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Interview vom 10. Juli 2023



Den in Köln geborenen Rüdiger Schulz kennt unter seinem bürgerlichen Namen wohl kaum jemand. Dafür klingelt es bei fast jedem aber wohl besonders laut, wenn von PURPLE SCHULZ die Rede ist. Ebenso dürfte es für manch einen unserer Leser wohl ziemlich überraschend sein, dass der Musiker in diesem Jahr bereits sein 50. Bühnenjubiläum feiern kann. Seit 1973 steht er auf der Bühne, schreibt Songs und spielt sie auf unterschiedliche Art und Weise. Zahlreiche Platten und CDs sind Dokumente seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit. Aus Anlass seines 50. Betriebsjubiläums haben wir den Musiker für ein Interview eingeladen um mit ihm ein paar der Stationen seiner Karriere nochmal zu besuchen. Kommt mit auf eine spannende Reise in die Welt des PURPLE SChULZ mit klugen Ansichten und Aussagen, spannenden Episoden und tollen Geschichten ...




Manch einer, der Deinen Namen hört, denkt sofort an die 80er und glaubt, Du bist auch ein Kind dieser Dekade. Stimmt aber nicht, denn Du feierst in diesem Jahr das 50. Bühnenjubiläum. Kannst Du Dich noch an Deinen allerersten Auftritt im März 1973 erinnern? Wo war das und mit wem?
Das war mit meiner Band "d'accord" im Jugendzentrum Maghada in Köln-Junkersdorf.

Was habt Ihr damals für Musik gemacht, und mit welchen Kollegen hast Du auf der Bühne gestanden?
Wir wollten unsere eigenen Songs spielen und keine Coverversionen. Die Vorbilder lagen dabei im Progrock, also Gruppen wie Yes, Genesis, King Crimson und Gentle Giant. Was die Jungs aus der ersten Besetzung heute machen, weiß ich nicht. Dieter Hoff, der damals auch zu Purple Schulz gehörte, war auf jeden Fall schon dabei. Kurz vor der Pandemie ist er leider verstorben.


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Purple Schulz bei d'accord 1973 (Foto: privat)



Nun fällt ein Musiker wie Du ja nicht aus dem Himmel. Ich habe gelesen, dass Du im Alter von acht Jahren Klavier und mit 11 Jahren Orgelunterricht bekommen hast. Passierte das freiwillig, oder waren die Eltern eher darauf fokussiert, dass Du musikalisch und in Sachen Kultur nicht zu kurz kommst?
Ich denke, meine Mutter wollte sich einen Traum erfüllen, als anlässlich meiner Kommunion Mitte der 60er ein Klavier in unsere Wohnung kam. Meine Mutter hatte vor dem Krieg selber gespielt. Aber als das Klavier dann bei uns im Wohnzimmer stand, war sie zu sehr eingespannt in unserem Elektrogeschäft. Als berufstätige Mutter dreier Söhne fand sie einfach keine Zeit mehr dazu. Ich denke, ich sollte im Nachhinein ihren Traum verwirklichen.

Wenn ich Orgel höre, denke ich zuerst an Kirche und erst danach an DEEP PURPLE und Jon Lord. Wo hast Du diesen Unterricht bekommen, in einer Schule oder tatsächlich in einer Kirche?
Meinen Klavierunterricht bekam ich bei einer alten Dame, die bei uns um die Ecke wohnte. Als ich 10 Jahre alt wurde, gab es den ersten Beat-Club im Fernsehen. Eine sagenhafte Show mit der Musik, die meine älteren Brüder hörten. Das Tolle an der Sendung war, dass die Bands live spielten. The Who, Small Faces, Deep Purple, Colosseum, Yes, The Nice … Das waren neue Klangwelten, die Musik explodierte förmlich. Und die Orgel war bei diesen Bands immer das dominierende Instrument, spätestens, seit ich Keith Emerson dort sah. In den Sechzigern ging noch niemand mit einem Synthesizer auf die Bühne. Es ist übrigens erstaunlich, wie toll das damals im Fernsehen geklungen hat. Jedenfalls wechselte ich mit elf Jahren vom Klavier zur Orgel, bei einem privaten Lehrer. Statt für den Unterricht zu üben, habe ich allerdings viel lieber versucht, die Songs nachzuspielen, die mir im Beat-Club gefielen.

Trotzdem war Jon Lord ja sowas wie ein Vorbild für Dich, richtig? Wie bist Du auf ihn und seine Kapelle gestoßen und was hat Dich daran so fasziniert?
Das denken viele, dass ich diese Affinität zu Jon Lords Deep Purple habe. Aber meinen Spitznamen habe ich bekommen, weil "Child in time" das einzige war, was ich auf einer Orgel ansatzweise spielen konnte. Als Dreizehnjähriger habe ich mich im einzigen Kölner Orgelgeschäft an eine Hammond gesetzt, um dort rumzududeln. Woanders hätte ich niemals die Gelegenheit dazu bekommen, diese Orgeln standen ja nicht beim Karstadt rum. Weiß überhaupt noch jemand, was ein Karstadt ist? (lacht) Jedenfalls bin ich den Verkäufern dermaßen auf die Nerven gegangen, so dass sie mir den Namen "Purple" verpasst haben. Dabei waren meine Vorbilder eher Tony Banks (Genesis), Rick Wakeman (Yes) oder Keith Emerson (The Nice, ELP).

