Über Hans Christian Schmidt, alias H. C. Schmidt, schrieb Rodrigo Riedrich im letzten Jahr vor einer musikalisch-szenischen Lesung: "Dresdens markantestes Leitfossil aus den existenziellen Tiefen von Rauch, Whiskey und kaputten Beziehungen ist wieder unterwegs. Und wird uns davon so manches zu erzählen und auch zu singen haben, von der Weisheit, die auf dem Grund der Flaschen wohnt und der Schönheit am Rande des Abgrundes. Mozart, Bogey und der Hollow Back June Whale, tropfende Wasserhähne, Laufmaschen und nichts zu Rauchen - ein wildes Universum aus Sinn und Suff. Am Tresen mit dem Bourbon in der Hand, ein wirrer Darth Vader, der jeden neuen Gast persönlich begrüßt: Auch Du könntest mein Sohn sein ... Treffender kann man das Urgestein der Musikszene des Ostens nicht beschreiben. In diesem Jahr begeht der Sänger, Sprecher, Musiker und Schauspieler sein 45. Bühnenjubiläum, Grund genug, ihn aufzusuchen und mit ihm über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu plaudern ...
Zuerst die Frage, die immer und überall gestellt wird, wann begannst Du Dich für Musik zu interessieren und welches Instrument war Dein erstes?
Mit 10 Jahren, na eigentlich schon früher, mit 6/7 Jahren bin ich zum Klavierunterricht gefahren, mit dem Fahrrad, die Noten auf dem Gepäckträger. Ich hab' das aber nicht lange gemacht, mich hat das gelangweilt. Ich wollte lieber in den Großen Garten gehen, Wasserflöhe, Fische und Vögelchen fangen. Ich habe das Klavierspiel also relativ vernachlässigt. Es hat mir auch nicht viel Freude bereitet. Dafür sind dann die späteren Jahre in der Jugend um so mehr von Musik geprägt worden. Also ich habe das Klavierspielen nur relativ sporadisch gemacht.
Die Eltern haben Dich also dazu gebracht, ein Instrument zu lernen. Hast Du sonst als Kind oder Jugendlicher noch eine musikalische Ausbildung genossen und wie verlief Dein Weg in jungen Jahren?
Der Klavierunterricht war meine musikalische Ausbildung ... alles andere war eher autodidaktisch. Mein Vater hat Gitarre gespielt, Mundharmonika und "Quetschkommode" und meine Mutter hat gesungen und Gitarre gespielt. Das steckt dann halt in den Genen. Mein zweites Instrument war eine Gitarre, die ich als Bassgitarre "missbraucht" habe. Da habe ich Bass gespielt auf einer viersaitigen Gitarre. Ich wusste nicht, wie man Bass spielt, ich habe da irgendwas gespielt, fragt mich nicht ... Wir traten in den Tanzsälen auf und ich habe da irgendwie Bass auf der Gitarre gespielt. Geklungen hat es gut, die Tanzsäle waren jedenfalls voll, meist in der Lausitz. Ich muss da so 15/16 gewesen sein. Ist nun 45 Jahre her. Man musste arbeiten gehen in der DDR, sonst galt man als asozial. Also musste auch ich irgendwelche Jobs machen. Meine Lehre als Werkzeugmacher habe ich abgebrochen, ich wusste, ich werde diesen Beruf nie ausüben. Übrigens habe ich diese Ausbildung mit meinem späteren Musikerkollegen von ZWEI WEGE, Thomas Lehmann, gemacht. Später war ich z. B. Verkäufer, in einem "Nylonkittel" verkaufte ich Metallwaren bei "Hecker's Sohn", eine weitere Arbeitsstelle war bei der Vermessung. Ich habe die Hochöfen in Freital, die Kühltürme und die neue Brücke in Dresden (gemeint ist die Carolabrücke) mit vermessen. Mein schönster Job war, auf der Kreuzstraße in Dresden, Eisenbahnen und Zubehör der gängigen Größen N, TT und HO zu verkaufen und zu reparieren. Hausmeister in einer Drogerie war ich auch. Bis irgendwann Bernd Aust an die Tür klopfte und fragte, ob ich nicht Sänger bei electra sein wollte, ich bekäme auch den Berufsausweis, die "Pappe". Dafür musste ich allerdings studieren. Ich entschied mich für ein Extern-Studium an der Musikhochschule Dresden. Extern-Studium bedeutet, ich musste alles selbst finanzieren, einen Jahresbeitrag für die Fächer in der Schule und die alleinigen Stunden, Klavier, Sprecherziehung, Schauspiel, Stimmphysiologie usw. Da hatte ich nun also wieder Unterricht am Klavier und wurde von der Frau Golf "geprügelt", dass meine Fingerchen schön gerade oder krumm sind. Ich weiß nicht mehr, wie die sein sollten. Ich habe eh gespielt, wie ich wollte. Vroni Fischer, die Kollegen von Stern Meißen, Gerhard Schöne, das waren so die Jahrgänge, als ich an der Hochschule war. Vielleicht noch eine witzige Episode: Die Thea Elster, meine Schauspiellehrerin, sagte immer, wenn der Gerhard Schöne kam: "Gerhard, was soll ich mit Dir machen? Du kannst nicht richtig Gitarre spielen, du lispelst. Ich weiß nicht, was ich mit Dir anfangen soll, wo soll man dich einsetzen?" Tja und heute ist er berühmt, vor allem für seine Kindergeschichten und ist dicke im Geschäft. So kann's im Leben gehen.
Ich gehe noch einmal etwas zurück, was war Deine erste Station als Musiker?
Meine erste Band hieß PRISONERS und hat auf dem Dachboden der Anton-Graff-Straße in Dresden, wo wir wohnten, geprobt. Ich rieche noch genau, wie es da roch, habe den Geruch förmlich in der Nase. Unser Schlagzeug war eine "Pioniertrommel", so eine mit den roten Zacken drauf, ein Becken, eine Fußtrommel und ein Blechbehälter. Mit 12, 13 oder 14 Jahren, das waren natürlich noch keine Auftritte, aber so fing es an.
War Musiker Dein Traumberuf oder bist Du eher durch Zufall dazu gekommen?
Es war immer mein Traumberuf. Dass es sich nun heute in die schauspielerische Ecke parallel entwickelt hat ... umso besser.
Die erste Station als Profimusiker war bei electra, wie ich aus dem Gespräch schließe.
Bei electra war die erste Station als Profimusiker mit "Pappe" (Berufsausweis), man kann ja auch Profi sein ohne "Pappe". Aber das war der Punkt, mit Berechtigung auch so genannt zu werden.
Wie ging es dann weiter? Mich interessieren alle Stationen, bis Du zu ZWEI WEGE kamst.
Die PRISONERS hatte ich schon erwähnt. Danach kamen die MEPHISTOS, es folgte das MODERN BLUES STUDIO, das war ein Quartett, ein Bassgitarrist, eine Sängerin, ein Gitarrist und ich am Schlagzeug. Das war ganz neu, denn bisher spielte ich nur Bass auf vier Saiten. Dann kam CONCRET, da gibt es jetzt auch eine CD davon, Blues Rock spielten wir da. War 'ne wunderschöne Zeit. Ich hatte alle Titel vergessen, bis Gunter Schulze auftauchte und mir zum 60. Geburtstag die CD brachte, mit Live-Mitschnitten von damals. Das ist 30 Jahre her - umwerfend! Danach kam electra und dann erst mal die "Fahne", also die Armeezeit, vor der ich mich bis dahin erfolgreich gedrückt hatte. Es folgte CONCRET 2, das war Bläserbesetzung, große Bläserbesetzung! Was haben wir gespielt? natürlich Blood Sweat & Tears und Chicago etc., acht Mann auf der Bühne. CONCRET 3, das war mehr in Richtung Schlager/Pop, CONCRET 4 folgte, das war die Bluesgeschichte mit besagter CD, die ich zum Geburtstag bekam. Danach wurde CONCRET in GENERATOR umbenannt. Wir haben den Titel ein wenig geklaut von "Van der Graaf Generator", einer britischen Progressive-Rock Band, also Peter Hammill. Und dort wurden nur Werke gespielt, Art Rock, Genesis, Pink Floyd, Colosseum, Peter Hammill, Van der Graaf Generator-Titel, die gingen eine halbe Stunde. Und danach kam ZWEI WEGE.
Also kommen wir zu ZWEI WEGE. 1982 haben vier Musiker die Band gegründet. Das waren Rainer Butze (voc, keyb, g), Thomas Lehmann (voc, key, g, tb), Wolfgang Suckow (voc, bg, dr, g) und Du (voc, dr, perc, tb). Mit welchem Ziel seid ihr damals an den Start gegangen?
