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Interview vom 2. Februar 2022



Seit 1982 ist die Gruppe KEIMZEIT. nun aktiv. Anfangs als Band, die ausschließlich aus Geschwistern bestand, hat sich das Erscheinungsbild bis heute sehr verändert. Musiker und eine Musikerin gingen, andere kamen. Geblieben sind zwei Brüder, eine wiedererkennbare Handschrift in Sachen Klang und eine ganz besondere Erzählweise ihrer Geschichten. Nun feiern sie 2022 einen runden Geburtstag. Dafür wurde ein neues Album ("Kein Fiasko", Rezension HIER) aufgenommen und eine ausgedehnte Tour durchs ganze Land geplant. Bevor das Album erscheint und die Herren auf Konzertreise gehen, hatten wir aber noch ein paar Fragen an Bandmitbegründer und Kopf, Norbert Leisegang. Diese stellte ihm unser Kollege Christian ...

 


 

Die Gruppe KEIMZEIT feiert 2022 das vierzigste Bühnenjubiläum. Du und Hartmut seid die letzten verbliebenen Gründungsmitglieder des Leisegang-Familienunternehmens. Roland stieg 2012 aus, Marion schon 1989. Was machen die beiden heute und wie geht es ihnen?
Na ja, wunderbar recherchiert. Genau so ist die Situation. Zu meinen Geschwistern habe ich nach wie vor einen guten Draht. Mein jünger Bruder Roland ist seit viereinhalb Jahren Bürgermeister von Bad Belzig und meine Schwester Marion Bohn arbeitet im KITA-Bereich als Beraterin.

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Also beide weg von der Musik ...
Insofern ja, also weg von der KEIMZEIT-Musik. Meine Schwester hat ihre eigene Band, sie nennt sich KAOLIN. Und Roland spielt hin und wieder mal mit Freunden, wo er dann am Schlagzeug sitzt und Musik macht. Aber das Amt des Bürgermeisters lässt ihm da nicht so viel freie Hand.

Bevor wir über das neue Album plaudern, noch ein paar Fragen zum Jubiläum. Ihr werdet dieses Jahr mit einer ausgedehnten Tour feiern, die am 20. April in Sonneberg bei Coburg starten wird. Sie sollte ja schon eher losgehen, nämlich am 10. März in Köln. Ich nehme an, dass dieses und einige weitere Konzerte wegen Corona in den Herbst verschoben werden mussten. Ist das richtig?
In der Tat, genau so ist es. Wir machen es schon seit zweieinhalb Jahren so, dass wir laufend unsere Konzerttermine verschieben und wenn Du uns die Daumen drückst, dann wird es im April zum Vollzug kommen, dass wir wieder auf die Bühne kommen. Aber letztendlich fahren wir nach wie vor auf Sichtweite und ich finde es auch ganz vernünftig, dass man sich gesellschaftlich einigt, auch wenn es den Bands, den Veranstaltern und den Agenturen weh tut. Ich denke, es ist bisher richtig gewesen, was an Bedingungen und Konditionen entschieden wurde und so hoffen wir als Band, dass es doch in diesem Jahr noch losgehen kann, so wie alle anderen Künstler das natürlich auch hoffen, und wir unser Album "Kein Fiasko" auf die Bühne bringen werden.

Was macht Euch denn so zuversichtlich, dass diese anderen Termine wie geplant und ganz entspannt stattfinden können?
Ich bin grundsätzlich ein optimistischer Mensch und weiß, dass Dirk Tscherner und Anke Eilert, die bei uns für KEIMZEIT im Büro sitzen und buchen, alles möglich machen, was geht. Und auch unsere Technik-Crew ist extrem fit. