast?
Das hat sich so ergeben. Erich Kästner mache ich sehr gerne beispielsweise. Ich bin ja nun auch nicht der berühmteste Kleinkünstler, den man sich so vorstellen kann. Dass da eben Kästner oder auch Tucholsky Türöffner sind für Veranstalter und Gäste, ist ein toller Nebeneffekt. Aber ich könnte es mir tatsächlich auch nicht vorstellen, zwei Jahre lang nur ein Programm zu spielen. Jedes Programm hat einen eigenen Anzug, damit ich da nicht durcheinander komme (lacht).
Schreibst du eigentlich auch selber Texte? Hast du ein eigenes Programm?
So fing das alles an. Ich habe ja als Liedermacher angefangen und eigene Sachen geschrieben. Dann habe ich sehr schnell angefangen, in Leipzig mit dem Texter Tom Reichel zusammenzuarbeiten. Da sind die ersten Programme entstanden. Teilweise habe ich selber geschrieben, und er hat die Texte "repariert". Also er ist ein wahnsinnig toller Texter. Der hat viel bessere Dinge da rausgeholt, als ich es je könnte. Wir sind dann ganz schnell dahin gekommen, dass er die Texte gemacht hat und ich die Lieder. Das war eine wahnsinnig gute Symbiose, so dass viele Leute denken, dass es von mir wäre, weil es so authentisch ist. Das ist natürlich auch ein Qualitätsmerkmal. Mit ihm arbeite ich schon viele Jahre zusammen. Das letzte große Projekt war die Produktion vom Album "Testsieger". Leider ist die kurz vor Corona entstanden. Ich stand mit einer fertigen Platte da und alles war vorbereitet - und plötzlich kam dann erstmal nichts.
Ich glaube, das ging in der Zeit leider vielen Künstlern so.
Definitiv, da war ich nicht der einzige. Aber ich bin auch ganz gut durch die Zeit gekommen, muss ich ehrlich sagen. Aber als wir wieder spielen durften, war ein Programm das "Testsieger" heißt, denkbar bescheuert. Jetzt mache ich es trotzdem wieder.
Das entbehrt aber auch nicht einer gewissen Ironie an der Stelle.
Ja, am Ende fand ich es sogar ganz lustig. Aber es war dann eben auch irgendwann durch. Zwei oder drei Jahre, nachdem die Platte raus war, ist das ja auch kein Wunder. Irgendwann muss man dann auch mal was Neues machen. Ich habe die Zeit genutzt, um viel zu lesen und zu recherchieren. Ich habe das Beste draus gemacht und hatte so eine den Umständen entsprechend schöne Zeit.
Ich weiß, dass es Vielen nicht so ging, aber mich persönlich hat die Corona-Zeit auch wahnsinnig entschleunigt.
Ja, das definitiv. Das ging mir ähnlich, als ich die Existenzängste ablegen konnte. Ich habe aber auch das Privileg, dass ich nicht mit meiner Familie in einer Neubauwohnung leben muss. Mir ging es hier in Hamburg sehr gut. Das weiß ich auch sehr zu schätzen. Als ich wusste, dass wir nicht verhungern werden, war auch alles gut. Ich habe eine Arbeit angenommen. Ich arbeite hier für ein kleines Theater und habe dort eine halbe Stelle. Das hat mir viel Sicherheit gegeben.
Sprichst du hier von dem Engagement auf dem Theaterschiff, was auf deiner Seite zu lesen ist?
Nee, das ist nochmal was anderes. Das Theaterschiff ist ein bisschen meine Haus- und Hofbühne. Südlich der Elbe gibt es das Kulturhaus Süderelbe, angeschlossen ist dort ein kleines Theater. Das darf ich bespielen und auch den Programmplan machen. Das ist sehr erfüllend und macht auch Spaß. Ich mach das einfach gerne, weil es auch für den Stadtteil total schön ist. Ich finde es toll die Kolleginnen und Kollegen einzuladen, mit denen ich ja sonst nicht so in Berührung kommen würde.
Mir ist aufgefallen dass es in deiner Musik viel um Wasser allgemein, speziell die Elbe und Hamburg geht…
Ich fühle mich dem Norddeutschen schon sehr zugetan. Ich lebe hier wirklich sehr gerne. Sonst kann ich nur jedem empfehlen, nach Leipzig zum Studieren zu gehen, zum Leben ist es bestimmt toll. Ich fühle mich dem hier schon sehr zugewandt. Ich sitze gerne an der Elbe. Die Nähe zum Meer finde ich ganz toll. Für den Dialekt ist es auch ganz gut, hier im Norden zu wohnen. Ich lebe hier einfach gerne, für mich ist es Heimat.
Wie hat es dich denn von Leipzig nach Hamburg verschlagen?