Na wir wollten natürlich etwas machen, was viele wollen. Etwas, das ganz anders ist, als alle anderen es machen. Und da wir das Glück hatten, alle mehr oder weniger ausgebildete Sänger zu sein, also fit im Gesang waren, waren wir eigentlich zu DDR-Zeiten die "A Cappella Band". Ich weiß noch Die Prinzen, damals hießen sie noch AMOR & DIE KIDS, standen oft vor der Bühne und hatten ein "offenes Maul", wie die das da oben wohl machen mit dem Satzgesang. Auf der anderen Seite konnten wir alle ein Instrument spielen oder mehrere. Ich spielte mal Keyboard und der Keyboarder mal Schlagzeug. Jeder konnte das Instrument des anderen, teilweise nur geringfügig, aber es wurde so eingesetzt, dass keiner merkte, dass der gar nicht so fit auf dem Instrument war. Ich spielte z. B. Trompete, Rainer hatte fünf oder sieben Töne auf dem Saxophon, die er beherrschte, natürlich stilistisch grauenhaft, aber wir haben das einsetzen können, z. B. bei "Yellow Submarine", um diese Blasmusik hin zu bekommen und wenn es etwas schief klang, war es besonders interessant. Es war skurril und es reichte. Thomas spielte sehr passabel Tuba, die haben wir oft eingesetzt, z. B. nur Tuba mit A Cappella Gesang. Das war toll. Später haben wir natürlich auch visuell viel hinzugefügt. Wir hatten gute Techniker, haben z. B. Jalousien eingesetzt auf der Bühne, wo wir mit den Instrumenten hinter den Jalousien spielten. Davor haben wir nur A Cappella gemacht. Die Jalousien wurden dann aufgezogen und runter gelassen je nach Bedarf und man konnte auf sie wunderschöne Sachen projizieren, z. B. Bilder und Schriften. Wie hat es Wolle genannt, ein visiophones Spektakel. Wolfgang Suckow, der war so der geistige Kopf.
Damit hast Du meine folgende Frage: "Stimmt es, dass alle vier Musiker eine Ausbildung im Fach Gesang hatten?", eigentlich schon beantwortet.
Ja.
Die neue Band ZWEI WEGE nahm am Interpreten-Wettbewerb teil und sofort wurden zwei Preise abgeräumt. Mit welchem Titel seid Ihr damals angetreten?
Nicht mit einem Titel, wir hatten ein ganz normales Programm. Ich weiß nicht mehr, ob es eine halbe Stunde oder länger ging. Ich weiß nur, es war ein richtiges Programm. Dafür haben wir zwei Preise bekommen und machten daraufhin drei Titel bei AMIGA, später noch Rundfunkaufnahmen. Ich weiß es nicht mehr so genau.
Meine folgende Frage hast Du auch teilweise schon beantwortet. Wann habt Ihr die ersten Songs beim Rundfunk oder bei AMIGA produziert? Welche waren das?
Auf der LP "Kleeblatt Nr. 11" von AMIGA 1984 waren drei Titel von ZWEI WEGE. Das waren "Carla" (erschien 2007 auch auf CD "60 Jahre AMIGA"), "Fliegt mit uns" und "Halt mich fest". Letzterer erschien nochmals auf der LP "Rock-Bilanz 1984". Rundfunkaufnahmen waren neben den drei Titeln, die auf AMIGA erschienen waren, "Nickelbrillen Boogie" und "Soll denn das alles sein". Zum "Nickelbrillen Boogie" gibt es ein schönes Video, gedreht von Jürgen Mai. Das Video ist richtig schön gemacht. Man sieht uns als A Cappella Band und dazwischen immer eine Handlung zum Thema Nickelbrille. Zu verschiedenen Fernsehaufzeichnungen waren wir auch. Fünf Jahre ZWEI WEGE war Anlass für eine große Party. Da war das komplette Hygienemuseum in Dresden ausverkauft, mit allen Sälen und Räumen. Da waren auch Gäste dabei, ich weiß noch, z. B. Reinhard Fißler und Angelika Weiz.
Warum hat es, trotz des Erfolges, keine komplette Albumproduktion für die Band gegeben?
Zu einer LP ist es nie gekommen. Vielleicht waren wir zu gesellschaftskritisch. Man ließ uns gewähren als Ventil, wie so viele andere es durften. Oder wir waren etwas zu perfektionistisch oder einfach "pingelich", konnten uns nie entscheiden, machen wir das nun so oder so und da zog sich immer alles lange hin. Es dauerte Ewigkeiten, bis wir ein neues Programm zusammen hatten.
War die politische Wende im Land 1989 für die Band kein Auslöser einer Aufbruchsstimmung bzw. Inspiration und Antriebsfeder für eine eigene Platte?
Manchmal haben wir im Monat 25 Veranstaltungen gehabt. Also, uns ging es nicht schlecht, aber wir waren alle irgendwie bühnenmüde, richtiggehend bühnenmüde. Ich habe mich mit Antikhandel befasst, war nur noch gelangweilt auf der Bühne, Thomas Lehmann guckte mehr in Aktien, als nach den Notenblättern ... Wir haben noch ein Programm gemacht mit "wendeträchtigen" Themen, was natürlich keinen Menschen interessierte oder kaum jemanden. Dafür hatten wir uns noch mal Riesenmühe gegeben. Umsonst. Alle waren einfach müde, bühnenmüde. Da war bei uns, wie bei den meisten, erst mal Schluss. Wir wendeten uns anderen Dingen zu. Wie schon erwähnt, ich hatte meinen Antikhandel.
Diese Bühnenmüdigkeit war dann auch der Grund für das Ende von ZWEI WEGE?
Ja.
Knapp zwei Jahre nach dem "Aus" für ZWEI WEGE hat sich Dein Kollege Wolfgang Suckow das Leben genommen. Jeder Todesfall ist tragisch, entschließt sich ein Mensch, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, wirft das natürlich Fragen auf. Warum ...? Weißt Du Näheres, wenn ja, möchtest Du den Lesern darüber etwas sagen?
Wolfgang Suckow war ein genialer Mensch. Und wie so oft, Genie und Wahnsinn sind eng beieinander. Er war ein sehr zerrissener Mensch, war auch depressiv. Diese Verbindung gibt es oft, gerade bei Künstlern. Er hatte auch privat sehr große Schwierigkeiten, mit Frauen zum Beispiel. Die letzte Beziehung war besonders schmerzhaft. Nachdem er einen Dreiseitenhof hergerichtet hatte, wurde er einfach "weggeschickt". Das war eine große Hoffnung, die da für ihn starb. Dazu hatte er ein Projekttheater in Dresden, wo es zwei Parteien gab. Die einen wollten das, die anderen das. Er war bei der Partei, die verlor. Also wieder ein Tiefschlag. In Indien ist er dem Tod von der Schippe gesprungen, nachdem er eine Salmonellenvergiftung hatte. Hat sich nach einem Treffen, das wir hatten, schon von hinten gesehen, in dem berühmten Tunnel ... Ich denke mal, da ist man eh schon gefährdet, wenn man das schon mal gesehen hat. Bei ihm kam irgendwie alles zusammen. Er hat sich dann an der Stelle in Moritzburg, wo er mal einen Baum gepflanzt hat, ins Auto gesetzt, eine Flasche Whisky getrunken, mitgeschrieben ... natürlich bei Sonnenuntergang. Hat dann geschrieben, jetzt reicht's, wie im Schützenpanzerwagen, weil er die Abgase hineinleitete ... und ich werde langsam müde ... Und dann ist er eingeschlafen.
Danach fortzufahren fällt nicht leicht ... wie ging es nach dem Ende von ZWEI WEGE für Dich konkret weiter?
Wie gesagt, ich war müde ... es gab ein paar kleinere Projekte. Die erste etwas größere Sache, bei der ich etwas aktiver wurde, nannte sich "Cyber Space Music" mit Peter "Kuno" Kühnel. Wir hatten böse Texte, alle sehr sarkastisch, fatalistisch, Mord, Totschlag, Blut, Trauer, Selbstmord, also selbstzerstörerische Themen. Wir hatten eine einzige Mugge in der Scheune in Dresden. Mit Datenhandschuh wurde da experimentiert und viel elektronisches Gemache. Es blieb bei der einen Veranstaltung. Wir haben noch ein paar Titel auf CD produziert. Das war es dann. Ich weiß nicht, wie lange ich dort tätig war, ein halbes Jahr oder so. Das war 1996. Dazu noch eine lustige Anmerkung: "Flieger Pietsch", der Keyboarder, ich weiß nicht einmal mehr, wie er richtig hieß, hat mir dort mal einen Joint angeboten, was ich hätte lassen sollen. Ich konnte zwei Tage nicht mehr laufen ... Aber, weil wir grad dabei sind, meinen ersten Joint habe ich geraucht mit dem 5. Beatle - mit Tony Sheridan. Das war im "Starclub" in Dresden. Ich kann mich nicht mehr entsinnen, mit welcher Band ich dort war. Jedenfalls bot mir Tony Sheridan im Backstage-Bereich, der aussah, wie eine "Rumpelkammer" (so war das damals), einen Joint an und ich hab' ihn auch geraucht. Wie es mir danach ging, weiß ich allerdings nicht mehr.
