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Interview vom 29. Januar 2021



27 Jahre ist es her, dass Wiebke Schroeder ihr letztes Album veröffentlicht hat. Seitdem wurde es etwas stiller um die deutsche Sängerin. Vor nicht allzu langer Zeit hat "Deutsche Mugge" bereits unter dem Titel "Wiederentdeckt" in der Rubrik "Zeitzeugen" (siehe HIER) über sie,001 20210130 1130669648 ihre zwei Alben und den Blick aus heutiger Sicht darauf, den Teufel im Leib wieder zum Leben erweckt. Anlass genug die Künstlerin selbst zu Wort zu bitten und ihre Sicht auf die Dinge darzustellen. Unsere Kollegin Lisa Walter hatte die Gelegenheit, die Künstlerin in einem Gespräch zu befragen ...




Wie kamst du zur Musik?
Schon als Ich vier war wusste ich, Singen ist das, was mich glücklich macht. Ich habe mich quasi seitdem durchs Leben gesungen - mit 10 Jahren bekam ich den gewünschten Gesangsunterricht, mit 16 ging ich nach Dresden an die Hochschule für Musik, und danach nach Berlin an die Hanns Eisler. 1989 kurz vor dem Mauerfall beendete ich mein Studium, um zu wissen, Klassik ist nicht meins... ich bin eine " Popgöre"!

Wie siehst du deine zwei Alben aus heutiger Sicht?
Meine Musik ist eine Reise, eine Reise durch die Gefühlswelt einer Mittzwanzigerin, die alle Höhen und Tiefen der Liebe durchlebt und das Glück hatte, ihre Gefühle verbalisieren zu können. Dazu ein Team von Menschen, die nicht nur musikalisch sondern auch menschlich eine " Waffe " waren. Wir zogen alle zusammen an einem Strang und die zwei Alben sind das Ergebnis nächtelanger, akribischer und disziplinierter Arbeit. Zusammen kreativ sein, zusammen etwas entwickeln, zusammen essen, zusammen reden, das alles macht die Sache rund.

002 20210130 1695514052Hast du heute noch Kontakt zu deinem Produzenten Ingo Politz? Bzw. könntest du dir vorstellen, noch einmal ein Album aufzunehmen?
Lange hatten wir uns nach dem zweiten Album aus den Augen verloren. Die Arbeit an dem, nie veröffentlichen dritten Album wollte ich allein textlich und musikalisch bestreiten, mal mit anderen Leuten arbeiten, neue Wege gehen. Dadurch entfernte man sich voneinander, was ich heute sehr bereue. Never change a winning team - habe ich leider zu spät festgestellt. Heute haben wir wieder, wenn auch nur per Instagram, Kontakt und es gäbe für mich nichts schöneres als wieder im Studio zu arbeiten. So wie früher. Ich glaube, Sympathie und Affinität überdauern und ich weiß, es wäre wie immer, vertraut und kreativ.

Du sagtest vor kurzem, dass du dir aus heutiger Sicht bei einigen der alten Songs fremd bist. Welche sind es und woran hast du dies festgestellt?
Einige Texte sind mir heute zu kindlich, nach über zwanzig Jahren sind die Gefühle natürlich auch gereift, vieles würde ich heute anders ausdrücken. "Fallschirm" vom ersten Album zum Beispiel. Heute würde ich über das Thema "Drogen" viel konkreter werden, damals war ich blumig und verspielt. Ein Grund dafür natürlich, im Osten hatte man nie Kontakt mit Drogen und hat das Ausmaß von Drogenkonsum überhaupt nicht begriffen. Auch von dem Song "Lieb mich noch einmal" vom zweiten Album bin ich heute Lichtjahre entfernt. Früher war ich emotional doch eher abhängig von den Gefühlen meines Partners, wollte gefallen und war in gewisser Weise hörig. Das hat sich Gott sei Dank verändert! (lacht)

003 20210130 10253587061999 sollte dein drittes Album "Ruhestoerung" erscheinen, was lediglich als Promo veröffentlicht wurde. Woran ist die Veröffentlichung am Ende gescheitert?
Ich weiß leider von keiner Promo-Veröffentlichung. Wenn es eine gibt, würde ich diese gerne besitzen. Ich habe leider nur die Demos. Im dritten Album steckt am meisten "die Frau Wiebke Schroeder" - eckig, rebellisch. Mit einer nicht mehr so weißen Weste und Abgeklärtheit in Sachen "große " Liebe. Fast drei Jahre habe ich mir die Texte quasi "aus den Rippen geschnitten" und erstmals auch überwiegend das Songmaterial geliefert. Große Unterstützung bekam ich unter anderem vom damaligen Udo Lindenberg-Gitarristen Lukas Hilbert und dem Selig-Gitarristen Christian Neander. Zwei Menschen, die so kreativ sind, dass man mit ihren Ideen 10 Alben produzieren könnte. Das Ergebnis waren 12 Aufnahmen, die schwermütig, verletzlich, wütend aber auch hoffnungsvoll und positiv waren. Meine Lieblingssongs, "Morgen werd ´ich wieder leben" und eine wunderbare Ballade für Tamara Danz (Silly), "Sie will leben", aufgenommen mit den Babelsberger Symphonikern, arrangiert von Till Brönner. Leider traf dieses Album nicht ins Schwarze der Plattenfirma, es sei nicht kommerziell genug, zu negativ. Abschließend wurden die Aufnahmen nach einem Promotion-Gig in Hamburg eingestampft. Und ich war am Boden.