002 20230712 2089623715Die Geschichte um Deinen Spitznamen ist ja hinlänglich bekannt und auch schon oft erzählt worden. Steht der Name "Purple Schulz" auch in deinem Personalausweis?
Nein, das habe ich vermieden. Es gibt Situationen im Leben, wo einem die Anonymität hilfreicher ist, zum Beispiel bei Verkehrskontrollen.

Wir sprachen ja schon über die Gruppe d'accord. Wie bist Du eigentlich in diese Band gekommen, und gab es vorher tatsächlich keine anderen Band-Stationen für Dich als Musikant?
Ich schlitterte in diese Band, weil ich inzwischen meine Eltern dazu überredet hatte, eine Orgel anzuschaffen. Das war eine italienische Heimorgel, eine Viscount C3, die nicht im entferntesten wie eine Hammond klang. Trotzdem ermöglichte sie mir, in eine Band einzusteigen, der ich den Namen "d'accord" gab. Diese Band habe ich faktisch nicht mehr verlassen. Allerdings hatten wir sehr viele unterschiedliche Besetzungen. Wir waren bis zu acht Musiker auf der Bühne. Und irgendwann gegen Ende der Siebziger wurde es dann ein Thema, auch deutsche Texte zu schreiben. Bis dahin sangen wir so etwas ähnliches wie Englisch. (lacht)

Zwischen Deinem Einstieg dort und der Gründung von PURPLE SCHULZ & DIE NEUE HEIMAT vergingen ja noch gut neun oder zehn Jahre. Warst Du die ganze Zeit dazwischen Mitglied dieser Gruppe, oder gab es noch andere Ausflüge?
Es gab für mich immer nur diese eine Band. Neben der Arbeit mit "d'accord" war ich allerdings auch in vielen politischen Zirkeln aktiv. Mittlerweile hatte ich mir ein bisschen das Gitarre spielen beigebracht, um auf Demos Protestsogs zu spielen, zum Beispiel gegen Fahrpreiserhöhungen oder Atomkraftwerke. Das waren meine ersten Erfahrungen mit dem Verfassen von deutschen Texten.

Trotz intensiver Suche habe ich keine Platte von d'accord gefunden. Lediglich einen Sampler des WDR mit dem Titel "Rockstudio" aus dem Jahre 1979, darauf enthalten die Lieder "Live Times" und "Tumblin' Around" einer Band namens d'accord. Handelt es sich dabei um Deine Gruppe, und gab es noch weitere Veröffentlichungen, die ich nicht gefunden habe?
Das war tatsächlich die einzige und wenig repräsentative Aufnahme von d'accord. Wir waren bestimmt schon die fünfte Besetzung und hatten den Progrock aus den Augen verloren. Und die Musik in den Charts begann sich auch zu verändern. Es gab den Punk, der mit Rock und Pop fusionierte. The Police, The Cars, The Knack, das waren die Bands, die auf einmal angesagt waren. Man muss dazu wissen, dass das alles in einer Zeit stattfand, in der wir als kleine Kölner Musiker Studios eigentlich nur vom Hörensagen kannten. Die Möglichkeit, die uns Wolfgang Neumann vom WDR damals mit seiner Sendung "Rockstudio" gegeben hatte, war fantastisch. Er förderte mit seiner Sendung junge Bands in NRW und lud sie ins WDR-Studio ein. Dieses Studio war so groß wie die Räume in Abbey Road, da stand ein Flügel, eine Hammond mit Leslie. Die Techniker trugen noch weiße Kittel und die Fader an den Mischpulten sahen aus, als würden damit die Weichen im Hauptbahnhof umgestellt. (lacht)

Und dann kam eben die Anfangszeit der 80er und Dein Einstieg bei der NEUEN HEIMAT. Ist das überhaupt richtig, oder bist Du vielmehr als Sänger zur bereits bestehenden Gruppe dazu gestoßen, nachdem Wolf Maahn und der Major raus waren?
Nein, so einfach war das gar nicht.

003 20230712 1727491947Wann genau war das und wie lief das ab?
Ein Verleger hatte 1982 die Idee, einen alten Song von Heintje zum damaligen Skandal um die Baugesellschaft "Neue Heimat" rauszubringen. Dazu musste eine Band erfunden werden, die sich "Neue Heimat" nannte. Der Song "Ich bau dir ein Schloss", eine Coverversion eines alten Heintje-Songs, ging in die Charts. Aber von den Musikern, die das im Studio eingespielt und gesungen hatten, wollte keiner die Fernsehauftritte dafür machen. Ein paar Jungs aus meinem musikalischen Umfeld erledigten dann diesen Job. Weil der Song ein richtiger Hit wurde, wollte die Plattenfirma ein Album hinterher schießen. Zum selben Zeitpunkt stand ich mit meiner Band im Studio und arbeitete an unserem ersten Album, das Wolf Maahn produzierte. Wolf hatte übrigens auch die besagte Single eingesungen. Als die Plattenfirma fragte, ob wir das Album nicht unter dem Namen "Neue Heimat" veröffentlichen wollten, haben wir das einfach gemacht, weil wir dachten, "Cool, da haben wir schon eine Single in den Charts, wenn das Album erscheint." Und dass auf dieser Single Wolf Maahn gesungen hatte war mir sogar recht angenehm, weil ich persönlich den Song etwas doof fand. Naja, im Nachhinein ist die Rechnung nicht ganz aufgegangen.