In den letzten 20 Jahren bist Du mit verschiedenen Projekten aktiv gewesen und bist es teilweise noch. Über alle werden wir nicht sprechen können, aber vielleicht erzählst Du uns zu einzelnen Projekten und Bands etwas. Was ist z. B. "Gualaceo"?
Gualaceo ist zuerst einmal eine Stadt in Südamerika. Der Bandname entstand durch Georg Wieland Wagner und seiner Freundin, später Ehefrau, die gern nach Südamerika reisten, sich in Land und Leute verliebt hatten. Sie wollten eine Band gründen, in der man spanisch singt und auch stilistisch in der Richtung komponiert. Eigene Titel wurden oft in der Stilistik des Landes geschrieben und es wurde nur spanisch gesungen. Ich sang solo und im Duett mit Eleonora und war verantwortlich für die Percussion Die Instrumentierung war auch ziemlich exotisch, nämlich Marimbaphon, also gut passend für diese Geschichte. Wie lange haben wir gespielt? Ich glaube, zwei, drei Jahre. Es gab auch Auftritte mit großem Orchester, mit dem Ensemble Kreativ aus Leipzig. Da kamen dann noch 10 bis 15 Mann dazu, Streicher, Bläser etc. Ach ja, das Thema war Pablo Neruda. Da hab' ich seine Texte interpretiert. Damit war der Grundstein für mich gelegt, was Lesungen und Hörbücher betrifft. Wir haben da große Sachen gemacht. Es wurde auch eine sehr interessante CD eingespielt. Das war eine schöne Zeit.
Dann ist da noch die Gruppe LONE WOLF. Was ist das für eine Band und was für Musik macht LONE WOLF?
Dort habe ich nicht gesungen, nur in einem Titel mal mit hinein "gequäkt", die zweite Stimme. Ich weiß gar nicht, warum ich damals so wenig gesungen habe. Ich habe bei LONE WOLF Schlagzeug gespielt. Tja, was war das damals, das war Rock, Rock'n'Roll, geradliniger Rock'n'Roll. Die Band mit Tino Zetzsche gibt es noch heute, sie heißt jetzt HEISSE MARMELADE.
Dann hätten wir da noch die EDEN BAND ...
Ja, die EDEN BAND ... wir haben immer im Wohnzimmer geprobt, in einem großen Wohnzimmer mit Blick über die Elbe in Dresden-Oberloschwitz auf der Ludwig Richter Straße. Dabei waren Michel Damme, Wolfgang Scheffler, Gründungsmitglied der Gruppe LIFT, der die vielen schönen Titel, die wir alle kennen, geschrieben hat. Das ging zwei, drei Jahre, war so eine "Nebenbei-Geschichte". Ein bisschen wie Familie. Jeden Sonntag fuhr man dahin und spielte. Wir haben LIFT-Titel gespielt, die Klassiker eben von Wolfgang und internationale, die den beiden Gitarristen auf den Leib geschrieben waren, Simon & Garfunkel und solche Sachen. Dort habe ich getrommelt und auch viel solo gesungen. Wir hatten ab und zu mal einen Auftritt, eine schöne "Nebenschiene" war das. Wirklich wie Familie. In der Zeit hatte ich kaum was anderes, es war einfach immer nett. Zwischendurch gab es auch Abstecher in den Schauspielbereich, so in Mark Corners Piano Man in einer Doppelrolle.
Nicht unterschlagen möchte ich COLORS OF PERCUSSION. Was hat es damit auf sich?
COLORS OF PERCUSSION war ein Duo-Programm mit Norbert Jäger von Stern Meißen. Ich erinnere mich nur an eine Veranstaltung im Alten Schlachthof in Dresden. Es war freie Improvisation zweier Percussionisten. Ohne Gesang, mit Einspiel von Sounds, Trommeln und Gongs, was das eben so hergibt. Ich glaube, wir hatten nur drei oder vier Veranstaltungen. Nebenbei habe ich Ausstellungseröffnungen gemacht mit diversen Leuten, wie Michael Schulze am Saxophon, welcher jetzt in Mexico lebt. Das sind so kleine Sachen, die haben immer wieder mal stattgefunden. Es war die Zeit, in der man immer noch nicht die Lust hatte, auf Dauer wieder auf die Bühne zu gehen. Der Antikhandel machte mir Spaß. 20 Jahre hatte ich den parallel zur Musik. Als er dann zusehends in den "Keller" ging, bin ich immer mehr in meinen eigentlichen Beruf zurückgekehrt.
Zur Bühnenrückkehr fällt mir spontan Dein "Tom Waits-Programm" ein.
Ich war der Meinung, bei Gualaceo müsste doch mal eine Zugabe kommen, die nicht spanisch gesungen wird. Man kann doch auch mal was anderes machen. Zu der Zeit fiel mir eine Kassette von Tom Waits in die Hände. Ich kannte Tom Waits nur vom Hörensagen. Ich hörte mir die Kassette an und da war der Titel "Martha". Ich dachte, das klingt wie "Old Man River" (HC singt die Zeile …). Da habe ich mir eine zweite Stimme vorgestellt und dachte, das könnte man vielleicht als Zugabe spielen, um mal was anderes zu machen im Gualaceo Programm. Ich schlug das vor, doch Wieland sagte: "Nee, nee, nee, nee ... wir bleiben bei spanisch." Nach 14 Tagen rief er mich an und sagte: "Ich weiß was, Du könntest Tom Waits singen". Und somit war die Idee zu dem Tom Waits Programm geboren. 2003 habe ich damit begonnen. Die erste Veranstaltung war in der Nähe vom Goldenen Reiter und ich hatte ganze fünf Gäste. Das war der Anfang. Das weiß ich noch. Gespielt haben wir das Programm bis 2008 etwa.
Ich hörte, in der zweiten Jahreshälfte 2014 wirst Du das Tom Waits-Programm wieder verstärkt zu Gehör bringen. Ist das so?
Aufgrund der vielen Nachfragen in der letzten Zeit. Seitdem ich wieder aktiv bin, kam immer wieder die Frage von Veranstaltern: "Machst Du Dein Tom Waits-Programm noch?" - "Nö." - "Schade, gerade das hätte ich gewollt." Ich habe mich eine ganze Weile gesperrt. Aber jetzt habe ich mich entschlossen, ab Mitte des Jahres soll es wieder auf die Bühne gehen mit Mila Georgiewa an den Keyboards.
Mila Georgiewa?
Ich muss da etwas ausholen. Zwischen 2011 bis Anfang 2013 etwa zog aus persönlichen/privaten Gründen eine sehr ruhige Zeit bei mir ein. Ich habe künstlerisch kaum was getan. Dann wollte es der Zufall, ich lernte Angelika Wittenbecher Hennig kennen. Sie kannte Straßenmusiker. Eine Straßenmusikerin war besonders interessant, nämlich Mila Georgiewa. Sie wurde sehr lustig oder skurril von Angelika kennen gelernt. Mila stand wie ein scheues Reh und schaute einem Pianisten auf der Prager Straße zu. Angelika fragte aus einem Gefühl heraus, "Willst Du nicht auch mal spielen? Kannst Du spielen?" Und Mila spielte ... dabei brach der Klavierhocker zusammen. Das störte sie nicht im Geringsten, sie spielte stehend weiter und sang ... "Highway To Hell" von AC/DC. Den Titel hatte sich einer aus dem Publikum gewünscht, vielleicht mit dem Hintergedanken, die kann das sowieso nicht. Angelika war begeistert, meinte, Mila ist genial. Ich sagte dazu nur, das müssen wir mal überprüfen. Ich habe ja in meinem Tom Waits-Programm den Titel "Never Talk To Strangers", im Original gesungen von Bette Midler. Wenn sie das singen kann ... dann ist sie vielleicht meine neue Bühnenpartnerin. Sie hat es mit Bravour gesungen und gespielt. Mila wurde meine neue Bühnenpartnerin.
Oft verbindest Du Tom Waits und Charles Bukowski zu Veranstaltungen, also Du liest Bukowski und singst Waits. Warum das, warum gerade diese Verbindung?
Durch meine Hörbuchgeschichte habe ich die Lesungen erweitert. Ich lese z. B. Charles Bukowski und singe Tom Waits. Das kam so. Vor drei oder vier Jahren wurde ich zum Literaturfest in Meißen eingeladen. Ich habe überlegt, was kann ich denn lesen? In meinem Freundeskreis in Meißen sagte jemand: "Na wenn der Schmidt Waits singt, dann soll er gefälligst Bukowski lesen." Ich habe gemerkt, dass die Texte von Bukowski und Waits eigentlich aus einer Feder stammen könnten. Und so hat sich das ergeben, dass ich Bukowski lese und Waits singe. Ab und zu gebe ich dabei die Texte von Waits auch in Deutsch, wo man dann merkt, dass die beiden Herren eigentlich seelenverwandt sind. So ist diese Kopplung eigentlich genial.
