Interview vom 25. August 2023
Vom Rock'n'Roll komme sie nicht los, sagt Angela Ullrich. Die Frau ist Schlagzeugerin und Mitbegründerin der ersten Mädchen-Rockband überhaupt. Wenn man über Musikgruppen spricht, in der ausschließlich Frauen aktiv sind oder waren, kommt unweigerlich der Name Supremes auf den Plan. Aber eine Rockband, in der jede Position weiblich besetzt war, gab es vor der Dresdner Gruppe NA UND noch nicht. Weder in der DDR noch sonst wo … Diese Band ist inzwischen Geschichte, aber Angela Ulrich seit fast 50 Jahren aktiv. Von NA UND ging es zur AGENTUR NULL und daraus entstanden die CRAZY BIRDS, mit denen sie noch heute die Bühnen beackert. In all den Jahren hat sie eine ganze Menge erlebt und im Oktober kommt ihre Karriere nun auch ins Fernsehen. Letzteres nahmen wir als Aufhänger, mit Angela Ullrich ein längeres Gespräch zu führen und ihre Geschichte nachzuzeichnen ...
Fangen wir beim aktuellen Geschehen an: Wenn die Leute jetzt Deinen Namen lesen, werden sie sich mit Sicherheit gleich fragen, was mit Deinem Kollegen Gisbert Koreng los ist, denn er ist ja jetzt raus aus der Band CRAZY BIRDS. Was genau ist los?
Gisbert geht es schon seit längerer Zeit gesundheitlich nicht mehr so gut und dies hat sich leider verschlechtert, so dass Gisbert im Juni von sich aus darum gebeten hat, aus der Band ausscheiden zu dürfen. Du weißt ja, Muggen sind nicht einfach zu machen, da muss man wirklich fit sein und das fiel Gisbert zunehmend schwerer. Dementsprechend fiel seine Entscheidung, aber ich halte natürlich nach wie vor mit ihm Kontakt. In den nächsten Wochen muss er noch mal ins Krankenhaus, dort wird er auf den Kopf gestellt und dann werden wir sehen, was dabei herauskommt. Aber er hat sich trotzdem entschieden, aus dem aktiven Spielbetrieb auszuscheiden. Dies bedeutet natürlich nicht, dass wir ihn - wenn es ihm besser geht und wir eine Mugge in der Nähe haben - für zwei oder drei Songs mit auf die Bühne holen.
Aber eine Rückkehr als festes Mitglied ist ausgeschlossen …
Ja, dagegen entschied er sich aufgrund seiner Erkrankung. Es ist sehr schade, wir bedauern es, aber Gesundheit geht vor und seine getroffene Entscheidung müssen und werden wir akzeptieren.
Gisbert Koreng (Foto: Gundolf "Kundi" Zimmermann)
Zu den CRAZY BIRDS kommen wir gleich noch. Du bist - wie wir alle wissen - eine Frau und Du spielst ein Instrument, das für eine Frau zu dem Zeitpunkt, als Du anfingst, es zu spielen, nicht unbedingt gängig war. Wie kamst Du zum Schlagzeug?
Das ist eigentlich eine ganz lustige Geschichte: Wir waren eine Mädchen-Clique in unserer Klasse und gingen ins Dresdner Rundkino zu einem Konzert der PUHDYS. Wir sahen das Konzert und beschlossen: "Wir machen unbedingt auch eine Band auf." Das war damals eine Initialzündung, alle guckten, was sie so zu Hause liegen hatten und ich war die einzige, die weder Gitarre, noch Flöte oder sonst was hatte. Also dachte ich mir, ich schnappe mir den Job des Schlagzeugers und baute mir erst mal selbst ein Schlagzeug aus Papierkörben, Topfdeckeln meiner Verwandtschaft und der Hutschachtel meiner Mutti - Letztere war meine Bassdrum. Es war also Zufall und durch diesen Zufall kam ich zu meinem Instrument. Bei der Aufnahmeprüfung an der Hochschule bestätigte mir man tatsächlich, dass bei mir Veranlagung und Talent genau auf dieses Instrument passen. Das war Schicksal und bestimmend für mein weiteres Leben ...
Du warst ja keine sechs oder sieben, sondern schon etwas älter. Ich glaube, Du warst 14, als das passiert ist …
Ja, genau. Weil ich eigentlich aus einem Elternhaus komme, in dem Musik gar nicht so aktuell war. Die Pianistin unserer Band hatte natürlich ein Klavier zu Hause stehen. Ich kam mehr oder weniger aus der sportlichen Ecke, machte als Kind eine Zeit lang Leistungssport. Das PUHDYS-Konzert war wirklich ein "Aha-Erlebnis" und ich dachte, genau das will ich jetzt unbedingt machen.
War das damals am Schlagzeug noch Wosylus oder schon Scharfschwerdt?
Zu der Zeit war das noch Gunther Wosylus, aber besonders imponiert hat mir damals bei diesem Konzert "Maschine".
Und dann habt Ihr Euch zusammen getan, witziger Weise nanntet Ihr diese Mädchenband "Dresdner Mädchenband". Eine ziemlich ungeschickte Namenswahl, wie ich finde … Wie kam es dazu?
Der Grund war, dass wir gemeinsam in einer Klasse und eine richtige Mädchen-Clique waren, die alles mögliche zusammen unternahm. Nur unsere Keyboarderin kam aus der Parallelklasse. Wir alle waren Dresdnerinnen - deshalb der Bandname. Mit der Zeit ergaben sich einige personelle Umbesetzungen, denn es stand ja die Zeit der Berufswahl an und die eine oder andere sagte: "Dann habe ich keine Zeit mehr …" Die Sache wandelte sich also noch ein wenig, aber der Ursprung lag bei uns in der Klasse. Es war also eigentlich Zufall, selbst meine Eltern hielten es für einen kurzzeitigen Spleen, aber es klappte tatsächlich.
Wann wurde der Name "Dresdner Mädchenband" in "NA UND" geändert?
Das war 1982. Wir fanden den Namen "Dresdner Mädchenband" irgendwie auch doof, denn wir hätten ja sonst was sein können, zum Beispiel ein Salon-Orchester oder ein Varieté-Ensemble. Uns sprachen auch viele Leute an und meinten: "Ihr seid doch Mädchen, warum macht Ihr denn Musik? Ihr könntet Euch doch auch für Häkeln interessieren …" Da sagten wir: "Na und" - wir sind zwar Mädels, wir wollen aber Rockmusik machen und das ziehen wir jetzt durch."
Also eher ein trotziges "Na und" …
Ja, genau das war es.
NA UND war dann letztlich die erste komplette Mädchen-Rockband in der DDR. Viele denken ja immer, es wären MONA LISE gewesen. Das stimmt aber nicht, es wart Ihr.
Genauso sieht's aus - wir gründeten uns bereits 1976, MONA LISE kamen erst Jahre später. Damals ist es so gewesen - was in Berlin passierte, wurde besser publiziert als das, was musikalisch in Dresden aktuell war. Das war eigentlich schon immer so und darüber weißt Du ganz sicher auch gut Bescheid …
Ja, das wurde hier schon oft erwähnt: Berlin war die Hauptstadt für Kultur, alles drumherum war Pampa …
Als wir jung waren, empfanden wir das gar nicht so schlimm. Wir hatten mit uns selbst zu tun und es fiel uns eigentlich erst im Nachhinein auf, dass unsere Band immer hinten runter fiel. Das lag aber nicht an uns, es ging auch anderen Bands in Dresden und anderswo so. Wir kämpften uns trotzdem durch.
Aber dennoch muss dieses Prädikat "Erste Mädchenband der DDR" ja die Presse interessiert haben, dass da plötzlich fünf Mädchen Musik machen. Oder?
Ja, das interessierte die Dresdner Presse schon und wir bekamen auch einige Artikel ab, aber diese Kunde drang nicht bis "in die Hauptstadt" durch. Das war das Kuriosum.
Gab es für Dich zur Musik noch eine Alternative nach der Schule oder war für Dich sofort klar, "Ich bleibe hier, ich mache Musik, ich mache Kunst"? Oder gab es auch noch einen bürgerlichen Beruf?
Ich wusste mit 16 eigentlich gar nicht, was ich werden sollte. Musik war mein totales Hobby und ich war froh, erst noch mal zwei Jahre auf die Penne zu kommen. Dort hatte ich weiter Zeit zum Überlegen und es kristallisierte sich heraus, dass ich keinesfalls den mir anempfohlenen Lehrerberuf antreten werde und fing an, Kulturwissenschaften zu studieren. Das hatte wenigstens ein bisschen was mit Musik zu tun und außerdem war der Studienort so in der Nähe, dass ich jederzeit nach Dresden zurück konnte, um mich um die Band zu kümmern. Das waren meine Beweggründe. In genau dieser Zeit - während des ersten Studienjahres - bestand ich dann die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik "Carl Maria von Weber" in Dresden und danach war für mich natürlich völlig klar, dass ich das Kulturwissenschaftstudium nicht beenden werde, sondern Musik studiere.
Du nahmst also Anfang der 80er ein komplett anderes Studium auf, nämlich ein Musikstudium an der Musikhochschule "Carl Maria von Weber" in Dresden und warst dort die erste weibliche Studentin in der Abteilung Tanzmusik, Fach Schlagzeug. Witziger Weise wieder eine Premiere …
Das war tatsächlich ein Novum, das hatte es vorher noch nicht gegeben. Ich war ausschließlich unter männlichen Kollegen, was mich aber überhaupt nicht störte. Das war alles okay.
Und immer parallel dazu lief die Geschichte mit NA UND weiter. Ihr spieltet immer schön live, aber gab es denn mit NA UND auch schon Rundfunkproduktionen, wie das früher in der DDR üblich war?
Nein, das passierte erst sehr viel später. Wobei das keine Rundfunkproduktion in dem Sinne war. Es gab ein "DT64-Jugendkonzert" mit den Dresdner Bands "electra" , "ZWEI WEGE", und "Na Und". Für diesen Anlass konnten wir im Hochschulstudio drei Songs aufnehmen, die damals Michael Heubach für uns geschrieben hatte. Das Konzert wurde aufgenommen und auch bei DT64 gesendet, aber die einzelnen Titel wurden im Rundfunk nicht gespielt.
Wenn Ihr Konzerte gegeben habt, was habt Ihr denn live gespielt? Ihr hattet ja sicher nicht nur eigene Lieder, sondern werdet auch international und national gecovert haben, oder?
Das auf jeden Fall …
Wie sah Euer Live-Programm aus?
In der Anfangszeit mit 14 spielten wir Songs von SLADE, STONES und BEATLES, wie sicher die meisten "Anfänger-Bands". Im Amateurstatus war damals vorgeschrieben, dass 60 % eigene oder DDR-Titel gespielt werden mussten, 40 % durften internationale Titel sein. Neben den eigenen Sachen suchten wir uns dann schon interessantere Songs aus und spielten zum Beispiel "Danach kräht kein Hahn mehr" von SILLY und da gaben wir uns auch richtig Mühe, um diese 60 % mit Songs zu befüllen, mit denen wir uns identifizieren konnten.
Angela Ullrich (Foto: Petra Meißner)
Das Hauptaugenmerk lag also nicht auf Bands, die eine Sängerin hatten, wie beispielsweise CLOUD oder Suzi Quatro, sondern Ihr machtet quasi alles, worauf Ihr Bock hattet?
Ganz genau. Und das war letztlich keine schlechte Schule.
Zu einem sehr einschneidenden Ereignis kam es 1983, als Ihr zwei Kolleginnen verloren habt. Das waren Eure Bassistin Susanne Rahm und Eure Keyboarderin Marion Häußler. Was ist denn da passiert?
Wir waren mit zwei Autos unterwegs auf dem Weg nach Schwerin zu unserem letzten Konzert der jährlichen Ostsee-Tournee. Das zweite Auto prallte bei einem Ausweichmanöver frontal gegen einen Baum. Für die beiden Mädels kam jede Hilfe zu spät und unsere Sängerin war schwer verletzt. Diese Sache habe ich eigentlich bis heute noch nicht verwunden. Es war damals ein absoluter Schockzustand und wir überlegten, ob wir überhaupt noch weiter machen. Ich denke jedoch, die Variante, weiter zu machen, war die bessere. Ansonsten wären wir in ein tiefes Loch gefallen und mir half die Musik aus diesem ganzen Scheiß wieder heraus. So kann man es sagen. Ich sah neulich einen Film über METALLICA, die den gleichen Schicksalsschlag hatten. Die begannen zusammen zu spielen, als sie 19 waren und drei Jahre später gab es während ihrer Tour auch einen Unfall, bei dem ihr Bassist tödlich verunglückte. Das hängt ihnen bis heute an, das ist einfach so. Diese Parallele verblüffte mich.
Du sagtest gerade, es ist ziemlich schwer, dann wieder aufzustehen und weiter zu machen. Doppelt schwierig wird es ja in dem Sinne, dass Ihr eine Mädchenband wart und das auch bleiben wolltet. Nun konntet Ihr aber nicht hergehen und sagen, "Da ist eine Bassistin und da ist eine Keyboarderin". Wie war es denn möglich, da überhaupt Ersatz zu finden?
Die neue Keyboarderin hatte sich kurioserweise bereits zwei Jahre vorher mal bei uns vorgestellt. Sie spielte nicht in einer Band, sondern begleitete in einem Zirkus ihre Mutter am Piano. Sie besuchte uns immer mal, wir kannten sie also bereits. Insofern war das ein recht kleiner Schritt und wir fragten, ob sie aufgrund dieser beschissenen Situation nicht bei uns einsteigen wolle. Die Bassistin fanden wir mehr oder weniger durch Mundpropaganda. Auch eine Dresdnerin, wir hatten also großes Glück, dass wir wieder zwei Dresdner Mädchen in die Band hinein bekamen.
Du sagtest gerade, das Ganze bis heute noch nicht überwunden zu haben. Nun stelle ich es mir ausgerechnet live ziemlich schwer vor, wenn da plötzlich beim ersten Konzert nach dieser Geschichte zwei andere stehen. Was ging da in Dir vor?
Ich war voll konzentriert auf das Programm, aber es war wirklich schwierig. Das hatte natürlich nicht nur mit dem ersten Konzert zu tun, wir gingen ja auf Tour und es gab viele Parallelen. Natürlich dachte ich immer an Suse und Marion - die "dunklen Momente" kamen meist nach den Konzerten. Aber da wir in dieser Zeit sehr viel spielten, hatte man nicht all zuviel Zeit darüber nachzudenken - es musste ja weitergehen ...
Waren die beiden verunfallten Mädels denn auch Schulkameradinnen oder waren das schon welche, die danach zur Band dazu stießen?
Nein, sie kamen danach.
Noch eine personelle Veränderung gab es 1984, als Ina Morgenweck zu Euch kam …
Sängerinnen waren ständig ein Thema, weil die Position der Sängerin bei uns immer vakant war. Es war schwer, gute Sängerinnen zu finden und unser Sängerinnenverschleiß war ziemlich hoch. Sie zu halten war aus verschiedenen Gründen ziemlich schwierig: Wir hatten eine wirklich gute Sängerin, ihr wurde dann jedoch von ihrem Mann vorgeschrieben, zu Hause zu bleiben. Danach gab es eine Ausreise-Kandidatin, die dann auch weg war, und die dritte Kandidatin ging wieder nach Berlin zu ihrer alten Band zurück, weil sie sich wieder mit ihren alten Kollegen vertragen hatte ... und dann kam zum Glück Ina!
