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Interview vom 2. Februar 2023



Es gibt Leute, die schreiben Hits und werden dadurch unsterblich. Und dann gibt es die Leute, die Bands gründen, passende Musiker dazu holen, Muggen aufreißen, Plattenverträge aushandeln und überhaupt für die Rahmenbedingungen sorgen, damit die eben erwähnen Hitschreiber unsterblich werden können. So einer ist Henning Protzmann. Henning ist nicht nur Bassist, sondern auch ein Macher und einer, der immer "auf Achse" war. Ohne ihn hätte es die Gruppe PANTA RHEI nie gegeben, aus der so viele große Musiker hervor gegangen sind. Er hatte die Idee dazu und er brachte den Stein Anfang der 1970er ins Rollen. Ohne ihn hätte es auch KARAT nicht gegeben, die er 1974 nicht nur gegründet hat, sondern für die er lange Jahre der organisatorische Leiter - neudeutsch: Manager - war. Durch ihn wurde diese Band zum Export-Schlager. Ohne ihn hätte es in den 90er Jahren auch die Gruppe JAZZIN' THE BLUES nicht gegeben, die viele Jahre Manfred Krug begleitet und musikalisch nach dessen Vorstellungen perfekt in Szene gesetzt haben. Er ist nicht der Hitschreiber, aber der Hitmacher. Und dies nun schon seit fast 60 Jahren. Stolze sechs Dekaden steht der gebürtige Sachse also inzwischen auf der Bühne und wird dies im April dem Anlass entsprechend in Halle (Saale) feiern. Ein Konzert mit Gästen wird es sein, bei dem er mit seiner Gruppe PANTA RHEI auf der Bühne stehen wird. Unser Kollege Christian sprach deshalb mit Henning über dieses Jubiläumskonzert, besuchte in diesem Gespräch mit ihm nochmal alle Stationen seiner bunten Karriere und fragte den Musikanten natürlich auch nach seinen Plänen für die Zukunft ...




Vor 20 Jahren machten wir zu Deinem 40-jährigen Bühnenjubiläum ein Interview, und kaum ein paar Tage später ist es nun schon das 60. Jubiläum. Herzlichen Glückwunsch!
(lacht) Danke! Dazu muss ich etwas sagen: Eigentlich ist es das 59., aber ich beschloss, diese semiprofessionelle Band, in der ich als Student spielte, hinzuzurechnen. Wer weiß, was noch passiert im Leben. EVERGREEN SWINGTETT hießen wir. Wir hatten eine Einstufung der Sonderklasse und daher ist es nun die "60". Vor neun Jahren zum 50-jährigen Jubiläum begann ich, bei der SCHIKORA-Band zu zählen ... Mit dem EVERGREEN SWINGTETT spielten wir damals schon 10 bis 15 Mal im Monat und wir spielten das, wie wir hießen: Evergreens wie "I Can't Give You", "Moonglow" oder "Summertime" und solche Sachen.


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Wer war denn damals dabei? Auch bekannte Namen?
Das waren damals zwei Studenten und zwei aus der Dresdner Musikszene. Ich war 17 und nun werde ich bald 77. Stell Dir das mal vor, so alt wird kein Esel ...

Doch doch, da gibt es doch noch ältere ...
Stimmt. (lacht)

Als wir vor 20 Jahren gesprochen haben, gab es ein Festival in Woltersdorf, bei dem Du mit der Band JAZZIN' THE BLUES gespielt hast. Was ist eigentlich aus dieser Band geworden? Die gibt es ja nicht mehr.
Es ist so, ich rief damals die Veranstaltungsreihe "Blue Summer Night" ins Leben. Das war in Woltersdorf auf der Maiwiese. Den Namen JAZZIN' THE BLUES hielt ich 16 Jahre am Leben und von ihnen waren zwölf Jahre gemeinsam mit MANFRED KRUG, die für mich sehr sehr schön waren, weil ich zu diesen mindestens 50 Prozent DDR-Bürgern und Musikern gehöre, die ihn sehr verehrt haben. Das machte großen Spaß und ich bin ja auch ein von GÜNTER HÖRIG in Dresden ausgebildeter Swing-Musiker. Deshalb musste ich mich zu nichts zwingen und ich musste nichts spielen, was ich nicht gewollt hätte. Die Swing-Nummern von RAY CHARLES und anderen waren in mir drin. Dann verstarb MANFRED KRUG und nach 16 Jahren JAZZIN' THE BLUES erinnerte ich mich wieder mehr an die deutschsprachige Rockmusik, welche in meinem Leben ja auch eine ziemlich große Rolle spielte. Bei den Konzerten der "Blue Summer Night" hatte ich oft zwei Bläser dabei und ich dachte, ich könne auch mal wieder etwas mit Bläsern machen. Bei PANTA RHEI waren es vier, aber mit drei Bläsern geht das auch. Ein Dreier-Bläsersatz macht sich gut und so rief ich 2015 den Namen PANTA RHEI wieder ins Leben. Aber nicht PANTA RHEI II, sondern mit meinem Namen versehen. HENNING PROTZMANNs PANTA RHEI, damit es keine Missverständnisse gibt, da die meisten von der einstigen Band leider nicht mehr am Leben sind. Das machen wir nun seit acht Jahren mit wachsender Begeisterung und haben einige Songs, die uns viel wert sind, in das Programm aufgenommen. Nun sprachen mich natürlich viele Leute an und fragten, warum wir nicht mehr aus der damaligen PANTA RHEI-Zeit spielen. Die Anthology von PANTA RHEI wurde neu aufgelegt und auf ihr ist - positiv gesagt - ein Sammelsurium von sehr interessanten Nummern enthalten. Ich wusste zum Beispiel gar nicht mehr, dass ich damals so viele Jazz-Sachen wie "Amygelius" oder "Blues für John Henry" geschrieben habe. Letztere Nummer sollte HERBERT DREILICH singen. Da wir nicht englisch singen durften, machten wir ein Instrumental daraus. Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist ziemlich schwer, Nummern von dieser interessanten und mittlerweile auch hochgeschätzten CD zu übernehmen, weil die Charakteristiken der Songs zu unterschiedlich sind. Es ist ein "Kessel Buntes" ... Nun haben wir im Programm "Alles fließt", es gibt den "Blues", welchen VERONIKA FISCHER sang, dann "Stunden", eine der letzten PANTA RHEI-Nummern von mir und nun erstaunlicherweise auch den Song "Aus und vorbei", der auf der Platte fast ein wenig schlagerhaft wirkt.


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Jazzin' The Blues



… und der interessanterweise vor Kurzem neu erschienen ist.
Dazu gibt es eine ganz kuriose Geschichte: Es gibt den Rapper MAX HERRE, ein sehr, sehr netter Mensch. Er ist Ende 40, lebt seit Jahren in Berlin und ist über die Trödelmärkte gelaufen und hat sich für DDR-Rock- und Jazzmusik interessiert. Da fand er verschiedene Dinge, die ihn ansprachen und da war auch mein Lied "Aus und vorbei" dabei. Stell dir vor ... Und natürlich "Es war nur ein Moment" von MANFRED KRUG. Diese beide Nummern knöpfte er sich vor und machte seinen Rap dazu. Man kann das also quasi als neue Kunstform bezeichnen. JÖRG STEMPEL - der ehemalige AMIGA-Chef - sagte mir, dass er in Erinnerung an die "HALLO"-Platten von damals eine Vinyl-Platte "HALLO ´22" auf den Markt bringen wird, auf welcher 20 Stücke enthalten sein werden. Und diese 20 Stücke suchte MAX HERRE nach seinem Geschmack aus. Und er sagte mir, dass von "Aus und vorbei" sowie "Es war nur ein Moment" vorher eine Single erscheinen würde. Ich war sehr überrascht und fragte: "Wie kommt denn das?" Ich freute mich und hörte es mir an. Die musikalische Form, also die harmonischen Bausteine, ließ MAX HERRE im Wesentlichen unverändert, auch HERBERT DREILICHs tolle Stimme blieb erhalten und ansonsten legte er seinen Rap darüber. Es ist eine neue Kunstform, aber es ist natürlich für mich fast eine Ehre. Ich freue mich unheimlich darüber, dass sich jemand so sehr dafür interessiert. JÖRG STEMPEL organisierte dann ein Gespräch für SONY MUSIC, zu dem GÜNTHER FISCHER, USCHI BRÜNING, meine Wenigkeit sowie MAX HERRE und sein Produzent eingeladen waren. In dieser Runde sprachen wir darüber, warum es dazu kam und wie es damals war. Das war mir eine große Ehre. GÜNTHER FISCHER - unser einziger Weltstar, den wir haben - saß neben mir. Er ist genauso, wie ich ihn vor 55 Jahre kennenlernte. Ein ganz feiner und super intelligenter Typ.

Das dürfte für Deine Band ja auch frischen Wind unter den Flügeln bedeuten. Wie sieht Euer Programm denn inzwischen aus?
Nach und nach haben wir jetzt in unserem Konzertprogramm genau die Hälfe Deutschrock und darüber hinaus einen Blues, "Geld und schöne Welt". Letzterer ist ironisch gemeint, der letzte Vers sagt: "Es dreht sich alles nur ums Geld in unserer schönen Welt" Dabei erinnerte ich mich ein wenig an einen Blues, welchen wir damals bei KARAT machten. Den ersten Text schrieb damals HERBERT DREILICH, ich machte nun den zweiten. Das Arrangement wurde im Jazzrock/Blues mit Bläsern angelegt. Zu "Teach Me Tonight" - aus dem Programm mit MANFRED KRUG - machte ich auch einen deutschen Text. Daran arbeiteten wir also und wir versuchten auch schon, einen Live-Mitschnitt zu machen. Dabei hatten wir allerdings Pech mit dem Stick. Er fiel immer mal wieder aus und so fehlten bei dem einen oder anderen Song einige Millisekunden. Da kamen wir also noch nicht weiter, aber wir werden versuchen, im Steintor-Varieté in Halle (Saale) einen Mitschnitt zu machen.