Um Deinen Satz mit der Hörbuchgeschichte zu verdeutlichen, gehe ich noch einmal etwas zurück, nicht alle wissen darüber Bescheid. 2011 erschien von H.C. Schmidt ein Hörbuch, "Stalingrad". Auf dieser CD liest er Worte und Gedanken von Walter Battisti und das so überzeugend, dass man friert. Untermalt wird das Ganze von Gänsehaut machenden Geräuschen. Wie bist Du eigentlich dazu gekommen, Dich einem so unrühmlichen Thema der deutschen Geschichte anzunehmen?
Ich war noch im Antikhandel tätig. Da kam eines Tages ein Mann herein. Er ist Maler, Grafiker, geboren in Bozen, also Tirol, hat hier studiert, lebt hier und hat immer bei mir Gemälde gekauft, die er schön fand. Irgendwann sagte er, dass er auch schreibt. Eines Tages brachte er mir ein Bündel Papier. Ich weiß noch, es war "Die Litanei des Wahnsinns". Da haben wir wieder Genie und Wahnsinn, Walter Battisti kann man ja auch in diese Ecke schieben. Ein genialer Künstler eigentlich. "Die Litanei des Wahnsinns" war mir dann aber doch zu wahnsinnig. Dann kam er wieder an, ich habe noch "Stalingrad". Das lag dann ein paar Wochen unter meinem Schreibtisch und irgendwann hab' ich es gelesen. Als ich mich festgelesen hatte, dachte ich, "Man ist das irre! Was für eine Sprache hat der Mann. Was kann man damit machen?" Und irgendwann machte es "klick", ein Hörbuch, ein ganz besonderes Hörbuch. Und so ist das Hörbuch "Stalingrad" entstanden.
Ich habe mehrere Lesungen erlebt, die CD gehört. Oft kommt mir der Gedanke, dieses Programm gehört in die Schulen. Hast Du schon einmal mit dem Gedanken gespielt, eine derartige Lesung in Schulen durchzuführen?
Wir haben Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, als Stalingrad letztes Jahr 75 Jahre her war. Wir haben sämtliche Gymnasien angeschrieben, auch beim militärhistorischen Museum in Dresden angefragt und sind gegen Wände gelaufen. Man kann als Fazit sagen, für alle Bemühungen - und die waren mehr als reichhaltig - war das Ergebnis "Null". Wir fragten im militärhistorischen Museum nach, warum nicht? Die Antwort: "Wir haben schon jemanden, der liest Feldpostbriefe, das reicht uns."
Hier muss ich mal unterbrechen, ich finde, dabei wäre es doch wichtig, die Menschen zu informieren, richtig zu informieren, damit sie nicht vergessen. Irgendwie ist das bedauerlich, dass so wenig Interesse daran vorliegt.
Einen Interessenten gibt es, den Kulturbahnhof in Radeburg. Dort werde ich das Programm 2014 vortragen. Der Veranstalter hat das Programm auf einen Freitag gelegt, damit er die Schulen auch dazu einladen kann. Das Hörbuch Stalingrad lese ich, wenn es denn gewünscht wird.
Dein musikalischer Weg ist doch sehr vielfältig. 2013 erschien von Dir eine CD, darauf sind zahlreiche Titel Deines Wirkens. Unter anderem aus Deiner Zeit bei Gualceo, Lone Wolf, Generator und natürlich fehlen auch Waits und ZWEI WEGE nicht. Der Titel des Silberlings: "H.C. Schmidt - Sammlung 1", lässt darauf schließen, dass es eine Fortsetzung geben wird. Ist etwas derartiges geplant?
Es wird sicherlich eine Sammlung 2 geben und vielleicht sogar eine Sammlung 3 und 4. Die Sammlungen werden in Heimarbeit erstellt, das Material ist oft sehr alt. Hauptsache, es ist etwas zu hören. (H.C. lacht.)
Da darf man also gespannt sein, welche Raritäten noch rausgekramt werden. Soweit ich weiß, ist die CD nicht überall zu haben. Wo kann man das gute Stück denn bekommen?
Heutzutage sind ja fast alle Menschen bei Facebook und bei einem H.C. Schmidt kann man dann Näheres erfragen.
Und wer nicht bei Facebook ist?
Es besteht die Möglichkeit, die CD bei Konzerten zu erwerben, da sind die Scheiben immer dabei. Oder man wendet sich an AH-Entertainment Dresden oder auch an Angelika Wittenbecher Hennig.
Du sprachst heute oft von der Verbindung Genie und Wahnsinn. Dabei fällt mir ein, ein "wahnsinniges" Programm hast Du doch jetzt auch noch im Repertoire.
Das Programm heißt "Sie und Er - Der musikalische Wahnsinn", zwei Stimmen und drei Keyboards ebenfalls mit Mila Georgiewa. Das ist ein Programm, buntes Programm klingt immer blöd, sagen wir, ein Programm von A bis Z.
Sozusagen von Wahnsinn bis Genie ... oder von Genie bis Wahnsinn ...
Ja, bitteschön, wenn Du möchtest, von Wahnsinn bis Genie ... Es ist sehr breit gefächert. Manch einem gefällt es sehr gut, die breite Fächerung, andere mögen so eine breite Fächerung nicht, die wollen lieber den ganzen Abend nur Blues oder Jazz oder Pop. Aber bei uns ist alles drin. Da ist Blues drin, Jazz, Balladen, ein bisschen das Skurrile, natürlich auch ein wenig bulgarische Folklore, auf unsere Art - Mila ist ja Bulgarin. Also wirklich ein sehr buntes Programm. Das ist auch nicht leise, sondern es "knallt" ganz schön. Für Mila ist auch noch ein Soloprogramm angedacht.
Damit sind wir schon fast am Ende des Interviews. Welche Pläne hast Du für 2014? Das Tom Waits-Programm, "Sie und Er - Der musikalische Wahnsinn", auch "Stalingrad" hast Du schon erwähnt. Was gibt es sonst noch von Dir zu erleben?
Relativ neu in meinen Programmen ist "H.C. Schmidt liest Francois Villon". Da gibt es für mich wieder eine Verbindung zu Bukowski, denn für mich ist Villon so eine Art Bukowski des Mittelalters. Hierfür habe ich einen guten Freund gewinnen können, mich bei diesen Veranstaltungen zu begleiten, Andreas Scotty Böttcher. Scotty ist für mich ein Weltspitzen-Musiker, Multi-Instrumentalist und Improvisationsgenie. Mit Synthesizer Improvisationen unterstützt er mich dabei. Da wird nicht geprobt, es geht irgendwann los und hört irgendwann auf. Da wird kein Ton geübt. Meine Lesungen sind immer mit Musik verbunden, entweder gesanglich oder instrumental. Es wird nie eine Lesung sein, wo nur gelesen wird, sie ist immer szenisch-musikalisch, also auch mit schauspielerischen Elementen und irgendwelchen Sounds. Ganz neu ist auch - das habe ich Angelika Wittenbecher Hennig zu verdanken, sie hat mich da mit der Nase drauf gestupst - die schönsten russischen Märchen zu lesen. Was mir sehr schwer fällt, denn ich lese eigentlich immer nur von Blättern, die ich links und rechts wegschiebe. Aber aus Büchern zu lesen, das ist für mich etwas schwierig. Da muss ich mir sogar eine Brille aufsetzen. Auch dieses Programm ist mit Musik verbunden. Am Ende singe ich "Wetschernij Swon" (Abendglocken) von Ivan Rebroff, begleite mich selbst am Keyboard. Das Lied hat nur zwei Harmonien, dadurch ist das gar kein Problem. Ein Theaterstück, ein humoristisches oder satirisches Stück für zwei Personen, "Laura und Lotte" von Peter Shaffer (Amadeus) bringe ich auch auf die Bühnen. Das witzige an dem Stück, Laura und Lotte werden von zwei Männern gespielt, von mir und Max Goelz. Das einzige Accessoire, das an Frauen erinnert, sind zwei Handtaschen, die die Herren tragen. Anabell Schmieder, eine Schauspielerin, führt durch das Programm. Und um die Programme komplett zu machen, Gedichte von Angelika Wittenbecher Hennig lese ich auch.
Gibt es Termine, die man sich für 2014 vormerken sollte?
Termine für die szenisch-musikalische Lesung Waits/Bukowski gibt es einige und zum Literaturfest in Meißen trete ich mit dem Villon-Programm auf. Im August geht dann mein Waits-Programm wieder an den Start. Die genauen Termine findet man dann im Internet.
Ich danke Dir für das Gespräch und wünsche Dir für Deine Projekte und Vorhaben viel Erfolg. Und das, glaub mir, kommt aus tiefstem Herzen. Möchtest Du am Ende den Lesern von Deutsche Mugge noch ein paar Worte mit auf den Weg geben?