Was ist mit den Songs passiert? Hast Du sie noch und käme eine nachträgliche VÖ noch in Frage?
Wenn Ingo Politz willig wäre, stände ich morgen im Studio. Natürlich neu arrangiert aber mit den damals gewollten und gelebten Texten der heutigen Wiebke Schroeder.

In den Credits Deiner Alben stehen andere Musikernamen als letztlich mit Dir zusammen auf der Showbühne anzutreffen waren. Wer gehörte damals fest zu Deiner Begleitband?
Ich hatte damals eine Schar an Musikern an meiner Seite. Die, die im Studio gespielt haben, hatten oftmals keine Zeit für anstehende Fernsehsendungen oder Promotion-Gigs. Da ich nur mit Musikern befreundet war, gab es aber kein Problem für eine "nette" Gage den einen oder anderen zu begeistern.004 20210130 2009710580 Studioarbeit war Knochenarbeit, Fernsehen war just for Fun. Eine feste Band hatte ich erst, als ich mit Edo Zanki live unterwegs war. Da hieß es dann proben, proben, proben. Da Christian Neander und Kiran Hilbert in eigenen Projekten steckten, fielen sie leider für meine Band-Besetzung aus. Trotzdem hatte ich absolute Profis an meiner Seite und der Spaß bei Live-Konzerten ist bis heute durch nichts zu toppen.

Gab es zu deinen Alben eigentlich auch Tourneen, sprich: Bist Du mit deinen Songs auch live aufgetreten?
Mit Edo Zanki gab es unzählige Konzerte und live zu spielen war das Höchste, was einem Künstler passieren kann. Mehr Glück geht nicht.

Vermisst du die Bühne?
Mehr als alles andere.

Gab es in all den Jahren, in denen du in der Musikbranche tätig bist, eine Begegnung/Zusammenarbeit, die besondere Spuren und Erinnerungen bei dir hinterlassen hat?
Die zwei Deutschland-Tourneen mit Udo Lindenberg haben mich sehr geprägt. Gleich nach dem Studium mit so einem bekannten Rockstar auf der Bühne zu stehen, war das Maß aller Dinge. Das Business, die Professionalität und die Menschlichkeit von Udo haben mir immer wieder gesagt: Das will ich auch. Ich hoffe immer noch auf ein Wiedersehen mit ihm, bevor er sich in den Rockhimmel verabschiedet.

Wie und wo haben Du und Dirk Zöllner Euch kennengelernt und warst Du damals tatsächlich Teil der ZÖLLNER?
Mein damaliger Freund Ferry Grott war ein gut etablierter Trompeter in der DDR-Musikszene. Unter anderem auch bei den Zöllnern. So habe ich auch Dirk Zöllner kennengelernt, ein junger Rebell mit viel Charisma - gute Popmusik mit guten deutschen Texten und einer Besetzung, ähnlich wie die eines Sinfonieorchesters.

005 20210130 2023166887Bezog sich Dein Mitwirken dort nur auf die Live-Auftritte der Band oder gibt es auch "Tondokumente", auf denen Du zu hören bist?
Ich habe bei der Band Die Zöllner nur gelegentlich mal im Backround gesungen, ich war mitten in der Arbeit zu meinem ersten Album und hatte keine Ambitionen für andere musikalische Projekte.

Du bist von dort aus zu Udo Lindenberg gegangen und sollst - so zumindest meine Info - bei seiner Tour zum Ensemble gehört haben. Stimmt das so und wenn ja, wie kam es dazu?
Beim großen Wiedervereinigungskonzert in Berlin West traten Ost - und West-Bands auf. Ich lernte im Backstage Bereich Udo Lindenberg kennen. Er sprach mich sofort an, ob ich nicht Lust hätte bei seiner großen "Bunte Republik Deutschland"-Tour als Backround-Sängerin mitzumachen. Wie konnte man sich das entgehen lassen?! Sechsundvierzig Konzerte durch Deutschland, erstmals in all die Städte, die man vorher nur aus dem Westfernsehen kannte.