Die Liebe. Ich habe sehr gerne in Leipzig gelebt und es gibt auch nur wenige Gründe, dort wegzuziehen. Die Liebe ist einer. Ich habe immer gesagt: wenn ich mal wegziehe, dann nach Hamburg, Freiburg oder Rostock. Hamburg ist es geworden, darüber bin ich sehr froh. Ich bin ja im Vogtland geboren, da ist das Skispringen schon etwas, was ich manchmal vermisse. Ich mag dort auch den Wald und gehe dort gerne Pilze sammeln, wenn es mal passt.
Ich habe ebenfalls gelesen, dass du mal in dem Theater in Rostock gespielt hast. Kannst du dir das heute auch noch vorstellen?
Ich würde das so gerne machen. Einfach mal wieder in einer Produktion spielen, für die ich nicht die Verantwortung habe. Ich bin ja wirklich schon seit vielen Jahren selbstständig und auch alleine unterwegs. Mit jeder Situation muss ich demzufolge auch alleine klarkommen. Deswegen spiele ich beispielsweise auch gerne auf dem Theaterschiff in Hamburg. Dort gib es seit 2011 auch ein Programm zu Erich Kästner mit meiner Musik. Dort spiele ich mit einem Kollegen zusammen, bin dabei aber nicht verantwortlich. Außer für das, was auf der Bühne passiert. Es ist so toll, in der Pause jemanden zu haben, mit dem man reden kann. Das ist so toll, würde ich wirklich gerne mal wieder machen. Bei "Solo Sunny" das war großartig. Damals gab es ein Stück, das auch die erste Zusammenarbeit mit meinem Texter Tom Reichel war. "Halb so wild" hieß es, und wir haben das in Rostock gespielt. Der Dramaturg vom Rostocker Theater war auch mal im Publikum. Er hat mich dann gefragt, ob ich in Rostock Theater spielen will. Ich wurde quasi weggecastet für das Stück "Solo Sunny", das lief auch zwei Jahre sehr erfolgreich. Es war quasi eine Adaption von dem Film, wo wir auch viele Osthits gespielt haben.
Du kommst ja aus der Nähe von Leipzig und lebst in Hamburg - bekommst du noch Ost-West-Unterschiede mit?
Das ist eine sehr spannende Frage. Spontan würde ich natürlich nein sagen. Was ich wirklich in mir mitbekomme: wenn ich über die ehemalige Grenze komme, spüre ich eine Dankbarkeit. Ich finde das ist aktuell ein sehr heikles Thema. Aber eigentlich gibt es ja überall Unterschiede. Wenn ich beispielsweise im Saarland spiele, sind dort die Leute anders als in Bremen. Ich werde immer der sein, der aus Leipzig kommt, auch wenn ich mich nicht als Leipziger fühle. Eine größere Rolle spielt: Was sind das für Leute, die ins Theater kommen? Wie sind sie politisch sozialisiert? Ich spiele zum Beispiel auch viel an der Ostsee, auf Rügen oder Usedom. Da sind ja eigentlich immer Urlauber. Aus Frankfurt am Main, Leipzig oder Berlin - und die sitzen zusammen in meinen Konzerten, das sind die schönsten Momente. Dann denke ich oft, dass die Unterschiede gar nicht so groß sind. Das Gefühl von Neid kommt ja auch schnell auf. Mich selber betrifft es nicht, weil ich es nicht thematisiere. Ich finde es viel wichtiger, dass ich mich in meinem Kiez wohlfühle und mit meinen Nachbarn gut zurechtkomme. Wie viele Menschen kenne ich, die nicht wissen wer eigentlich neben ihnen wohnt. Ich finde, das ist der erste Schritt. Das müssen wir wieder lernen, mit den kleinen Dingen zufrieden zu sein. Denn das können wir beeinflussen. Das fängt in der Familie an, geht weiter über die Nachbarschaft. Wichtiger als andere Dinge ist, ob jemand ein guter Mensch ist und im Notfall hilft. Ich habe wahrscheinlich in mehr Hotels geschlafen als viele andere Menschen, bin öfter mit dem Flugzeug geflogen - einfach weil es mein Beruf mit sich bringt. Ich weiß das und bin dafür auch dankbar. Trotzdem denke ich, dass alle gut beraten wären, nicht die Welt verändern zu wollen sondern das kleine Umfeld besser zu machen, in dem sie leben. Einfach weil sie da sind. Das ist das, was mich so umtreibt. Ich wusste zum Beispiel auch nicht, dass die Gesellschaft dank Ehrenamt so gut funktioniert. Seit ich in dem Theater arbeite, merke ich wie viele Menschen es gibt, die ehrenamtlich und freiwillig anderen Leuten helfen. Das ist so toll zu sehen. Ob das bei Deutschkursen ist, in der Flüchtlingshilfe oder in anderen Belangen - das ist einfach großartig. Das wird viel zu wenig erwähnt. Wie schnell ist man bei dem Trennenden und nicht bei dem, was verbindet. Das müsste man nach vorne stellen. Wie oft mir begegnet: "Ich bin gegen das und das …" Das kann ja nur trennen. Wenn man aber mal nach vorne stellt, wofür man ist und für was man einsteht - ich glaube, das wäre eine gute Sache.