Deutsche Mugge & Steintor Varieté
Präsentieren
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Am Steintor 10, 06112 Halle (Saale)



Danke für das Stichwort. Dein 60. Bühnenjubiläum feierst Du wieder mit einem Konzert. Diesmal nicht auf der Maiwiese, sondern indoor, nämlich im altehrwürdigen Steintor-Varieté in Halle (Saale). Deutsche Mugge hat die Ehre, die Veranstaltung mit zu präsentieren. Erzähle den Lesern doch bitte, wann das stattfinden wird und was dort passieren soll?
Das Steintor-Varieté spielt in meinem Leben eine sehr wichtige Rolle. Als ich im Februar 1966 gerade 20 Jahre alt wurde, lief dort zehn Tage lang eine Show, die hieß "Der Lenz ist da". Ich war der Bassist und der Stargast war MANFRED KRUG. So lange ist das her ... Dann habe ich im Steintor-Varieté mit KARAT die Gold-Medaille der Leistungsschau der Unterhaltungskunst gewonnen, die Doppel-LP "Live" zum 10-jährigen Jubiläum von KARAT nahmen wir im Steintor-Varieté auf und vor 15 Jahren war ich mit MANFRED KRUG wieder dort. Dieses alte, ehrwürdige Theater spielt in meinem Leben eine große Rolle. Den Inhaber bzw. Betreiber, RUDENZ SCHRAMM, kenne ich aus meiner Studentenzeit. Er war Mathematik-Student in Ilmenau und dort spielte ich zu den "Jazztagen" in der ersten PANTA RHEI-Zeit. So schließt sich der Kreis. Ich rief ihn an, sagte ihm, worum es geht und so wird dieses Konzert am 16. April 2023 stattfinden. Er wollte gerne mehrere Gäste dabei haben und so bemühte ich mich um VERONIKA FISCHER.

Oh, Vroni? Das wäre ja toll …
Wir führten ein sehr nettes Telefongespräch, schwatzten über die alten Zeiten, scherzten und lachten miteinander. Ich sagte: "Vroni, den Blues, den Du damals gesungen hast, der ist unerreicht und den müsstest Du natürlich singen". Vroni darauf: "Ja, und 'Nachts' …" Ich sagte, dass ich ihr das auch noch vorgeschlagen hätte. Ich dachte also, es klappt alles. Vier Wochen später ruft ihr Lebensgefährte an, aber nicht mich, sondern meine Managerin, PAULA SEIBEL-KRAUSE. Sie managte auch mal PANKOW, sie ist eine gute Freundin und Nachbarin. MARIO ruft also PAULA an und sagt: "Ja, wir sind ja nicht so in der Vergangenheit, sondern mehr für die Zukunft ..." Also irgendwelche für mich fadenscheinigen Gründe. Er scheint in der Partnerschaft das Sagen zu haben und jedenfalls macht sie es nun nicht. Das ist sehr sehr schade, weil sie natürlich mit ihrer tollen Kontra-Alt-Stimme die Sängerin der ersten Stunde ist. Es ist wirklich schade, aber man kann niemanden zwingen.

Lag es vielleicht daran: "Es dreht sich alles nur ums Geld in unserer schönen Welt"?
Es ging nicht mal um Geld, sie stellte keine Gagenforderung, sonst hätte ich mich um einen Sponsoren gekümmert. Also darum ging es nicht. Wir haben uns toll unterhalten und wir hatten auch nie Probleme miteinander. Und dann sagt ihr Lebenspartner meiner Managerin ab ...

Aber es gibt ja schon eine andere Idee  …
Ich überlegte, was ich nun mache und verabredete mich mit MASCHINE. Das war eine gute Idee. Wir waren ja früher Konkurrenten, aber das ist ewig her und wir sind jetzt Freunde. Er ist einfach ein netter Kerl, ich habe damals 12 Konzerte bei den PUHDYS mitgespielt. Jedenfalls verabredete ich mich mit MASCHINE. Seine Frau und meine Schwägerin, die beide Models waren, gaben eine Grillfete und MASCHINE sagte: "Ich komme nur mit, wenn HENNING auch kommt ..." Die Stimmung war super und ich erzählte ihm, was ich vor habe und dass ich gerne "An den Ufern der Nacht" mit ihm machen würde. Es wurden nun zwar zwei andere Titel, weil der eine stimmlich etwas hoch ist. Aber MASCHINE ist mit in der Werbung drin und ich freue mich wirklich riesig. Er ist ja nun mal DER Haudegen der DDR-Rockmusik. Wir machten ein schönes Foto miteinander, unter ihm steht: "Urgesteine vereint" (lacht) Ich finde das Klasse ...


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Urgesteine vereint: Henning und Maschine



Aber MASCHINE ist ja nicht der einzige Gast, der da sein wird. Auch WERTHER LOHSE von LIFT wird dabei sein ...
Ja, den habe ich jetzt auch angesprochen. Er war bereits im Sommer in Friedrichshagen auf der Freiluftbühne zu Gast bei uns. Seine Stimme ist altersbedingt etwas tiefer geworden, aber er ist eine Persönlichkeit. Ich spielte acht Jahre bei LIFT und wir waren stets sehr freundschaftlich kollegial. Ich sprach mit ihm und sagte ihm: "Wir machen den einen Titel eine kleine Terz tiefer oder so ..." Wir passen das also an, es ist eine Referenz an unsere gemeinsame Zusammenarbeit und weil er ja schließlich auch ein wichtiger Frontmann oder überhaupt derjenige ist, der LIFT verkörpert. Ich freue mich darüber und er auch. Natürlich sagte ich ihm auch einige interne Dinge, zum Beispiel, dass wir in Anzügen auftreten. Mit WERTHER kann ich so etwas besprechen, er ist ein guter Freund. JÖRG STEMPEL wird moderieren und er meinte, dass auch noch eine Frau dabei sein müsste. Also sprach ich USCHI BRÜNING an, sie spielt am selben Tag jedoch mit GÜNTHER FISCHER ... Übers Knie brechen möchte ich aber auch nichts. Wir hatten ja auch MARTINA BÁRTA als Sängerin, aber es geht eben auch immer mehr um Geld und wir müssen irgendwie auch auf dem Teppich bleiben und kleinere oder mittelgroße Brötchen backen. Ich will wirklich Leute haben, mit denen ich im Leben Kontakt hatte oder eben die Beziehung zu MASCHINE bedeutet mir etwas. Ich will jetzt nicht um jeden Preis irgendwas machen. JÖRG STEMPEL fragte nach der LÜTTEN (Angelika Mann, Anm. d. Red.). Ich kenne sie gut, aber ich arbeitete nie mit ihr, und darum will ich das nicht. Ich will keinen Wanderzirkus machen, sondern es ist mein 60-jähriges Bühnenjubiläum und im Grunde genommen ist das tragende meine wirklich tolle Band und unsere Art, zu spielen. "Elitär" ist ein blödes Wort, aber ich sage mal: "Sehr salonfähige Soul-Musik".

Lässt sich die Musik Deiner Band mit irgendwas anderem vergleichen?
Ich vergleiche das gern mit der duften Band MODERN SOUL. Die spielen härter oder auch holperig, aber das kritisiere ich nicht. Ich sagte auch HUGO LAARTZ, dass ich es toll finde, dass er seine Art konsequent durchzieht. Dass er die Band so lange zusammenhält, muss man achten. Aber wir spielen anders, bei uns spielen die drei Bläser oft in Sätzen, bei MODERN SOUL öfter unisono. Es ist also etwas differenzierter, was wir machen. Es kommen klassische Elemente vor, vor allem auch bei meinem Weihnachtskonzert. Dort beginne ich ja mit "Es ist ein Ros' entsprungen" und dabei setzte ich die Bläser dreistimmig ohne Begleitung. Ich setzte es also völlig neu. Das Lied aus dem 16. Jahrhundert ist ja phrygisch, den zweiten Vers setzte ich nach Moll und im dritten machte ich eine Modulation, welche in einer anderen Tonart endet. Freunde von mir sagten: "Das war jetzt aber ein bisschen anders ..." (lacht) Da bin ich stolz drauf, weil ich ja auch bei Herrn Professor HEICKING Komposition studierte. Das unterscheidet uns eben und ist mir sehr viel wert. Durch meinen lieben Freund MATTHIAS HESSEL, der hier am Jazz-Institut Berlin unterrichtet, lernte ich Musiker kennen, die früher dort studierten und heute an exponierter Stelle spielen, zum Beispiel am Theater des Westens oder im Filmorchester Babelsberg. Über die Zusammenarbeit mit Trompeter SEMJON BARLAS, der auch bei THE BOSS HOSS spielt, oder JOTHAM BLEIBERG, der bei der Tour von UDO LINDENBERG dabei war, freue ich mich wahnsinnig. Dies auch, weil ich ehrgeizig bin und auch vom Niveau her nicht nachlassen will. Das ist mein Anliegen.


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Du warfst gerade den Namen der Sängerin in den Ring, die auch ich damals in Berlin am Borkenstrand live erleben durfte: MARTINA BÁRTA. Sie war ja im letzten Jahr offensichtlich noch bei Euch, nun ist sie nicht mehr mit von der Partie?
Sie sang mit, als BEN MAYSON eine andere Verpflichtung in Hamburg hatte. Wir sind nach wie vor befreundet und wenn irgendwas ist, macht sie auch gerne mit. Aber sie tat sich immer recht schwer mit den deutschen Sachen. Mich hat der tschechische Akzent nicht gestört, ich musste immer etwas schmunzeln, weil mich das an die tschechischen Puppen Spejbl und Hurvínek erinnerte ... (lacht) Mit BEN - der früher Soul ausschließlich englisch sang - sind wir jetzt gerade eben dabei, uns mit der deutschen Sprache auseinander zu setzen und das macht ihm auch Spaß. Er ist einer der wenigen Solisten, die mal zu mir kamen und sagten: "Ich wollte mal vorbei kommen, ich möchte mit Dir die ‚Märchenzeit' noch mal durch machen." Ich sagte "BEN, immer! Jederzeit ..." Der erste Sänger, der von alleine kommt und fragt, ob man dies oder das noch mal machen könne. Das freut mich. Deshalb ist BEN der Hauptsänger und wenn es irgendwie geht, ist er dabei. Einen Bläser kann ich bei dienstlicher Verhinderung mal tauschen, aber MATTHIAS HESSEL, BEN, unser Schlagzeuger und auch unser Gitarrist sind konstant. Die Rhythmusgruppe liefert den Groove, das ist das Fundament.

Sind das noch immer dieselben Musiker, wie vor sechs Jahren?
Also der Schlagzeuger RONNY DEHN nicht mehr. Er trommelt jetzt oft bei KARAT und bei SILLY und hat obendrein im Studio mit seinem Sohn viel vor. Er schafft es leider zeitlich nicht, was ich natürlich sehr schade fand. MICHAEL LEHRMANN ist dabei, er ist der Vater meiner Ex-Schwiegertochter. Das war familiär, beeinträchtigte das berufliche Verhältnis zwischen uns jedoch nicht. Ein sehr feiner Kerl, der auch wunderbar spielt. Die Sache mit RONNY DEHN bedauerte ich besonders, weil er ein Schlagzeuger ist, der Rock und Jazz kann. Er trommelt sehr sehr knackig und sehr genau, und spielte auch die Aufnahme, welche wir im Jazz-Institut machten, ein. Da sagte Professor MÜLLER: "So genau hat hier noch kein Student gespielt." Dem stimmte ich zu und sagte: "Er ist ja auch kein Student, sondern unser Schlagzeuger ..." (lacht)

Weil Du es gerade eben sagtest: Ich fand auch Eure Version von "Auf den Meeren", die von MARTINA gesungen hatte, ziemlich charmant. Eben auch wegen dieses Akzents, den sie hat. Sehr schade, dass sie das anders sieht. ich finde es sehr sehr toll ...
Ja, sie sagte, dass dies eines ihrer Lieblingslieder im Konzert wäre.