Und wo kam Ina plötzlich her?
Ina lernten wir kennen, weil ein Techniker aus Leipzig zu NA UND kam. In seiner bisherigen Band sang Ina Morgenweck und sie suchte auch gerade ein neues Betätigungsfeld. So kam sie zu uns und es war eine wirklich musikalische und menschliche Bereicherung und wunderbare Arbeit mit ihr - das war richtig professionell.
Dennoch ging es nicht mehr so lange weiter mit NA UND, denn Ihr habt ja dann Mitte der 80er Eure Arbeit eingestellt. Warum ging es nicht weiter mit Euch?
Es tat sich eine Entwicklung auf, in der das Leistungsniveau in der Band zunehmend auseinander klaffte, das machte musikalisch unzufrieden. Hinzu kamen auch einige private Querelen … Einfach mal als Beispiel: Wir spielten in Ungarn vor 10.000 Leuten bei einem Festival und dort gesellte sich plötzlich der Manager des angesagtesten Rock-Clubs in Budapest und der "OMEGA" Sänger Janos Kobor zu uns und luden uns für den Abend spontan zu einem Auftritt in diesen Club ein. Das wäre für uns natürlich eine super Chance gewesen, aber unsere Gitarristin meinte: "Nein, das machen wir nicht, ich muss mich erst mal frisch machen. Das mache ich nicht mit." Das war eine Sache, wo endgültig "Amateurgehabe" auf "Profiliga" traf. Ina und ich sahen uns an und beschlossen, dass es sich erledigt hat und wir kündigten. Wir hatten die Schnauze voll und mir selbst machte es keinen Spaß mehr, in meiner eigenen Band Musik zu machen. Ich nahm mir vor, mich nach etwas Neuem umzusehen oder eine neue Band zu gründen. Aber nicht wieder mit Mädels, sondern mit Männern.
Autogrammkarte Agentur Null 1985 (Foto: Archiv Harald Seidel)
1985 gründetest Du dann die Band AGENTUR NULL. Nur mit männlichen Kollegen, Du warst die einzige Dame. Aus welcher Idee entstand diese Band und warum "AGENTUR NULL"?
Nach unserer Kündigungsfrist waren Ina und ich weg, ich nutzte aber die Zeit schon, um an der Musikhochschule meine Fühler bei meinen Mitstudenten auszufahren. Ich fand hier den Sänger, den Bassgitarristen und den Keyboarder, die noch nicht so viel zu tun hatten und die Idee mit der neuen Band gut fanden. Da wir uns vom Studium her kannten, war es auch kein großes Problem, zusammen zu spielen. Einen der Kollegen, den Gitarristen, kannte ich, weil ich parallel zu NA UND schon in seiner Band aushalf, auch ihn zog ich mit in die neue Band rüber und so ging es eigentlich relativ schnell, dass ich wieder mit einer spielfähigen Truppe auf der Bühne stand. Die Idee für den Bandnamen brachte unser Manager Harald Seidel mit - so hieß in den 70er Jahren eine Fernsehserie über ein Pariser Detektivbüro. Den Namen fanden wir passend, denn wir fühlten uns auch wie Detektive, ständig auf der Spur nach neuen musikalischen Ideen.
Wer gehörte damals zur Gründungsbesetzung? Uwe Hiob als Sänger weiß ich …
Genau. Weiter waren Tino Taubert am Bass, Enno Schöniger an der Gitarre, Hendrik Borsitz an den Keyboards und ich als Schlagzeugerin dabei. Also die klassische 5er-Besetzung.
Relativ schnell hattet Ihr eigenes Material am Start. Kurz nach der Bandgründung gab es eine Zusammenarbeit mit Fred Gertz und IC Falkenberg. Wie kam es dazu?
Wir hatten einiges an Songmaterial und suchten nach Textern. Mit IC Falkenberg war es so, dass die Verbindung zu STERN MEISSEN schon immer irgendwie gegeben war. Wir fragten an und es klappte auch tatsächlich - er war damals relativ unkompliziert und schrieb uns sofort drei Texte. Fred Gertz wurde uns vom Rundfunk vermittelt, man legte ihn uns ans Herz. Die Texte, die er uns dann letztlich schrieb, passten richtig gut zur Musik und mit diesen hatten wir auch keine Probleme beim Rundfunk-Lektorat, was ja auch immer eine Klippe war, die es zu umschiffen galt.
Was Euch mit NA UND auch nicht unbedingt gelungen ist, gelang Euch mit AGENTUR NULL: Ihr konntet beim Rundfunk zunächst einen Titel produzieren. Er hieß "Als sie ging". War er auch ein IC Falkenberg-Titel?
Nein, das war der Song, den Fred Gertz getextet hatte.
Und von wem kam die Komposition?
Die kam direkt aus der Band vom Keyboarder. Auch das war ein Punkt, in dem sich AGENTUR NULL von NA UND unterschied. Die Eigenkreativität bei NA UND war nicht so gegeben. Michael Heubach schrieb uns Songs, denn unsere eigenen waren so wirklich prickelnd nicht. Das war sicher auch der Tatsache geschuldet, dass man viel zu jung war und keine Erfahrungen in dieser Richtung hatte. Bei AGENTUR NULL waren wir eben auch schon etwas älter und hatten etwas mehr Durchblick … (lacht)
Was war denn das für ein Erlebnis, zum ersten Mal in ein Studio zu gehen und seine eigenen Lieder produzieren zu können?
Das war schon aufregend! Aber das legt sich schnell, wenn man im Schaffensprozess steckt und völlig in der Arbeit versinkt.
Autogrammkarte Agentur Null 1988 (Foto: Archiv Harald Seidel)
Wie kam die Nummer denn beim Publikum an? Sie war ja in einigen Wertungssendungen dabei, wie kam sie draußen an?
Es war ein Song, der top zu Uwe Hiob als Sänger passte und die Leute nahmen ihn voll an.
Immerhin brachte Euch das Lied dann auch in Fernsehsendungen wie "STOP! ROCK", "rund", "Sprungbrett" und "Showkolade". Auch das war ja für Euch bzw. für Dich etwas völlig Neues, oder?
Meine erste Fernsehsendung war eine Sendung des DDR-Fernsehens, "Unterhaltung, mein Beruf", über die Dresdner Musikhochschule. Zu sehen bin ich unter anderem in dieser Sendung mit der Hochschul-Bigband unter Leitung von Günter Hörig mit dem Song "Perdido". Diesen kann man übrigens bei "Youtube" sehen. AGENTUR NULL war bis dahin noch nie im Fernsehen gewesen. Als es dann zum ersten Mal für uns los ging, fuhren wir also dort hin, staunten und ließen uns überraschen. Das war natürlich beeindruckend, eine coole Atmosphäre, aber man gewöhnt sich auch daran. Beim zweiten Mal ist man schon gelassener, aber wir waren natürlich stolz drauf.
Welche war denn die erste TV-Sendung?
Die erste Sendung für uns war tatsächlich "STOP! ROCK", das war die Wertungssendung für Rockmusik, die immer am Montag um 19.00 Uhr lief, wenn ich mich recht erinnere.
Dann gab es weitere Lieder, die ihr produziert habt. Zum Beispiel "Raus aus der Stadt" und "Ich hab keine Angst vorm Fliegen". Beide wurden vom damaligen Rundfunklektorat kassiert. Warum?
Eine richtige Begründung bekam man nicht, uns wurde gesagt, die Songs wären musikalisch nicht das, was die Leute interessieren würde. Das Ende der 80er war eine Zeit, wo alles, was mit "raus" oder "fliegen" zu tun hatte, von irgendwelchen Leuten so gesehen wurde, dass es eventuell in eine gefährliche Richtung gehen könnte. Damals ging ja die Ausreisewelle los, ich denke, das war einer der Gründe, warum man das eher nicht nahm. Aber die Songs kamen draußen beim Publikum gut an.
Gibt es die Lieder denn noch irgendwo als Konserve oder wurden sie komplett eingestampft?
Wir haben lediglich noch ein einziges Band von "Raus aus der Stadt", das konnten wir retten und liegt in unserem Hochsicherheitsarchiv … (lacht) Die anderen sind nicht mehr vorhanden, bzw. nur noch als Demoaufnahmen.
Dann las ich irgendwo, dass die Band nach musikalischen Querelen zerbrach und Du sie im März 1988 komplett neu aufgestellt hast. Was war da los?
Es gab in Dresden das Nachwuchsfestival "Der Goldene Rathausmann". Dorthin wurden Studenten von der Hochschule, von denen man annahm, sie könnten gut ankommen, delegiert. Auch Uwe Hiob wurde zu diesem Festival "delegiert" und belegte dort den zweiten Platz. Natürlich auch mit unseren eigenen Sachen, aber sein Interesse war damals poppiger. Und in genau diese Kladde wollte man dann auch die Band stecken. Es wurde also geliebäugelt in Richtung MÜNCHENER FREIHEIT, und das war nun absolut nicht mein Ding. Das wollte ich nicht, ich wollte schon immer in die rockige Richtung. Der Gitarrist - der auch auf die rockige Schiene stand - schied aus, weil er privat etwas anderes vor hatte. Keyboarder und Bassist tendierte ebenfalls in diese Pop-Richtung mit hinein und so stellte ich die Band noch mal komplett neu auf. Damals lernte ich unseren jetzigen Bassisten und Sänger Tom Vogel aus Dresden kennen. Ihn sah ich bei einem Talente-Festival in Riesa mit einer Amateurband auf der Bühne und für mich stand fest: "Genau den will ich haben." Nach diesem "Sehen und Hören" wusste ich, das funktioniert. Er ist ein sehr kreativer Mensch, es machte wieder Spaß. Von ihm stammten in dieser Zeit die meisten Songs und Texte. In der Band waren jetzt auch der aus Jena stammende Keyboarder Christian Kusch († 2007) - ihn lernte ich an der Musikhochschule kennen - Gitarristin Katrin Jaeckel aus Brandenburg und der Sänger Michael Müller.
Dann kam ja Ende der 80er Jahre diese Aufbruchszeit, viele hauten ab, es brodelte schon, die Leute ahnten, dass sich etwas ändert und dann kam die Wende. Trotzdem habt Ihr in dieser Zeit gearbeitet und auch neue Lieder entstehen lassen. Auf meinem Zettel stehen die Songs "Verlaufen", "Halbe Herzen" und "Rebellische Liebe". Wurden die produziert oder lauern die noch irgendwo auf Papier in der Schublade?
"Rebellische Liebe" konnten wir noch produzieren und das wollte der Rundfunk auch senden. Der Song entstand 1989 kurz vor der Wende, wurde dann allerdings nicht mehr gesendet, weil auch bei DT64 alles den Bach herunter ging. Leider haben wir davon auch keine Aufnahme mehr.
Und die beiden anderen Songs?
Da gibt es wohl noch Konservenmitschnitte von uns selbst, vom Rundfunk wurden sie aber nicht produziert.
Pressefoto für Bregenz: Agentur Null 1990 (Foto: Archiv Harald Seidel)
Für ein komplettes Album hat es nie gereicht, oder?
Die Zeit dafür war - denke ich - einfach viel zu kurz. Bis zur Wende waren wir viel unterwegs, denn wir lebten ja von der Musik. Vielleicht hätte man sich mehr Zeit dafür nehmen müssen, aber wir mussten spielen, um unseren Beruf ausüben zu können. Nachträglich betrachtet, hätte man sich etwas mehr auf den Hintern setzen und zusehen müssen, dass man da etwas mehr auf die Reihe bekommt.
Aber dass AMIGA schon Interesse bekundet hatte, mit Euch eine Platte zu machen, das gab es nicht, oder?
Das gab es überhaupt nicht. Es gab kurz vor der Wende lediglich mal eine Anfrage für einen Sampler, aber bei der Anfrage blieb es - es wurde nichts mehr draus. Mit der neuen Besetzung waren wir zu kurz unterwegs, da hätte man wenigstens mit einem Titel im Rundfunk richtig landen müssen. Dafür war zu wenig Zeit …
Da müssen wir noch mal einen kurzen Schritt zurück machen: Wo ging denn der Kollege Hiob hin, als er bei Euch raus war?
Seine damalige Band hieß BLAUE ENGEL - die gibt es schon lange nicht mehr. Uwe Hiob war danach als Solist unterwegs und hat dann auch lange Jahre überhaupt keine Musik mehr gemacht, sondern als Gesangslehrer und Coach gearbeitet.
1990 seid Ihr mit der AGENTUR NULL ins Ausland gereist, nämlich nach Bregenz in Österreich …
Das war eine ganz schöne und überraschende Einladung, die wir bekamen. Vor aller Freude dachten ich, wir müssen etwas Besonderes machen und stockten somit die Besetzung etwas auf. Man kennt sich ja untereinander und es gibt ein paar Sachen, die man auch gerne mal mit anderen Leuten macht, also nicht nur mit der eigenen Band. Ganz lange Zeit - seit den frühen 80er Jahren - kenne ich Buzz Dee Baur und es gab einen tollen, aus Cottbus stammenden Gitarristen, nämlich Micha Jurischk. Er verstarb leider viel zu früh im vergangenen Jahr. Mein Hintergedanke dabei war der, dass ich ja schon immer in die etwas härtere Ecke geschielt hatte. Also fragte ich Buzz Dee und Micha: "Was haltet Ihr davon, wenn Ihr zusammen mit uns nach Bregenz fahrt?" Micha meinte, er hätte zwei Songs, die da richtig gut passen könnten, und so marschierten wir mit den beiden Songs nach Bregenz. Den anderen Festival-Teilnehmern fiel bei der musikalischen Wucht unserer Songs die von der Bühne kam die Kinnlade runter, aber leider klappte es nicht mit dem ersten Platz. Wir waren bei diesem Intertalente-Festival die letzten offiziellen Teilnehmer der untergehenden DDR. Die Teilnahme an dem Festival war ein super Erlebnis und hat uns sehr beeindruckt. Mit unserem Auftritt beim Intertalente-Festival war die Welt musikalisch noch mal für uns in Ordnung ...
P.S.: noch eine kleine Anekdote am Rand - da wir mit unserem Barkas in Bregenz waren, waren wir für die Österreicher die Band mit dem "Trabant-Bus" ...
Ich vermute aber mal, Euch wird es genauso gegangen sein, wie all den anderen Kapellen aus Deiner Region: Es gab nach der Wende ein großes Loch, oder?
Nachdem wir aus Österreich zurück waren, war absolute Ruhe im Bau. Und nicht nur in meiner Region, sondern im gesamten "ostdeutschen Land", auch in Berlin! Wir hatten keine Verträge mehr, alles wurde gekündigt und es war musikalisch einfach nichts zu tun. Nun saßen wir da und überlegten, was man machen könnte …
Aber aufgelöst wurde die Band offiziell nie, oder?
Nein. Es war eigentlich mehr oder weniger jedem klar, dass wenn wir uns alle geschüttelt und in die neue Zeit "hinein gefuchst" haben, wir irgendwann wieder los machen würden.