Du hast ja gerade Facebook schon angesprochen. Ich glaube, dass da soziale Medien auch keine gute Rolle spielen.
Mir macht vor allem Angst, welche Macht die haben. Welche Macht zum Beispiel Elon Musk hat. Es liegt ja an uns. Es liegt an uns, es zuzulassen oder auch nicht. Im Moment lassen wir es zu. Man muss es ja nur nicht mehr verwenden. Sondern sich vielleicht mal wieder Aug in Aug sehen und miteinander reden. Dann sind die Gruppen auch kleiner. Man kommt schneller wieder in das, was verbindet. Warum geht jemand zu einem Konzert? Warum kann ich Leute durch das, was ich mache, bewegen? Ich habe gestern zum Beispiel den Hans-Leip-Abend in Hamburg Blankenese gespielt, wo Hans Leip gelebt hat. Die Leute waren begeistert, weil sie nicht mit dem gerechnet haben was ich tue. Das war so ergreifend. Die sind alle aufgestanden und man sah sich Aug in Aug. Da war auch die Dankbarkeit zu sehen. Das konnte ja nur so sein, weil ich es gemacht habe. Das sind diese schönen Dinge. Warum tut jemand etwas? Damit es das gibt. Weil sonst die Welt auch einfach ärmer wäre. Es würde ja niemand vermissen, aber es macht die Welt einfach schöner. Es gibt so viele Dinge, wo sich Menschen im Kleinen und im Stillen engagieren. Das ist Frieden für mich - Kultur und Austausch.
Du bist ja dieses Jahr 50 geworden. Für manche ist das eine Art Zäsur, ein halbes Jahrhundert auf diesem Planeten zu wandern. Ging es dir auch so?
Ehrlich gesagt habe ich es etwas weggeschoben. Ich habe auch gespielt an dem Tag. Ich habe bewusst nicht gefeiert. Ich wurde natürlich von Freunden gefragt, ob ich etwas machen möchte. Aber mir war nicht danach. Erstaunlicher Weise werde ich öfter gefragt wie alt ich bin, seit ich 50 bin. Vielleicht gewöhnt man sich auch irgendwann dran. Ein Resümee ziehe ich eigentlich jedes Jahr, weil ich eben auch immer etwas Existenzängste habe. Dann gibt es aber auch liebe Menschen, die zu mir sagen, "Johannes, du machst das seit 25 oder 30 Jahren. Und genauso lange hast du auch diese Ängste. Jetzt vertraue mal der Sache." Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich das machen kann und es bis jetzt auch gut funktioniert. Das macht mich demütig. So Projekte wie Hans Leip gehen ja auch nur, wenn es Leute gibt, die das unterstützen. Der, der die Arrangements geschrieben hat, ist ein Komponist, 80 Jahre alt, wohnt in Weimar, war früher im Schauspielhaus in Leipzig musikalischer Leiter und hat das einfach arrangiert. Ohne diese Hilfe würde das gar nicht gehen.
Weißt du, ob es noch lebende Nachfahren von Hans Leip gibt?
Ich habe tatsächlich mit dem Urenkel von ihm zu tun, weil er die Rechte hat. Man muss sich das ja immer genehmigen lassen. Natürlich war er auch erstmal etwas vorsichtig, als ich anfragte. Im Hamburger Museum findet man ganz viel, auch Bilder die er gemalt hat.
Lilli Marlen ist ja zweimal auf der CD …
Ich habe das ja selber vertont, und wollte es auch als Verbeugung vor Hans Leip darstellen. Ich habe ja vorhin schon erzählt, dass er das Lied 1915 als Soldat in Berlin geschrieben hat. Damals war er verliebt in zwei Frauen, in Lili und in Marleen. Das waren also zwei Frauen. Er hat die beiden aber zusammengefasst und ein Lied daraus gemacht. Die Melodie hat er auf seiner Gitarre dazu gemacht. Es gibt also eine eigene Version von Hans Leip, die er auch gespielt hat. Aber er hatte keinen Erfolg damit. Also hat er es erstmal weggelegt und andere Dinge getan. 1935 ist der Text dann in einem Gedichtband erschienen. Dann hat ihn wieder jemand vertont in einer Kunstliedversion, die heute kaum noch jemand kennt. Die hat Lale Andersen gesungen. Dann kam zwei Jahre später Norbert Schulze und hat die Musik gemacht, die wir heute alle kennen. Das hat Lale Andersen dann nochmal gesungen. Das ist die Version, die wir heute alle kennen. Es ist die Version, die um die Welt ging. Dann kommt der Johannes Kirchberg und macht noch eine Version. Damit ich meinen Hut ziehe, ist die erste Strophe die erste Zeile die Melodie von Hans Leip, die zweite Strophe ist die Musik, die wir alle kennen und Zeile drei bis fünf sind nur meine Musik. Die zweite Version ist komplett mit meiner Musik. Dass es jetzt Hans Leip für mich gibt, konnte auch nur jetzt so sein. Das ist auch etwas, was ich so im Rückblick feststelle: dass Dinge auch wirklich ihre Zeit haben. Ich glaube, ich hätte Hans Leip vor 10 Jahren nicht machen können. Zumindest nicht mit diesem Tiefgang und dieser Seele. Mein Lieblingsprogramm ist ja Wolfgang Borchert. Den kannte ich natürlich schon in Leipzig. Aber hier in Hamburg mit dem Ankommen in der Altstadt und auf dem Theaterschiff, da gehörte es auf einmal hin. Da war es genau richtig. Das ist auch ein bisschen Resümee und Zuversicht. Ich glaube da werden noch einige spannende Sachen passieren. Vielleicht nicht groß rauskommen, aber spannende Sachen mit denen man sich beschäftigt. Man muss den Dingen auch Zeit geben, dann entwickeln sie sich.