Unter dem Namen gab es zwei Alben, die aus kommerzieller Sicht - so wird gesagt - nicht erfolgreich waren. Stimmt das, was "so erzählt wird", oder hast Du als Teil dieser Band eine andere Sicht der Dinge? Immerhin steckt auf der zweiten Scheibe "Hautnah" von 1983 schon der Song "Sehnsucht" …
Es gab zwei Alben, von denen das erste im Orbit verschwunden ist, was ich nicht bedauere. In unserer Band gab es fünf mehr oder weniger starke Egos, die alle Songs und Texte schreiben wollten. Ich kenne keine Band, bei der sowas je gutgegangen ist. Um "Sehnsucht" in der Originalversion auf dem zweiten Neue Heimat-Album zu belassen, musste ich zunächst kämpfen, weil nicht alle in der Band und dem Umfeld mit der starken Emotion des Songs umgehen konnten. "Sehnsucht" stand damals allerdings noch nicht als Single-Option im Raum.

Nach der zweiten LP wurde die Band aufgelöst. So steht es im Netz. Stimmt das so, und wie ging es dann weiter, bis 1985 das Album "Verliebte Jungs" erschien und durch die Decke ging?
Als "Sehnsucht" etwa eineinhalb Jahre später als dritte Single ausgekoppelt wurde, hatten zwei Mitglieder wegen des bis dahin ausbleibenden Erfolgs die Band bereits verlassen. Josef Piek, der damalige Gitarrist, Schlagzeuger Dieter Hoff und ich waren schon längst mit dem "Verliebte Jungs"-Album beschäftigt und hatten bereits die Demos dafür aufgenommen. Diese Demos waren damals schon so gut, dass die Plattenfirma sie sofort veröffentlichen wollte. Aber durch den Chart-Einstieg von "Sehnsucht" sollte sich jetzt alles verzögern. So erschien erstmal die nächste Auflage des "Hautnah"-Albums von Neue Heimat unter dem Bandnamen "Purple Schulz & die Neue Heimat", weil schon feststand, dass das "Verliebte Jungs"-Album unter dem Namen "Purple Schulz" erscheinen würde. Das sollte den Übergang erleichtern. Ich finde diese Geschichte aber auch heute noch sehr kompliziert und schwierig, nachzuerzählen. (lacht)

"Sehnsucht" wurde 1985 als Single veröffentlicht und als erfolgreichste deutschsprachige Single des Jahres 1985 mit der Goldenen Europa ausgezeichnet. Wie überraschend kam dieser Erfolg für Euch, nachdem das anfangs ja nicht so zünden wollte?
Ich hatte immer an den Titel geglaubt, allerdings nicht damit gerechnet, dass sich irgendwer dafür ins Zeug legen würde. Der Schrei, die Tränen auf der Originalaufnahme, der depressive Text… wer sollte sowas im Radio spielen? Zum Glück hatten wir damals mit Manfred Schmidt einen grandiosen Manager, der auch schon CAN auf ihrem Weg begleitet hatte. Und in Dave Colman vom WDR fanden wir den Radiomann, der den Song jeden Sonntag in seiner Sendung gespielt hat, bis andere Radiostationen ihn übernommen haben. Danach ging es einfach nur noch durch die Decke.





Hast Du diese Zeit des Aufstiegs bewusst wahrgenommen oder zog das alles wie ein Rausch an Dir vorbei, und plötzlich warst Du ein Star?
Ich wohnte damals über einer kölschen Kneipe in Ehrenfeld. Da verkehrte ein Publikum, dessen Leben mit meiner Wirklichkeit nichts zu tun hatte. Als aber eines Tages mein Song aus deren Musikbox zu mir nach oben dröhnte, war mir klar, dass sich jetzt etwas verändert hatte. Auf einmal musste ich in der Straßenbahn Autogramme schreiben, der BRAVO Interviews geben und schließlich in Italien auf Festivals spielen. Das ging alles sehr schnell und ich hab das wirklich genossen. Aber das Gefühl, ständig erkannt und beobachtet zu werden, gefiel mir überhaupt nicht.

Es gab von der Single unter dem Titel "Heartsick" auch eine englische Fassung. War das Eure Idee oder hatte die Plattenfirma vor, Euch auch international ins Rennen zu schicken?
Die Plattenfirma hatte sich davon tatsächlich etwas erhofft, aber einen Song wie "Sehnsucht" kann man eigentlich nicht übersetzen. Obwohl ich den englischen Text, den Julian Dawson damals für mich geschrieben hatte, ziemlich gelungen fand, hat er doch wenig mit dem Original zu tun. Die Single erschien dann - wenn ich mich richtig erinnere - in Südafrika, Südamerika und europaweit. Vor allem in Italien sind wir damit aufgetreten, auch im Fernsehen.