1992 packtest Du es an, Ihr gingt wieder auf die Bühne. Natürlich war Tom Vogel wieder dabei sowie Andreas "Bruno" Leuschner und Ecki Lipske. Wie kam es denn dazu, dass die beiden electra-Jungs zu Dir gestoßen sind?
Gitarristin Katrin Jaeckel ging mit Keyboarder Christian Kusch 1991 gemeinsam nach München und sie blieben dort. Die beiden electra-Jungs kannte ich durch die Hochschule schon, bevor sie überhaupt bei electra spielten! Es klappte aber nie, dass wir tatsächlich in einer Band spielten, obwohl sie immer Kandidaten waren, die ich in der Band haben wollte. 1992 klappte das dann, auch der Sache geschuldet, dass electra zu dieser Zeit nicht spielte. Sie hatten dasselbe Problem wie wir - keine Muggen. Also stieß ich das Ganze an und sagte: "So Leute, aber jetzt können wir mal wieder losziehen." In der Anfangszeit war es schwer und zäh, aber wir zogen es durch. Das sind die Leute, die mich bis jetzt begleiten. Tom Vogel natürlich mit Abstand am längsten, aber "Bruno" Leuschner und Ecki Lipske fast genauso lang. Wir standen auch immer in Kontakt. Wenn man eine Antenne füreinander hat, dann entwickelt sich manches und irgendwann klappt es dann auch. Die beiden wollte ich eben auch schon immer dabei haben. Und es verbindet uns über all die Jahre nicht nur die musikalische Zusammenarbeit, sondern wirkliche Freundschaft.
Agentur Null mit Reinhard Fißler (Foto: Archiv Harald Seidel)
Noch ein großer Name, der irgendwann zu Euch gestoßen ist, war Reinhard Fißler, der Mitte der 90er die Position am Mikrofon übernommen hatte. Wie kam denn Reinhard Fißler zur AGENTUR NULL?
Das hing damit zusammen, dass auch STERN-COMBO MEISSEN zu dieser Zeit nicht spielte. Wie schon gesagt, hatten wir - auch privat bedingt - immer eine gute Verbindung zu STERN-COMBO MEISSEN …
Aber Reini war ja schon seit den 80er Jahren nicht mehr bei der STERN-COMBO, da war er ja schon ewig raus ...
Er machte auch Solo-Programme und spielte mal in Meißen in einem kleinen Club. Dort traf ich ihn, wir quatschten miteinander und ich sagte, "Was hältst Du denn davon, wenn wir mal zwei oder drei Songs von STERN-COMBO MEISSEN bei einer Mugge von uns zusammen machen?" Das taten wir auch und dann war er der Meinung, dass man eigentlich mehr machen sollte. In Radeberg hatten wir dann ein richtig tolles Konzert im damals noch existierenden Kulturhaus "Maxim Gorki" mit ihm. Die Leute waren absolut begeistert, die ehemaligen STERN-Fans kamen dorthin gepilgert und waren happy. Natürlich kamen auch Martin Schreier und Detlef Seidel und meinten: "Na, wenn das so gut läuft, dann können wir STERN-COMBO MEISSEN auch wieder beleben." Das war Glück für STERN, für uns war erst mal diesbezüglich "Schicht im Schacht", schade, denn wir hatten ja auch viel Energie hinein gesteckt.
Mit AGENTUR NULL gabt Ihr bis ca. 1998 eigene Konzerte und dann stelltet Ihr Euch total um und machtet etwas, was es in der DDR in den 70er Jahren schon gab, nämlich Schülerkonzerte. Also nicht vor dem großen Publikum, welches Tickets kauft, sondern rein in die Schulen und Schüler bemusizieren. Wie kam es denn dazu?
Die Sache mit den Schülerkonzerten lief eine ganze Zeit parallel. Wir bekamen eine Anfrage von einem sehr interessierten Schuldirektor, der in Dippoldiswalde auch einen Kultur-Job innehatte. Er meinte: "Das war früher eine gute Sache und da sich Schüler in der achten Klasse doch eher für populäre Musik und weniger für Klassik interessieren, wäre es schön, könnte man wieder eine Art Schülerkonzerte auf die Beine stellen." Bruno Leuschner war dort als Musiklehrer tätig und so kam dieser Direktor auf uns. Spaßeshalber probierten wir so ein Konzert, es war natürlich völliges Neuland. Ich hatte Zweifel, ob das was wird. Es hätte ja auch sein können, die Schüler werfen mit Tomaten … (lacht) Aber nein, es funktionierte richtig gut. Wir spielten also eine ganze Zeit mit AGENTUR NULL ganz normale Konzerte, aber eben auch diese Schülerkonzerte. Dass wir dann mit AGENTUR NULL nur noch diese Schülerkonzerte machten, hing mehr oder weniger damit zusammen, dass ich - das ist nun wieder ein Zeitsprung - nach den MCB-Touren in den Jahren 2000 und 2001 erst mal das Trio mit Tom Vogel und Ecki Lipske aufmachte. Da hatte ich so viel "Heavy-Adrenalin" in mir und ich dachte, dass wir das jetzt unbedingt machen müssen. AGENTUR NULL blieb also für die Schülerkonzerte bestehen und ich war mit Tom Vogel und Ecki Lipske zu dritt unterwegs. Tom brachte als Gag den Vorschlag an, uns "Die 3 Ullis" zu nennen, aber das war uns dann für unsere Musik doch zu lustig - unser Manager stellte uns bei den Veranstaltern vorerst als "Angie and the Birds" vor, später nannten wir uns "Crazy Birds".
Diese Schülerkonzerte macht Ihr ja heute noch …
Ja, da ist auch kein Ende abzusehen. Wir werden immer wieder gebucht, das sind sechs oder sieben Konzerte im Jahr. Wir machen das wirklich gerne und wir sehen auch zu, das stets zu aktualisieren. Es ist also nicht so, dass wir seit 20 Jahren immer wieder dasselbe spielen. Wir beleuchten verschiedene Aspekte, am Anfang stellten wir Instrumente vor, dann geht es um die Geschichte der Rockmusik. Wir sind also bemüht, das Ganze auf einem aktuellen Level zu halten, damit es auch für die Schüler interessant bleibt. Die Schüler sind wirklich äußerst interessiert. Man sagt ja immer "Kinder sind ein sehr kritisches Publikum, Jugendliche noch mehr" - das macht wirklich jedes Mal Spaß. Das einzige, was keinen Spaß macht ist, dass wir morgens um sieben Uhr losfahren müssen, weil die Konzerte um 10.00 Uhr beginnen. Das ist etwas beschwerlich …
Wenn Du sagst, Ihr passt das Ganze auch dem Zeitgeist an: Beschränkt sich das nur auf Rockmusik oder fangt Ihr dann auch plötzlich an, Hip Hop zu machen oder Schlager?
Nein, diese Themen sind ausgeklammert. Als Überbegriff für diese Konzerte steht "Geschichte der Rockmusik". Was wir machen ist, das mit aktuellen Songs zu gestalten. Jeder stellt auch sein Instrument kurz vor und du musst dir natürlich immer wieder etwas Neues einfallen lassen, was die Schüler auch interessiert. Wir merken das immer, wenn das Konzert vorbei ist und fünf oder sechs Schüler kommen nach vorn und sagen: "Das war ja so ein herrliches Konzert, weil es nicht vom Computer kam." Ein richtiges Instrument in die Hand zu nehmen und zu sehen, wie es funktioniert, wissen komischerweise die wenigsten. Das ist ganz merkwürdig. Für die Lehrer dieser Altersklasse ist es natürlich auch eine absolute Bereicherung, weil sie keine Möglichkeit haben, in einem kleinen Klassenzimmer alle Instrumente der Rockmusik richtig vorzustellen. Genau das können wir in diesem Konzert machen und sind somit eine Bereicherung des Lehrplans. Die Lehrer sind dann meistens genauso happy, wie die Schüler. Und wenn dann noch das Interesse wie, "Oh, ich würde auch gerne Gitarre lernen" oder "Ich würde gerne Schlagzeug spielen" kommt, merkst du unmittelbar, ob das Konzert gut war oder nicht. Das ist schon wunderbar.
Agentur Null 1999 (Foto: Archiv Harald Seidel)
Du hast gerade schon den Vorgriff auf die Jahre 2000 und 2001 gemacht, nämlich Deine Beteiligung an der "Heavy Mörtel Mischmaschine"-Tour der Gruppe MCB. Da trommeltest Du zwei Jahre neben Buzz Dee Baur an der Gitarre und Herrn Demnitz am Bass. Wie kam es dazu und was hast Du noch in Erinnerung an diese zwei - ich denke mal - sehr intensiven Jahre?
Auf jeden Fall!!! Es waren zwei Touren, da Buzz Dee zu dieser Zeit auch schon bei KNORKATOR war. Da musste man sich also die Zeiträume raussuchen um zu sehen, wann es klappt. Meine anderen Bands liefen ebenfalls weiter. Ich war glücklich und bin noch heute absolut stolz, dass die Jungs mich dazu genommen haben. Na ja, wie kam es dazu? Wie gesagt, Buzz Dee kenne ich schon mein gesamtes musikalisches Leben lang und wir stehen auch in Kontakt. Wir telefonieren zwar nicht jeden zweiten Tag miteinander, aber in letzter Zeit gibt es immer zum Jahresanfang einen ausführlichen "Jahresreport" darüber, was es Neues gibt. Es hatte sich irgendwie ergeben, wir trafen uns bei einem KNORKATOR-Konzert und auf die MCB-Kiste stand ich schon immer. Und Mike Demnitz kannte ich auch, er hatte bei AGENTUR NULL ab und zu zur Aushilfe gespielt. In Dresden kennt man sich als Musiker einfach untereinander, da kennt jeder jeden. Und wenn jemand mit dem anderen kann, dann funktioniert das auch irgendwie. Jörg Borchert, der Original-MCB-Schlagzeuger, war auch mit von der Partie und so gab es die Idee - deshalb kam ich auch hinzu - mit zwei Schlagzeugen zu spielen, um das Ganze noch rockiger und druckvoller zu machen. Das war auch ein völliges Novum, vom Trio zum Quartett mit zwei Schlagzeugen. Von Jörg Borchert, BuzzDee Baur und Mike Demnitz habe ich viel gelernt, das war für mich ein richtiger "musikalischer Arschtritt", um mich noch mal richtig hoch zu raffen. Es war ja wirklich wesentlich härter als alles, was ich bisher gemacht hatte. Das fand ich gut und klemmte mich total dahinter.
Und dann wurde quasi als Ableger der AGENTUR NULL die Band CRAZY BIRDS gegründet. Kann man das so sagen?
Eigentlich ja, das kann man sagen. Als die zweite Tour mit MCB vorbei war sagte ich mir, man müsste eigentlich mal etwas Härteres machen und ich ziehe jetzt einfach mal zu dritt, also mit Tom Vogel und Ecki Lipske, los. Und wenn sich eine Gelegenheit ergibt, machen wir das bis zum heutigen Tag ... (lacht) Es gibt auch verschiedene Veranstalter, die uns in dieser Zeit gehört haben, die fragen uns: "Könnt Ihr nicht auch mal wieder in der Trio-Besetzung vorbei kommen?" Dann sind wir eben die CRAZY BIRDS als Trio. Aber das ist nur für ausgewählte Sachen - z. B. Bikerpartys oder in Plauen gibt es so einen Schuppen, die wollen uns eben zu dritt hören, und dann kracht es richtig im Karton - dann hauen wir den sprichwörtlichen Riemen auf die nicht vorhandene Orgel (Zitat von Kundi).
Wie ich las, hattet Ihr auch verschiedene Gast-Musiker dabei und es wurde experimentiert. Wen habt Ihr in der Anfangszeit denn ausprobiert?
Wir arbeiteten zum Beispiel mit einem zweiten Gitarristen, das war Konrad Hartsch. Den lernten wir bei einer Veranstaltung in Dresden kennen und Tom meinte, "Zwei mal Gitarre ist vielleicht auch mal ganz gut." Dann stockten wir das Trio also auf ein Quartett auf und dann war es 2015 so, dass sich electra offiziell aufgelöst hatte und Gisbert Koreng auch nichts zu tun hatte. Und so nahmen wir Gisi für Veranstaltungen, von denen wir wussten, dass es passt, mit dazu. Bei Gisi war es dann so, dass er tatsächlich blieb. (lacht) Für 2017 hatten wir eine Sommertour geplant, die nannte sich CRAZY BIRDS & FREUNDE. Wir hatten das Angebot für eine Ostsee-Tour und dachten uns: "Okay, da könnten wir auch mal wieder was anderes machen." Eigentlich waren dafür die Sänger Michael Barakowski (Perl), HC Schmidt (Zwei Wege) und Gisbert Koreng geplant und das Ganze hieß "Drei Sänger - Eine Band - Ein Konzert". Mit Ausnahme von Michael Barakowski, der sehr gern mitgemacht hätte und auch einige Duette mit mir zusammen singen wollte, kam es auch zu dieser Tour. Leider ist Micha Barakowski kurz vor der Tour schwer erkrankt und konnte nicht mitmachen. Er verstarb leider im Januar 2018. So starteten wir diese Tour nur noch mit HC Schmidt und Gisbert Koreng. Aus dieser einen Tour und der Besetzung mit Gisbert Koreng dachten wir uns: "Für die electra-Musik ist es ja auch irgendwie schade, nicht mehr gespielt zu werden." Und wir hatten - mit Ausnahme von mir und Tom Vogel - ja fast die komplette Besetzung beisammen. Von daher bot es sich an, die Songs auch zu spielen. Die andere Variante ist, dass Tom gesanglich völlig anders konzipiert ist, er liebt Stephan Trepte-Songs und kann sie richtig gut mit seinem ganz eigenen Stil interpretieren. Das steht ihm gut und natürlich kam auch das Publikum an und meinte: "Mensch, wenn der Gisbert Koreng dabei ist und Tom so auf Stephan Trepte steht, dann macht das doch!" Am Anfang also gar nicht beabsichtigt, aber im Selbstlauf wurde es so, dass die eine Hälfte des Programms aus Gisbert Koreng-Titeln und StephanTrepte-Songs besteht und der zweite Teil aus eigenen Songs, die in der Band entstanden.
Für ein halbes Konzert habt Ihr also schon eigene Sachen?
Ja, auf jeden Fall.
Seid Ihr denn 2001 angetreten, um eine Cover-Band zu sein oder hattet Ihr damals schon vor, eigenes Material zu erarbeiten?
Das ließen wir eigentlich mehr oder weniger auf uns zu kommen. Mit dem Trio, das war eine Band zum Austoben, da hatte ich von MCB noch zu viel Adrenalin in mir, das musste raus …
Was hattet Ihr denn in der Anfangszeit im Programm?
