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Interview vom 6. Oktober 2023



In gefühlter Rekordzeit hat Lukas Meister seinem im vergangenen Jahr veröffentlichten Studioalbum ein Neues folgen lassen. Gerade haben wir "Lieder für vor, während und nach der Apokalypse" bei uns ausführlich vorgestellt und der Künstler saß uns für ein Interview gegenüber, schon kommt mit "Schneeflocken im Sommer" die nächste Langrille (dieses Mal tatsächich auch als Vinyl) in den Handel und er steht damit schon wieder bei uns in der Tür. Fleißig, fleißig, Herr Meister. Natürlich wirft das Fragen auf … zur Platte, zum aktuellen Geschehen und zu den verwendeten Stilistiken und Zutaten. Hier das Ergebnis des Gesprächs unseres Kollegen Christian mit dem in Berlin lebenden Musikanten ...






Nur ein Jahr nach dem letzten Album "Lieder für vor, während und nach der Apokalypse" stehst Du schon mit dem nächsten Werk in der Tür. Dürfen wir uns alle freuen? Ist die Apokalypse etwa schon vorbei?
Nein, ich glaube da haben wir noch ganz viel vor uns. Ich versuche einfach in der Zwischenzeit noch so viel Kunst wie möglich zu machen. Wer weiß, ob das nach der Apokalypse noch so einfach geht. Nachher gibt es dann keine Gitarrensaiten mehr zu kaufen oder sowas …

Dafür scheinst Du Dich jetzt intensiv mit dem Klimawandel und Wetterphänomenen zu beschäftigen, oder von was handelt die neue CD und LP "Schneeflocken im Sommer"?
Ja, das ist schon ein Thema, das mich beschäftigt. Und dadurch kommt es auch in manchen meiner Songs vor. Weil mir nicht so richtig ein Titel einfallen wollte, habe ich mit der KI herumexperimentiert. Ich dachte, mit der echten Dummheit versuche ich es jetzt schon so lange … Und tatsächlich hat sie mir geholfen und den Titel ausgespuckt. Die Schneeflocken stammen allerdings aus einem Song, der für mich persönlich gar nichts mit Klimakrise zu tun hat. Da geht es einfach um eine Liebesbeziehung zwischen zwei Eiskristallen. Ganz normal also.


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(Foto: Jojo Schwitzkowski)



Zumindest in "Unrealistische Erwartungen" wird das Thema in einem Refrain ja mehr als nur gestreift. Ansonsten scheint das Leben in der Großstadt ja nicht so sonderlich von Rücksicht und Zuvorkommen der Mitmenschen geprägt zu sein, wie man in dem Lied hören kann. So schlimm in Berlin?
Naja, das ist so ein Effekt, den ich beobachte. Es gibt natürlich bei so vielen Leuten auch einen gewissen Anteil von rücksichtslosen Menschen. Und man muss aufpassen, dass man nicht irgendwann nur noch die Vollpfosten sieht. Es gibt ja durchaus auch noch viele angenehme und freundliche Menschen, die fallen nur nicht so auf. Ich versuche, die Erlebnisse mit der anderen Sorte humoristisch zu verarbeiten, denn Hass und Verachtung gibt es ja nun wirklich schon genug in dieser Zeit.

Kann man solchen Erlebnissen eigentlich auch im echten Leben nur noch mit Sarkasmus begegnen, oder reagiert man da völlig anders als im Song beschrieben?
Tatsächlich helfen Lieder ja auch dabei, solche Erlebnisse zu den Akten zu legen, was notwendig ist, denn gleich kommt schon der nächste Depp um die Ecke. Und dann sind meine Kinder ein großer Regulator. Ich will ihnen ja eine gewaltfreie Kommunikation vermitteln und dahingehend Vorbild sein. Wenn Papa auf der Straße Menschen anbrüllen würde, wäre das irgendwie das falsche Zeichen. Und helfen tut es ja auch nicht.