Meine letzten, schönen, musikalischen Augenblicke hatte ich vor ein paar Tagen als Gast bei Dirk Zöllner in Langebrück (dank Angelika Wittenbecher-Hennig) genau in dem Monat, als 45 Jahre Bühne voll waren.
IHR, MEIN PUBLIKUM, SEID MEIN LEBENSELIXIER -
LOVE AND PEACE, HC
Mit 10 Jahren, na eigentlich schon früher, mit 6/7 Jahren bin ich zum Klavierunterricht gefahren, mit dem Fahrrad, die Noten auf dem Gepäckträger. Ich hab' das aber nicht lange gemacht, mich hat das gelangweilt. Ich wollte lieber in den Großen Garten gehen, Wasserflöhe, Fische und Vögelchen fangen. Ich habe das Klavierspiel also relativ vernachlässigt. Es hat mir auch nicht viel Freude bereitet. Dafür sind dann die späteren Jahre in der Jugend um so mehr von Musik geprägt worden. Also ich habe das Klavierspielen nur relativ sporadisch gemacht.
Die Eltern haben Dich also dazu gebracht, ein Instrument zu lernen. Hast Du sonst als Kind oder Jugendlicher noch eine musikalische Ausbildung genossen und wie verlief Dein Weg in jungen Jahren?
Der Klavierunterricht war meine musikalische Ausbildung ... alles andere war eher autodidaktisch. Mein Vater hat Gitarre gespielt, Mundharmonika und "Quetschkommode" und meine Mutter hat gesungen und Gitarre gespielt. Das steckt dann halt in den Genen. Mein zweites Instrument war eine Gitarre, die ich als Bassgitarre "missbraucht" habe. Da habe ich Bass gespielt auf einer viersaitigen Gitarre. Ich wusste nicht, wie man Bass spielt, ich habe da irgendwas gespielt, fragt mich nicht ... Wir traten in den Tanzsälen auf und ich habe da irgendwie Bass auf der Gitarre gespielt. Geklungen hat es gut, die Tanzsäle waren jedenfalls voll, meist in der Lausitz. Ich muss da so 15/16 gewesen sein. Ist nun 45 Jahre her. Man musste arbeiten gehen in der DDR, sonst galt man als asozial. Also musste auch ich irgendwelche Jobs machen. Meine Lehre als Werkzeugmacher habe ich abgebrochen, ich wusste, ich werde diesen Beruf nie ausüben. Übrigens habe ich diese Ausbildung mit meinem späteren Musikerkollegen von ZWEI WEGE, Thomas Lehmann, gemacht. Später war ich z. B. Verkäufer, in einem "Nylonkittel" verkaufte ich Metallwaren bei "Hecker's Sohn", eine weitere Arbeitsstelle war bei der Vermessung. Ich habe die Hochöfen in Freital, die Kühltürme und die neue Brücke in Dresden (gemeint ist die Carolabrücke) mit vermessen. Mein schönster Job war, auf der Kreuzstraße in Dresden, Eisenbahnen und Zubehör der gängigen Größen N, TT und HO zu verkaufen und zu reparieren. Hausmeister in einer Drogerie war ich auch. Bis irgendwann Bernd Aust an die Tür klopfte und fragte, ob ich nicht Sänger bei electra sein wollte, ich bekäme auch den Berufsausweis, die "Pappe". Dafür musste ich allerdings studieren. Ich entschied mich für ein Extern-Studium an der Musikhochschule Dresden. Extern-Studium bedeutet, ich musste alles selbst finanzieren, einen Jahresbeitrag für die Fächer in der Schule und die alleinigen Stunden, Klavier, Sprecherziehung, Schauspiel, Stimmphysiologie usw. Da hatte ich nun also wieder Unterricht am Klavier und wurde von der Frau Golf "geprügelt", dass meine Fingerchen schön gerade oder krumm sind. Ich weiß nicht mehr, wie die sein sollten. Ich habe eh gespielt, wie ich wollte. Vroni Fischer, die Kollegen von Stern Meißen, Gerhard Schöne, das waren so die Jahrgänge, als ich an der Hochschule war. Vielleicht noch eine witzige Episode: Die Thea Elster, meine Schauspiellehrerin, sagte immer, wenn der Gerhard Schöne kam: "Gerhard, was soll ich mit Dir machen? Du kannst nicht richtig Gitarre spielen, du lispelst. Ich weiß nicht, was ich mit Dir anfangen soll, wo soll man dich einsetzen?" Tja und heute ist er berühmt, vor allem für seine Kindergeschichten und ist dicke im Geschäft. So kann's im Leben gehen.
Ich gehe noch einmal etwas zurück, was war Deine erste Station als Musiker?
Meine erste Band hieß PRISONERS und hat auf dem Dachboden der Anton-Graff-Straße in Dresden, wo wir wohnten, geprobt. Ich rieche noch genau, wie es da roch, habe den Geruch förmlich in der Nase. Unser Schlagzeug war eine "Pioniertrommel", so eine mit den roten Zacken drauf, ein Becken, eine Fußtrommel und ein Blechbehälter. Mit 12, 13 oder 14 Jahren, das waren natürlich noch keine Auftritte, aber so fing es an.
War Musiker Dein Traumberuf oder bist Du eher durch Zufall dazu gekommen?
Es war immer mein Traumberuf. Dass es sich nun heute in die schauspielerische Ecke parallel entwickelt hat ... umso besser.
Die erste Station als Profimusiker war bei electra, wie ich aus dem Gespräch schließe.
Bei electra war die erste Station als Profimusiker mit "Pappe" (Berufsausweis), man kann ja auch Profi sein ohne "Pappe". Aber das war der Punkt, mit Berechtigung auch so genannt zu werden.
Wie ging es dann weiter? Mich interessieren alle Stationen, bis Du zu ZWEI WEGE kamst.
Die PRISONERS hatte ich schon erwähnt. Danach kamen die MEPHISTOS, es folgte das MODERN BLUES STUDIO, das war ein Quartett, ein Bassgitarrist, eine Sängerin, ein Gitarrist und ich am Schlagzeug. Das war ganz neu, denn bisher spielte ich nur Bass auf vier Saiten. Dann kam CONCRET, da gibt es jetzt auch eine CD davon, Blues Rock spielten wir da. War 'ne wunderschöne Zeit. Ich hatte alle Titel vergessen, bis Gunter Schulze auftauchte und mir zum 60. Geburtstag die CD brachte, mit Live-Mitschnitten von damals. Das ist 30 Jahre her - umwerfend! Danach kam electra und dann erst mal die "Fahne", also die Armeezeit, vor der ich mich bis dahin erfolgreich gedrückt hatte. Es folgte CONCRET 2, das war Bläserbesetzung, große Bläserbesetzung! Was haben wir gespielt? natürlich Blood Sweat & Tears und Chicago etc., acht Mann auf der Bühne. CONCRET 3, das war mehr in Richtung Schlager/Pop, CONCRET 4 folgte, das war die Bluesgeschichte mit besagter CD, die ich zum Geburtstag bekam. Danach wurde CONCRET in GENERATOR umbenannt. Wir haben den Titel ein wenig geklaut von "Van der Graaf Generator", einer britischen Progressive-Rock Band, also Peter Hammill. Und dort wurden nur Werke gespielt, Art Rock, Genesis, Pink Floyd, Colosseum, Peter Hammill, Van der Graaf Generator-Titel, die gingen eine halbe Stunde. Und danach kam ZWEI WEGE.
Also kommen wir zu ZWEI WEGE. 1982 haben vier Musiker die Band gegründet. Das waren Rainer Butze (voc, keyb, g), Thomas Lehmann (voc, key, g, tb), Wolfgang Suckow (voc, bg, dr, g) und Du (voc, dr, perc, tb). Mit welchem Ziel seid ihr damals an den Start gegangen?