Lenny Kravitz und METALLICA-Songs zum Beispiel, aber wir machten auch Sachen, die nicht ganz so hart waren, wie "Purple Rain" von Prince. Der Punkt war, dass es gitarrenorientiert war. Wir tobten uns aus und nahmen sogar Sachen von Jimi Hendrix auf. Das war auch Tom Vogel geschuldet, weil er das richtig gut singen konnte. Auf eigene Sachen legten wir gar nicht so großen Wert, das kam erst wieder 2015 in der Besetzung mit "Bruno" Leuschner an den Keyboards. Da meinte auch Tom, dass man für diese Besetzung wieder eigene Songs machen könnte. Von früher kramten wir zum Beispiel den Song "Halbe Herzen" wieder raus und bearbeiteten ihn neu. Ebenso entstanden in dieser Zeit der Song "Dynamo Star". Es ist eine Geschichte, die uns ein Sportjournalist über den ehemaligen DDR- Fußball-Profi von Dynamo Dresden - Jörg Stübner - erzählt hatte. Den Text schrieben dazu Tom und Daniel DeBarth (u. a. 2raumwohnung). Und ganz wichtig der "Song für Anneli".
"Halbe Herzen" - das ist der Song, der während der Wendezeit entstand, aber nie produziert wurde …
Ganz genau.
Du sagtest, Ihr hattet verschiedene Sänger und es sollte auch die angesprochene Sache mit Michael Barakowski passieren. Ihr habt aber auch eine ganze Zeit mit IC Falkenberg am Mikrofon Konzerte gespielt …
Ja, das war kurios. Wir spielten 2010 mit CRAZY BIRDS bei einer Veranstaltung und IC Falkenberg war als zweiter Act bei dieser Veranstaltung dabei. Da wurde die Idee vom Veranstalter geboren, wie es denn wäre, wenn wir ihn - er war als Solo-Künstler dabei - bei einigen Songs begleiten würden. Wir sagten: "Das ist überhaupt kein Problem." Am Ende fanden wir das übereinstimmend absolut chic und kamen auf die Frage, was wir denn machen sollten, würde eine weitere Anfrage in dieser Richtung kommen. So tourten wir neben unseren eigenen Konzerten von 2011 bis 2016 als Backingband gemeinsam mit ihm. Das war mal wieder eine völlig andere Sache, aber auch die machte viel Spaß. Wir spielten also quasi seine Hits mit zwei Gitarren, IC brachte sein Keyboard mit, aber insgesamt war es sehr gitarrenorientiert, was den Songs dann auch teilweise ein anderes "musikalisches Gewand" gab.
Crazy Birds mit IC Falkenberg (Foto: Archiv Harald Seidel)
Eine Band lebt ja quasi von ihren Fans. Und die CRAZY BIRDS haben natürlich auch ihre Fans. Einer, den ich da absolut heraus heben möchte, ist jemand, der die CRAZY BIRDS bei "Deutsche Mugge" erst mal richtig einführte. Das war Gundolf Zimmermann, der Kundi. Er war ja - glaube ich - Euer größter Unterstützer …
Ja, das ist wohl wahr. Er schrieb einen Bericht über eines unserer Konzerte und war völlig begeistert. "Fan" ist eigentlich kein passender Ausdruck mehr, er wurde zu einem Freund von uns. Du kennst ihn ja auch. Er war derartig musikinteressiert und wir bedauern es, dass er so plötzlich verstorben ist. Das war für uns ein Schlag ins Kontor, als wir davon erfuhren. Wir denken immer an ihn und wir zitieren ihn auch in unseren Konzerten.
Kundi war ja quasi eine Art PR-Mann für Euch und rührte überall die Werbetrommel. Dass Leute wie er wichtig sind, ist klar, aber wie wichtig war er für Euch als Band? Und wie sehr fehlt dieser Support?
Es war tatsächlich so, dass uns Kundi durch seine Foren und Kontakte bekannter gemacht hat. Auch in Gegenden, wo wir normalerweise nicht spielen. Plötzlich kamen Leute und wollten das auch mal sehen. Er hat uns "Crazy Birds" von Anfang an begleitet und war wirklich wichtig für uns. Alles beruhte mit ihm auf Freundschaft und das ist in der heutigen Zeit sehr, sehr selten. Wenn er bei unseren Konzerten auftauchte, war er einer von uns - er gehörte dazu! Er hatte auch eine unglaubliche Art, sich in seinen Konzertberichten über uns auszudrücken. Legendär waren z. B. seine Ausführungen wie "Rock'n'Roll ist kein Kindergeburtstag" und "Dafür ist dieser, gelegentlich als wild-chaotisch erscheinende Haufen nicht nur bekannt, sondern sogar beliebt".
. Grüße gehen raus nach oben, würde ich mal sagen …
Auf jeden Fall. Wir sagen manchmal: "Mensch Kundi, konntest Du nicht noch etwas warten?" Es wäre uns sehr lieb gewesen, wenn er noch immer unter uns weilen würde. Vor Jahren bekam ich von Kundi ein von ihm entworfenes T-Shirt geschenkt, das ziehe ich seitdem prinzipiell bei unseren Konzerten an und ich hoffe, dass es mir noch sehr lange nicht vom Körper fällt. Das ist wie ein Talisman … Jetzt begleitet uns seine langjährige Mitstreiterin und Weggefährtin, unsere Freundin "Tina mit Hut", mit ihrem Netzwerk.
Angela und "Kundi" (Foto: Kundi privat)
Der nächste Schlag ins Kontor war die Pandemie, verbunden mit der Arbeitslosigkeit für die Kulturbranche. Wie habt Ihr diese Zeit empfunden bzw. überlebt?
Na ja, es war schon komisch, dass auf einmal überhaupt nichts zu tun war. In den ersten 4 Wochen war es vielleicht noch erträglich, es gab eben mal keinen Stress, das tut auch mal gut. Nachdem es sich aber doch über längere Zeit erstreckte, nervte es schon. Wir machten es, wie es eigentlich jede andere Band machte: Wir setzten uns hin und versuchten, an Songs zu arbeiten - auch konspirativ in Eckis Studio in Leipzig. Ich suchte mir einen Song aus, der zwar schon "horn-alt" ist , den ich aber schon immer ganz toll fand: "Zieh die Schuhe aus, Kind" von STERN, den damals Nina Hagen sang. Er stammt aus dem DEFA-Film "Hostess" und ist eine Komposition von Thomas Kurzhals, der Text stammt von Norbert Jäger/Kurt Demmler. Nun bin ich Schlagzeugerin. Background-Singen ist zwar okay, aber das wollte ich jetzt auch mal solistisch probieren. Die Jungs sagten: "Na klar, das machen wir ..." Also nahmen wir diesen Song auf und spielen ihn jetzt auch in unseren Konzerten. Beteiligt war an dieser Produktion auch der Dresdner Musiker und mein langjähriger Freund und Studienkollege Hans-Jörg-Hombsch.
Als es dann wieder los ging mit dem Live-Spielen, wart Ihr plötzlich wieder da. Habt Ihr Veränderungen vor der Bühne festgestellt oder ging es so weiter, wie es vor der Pandemie aufhörte?
Veränderungen waren auf jeden Fall festzustellen. Es wurde ja geunkt, wenn die Pandemie vorbei ist, geht alles wieder los und alle kommen geströmt und alle haben wieder Spaß. Aber in diesen zweieinhalb Jahren entstand auch eine gewisse Faulheit, wobei "Faulheit" der völlig falsche Ausdruck ist. Die Leute fanden sich zum Teil damit ab, dass es eben keine Konzerte mehr gab. Sie sind noch immer deutlich verhaltener. Die Corona-Zeit war zwar vorbei, aber mit dem Spielen war es immer noch nicht so schnell im Gange. Auch deshalb, weil Veranstalter - vor allem in vielen staatlich geförderten Häusern, die in der Corona- Zeit gar nichts taten - es sich nun einfach bequem machten: Sie luden für 2021 die Künstler von 2020 und im kommenden Jahr die von 2021 für 2022 ein - das trifft es vielleicht … Es trat eine gewisse Bequemlichkeit ein. Damit müssen wir leben und ich hoffe, dass sich das wieder ändert. Nun kommt das nächste Problem hinzu, dass alles viel teurer geworden ist. Damit haben natürlich auch die Veranstalter zu kämpfen. Wir haben beispielsweise einen Veranstalter, bei dem wir regelmäßig spielen, der sagte zu uns: "Leute, ich kann im Winter keine Konzerte mehr machen, weil ich den Saal nicht beheizen kann. Das schaffe ich bei den aktuellen Energiekosten nicht." Nach Corona haben wir nun also mit solchen Dingen zu tun und somit kann man nicht sagen, dass es nach Corona weiterging, wie vorher. Es ist zwar anders gelagert, aber es bleibt kompliziert. Für Bands ist es ohnehin sehr schwer geworden zu spielen. Zum Einen haben sich fast alle größeren Konzerthäuser und jetzt auch schon kleinere Eventlocations auf solche "Garantie-Formate" mit Comedians oder Konzerte mit Solisten, maximal Duos, begleitet mit Piano oder Gitarre oder gepaart mit Lesungen verlegt - wobei ich diesen Künstlern keineswegs ihre künstlerische Leistung abspreche. Oder es werden solch super teuren Events gestartet, wo die Eintrittspreise so astronomisch hoch sind, wo man sich wundert, dass die Leute trotzdem hinrennen. Und diese Produktionen sind fast deckungsgleich im ganzen Land in solchen Häusern zu sehen. Für "normale" Bands sind diese Programmformate der schleichende Tod. Deshalb habe ich Hochachtung vor allen Veranstaltern, die nach wie vor kreativ, offen und risikobereit Bands in ihre Veranstaltungen einbauen.
Angela Ullrich (Foto: Archiv Harald Seidel)
Eingangs sprachen wir darüber, dass Euch eine gute Stimme verloren ging, als Gisi sagte, dass er nicht mehr könne. Dafür habt Ihr dann einen alten Bekannten von Dir wieder ins Boot geholt und da las ich witziger Weise bei Facebook die Frage an Euch, wie es Euch gelang, Manuel von Senden in die Band zu bringen …
(lacht) Ja, das passierte in Freiberg zum Bergstadtfest. Keine Ahnung, wie diejenigen darauf kamen, dass unser Sänger Manuel von Senden sein könnte. Ich denke mal, Uwe Hiob hat eine Stimme, die von der Klarheit her akustisch sehr in diese Richtung geht und da dachte wohl jemand, das könne Manuel von Senden sein. Das war natürlich wirklich witzig, weil damit ja nun wirklich niemand rechnete. Zu Uwe Hiob muss ich noch etwas erklären: Ihn kenne ich nun auch schon ewig und drei Tage aus der Anfangszeit mit AGENTUR NULL. Ich wusste, seine Stimme passt zu den Songs die wir spielen und ich wusste auch, dass er schon immer electra-Fan war. Und da er für diese Musik richtige Zuneigung empfindet und das Feeling dafür hat, konnte es besser eigentlich gar nicht kommen. Wie gesagt, machte Uwe lange Zeit keine Musik. In Dresden kennt man sich, man verlor sich zwar über viele Jahre aus den Augen, aber ich fragte ihn einfach mal an. Es hätte auch sein können, dass er keine Lust gehabt hätte, zusätzlich zu seinem Job draußen mit uns rum zu ziehen. Aber es war glücklicherweise so, dass Uwe Lust darauf hatte und es total wollte. In dieser Beziehung hatten wir absolut Glück, es hätte auch anders kommen können. Der Wechsel und die Tatsache, dass Gisbert Koreng ausscheiden würde, war ja überhaupt nicht geplant. Seine Krankheit platzte einfach über uns hinein … Dennoch: Uwe Hiob bringt natürlich auch frisches Blut in die Band und neue Ideen mit.
Du sprichst die ganze Zeit darüber, Ihr habt eigenes Material, füllt damit das halbe Konzertprogramm, Uwe bringt auch etwas Neues mit. Wie sieht es denn mal mit einem eigenen Album aus?
Wir haben das schon lange geplant und sind gerade dabei, alles Material zu sichten, zu ordnen und teilweise neu zu arrangieren. Unter anderem ist auch ein Instrumental von Ecki Lipske geplant und ganz besonders liegt uns der "Song für Anneli", über dessen Entstehungsgrund Du ja bereits im Jahr 2016 geschrieben hast, am Herzen. Aber unser Hauptaugenmerk liegt natürlich trotz allem weiterhin darauf, als "Live-Band" stattzufinden.
Die Hoffnung ist also noch nicht gestorben?
Nein, das wäre ja schlimm! Musik ist Bewegung und mit Stillstand erreichst du sowieso nichts. Das sind wir auch nicht gewöhnt. Als Musiker hast du nur eine Chance: Entweder machst du so lange weiter, wie deine Kraft reicht, ansonsten kannst du dich zur Ruhe setzen und aufhören. Musik und Stillstand geht gar nicht. Man muss immer sehen, dass man vorankommt. Das durchzieht mein ganzes musikalisches Leben - Zähne zusammenbeißen und immer wieder aufstehen. Neulich sah ich eine Doku über Doro Pesch, sie sagte es genauso. Auch sie drückte manches im Musikeralltag nach unten, aber sie ließ sich dennoch nicht unterkriegen. Dem kann man nur mit Disziplin begegnen, ansonsten geht man unter …
Okay, ein Album der CRAZY BIRDS ist noch in Sicht, aber dafür ist ein Filmbeitrag über Dich in Sicht. Darüber kannst Du uns jetzt mal etwas erzählen, denn Du kommst bald ins Fernsehen oder ins Kino?
In diesem Sommer begleitete uns als Band ein Film-Team der ARD. Die Idee für diese Doku stammt von jemandem, der meine Biographie las und sich dafür interessierte. Es wird also einen Beitrag über mich geben, der meinen Werdegang vom Amateurmusiker im Teenager-Alter bis heute aufzeigt. Gedreht wurde im Probenraum, während der Ostseetour der Musiker-Alltag im Backstage sowie während und nach der Mugge. Auch meine Bandkollegen kommen natürlich zu Wort.
Ist das ein Spielfilm, eine Reportage oder wie kann man sich das vorstellen?
Es ist weder ein Spielfilm noch eine Reportage - es ist ein filmisches Porträt. Unter anderem wird auch Dirk Michaelis dabei sein. Der Arbeitstitel war bei Drehbeginn "Amateurbands in der DDR". Gesendet werden soll der 90 Minuten-Beitrag am 11. Dezember 2023.
In der ARD?
Nein zur Prime-Time um 20.15 Uhr beim MDR.
Crazy Birds (Foto: Archiv Harald Seidel)
Das klingt spannend …
Ja, das ist spannend! Ab und zu bekommen wir eine Nachricht über den filmischen Fortschritt, im Moment wird gerade geschnitten und die Jungs vom Produktions-Team sind am Wirbeln.
Bis Oktober ist es noch ein wenig hin, wie geht es mit den CRAZY BIRDS weiter? Gibt es Termine, die zu erwähnen wären?
Der Urlaubsmodus ist vorbei, gespielt haben wir jetzt schon Coswig, Die nächsten Konzerte sind in Aue zum "Tag der Sachsen", in Meißen zum "Weinfest", in Dresden-Weixdorf, in Ortrand und noch mal in Dresden. Bis Ende Oktober haben wir also gut zu tun und wir freuen uns darüber.
Dann danke ich Dir für die Zeit und Deine Antworten auf meine vielen Fragen. Möchtest Du abschließend noch ein paar letzte Worte an die Leser richten?