Wie hast Du das damals empfunden, dass viele deutsche Musiker, u.a. Hubert Kah, Peter Schilling, Joachim Witt und auch Markus mit TXT, die vormals in der NDW Erfolge feierten, plötzlich den Sprung ins Englische wagten und damit teilweise kläglich scheiterten?
Keine Ahnung, das ist wahrscheinlich an mir vorbeigegangen. Aber dieser internatonale Erfolg war sowieso nie mein Ziel. Wir hatten damals so viele Konzerte, TV-Termine, Promotionen-Touren, ich wusste oft gar nicht, wo mir der Kopf stand und noch weniger, wann ich da noch ins Ausland hätte fahren sollen. Außerdem hatte ich gerade meine Frau kennengelernt. Meine Prioritäten lagen eigentlich woanders, aber in so einer Situation verpeilt man schnell, was wichtig ist im Leben. Und als Frontmann macht man aus so einem Verantwortungsgefühl für die Band immer Zugeständnisse.

Die 80er weiter aufzurollen würde hier jetzt sicher den Rahmen sprengen, aber eine Station möchte ich aus der Zeit noch besuchen, nämlich Euren Auftritt in der DDR. Hast Du daran noch Erinnerungen? Was blieb Dir davon noch im Kopf hängen?
Die Konzerte in der damals noch bestehenden DDR sind unvergesslich. Diese Begegnungen will ich nicht missen. Das war ja im Januar und im August 1989, die Welt war im totalen Umbruch, und wir waren genau da, wo es passierte. Im Gegensatz zu unseren Konzerten im Westen, saß das DDR-Publikum mit aufgestellten Ohren vor uns. Wenn denen eine Zeile im Text gefiel, wurde das mit Applaus belohnt. Die waren viel mehr an Inhalten interessiert, das war mir völlig neu. Sie haben uns unglaublich empfangen, wir kamen uns vor wie die Beatles und Stones zusammen. (lacht)


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Purple Schulz & Die Neue Heimat 1983 (Foto: privat)



Gab es auch negative Momente, wurde sich z.B. von Seiten der Kulturoberen wie bei BAP in Euer Programm eingemischt?
Komischerweise überhaupt nicht. Gerade bei "Sehnsucht" sollte man ja denken, das würden sie einem aus dem Programm streichen. Der Song war in der DDR ja fast noch bekannter als im Westen, er kursierte dort allerdings auf Musik-Cassetten. Mir hatte Jahre später mal ein DJ gemailt, dass er eine Nacht im Knast verbringen musste, weil er mit "Sehnsucht" immer seine Disco beendet hatte. Die VoPo hatte sowas nicht gern gesehen, denn natürlich nahmen das alle in der Disco zum Anlass, bei "Ich will raus!" laut mitzugröhlen. Bei der NVA haben damals Soldaten ihre Kassettenrecorder auf volle Lautstärke gestellt, wenn der Schrei kam. Im Nachhinein glaube ich, dass das Kultusministerium der DDR es trotz allem geradezu wollte, dass wir den Song spielen. Um den jungen Leuten in der DDR zu zeigen, wie deprimierend das Leben im Westen ist. (lacht)

Wenn man mal schaut, dass Ihr ganz zu Beginn mit der NEUEN HEIMAT noch ein paar Leute mehr auf der Bühne wart, dann mit PURPLE SCHULZ zu Beginn zu dritt und dann immer weniger wurdet … Warum wurden die Abgänge in Deiner Band über all die Jahre nicht mit anderen Musikerkollegen neu besetzt?
Auf der Bühne wurden die Positionen immer neu besetzt. Wir hatten phasenweise die Besten der Besten in der Band und auch am Tonpult. Allein am Schlagzeug hatten wir mit Wolf Simon und Bert Smaak zwei sensationelle Trommler. Lustiges Detail am Rande: Bert begleitete später z.B. auch Jon Lord auf seiner Deutschland-Tournee. Wenn man sich mal die Aufnahmen unseres Konzerts im Palast der Republik 1989 bei YouTube anschaut, wird man sehen und hören, dass dieses spielerische Niveau in Deutschland einzigartig war. Schade, dass die Videobänder vom Zahn der Zeit nicht verschont geblieben sind. Man hätte sie wesentlich früher digitalisieren müssen, aber die Möglichkeiten gab es damals leider nicht.