Ich finde auch, wenn man sich mit Musik oder Texten allgemein wirklich auseinander setzt, macht es alles irgendwie intensiver und unterstreicht, wie man sich gerade fühlt.
Ich habe im Laufe der Jahre zum Beispiel oft gehört, dass mir sehr gut gelingt, die Texte durch das Vertonen zugänglicher zu machen. Dass viele die Texte zwar gelesen haben aber keinen Zugang gefunden haben. Durch die Lieder gelingt es. Das ist ein riesengroßes Kompliment, finde ich. Auch Texte, die vielleicht gar nicht einfach zu vertonen sind. Auf der CD ist ein Lied drauf, das heißt " Schnee der uns bedeckt". Das fällt gar nicht auf, aber es reimt sich nicht in der typischen Form wie wir sie kennen, sondern irgendwo. Das ist eine spezielle Form, die sich Hans Leip ausgedacht hat. Das in ein Lied zu bringen war eine Herausforderung, die ich aber gerne angenommen habe.
Möchtest du unseren Lesern zum Schluss was mit auf den Weg geben?
Da gebe ich gerne ein Zitat von Erich Kästner mit auf den Weg, weil es wirklich mein Lieblingszitat ist. Freunde nur Mut, lächelt und sprecht. Die Menschen sind gut. Bloß die Leute sind schlecht.
Das ist ein sehr schönes Schlusswort, vielen Dank.
Ich habe eher das Gefühl, dass die mich auswählen. Es fing alles 1999 mit Erich Kästner an. Das war mein allererstes Programm, was ich gemacht habe. Seitdem lässt mir Erich Kästner keine Ruhe. Ich habe viele Programme mit Texten von ihm gemacht. Dann kamen die anderen Autoren Stück für Stück auf mich zu. Manchmal habe ich beispielsweise eine Begegnung mit einem Gedicht und das bewegt mich dann mitunter so sehr, dass ich mich mit dem Autoren beschäftige. Bei Hans Leip war es tatsächlich so, dass ich mich gefragt habe, wer "Lili Marleen" geschrieben hat. Weil ich es einfach nicht wusste. Dann habe ich nachgeschaut und es stand da, dass es Hans Leip war. Den kannte ich nicht. Ich dachte, wer so ein schönes Lied geschrieben hat, hat doch bestimmt auch mehr geschrieben. Und siehe da - hat er. Er hat so ein riesiges Werk hinterlassen. Als sich dann noch herausstellte, dass er Hamburger war und ähnlich wie Erich Kästner ist als Autor in Nazi-Deutschland geblieben, aber nicht in der Partei und darüber hinaus auch noch großer Verehrer von Wolfgang Borchert war, weckte das meine Neugier. Als ich mich mit dem Schaffen von Hans Leip beschäftigt habe, kamen die ausgewählten Gedichte zu mir.
Wie bist du zu Erich Kästner gekommen? Klassisch in der Schule?
Ja, auch in der Schule. Aber ich habe irgendwann mal die "Lyrische Hausapotheke" in die Hände bekommen. Das kann ich nur jedem empfehlen. Das ist so ein tolles Buch und eben zu benutzen wie eine Hausapotheke. Je nachdem wie es einem geht, kann man vorne im Inhaltsverzeichnis nachschauen, welche Beschreibung zutrifft und dann gibt es ein Gedicht dazu. Meistens stimmt das auch. Ich hatte 1999 das Angebot oder den Auftrag, ein Programm zum 100. Geburtstag von Erich Kästner am Leipziger Schauspielhaus zu machen. So hat alles angefangen.
Ich muss nochmal nachfragen: du hattest vor der Arbeit an "Lilli Marleen" keine Berührung mit Hans Leip?