Ich hoffe, dass beim Leser angekommen ist, dass ich kein "Einzelkämpfer" bin, sondern das alles, was ich musikalisch erreicht habe, nur mit Hilfe meiner Musikerkollegen, meiner Freunde, meiner Familie und meinem Lebensgefährten und Manager möglich war und ist. Deshalb bin ich stolz darauf, dass es mir gelungen ist, über all die Jahre meine Bands zusammenzuhalten und mit solch hervorragenden Musikern auf der Bühne gestanden zu haben und zu stehen ... und das soll auch in Zukunft so bleiben. Vom Rock'n'Roll komme ich nicht los!
Gisbert geht es schon seit längerer Zeit gesundheitlich nicht mehr so gut und dies hat sich leider verschlechtert, so dass Gisbert im Juni von sich aus darum gebeten hat, aus der Band ausscheiden zu dürfen. Du weißt ja, Muggen sind nicht einfach zu machen, da muss man wirklich fit sein und das fiel Gisbert zunehmend schwerer. Dementsprechend fiel seine Entscheidung, aber ich halte natürlich nach wie vor mit ihm Kontakt. In den nächsten Wochen muss er noch mal ins Krankenhaus, dort wird er auf den Kopf gestellt und dann werden wir sehen, was dabei herauskommt. Aber er hat sich trotzdem entschieden, aus dem aktiven Spielbetrieb auszuscheiden. Dies bedeutet natürlich nicht, dass wir ihn - wenn es ihm besser geht und wir eine Mugge in der Nähe haben - für zwei oder drei Songs mit auf die Bühne holen.
Aber eine Rückkehr als festes Mitglied ist ausgeschlossen …
Ja, dagegen entschied er sich aufgrund seiner Erkrankung. Es ist sehr schade, wir bedauern es, aber Gesundheit geht vor und seine getroffene Entscheidung müssen und werden wir akzeptieren.
Gisbert Koreng (Foto: Gundolf "Kundi" Zimmermann)
Zu den CRAZY BIRDS kommen wir gleich noch. Du bist - wie wir alle wissen - eine Frau und Du spielst ein Instrument, das für eine Frau zu dem Zeitpunkt, als Du anfingst, es zu spielen, nicht unbedingt gängig war. Wie kamst Du zum Schlagzeug?
Das ist eigentlich eine ganz lustige Geschichte: Wir waren eine Mädchen-Clique in unserer Klasse und gingen ins Dresdner Rundkino zu einem Konzert der PUHDYS. Wir sahen das Konzert und beschlossen: "Wir machen unbedingt auch eine Band auf." Das war damals eine Initialzündung, alle guckten, was sie so zu Hause liegen hatten und ich war die einzige, die weder Gitarre, noch Flöte oder sonst was hatte. Also dachte ich mir, ich schnappe mir den Job des Schlagzeugers und baute mir erst mal selbst ein Schlagzeug aus Papierkörben, Topfdeckeln meiner Verwandtschaft und der Hutschachtel meiner Mutti - Letztere war meine Bassdrum. Es war also Zufall und durch diesen Zufall kam ich zu meinem Instrument. Bei der Aufnahmeprüfung an der Hochschule bestätigte mir man tatsächlich, dass bei mir Veranlagung und Talent genau auf dieses Instrument passen. Das war Schicksal und bestimmend für mein weiteres Leben ...
Du warst ja keine sechs oder sieben, sondern schon etwas älter. Ich glaube, Du warst 14, als das passiert ist …
Ja, genau. Weil ich eigentlich aus einem Elternhaus komme, in dem Musik gar nicht so aktuell war. Die Pianistin unserer Band hatte natürlich ein Klavier zu Hause stehen. Ich kam mehr oder weniger aus der sportlichen Ecke, machte als Kind eine Zeit lang Leistungssport. Das PUHDYS-Konzert war wirklich ein "Aha-Erlebnis" und ich dachte, genau das will ich jetzt unbedingt machen.
War das damals am Schlagzeug noch Wosylus oder schon Scharfschwerdt?
Zu der Zeit war das noch Gunther Wosylus, aber besonders imponiert hat mir damals bei diesem Konzert "Maschine".
Und dann habt Ihr Euch zusammen getan, witziger Weise nanntet Ihr diese Mädchenband "Dresdner Mädchenband". Eine ziemlich ungeschickte Namenswahl, wie ich finde … Wie kam es dazu?
Der Grund war, dass wir gemeinsam in einer Klasse und eine richtige Mädchen-Clique waren, die alles mögliche zusammen unternahm. Nur unsere Keyboarderin kam aus der Parallelklasse. Wir alle waren Dresdnerinnen - deshalb der Bandname. Mit der Zeit ergaben sich einige personelle Umbesetzungen, denn es stand ja die Zeit der Berufswahl an und die eine oder andere sagte: "Dann habe ich keine Zeit mehr …" Die Sache wandelte sich also noch ein wenig, aber der Ursprung lag bei uns in der Klasse. Es war also eigentlich Zufall, selbst meine Eltern hielten es für einen kurzzeitigen Spleen, aber es klappte tatsächlich.
Wann wurde der Name "Dresdner Mädchenband" in "NA UND" geändert?
Das war 1982. Wir fanden den Namen "Dresdner Mädchenband" irgendwie auch doof, denn wir hätten ja sonst was sein können, zum Beispiel ein Salon-Orchester oder ein Varieté-Ensemble. Uns sprachen auch viele Leute an und meinten: "Ihr seid doch Mädchen, warum macht Ihr denn Musik? Ihr könntet Euch doch auch für Häkeln interessieren …" Da sagten wir: "Na und" - wir sind zwar Mädels, wir wollen aber Rockmusik machen und das ziehen wir jetzt durch."
Also eher ein trotziges "Na und" …
Ja, genau das war es.
NA UND war dann letztlich die erste komplette Mädchen-Rockband in der DDR. Viele denken ja immer, es wären MONA LISE gewesen. Das stimmt aber nicht, es wart Ihr.
Genauso sieht's aus - wir gründeten uns bereits 1976, MONA LISE kamen erst Jahre später. Damals ist es so gewesen - was in Berlin passierte, wurde besser publiziert als das, was musikalisch in Dresden aktuell war. Das war eigentlich schon immer so und darüber weißt Du ganz sicher auch gut Bescheid …
Ja, das wurde hier schon oft erwähnt: Berlin war die Hauptstadt für Kultur, alles drumherum war Pampa …
Als wir jung waren, empfanden wir das gar nicht so schlimm. Wir hatten mit uns selbst zu tun und es fiel uns eigentlich erst im Nachhinein auf, dass unsere Band immer hinten runter fiel. Das lag aber nicht an uns, es ging auch anderen Bands in Dresden und anderswo so. Wir kämpften uns trotzdem durch.
Aber dennoch muss dieses Prädikat "Erste Mädchenband der DDR" ja die Presse interessiert haben, dass da plötzlich fünf Mädchen Musik machen. Oder?
Ja, das interessierte die Dresdner Presse schon und wir bekamen auch einige Artikel ab, aber diese Kunde drang nicht bis "in die Hauptstadt" durch. Das war das Kuriosum.
Gab es für Dich zur Musik noch eine Alternative nach der Schule oder war für Dich sofort klar, "Ich bleibe hier, ich mache Musik, ich mache Kunst"? Oder gab es auch noch einen bürgerlichen Beruf?
Ich wusste mit 16 eigentlich gar nicht, was ich werden sollte. Musik war mein totales Hobby und ich war froh, erst noch mal zwei Jahre auf die Penne zu kommen. Dort hatte ich weiter Zeit zum Überlegen und es kristallisierte sich heraus, dass ich keinesfalls den mir anempfohlenen Lehrerberuf antreten werde und fing an, Kulturwissenschaften zu studieren. Das hatte wenigstens ein bisschen was mit Musik zu tun und außerdem war der Studienort so in der Nähe, dass ich jederzeit nach Dresden zurück konnte, um mich um die Band zu kümmern. Das waren meine Beweggründe. In genau dieser Zeit - während des ersten Studienjahres - bestand ich dann die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik "Carl Maria von Weber" in Dresden und danach war für mich natürlich völlig klar, dass ich das Kulturwissenschaftstudium nicht beenden werde, sondern Musik studiere.
Du nahmst also Anfang der 80er ein komplett anderes Studium auf, nämlich ein Musikstudium an der Musikhochschule "Carl Maria von Weber" in Dresden und warst dort die erste weibliche Studentin in der Abteilung Tanzmusik, Fach Schlagzeug. Witziger Weise wieder eine Premiere …
Das war tatsächlich ein Novum, das hatte es vorher noch nicht gegeben. Ich war ausschließlich unter männlichen Kollegen, was mich aber überhaupt nicht störte. Das war alles okay.
Und immer parallel dazu lief die Geschichte mit NA UND weiter. Ihr spieltet immer schön live, aber gab es denn mit NA UND auch schon Rundfunkproduktionen, wie das früher in der DDR üblich war?
Nein, das passierte erst sehr viel später. Wobei das keine Rundfunkproduktion in dem Sinne war. Es gab ein "DT64-Jugendkonzert" mit den Dresdner Bands "electra" , "ZWEI WEGE", und "Na Und". Für diesen Anlass konnten wir im Hochschulstudio drei Songs aufnehmen, die damals Michael Heubach für uns geschrieben hatte. Das Konzert wurde aufgenommen und auch bei DT64 gesendet, aber die einzelnen Titel wurden im Rundfunk nicht gespielt.
Wenn Ihr Konzerte gegeben habt, was habt Ihr denn live gespielt? Ihr hattet ja sicher nicht nur eigene Lieder, sondern werdet auch international und national gecovert haben, oder?
Das auf jeden Fall …
Wie sah Euer Live-Programm aus?
In der Anfangszeit mit 14 spielten wir Songs von SLADE, STONES und BEATLES, wie sicher die meisten "Anfänger-Bands". Im Amateurstatus war damals vorgeschrieben, dass 60 % eigene oder DDR-Titel gespielt werden mussten, 40 % durften internationale Titel sein. Neben den eigenen Sachen suchten wir uns dann schon interessantere Songs aus und spielten zum Beispiel "Danach kräht kein Hahn mehr" von SILLY und da gaben wir uns auch richtig Mühe, um diese 60 % mit Songs zu befüllen, mit denen wir uns identifizieren konnten.
Angela Ullrich (Foto: Petra Meißner)
Das Hauptaugenmerk lag also nicht auf Bands, die eine Sängerin hatten, wie beispielsweise CLOUD oder Suzi Quatro, sondern Ihr machtet quasi alles, worauf Ihr Bock hattet?
Ganz genau. Und das war letztlich keine schlechte Schule.
Zu einem sehr einschneidenden Ereignis kam es 1983, als Ihr zwei Kolleginnen verloren habt. Das waren Eure Bassistin Susanne Rahm und Eure Keyboarderin Marion Häußler. Was ist denn da passiert?
Wir waren mit zwei Autos unterwegs auf dem Weg nach Schwerin zu unserem letzten Konzert der jährlichen Ostsee-Tournee. Das zweite Auto prallte bei einem Ausweichmanöver frontal gegen einen Baum. Für die beiden Mädels kam jede Hilfe zu spät und unsere Sängerin war schwer verletzt. Diese Sache habe ich eigentlich bis heute noch nicht verwunden. Es war damals ein absoluter Schockzustand und wir überlegten, ob wir überhaupt noch weiter machen. Ich denke jedoch, die Variante, weiter zu machen, war die bessere. Ansonsten wären wir in ein tiefes Loch gefallen und mir half die Musik aus diesem ganzen Scheiß wieder heraus. So kann man es sagen. Ich sah neulich einen Film über METALLICA, die den gleichen Schicksalsschlag hatten. Die begannen zusammen zu spielen, als sie 19 waren und drei Jahre später gab es während ihrer Tour auch einen Unfall, bei dem ihr Bassist tödlich verunglückte. Das hängt ihnen bis heute an, das ist einfach so. Diese Parallele verblüffte mich.
Du sagtest gerade, es ist ziemlich schwer, dann wieder aufzustehen und weiter zu machen. Doppelt schwierig wird es ja in dem Sinne, dass Ihr eine Mädchenband wart und das auch bleiben wolltet. Nun konntet Ihr aber nicht hergehen und sagen, "Da ist eine Bassistin und da ist eine Keyboarderin". Wie war es denn möglich, da überhaupt Ersatz zu finden?
Die neue Keyboarderin hatte sich kurioserweise bereits zwei Jahre vorher mal bei uns vorgestellt. Sie spielte nicht in einer Band, sondern begleitete in einem Zirkus ihre Mutter am Piano. Sie besuchte uns immer mal, wir kannten sie also bereits. Insofern war das ein recht kleiner Schritt und wir fragten, ob sie aufgrund dieser beschissenen Situation nicht bei uns einsteigen wolle. Die Bassistin fanden wir mehr oder weniger durch Mundpropaganda. Auch eine Dresdnerin, wir hatten also großes Glück, dass wir wieder zwei Dresdner Mädchen in die Band hinein bekamen.
Du sagtest gerade, das Ganze bis heute noch nicht überwunden zu haben. Nun stelle ich es mir ausgerechnet live ziemlich schwer vor, wenn da plötzlich beim ersten Konzert nach dieser Geschichte zwei andere stehen. Was ging da in Dir vor?
Ich war voll konzentriert auf das Programm, aber es war wirklich schwierig. Das hatte natürlich nicht nur mit dem ersten Konzert zu tun, wir gingen ja auf Tour und es gab viele Parallelen. Natürlich dachte ich immer an Suse und Marion - die "dunklen Momente" kamen meist nach den Konzerten. Aber da wir in dieser Zeit sehr viel spielten, hatte man nicht all zuviel Zeit darüber nachzudenken - es musste ja weitergehen ...
Waren die beiden verunfallten Mädels denn auch Schulkameradinnen oder waren das schon welche, die danach zur Band dazu stießen?
Nein, sie kamen danach.
Noch eine personelle Veränderung gab es 1984, als Ina Morgenweck zu Euch kam …
Sängerinnen waren ständig ein Thema, weil die Position der Sängerin bei uns immer vakant war. Es war schwer, gute Sängerinnen zu finden und unser Sängerinnenverschleiß war ziemlich hoch. Sie zu halten war aus verschiedenen Gründen ziemlich schwierig: Wir hatten eine wirklich gute Sängerin, ihr wurde dann jedoch von ihrem Mann vorgeschrieben, zu Hause zu bleiben. Danach gab es eine Ausreise-Kandidatin, die dann auch weg war, und die dritte Kandidatin ging wieder nach Berlin zu ihrer alten Band zurück, weil sie sich wieder mit ihren alten Kollegen vertragen hatte ... und dann kam zum Glück Ina!
Und wo kam Ina plötzlich her?
Ina lernten wir kennen, weil ein Techniker aus Leipzig zu NA UND kam. In seiner bisherigen Band sang Ina Morgenweck und sie suchte auch gerade ein neues Betätigungsfeld. So kam sie zu uns und es war eine wirklich musikalische und menschliche Bereicherung und wunderbare Arbeit mit ihr - das war richtig professionell.
Dennoch ging es nicht mehr so lange weiter mit NA UND, denn Ihr habt ja dann Mitte der 80er Eure Arbeit eingestellt. Warum ging es nicht weiter mit Euch?