Deine Texte auf "Wiebke Schroeder" und "Zwing mich zum Glück" hast du größtenteils alleine geschrieben. Was ist deine Inspiration dafür? Schreibst du heute auch noch?
Eigene Texte zu schreiben ist mir nie schwer gefallen. Schon mit dreizehn habe ich erste Gedichte geschrieben. Ich hatte immer das Bedürfnis, meine Gefühle auf's Papier zu bringen, wollte mich immer mitteilen. Das Leben ist Inspiration genug. Ich war schon immer neugierig, habe immer meine Umwelt beobachtet und konnte immer gut reflektieren, was mich kalt lässt oder mitnimmt. Im Keller "schmoren" immer noch unzählige Kisten mit Texten, die noch wachgeküsst werden wollen. Seit ein paar Jahren allerdings ist es stiller in mir geworden. Vielleicht hat der "Teufel im Leib" ja doch ein Zuhause gefunden und meine letzte Textzeile, "...erst wenn alles kaputt ist, geht's mir richtig gut", hat ihre Bedeutung verloren. Man wird sehen.

006 20210130 1200490815Die deutsche Rock-Pop-Musik hatte in den '90ern einen schwierigen Stand, wenn man nicht nach Schlager klingen wollte. Warum hast du trotzdem diesen Schritt gewagt?
Ich habe nicht drüber nachgedacht, ich habe gesungen, habe getextet, man hat mir vertraut und schon war ich da, ohne dass ich jemals den Vorsatz hatte, eine Lücke zwischen Julia Neigel und Pe Werner zu füllen. Ich kannte diese Ladys gar nicht. Ich kannte Nena, habe mich sonst nie für andere deutschsprachige Frauen in der Musik interessiert. Nein, ich bin nicht arrogant. Ich wollte keine Karriere und mega Erfolg. Ich wollte Gehör bekommen und Menschen, die ich berühren konnte, die sich in meiner Musik wiederfanden. Ich bin auch nicht Millionär geworden, war aber in meiner wichtigsten musikalischen Zeit finanziell gut abgesichert. Für mich hätte es so weitergehen können. Ich weiß bis heute nicht, wer für mich die Bremse gezogen hat. Ich denke heute, es war die Schwierigkeit den Spagat zu schaffen, zwischen dem Ehrgeiz sich musikalisch zu verwirklichen und dem Vermögen diplomatisch mit der Plattenfirma umzugehen, die sich vielleicht eine andere Karriere für den eingekauften Künstler vorgestellt hat.

Ursprünglich kommst du aus Rostock, lebst aber mittlerweile in Augsburg und bist dort beim Radio Donau3.fm. Wie kam es dazu?
Es ist wie in jedem anderen Beruf: Geht es nicht mehr vorwärts, musst du dich umorientieren, flexibel sein. Meine Stärke ist meine Stimme. Wenn nicht mehr singen, dann halt reden. Seit 1999 moderiere ich, bin vom Berliner Rundfunk, über die Ostseewelle MV bis zu Radio Fantasy gewandert, habe viel gelernt und hatte immer mit Musik zu tun. Das war mir sehr wichtig. Zur Zeit moderiere ich am Wochenende bei Donau3.fm in Ulm. Ein ehemaliger Kollege von Radio Fantasy holte mich vor vier Jahren nach Ulm. Lange Autofahrten waren für mich nie ein Hindernis, irgendetwas nicht zu tun.

Wie denkst du aus heutiger Sicht, über die deutsche Musikszene?
So dünn besiedelt es in den Neunzigern Jahren mit Deutscher Musik war, so überfüllt ist es jetzt. Ich kann Giesinger, Oerding, Weiss, Bosse und Poisel nicht auseinander halten. Weder textlich noch musikalisch. Bei den Mädels sieht es ähnlich aus. Einzige Ausnahme sind Silbermond und Lea.007 20210130 1985025899 Silbermond ist erdig und richtig gut, Lea ist außergewöhnlich und spannend. Heutzutage musikalisch einen Sechser zu landen, ist so schwer wie einem Vierzehnjährigen sein Iphone wegzunehmen. Die Plattenfirmen sind vorsichtig, es wird kein Geld mehr ausgegeben. Von Musik zu leben ist nur möglich, wenn ich wie Helene Fischer nicht nur singe, sondern mein Gesicht auch für Butter und VW verkaufe. Traurig. Ich ziehe meinen Hut vor all den jungen Musikern, die heute noch den Pfad der Popmusik beschreiten.

Irgendwann im Laufe der Jahre, reflektiert jeder Mal sein Leben. Würdest du heute noch einmal diesen Weg gehen, wie du ihn bis jetzt gegangen bist oder würdest du etwas anders machen?
Ich würde alles genauso machen. Mit dem einen Zusatz: Ich habe für meine dritte Platte nie gekämpft, ich hätte mit dem Material zu einer anderen Firma gehen müssen, versuchen das Songmaterial bei Menschen unterzubringen, die wie ich experimentierfreudig sind und auch mal etwas wagen. Allein mutig sein bringt leider nichts. Im nächsten Leben werde ich das anders machen. Ich bin sehr dankbar für diese intensive Zeit, ich war der glücklichste Mensch. Ein unbeschreibliches Gefühl zu tun, wofür man geboren ist.

Vielen Dank für die wunderbare Zusammenarbeit und das Vertrauen!



Interview: Lisa Walter
Bearbeitung: cr
Fotos: Pressematerial EastWest, Privatarchiv Wiebke Schroeder