Warum verließen 1987 Dieter Hoff und Jahre später, genauer gesagt 2011, Dein Kollege Josef Piek die Band?
Dieter Hoff verließ die Band ja schon beim Album "Der Stand der Dinge", das direkt auf "Verliebte Jungs" folgte. Er wollte seine eigenen Wege gehen, was mir ehrlich gesagt entgegenkam. Die Zusammenarbeit mit Dieter war für mich immer schwierig. Er schrieb sicherlich manch geniale Zeile, aber ich musste ihn oft fünfzehn Strophen schreiben lassen, bis für mich eine brauchbare dabei war. Diese Auseinandersetzungen waren für uns beide immer sehr anstrengend. Trotzdem fand ich es damals traurig, als er ging, weil ich bis dahin ja mein ganzes musikalisches Leben mit ihm verbracht hatte. Was Josef Piek angeht, da habe ich mich von ihm getrennt. Wir hatten uns einfach auseinander gelebt. Menschlich noch mehr als musikalisch. Musikalisch ist das sicherlich sehr schade, unsere Stimmen haben einfach toll zueinander gepasst und ich halte ihn immer noch für einen großartigen Gitarristen. Aber irgendwann kam ich an den Punkt, dass ich einsehen musste, dass es nicht mehr geht. Diese Beziehung begann, mich krank zu machen. Wir fuhren am Ende in zwei getrennten Fahrzeugen zum Gig. Ich glaube, ich hätte diesen Schritt schon zwei Jahrzehnte früher gehen müssen, wenngleich ich diese beiden Jahrzehnte mit ihm auch nicht missen möchte. Aber Fakt ist, dass ich erst nach meiner Trennung von Josef so richtig zu mir selbst gefunden habe. Mit jemandem so lange zusammenzuspielen ist ja wie eine Ehe.

Von den experimentellen 70ern und den intensiven 80ern ging es in die eher wirren 90er, wo eigentlich kein Stein mehr auf dem anderen blieb, was die deutsche Musikszene betrifft. Wie hast Du diese Dekade und den schleichenden Prozess, dass eine einst facettenreiche Musik immer eintöniger wurde, erlebt? Vor allem: Wie hast Du versucht, dagegen anzuschwimmen?
Gar nicht. Ich hab einfach weiter Musik gemacht. Was zu der Zeit im Radio lief, hat mich nicht weiter interessiert. Aus Single-Entscheidungen hab ich mich weitestgehend rausgehalten, weil es mir zunehmend egal wurde. Ich hatte damals schon das Gefühl, dass das Radio, was für unsere Promotion immer wichtig war, den Bach runtergeht. Umso glücklicher bin ich, dass ich heute, fast drei Jahrzehnte später, mit meiner eigenen Sendung dagegenhalte und einmal im Monat in meinen "SONGPOETEN" bei WDR4 beweise, was gutes Radio wirklich kann, wenn es die heimische Singer/Songwriter-Szene spielt. Allerdings erleben wir seit einiger Zeit etwas Ähnliches wie in den 90ern, was die Entwicklung im Pop angeht: eine Verwässerung. Und diese heute so angesagten Schreibcamps, bei denen acht Leute Songs schreiben, führen nicht zur Originalität, sondern nur zum risikolosen Kompromiss, an dem sich niemand mehr reiben kann. Den Mainstream-Pop der damit oft immer noch erfolgreichen deutschen Künstler finde ich persönlich ziemlich langweilig und nichtssagend. Außerdem klingt vieles gleich.


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Purple Schulz live 1985 (Foto: privat)



Die Medien begannen ja irgendwann weniger über die alten Helden zu berichten, was natürlich auch einen Einfluss auf Verkaufszahlen und Erfolge hatte. Dich traf es nicht ganz so hart, wie wir gleich noch besprechen werden. Warum, glaubst Du, hat die Presse immer mehr das Interesse an den Produkten "Made in Germany" verloren?
Ich habe keine Ahnung. Vielleicht sind sie nicht neugierig genug. Ich entdecke für meine Sendung beim WDR immer noch ganz tolle Künstlerinnen und Künstler. Allerdings verbringe ich auch viel Zeit mit der Recherche dafür.

Dafür wurdest Du von einem anderen "Magazin" zum "Pascha des Monats" ausgezeichnet. Wie kam es überhaupt dazu?
Jetzt wird's aber historisch (lacht). Die Auszeichnung verdanke ich der Zeitschrift "Emma" von Alice Schwarzer. Aber ich will mich nicht beklagen, ich habe so wenige Auszeichnungen bekommen, dass ich nicht wählerisch bin. (lacht)

Ärgert man sich über sowas oder pellte man sich ein Ei darauf?
Ach Gottchen, das war 1992. Für einen, der in den Siebzigern viel Zeit in feministischen WGs verbracht hat, ist das nur ein erneuter Beweis dafür, wie schwierig manchmal die Kommunikation zwischen Männern und Frauen ist. Ich bekam den Titel damals für den Song "Bis ans Ende der Welt" und es ist bei der Redaktion anscheinend nicht angekommen, dass ich für diesen Text in eine Rolle geschlüpft bin. Viel problematischer finde ich es, dass heutzutage Leute Briefe an den WDR schreiben und ihn auffordern, einen Song wie "Verliebte Jungs" nicht mehr zu spielen, schon mal gar nicht nach den Ereignissen der Silvesternacht 2015 in Köln. Der Song sei "übergriffig". Das ist natürlich völliger Blödsinn, aber wenn man das vor dem Hintergrund der Entwicklungen in den USA betrachtet, die uns ja immer ein paar Jahre voraus sind, macht es einem schon etwas Angst. Ganz schlimm finde ich, dass diejenigen, die einem heute sowas wie "kulturelle Aneignung" in der Musik vorwerfen oder gar Auftritts- bis hin zu Lokalverbot für Frauen mit Rastazöpfchen fordern, dass das immer die Leute sind, zu deren politischem Lager ich mich mal dazugehörig gefühlt habe. Wenn ich auch nur einen Gedanken an diesen Blödsinn verschwenden würde, wäre das der Tod meiner Kunst. Heute stehen überall nur noch riesengroße Fettnäpfe rum, da tritt man nicht rein, da fällt man rein, und immer ist irgendjemand ganz schnell beleidigt. Das darf mich als Künstler aber nicht interessieren. Mehr noch: da muss man dagegenhalten. Hätte es diese Wokeness schon früher gegeben, dann wären solche Meisterwerke des Humors wie "Das Leben des Brian" und überhaupt Monty Python nicht entstanden. Dann gäbe es heute wirklich nichts mehr zu Lachen.