Das kann ich mir vorstellen ...
Dann merktest Du sicher auch, dass ich das jetzt swingend gemacht habe. Das Motiv spielen die Bläser mit und im Hintergrund gibt es ein kleines Duell zwischen Gitarre und Keyboard. Das erlaubte ich mir und ich glaube nicht, dass ED SWILLMS - wenn er es hören würde - sauer wäre. Keine Ahnung ...

Lade ihn doch ein, dann hört er es!
Ja, da ist irgendwas schief gelaufen. Ich habe die CD "Lucky Friday" damals zwei Mal mit der Post an ED geschickt und sie kam zwei Mal wieder zurück. Nun weiß ich nicht, ob die Post zu doof war oder er keine Lust hatte, das anzunehmen. Er ist auch sehr gerne privat und ich wollte mich da auch nicht aufdrängen. JÖRG STEMPEL sprach ja öfter mal mit ihm und ja: Ich könnte ihn natürlich einladen, weiß allerdings nicht, ob er das auch machen wird. ED wird auch schon 76 und ich bin da manchmal auch etwas zögerlich ... (lacht)

Bevor wir noch mal zu Deinem Jubiläum kommen werden, tauchen wir noch etwas in die Geschichte ein: Dass dieses Konzert überhaupt stattfindet, hat ja einen Weg hinter sich. Du sagtest gerade, mit 17 Jahren spieltest Du in der ersten Band und dann kamst Du zu SCHIKORA. Wie bist Du denn dorthin gekommen?
Das war die Zeit, als die BEATLES heraus kamen. UWE SCHIKORA hatte auch an der Hochschule studiert und vielleicht hatte es sich herumgesprochen, dass ich ganz gut Bass spiele. Genau weiß ich es auch nicht. Irgendwie war es Zufall oder Glück, keine Ahnung. er hatte sich schon einen Namen gemacht, SCHIKORA war in aller Munde, weil er vom Fagott-Spiel eine unwahrscheinliche Stoßtechnik auf dem Saxophon hatte. Dieses Saxophon-Stück "Yackety Sax", das konnte er spielen wie verrückt. Als ich den Namen SCHIKORA hörte und er mich sogar ansprach, stieg ich dort sofort ein. Da war auch noch ein Pianist von der Hochschule dabei, aber das war schon eine Profi-Band. Wir spielten im Monat über zwanzig Mal, damals fand das stets in Sälen so mit 300 bis 400 Leuten statt. Besonders auch, weil wir ja im Tal der Ahnungslosen lebten. Es gab ja nichts anderes. Lediglich auf Mittelwelle, wenn ich auf den Lößnitz-Hängen war, wo meine Oma wohnte, konnte ich bei Radio Luxemburg mal ELVIS oder auch die BEATLES hören. Ansonsten waren wir dort völlig abgeschnitten, aber SCHIKORA hatte immer irgendwelche Drähte und er hatte auch ein absolutes Gehör. Er hörte die Gesangssätze der BEATLES ab und wir sahen auch so aus. Wir trugen die Haare wie sie, außerdem kragenlose Jacken und spitze Schuhe. Die Läden waren brechend voll, man kann sich nicht vorstellen, was damals los war. Die sangen unten mit, bauten Pyramiden, es war unglaublich. Es gab keine fest installierten auch keine fahrenden Diskotheken, also waren wir als Band, die gut spielte und so jung war, die Könige ....

Habt Ihr Euch da nicht den Unmut von "ganz oben" zugezogen?
Na ja klar, es dauerte gar nicht lange, da bekamen wir ein Spielverbot. In der TU Dresden gab es drei Säle, wir sagten immer "drei Möglichkeiten". Dort spielten die FRED HERFTER COMBO, THEO SCHUMANN und UVE SCHIKORA. Das waren die drei Bands, aber wir nahmen von uns an, die besten zu sein. Wir hatten einen farbigen Studenten, der auch ELVIS-Nummern sang und an die 1.000 Leute aus allen drei Sälen kamen zu uns, tanzten Rock'n'Roll und machten eine tierische Stimmung. Dabei gingen einige Gläser kaputt und dann war da einer vom Rat der Stadt … Der hat uns dann sofort ein Spielverbot auferlegt. Das war im Sommer 1965. Wir durften also im gesamten Bezirk Dresden nicht mehr spielen und so ging UVE SCHIKORA nach Leipzig ins Hotel "Am Ring". Er kaufte sich einen feinen Anzug im Konsum und stellte sich beim dortigen Hoteldirektor vor. Dadurch bekamen wir einen Vertrag für die Nacht-Bar. Wir hatten im Juni, Juli und August ein viertel Jahr in der Nacht-Bar dieses Hotels ein Engagement. Dort spielten wir auch "Guantanamera" und solche Dinge. Wir sangen, spielten und hatten eine Blaulicht-Show - im Hotel hießen wir "DIE BEATLES" und waren tierisch beliebt. Dann wichen wir nach Thüringen aus. Dort sprach sich wieder herum, dass wir die Leute begeistern und dann kamen die "Kulturniks" vom Bezirk Gera. Wir hatten farbige Würfel auf der Bühne, auf welche wir bei den Rock'n'Roll-Nummern sprangen und sangen "She Loves You - Yeah Yeah Yeah", und schon hatten wir wieder Spielverbot. So ging das ... (lacht) Dann tauchten wir in der Nachtbar des Parkhotels "Weißer Hirsch" unter und dort kam es dazu, dass mich der Schlagzeuger GÜNTER SOMMER sah und mit nach Berlin zu KLAUS LENZ nahm. Er kaufte mich eigentlich ungesehen ein. Dort lernte ich GÜNTHER FISCHER, HERMANN ANDERS, ULRICH GUMPERT und all die anderen großartigen Musiker kennen. Schwein gehabt ... Ich spielte zwar vielleicht ganz gut und machte meinen Scheiß, aber ich hatte auch Glück und war - mit Abstand betrachtet - stets im richtigen Moment am richtigen Fleck. Das zog sich eigentlich durch mein ganzes Leben.


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Jetzt hätte ich fast vergessen Dich zu fragen, welches denn überhaupt dein erstes Konzert war. Wann hast Du als Musiker zum ersten Mal auf einer Bühne gestanden? Weißt Du das noch?
Das war 1963 mit dem EVERGREEN-Swingtett im Kulturhaus in Mickten, ein Stadtteil von Dresden. Dort spielte ich ausschließlich Kontrabass, eine Bassgitarre besorgte mir SCHIKORA erst später. Eine "Musima" aus Markneukirchen, die war auf der Messe in Leipzig und SCHIKORA ertrotzte sie dort für mich. Früher spielte ich nur Kontrabass und das passte ja auch zur Musik des EVERGREEN-Swingtetts.

Gab es denn bei der SCHIKORA-COMBO während Deiner Zeit noch andere namhafte Kollegen, die später noch irgendwo anders spielten?
Ja, der WERNER DÜWELT spielte Gitarre und sang. Er war beim MICHAELIS CHOR, der mehr oder weniger beim Friedrichstadtpalast angestellt war und spielte auch bei FRANK SCHÖBEL. Ansonsten war SCHIKORA ja dann später die Begleitband von SCHÖBEL, in der auch ULRICH PEXA Gitarre spielte, mit dem ich später KARAT gründete ...

Von SCHIKORA - sagst Du - ging es für Dich zu LENZ, aber lange warst Du ja offensichtlich nicht dabei, denn es kam die Armeezeit dazwischen.
Als ich das Hochschulstudium abgeschlossen hatte, verständigten die das Wehrkreiskommando in Dresden. "Jetzt ist er fertig, nun muss er zur Armee, weil er irgendwie frech war". Ich konnte bei einer Hochschulveranstaltung nicht mitmachen, weil ich in Berlin ein Konzert mit MANFRED KRUG hatte. Das trugen sie mir unheimlich nach und wollten mich sogar "exen", nachdem ich eigentlich Beststudent war und mit der Note 1 absolvierte. Dann sagten sie: "Wir haben das Wehrkreiskommando verständigt." Ich wollte nicht in den Panzer kriechen, wie LAKOMY, der vor mir eingezogen wurde, ging bei der NVA also zum Erich-Weinert-Ensemble und spielte in dieser Big Band drei Jahre Kontrabass. Was mir nicht schadete, denn ich spielte nachts im Rundfunk, bei AMIGA und machte in Babelsberg Filmmusik. Ich machte also rund um die Uhr Musik, spielte bis früh um drei in der Nachtbar und fuhr morgens um acht Uhr zur Armee. Das könnte ich heute nicht mehr ... Ich weiß gar nicht, ob ich die drei Jahre EWE-Big Band in meiner Biographie überhaupt erwähnte, aber eigentlich muss man es der Fairness halber erwähnen.

008 20230209 1931013015Da waren ja auch viele große Namen, die in all den Jahren dort spielten ...
Natürlich. SCHÖBEL war gerade vorher da, unser Pianist MATTHIAS HESSEL war dabei. Das war mehr oder weniger für Musiker eine Möglichkeit, nicht mit der Wumme herum zu schießen oder im Dreck herum zu robben. Mit Abstand betrachtet hatten wir dort nichts auszustehen, das war eine gute Big Band. Na klar amüsierten wir uns auch, ich trug immer rote Socken, um die Armee-Leute zu ärgern, aber eigentlich waren die nett. Wir hatten auch noch eine Combo. Viele rümpfen die Nase und fragen: "Was, Du warst drei Jahre bei der Armee?" Na ja, man muss aber wissen, wie und wo.

Während andere richtig ackern mussten, hattest Du also eher eine kreative Phase ...
Du, ich musste jeden Morgen um acht Uhr zum Dienst erscheinen, das ging bis mittags und am Nachmittag gab es noch Proben, alles in Uniform. Aber das störte mich nicht ... Da fällt mir noch ein, dass FRED BAUMERT - der Gitarrist von GÜNTHER FISCHER - mit mir gemeinsam in der Big Band spielte. Für ihn war es schwer, weil die Big Band auch solche COUNT BASIE-Nummern spielte und da geht die Gitarre immer in Vierteln durch, aber FRED war auch eher ein STONES- und BEATLES-Spieler. Und er mochte es auch nicht, die Armee-Mütze aufzusetzen. Wenn Du so daneben getappt bist, hattest du es nicht so leicht. Aber ich mit meinem Gag der roten Socken, da sagte der Spieß immer: "Kleiner, geh' mal zum Schrank und zieh' mal andere Socken an." Ich dann: "Oh Gott, ja, aus Versehen ..." Obwohl ich es natürlich absichtlich gemacht hatte, um ihn zu ärgern ... (lacht) Wenn man dort seinen Scheiß gespielt hat, war alles ok. Ich kam gerade von LENZ und konnte das alles abspielen. Die waren glücklich, dass sie mich hatten.