Na wir wollten natürlich etwas machen, was viele wollen. Etwas, das ganz anders ist, als alle anderen es machen. Und da wir das Glück hatten, alle mehr oder weniger ausgebildete Sänger zu sein, also fit im Gesang waren, waren wir eigentlich zu DDR-Zeiten die "A Cappella Band". Ich weiß noch Die Prinzen, damals hießen sie noch AMOR & DIE KIDS, standen oft vor der Bühne und hatten ein "offenes Maul", wie die das da oben wohl machen mit dem Satzgesang. Auf der anderen Seite konnten wir alle ein Instrument spielen oder mehrere. Ich spielte mal Keyboard und der Keyboarder mal Schlagzeug. Jeder konnte das Instrument des anderen, teilweise nur geringfügig, aber es wurde so eingesetzt, dass keiner merkte, dass der gar nicht so fit auf dem Instrument war. Ich spielte z. B. Trompete, Rainer hatte fünf oder sieben Töne auf dem Saxophon, die er beherrschte, natürlich stilistisch grauenhaft, aber wir haben das einsetzen können, z. B. bei "Yellow Submarine", um diese Blasmusik hin zu bekommen und wenn es etwas schief klang, war es besonders interessant. Es war skurril und es reichte. Thomas spielte sehr passabel Tuba, die haben wir oft eingesetzt, z. B. nur Tuba mit A Cappella Gesang. Das war toll. Später haben wir natürlich auch visuell viel hinzugefügt. Wir hatten gute Techniker, haben z. B. Jalousien eingesetzt auf der Bühne, wo wir mit den Instrumenten hinter den Jalousien spielten. Davor haben wir nur A Cappella gemacht. Die Jalousien wurden dann aufgezogen und runter gelassen je nach Bedarf und man konnte auf sie wunderschöne Sachen projizieren, z. B. Bilder und Schriften. Wie hat es Wolle genannt, ein visiophones Spektakel. Wolfgang Suckow, der war so der geistige Kopf.
Damit hast Du meine folgende Frage: "Stimmt es, dass alle vier Musiker eine Ausbildung im Fach Gesang hatten?", eigentlich schon beantwortet.
Ja.
Die neue Band ZWEI WEGE nahm am Interpreten-Wettbewerb teil und sofort wurden zwei Preise abgeräumt. Mit welchem Titel seid Ihr damals angetreten?
Nicht mit einem Titel, wir hatten ein ganz normales Programm. Ich weiß nicht mehr, ob es eine halbe Stunde oder länger ging. Ich weiß nur, es war ein richtiges Programm. Dafür haben wir zwei Preise bekommen und machten daraufhin drei Titel bei AMIGA, später noch Rundfunkaufnahmen. Ich weiß es nicht mehr so genau.
Meine folgende Frage hast Du auch teilweise schon beantwortet. Wann habt Ihr die ersten Songs beim Rundfunk oder bei AMIGA produziert? Welche waren das?
Auf der LP "Kleeblatt Nr. 11" von AMIGA 1984 waren drei Titel von ZWEI WEGE. Das waren "Carla" (erschien 2007 auch auf CD "60 Jahre AMIGA"), "Fliegt mit uns" und "Halt mich fest". Letzterer erschien nochmals auf der LP "Rock-Bilanz 1984". Rundfunkaufnahmen waren neben den drei Titeln, die auf AMIGA erschienen waren, "Nickelbrillen Boogie" und "Soll denn das alles sein". Zum "Nickelbrillen Boogie" gibt es ein schönes Video, gedreht von Jürgen Mai. Das Video ist richtig schön gemacht. Man sieht uns als A Cappella Band und dazwischen immer eine Handlung zum Thema Nickelbrille. Zu verschiedenen Fernsehaufzeichnungen waren wir auch. Fünf Jahre ZWEI WEGE war Anlass für eine große Party. Da war das komplette Hygienemuseum in Dresden ausverkauft, mit allen Sälen und Räumen. Da waren auch Gäste dabei, ich weiß noch, z. B. Reinhard Fißler und Angelika Weiz.
Warum hat es, trotz des Erfolges, keine komplette Albumproduktion für die Band gegeben?
Zu einer LP ist es nie gekommen. Vielleicht waren wir zu gesellschaftskritisch. Man ließ uns gewähren als Ventil, wie so viele andere es durften. Oder wir waren etwas zu perfektionistisch oder einfach "pingelich", konnten uns nie entscheiden, machen wir das nun so oder so und da zog sich immer alles lange hin. Es dauerte Ewigkeiten, bis wir ein neues Programm zusammen hatten.
War die politische Wende im Land 1989 für die Band kein Auslöser einer Aufbruchsstimmung bzw. Inspiration und Antriebsfeder für eine eigene Platte?
Manchmal haben wir im Monat 25 Veranstaltungen gehabt. Also, uns ging es nicht schlecht, aber wir waren alle irgendwie bühnenmüde, richtiggehend bühnenmüde. Ich habe mich mit Antikhandel befasst, war nur noch gelangweilt auf der Bühne, Thomas Lehmann guckte mehr in Aktien, als nach den Notenblättern ... Wir haben noch ein Programm gemacht mit "wendeträchtigen" Themen, was natürlich keinen Menschen interessierte oder kaum jemanden. Dafür hatten wir uns noch mal Riesenmühe gegeben. Umsonst. Alle waren einfach müde, bühnenmüde. Da war bei uns, wie bei den meisten, erst mal Schluss. Wir wendeten uns anderen Dingen zu. Wie schon erwähnt, ich hatte meinen Antikhandel.
Diese Bühnenmüdigkeit war dann auch der Grund für das Ende von ZWEI WEGE?
Ja.
Knapp zwei Jahre nach dem "Aus" für ZWEI WEGE hat sich Dein Kollege Wolfgang Suckow das Leben genommen. Jeder Todesfall ist tragisch, entschließt sich ein Mensch, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, wirft das natürlich Fragen auf. Warum ...? Weißt Du Näheres, wenn ja, möchtest Du den Lesern darüber etwas sagen?
Wolfgang Suckow war ein genialer Mensch. Und wie so oft, Genie und Wahnsinn sind eng beieinander. Er war ein sehr zerrissener Mensch, war auch depressiv. Diese Verbindung gibt es oft, gerade bei Künstlern. Er hatte auch privat sehr große Schwierigkeiten, mit Frauen zum Beispiel. Die letzte Beziehung war besonders schmerzhaft. Nachdem er einen Dreiseitenhof hergerichtet hatte, wurde er einfach "weggeschickt". Das war eine große Hoffnung, die da für ihn starb. Dazu hatte er ein Projekttheater in Dresden, wo es zwei Parteien gab. Die einen wollten das, die anderen das. Er war bei der Partei, die verlor. Also wieder ein Tiefschlag. In Indien ist er dem Tod von der Schippe gesprungen, nachdem er eine Salmonellenvergiftung hatte. Hat sich nach einem Treffen, das wir hatten, schon von hinten gesehen, in dem berühmten Tunnel ... Ich denke mal, da ist man eh schon gefährdet, wenn man das schon mal gesehen hat. Bei ihm kam irgendwie alles zusammen. Er hat sich dann an der Stelle in Moritzburg, wo er mal einen Baum gepflanzt hat, ins Auto gesetzt, eine Flasche Whisky getrunken, mitgeschrieben ... natürlich bei Sonnenuntergang. Hat dann geschrieben, jetzt reicht's, wie im Schützenpanzerwagen, weil er die Abgase hineinleitete ... und ich werde langsam müde ... Und dann ist er eingeschlafen.
Danach fortzufahren fällt nicht leicht ... wie ging es nach dem Ende von ZWEI WEGE für Dich konkret weiter?
Wie gesagt, ich war müde ... es gab ein paar kleinere Projekte. Die erste etwas größere Sache, bei der ich etwas aktiver wurde, nannte sich "Cyber Space Music" mit Peter "Kuno" Kühnel. Wir hatten böse Texte, alle sehr sarkastisch, fatalistisch, Mord, Totschlag, Blut, Trauer, Selbstmord, also selbstzerstörerische Themen. Wir hatten eine einzige Mugge in der Scheune in Dresden. Mit Datenhandschuh wurde da experimentiert und viel elektronisches Gemache. Es blieb bei der einen Veranstaltung. Wir haben noch ein paar Titel auf CD produziert. Das war es dann. Ich weiß nicht, wie lange ich dort tätig war, ein halbes Jahr oder so. Das war 1996. Dazu noch eine lustige Anmerkung: "Flieger Pietsch", der Keyboarder, ich weiß nicht einmal mehr, wie er richtig hieß, hat mir dort mal einen Joint angeboten, was ich hätte lassen sollen. Ich konnte zwei Tage nicht mehr laufen ... Aber, weil wir grad dabei sind, meinen ersten Joint habe ich geraucht mit dem 5. Beatle - mit Tony Sheridan. Das war im "Starclub" in Dresden. Ich kann mich nicht mehr entsinnen, mit welcher Band ich dort war. Jedenfalls bot mir Tony Sheridan im Backstage-Bereich, der aussah, wie eine "Rumpelkammer" (so war das damals), einen Joint an und ich hab' ihn auch geraucht. Wie es mir danach ging, weiß ich allerdings nicht mehr.
In den letzten 20 Jahren bist Du mit verschiedenen Projekten aktiv gewesen und bist es teilweise noch. Über alle werden wir nicht sprechen können, aber vielleicht erzählst Du uns zu einzelnen Projekten und Bands etwas. Was ist z. B. "Gualaceo"?