Im gleichen Lied fiel mir auf, dass Du im Text genderst. Hab ich den Gag nur übersehen, oder ist diese - nennen wir es mal - Vergewaltigung der deutschen Sprache Dein Ernst?
Keine Frage - es ist eine Sache, über die man diskutieren kann. Aber mir ist generell zu viel Aggression und Sturheit drin. Und manchmal wünsche ich mir, die Leute, die jetzt die Sprache retten wollen, hätten genau mit dem gleichen Enthusiasmus um die Erhaltung des Genitivs oder den Schutz der Apostrophen gekämpft. Natürlich soll niemand gezwungen werden, zu gendern - das ist ja auch immer eine Angst, die schnell aufkommt - aber wer es möchte, soll es tun. Da hat die deutsche Sprache schon ganz anderes verkraftet. Ich fände es gut, wenn wir die ganze Debatte sachlicher und offener führen könnten, als ich das in den Talkshows und Kommentarspalten bisher gesehen habe. Auch das ist Motivation für mich, ab und zu in Songtexten zu gendern - meinen Leuten zu zeigen: Man kann auch einfach mal die verbale Knarre weglegen, tief durchatmen und sich das mal ganz in Ruhe angucken. Und wenn man dann anderer Meinung ist, muss man sich trotzdem nicht gegenseitig für komplett bescheuert erklären - auch wenn das gerade zum Zeitgeist zu werden scheint. Wir müssen es als Gesellschaft hinkriegen, über dieses und viele andere Themen eine konstruktive Diskussion - miteinander - zu führen, sonst basteln wir da munter Zielscheiben für den Populismus.





Viele Gags findet man dagegen in "Fragen über Fragen", in dem Du Dich mit der deutschen Sprache und auch eingedeutschten Fremdwörtern und ihren Bedeutungen fachmännisch auseinander setzt. Springt Dir sowas im Alltag spontan ins Auge oder hast Du Dich einfach mal intensiv mit dem Wörterbuch beschäftigt?
Das Muster "Warum heißt es x und nicht y?" kennt man ja zur Genüge von Twitter, wie es früher mal hieß. Ich fand das spannend und habe im letzten Jahr dann selbst einige dieser Tweets verfasst, die mir so eingefallen sind. Da ich aber auf Twitter keine Reichweite hatte, hat das fast niemand gelesen. "Wär ja schade, das alles ungenutzt liegen zu lassen", dachte ich mir. Der Song ist also gewissermaßen aus recyceltem Material hergestellt.

So überhaupt keinen Wortwitz findet man in "Flügel", in dem Du Dich mit der eigenen Endlichkeit beschäftigst. Singst Du das Lied aus Deiner Sicht und für den eigenen Nachwuchs, oder hat es einen besonderen Grund, wieso Du den Ratschlag, jeden Tag so zu leben, als sei es der Letzte, in so wunderbare und zurückhaltende Töne gekleidet hast?
Ja, ich habe das Lied für meine Kinder geschrieben. Ich fand den Gedanken schön, ihnen eines Tages so eine Art Botschaft zu hinterlassen.

Ist das in Deinem Alter schon ein Thema, dass das Ende näher rückt?
Ich glaube bei vielen Leuten fängt es so um die Mitte 30 an, dass man sich der eigenen Vergänglichkeit bewusster wird. Und ich kann mir auch vorstellen, dass Kriege vor der Haustür und die Aussicht auf mehr Naturkatastrophen da auch unbewusst bei vielen eine Rolle spielen.





Hast Du Paul Simons "Cecilia" aus den Staaten hierher geholt und sie ins heutige Berlin übertragen, oder welche Idee steckt hinter der gleichnamigen Nummer?
Ich bin ja ein großer Fan von Simon und Garfunkel. Das Lied ist, zumindest was den Sound angeht, eine kleine Hommage an ihren gleichnamigen Song. Es hat sehr viel Spaß gemacht, die verschiedenen Stimmen über einander zu schichten!