Wie lange warst Du insgesamt bei LENZ?
Bei LENZ war ich knapp zwei Jahre, dann die drei Jahre beim WEINERT-ENSEMBLE. Genauer gesagt war ich von November 1965 bis August 1967 bei LENZ, also gute eineinhalb Jahre, danach wurde ich eingezogen.

Wäre die Armeezeit damals Ende der 60er Jahre nicht dazwischen gekommen, wärst Du dann bei LENZ geblieben oder hätte es Dich sowieso woanders hingezogen?
Über die Frage dachte ich eigentlich noch nie nach. Ich hatte auch bei LENZ keine Schwierigkeiten, mit GÜNTHER FISCHER und BABY SOMMER am Schlagzeug funktionierte es, sicher wäre ich geblieben. Aber es ging ja nicht anders. Und "aussteigen" bei LENZ gab es gar nicht. Du stirbst oder wirst rausgeschmissen. Ich ging aber zum WEINERT-ENSEMBLE und der Dussel hatte mir ja noch selbst erzählt, dass dort ein Bassist gesucht wurde. Er erzählte es einfach so und ich dachte: "Na dann muss ich mich doch mal bewerben." Und dann war er so stinksauer, dass ich bei ihm aussteige. Er war ein unwahrscheinliches Arbeitstier, "Bulle LENZ" hieß er. Wir hatten drei Programme drauf: Betriebsvergnügen, Jazz-Konzerte und Jugendtanz. Wir mussten zehn Tage lang je neun Stunden proben. Und solche Leute wie FISCHER spielten schon damals göttlich, besser ging es gar nicht. Und dann steigt einer aus, da war ich durch, ich war für ihn der Draht ...


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Autogrammkarte von den Alexanders



Aber was heißt "aussteigen"? Du musstest doch zum Wehrdienst, also gab es doch keine Alternative, oder?
Das sah er aber nicht so. Natürlich hatte ich keine Alternative, ansonsten wäre ich als "Sandlatscher" eingezogen worden ...

Dann war die Armeezeit zu Ende und für Dich waren die nächste Station DIE ALEXANDERS. Das war offensichtlich nicht ganz so lange, gerade mal ein halbes Jahr ...
Weil wir ein Schlager-Programm begleiteten und das passte mir nicht. Ich war mal wieder der treibende Keil und dort war mein Uralt-Kumpel dabei, der Saxophonist JOACHIM SCHMAUCH, und ich lernte ED sowie HERBERT kennen. Wir spielten dieses Schlagerprogramm sehr oft, mussten unser Hotel selbst bezahlen und uns unterwegs selbst verköstigen. Lange Rede, kurzer Sinn: Erstens machte uns die Musik nicht wirklich Spaß und zweitens blieb am Monatsende auch nichts übrig. Aber die ALEXANDERS hatten schon vier Bläser. Weil wir BLOOD SWEAT & TEARS mit DAVID CLAYTON-THOMAS damals sehr verehrten und die Stimme von HERBERT anfangs ähnlich war, sagte ich: "Mensch, das können wir doch alles selbst machen. Wir müssen uns nur jemanden suchen, der eine Anlage für uns hat." Wir waren alle noch nicht wohlhabend, eigentlich waren wir arme Schweine. Dann fanden wir jemanden, strichen nach einem halben Jahr die Segel und gründeten die erste Band PANTA RHEI.

Du sprachst gerade schon ED SWILLMS und HERBERT DREILICH an, Du trafst sie bei den ALEXANDERS. Wie lerntest Du die Herren kennen? Es waren ja noch junge Burschen, was waren das damals für Jungs?
Sie spielten - wie gesagt - bei den ALEXANDERS und ich lernte sie durch meinen Kumpel JOACHIM SCHMAUCH kennen, der bei ihnen Saxophon spielte. Ich sollte eigentlich zu JÜRGEN HEIDER, er war ein sehr geschäftstüchtiger Musiker aus Magdeburg, der mit seiner Band auch Auslandsreisen hatte. Auch dort spielte JOACHIM SCHMAUCH. Er meinte: "Wenn Du mit der Fahne fertig bist, hole ich Dich zu HEIDER, das ist eine geile Band." Leider kam JÜRGEN HEIDER 1969 bei einem Autounfall ums Leben und so waren JOACHIM SCHMAUCH und ich plötzlich beide bei den ALEAXANDERS. Und dort traf ich auf Ed und Herbert.

Und wie waren ED und HERBERT als junge Männer damals so drauf? Waren sie Kumpels?
Das war alles ganz easy. Wir waren jung, wir wollten spielen wie BLOOD SWEAT & TEARS und begannen, eigene Sachen zu schreiben. Das richtige Wort dafür ist "Aufbruchsstimmung". Wir probten sehr viel und die vier Bläser wurden von JOACHIM SCHMAUCH geleitet. Er machte Satzproben mit ihnen, sie spielten unglaublich exakt, wir machten Rhythmus-Proben und HERBERT hatte eine tolle Stimme. Und dann kam VRONI dazu. Wir waren sehr überzeugt von uns, wir gewannen jeden Wettbewerb. Bei der FDJ-Werkstattwoche der Jugendmusik gaben wir ein Beispiel-Konzert, dort waren 300 Musiker und denen klappte der Kiefer herunter, wie wir die CHICAGO- und BLOOD & SWEAT & TEARS-Nummern spielten ... Dann kam jemand von der Kulturabteilung des Zentralkomitees und sagte: "Henning, so was habe ich noch nie gehört. Wenn du mal Hilfe brauchst, dann rufst du mich an ..." (lacht)


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Panta Rhei



Woher kam denn damals überhaupt der Name? Welche Idee steckte hinter PANTA RHEI?
Das initiierte HERBERT DREILICH mit. Er lebte in Halle, sein Schwiegervater war Arzt, sie kannten viele Intellektuelle, Künstler und Maler. In diesen Kreisen verkehrte er mitunter und einer von den Künstlern gab ihm wohl diesen Tipp. HERBERT kam also mit diesem Namen an, sagte "Du, das ist von einem Philosophen, ich finde das geil." Und wir fanden es auch alle gut.

Also kam der Name von HERBERT ...
Ja, ich glaube, so war es.

Mit VERONIKA FISCHER hattet Ihr eine absolute Granate am Mikrofon. Wir sprachen gerade darüber, dass es schade ist, dass sie nicht bei Deinem Jubiläum dabei sein wird. Wer hat sie damals entdeckt und wie kam sie zu Euch?
Das kann ich leider nicht mehr genau sagen. Sie sang bei der STERN-COMBO MEISSEN und ich glaube, dass HERBERT sie damals ansprach und so kam sie zu uns, weil wir auch in aller Munde waren. Es war damals eine Sensation, wie diese Frau sang.

Wie war Dein erster Kontakt zu ihr, als sie zum ersten Mal im Probenraum das Mikrofon zur Hand nahm?
Na ja, das ist lange her. Aber wir waren alle angetan von dieser tollen Stimme, die so einmalig ist. Der Manager sagte zwar, dass sie nicht hübsch wäre und gebrauchte dafür noch ein anderes, hässliches Wort. Wir sagten: "Du bist doch doof, hör' doch mal, wie sie singt!" Manager haben die Eigenschaft, dass sie oft die Dollars in den Augen, aber keine Ahnung von der Musik haben ...

Was ja auch völlig untypisch ist: Ihr hattet einen Manager, und das Anfang der 70er Jahre in der DDR.
Er war Hobby-Musiker und er hatte Geld. Das wussten wir und HERBERT kannte ihn, weil er bei den MUSIC STROMERS war. Er sagte: "Du, der hat Kohle, den sprechen wir jetzt an. Der kauft uns eine DYNACORD-Anlage." Das waren ja keine PAs, da ging es um zwei große DYNACORD-Boxen und einen GIGANT. Das war damals der modernste DYNACORD-Verstärker mit 200 Watt. Aus ihm kam ein sauberer Gesang, die Instrumente wurden nicht abgenommen. Wir spielten ja nur in Sälen, aber damit konnten wir auftreten. Und er riss Muggen auf, bis der Arzt kam ...

Und wer war das?
UDO JACOB. Er ist auch auf dem PANTA RHEI-Foto, auf welchem wir an diesen Baumwurzeln stehen, zu sehen. Das Foto entstand übrigens hier bei mir in den Püttbergen.


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Stein des Anstoßes: Panta Rhei aus Berlin auf einer eingestürzten Mauer



Ist das der UDO JACOB von den PUHDYS?
Ja, genau. Das waren allerdings die Ur- Ur- Ur-PUHDYS. Aber er war der zweite Buchstabe ... (lacht)

Kannst Du Dich noch an die erste PANTA RHEI-Mugge erinnern? Wenn ja, wo habt Ihr gespielt und wann war das?
Wir probten zehn Tage in Ketzin bei Berlin. Dort kam UDO JACOB her und es gab ein altes Kulturhaus. Unten war ein kleiner Saal und oben schliefen wir. Wir erarbeiteten ein riesiges Repertoire, jeder Musiker musste zwei Arrangements mitbringen, ich schrieb z.B. "Blues für John Henry" usw. JACOB riss eine Mugge in Dranske auf - ganz oben an der Ostsee auf Rügen. Wir fuhren dorthin, schliefen in einem Zelt und irgendwann wäre es zu dieser Mugge gekommen. Wir waren schon ein oder zwei Tage früher dort, um uns zu akklimatisieren und plötzlich kommt aus Rostock ein Spielverbot. Wir hatten noch nie gespielt, das muss man sich vorstellen. Der Grund war, weil wir in Ketzin auf einer umgebrochenen Mauer saßen. Es gab eine alte Dorfmauer, auf der standen und saßen wir. Da hieß es dann "Eine Berliner Band auf einer umgebrochenen Mauer ..." und wir durften dort oben nicht spielen. Dann sind wir mit zwei Autos, er und auch ich hatten einen "Wartburg-Tourist", und zwei Anhängern - wir waren zehn Leute - von Dranske zum Schleizer "Dreieck Rennen" gefahren. Weiter ging es in der DDR gar nicht, von ganz weit oben im Norden bis in den Süden. Dort hatte UDO ganz kurzfristig einen Auftritt aufgerissen und so spielten wir im April 1971 zum ersten Mal bei einem Autorennen. (lacht)