Nein, gar nicht. Ich kannte Hans Leip überhaupt nicht. In Hamburg gibt es eine Hans Leip Oper, das wusste ich. Aber das war mir relativ egal, ehrlich gesagt. Das kam wirklich nur durch das Lied.
Wird es eine alleingestellte Tour dazu geben?
Naja eine Tour direkt nicht. Es gibt ein Bühnenprogramm. Das hatte letztes Jahr im November auf dem Theaterschiff in Hamburg Premiere. Dort läuft es in diesem und in nächsten Monat noch. Es wird sicher auch im nächsten Jahr einige vereinzelte Termine geben. Hans Leip ist leider nichts, womit man die Massen hinter dem Ofen hervorlocken kann, weil ihn eben niemand kennt. Da muss man froh sein, wenn es dafür überhaupt Veranstalter gibt. Ich spiele es aber im November beispielsweise auch in Wurzen im Ringelnatzhaus. Das ist dann ein richtiges Programm, wo ich auch schauspielerisch unterwegs und im Zwiegespräch mit Hans Leip bin. Ich stelle ihn als Künstler vor, als Hamburger, als Lebemann und ich erzähle auch die ganze Geschichte zu Lili Marleen, die wahnsinnig spannend und auch lustig ist. Die ja aber keiner kennt. Wie schafft es jemand, so einen Text zu schreiben? Da war er ja auch erst Anfang 20 … 1915. Im 2. Weltkrieg, 1941, wurde dieses Lied berühmt. Auf einmal wird er 26 Jahre, nachdem er den Text geschrieben hat, damit reich und berühmt. Ich frage mich, was das mit einem Menschen macht, der zwischendrin ja auch so viele andere Sachen geschrieben hat. Ich spiele das Stück sehr gerne, denn es ist sehr anspruchsvoll. Ich habe es zusammen mit einer Regisseurin erarbeitet. Natürlich hat es auch was mit dem Krieg und der Heimkehr in das zerstörte Hamburg zu tun.
Mit einem Blick in die Termine auf der Homepage habe ich festgestellt, dass du die Programme immer abwechselnd spielst, also nie nur eines am Stück mit mehreren Terminen. Damit du selber ein bisschen Abwechslung bei der Arbeit hast?
Das hat sich so ergeben. Erich Kästner mache ich sehr gerne beispielsweise. Ich bin ja nun auch nicht der berühmteste Kleinkünstler, den man sich so vorstellen kann. Dass da eben Kästner oder auch Tucholsky Türöffner sind für Veranstalter und Gäste, ist ein toller Nebeneffekt. Aber ich könnte es mir tatsächlich auch nicht vorstellen, zwei Jahre lang nur ein Programm zu spielen. Jedes Programm hat einen eigenen Anzug, damit ich da nicht durcheinander komme (lacht).
Schreibst du eigentlich auch selber Texte? Hast du ein eigenes Programm?
So fing das alles an. Ich habe ja als Liedermacher angefangen und eigene Sachen geschrieben. Dann habe ich sehr schnell angefangen, in Leipzig mit dem Texter Tom Reichel zusammenzuarbeiten. Da sind die ersten Programme entstanden. Teilweise habe ich selber geschrieben, und er hat die Texte "repariert". Also er ist ein wahnsinnig toller Texter. Der hat viel bessere Dinge da rausgeholt, als ich es je könnte. Wir sind dann ganz schnell dahin gekommen, dass er die Texte gemacht hat und ich die Lieder. Das war eine wahnsinnig gute Symbiose, so dass viele Leute denken, dass es von mir wäre, weil es so authentisch ist. Das ist natürlich auch ein Qualitätsmerkmal. Mit ihm arbeite ich schon viele Jahre zusammen. Das letzte große Projekt war die Produktion vom Album "Testsieger". Leider ist die kurz vor Corona entstanden. Ich stand mit einer fertigen Platte da und alles war vorbereitet - und plötzlich kam dann erstmal nichts.
Ich glaube, das ging in der Zeit leider vielen Künstlern so.
Definitiv, da war ich nicht der einzige. Aber ich bin auch ganz gut durch die Zeit gekommen, muss ich ehrlich sagen. Aber als wir wieder spielen durften, war ein Programm das "Testsieger" heißt, denkbar bescheuert. Jetzt mache ich es trotzdem wieder.
Das entbehrt aber auch nicht einer gewissen Ironie an der Stelle.
Ja, am Ende fand ich es sogar ganz lustig. Aber es war dann eben auch irgendwann durch. Zwei oder drei Jahre, nachdem die Platte raus war, ist das ja auch kein Wunder. Irgendwann muss man dann auch mal was Neues machen. Ich habe die Zeit genutzt, um viel zu lesen und zu recherchieren. Ich habe das Beste draus gemacht und hatte so eine den Umständen entsprechend schöne Zeit.
Ich weiß, dass es Vielen nicht so ging, aber mich persönlich hat die Corona-Zeit auch wahnsinnig entschleunigt.