Du warst in den 90ern mit PURPLE SCHULZ immer noch live zu sehen, hast Platten veröffentlicht und sogar Platzierungen in den Charts feiern können. Auch auf Kopplungen wie BRAVO Hits und TOP OF THE POPS warst Du mit Songs vertreten, und erreichtest so auch ein jüngeres Publikum. Was hast Du anders gemacht als andere?
Ich weiß es nicht. Vielleicht war es einfach Glück. Oder es waren die besseren Songs. Auf jeden Fall haben die meisten meiner Songs kein Verfallsdatum. Einen Song wie "Sehnsucht" kann ich nach vierzig Jahren genauso spielen wie damals, es hat sich an diesem Grundgefühl in Deutschland anscheinend nichts verändert. Tatsächlich habe ich ja erst fast vier Jahrzehnte später das erste Video zu dem Song gemacht, unter den gleichen Bedingungen wie damals bei der Originalaufnahme: alleine mit einer Kamera, kein Schnitt, und gleich den ersten Take genommen. Darum ist das Video so emotional wie die erste Aufnahme in den Achtzigern. Und wenn man die Kommentare darunter liest, wundert man sich, dass der Song schon so alt ist, denn für die meisten Kommentierenden ist er hochaktuell. Gerade in der Pandemie hat er unfassbar viele Klicks bekommen.


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Purple Schulz backstage 1990 (Foto: privat)



Ihr seid in den 90ern und 2000ern sehr häufig und vermehrt in den neuen Bundesländern aufgetreten. Und das mit großem Erfolg. War das nur Zufall oder gab es da Jahre nach der Vereinigung noch immer einen großen Nachholbedarf?
Es gab einiges nachzuholen für die Menschen in der ehemaligen DDR. Und für meine Band war es im ersten Jahrzehnt nach dem Mauerfall die einzige Möglichkeit, überhaupt auf die Bühne zu kommen, weil wir im Westen einfach weniger gespielt haben. Mittlerweile hat sich das natürlich geändert, aber ohne den Mauerfall wären die 90er für uns recht mau verlaufen.

Ich nenne Dir jetzt ein paar Schlagwörter, und Du antwortest mir bitte in ein oder zwei Sätzen, was Dir spontan dazu einfällt …

Glessen:
Da habe ich vor 32 Jahren mit meiner Frau unser Haus gebaut. Wir hatten damals drei Kinder, die natürlich mittlerweile ausgezogen sind. Jetzt haben wir allerdings noch ein Häuschen in Holland am Meer, wo wir auch viel Zeit verbringen. Mittlerweile kann man ja von überall auf der Welt aus arbeiten.

Anti-WAAhnsinns-Festival:
Hunderttausend Zuschauer. Das größte Publikum, das ich je bespielt habe. Spannende Erfahrung, aber diese Großveranstaltungen sind nicht so mein Ding. Nicht, dass ich das nicht könnte, aber heute will ich keinen Laden über fünfhundert Zuschauern haben, weil mir sonst der Kontakt zum Publikum fehlt. Ich mach keine Events, ich gebe Konzerte.

"Biene Maja":
Mein erstes Kindermusical. Die Pressekonferenz dazu war am 12. September 2001, also einen Tag nach dem Anschlag. Und man will es nicht glauben, da sind wirklich Presseleute erschienen. Das war eine der schlimmsten Wochen meines Lebens.

Night of the Proms:
Das war 1999 und was mir außer den tollen Konzerten vor allem noch in Erinnerung geblieben ist, das ist ein langes und sehr tiefsinniges Gespräch im Tourbus mit Rick Parfitt und Francis Rossi von Status Quo. In der Form hatte ich das mit den beiden niemals erwartet. Und die Erfahrung, dass die Orchestermusiker an der Hotelbar immer die letzten sind und was das Trinken angeht, jeden Rocker in die Tasche stecken. (lacht)

Purple Schulz Tour 2014/2015:
Seit 2013 trete ich nur noch im Duo oder solo auf, weil der Fokus auf den Songs und Texten liegen soll. Diese Shows haben eine ganz spezielle Dramaturgie, sie sind keine Konzerte im herkömmlichen Sinn, sondern sehr unterhaltsam und emotional. Und man kann sehr viel Energie daraus schöpfen, den täglichen Irrsinn auszuhalten. (lacht)





Demenz/Alzheimer:
Mein Song "Fragezeichen" von 2012 ist ein Song, dessen Video heute bei Kongressen gezeigt wird oder Pflegeschülerinnen und -schülern, um ihnen ein Bild davon zu vermitteln, was in den Patienten vor sich geht. Sowas mit meiner Musik zu erreichen ist mir mehr wert als jede Auszeichnung eines Dudelsenders.