Ihr habt insgesamt drei sehr intensive Jahre erlebt, viele tolle Songs geschrieben, im Studio aufgenommen und seid getourt. Dann kommt der Sommer 1974, man befindet sich auf einem Musikantentreffen in Berlin und Du lernst ULRICH PEXA kennen. Er war dort, wo Du schon lange weg warst, nämlich bei SCHIKORA. Wie viel Schuld hat er denn letztlich daran, dass PANTA RHEI kurz darauf starb und KARAT gegründet wurde, oder besser gefragt: Hätte es ohne dieses Zusammentreffen mit ihm die Band gar nicht gegeben?
Nein, die Sache war anders. Im Frühjahr 1974 spielten wir irgendwo in Sachsen und da kam einer zu uns und meinte: "Ihr gefallt mir gut, aber RENFT und die PUHDYS sind besser." Ich dachte: "Leck mich doch, das ist doch zum Kotzen ..." Ich dachte nach und ging dann mal zu den PUHDYS. Die sahen aus wie SLADE, MASCHINE mit Gold behangen, Scheinwerfer auf der Bühne, eine Seifenblasen- und eine Nebelmaschine ... Aber eben auch die Musik volkstümlich, wie bereits gesagt. Da wurde mir klar, sie machen Musik fürs Volk und verkaufen sich entsprechend. Es sah auf der Bühne eben wie bei SLADE aus. Dann ging ich zu RENFT, das war das komplette Gegenteil. Die hatten eine abgewichste Manchesterhose an, von sechs Musikern waren ab zehn Uhr nur noch drei auf der Bühne, die anderen hatten fertig. Aber die Leute grölten alles mit. Sie hatten auch tolle Lieder, zum Beispiel "Wer die Rose ehrt". Ich dachte also: "Die sind die aus dem Volke mit der abgewichsten Manchesterhose, die sind wie SLADE und du musst ein Mittelding dazwischen machen." Auf alle Fälle musste die Musik von der Bühne aus verkauft werden, es musste eine Lichtanlage her, es mussten Bühnenklamotten her und die Musik so gemacht werden, dass sie nicht primitiver wird, aber in irgendeiner Form näher an die Leute herangebracht werden konnte. Das waren meine Überlegungen und ich teilte sie den Kollegen von PANTA RHEI mit. Sie konnten das nicht wirklich verstehen, hatten keine Lust auf eine Lichtanlage. Damals gab es in der DDR keine Existenzängste, ich war jung und auch von mir überzeugt. Dann sagte ich: "Also wenn Ihr das nicht wollt, dann würde ich jetzt gerne kündigen und ich kündige - wie es sich gehört. In einem viertel Jahr bin ich hier weg." Das war im Juni und von PEXA gab es noch keine Spur. Am Montagabend gab es in der "Großen Melodie" unter dem alten Friedrichstadtpalast Musikantentreff. Da waren alle, die man so kannte. Dort war auch ULRICH PEXA, er spielte bei SCHÖBEL, wir tranken reichlich Cola-Wodka und dann sagte er: "Komm, jetzt fahren wir mal zu mir, ich will dir mal was vorspielen." Da spielte er mir "Leute, welch ein Tag", "Draußen im Kornfeld" und "Such ein Zimmer" vor und ich fand das absolut geil. Genau so etwas wollte ich machen, eben etwas, was die Leute irgendwie auch verstehen. Er kann also nichts dafür, ich hätte es auch mit jemand anderem gemacht. Aber er schrieb tolle, eingängige Lieder und es gab den Keyboarder CHRISTIAN STEYER, der Schlagzeuger war CONNY BURKERT und der Sänger war "NEUMI" NEUMANN. Von den beiden PANTA RHEI-Musikern war noch keine Rede.


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Die erste Autogrammkarte von KARAT



Allerdings ging Euer Tastenmann ja recht schnell wieder …
STEYER blieb dann - weil er uns nichts zutraute - bei SCHÖBEL und PEXA sagte: "Wir brauchen den besten Keyboarder, den es gibt, und das ist ED SWILLMS." Ich erwiderte, dass er ein wenig kompliziert wäre ... PEXA ging am ersten Weihnachtsfeiertag mit zwei Flaschen Wodka in der Tasche zu ED und der sagte: "Es interessiert mich schon, aber ich komme nur mit, wenn auch HERBERT mitkommt." Das war dann die Ur-Besetzung von KARAT mit zwei Sängern und mit ED SWILLMS - Gott sei Dank, wieder Glück gehabt! Wir hatten zwar keine wirklichen Probleme, aber sie waren nicht überzeugt von dem, was ich ihnen in Sachen "Show" und mit anderen Liedern vorgetragen hatte. Es war ein unwahrscheinlich glücklicher Umstand, denn was ich für die Band gemacht habe, sprach sich in den vergangenen 40 Jahren ja etwas herum. Aber ich sage immer: Wenn ED nicht diese Songs geschrieben hätte, dann hätte ich mit zwei Paketen West-Kaffee zur Künstleragentur oder zum Kulturministerium hinrennen können ... Also ich war schon das Sprachrohr der Band. Ich kam durch viele Türen hinein, weil ich keine Mist erzählte. Aber ohne die Lieder von ED hätte das alles keinen Sinn gehabt. Was er - abgesehen vom deutsch-deutschen Volkslied "Über sieben Brücken" - mit "Albatros", "Der blaue Planet" oder auch den zauberhaften Songs wie "Gewitterregen" geleistet hat, ist einfach genial. Ich sorgte fürs Verkaufen, machte dufte Werbung, riss mir den Hintern auf, aber der glückliche Umstand war, dass er dazu kam.

Wenn man über KARAT spricht: Ihr hattet zwei Sänger, einmal HERBERT, der gemeinsam mit ED kam, und vorher schon "NEUMI" NEUMANN, der von der NEUEN GENERATION kam. Weil Du den total geil fandest, wie Du mal erzähltest. Dann ging "NEUMI" zur Armee und kam nicht wieder zurück. Jetzt sprechen wir zum ersten Mal richtig darüber: Er durfte nicht zurück zu KARAT, war deshalb ziemlich angepisst ... Warum blieb er draußen?
Du, der redet bis heute nicht mit mir. Obwohl ich ihn damals wieder in der Band haben wollte. HERBERT wehrte sich dagegen, weil "NEUMI" ihm die Bühnenshow stahl. HERBERT wehrte sich also, brachte die Band hinter sich, und so konnte ich mein Versprechen, "NEUMI" nach seiner Armeezeit wieder in die Band zurückkommen zu lassen, nicht einhalten, weil ich mich nicht durchsetzen konnte. Da fing das schon an ... Das war die Ursache. "NEUMI" schminkte sich wie MICK JAGGER, wirbelte das Mikrofon durch die Luft, das war schon eine verrückte Show, was mir schon sehr gefiel. Aber die gehaltvollen Songs, die dann später entstanden, die hätte "NEUMI" nicht singen können, da war HERBERT schon der passendere Mann.

Aber eine Nummer wie "Der Clown" hätte auch KARAT ganz gut zu Gesicht gestanden ...
Na ja, das war ja meine Idee. Ein Sänger bedient diese Schiene und der Zweite die andere. "Such ein Zimmer" sang er ja auch und das war richtig gut. Und sein NEUMIS ROCK-CIRCUS war dann ja auch ziemlich beliebt, muss ich sagen ...

Heute noch redet man davon, dass es ziemlich geil gewesen sein muss, wenn sie auftraten ...
Ja, das war ja ein Verrückter, ein Clown eben. Er ließ sich im Wäschekorb auf die Bühne fahren und sang dort ein Lied über ein Huhn. Er schreckte vor nichts zurück. Bei einem der ersten KARAT-Lieder "Das Monster" hat er sich in der Bühnenabteilung vom Berliner Ensemble einen riesengroßen Monster-Pappkopf bauen lassen und den stülpte er sich über den Kopf. Als wir in der Sowjetunion an der Trasse spielten, sprang er runter zu den Bauarbeitern, die an Tischen saßen, und würgte sie mit diesem aufgesetzten "Monsterkopf" (lacht). Einfach unglaublich, der völlige Wahnsinn. Ich stand drauf, weil er auch ein frecher Berliner mit Herz und Schnauze war. So ein "Schwaudi-Daudi"-Typ, ein kleines Eier-Likörchen musste immer dabei sein, den trank er immer mit seiner Mutter ...





Du hast auch hier eine ziemlich intensive Zeit erlebt, mit KARAT hattest Du die kommerziell und auch international erfolgreichste Zeit ...
Absolut, das stimmt.

Was aus diesen Jahren nimmst hast Du als bleibende Erinnerungen mitgenommen?
Es gab einige schwierigere Sachen, zu den bandinternen Dingen möchte ich jetzt allerdings nichts weiter sagen. Ich war einfach auch überarbeitet, mutete mir zu viel und es war auch so, dass ED einen Heiligenschein hatte und wir hatten ihn auch hofiert, auch zurecht. Andere Leute deuteten das mitunter falsch. Unsere Produzenten, zum Beispiel WALTER CIKAN, wussten, was ich für die Band tat, das zählte aber nicht, es zählte nur der "Gott". Das ärgerte mich, aber ich war auch völlig überfordert. In meinem Auto hatte ich immer Beruhigungstabletten dabei. Vielleicht entstand so auch mein Herzfehler. Heute nennt man sowas wohl "Burnout". Aber es wurde von den berühmten Kollegen auch nachgeholfen und so trennte man sich im beiderseitigen Einverständnis, aber es stimmt nicht. Ich wollte nicht mehr, weil mir vieles nicht gefiel und die wollten mich auch nicht mehr. Aber das ist so lange her ... Ich habe eine Frau, die Maskenbildnerin war, wir kommen zusammen gut hin und ich habe ein erfülltes Leben. Ich erlebte Sachen, für die andere 200 Jahre alt werden müssen. Das ist so schön und deshalb möchte ich mich mit den ganzen Dingen, die am Rande passierten, nicht mehr beschäftigen. In unserem Beruf ist es wahrscheinlich üblich, dass auch viel Neid entsteht. Weil ich mehr oder weniger Repräsentant der Band war, lernte ich natürlich auch viele Leute kennen, von denen mir eben einer auch mal ein duftes Auto besorgte. Der andere Kollege - mein Gegenspieler in der Band - meinte: "Ich will auch ein duftes Auto, du sorgst nur für dich!" Solche dummen Gespräche übertrugen sich auch auf das normale und private Leben und er war der Meinung, ich müsse auch ihm das besorgen, was ich - durch Zufall oder weil ich Freunde hatte - bekam. Das ist nicht lange auszuhalten. Wenn du tagtäglich aufeinander hängst, wenn man von dir verlangt, dass du alle eineinhalb Jahr eine LP machst, was ja schön war, andere hätten sich die Finger danach geleckt, andere Bands hatten nie die Chance, aber wir mussten, weil wir einen Exklusiv-Vertrag hatten. Und ED war der Komponist und wollte auch nicht, dass wir etwas machen. HERBERT drängelte sich immer ein wenig hinein und der Chef von AMIGA rief mich an und fragte: "Henning, wo sind deine Demos, wo ist deine Platte?" Ich sagte: "Pass' auf, ich war bei ED, er braucht noch Zeit..." Das war die eine Seite und die andere Seite war die Agentur. Sie sprachen es nicht aus, aber sie meinten sinngemäß: "Ihr fahrt nur im Westen herum, Ihr müsst jetzt zu den Tagen der DDR-Kultur in die Tschechei." Ich sagte: "Na klar, dufte! Knedliczki, Pilsner Bier, die Tschechen kennen sowieso das DDR-Fernsehen, die freuen sich. Kein Problem." Und ED sagt zu mir: "Das kannst du von mir nicht verlangen." So, was mach' ich denn jetzt als Bandchef??? Zur Agentur gehen und ihr sagen, dass wir nicht fahren können, weil ED nicht mitkommt? Die rufen im Ministerium an und so darf - nicht nur ich, sondern die ganze Band - dort antreten. Es gab mächtig eine aufs Dach, selbst ED hatte Tränen in den Augen. Da wurde uns durch die Blume gesagt: "Wenn ihr da nicht hinfahren wollt, könnt ihr den Westen vergessen." Das sind nur ein paar Sachen und wenn das alles auf einen einströmt, das hält niemand aus. Dagegen ist Burnout ein Scheißdreck ... Es ist einfach zu viel. Heute gibt es einen Produzenten, einer macht das Booking, einer macht das Management und besorgt das Geld. Ich nenne mal den Namen der Band PUR, die für mich eine tolle Entwicklung genommen haben. Am Anfang stand ich nicht drauf, aber was denkst du, wie viele Leute da im Hintergrund für sie arbeiten? Da kommt sogar einer von der Plattenfirma und sagt, "Wir helfen euch dabei". Wir mussten das alles alleine machen und es blieb im Grunde an mir hängen. Das ist auch eine Erklärung dafür, weshalb ich dachte, wie wichtig auch die Gesundheit ist. Ich war damals erst 40, nur noch Beruhigungstabellen und irgendwann stand für mich fest: "Nein, es gibt auch noch ein Leben nach KARAT und ich kann für mich alleine sorgen." Das bekam ich ja auch hin ...