Ja, das definitiv. Das ging mir ähnlich, als ich die Existenzängste ablegen konnte. Ich habe aber auch das Privileg, dass ich nicht mit meiner Familie in einer Neubauwohnung leben muss. Mir ging es hier in Hamburg sehr gut. Das weiß ich auch sehr zu schätzen. Als ich wusste, dass wir nicht verhungern werden, war auch alles gut. Ich habe eine Arbeit angenommen. Ich arbeite hier für ein kleines Theater und habe dort eine halbe Stelle. Das hat mir viel Sicherheit gegeben.
Sprichst du hier von dem Engagement auf dem Theaterschiff, was auf deiner Seite zu lesen ist?
Nee, das ist nochmal was anderes. Das Theaterschiff ist ein bisschen meine Haus- und Hofbühne. Südlich der Elbe gibt es das Kulturhaus Süderelbe, angeschlossen ist dort ein kleines Theater. Das darf ich bespielen und auch den Programmplan machen. Das ist sehr erfüllend und macht auch Spaß. Ich mach das einfach gerne, weil es auch für den Stadtteil total schön ist. Ich finde es toll die Kolleginnen und Kollegen einzuladen, mit denen ich ja sonst nicht so in Berührung kommen würde.
Mir ist aufgefallen dass es in deiner Musik viel um Wasser allgemein, speziell die Elbe und Hamburg geht…
Ich fühle mich dem Norddeutschen schon sehr zugetan. Ich lebe hier wirklich sehr gerne. Sonst kann ich nur jedem empfehlen, nach Leipzig zum Studieren zu gehen, zum Leben ist es bestimmt toll. Ich fühle mich dem hier schon sehr zugewandt. Ich sitze gerne an der Elbe. Die Nähe zum Meer finde ich ganz toll. Für den Dialekt ist es auch ganz gut, hier im Norden zu wohnen. Ich lebe hier einfach gerne, für mich ist es Heimat.
Wie hat es dich denn von Leipzig nach Hamburg verschlagen?
Die Liebe. Ich habe sehr gerne in Leipzig gelebt und es gibt auch nur wenige Gründe, dort wegzuziehen. Die Liebe ist einer. Ich habe immer gesagt: wenn ich mal wegziehe, dann nach Hamburg, Freiburg oder Rostock. Hamburg ist es geworden, darüber bin ich sehr froh. Ich bin ja im Vogtland geboren, da ist das Skispringen schon etwas, was ich manchmal vermisse. Ich mag dort auch den Wald und gehe dort gerne Pilze sammeln, wenn es mal passt.
Ich habe ebenfalls gelesen, dass du mal in dem Theater in Rostock gespielt hast. Kannst du dir das heute auch noch vorstellen?
Ich würde das so gerne machen. Einfach mal wieder in einer Produktion spielen, für die ich nicht die Verantwortung habe. Ich bin ja wirklich schon seit vielen Jahren selbstständig und auch alleine unterwegs. Mit jeder Situation muss ich demzufolge auch alleine klarkommen. Deswegen spiele ich beispielsweise auch gerne auf dem Theaterschiff in Hamburg. Dort gib es seit 2011 auch ein Programm zu Erich Kästner mit meiner Musik. Dort spiele ich mit einem Kollegen zusammen, bin dabei aber nicht verantwortlich. Außer für das, was auf der Bühne passiert. Es ist so toll, in der Pause jemanden zu haben, mit dem man reden kann. Das ist so toll, würde ich wirklich gerne mal wieder machen. Bei "Solo Sunny" das war großartig. Damals gab es ein Stück, das auch die erste Zusammenarbeit mit meinem Texter Tom Reichel war. "Halb so wild" hieß es, und wir haben das in Rostock gespielt. Der Dramaturg vom Rostocker Theater war auch mal im Publikum. Er hat mich dann gefragt, ob ich in Rostock Theater spielen will. Ich wurde quasi weggecastet für das Stück "Solo Sunny", das lief auch zwei Jahre sehr erfolgreich. Es war quasi eine Adaption von dem Film, wo wir auch viele Osthits gespielt haben.
Du kommst ja aus der Nähe von Leipzig und lebst in Hamburg - bekommst du noch Ost-West-Unterschiede mit?