Gualaceo ist zuerst einmal eine Stadt in Südamerika. Der Bandname entstand durch Georg Wieland Wagner und seiner Freundin, später Ehefrau, die gern nach Südamerika reisten, sich in Land und Leute verliebt hatten. Sie wollten eine Band gründen, in der man spanisch singt und auch stilistisch in der Richtung komponiert. Eigene Titel wurden oft in der Stilistik des Landes geschrieben und es wurde nur spanisch gesungen. Ich sang solo und im Duett mit Eleonora und war verantwortlich für die Percussion Die Instrumentierung war auch ziemlich exotisch, nämlich Marimbaphon, also gut passend für diese Geschichte. Wie lange haben wir gespielt? Ich glaube, zwei, drei Jahre. Es gab auch Auftritte mit großem Orchester, mit dem Ensemble Kreativ aus Leipzig. Da kamen dann noch 10 bis 15 Mann dazu, Streicher, Bläser etc. Ach ja, das Thema war Pablo Neruda. Da hab' ich seine Texte interpretiert. Damit war der Grundstein für mich gelegt, was Lesungen und Hörbücher betrifft. Wir haben da große Sachen gemacht. Es wurde auch eine sehr interessante CD eingespielt. Das war eine schöne Zeit.
Dann ist da noch die Gruppe LONE WOLF. Was ist das für eine Band und was für Musik macht LONE WOLF?
Dort habe ich nicht gesungen, nur in einem Titel mal mit hinein "gequäkt", die zweite Stimme. Ich weiß gar nicht, warum ich damals so wenig gesungen habe. Ich habe bei LONE WOLF Schlagzeug gespielt. Tja, was war das damals, das war Rock, Rock'n'Roll, geradliniger Rock'n'Roll. Die Band mit Tino Zetzsche gibt es noch heute, sie heißt jetzt HEISSE MARMELADE.
Dann hätten wir da noch die EDEN BAND ...
Ja, die EDEN BAND ... wir haben immer im Wohnzimmer geprobt, in einem großen Wohnzimmer mit Blick über die Elbe in Dresden-Oberloschwitz auf der Ludwig Richter Straße. Dabei waren Michel Damme, Wolfgang Scheffler, Gründungsmitglied der Gruppe LIFT, der die vielen schönen Titel, die wir alle kennen, geschrieben hat. Das ging zwei, drei Jahre, war so eine "Nebenbei-Geschichte". Ein bisschen wie Familie. Jeden Sonntag fuhr man dahin und spielte. Wir haben LIFT-Titel gespielt, die Klassiker eben von Wolfgang und internationale, die den beiden Gitarristen auf den Leib geschrieben waren, Simon & Garfunkel und solche Sachen. Dort habe ich getrommelt und auch viel solo gesungen. Wir hatten ab und zu mal einen Auftritt, eine schöne "Nebenschiene" war das. Wirklich wie Familie. In der Zeit hatte ich kaum was anderes, es war einfach immer nett. Zwischendurch gab es auch Abstecher in den Schauspielbereich, so in Mark Corners Piano Man in einer Doppelrolle.
Nicht unterschlagen möchte ich COLORS OF PERCUSSION. Was hat es damit auf sich?
COLORS OF PERCUSSION war ein Duo-Programm mit Norbert Jäger von Stern Meißen. Ich erinnere mich nur an eine Veranstaltung im Alten Schlachthof in Dresden. Es war freie Improvisation zweier Percussionisten. Ohne Gesang, mit Einspiel von Sounds, Trommeln und Gongs, was das eben so hergibt. Ich glaube, wir hatten nur drei oder vier Veranstaltungen. Nebenbei habe ich Ausstellungseröffnungen gemacht mit diversen Leuten, wie Michael Schulze am Saxophon, welcher jetzt in Mexico lebt. Das sind so kleine Sachen, die haben immer wieder mal stattgefunden. Es war die Zeit, in der man immer noch nicht die Lust hatte, auf Dauer wieder auf die Bühne zu gehen. Der Antikhandel machte mir Spaß. 20 Jahre hatte ich den parallel zur Musik. Als er dann zusehends in den "Keller" ging, bin ich immer mehr in meinen eigentlichen Beruf zurückgekehrt.
Zur Bühnenrückkehr fällt mir spontan Dein "Tom Waits-Programm" ein.
Ich war der Meinung, bei Gualaceo müsste doch mal eine Zugabe kommen, die nicht spanisch gesungen wird. Man kann doch auch mal was anderes machen. Zu der Zeit fiel mir eine Kassette von Tom Waits in die Hände. Ich kannte Tom Waits nur vom Hörensagen. Ich hörte mir die Kassette an und da war der Titel "Martha". Ich dachte, das klingt wie "Old Man River" (HC singt die Zeile …). Da habe ich mir eine zweite Stimme vorgestellt und dachte, das könnte man vielleicht als Zugabe spielen, um mal was anderes zu machen im Gualaceo Programm. Ich schlug das vor, doch Wieland sagte: "Nee, nee, nee, nee ... wir bleiben bei spanisch." Nach 14 Tagen rief er mich an und sagte: "Ich weiß was, Du könntest Tom Waits singen". Und somit war die Idee zu dem Tom Waits Programm geboren. 2003 habe ich damit begonnen. Die erste Veranstaltung war in der Nähe vom Goldenen Reiter und ich hatte ganze fünf Gäste. Das war der Anfang. Das weiß ich noch. Gespielt haben wir das Programm bis 2008 etwa.
Ich hörte, in der zweiten Jahreshälfte 2014 wirst Du das Tom Waits-Programm wieder verstärkt zu Gehör bringen. Ist das so?
Aufgrund der vielen Nachfragen in der letzten Zeit. Seitdem ich wieder aktiv bin, kam immer wieder die Frage von Veranstaltern: "Machst Du Dein Tom Waits-Programm noch?" - "Nö." - "Schade, gerade das hätte ich gewollt." Ich habe mich eine ganze Weile gesperrt. Aber jetzt habe ich mich entschlossen, ab Mitte des Jahres soll es wieder auf die Bühne gehen mit Mila Georgiewa an den Keyboards.
Mila Georgiewa?
Ich muss da etwas ausholen. Zwischen 2011 bis Anfang 2013 etwa zog aus persönlichen/privaten Gründen eine sehr ruhige Zeit bei mir ein. Ich habe künstlerisch kaum was getan. Dann wollte es der Zufall, ich lernte Angelika Wittenbecher Hennig kennen. Sie kannte Straßenmusiker. Eine Straßenmusikerin war besonders interessant, nämlich Mila Georgiewa. Sie wurde sehr lustig oder skurril von Angelika kennen gelernt. Mila stand wie ein scheues Reh und schaute einem Pianisten auf der Prager Straße zu. Angelika fragte aus einem Gefühl heraus, "Willst Du nicht auch mal spielen? Kannst Du spielen?" Und Mila spielte ... dabei brach der Klavierhocker zusammen. Das störte sie nicht im Geringsten, sie spielte stehend weiter und sang ... "Highway To Hell" von AC/DC. Den Titel hatte sich einer aus dem Publikum gewünscht, vielleicht mit dem Hintergedanken, die kann das sowieso nicht. Angelika war begeistert, meinte, Mila ist genial. Ich sagte dazu nur, das müssen wir mal überprüfen. Ich habe ja in meinem Tom Waits-Programm den Titel "Never Talk To Strangers", im Original gesungen von Bette Midler. Wenn sie das singen kann ... dann ist sie vielleicht meine neue Bühnenpartnerin. Sie hat es mit Bravour gesungen und gespielt. Mila wurde meine neue Bühnenpartnerin.
Oft verbindest Du Tom Waits und Charles Bukowski zu Veranstaltungen, also Du liest Bukowski und singst Waits. Warum das, warum gerade diese Verbindung?
Durch meine Hörbuchgeschichte habe ich die Lesungen erweitert. Ich lese z. B. Charles Bukowski und singe Tom Waits. Das kam so. Vor drei oder vier Jahren wurde ich zum Literaturfest in Meißen eingeladen. Ich habe überlegt, was kann ich denn lesen? In meinem Freundeskreis in Meißen sagte jemand: "Na wenn der Schmidt Waits singt, dann soll er gefälligst Bukowski lesen." Ich habe gemerkt, dass die Texte von Bukowski und Waits eigentlich aus einer Feder stammen könnten. Und so hat sich das ergeben, dass ich Bukowski lese und Waits singe. Ab und zu gebe ich dabei die Texte von Waits auch in Deutsch, wo man dann merkt, dass die beiden Herren eigentlich seelenverwandt sind. So ist diese Kopplung eigentlich genial.
Um Deinen Satz mit der Hörbuchgeschichte zu verdeutlichen, gehe ich noch einmal etwas zurück, nicht alle wissen darüber Bescheid. 2011 erschien von H.C. Schmidt ein Hörbuch, "Stalingrad". Auf dieser CD liest er Worte und Gedanken von Walter Battisti und das so überzeugend, dass man friert. Untermalt wird das Ganze von Gänsehaut machenden Geräuschen. Wie bist Du eigentlich dazu gekommen, Dich einem so unrühmlichen Thema der deutschen Geschichte anzunehmen?