Du nanntest jetzt viele Dinge, die zum Ausstieg führten. Aber eigentlich wollte ich nach den positiven Erinnerungen fragen ...
Na ja, das waren natürlich die Höhepunkte, wie zum Beispiel unser Auftritt in der Berliner Waldbühne. Die war am ersten Abend ausverkauft, am zweiten Tag kamen trotz Regen dennoch 9.000 Besucher. Wir haben ja Dinge erlebt ... Auf der Freilichtbühne in Schwerin passen normalerweise 6.000 bis 7.000 Leute rein, bei uns waren 12.000 Leute da. Da kam die Stasi und sagte, wir sollen aufhören. Der Direktor von der KGD sprach mit mir und ich sagte zu ihm: "Genosse, wir spielen zum Schluss 'Let It Be' und die Leute singen alle mit und gehen friedlich nach Hause. Sagen Sie mal der Stasi, ich will weiterspielen, sonst nehmen die Leute den Laden auseinander ..." In Plauen waren 18.000 Leute nur wegen uns und ohne Vorband im Fußballstadion. Auch wenn ich jetzt nur drei Konzerte nannte, es waren einzigartige Erlebnisse, wenn die Leute alle mitsangen bei "Über sieben Brücken" ...





Ihr wart auch die einzige Band aus der DDR, die es schaffte, als erste Kapelle "von drüben" ins Schweizer Fernsehen, in die ZDF-Hitparade und in eine BRD-Samstagabendshow zu kommen, nämlich zu "Wetten, dass ...?". Das war ein Ritterschlag. Wie kam es denn dazu, dass Ihr zu Elstner in die Sendung kamt? Das schaffte keine andere Band, sondern nur Ihr ...
Na ja, das wird sicher die Plattenfirma gemanagt haben, denn die wollten ja auch die Platten verkaufen. Wir spielten dort "Jede Stunde" und in einer anderen ZDF-Fernsehshow sollten wir "Über sieben Brücken" spielen, das hat das ZK jedoch nicht genehmigt. Und so nahm die Redaktion der Show PETER MAFFAY. Ich hatte zu dieser Zeit eine Spezialschulung für Kulturkader machen müssen und da sagte ich zu dem dortigen Chef: "Sagen Sie mal dem Genossen Kurt Hager vom ZK, dass das unsere Nummer ist und ich es zutiefst bedaure, dass wir nicht "Über sieben Brücken" spielen. Nichts gegen PETER MAFFAY, er ist ein toller Typ, aber es ist unsere Nummer." Er meldete es dem ZK und die dem Erich und er hätte - so erzählte man - gesagt, wenn er es gewusst hätte, hätte er es genehmigt. Dann spielte den Song also PETER MAFFAY, wir hätten dort sogar auch "Über sieben Brücken" gemacht. Es ging bei AMIGA letztlich ja auch ums Geld und wir verkauften in der DDR von den ersten fünf Platten jeweils um die 800.000 Stück. Mehr Pressmasse gab es nicht, es gab nicht genügend Material, um die Platten pressen zu können. Die Druckerei in Gotha hatte kein Papierkontingent, sonst hätten wir vielleicht 1,5 Millionen verkauft ... Und im Westen wurden zwei Platten vergoldet. Ab 250.000 gab es eine "Goldene Schallplatte", der "Schwanenkönig" landete bei 200.000, heute gibt es bei 50.000 eine "Goldene", weil die Leute alles aus dem Netz herunter laden. Und mit "Jede Stunde" waren wir - wie Du richtig sagtest - auch in der ZDF-Hitparade bei DIETER-THOMAS HECK. Der sagte uns sehr nett an und wies sogar darauf hin, dass wir zehn Tage später in der Berliner Waldbühne spielen werden. Da war ich echt überrascht, dass er das ansagte und nicht vergessen hatte. Das fand ich toll ...

Du warst dann irgendwann raus bei KARAT, ich glaube, es war 1986. Hast Du noch beobachtet, wie es direkt nach Dir weiterging oder hat Dich das zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr interessiert?
Also ich zog damals eigentlich einen Schlussstrich. Nach einem dreiviertel Jahr war ich noch mal bei einem Konzert, wo sie spielten und da hatte ich einige fachliche Seiten, bei denen ich in mich selbst hinein gemeckert habe. Ich bin bei so etwas ganz konsequent. Bei allen Dingen im Leben, also wenn mich ein Freund enttäuscht, dann lasse ich die Freundschaft auch ruhen. Das war ja nun wirklich ein Abgang, der nicht sehr freundschaftlich war. Nein, mich interessierte es nicht mehr. man hörte zwar immer wieder davon und ich wurde auch immer wieder - und das ist ja auch schön - darauf angesprochen. Es waren elf tolle Jahre, aber ich habe mich nicht für die inneren Kämpfe interessiert. THOMAS KURZHALS - ein sehr guter Freund von mir - sagte mir öfter: "Stell dir mal vor, die WALTHER hat wieder dies und das ..." Ich sagte dann zu ihm: "BÄCKER, lass' mich damit in Ruhe, ich will damit nichts zu tun haben, was diese Frau macht, interessiert mich nicht." Für mich hat diese Frau keine Kompetenz, mich interessiert das nicht. Dennoch wurde es immer wieder an mich herangetragen und ich versuchte stets, es von mir fern zu halten. Ich wollte mich damit nicht beschäftigen, mein Leben ging weiter. Die Jahre bei LIFT waren schön und die beste Entscheidung, die ich traf, war die, mich wieder für den Jazz zu entscheiden und dass ich nun wieder mit der großen Band und mit Bläsern spielen kann.


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Wie kam es überhaupt zu Deinem Engagement bei LIFT?
Na ja, das ist ganz einfach: WERTHER stammt aus Freital, ich aus Radebeul, also zwei Dresdner Musiker. Er wohnt gerade mal einige hundert Meter von mir entfernt und er kam zu mir. Er kam Anfang 1992 - um die Wende herum lief ja gar nichts, wir aus der DDR konnten alle nichts - zu mir und sagte: "Du, ich will wieder anfangen. Willst du nicht mitmachen?" Ich sagte: "Na bei den tollen Songs von LIFT, sehr gerne!" Dann arbeiteten wir lange bei mir, probten die Satzgesänge und fingen zunächst im Trio gemeinsam mit BODO KOMMNICK an. Später kam PETER MICHAILOW als Schlagzeuger dazu, die Sache ging von WERTHER aus.

Auch dort hast Du einige schöne Jahre erlebt ...
Ja, ohne Stress, ohne Neid, ohne Intrigen, ich fuhr bei WERTHER mit, da wurde ich geräuchert, weil er ja raucht wie verrückt. Und weil ich geräuchert bin, halte ich mich jetzt ja so gut ... (lacht) Wenn Ihr das schreibt, werden die Leute sagen, der Kerl muss ja einen Knall haben ...

Ihr spieltet mit LIFT sehr viel live, aber Ihr habt nichts Neues gemacht. Es wurden also quasi nur die alten Sachen gespielt, oder?
Ein oder zwei neue Lieder machte WERTHER und BODO schrieb auch einen Song. Aber im Wesentlichen spielten wir die Soft-Hits.

Das war jedoch auch nur ein Intermezzo, danach machtest Du Dich selbständig und es kam die JAZZIN' THE BLUES- Geschichte, richtig?
Ja, dann kam die Blues-Geschichte. Ich erinnerte mich daran, dass ich diesen Jazz und Blues so gerne gespielt hatte, sprach ULI GUMPERT an und er fragte mich: "Wer soll denn da trommeln?" Ich sagte: "Mensch, so weit bin ich noch gar nicht, hättest Du denn Interesse?" Er bat mich, ihm etwas Zeit zu lassen und etwas später rief er mich an, dass er gerne mitmachen würde und "ZICKE" traf, auch er hätte Interesse. So fingen wir im Trio an, spielten eine ganze Weile und plötzlich kam MANFRED KRUG auf uns zu. Er meinte: "Wenn es um die alten 'Pappnasen' geht, dann kann ja nichts schief gehen ..." So organisierte sein Manager die erste Lesung in einem Leipziger Einkaufszentrum, bei der 1.200 Leute zu Besuch waren, die KRUG seit 20 oder 25 Jahren nicht gesehen hatten. So viele Stühle konnten die dort gar nicht besorgen. Wir spielten im Trio Swing und Jazz und die Leute von unten brüllten: "Singen, singen!!!" Wir waren gar nicht darauf vorbereitet und er auch nicht. Wir machten dann "Alright okay" und - ich glaube - noch zwei weitere Nummern sang er. Die Leute rasteten total aus und der Manager hatte sofort die Dollars in den Augen. Zack ... Da ging es los und es war eine ganz tolle Zeit. Weil ich MANFRED ja auch fast seit der Kindheit an kannte. Es war ja für uns Musiker eine Sensation, als er seine Platten mit GÜNTHER FISCHER herausbrachte. Ganz toller Jazz-Rock und er las ja auch schon in der LENZ-Show tolle Sachen. Das machte riesigen Spaß und diese zwölf Jahre waren schön, weil MANFRED jeden Abend 800 bis 1.000 Leute zog und sich somit für uns die Türen öffneten. egal, ob in der Semperoper, in der Alten Oper in Frankfurt/Main, also in den besten Häusern in ganz Deutschland, vor allem aber natürlich auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Für einen Musiker ist es natürlich schön, wenn in einer Garderobe ein wenig nettes Catering steht und der Veranstalter "Herzlich willkommen!" sagt. und das nicht zu Herrn KRUG, sondern auch zu uns. Das war für mich in jeder Beziehung sehr angenehm. Solch einen Entertainer wird es wohl nie wieder geben, sag' ich einfach mal. Das war schon toll ... Später holte ich noch MATTHIAS BÄTZEL aus Weimar, der jetzt Professor in Dresden ist, als Ersatz für Gumpert und auch noch ANDREAS BICKING dazu. Das war dann ein Quartett, besser ging es nicht.