Das ist eine sehr spannende Frage. Spontan würde ich natürlich nein sagen. Was ich wirklich in mir mitbekomme: wenn ich über die ehemalige Grenze komme, spüre ich eine Dankbarkeit. Ich finde das ist aktuell ein sehr heikles Thema. Aber eigentlich gibt es ja überall Unterschiede. Wenn ich beispielsweise im Saarland spiele, sind dort die Leute anders als in Bremen. Ich werde immer der sein, der aus Leipzig kommt, auch wenn ich mich nicht als Leipziger fühle. Eine größere Rolle spielt: Was sind das für Leute, die ins Theater kommen? Wie sind sie politisch sozialisiert? Ich spiele zum Beispiel auch viel an der Ostsee, auf Rügen oder Usedom. Da sind ja eigentlich immer Urlauber. Aus Frankfurt am Main, Leipzig oder Berlin - und die sitzen zusammen in meinen Konzerten, das sind die schönsten Momente. Dann denke ich oft, dass die Unterschiede gar nicht so groß sind. Das Gefühl von Neid kommt ja auch schnell auf. Mich selber betrifft es nicht, weil ich es nicht thematisiere. Ich finde es viel wichtiger, dass ich mich in meinem Kiez wohlfühle und mit meinen Nachbarn gut zurechtkomme. Wie viele Menschen kenne ich, die nicht wissen wer eigentlich neben ihnen wohnt. Ich finde, das ist der erste Schritt. Das müssen wir wieder lernen, mit den kleinen Dingen zufrieden zu sein. Denn das können wir beeinflussen. Das fängt in der Familie an, geht weiter über die Nachbarschaft. Wichtiger als andere Dinge ist, ob jemand ein guter Mensch ist und im Notfall hilft. Ich habe wahrscheinlich in mehr Hotels geschlafen als viele andere Menschen, bin öfter mit dem Flugzeug geflogen - einfach weil es mein Beruf mit sich bringt. Ich weiß das und bin dafür auch dankbar. Trotzdem denke ich, dass alle gut beraten wären, nicht die Welt verändern zu wollen sondern das kleine Umfeld besser zu machen, in dem sie leben. Einfach weil sie da sind. Das ist das, was mich so umtreibt. Ich wusste zum Beispiel auch nicht, dass die Gesellschaft dank Ehrenamt so gut funktioniert. Seit ich in dem Theater arbeite, merke ich wie viele Menschen es gibt, die ehrenamtlich und freiwillig anderen Leuten helfen. Das ist so toll zu sehen. Ob das bei Deutschkursen ist, in der Flüchtlingshilfe oder in anderen Belangen - das ist einfach großartig. Das wird viel zu wenig erwähnt. Wie schnell ist man bei dem Trennenden und nicht bei dem, was verbindet. Das müsste man nach vorne stellen. Wie oft mir begegnet: "Ich bin gegen das und das …" Das kann ja nur trennen. Wenn man aber mal nach vorne stellt, wofür man ist und für was man einsteht - ich glaube, das wäre eine gute Sache.
Du hast ja gerade Facebook schon angesprochen. Ich glaube, dass da soziale Medien auch keine gute Rolle spielen.
Mir macht vor allem Angst, welche Macht die haben. Welche Macht zum Beispiel Elon Musk hat. Es liegt ja an uns. Es liegt an uns, es zuzulassen oder auch nicht. Im Moment lassen wir es zu. Man muss es ja nur nicht mehr verwenden. Sondern sich vielleicht mal wieder Aug in Aug sehen und miteinander reden. Dann sind die Gruppen auch kleiner. Man kommt schneller wieder in das, was verbindet. Warum geht jemand zu einem Konzert? Warum kann ich Leute durch das, was ich mache, bewegen? Ich habe gestern zum Beispiel den Hans-Leip-Abend in Hamburg Blankenese gespielt, wo Hans Leip gelebt hat. Die Leute waren begeistert, weil sie nicht mit dem gerechnet haben was ich tue. Das war so ergreifend. Die sind alle aufgestanden und man sah sich Aug in Aug. Da war auch die Dankbarkeit zu sehen. Das konnte ja nur so sein, weil ich es gemacht habe. Das sind diese schönen Dinge. Warum tut jemand etwas? Damit es das gibt. Weil sonst die Welt auch einfach ärmer wäre. Es würde ja niemand vermissen, aber es macht die Welt einfach schöner. Es gibt so viele Dinge, wo sich Menschen im Kleinen und im Stillen engagieren. Das ist Frieden für mich - Kultur und Austausch.
Du bist ja dieses Jahr 50 geworden. Für manche ist das eine Art Zäsur, ein halbes Jahrhundert auf diesem Planeten zu wandern. Ging es dir auch so?
Ehrlich gesagt habe ich es etwas weggeschoben. Ich habe auch gespielt an dem Tag. Ich habe bewusst nicht gefeiert. Ich wurde natürlich von Freunden gefragt, ob ich etwas machen möchte. Aber mir war nicht danach. Erstaunlicher Weise werde ich öfter gefragt wie alt ich bin, seit ich 50 bin. Vielleicht gewöhnt man sich auch irgendwann dran. Ein Resümee ziehe ich eigentlich jedes Jahr, weil ich eben auch immer etwas Existenzängste habe. Dann gibt es aber auch liebe Menschen, die zu mir sagen, "Johannes, du machst das seit 25 oder 30 Jahren. Und genauso lange hast du auch diese Ängste. Jetzt vertraue mal der Sache." Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich das machen kann und es bis jetzt auch gut funktioniert. Das macht mich demütig. So Projekte wie Hans Leip gehen ja auch nur, wenn es Leute gibt, die das unterstützen. Der, der die Arrangements geschrieben hat, ist ein Komponist, 80 Jahre alt, wohnt in Weimar, war früher im Schauspielhaus in Leipzig musikalischer Leiter und hat das einfach arrangiert. Ohne diese Hilfe würde das gar nicht gehen.