Ich war noch im Antikhandel tätig. Da kam eines Tages ein Mann herein. Er ist Maler, Grafiker, geboren in Bozen, also Tirol, hat hier studiert, lebt hier und hat immer bei mir Gemälde gekauft, die er schön fand. Irgendwann sagte er, dass er auch schreibt. Eines Tages brachte er mir ein Bündel Papier. Ich weiß noch, es war "Die Litanei des Wahnsinns". Da haben wir wieder Genie und Wahnsinn, Walter Battisti kann man ja auch in diese Ecke schieben. Ein genialer Künstler eigentlich. "Die Litanei des Wahnsinns" war mir dann aber doch zu wahnsinnig. Dann kam er wieder an, ich habe noch "Stalingrad". Das lag dann ein paar Wochen unter meinem Schreibtisch und irgendwann hab' ich es gelesen. Als ich mich festgelesen hatte, dachte ich, "Man ist das irre! Was für eine Sprache hat der Mann. Was kann man damit machen?" Und irgendwann machte es "klick", ein Hörbuch, ein ganz besonderes Hörbuch. Und so ist das Hörbuch "Stalingrad" entstanden.
Ich habe mehrere Lesungen erlebt, die CD gehört. Oft kommt mir der Gedanke, dieses Programm gehört in die Schulen. Hast Du schon einmal mit dem Gedanken gespielt, eine derartige Lesung in Schulen durchzuführen?
Wir haben Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, als Stalingrad letztes Jahr 75 Jahre her war. Wir haben sämtliche Gymnasien angeschrieben, auch beim militärhistorischen Museum in Dresden angefragt und sind gegen Wände gelaufen. Man kann als Fazit sagen, für alle Bemühungen - und die waren mehr als reichhaltig - war das Ergebnis "Null". Wir fragten im militärhistorischen Museum nach, warum nicht? Die Antwort: "Wir haben schon jemanden, der liest Feldpostbriefe, das reicht uns."
Hier muss ich mal unterbrechen, ich finde, dabei wäre es doch wichtig, die Menschen zu informieren, richtig zu informieren, damit sie nicht vergessen. Irgendwie ist das bedauerlich, dass so wenig Interesse daran vorliegt.
Einen Interessenten gibt es, den Kulturbahnhof in Radeburg. Dort werde ich das Programm 2014 vortragen. Der Veranstalter hat das Programm auf einen Freitag gelegt, damit er die Schulen auch dazu einladen kann. Das Hörbuch Stalingrad lese ich, wenn es denn gewünscht wird.
Dein musikalischer Weg ist doch sehr vielfältig. 2013 erschien von Dir eine CD, darauf sind zahlreiche Titel Deines Wirkens. Unter anderem aus Deiner Zeit bei Gualceo, Lone Wolf, Generator und natürlich fehlen auch Waits und ZWEI WEGE nicht. Der Titel des Silberlings: "H.C. Schmidt - Sammlung 1", lässt darauf schließen, dass es eine Fortsetzung geben wird. Ist etwas derartiges geplant?
Es wird sicherlich eine Sammlung 2 geben und vielleicht sogar eine Sammlung 3 und 4. Die Sammlungen werden in Heimarbeit erstellt, das Material ist oft sehr alt. Hauptsache, es ist etwas zu hören. (H.C. lacht.)
Da darf man also gespannt sein, welche Raritäten noch rausgekramt werden. Soweit ich weiß, ist die CD nicht überall zu haben. Wo kann man das gute Stück denn bekommen?
Heutzutage sind ja fast alle Menschen bei Facebook und bei einem H.C. Schmidt kann man dann Näheres erfragen.
Und wer nicht bei Facebook ist?
Es besteht die Möglichkeit, die CD bei Konzerten zu erwerben, da sind die Scheiben immer dabei. Oder man wendet sich an AH-Entertainment Dresden oder auch an Angelika Wittenbecher Hennig.
Du sprachst heute oft von der Verbindung Genie und Wahnsinn. Dabei fällt mir ein, ein "wahnsinniges" Programm hast Du doch jetzt auch noch im Repertoire.
Das Programm heißt "Sie und Er - Der musikalische Wahnsinn", zwei Stimmen und drei Keyboards ebenfalls mit Mila Georgiewa. Das ist ein Programm, buntes Programm klingt immer blöd, sagen wir, ein Programm von A bis Z.
Sozusagen von Wahnsinn bis Genie ... oder von Genie bis Wahnsinn ...
Ja, bitteschön, wenn Du möchtest, von Wahnsinn bis Genie ... Es ist sehr breit gefächert. Manch einem gefällt es sehr gut, die breite Fächerung, andere mögen so eine breite Fächerung nicht, die wollen lieber den ganzen Abend nur Blues oder Jazz oder Pop. Aber bei uns ist alles drin. Da ist Blues drin, Jazz, Balladen, ein bisschen das Skurrile, natürlich auch ein wenig bulgarische Folklore, auf unsere Art - Mila ist ja Bulgarin. Also wirklich ein sehr buntes Programm. Das ist auch nicht leise, sondern es "knallt" ganz schön. Für Mila ist auch noch ein Soloprogramm angedacht.
Damit sind wir schon fast am Ende des Interviews. Welche Pläne hast Du für 2014? Das Tom Waits-Programm, "Sie und Er - Der musikalische Wahnsinn", auch "Stalingrad" hast Du schon erwähnt. Was gibt es sonst noch von Dir zu erleben?
Relativ neu in meinen Programmen ist "H.C. Schmidt liest Francois Villon". Da gibt es für mich wieder eine Verbindung zu Bukowski, denn für mich ist Villon so eine Art Bukowski des Mittelalters. Hierfür habe ich einen guten Freund gewinnen können, mich bei diesen Veranstaltungen zu begleiten, Andreas Scotty Böttcher. Scotty ist für mich ein Weltspitzen-Musiker, Multi-Instrumentalist und Improvisationsgenie. Mit Synthesizer Improvisationen unterstützt er mich dabei. Da wird nicht geprobt, es geht irgendwann los und hört irgendwann auf. Da wird kein Ton geübt. Meine Lesungen sind immer mit Musik verbunden, entweder gesanglich oder instrumental. Es wird nie eine Lesung sein, wo nur gelesen wird, sie ist immer szenisch-musikalisch, also auch mit schauspielerischen Elementen und irgendwelchen Sounds. Ganz neu ist auch - das habe ich Angelika Wittenbecher Hennig zu verdanken, sie hat mich da mit der Nase drauf gestupst - die schönsten russischen Märchen zu lesen. Was mir sehr schwer fällt, denn ich lese eigentlich immer nur von Blättern, die ich links und rechts wegschiebe. Aber aus Büchern zu lesen, das ist für mich etwas schwierig. Da muss ich mir sogar eine Brille aufsetzen. Auch dieses Programm ist mit Musik verbunden. Am Ende singe ich "Wetschernij Swon" (Abendglocken) von Ivan Rebroff, begleite mich selbst am Keyboard. Das Lied hat nur zwei Harmonien, dadurch ist das gar kein Problem. Ein Theaterstück, ein humoristisches oder satirisches Stück für zwei Personen, "Laura und Lotte" von Peter Shaffer (Amadeus) bringe ich auch auf die Bühnen. Das witzige an dem Stück, Laura und Lotte werden von zwei Männern gespielt, von mir und Max Goelz. Das einzige Accessoire, das an Frauen erinnert, sind zwei Handtaschen, die die Herren tragen. Anabell Schmieder, eine Schauspielerin, führt durch das Programm. Und um die Programme komplett zu machen, Gedichte von Angelika Wittenbecher Hennig lese ich auch.
Gibt es Termine, die man sich für 2014 vormerken sollte?
Termine für die szenisch-musikalische Lesung Waits/Bukowski gibt es einige und zum Literaturfest in Meißen trete ich mit dem Villon-Programm auf. Im August geht dann mein Waits-Programm wieder an den Start. Die genauen Termine findet man dann im Internet.
Ich danke Dir für das Gespräch und wünsche Dir für Deine Projekte und Vorhaben viel Erfolg. Und das, glaub mir, kommt aus tiefstem Herzen. Möchtest Du am Ende den Lesern von Deutsche Mugge noch ein paar Worte mit auf den Weg geben?
Meine letzten, schönen, musikalischen Augenblicke hatte ich vor ein paar Tagen als Gast bei Dirk Zöllner in Langebrück (dank Angelika Wittenbecher-Hennig) genau in dem Monat, als 45 Jahre Bühne voll waren.
IHR, MEIN PUBLIKUM, SEID MEIN LEBENSELIXIER -
LOVE AND PEACE, HC
Interview: Marion Dudel
Bearbeitung: mb, cr
Fotos: Marion Dudel, Archiv H.C. Schmidt
Bearbeitung: mb, cr
Fotos: Marion Dudel, Archiv H.C. Schmidt