014 20230209 1921748228Du sagtest gerade, dass Du MANFRED KRUG schon in den 60er Jahren sehr verehrtest, aber damals aus der Position vor der Bühne als Zuschauer ...
Na ja, nicht unbedingt, denn er sang ja bei den JAZZ-OPTIMISTEN, im Dezember 1965 lernte ich ihn bei LENZ kennen und die große Show gab es im Februar 1966 im Steintor-Varieté ...

Jetzt gibt es ja diesen Spruch: "Triff niemals Deinen Star!" Trifft das bei KRUG auch zu oder war er ein Pfundstyp? Es gibt ja Leute, die meinen, dass KRUG eine ganz andere Dimension war, an die man nicht heran kam und andere sagen, dass er ein Kumpel war. Wie nahmst Du ihn wahr?
Beides. Er war ein unwahrscheinlich intelligenter Mensch, wenn irgendetwas war, wusste er Bescheid. Irgendeiner sagte: "Bei mir kalfaktort einer rum ..." und ein anderer fragte: "Was ist denn überhaupt ein Kalfaktor?" Da sagte ich: "Jetzt fragen wir fragen mal MANFRED ..." und er wusste es natürlich. Ein Mensch, der sehr viel wusste und der sehr viel Persönlichkeit hatte und ausstrahlte. Oftmals war er allerdings natürlich auch ein wenig verschlossen. Er war kein einfacher Charakter, aber er hatte sich auch "geglättet" - ein blödes Wort - und wir hatten ein sehr gutes Verhältnis. Ich glaube, dass er wusste, dass ich ihn sehr verehrte. Ich achtete auch immer darauf, dass der Soundcheck stets "fertig" war. USCHI BRÜNING kam raus, sang und ich fragte sie, ob alles passt. Danach ging ich in die Garderobe und ich sagte zu MANFRED: "Du kannst rauskommen!" Es war alles okay, sein Gesangs- und auch das Lese- Mikrofon waren eingestellt und er wusste, dass er sich darauf verlassen konnte. Und wir haben auch als Musiker so gespielt, wie er das wollte. Es ist ja klar: Wenn jemand ein Autodidakt ist, aber ein saumusikalisches Gehör hat, möchte er auch das hören, was gedruckt worden oder auf einer Aufnahme zu hören ist. Jazz-Musiker neigen dazu, Ausflüge zu machen, siehe Professor BÄTZEL ... Er macht tolle Ausflüge, jeder andere hätte sich auf die Schenkel gehauen und gesagt: "Der spielt ja geil, der Typ ..." Aber MANFRED wollte das nicht. Er wollte es so, dass er sich darauf verlassen kann, was von der Band kommt. Ich besprach mit den Musikern, wie und warum, und es wurde auch akzeptiert. Dann war er natürlich sehr froh, drehte sich während des Singens um, zog seine Nase in Falten, lachte mich an und sagte: "Wenn du spielst, dann swingt's ..." Es war zwischen uns beiden eine "Win-Win"-Situation. Mir machte es tierisch Spaß, wir wurden den Umständen entsprechend als Jazz-Musiker gut bezahlt. Besser als heute, wo der Musiker mitunter weniger bekommt, als der Kellner, und wo der Hausmeister keine Lust hat, die Bockwurst warm zu machen ... Das sind natürlich ein paar Musiker-Sprüche, aber leicht ist es heute nicht. Es war anders und es war ein rundum gut geschnürtes Paket. Wir besuchten uns auch öfter, ich besuchte ihn, kochte einen Bohneneintopf, dann war er auch mal bei mir und brachte zu tollem Essen guten Wein mit. Das wäre früher so nie gelaufen. Ottilie - seine Frau - wollte gerne "Rotkäppchen"-Sekt, weil sie sich dabei wahrscheinlich an die DDR-Zeit erinnerte, es war also teilweise auch ein persönlicher Kontakt.

Aber alles erst nach der Wende und nicht davor, oder?
Alles nach der Wende. Vor der Wende natürlich nicht, da war er ja für uns mehr oder weniger weg.

Na ja, für Dich ja nicht, Ihr wart ja mit KARAT auch im Westen. Hätte ja sein können, dass Ihr Euch mal am Rande eines Konzerts getroffen habt ...
Nein, das war nicht der Fall, wir hatten gar keinen Kontakt und es dauerte auch eine ganze Weile. Die Wende war '89 und er tauchte im Jahr 2000 wieder auf ...


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Aber um das Thema mal aufzugreifen: VRONI FISCHER war in den 80ern ja auch schon im Westen. Hat man ehemalige Kollegen, die den Osten verlassen hatten, getroffen, wenn man mit KARAT im Westen war?
Da muss ich mal überlegen ... Einmal traf ich KLAUS LENZ und ich erzählte ihm, dass wir im "Logo" - dem kleinen Club in Hamburg - spielten und er sagte: "Das interessiert mich nicht ..." Ich müsste jetzt schwindeln, es ist einfach zu lange her. Wenn überhaupt, waren es auf jeden Fall ganz ganz wenige ... RENFT durfte nachts eine halbstündige Sendung machen, VRONI hatte auch zu tun. FRANK HILLE, der unwahrscheinlich liebenswerte Mensch und ein Filou, der leider so früh verstarb und den alle in der DDR kannten, der sagte mal: "Die Rockmusiker der DDR sind wie die Sonne. Sie gehen im Osten auf und im Westen unter." FRANK war unser Trommler bei PANTA RHEI und mit ihm hatten wir stets großen Spaß.

Ja, da hatte er recht ...
Ich kann es vermuten, dass sich deshalb niemand von ihnen bei unseren Konzerten sehen ließ. Und sie interessierten sich auch nicht wirklich dafür, so wie es LENZ eben sagte. Na ja, gut ... Aber okay, wir waren auch im Stress. Wir fuhren so viele und weite Strecken, machten Soundcheck und waren nachts als Stargäste in Nachtbars eingeladen, in denen wir mehr tranken, als wir vertrugen. Das war schon sehr sehr anstrengend. Dann mussten wir zurück, dann mussten wir zu AMIGA, wir waren so sehr mit uns beschäftigt, es war wirklich an der Grenze dessen, was man bewältigen kann. Wenn man heute so hört: "Stell' dir mal vor, die oder die Band hat jetzt eine Tournee ..." - ja, aber die haben auch drei Jahre von ihrer Platte gelebt, bekamen Tantiemen, konnten alles in Ruhe vorbereiten und dann 30 Konzerte im deutschsprachigen Raum machen. Das war's dann aber auch ... Wir spielten 150 Konzerte im Jahr! 80 im Osten und 70 im Westen - also fast 50/50. Danach Proben, Fototermine, die politischen Diskussionen mit der Agentur, mit dem Ministerium - das war unglaublich und eine echte Leistung. Mitte der 80er veränderten sich ja auch die Musikrichtungen und ich spürte, dass es unwahrscheinlich schwer ist, die Band auf diesem Niveau und Level zu halten. ED war ausgestiegen und meinte, er brauche eine Pause, der Geschmack des Publikums hatte sich verändert, mit der DDR ging es zu Ende, was man ebenfalls spürte. Da kamen viele Faktoren zusammen ...

Du hast dann mit JAZZIN' THE BLUES wieder dem Jazz gefrönt und machtest auch Blues, also "back to the roots". Das machst Du heute immer noch und nun kommen wir wieder auf das vor 20 Jahren geführte Interview zurück: In ihm wurdest Du darauf angesprochen und es war davon die Rede, dass Du PANTA RHEI gerne wieder auf die Beine stellen würdest, aber dass das nicht ginge. Was war der ausschlaggebende Punkt, das Ganze nun doch wieder PANTA RHEI zu nennen?
Das hing damit zusammen, dass ich bei den großen von mir organisierten Konzerten "Blue Summer Night" und auch der "Blue Winter Night" in der Kirche schon die Bläser dazu genommen hatte und merkte, dass es einfach großartig war. Auch durch unseren Pianisten, durch den ich wieder tolle Leute kennen lernte. Ich dachte einfach an die tolle Zeit und man sprach mich auch darauf an: "Willste nicht mal wieder mit der VRONI? Ooder frag' doch mal den ED, warum machste denn nicht wieder das?" Nach 16 Jahren JAZZIN' THE BLUES, in denen wir fast ausschließlich Jazz spielten, war die Zeit gekommen, einfach wieder etwas anderes zu machen.


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Panta Rhei mit Martina Bartá in Berlin



Wann genau kam dieser Sinneswandel?
Das war 2015, ich erinnerte mich an die deutschen Sachen und schrieb und betextete auch in der Zwischenzeit viele Lieder, welche noch unveröffentlicht sind. Meine beste Komposition ist "Sommerwind", über sie dachte ich jahrelang nach: "Mach' ich noch eine Bridge, kann ich den Refrain, der zum Schluss kommt, verkürzen, was mache ich für einen Text dazu?"