"Sehnsucht bleibt":
So heißt mein Buch, in dem ich mich mit der Frage beschäftige, was die Sehnsucht für mein Leben bedeutet. Und so heißt auch mein aktuelles Bühnenprogramm, in dem der Song "Sehnsucht" natürlich geblieben ist. Denn Sehnsucht ist der Motor meines Lebens.

"Songpoeten":
Jeden 3. Dienstag im Monat präsentiere ich in meiner Sendung auf WDR4 das Beste aus der Singer/Songwriter-Szene mit dem Schwerpunkt auf deutschen Künstlern. Aber auch Porgrock kann dabei sein. Der WDR lässt mir dabei alle Freiheiten, wofür ich ihm ehrlich dankbar bin, denn das ist schon ungewöhnlich für einen öffentlich-rechtlichen Sender. Allerdings nutze ich diese Freiheiten auch schamlos aus. (lacht) Ich mache Radio aus Liebe zur Musik und zu den Künstlern, die sich etwas trauen, die originell sind, die mir Geschichten erzählen, mich berühren, zum Lachen oder Weinen bringen. Man kann die Sendungen in der ARD-Audiothek nachhören oder unter purpleschulz.de/songpoeten

Rückblickend auf die 50 Jahre Karriere: Was sind für Dich die großartigsten Momente gewesen, die Dich Dein Leben lang begleiten werden?
Ich hatte viele Konzerte an ungewöhnlichen Locations: in 2000 Metern Höhe oder Hunderte von Metern unter der Erde im Bergwerk. Eines der unvergesslichsten Konzerte war auf einem Friedhof mit 1800 Zuschauern, die zwischen den Gräbern saßen und mit denen wir dort ein Fest des Lebens gefeiert haben. Ich habe jahrelang meine Tour-Premieren in der Psychiatrie in Köln-Merheim gespielt. Aber neben den Konzerten in Wackersdorf und in der DDR war mein wichtigstes Konzert in der Frankfurter Batschkapp am 24. Februar 1986: da hab ich meine Frau kennengelernt.

Gibt es dagegen auch Erlebnisse oder Ereignisse, die Du am liebsten vergessen möchtest?
Das Konzert am Wochenende nach 9/11. Da dachte ich, ich sei im falschen Film. Ich bin dahin gefahren, um einen Vertrag zu erfüllen und hätte es völlig ok gefunden, wenn keine Zuschauer gekommen wären. Stattdessen saßen da Leute, die noch gar nicht geschnallt hatten, was passiert war. Und es gab ein Konzert Anfang April 2020, ein Streaming Konzert im Lockdown ohne Publikum im Raum. Da habe ich mich wirklich sehr einsam gefühlt. Zum Glück habe ich aber auch die Eigenschaft, negative Erlebnisse gut vergessen zu können. Und seit meine Frau mein Booking macht, bleiben solche Geschichten aus. Wir spielen nur dort, wo wir gute Erfahrungen gemacht haben und pflegen zu unseren Veranstaltern ein freundschaftliches Verhältnis.


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Purple Schulz heute (Foto: Ben Schulz)



Im Prinzip hat Dir - wie auch allen anderen Musikanten - ein Virus aus China drei Jahre Deiner Zeit gestohlen. Wie hast Du diese Zeit zwischen Februar 2020 und Ende 2022 erlebt?
Vor allem waren es ja die Maßnahmen dagegen, die unser Land dahin gebracht haben, wo es heute steht. Ausgerechnet die Leute, zu deren Job es gehört, die Perspektiven zu wechseln und mit ihrer Kunst Dinge zu hinterfragen, verhielten sich auffällig still. Sie waren sogar die Ersten, wenn es darum ging, anderen den Kopf abzureißen, wenn man den Sinn der Corona-Maßnahmen, deren Sinnlosigkeit ja nun im Nachhinein oft belegt ist, laut hinterfragte. Sich dazu kritisch zu äußern, konnte das Ende einer Karriere bedeuten. Jetzt liegt über allem der Mantel des Schweigens und eine Aufarbeitung findet nicht statt. Ich gebe zu, auch ich war still, wenngleich es in mir regelrecht gekocht hat. Meine Frau und ich haben viel Zeit damit verbracht, die Konzerte bis zu dreimal zu verlegen. Ich habe mich im ersten Jahr sofort an meiner Hand operieren lassen, die mir seit drei Jahren Probleme bereitet hatte. Noch im April 2020 habe ich mein erstes Online-Konzert gespielt. Ich hab ganz schnell gemerkt, dass das nicht mein Ding ist. Danach habe ich Märchen eingelesen und zwei Kinderplatten für den Stream aufgenommen. Ich habe für streamfood meine eigene TV-Show "Come together - Das Talkkonzert" gemacht mit Gästen wie Frank Schätzing und den tollen Songschreiberinnen Catt aus Berlin und Fe. aus Frankfurt sowie einer sensationellen Band, die alle begleitet hat. Die Idee war, an dieser Stream-Show alle beteiligten Gewerke wie Ton, Licht, Schnitt, Kameras etc. fair zu beteiligen. Und wir haben mit der Firma Remote Recording Network ein Konzert komplett ferngesteuert produziert. Dafür haben wir beim IBC Innovation Award den 1. Platz belegt, in einer Kategorie, in der sogar Netflix nominiert war. Wir waren damit weltweit die Ersten, die gezeigt haben, dass es funktioniert. Aber ich habe mich auch noch nie so einsam bei einem Konzert gefühlt, in dem die Zuschauer nur auf unzähligen I-Pad Bildschirmen zugeschaltet waren, der Ton in New York und Köln gemischt und das Licht aus Mainz gesteuert wurde, der Regisseur in Wien saß und die Logistik in Wuppertal und Berlin. Von wo aus die Kameras gesteuert wurden, hab ich vergessen. Mein Gitarrist Markus Wienstroer und ich saßen während des Konzerts mutterseelenalleine in der leeren Halle in Bottrop an unseren Instrumenten. Vor allem aber habe ich in den drei Jahren viel auf meiner 16-saitigen Harpejji gespielt, die ich mir im Herbst 2019 habe bauen lassen. Seitdem ist dieses fantastische Instrument bei allen Konzerten dabei und ich bin tatsächlich immer noch der einzige deutsche Künstler, der sich damit auf die Bühne traut.