Darf ich fragen, wie man auf die Idee kommt, einen Song wie "Aus dem Leben eines Steins" zu schreiben?
Na klar darfst du, ich weiß es aber jetzt auch nicht mehr so genau … Ich könnte jetzt erzählen, dass mein älterer Sohn mir stolz einen Stein gezeigt hat, den er gefunden hatte. Und ich hab dann mit geheimnisvoller Flüsterstimme gesagt: "Weißt du, die Steine können uns so viel erzählen…" Aber ich fürchte, so war es gar nicht. Insofern kann ich das jetzt leider auch nicht beantworten.

Vieviel Autobiographisches steckt in den Liedern und wieviel entstand aus den Beobachtungen bei Freunden und Mitmenschen?
Bei diesem Album stammt thematisch wirklich das meiste aus meiner Lebenswelt. Bei "Schneeflocken" denke ich an meine Großeltern, bei den Vampiren an meine Rückfahrt von einem Festival an der Ostsee, bei "Flügel" an meine Kinder, bei "bald schon" an meine Schulzeit - also alles echt, alles Meister. Durch die Bank.


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(Foto: Jojo Schwitzkowski)



Sind die zehn neuen Stücke auf dem Album Überbleibsel der letzten Produktion oder hast Du in den vergangenen 12 Monaten tatsächlich so viele kreative Momente gehabt?
Nein, ich bin kein Fan von Überbleibsel-Sammelalben. Die Songs sind allesamt neu, ich weiß auch nicht, wie das so schnell ging. Die meisten sind im zweiten Halbjahr 2022 entstanden, nur "Unrealistische Erwartungen" ist noch in letzter Minute nachgerückt, nach dem wunderbar inspirierenden Gespräch mit dieser Hausverwalterin…

Wie ist "Schneeflocken im Sommer" entstanden, wie lange hast Du insgesamt daran gearbeitet und welche Unterschiede bei der Produktion gab es im Vergleich zum letzten Album?
Vom ersten Song bis zur letzten Aufnahme waren es so um die zehn Monate. Ich hatte die Corona-Pause genutzt, um meinen Musikraum mit Absorbern und neuen Mikrofonen aufzurüsten, so dass ich jetzt mit meinem kleinen Besteck ganz gute Aufnahmen machen kann. Ich wollte das schon immer mal machen - einfach Tür zu und alleine wursteln. Es gab natürlich frustrierende Momente - ich bin halt kein Toningenieur. Aber am Ende war alles genau so, wie ich wollte, und ich bin wahnsinnig froh über den Prozess und das Ergebnis. Zum Mischen und Mastern habe ich es dann abgegeben, das kann ich einfach nicht selbst.

Ich hatte den Namen Paul Simon ja schon genannt. Man hört aus Deinen Liedern Simon & Garfunkel heraus, aber u.a. auch Cat Stevens, wenn man sich den Opener "Schneeflocken" anhört. Ist das Absicht, oder liegt das in der Natur der Sache, wenn man in Sachen Musik auf der gleichen Baustelle tätig ist wie die eben genannten Herrschaften?
Ich mag Cat Stevens' Musik sehr, aber hatte ihn beim Schreiben nicht im Ohr. Ich glaube, weil die Gitarre nur 6 Saiten hat und die Oktave nur 12 Töne, kann man so eine Ähnlichkeit nicht komplett vermeiden. Im Fall von "Schneeflocken" war sie nicht beabsichtigt, aber mit dem Vergleich kann ich durchaus leben!