Also weg von der "Begleitmusik" und hin zu neuen Tönen …
Ich habe einen kleinen YAMAHA-Flügel und an ihm sitze ich und spiele wieder ganz gut Klavier. Ich bin jetzt in einer ganz anderen Lebenssituation. Ich wurde älter, mein Körper macht den Umständen entsprechend noch ganz gut mit, aber gewisse sportliche Aktivitäten sind nicht mehr möglich. Dafür wurde alles ein wenig ruhiger, aber das heißt auch, dass man Zeit hat, hier zu sitzen, um Texte zu schreiben ... Da gibt es einige Songs. Einer meiner größten Lieblingssongs ist "After All These Years" von PAUL SIMON. Ihn ließ ich in der Aufnahme von RAY CHARLES bei meiner Hochzeit spielen und der wird auch zu meiner Beerdigung gespielt werden. Zu diesem Song schrieb ich einen deutschen Text, einen Text, der eine Erinnerung aus meinem Leben ist, eine ganz große Liebesgeschichte. Mit solchen Dingen beschäftige ich mich jetzt, ich übe Bass, sitze am Flügel, habe Ideen. Neulich erinnerte ich mich an eine SANTANA-Nummer, die ich aber nur so im Hinterkopf habe, die Aufnahme habe ich gar nicht. Woran ich mich so erinnere, schrieb ich vor ein paar Tagen auf und werde ein Instrumental für die Band draus machen. Vielleicht kommt es sogar mit ins Programm. Das sind die Dinge, mit denen ich mich beschäftige und ich finde das gut.

Du bist also sehr produktiv, sehr kreativ und vielleicht kann man in Zukunft sogar noch mit einem neuem Album rechnen ...
Das klingt ganz primitiv, aber ich habe kein eigenes Studio. Wie ich sagte, versuchten wir, live mitzuschneiden und hatten leider zwei Mal technische Probleme. Bei unserem Weihnachtskonzert im Berliner "Neu-Helgoland" war die Beschallung im Saal ganz toll, aber die Aufnahmen waren nicht gut. Da gab es Kopplungen, da waren die Becken zu laut und dies und jenes haute nicht hin ... Das heißt, wir müssten so viel korrigieren. Im Moment sind wir erst mal dabei, das überhaupt abzuhören. Und es war ja auch ein Weihnachtskonzert mit sieben oder acht bearbeiteten Weihnachtsliedern dabei, und das ist nicht unbedingt das Gesicht von PANTA RHEI, welches ich möchte. Ich habe jetzt zehn Titel in deutsch, "Aus und vorbei" arrangierte ich und die Band setzt es sehr gut um. Bei "Sommerwind" versuchten wir, einen Reggae daraus zu machen. Würde ich jetzt noch mal einen Sponsor wie Sennheiser finden, dann hätte ich Zugang zu einem Studio hier an der Uni und mit dem Professor Müller, der dort Tonmeister-Chef ist, komme ich unheimlich gut klar. Das würde ich schon sehr gerne machen, aber ich würde ausschließlich in deutsch aufnehmen wollen und dachte noch an "Hier wie nebenan" von der alten Platte. Da bin ich mir einig mit unserem Pianisten, der für mich das musikalische Gewissen ist. Er hat Musikprogramme, hilft mir beim Aufschreiben der Arrangements und bringt eigene Ideen mit ein. Der ist jetzt auch völlig auf meiner Welle und sagt: "Du, wir müssen einfach den Namen PANTA RHEI nutzen und sehen, was wir noch spielen können oder etwas eigenes machen, was in diese Richtung geht." Und außerdem möchte ich auch die deutsche Rock- und Jazzmusik, um dem amerikanischen etwas entgegen zu setzen. Ich arbeite gemeinsam mit MATTHIAS daran und wir machen jetzt auch ein Arrangement für die beiden Titel, die MASCHINE singen wird. Vom Ablauf her möchte er es so singen, wie er es immer getan hat und auch die Tonarten sollen nicht verändert werden. Aber das, was HASSBECKER auf der Geige spielt, schreibe ich in die Bläser, damit das Ganze auch den Sound und die Farbe von PANTA RHEI bekommen wird. So verständigten wir uns und wir machen es auch so. Es scheitert im Grunde genommen eigentlich am Geld ...

Wie immer und überall ...
Es dreht sich alles nur um Geld, in dieser schönen Welt ... (lacht)


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Hennings Sohn Robert Protzmann



Die Familie Protzmann ist insgesamt musikalisch ziemlich aktiv, denn wir kommen jetzt nicht drum herum, um über Deinen Sohn zu sprechen. Ihn durfte ich am Borkenstrand ja auch kennenlernen und er zupft den Bass bei ROCKHAUS.
Ja, und das macht er gut!

Hast Du es schon mal live gesehen?
Leider nicht. Ich hatte im Herbst eine Bronchitis, aber ich sah ein Video. Er ist sehr talentiert und verkauft auch tierisch. Sie haben gemeinsam viel Freude, weil er ja auch zehn Jahre jünger ist. Das macht er gut, der ROBI ... Aber als Vater wäre ich sehr froh, wäre er Sportlehrer oder irgendwas anderes, und würde die Musik nebenbei machen. Es sind heute einfach andere gesellschaftliche Voraussetzungen. Er wurde natürlich in meinem Haushalt groß und er hat vielleicht auch das Talent geerbt. Er ist Autodidakt, hat ein sehr gutes Gehör, spielt drei Bässe, alles wunderbar. Er macht mir meine ganze Werbung, hat also viele künstlerische Talente. Aber als "Freelancer" ist es auch schwierig und als Vater macht man sich da auch einige Sorgen. Er ist vielseitig, wir werden uns nachher treffen, er macht mir gerade unser neues Plakat.

Nun noch mal zum Thema KARAT: Es ist und bleibt mit auch Deine Band, Du hast sie gegründet, es ist Dein Name, der in der Welt herumgeistert und nun bekommt man mit, was da so passiert. Ist das ein Déjà Vu für Dich und wie siehst Du die Sache mit jahrelangem Abstand, was dort gerade passiert?
Ja, ich kann es Dir gerne noch mal sagen: Mein Freund und Chef-Roadie Gerd Helinski schrieb mir, dass es für ihn ein Déjà Vu wäre und fügte an, "… so wie es damals bei Dir war." Aber bei mir war es etwas anders, denn ich wollte ja eigentlich auch weg, weil ich die Nase voll hatte. Aber CHRISTIAN LIEBIG will ja eigentlich gar nicht weg. Das hatte mir übrigens vorher schon MASCHINE erzählt, dass sie ihn irgendwie rausekeln wollen. Ich las, was ED in Deinem Interview sagte und ich sehe es genauso, wie er. Heute sind schwierigere Zeiten und man sollte, wenn es irgendwie geht, vielleicht doch zusammen halten. Es wurde ja von einigen Seiten auch schon vermutet, was tatsächlich dahinter stecken könnte. Es hat ja sowieso mit den Ansprüchen, die wir damals an uns stellten, schon lange nichts mehr zu tun. THOMAS KURZHALS erzählte mir damals, dass der kleine DREILICH zu ihm gekommen wäre, um ihm die Musik zu erklären. Daraufhin schmiss KURZHALS ihn raus. Ich weiß es nicht. Und ich sagte ja schon, wenn ich einmal einen Schlussstrich ziehe ... Natürlich hast Du recht und es tut mir in der Seele auch ein bisschen weh. Aber ich möchte das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen.


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KARAT



Das musst Du ja auch nicht. Und beweisen musst Du eigentlich auch niemandem mehr etwas …
Wäre ich jetzt bei Hartz IV, würde ich vielleicht sagen, einen großen Fehler gemacht zu haben, denn ich hätte weiterhin auftreten können. Was ich aber in der Zwischenzeit Schönes erlebt habe, auch durch mein Zutun und auch mit der jetzigen Superband … Ich bin eigentlich kurz davor, sie PANTA RHEI SUPERBAND zu nennen, denn es ist unglaublich, wie gut die Leute spielen. Das sind ja nicht irgendwelche Leute, da gibt es den Solo-Posaunisten vom Filmorchester Babelsberg. Die spielen die Noten und wissen, was du als Arrangeur von ihnen möchtest. Es ist natürlich ein Widerspruch: Eine acht Mann-Band, eine Managerin, der Techniker - selbst, wenn wir nur kleine Gagen bekommen - kostet das Unternehmen etwas und wir spielen in diesem Jahr nur ein paar Konzerte. Ja, das ist ein gewisser Widerspruch, der mich auch etwas traurig macht. Die Gesellschaft hat sich total verändert und wir leben in einer sehr kriminellen und gefährlichen Zeit, was mich persönlich sehr bedrückt. Da ist es natürlich schwer, eine Band zu verkaufen. Ich habe die beste Band meines Lebens. Ohne Intrigen, die Leute tauschen den Dienst oder bezahlen eine Aushilfe, um mit uns und auch mit mir spielen zu können. Das macht mich glücklich. Ich habe keinen Computer, sondern schreibe die Noten mit der Hand. Dann wird korrigiert und es ist kein Fehler mehr drin und alle lachen mich an und einer sagt: "Hast du den Satz geschrieben?" Es bringt mir keine ökonomischen Vorteile, es macht mich aber dennoch glücklich. Ich habe es richtig gemacht und was die da machen ... Ich sagte ja, dass ich mich damals nicht durchsetzen konnte, was NEUMI betraf. In Bands gibt es immer Gruppenbildung, da wird aus welchen Gründen auch immer gegen einen etwas aufgebaut. Das ist wie in einer Ehe. Manchmal rennen auch Leute einfach auseinander. Und da kann niemand hineinsehen, man kann weder den einen oder die andere verurteilen, denn man weiß als Außenstehender nichts Genaues. Das sind alles Vermutungen. Und so ist es in einer Band, wenn fünf Mann zusammen sind und einer fühlt sich übergangen. Das habe ich jetzt zum Glück alles nicht mehr. Natürlich ist es schwierig, alles unter einen Hut zu bekommen, weil ja auch alle in verschiedenen Bands spielen, wie die Musiker das heute eben machen müssen, um zu überleben. Das organisiert nun meine Managerin, Gott sei Dank! Sie macht die Rundschreiben, wann können Proben der Rhythmusgruppe stattfinden, wann kommen die Bläser dazu, wann findet die Generalprobe statt ... Das nimmt sie mir alles ab. Sie ist total fit. Die elf Jahre bei KARAT waren die populär wichtigsten und - als man jung war - auch sehr schöne Jahre. Man lernt beide Gesellschaftsordnungen kennen und sieht nun auch, wie die andere Seite tatsächlich ist, von der man früher dachte, dort flögen die gebratenen Tauben rum ... Ich will mit all dem nichts mehr zu tun haben. Besonders mit einer gewissen Frau Adelheid, die sich "Adele" nennt, früher gebrauchte ich besondere Worte, ich lasse es jetzt ...

Henning, Deine Mugge steht im April an, wo können die Leute denn Karten bekommen? Gibt es noch welche oder ist die Bude schon ausverkauft?
(lacht) "Ausverkauft" - das wäre natürlich toll. Auf jeden Fall gibt es Tickets beim Steintor Varieté.

Dann drücke ich Dir für April die Daumen, wir werden uns dort ja auch sehen, und danke Dir für die Zeit und die Antworten auf meine Fragen.
Sehr gerne, ich danke Dir auch!



Interview: Christian Reder
Übertragung: Mike Brettschneider
Fotos: Pressematerial Panta Rhei, Henning Protzmann privat, Herbert Schulze, Redaktion





   
   
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