Es tat sich eine Entwicklung auf, in der das Leistungsniveau in der Band zunehmend auseinander klaffte, das machte musikalisch unzufrieden. Hinzu kamen auch einige private Querelen … Einfach mal als Beispiel: Wir spielten in Ungarn vor 10.000 Leuten bei einem Festival und dort gesellte sich plötzlich der Manager des angesagtesten Rock-Clubs in Budapest und der "OMEGA" Sänger Janos Kobor zu uns und luden uns für den Abend spontan zu einem Auftritt in diesen Club ein. Das wäre für uns natürlich eine super Chance gewesen, aber unsere Gitarristin meinte: "Nein, das machen wir nicht, ich muss mich erst mal frisch machen. Das mache ich nicht mit." Das war eine Sache, wo endgültig "Amateurgehabe" auf "Profiliga" traf. Ina und ich sahen uns an und beschlossen, dass es sich erledigt hat und wir kündigten. Wir hatten die Schnauze voll und mir selbst machte es keinen Spaß mehr, in meiner eigenen Band Musik zu machen. Ich nahm mir vor, mich nach etwas Neuem umzusehen oder eine neue Band zu gründen. Aber nicht wieder mit Mädels, sondern mit Männern.
Autogrammkarte Agentur Null 1985 (Foto: Archiv Harald Seidel)
1985 gründetest Du dann die Band AGENTUR NULL. Nur mit männlichen Kollegen, Du warst die einzige Dame. Aus welcher Idee entstand diese Band und warum "AGENTUR NULL"?
Nach unserer Kündigungsfrist waren Ina und ich weg, ich nutzte aber die Zeit schon, um an der Musikhochschule meine Fühler bei meinen Mitstudenten auszufahren. Ich fand hier den Sänger, den Bassgitarristen und den Keyboarder, die noch nicht so viel zu tun hatten und die Idee mit der neuen Band gut fanden. Da wir uns vom Studium her kannten, war es auch kein großes Problem, zusammen zu spielen. Einen der Kollegen, den Gitarristen, kannte ich, weil ich parallel zu NA UND schon in seiner Band aushalf, auch ihn zog ich mit in die neue Band rüber und so ging es eigentlich relativ schnell, dass ich wieder mit einer spielfähigen Truppe auf der Bühne stand. Die Idee für den Bandnamen brachte unser Manager Harald Seidel mit - so hieß in den 70er Jahren eine Fernsehserie über ein Pariser Detektivbüro. Den Namen fanden wir passend, denn wir fühlten uns auch wie Detektive, ständig auf der Spur nach neuen musikalischen Ideen.
Wer gehörte damals zur Gründungsbesetzung? Uwe Hiob als Sänger weiß ich …
Genau. Weiter waren Tino Taubert am Bass, Enno Schöniger an der Gitarre, Hendrik Borsitz an den Keyboards und ich als Schlagzeugerin dabei. Also die klassische 5er-Besetzung.
Relativ schnell hattet Ihr eigenes Material am Start. Kurz nach der Bandgründung gab es eine Zusammenarbeit mit Fred Gertz und IC Falkenberg. Wie kam es dazu?
Wir hatten einiges an Songmaterial und suchten nach Textern. Mit IC Falkenberg war es so, dass die Verbindung zu STERN MEISSEN schon immer irgendwie gegeben war. Wir fragten an und es klappte auch tatsächlich - er war damals relativ unkompliziert und schrieb uns sofort drei Texte. Fred Gertz wurde uns vom Rundfunk vermittelt, man legte ihn uns ans Herz. Die Texte, die er uns dann letztlich schrieb, passten richtig gut zur Musik und mit diesen hatten wir auch keine Probleme beim Rundfunk-Lektorat, was ja auch immer eine Klippe war, die es zu umschiffen galt.
Was Euch mit NA UND auch nicht unbedingt gelungen ist, gelang Euch mit AGENTUR NULL: Ihr konntet beim Rundfunk zunächst einen Titel produzieren. Er hieß "Als sie ging". War er auch ein IC Falkenberg-Titel?
Nein, das war der Song, den Fred Gertz getextet hatte.
Und von wem kam die Komposition?
Die kam direkt aus der Band vom Keyboarder. Auch das war ein Punkt, in dem sich AGENTUR NULL von NA UND unterschied. Die Eigenkreativität bei NA UND war nicht so gegeben. Michael Heubach schrieb uns Songs, denn unsere eigenen waren so wirklich prickelnd nicht. Das war sicher auch der Tatsache geschuldet, dass man viel zu jung war und keine Erfahrungen in dieser Richtung hatte. Bei AGENTUR NULL waren wir eben auch schon etwas älter und hatten etwas mehr Durchblick … (lacht)
Was war denn das für ein Erlebnis, zum ersten Mal in ein Studio zu gehen und seine eigenen Lieder produzieren zu können?
Das war schon aufregend! Aber das legt sich schnell, wenn man im Schaffensprozess steckt und völlig in der Arbeit versinkt.
Autogrammkarte Agentur Null 1988 (Foto: Archiv Harald Seidel)
Wie kam die Nummer denn beim Publikum an? Sie war ja in einigen Wertungssendungen dabei, wie kam sie draußen an?
Es war ein Song, der top zu Uwe Hiob als Sänger passte und die Leute nahmen ihn voll an.
Immerhin brachte Euch das Lied dann auch in Fernsehsendungen wie "STOP! ROCK", "rund", "Sprungbrett" und "Showkolade". Auch das war ja für Euch bzw. für Dich etwas völlig Neues, oder?
Meine erste Fernsehsendung war eine Sendung des DDR-Fernsehens, "Unterhaltung, mein Beruf", über die Dresdner Musikhochschule. Zu sehen bin ich unter anderem in dieser Sendung mit der Hochschul-Bigband unter Leitung von Günter Hörig mit dem Song "Perdido". Diesen kann man übrigens bei "Youtube" sehen. AGENTUR NULL war bis dahin noch nie im Fernsehen gewesen. Als es dann zum ersten Mal für uns los ging, fuhren wir also dort hin, staunten und ließen uns überraschen. Das war natürlich beeindruckend, eine coole Atmosphäre, aber man gewöhnt sich auch daran. Beim zweiten Mal ist man schon gelassener, aber wir waren natürlich stolz drauf.
Welche war denn die erste TV-Sendung?
Die erste Sendung für uns war tatsächlich "STOP! ROCK", das war die Wertungssendung für Rockmusik, die immer am Montag um 19.00 Uhr lief, wenn ich mich recht erinnere.
Dann gab es weitere Lieder, die ihr produziert habt. Zum Beispiel "Raus aus der Stadt" und "Ich hab keine Angst vorm Fliegen". Beide wurden vom damaligen Rundfunklektorat kassiert. Warum?
Eine richtige Begründung bekam man nicht, uns wurde gesagt, die Songs wären musikalisch nicht das, was die Leute interessieren würde. Das Ende der 80er war eine Zeit, wo alles, was mit "raus" oder "fliegen" zu tun hatte, von irgendwelchen Leuten so gesehen wurde, dass es eventuell in eine gefährliche Richtung gehen könnte. Damals ging ja die Ausreisewelle los, ich denke, das war einer der Gründe, warum man das eher nicht nahm. Aber die Songs kamen draußen beim Publikum gut an.
Gibt es die Lieder denn noch irgendwo als Konserve oder wurden sie komplett eingestampft?
Wir haben lediglich noch ein einziges Band von "Raus aus der Stadt", das konnten wir retten und liegt in unserem Hochsicherheitsarchiv … (lacht) Die anderen sind nicht mehr vorhanden, bzw. nur noch als Demoaufnahmen.
Dann las ich irgendwo, dass die Band nach musikalischen Querelen zerbrach und Du sie im März 1988 komplett neu aufgestellt hast. Was war da los?
Es gab in Dresden das Nachwuchsfestival "Der Goldene Rathausmann". Dorthin wurden Studenten von der Hochschule, von denen man annahm, sie könnten gut ankommen, delegiert. Auch Uwe Hiob wurde zu diesem Festival "delegiert" und belegte dort den zweiten Platz. Natürlich auch mit unseren eigenen Sachen, aber sein Interesse war damals poppiger. Und in genau diese Kladde wollte man dann auch die Band stecken. Es wurde also geliebäugelt in Richtung MÜNCHENER FREIHEIT, und das war nun absolut nicht mein Ding. Das wollte ich nicht, ich wollte schon immer in die rockige Richtung. Der Gitarrist - der auch auf die rockige Schiene stand - schied aus, weil er privat etwas anderes vor hatte. Keyboarder und Bassist tendierte ebenfalls in diese Pop-Richtung mit hinein und so stellte ich die Band noch mal komplett neu auf. Damals lernte ich unseren jetzigen Bassisten und Sänger Tom Vogel aus Dresden kennen. Ihn sah ich bei einem Talente-Festival in Riesa mit einer Amateurband auf der Bühne und für mich stand fest: "Genau den will ich haben." Nach diesem "Sehen und Hören" wusste ich, das funktioniert. Er ist ein sehr kreativer Mensch, es machte wieder Spaß. Von ihm stammten in dieser Zeit die meisten Songs und Texte. In der Band waren jetzt auch der aus Jena stammende Keyboarder Christian Kusch († 2007) - ihn lernte ich an der Musikhochschule kennen - Gitarristin Katrin Jaeckel aus Brandenburg und der Sänger Michael Müller.
Dann kam ja Ende der 80er Jahre diese Aufbruchszeit, viele hauten ab, es brodelte schon, die Leute ahnten, dass sich etwas ändert und dann kam die Wende. Trotzdem habt Ihr in dieser Zeit gearbeitet und auch neue Lieder entstehen lassen. Auf meinem Zettel stehen die Songs "Verlaufen", "Halbe Herzen" und "Rebellische Liebe". Wurden die produziert oder lauern die noch irgendwo auf Papier in der Schublade?
"Rebellische Liebe" konnten wir noch produzieren und das wollte der Rundfunk auch senden. Der Song entstand 1989 kurz vor der Wende, wurde dann allerdings nicht mehr gesendet, weil auch bei DT64 alles den Bach herunter ging. Leider haben wir davon auch keine Aufnahme mehr.
Und die beiden anderen Songs?
Da gibt es wohl noch Konservenmitschnitte von uns selbst, vom Rundfunk wurden sie aber nicht produziert.
Pressefoto für Bregenz: Agentur Null 1990 (Foto: Archiv Harald Seidel)
Für ein komplettes Album hat es nie gereicht, oder?
Die Zeit dafür war - denke ich - einfach viel zu kurz. Bis zur Wende waren wir viel unterwegs, denn wir lebten ja von der Musik. Vielleicht hätte man sich mehr Zeit dafür nehmen müssen, aber wir mussten spielen, um unseren Beruf ausüben zu können. Nachträglich betrachtet, hätte man sich etwas mehr auf den Hintern setzen und zusehen müssen, dass man da etwas mehr auf die Reihe bekommt.
Aber dass AMIGA schon Interesse bekundet hatte, mit Euch eine Platte zu machen, das gab es nicht, oder?
Das gab es überhaupt nicht. Es gab kurz vor der Wende lediglich mal eine Anfrage für einen Sampler, aber bei der Anfrage blieb es - es wurde nichts mehr draus. Mit der neuen Besetzung waren wir zu kurz unterwegs, da hätte man wenigstens mit einem Titel im Rundfunk richtig landen müssen. Dafür war zu wenig Zeit …
Da müssen wir noch mal einen kurzen Schritt zurück machen: Wo ging denn der Kollege Hiob hin, als er bei Euch raus war?
Seine damalige Band hieß BLAUE ENGEL - die gibt es schon lange nicht mehr. Uwe Hiob war danach als Solist unterwegs und hat dann auch lange Jahre überhaupt keine Musik mehr gemacht, sondern als Gesangslehrer und Coach gearbeitet.
1990 seid Ihr mit der AGENTUR NULL ins Ausland gereist, nämlich nach Bregenz in Österreich …
Das war eine ganz schöne und überraschende Einladung, die wir bekamen. Vor aller Freude dachten ich, wir müssen etwas Besonderes machen und stockten somit die Besetzung etwas auf. Man kennt sich ja untereinander und es gibt ein paar Sachen, die man auch gerne mal mit anderen Leuten macht, also nicht nur mit der eigenen Band. Ganz lange Zeit - seit den frühen 80er Jahren - kenne ich Buzz Dee Baur und es gab einen tollen, aus Cottbus stammenden Gitarristen, nämlich Micha Jurischk. Er verstarb leider viel zu früh im vergangenen Jahr. Mein Hintergedanke dabei war der, dass ich ja schon immer in die etwas härtere Ecke geschielt hatte. Also fragte ich Buzz Dee und Micha: "Was haltet Ihr davon, wenn Ihr zusammen mit uns nach Bregenz fahrt?" Micha meinte, er hätte zwei Songs, die da richtig gut passen könnten, und so marschierten wir mit den beiden Songs nach Bregenz. Den anderen Festival-Teilnehmern fiel bei der musikalischen Wucht unserer Songs die von der Bühne kam die Kinnlade runter, aber leider klappte es nicht mit dem ersten Platz. Wir waren bei diesem Intertalente-Festival die letzten offiziellen Teilnehmer der untergehenden DDR. Die Teilnahme an dem Festival war ein super Erlebnis und hat uns sehr beeindruckt. Mit unserem Auftritt beim Intertalente-Festival war die Welt musikalisch noch mal für uns in Ordnung ...
P.S.: noch eine kleine Anekdote am Rand - da wir mit unserem Barkas in Bregenz waren, waren wir für die Österreicher die Band mit dem "Trabant-Bus" ...
Ich vermute aber mal, Euch wird es genauso gegangen sein, wie all den anderen Kapellen aus Deiner Region: Es gab nach der Wende ein großes Loch, oder?
Nachdem wir aus Österreich zurück waren, war absolute Ruhe im Bau. Und nicht nur in meiner Region, sondern im gesamten "ostdeutschen Land", auch in Berlin! Wir hatten keine Verträge mehr, alles wurde gekündigt und es war musikalisch einfach nichts zu tun. Nun saßen wir da und überlegten, was man machen könnte …
Aber aufgelöst wurde die Band offiziell nie, oder?
Nein. Es war eigentlich mehr oder weniger jedem klar, dass wenn wir uns alle geschüttelt und in die neue Zeit "hinein gefuchst" haben, wir irgendwann wieder los machen würden.
1992 packtest Du es an, Ihr gingt wieder auf die Bühne. Natürlich war Tom Vogel wieder dabei sowie Andreas "Bruno" Leuschner und Ecki Lipske. Wie kam es denn dazu, dass die beiden electra-Jungs zu Dir gestoßen sind?