Weißt du, ob es noch lebende Nachfahren von Hans Leip gibt?
Ich habe tatsächlich mit dem Urenkel von ihm zu tun, weil er die Rechte hat. Man muss sich das ja immer genehmigen lassen. Natürlich war er auch erstmal etwas vorsichtig, als ich anfragte. Im Hamburger Museum findet man ganz viel, auch Bilder die er gemalt hat.
Lilli Marlen ist ja zweimal auf der CD …
Ich habe das ja selber vertont, und wollte es auch als Verbeugung vor Hans Leip darstellen. Ich habe ja vorhin schon erzählt, dass er das Lied 1915 als Soldat in Berlin geschrieben hat. Damals war er verliebt in zwei Frauen, in Lili und in Marleen. Das waren also zwei Frauen. Er hat die beiden aber zusammengefasst und ein Lied daraus gemacht. Die Melodie hat er auf seiner Gitarre dazu gemacht. Es gibt also eine eigene Version von Hans Leip, die er auch gespielt hat. Aber er hatte keinen Erfolg damit. Also hat er es erstmal weggelegt und andere Dinge getan. 1935 ist der Text dann in einem Gedichtband erschienen. Dann hat ihn wieder jemand vertont in einer Kunstliedversion, die heute kaum noch jemand kennt. Die hat Lale Andersen gesungen. Dann kam zwei Jahre später Norbert Schulze und hat die Musik gemacht, die wir heute alle kennen. Das hat Lale Andersen dann nochmal gesungen. Das ist die Version, die wir heute alle kennen. Es ist die Version, die um die Welt ging. Dann kommt der Johannes Kirchberg und macht noch eine Version. Damit ich meinen Hut ziehe, ist die erste Strophe die erste Zeile die Melodie von Hans Leip, die zweite Strophe ist die Musik, die wir alle kennen und Zeile drei bis fünf sind nur meine Musik. Die zweite Version ist komplett mit meiner Musik. Dass es jetzt Hans Leip für mich gibt, konnte auch nur jetzt so sein. Das ist auch etwas, was ich so im Rückblick feststelle: dass Dinge auch wirklich ihre Zeit haben. Ich glaube, ich hätte Hans Leip vor 10 Jahren nicht machen können. Zumindest nicht mit diesem Tiefgang und dieser Seele. Mein Lieblingsprogramm ist ja Wolfgang Borchert. Den kannte ich natürlich schon in Leipzig. Aber hier in Hamburg mit dem Ankommen in der Altstadt und auf dem Theaterschiff, da gehörte es auf einmal hin. Da war es genau richtig. Das ist auch ein bisschen Resümee und Zuversicht. Ich glaube da werden noch einige spannende Sachen passieren. Vielleicht nicht groß rauskommen, aber spannende Sachen mit denen man sich beschäftigt. Man muss den Dingen auch Zeit geben, dann entwickeln sie sich.
Ich finde auch, wenn man sich mit Musik oder Texten allgemein wirklich auseinander setzt, macht es alles irgendwie intensiver und unterstreicht, wie man sich gerade fühlt.
Ich habe im Laufe der Jahre zum Beispiel oft gehört, dass mir sehr gut gelingt, die Texte durch das Vertonen zugänglicher zu machen. Dass viele die Texte zwar gelesen haben aber keinen Zugang gefunden haben. Durch die Lieder gelingt es. Das ist ein riesengroßes Kompliment, finde ich. Auch Texte, die vielleicht gar nicht einfach zu vertonen sind. Auf der CD ist ein Lied drauf, das heißt " Schnee der uns bedeckt". Das fällt gar nicht auf, aber es reimt sich nicht in der typischen Form wie wir sie kennen, sondern irgendwo. Das ist eine spezielle Form, die sich Hans Leip ausgedacht hat. Das in ein Lied zu bringen war eine Herausforderung, die ich aber gerne angenommen habe.
Möchtest du unseren Lesern zum Schluss was mit auf den Weg geben?
Da gebe ich gerne ein Zitat von Erich Kästner mit auf den Weg, weil es wirklich mein Lieblingszitat ist. Freunde nur Mut, lächelt und sprecht. Die Menschen sind gut. Bloß die Leute sind schlecht.
Das ist ein sehr schönes Schlusswort, vielen Dank.
Interview: Antje Nebel
Fotos: Pressematerial Johannes Kirchberg
Fotos: Pressematerial Johannes Kirchberg