Was liegt als nächstes bei Dir an? Wartest Du mit dem großen Konzert mit Gästen und allem Tamtam auf Deinen nächsten runden Geburtstag, oder wird das Bühnenjubiläum in diesem Jahr noch sachgerecht gefeiert?
Meine Frau Eri, mit der ich inzwischen nicht nur die Songs schreibe, sondern die auch mein Management und Booking macht, hat gesagt, dass wir es jetzt erstmal ganz ruhig angehen lassen, was die Konzerte angeht. Das ganze Geschäft hat nicht nur sehr unter den Corona-Maßnahmen gelitten, es hat sich komplett verändert. Erstaunlicherweise haben wir großes Glück gehabt, denn unsere Konzerte in 2023 waren bisher fast alle ausverkauft. Aber die Konzertlandschaft ist eine andere und das merkt vor allem der - wie ich sage - musikalische Mittelstand. Jüngere Acts spüren das ganz besonders. Vor allem aber merken wir das am fehlenden Personal in der Technik. Ich glaube nicht, dass es wieder so sein wird wie vor der Pandemie. Da sind viele Narben zurück geblieben und wir müssen uns erstmal neu orientieren. Darum kann man auch derzeit keine großen Konzerte mit Gästen planen und dem ganzen Pipapo, das man für ein 50-jähriges Bühnenjubiläum bräuchte, denn zunächst sind alle Künstler verständlicherweise in eigener Sache unterwegs und haben viel nachzuholen. Trotz allem entstehen neue Songs, die wir auch auf den Konzerten spielen und die sehr gut ankommen. Das liegt sicher daran, dass ich versuche, diese Zeit und die gesellschaftlichen Veränderungen in meiner Musik zu verarbeiten. Dafür ist mein Publikum sehr offen und interessiert. Wann es aber ein neues Album geben wird, kann ich noch nicht sagen. Nach und nach werden wir bestimmt einzelne Titel bei den Portalen reinstellen. Der Aufwand, ein Album zu produzieren und zu bewerben, steht aber in keinem Verhältnis mehr zu dem, was man damit einspielen kann und ich habe ganz ehrlich keine Lust, irgendwelche Boxen mit T-Shirts und selbst entworfenen Postkarten auf den Markt zu schmeißen, damit sich jemand meine Musik anhört und bei Facebook und Insta darum zu betteln, dass jemand auf den "Presave"-Button klickt. In dieses ganze Thema müssen wir uns erstmal selber reinarbeiten. Für Künstler meiner Generation ist das alles ziemlich schwer verständlich. Dafür aber mit einer großen Plattenfirma zusammenzuarbeiten, kommt für uns definitiv nicht mehr in Frage. Mit diesen Leuten habe ich abgeschlossen. Die haben den Karren der Künstler schließlich gegen die Wand gefahren.


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Purple Schulz mit d'accord 1978 (Foto: privat)



Ich danke Dir für die Antworten und Deine Zeit, die Du mir für dieses Interview geschenkt hast. Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Leute, nutzt die Möglichkeit des Vorverkaufs bei Konzerten. Er ist die einzige Möglichkeit für Künstler, eine Tour oder ein Konzert vernünftig kalkulieren zu können und nicht finanziell vor die Wand zu fahren. Und bedenkt immer, dass ihr für den Preis eines Großevents zehn Tickets für lokale oder deutsche Acts bekommt, bei denen wegen der kleineren Location oft der Sound besser ist, ihr näher am Künstler und nicht auf eine Großbildleinwand angewiesen seid, um zu erkennen, was auf der Bühne passiert.



Interview: Christian Reder
Fotos: Pressemateruial (Ben Schulz) und privates Material (Alle zur Verfügung gestellt vom Büro Purple Schulz)




   
   
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