Gitarristin Katrin Jaeckel ging mit Keyboarder Christian Kusch 1991 gemeinsam nach München und sie blieben dort. Die beiden electra-Jungs kannte ich durch die Hochschule schon, bevor sie überhaupt bei electra spielten! Es klappte aber nie, dass wir tatsächlich in einer Band spielten, obwohl sie immer Kandidaten waren, die ich in der Band haben wollte. 1992 klappte das dann, auch der Sache geschuldet, dass electra zu dieser Zeit nicht spielte. Sie hatten dasselbe Problem wie wir - keine Muggen. Also stieß ich das Ganze an und sagte: "So Leute, aber jetzt können wir mal wieder losziehen." In der Anfangszeit war es schwer und zäh, aber wir zogen es durch. Das sind die Leute, die mich bis jetzt begleiten. Tom Vogel natürlich mit Abstand am längsten, aber "Bruno" Leuschner und Ecki Lipske fast genauso lang. Wir standen auch immer in Kontakt. Wenn man eine Antenne füreinander hat, dann entwickelt sich manches und irgendwann klappt es dann auch. Die beiden wollte ich eben auch schon immer dabei haben. Und es verbindet uns über all die Jahre nicht nur die musikalische Zusammenarbeit, sondern wirkliche Freundschaft.
Agentur Null mit Reinhard Fißler (Foto: Archiv Harald Seidel)
Noch ein großer Name, der irgendwann zu Euch gestoßen ist, war Reinhard Fißler, der Mitte der 90er die Position am Mikrofon übernommen hatte. Wie kam denn Reinhard Fißler zur AGENTUR NULL?
Das hing damit zusammen, dass auch STERN-COMBO MEISSEN zu dieser Zeit nicht spielte. Wie schon gesagt, hatten wir - auch privat bedingt - immer eine gute Verbindung zu STERN-COMBO MEISSEN …
Aber Reini war ja schon seit den 80er Jahren nicht mehr bei der STERN-COMBO, da war er ja schon ewig raus ...
Er machte auch Solo-Programme und spielte mal in Meißen in einem kleinen Club. Dort traf ich ihn, wir quatschten miteinander und ich sagte, "Was hältst Du denn davon, wenn wir mal zwei oder drei Songs von STERN-COMBO MEISSEN bei einer Mugge von uns zusammen machen?" Das taten wir auch und dann war er der Meinung, dass man eigentlich mehr machen sollte. In Radeberg hatten wir dann ein richtig tolles Konzert im damals noch existierenden Kulturhaus "Maxim Gorki" mit ihm. Die Leute waren absolut begeistert, die ehemaligen STERN-Fans kamen dorthin gepilgert und waren happy. Natürlich kamen auch Martin Schreier und Detlef Seidel und meinten: "Na, wenn das so gut läuft, dann können wir STERN-COMBO MEISSEN auch wieder beleben." Das war Glück für STERN, für uns war erst mal diesbezüglich "Schicht im Schacht", schade, denn wir hatten ja auch viel Energie hinein gesteckt.
Mit AGENTUR NULL gabt Ihr bis ca. 1998 eigene Konzerte und dann stelltet Ihr Euch total um und machtet etwas, was es in der DDR in den 70er Jahren schon gab, nämlich Schülerkonzerte. Also nicht vor dem großen Publikum, welches Tickets kauft, sondern rein in die Schulen und Schüler bemusizieren. Wie kam es denn dazu?
Die Sache mit den Schülerkonzerten lief eine ganze Zeit parallel. Wir bekamen eine Anfrage von einem sehr interessierten Schuldirektor, der in Dippoldiswalde auch einen Kultur-Job innehatte. Er meinte: "Das war früher eine gute Sache und da sich Schüler in der achten Klasse doch eher für populäre Musik und weniger für Klassik interessieren, wäre es schön, könnte man wieder eine Art Schülerkonzerte auf die Beine stellen." Bruno Leuschner war dort als Musiklehrer tätig und so kam dieser Direktor auf uns. Spaßeshalber probierten wir so ein Konzert, es war natürlich völliges Neuland. Ich hatte Zweifel, ob das was wird. Es hätte ja auch sein können, die Schüler werfen mit Tomaten … (lacht) Aber nein, es funktionierte richtig gut. Wir spielten also eine ganze Zeit mit AGENTUR NULL ganz normale Konzerte, aber eben auch diese Schülerkonzerte. Dass wir dann mit AGENTUR NULL nur noch diese Schülerkonzerte machten, hing mehr oder weniger damit zusammen, dass ich - das ist nun wieder ein Zeitsprung - nach den MCB-Touren in den Jahren 2000 und 2001 erst mal das Trio mit Tom Vogel und Ecki Lipske aufmachte. Da hatte ich so viel "Heavy-Adrenalin" in mir und ich dachte, dass wir das jetzt unbedingt machen müssen. AGENTUR NULL blieb also für die Schülerkonzerte bestehen und ich war mit Tom Vogel und Ecki Lipske zu dritt unterwegs. Tom brachte als Gag den Vorschlag an, uns "Die 3 Ullis" zu nennen, aber das war uns dann für unsere Musik doch zu lustig - unser Manager stellte uns bei den Veranstaltern vorerst als "Angie and the Birds" vor, später nannten wir uns "Crazy Birds".
Diese Schülerkonzerte macht Ihr ja heute noch …
Ja, da ist auch kein Ende abzusehen. Wir werden immer wieder gebucht, das sind sechs oder sieben Konzerte im Jahr. Wir machen das wirklich gerne und wir sehen auch zu, das stets zu aktualisieren. Es ist also nicht so, dass wir seit 20 Jahren immer wieder dasselbe spielen. Wir beleuchten verschiedene Aspekte, am Anfang stellten wir Instrumente vor, dann geht es um die Geschichte der Rockmusik. Wir sind also bemüht, das Ganze auf einem aktuellen Level zu halten, damit es auch für die Schüler interessant bleibt. Die Schüler sind wirklich äußerst interessiert. Man sagt ja immer "Kinder sind ein sehr kritisches Publikum, Jugendliche noch mehr" - das macht wirklich jedes Mal Spaß. Das einzige, was keinen Spaß macht ist, dass wir morgens um sieben Uhr losfahren müssen, weil die Konzerte um 10.00 Uhr beginnen. Das ist etwas beschwerlich …
Wenn Du sagst, Ihr passt das Ganze auch dem Zeitgeist an: Beschränkt sich das nur auf Rockmusik oder fangt Ihr dann auch plötzlich an, Hip Hop zu machen oder Schlager?
Nein, diese Themen sind ausgeklammert. Als Überbegriff für diese Konzerte steht "Geschichte der Rockmusik". Was wir machen ist, das mit aktuellen Songs zu gestalten. Jeder stellt auch sein Instrument kurz vor und du musst dir natürlich immer wieder etwas Neues einfallen lassen, was die Schüler auch interessiert. Wir merken das immer, wenn das Konzert vorbei ist und fünf oder sechs Schüler kommen nach vorn und sagen: "Das war ja so ein herrliches Konzert, weil es nicht vom Computer kam." Ein richtiges Instrument in die Hand zu nehmen und zu sehen, wie es funktioniert, wissen komischerweise die wenigsten. Das ist ganz merkwürdig. Für die Lehrer dieser Altersklasse ist es natürlich auch eine absolute Bereicherung, weil sie keine Möglichkeit haben, in einem kleinen Klassenzimmer alle Instrumente der Rockmusik richtig vorzustellen. Genau das können wir in diesem Konzert machen und sind somit eine Bereicherung des Lehrplans. Die Lehrer sind dann meistens genauso happy, wie die Schüler. Und wenn dann noch das Interesse wie, "Oh, ich würde auch gerne Gitarre lernen" oder "Ich würde gerne Schlagzeug spielen" kommt, merkst du unmittelbar, ob das Konzert gut war oder nicht. Das ist schon wunderbar.
Agentur Null 1999 (Foto: Archiv Harald Seidel)
Du hast gerade schon den Vorgriff auf die Jahre 2000 und 2001 gemacht, nämlich Deine Beteiligung an der "Heavy Mörtel Mischmaschine"-Tour der Gruppe MCB. Da trommeltest Du zwei Jahre neben Buzz Dee Baur an der Gitarre und Herrn Demnitz am Bass. Wie kam es dazu und was hast Du noch in Erinnerung an diese zwei - ich denke mal - sehr intensiven Jahre?
Auf jeden Fall!!! Es waren zwei Touren, da Buzz Dee zu dieser Zeit auch schon bei KNORKATOR war. Da musste man sich also die Zeiträume raussuchen um zu sehen, wann es klappt. Meine anderen Bands liefen ebenfalls weiter. Ich war glücklich und bin noch heute absolut stolz, dass die Jungs mich dazu genommen haben. Na ja, wie kam es dazu? Wie gesagt, Buzz Dee kenne ich schon mein gesamtes musikalisches Leben lang und wir stehen auch in Kontakt. Wir telefonieren zwar nicht jeden zweiten Tag miteinander, aber in letzter Zeit gibt es immer zum Jahresanfang einen ausführlichen "Jahresreport" darüber, was es Neues gibt. Es hatte sich irgendwie ergeben, wir trafen uns bei einem KNORKATOR-Konzert und auf die MCB-Kiste stand ich schon immer. Und Mike Demnitz kannte ich auch, er hatte bei AGENTUR NULL ab und zu zur Aushilfe gespielt. In Dresden kennt man sich als Musiker einfach untereinander, da kennt jeder jeden. Und wenn jemand mit dem anderen kann, dann funktioniert das auch irgendwie. Jörg Borchert, der Original-MCB-Schlagzeuger, war auch mit von der Partie und so gab es die Idee - deshalb kam ich auch hinzu - mit zwei Schlagzeugen zu spielen, um das Ganze noch rockiger und druckvoller zu machen. Das war auch ein völliges Novum, vom Trio zum Quartett mit zwei Schlagzeugen. Von Jörg Borchert, BuzzDee Baur und Mike Demnitz habe ich viel gelernt, das war für mich ein richtiger "musikalischer Arschtritt", um mich noch mal richtig hoch zu raffen. Es war ja wirklich wesentlich härter als alles, was ich bisher gemacht hatte. Das fand ich gut und klemmte mich total dahinter.
Und dann wurde quasi als Ableger der AGENTUR NULL die Band CRAZY BIRDS gegründet. Kann man das so sagen?
Eigentlich ja, das kann man sagen. Als die zweite Tour mit MCB vorbei war sagte ich mir, man müsste eigentlich mal etwas Härteres machen und ich ziehe jetzt einfach mal zu dritt, also mit Tom Vogel und Ecki Lipske, los. Und wenn sich eine Gelegenheit ergibt, machen wir das bis zum heutigen Tag ... (lacht) Es gibt auch verschiedene Veranstalter, die uns in dieser Zeit gehört haben, die fragen uns: "Könnt Ihr nicht auch mal wieder in der Trio-Besetzung vorbei kommen?" Dann sind wir eben die CRAZY BIRDS als Trio. Aber das ist nur für ausgewählte Sachen - z. B. Bikerpartys oder in Plauen gibt es so einen Schuppen, die wollen uns eben zu dritt hören, und dann kracht es richtig im Karton - dann hauen wir den sprichwörtlichen Riemen auf die nicht vorhandene Orgel (Zitat von Kundi).
Wie ich las, hattet Ihr auch verschiedene Gast-Musiker dabei und es wurde experimentiert. Wen habt Ihr in der Anfangszeit denn ausprobiert?
Wir arbeiteten zum Beispiel mit einem zweiten Gitarristen, das war Konrad Hartsch. Den lernten wir bei einer Veranstaltung in Dresden kennen und Tom meinte, "Zwei mal Gitarre ist vielleicht auch mal ganz gut." Dann stockten wir das Trio also auf ein Quartett auf und dann war es 2015 so, dass sich electra offiziell aufgelöst hatte und Gisbert Koreng auch nichts zu tun hatte. Und so nahmen wir Gisi für Veranstaltungen, von denen wir wussten, dass es passt, mit dazu. Bei Gisi war es dann so, dass er tatsächlich blieb. (lacht) Für 2017 hatten wir eine Sommertour geplant, die nannte sich CRAZY BIRDS & FREUNDE. Wir hatten das Angebot für eine Ostsee-Tour und dachten uns: "Okay, da könnten wir auch mal wieder was anderes machen." Eigentlich waren dafür die Sänger Michael Barakowski (Perl), HC Schmidt (Zwei Wege) und Gisbert Koreng geplant und das Ganze hieß "Drei Sänger - Eine Band - Ein Konzert". Mit Ausnahme von Michael Barakowski, der sehr gern mitgemacht hätte und auch einige Duette mit mir zusammen singen wollte, kam es auch zu dieser Tour. Leider ist Micha Barakowski kurz vor der Tour schwer erkrankt und konnte nicht mitmachen. Er verstarb leider im Januar 2018. So starteten wir diese Tour nur noch mit HC Schmidt und Gisbert Koreng. Aus dieser einen Tour und der Besetzung mit Gisbert Koreng dachten wir uns: "Für die electra-Musik ist es ja auch irgendwie schade, nicht mehr gespielt zu werden." Und wir hatten - mit Ausnahme von mir und Tom Vogel - ja fast die komplette Besetzung beisammen. Von daher bot es sich an, die Songs auch zu spielen. Die andere Variante ist, dass Tom gesanglich völlig anders konzipiert ist, er liebt Stephan Trepte-Songs und kann sie richtig gut mit seinem ganz eigenen Stil interpretieren. Das steht ihm gut und natürlich kam auch das Publikum an und meinte: "Mensch, wenn der Gisbert Koreng dabei ist und Tom so auf Stephan Trepte steht, dann macht das doch!" Am Anfang also gar nicht beabsichtigt, aber im Selbstlauf wurde es so, dass die eine Hälfte des Programms aus Gisbert Koreng-Titeln und StephanTrepte-Songs besteht und der zweite Teil aus eigenen Songs, die in der Band entstanden.
Für ein halbes Konzert habt Ihr also schon eigene Sachen?
Ja, auf jeden Fall.
Seid Ihr denn 2001 angetreten, um eine Cover-Band zu sein oder hattet Ihr damals schon vor, eigenes Material zu erarbeiten?
Das ließen wir eigentlich mehr oder weniger auf uns zu kommen. Mit dem Trio, das war eine Band zum Austoben, da hatte ich von MCB noch zu viel Adrenalin in mir, das musste raus …
Was hattet Ihr denn in der Anfangszeit im Programm?
Lenny Kravitz und METALLICA-Songs zum Beispiel, aber wir machten auch Sachen, die nicht ganz so hart waren, wie "Purple Rain" von Prince. Der Punkt war, dass es gitarrenorientiert war. Wir tobten uns aus und nahmen sogar Sachen von Jimi Hendrix auf. Das war auch Tom Vogel geschuldet, weil er das richtig gut singen konnte. Auf eigene Sachen legten wir gar nicht so großen Wert, das kam erst wieder 2015 in der Besetzung mit "Bruno" Leuschner an den Keyboards. Da meinte auch Tom, dass man für diese Besetzung wieder eigene Songs machen könnte. Von früher kramten wir zum Beispiel den Song "Halbe Herzen" wieder raus und bearbeiteten ihn neu. Ebenso entstanden in dieser Zeit der Song "Dynamo Star". Es ist eine Geschichte, die uns ein Sportjournalist über den ehemaligen DDR- Fußball-Profi von Dynamo Dresden - Jörg Stübner - erzählt hatte. Den Text schrieben dazu Tom und Daniel DeBarth (u. a. 2raumwohnung). Und ganz wichtig der "Song für Anneli".
"Halbe Herzen" - das ist der Song, der während der Wendezeit entstand, aber nie produziert wurde …
Ganz genau.