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Im Studio (Foto: Sebastian Wischmann)



Nach dem ersten Hören der CD dachte ich, "Mann, ist der Lukas nachdenlich und still geworden". Lieder wie "Bald schon", "Wie viele Tage" oder auch das schon besprochene "Flügel" tragen dazu bei, dass dieser Eindruck bei mir entstand. Ist da was dran? Bist Du ruhiger geworden? Vielleicht sogar ernster als noch im letzten Jahr?
Ernster - vielleicht schon. Allerdings hat das auch viel mit der Produktion zu tun. Da ich alles selbst eingespielt habe, kamen z.B. fetzige Up-Tempo-Nummern mit Schlagzeug gar nicht in Frage, ich spiele ja kein Schlagzeug. Ich mochte die Idee, ein ruhiges, nachdenkliches Album zu machen, ganz bei mir zu sein und die Arrangements aufs Wesentliche zu reduzieren. Als mir das klar wurde, habe ich einfach nur noch Songs mit diesem Grundgefühl geschrieben.

Wirst Du diese kurzen Intervalle beibehalten und schon zeitnah den Nachfolger für dieses Album präsentieren?
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich diesmal noch keinen einzigen neuen Song geschrieben habe. Es kann also ein bisschen dauern, bis ich das nächste Album angehe. Aber da mache ich mir jetzt keinen Stress - es kommt, wenn es kommt. Mir sitzt ja zum Glück keine gierige Plattenfirma im Genick.

Das ist ja überhaupt so ein Thema. Der Endverbraucher hat es mit einer Bequemlichkeit ja hinbekommen, dass die CD so gut wie ausgestorben ist. Wer weiß, wie lange die Schallplatte noch überlebt, denn junge Menschen interessiert das Format ja eher weniger. Was glaubst Du, wie lange wird man noch neue Alben machen können, ohne dass man drauf zahlen muss?
Ich spare ja jetzt schon - die Entscheidung, alles selbst aufzunehmen war natürlich auch finanziell von Vorteil. Dieses Album war in der Produktion halb so teuer wie "Leuchten" damals. Vielleicht ist auch das ganze Konzept "Album" überholt. Die Leute picken sich einen Song raus und schieben den in ihre Playlist. Der Rest bleibt liegen. Ich persönlich finde das nicht sehr erbaulich, aber was will man machen? Immerhin habe ich eine sehr treue Fangemeinde, die mir beim Crowdfunding jedes Mal zeigt, dass sie sich durchaus noch über einen Longplayer freut. Solange das funktioniert, mache ich Alben.


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Am Klavier (Foto: Sebastian Wischmann)



Bist Du ein Freund von Steaming-Diensten oder eher ein Gegner?
Ich verstehe vollkommen, was an Streaming praktisch ist. Empfehlungen, Verfügbarkeit, Bedienoberfläche - das holt die Leute ab. Die Farce ist halt das Vergütungssystem, im Zusammenhang mit der Monopolstellung von Spotify. Du musst da mitmachen, sonst erreichst du gar niemanden mehr. Und die Leute gehen davon aus, weil sie ja Geld zahlen, dass sich das schon rechnen wird. Tut es aber nicht. Ich bin Freund und Gegner - ich verstehe die Idee, finde aber die Umsetzung fragwürdig. Ich empfehle den Leuten zu dem Thema gerne die ARD-Doku "Dirty Little Secrets".

Wie sieht Dein aktuelles Live-Programm aus? Hat sich da - mal abgesehen von den Liedern auf der Setlist - im Vergleich zum vergangenen Jahr was geändert? Steht da neben Dir womöglich jetzt eine Bigband auf der Bühne? ;-)
Nein, ich trete weiterhin Solo auf - mit ein bis zwei Gitarren und manchmal auch Klavier. Und gelegentlich kommt Matthias Kasparick und bringt seinen Kontrabass mit.

Ich danke Dir für die Antworten auf meine Fragen und wünsche Dir für das Album und die Live-Präsentationen im Land alles Gute. Möchtest Du den Lesern zum Abschluss noch etwas mit auf den Weg geben?
Bitte macht keinen Scheiss bei der nächsten Wahl.



Interview: Christian Reder
Fotos: Sebastian Wischmann, Jojo Schwitzkowski



   
   
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