Du sagtest, Ihr hattet verschiedene Sänger und es sollte auch die angesprochene Sache mit Michael Barakowski passieren. Ihr habt aber auch eine ganze Zeit mit IC Falkenberg am Mikrofon Konzerte gespielt …
Ja, das war kurios. Wir spielten 2010 mit CRAZY BIRDS bei einer Veranstaltung und IC Falkenberg war als zweiter Act bei dieser Veranstaltung dabei. Da wurde die Idee vom Veranstalter geboren, wie es denn wäre, wenn wir ihn - er war als Solo-Künstler dabei - bei einigen Songs begleiten würden. Wir sagten: "Das ist überhaupt kein Problem." Am Ende fanden wir das übereinstimmend absolut chic und kamen auf die Frage, was wir denn machen sollten, würde eine weitere Anfrage in dieser Richtung kommen. So tourten wir neben unseren eigenen Konzerten von 2011 bis 2016 als Backingband gemeinsam mit ihm. Das war mal wieder eine völlig andere Sache, aber auch die machte viel Spaß. Wir spielten also quasi seine Hits mit zwei Gitarren, IC brachte sein Keyboard mit, aber insgesamt war es sehr gitarrenorientiert, was den Songs dann auch teilweise ein anderes "musikalisches Gewand" gab.
Crazy Birds mit IC Falkenberg (Foto: Archiv Harald Seidel)
Eine Band lebt ja quasi von ihren Fans. Und die CRAZY BIRDS haben natürlich auch ihre Fans. Einer, den ich da absolut heraus heben möchte, ist jemand, der die CRAZY BIRDS bei "Deutsche Mugge" erst mal richtig einführte. Das war Gundolf Zimmermann, der Kundi. Er war ja - glaube ich - Euer größter Unterstützer …
Ja, das ist wohl wahr. Er schrieb einen Bericht über eines unserer Konzerte und war völlig begeistert. "Fan" ist eigentlich kein passender Ausdruck mehr, er wurde zu einem Freund von uns. Du kennst ihn ja auch. Er war derartig musikinteressiert und wir bedauern es, dass er so plötzlich verstorben ist. Das war für uns ein Schlag ins Kontor, als wir davon erfuhren. Wir denken immer an ihn und wir zitieren ihn auch in unseren Konzerten.
Kundi war ja quasi eine Art PR-Mann für Euch und rührte überall die Werbetrommel. Dass Leute wie er wichtig sind, ist klar, aber wie wichtig war er für Euch als Band? Und wie sehr fehlt dieser Support?
Es war tatsächlich so, dass uns Kundi durch seine Foren und Kontakte bekannter gemacht hat. Auch in Gegenden, wo wir normalerweise nicht spielen. Plötzlich kamen Leute und wollten das auch mal sehen. Er hat uns "Crazy Birds" von Anfang an begleitet und war wirklich wichtig für uns. Alles beruhte mit ihm auf Freundschaft und das ist in der heutigen Zeit sehr, sehr selten. Wenn er bei unseren Konzerten auftauchte, war er einer von uns - er gehörte dazu! Er hatte auch eine unglaubliche Art, sich in seinen Konzertberichten über uns auszudrücken. Legendär waren z. B. seine Ausführungen wie "Rock'n'Roll ist kein Kindergeburtstag" und "Dafür ist dieser, gelegentlich als wild-chaotisch erscheinende Haufen nicht nur bekannt, sondern sogar beliebt".
. Grüße gehen raus nach oben, würde ich mal sagen …
Auf jeden Fall. Wir sagen manchmal: "Mensch Kundi, konntest Du nicht noch etwas warten?" Es wäre uns sehr lieb gewesen, wenn er noch immer unter uns weilen würde. Vor Jahren bekam ich von Kundi ein von ihm entworfenes T-Shirt geschenkt, das ziehe ich seitdem prinzipiell bei unseren Konzerten an und ich hoffe, dass es mir noch sehr lange nicht vom Körper fällt. Das ist wie ein Talisman … Jetzt begleitet uns seine langjährige Mitstreiterin und Weggefährtin, unsere Freundin "Tina mit Hut", mit ihrem Netzwerk.
Angela und "Kundi" (Foto: Kundi privat)
Der nächste Schlag ins Kontor war die Pandemie, verbunden mit der Arbeitslosigkeit für die Kulturbranche. Wie habt Ihr diese Zeit empfunden bzw. überlebt?
Na ja, es war schon komisch, dass auf einmal überhaupt nichts zu tun war. In den ersten 4 Wochen war es vielleicht noch erträglich, es gab eben mal keinen Stress, das tut auch mal gut. Nachdem es sich aber doch über längere Zeit erstreckte, nervte es schon. Wir machten es, wie es eigentlich jede andere Band machte: Wir setzten uns hin und versuchten, an Songs zu arbeiten - auch konspirativ in Eckis Studio in Leipzig. Ich suchte mir einen Song aus, der zwar schon "horn-alt" ist , den ich aber schon immer ganz toll fand: "Zieh die Schuhe aus, Kind" von STERN, den damals Nina Hagen sang. Er stammt aus dem DEFA-Film "Hostess" und ist eine Komposition von Thomas Kurzhals, der Text stammt von Norbert Jäger/Kurt Demmler. Nun bin ich Schlagzeugerin. Background-Singen ist zwar okay, aber das wollte ich jetzt auch mal solistisch probieren. Die Jungs sagten: "Na klar, das machen wir ..." Also nahmen wir diesen Song auf und spielen ihn jetzt auch in unseren Konzerten. Beteiligt war an dieser Produktion auch der Dresdner Musiker und mein langjähriger Freund und Studienkollege Hans-Jörg-Hombsch.
Als es dann wieder los ging mit dem Live-Spielen, wart Ihr plötzlich wieder da. Habt Ihr Veränderungen vor der Bühne festgestellt oder ging es so weiter, wie es vor der Pandemie aufhörte?
Veränderungen waren auf jeden Fall festzustellen. Es wurde ja geunkt, wenn die Pandemie vorbei ist, geht alles wieder los und alle kommen geströmt und alle haben wieder Spaß. Aber in diesen zweieinhalb Jahren entstand auch eine gewisse Faulheit, wobei "Faulheit" der völlig falsche Ausdruck ist. Die Leute fanden sich zum Teil damit ab, dass es eben keine Konzerte mehr gab. Sie sind noch immer deutlich verhaltener. Die Corona-Zeit war zwar vorbei, aber mit dem Spielen war es immer noch nicht so schnell im Gange. Auch deshalb, weil Veranstalter - vor allem in vielen staatlich geförderten Häusern, die in der Corona- Zeit gar nichts taten - es sich nun einfach bequem machten: Sie luden für 2021 die Künstler von 2020 und im kommenden Jahr die von 2021 für 2022 ein - das trifft es vielleicht … Es trat eine gewisse Bequemlichkeit ein. Damit müssen wir leben und ich hoffe, dass sich das wieder ändert. Nun kommt das nächste Problem hinzu, dass alles viel teurer geworden ist. Damit haben natürlich auch die Veranstalter zu kämpfen. Wir haben beispielsweise einen Veranstalter, bei dem wir regelmäßig spielen, der sagte zu uns: "Leute, ich kann im Winter keine Konzerte mehr machen, weil ich den Saal nicht beheizen kann. Das schaffe ich bei den aktuellen Energiekosten nicht." Nach Corona haben wir nun also mit solchen Dingen zu tun und somit kann man nicht sagen, dass es nach Corona weiterging, wie vorher. Es ist zwar anders gelagert, aber es bleibt kompliziert. Für Bands ist es ohnehin sehr schwer geworden zu spielen. Zum Einen haben sich fast alle größeren Konzerthäuser und jetzt auch schon kleinere Eventlocations auf solche "Garantie-Formate" mit Comedians oder Konzerte mit Solisten, maximal Duos, begleitet mit Piano oder Gitarre oder gepaart mit Lesungen verlegt - wobei ich diesen Künstlern keineswegs ihre künstlerische Leistung abspreche. Oder es werden solch super teuren Events gestartet, wo die Eintrittspreise so astronomisch hoch sind, wo man sich wundert, dass die Leute trotzdem hinrennen. Und diese Produktionen sind fast deckungsgleich im ganzen Land in solchen Häusern zu sehen. Für "normale" Bands sind diese Programmformate der schleichende Tod. Deshalb habe ich Hochachtung vor allen Veranstaltern, die nach wie vor kreativ, offen und risikobereit Bands in ihre Veranstaltungen einbauen.
Angela Ullrich (Foto: Archiv Harald Seidel)
Eingangs sprachen wir darüber, dass Euch eine gute Stimme verloren ging, als Gisi sagte, dass er nicht mehr könne. Dafür habt Ihr dann einen alten Bekannten von Dir wieder ins Boot geholt und da las ich witziger Weise bei Facebook die Frage an Euch, wie es Euch gelang, Manuel von Senden in die Band zu bringen …
(lacht) Ja, das passierte in Freiberg zum Bergstadtfest. Keine Ahnung, wie diejenigen darauf kamen, dass unser Sänger Manuel von Senden sein könnte. Ich denke mal, Uwe Hiob hat eine Stimme, die von der Klarheit her akustisch sehr in diese Richtung geht und da dachte wohl jemand, das könne Manuel von Senden sein. Das war natürlich wirklich witzig, weil damit ja nun wirklich niemand rechnete. Zu Uwe Hiob muss ich noch etwas erklären: Ihn kenne ich nun auch schon ewig und drei Tage aus der Anfangszeit mit AGENTUR NULL. Ich wusste, seine Stimme passt zu den Songs die wir spielen und ich wusste auch, dass er schon immer electra-Fan war. Und da er für diese Musik richtige Zuneigung empfindet und das Feeling dafür hat, konnte es besser eigentlich gar nicht kommen. Wie gesagt, machte Uwe lange Zeit keine Musik. In Dresden kennt man sich, man verlor sich zwar über viele Jahre aus den Augen, aber ich fragte ihn einfach mal an. Es hätte auch sein können, dass er keine Lust gehabt hätte, zusätzlich zu seinem Job draußen mit uns rum zu ziehen. Aber es war glücklicherweise so, dass Uwe Lust darauf hatte und es total wollte. In dieser Beziehung hatten wir absolut Glück, es hätte auch anders kommen können. Der Wechsel und die Tatsache, dass Gisbert Koreng ausscheiden würde, war ja überhaupt nicht geplant. Seine Krankheit platzte einfach über uns hinein … Dennoch: Uwe Hiob bringt natürlich auch frisches Blut in die Band und neue Ideen mit.
Du sprichst die ganze Zeit darüber, Ihr habt eigenes Material, füllt damit das halbe Konzertprogramm, Uwe bringt auch etwas Neues mit. Wie sieht es denn mal mit einem eigenen Album aus?
Wir haben das schon lange geplant und sind gerade dabei, alles Material zu sichten, zu ordnen und teilweise neu zu arrangieren. Unter anderem ist auch ein Instrumental von Ecki Lipske geplant und ganz besonders liegt uns der "Song für Anneli", über dessen Entstehungsgrund Du ja bereits im Jahr 2016 geschrieben hast, am Herzen. Aber unser Hauptaugenmerk liegt natürlich trotz allem weiterhin darauf, als "Live-Band" stattzufinden.
Die Hoffnung ist also noch nicht gestorben?
Nein, das wäre ja schlimm! Musik ist Bewegung und mit Stillstand erreichst du sowieso nichts. Das sind wir auch nicht gewöhnt. Als Musiker hast du nur eine Chance: Entweder machst du so lange weiter, wie deine Kraft reicht, ansonsten kannst du dich zur Ruhe setzen und aufhören. Musik und Stillstand geht gar nicht. Man muss immer sehen, dass man vorankommt. Das durchzieht mein ganzes musikalisches Leben - Zähne zusammenbeißen und immer wieder aufstehen. Neulich sah ich eine Doku über Doro Pesch, sie sagte es genauso. Auch sie drückte manches im Musikeralltag nach unten, aber sie ließ sich dennoch nicht unterkriegen. Dem kann man nur mit Disziplin begegnen, ansonsten geht man unter …
Okay, ein Album der CRAZY BIRDS ist noch in Sicht, aber dafür ist ein Filmbeitrag über Dich in Sicht. Darüber kannst Du uns jetzt mal etwas erzählen, denn Du kommst bald ins Fernsehen oder ins Kino?
In diesem Sommer begleitete uns als Band ein Film-Team der ARD. Die Idee für diese Doku stammt von jemandem, der meine Biographie las und sich dafür interessierte. Es wird also einen Beitrag über mich geben, der meinen Werdegang vom Amateurmusiker im Teenager-Alter bis heute aufzeigt. Gedreht wurde im Probenraum, während der Ostseetour der Musiker-Alltag im Backstage sowie während und nach der Mugge. Auch meine Bandkollegen kommen natürlich zu Wort.
Ist das ein Spielfilm, eine Reportage oder wie kann man sich das vorstellen?
Es ist weder ein Spielfilm noch eine Reportage - es ist ein filmisches Porträt. Unter anderem wird auch Dirk Michaelis dabei sein. Der Arbeitstitel war bei Drehbeginn "Amateurbands in der DDR". Gesendet werden soll der 90 Minuten-Beitrag am 11. Dezember 2023.
In der ARD?
Nein zur Prime-Time um 20.15 Uhr beim MDR.
Crazy Birds (Foto: Archiv Harald Seidel)
Das klingt spannend …
Ja, das ist spannend! Ab und zu bekommen wir eine Nachricht über den filmischen Fortschritt, im Moment wird gerade geschnitten und die Jungs vom Produktions-Team sind am Wirbeln.
Bis Oktober ist es noch ein wenig hin, wie geht es mit den CRAZY BIRDS weiter? Gibt es Termine, die zu erwähnen wären?
Der Urlaubsmodus ist vorbei, gespielt haben wir jetzt schon Coswig, Die nächsten Konzerte sind in Aue zum "Tag der Sachsen", in Meißen zum "Weinfest", in Dresden-Weixdorf, in Ortrand und noch mal in Dresden. Bis Ende Oktober haben wir also gut zu tun und wir freuen uns darüber.
Dann danke ich Dir für die Zeit und Deine Antworten auf meine vielen Fragen. Möchtest Du abschließend noch ein paar letzte Worte an die Leser richten?
Ich hoffe, dass beim Leser angekommen ist, dass ich kein "Einzelkämpfer" bin, sondern das alles, was ich musikalisch erreicht habe, nur mit Hilfe meiner Musikerkollegen, meiner Freunde, meiner Familie und meinem Lebensgefährten und Manager möglich war und ist. Deshalb bin ich stolz darauf, dass es mir gelungen ist, über all die Jahre meine Bands zusammenzuhalten und mit solch hervorragenden Musikern auf der Bühne gestanden zu haben und zu stehen ... und das soll auch in Zukunft so bleiben. Vom Rock'n'Roll komme ich nicht los!
Interview: Christian Reder
Übertragung: Mike Brettschneider
Fotos: Gundolf Zimmermann, Petra Meißner, Archiv Harald Seidel
Übertragung: Mike Brettschneider
Fotos: Gundolf Zimmermann, Petra Meißner, Archiv Harald Seidel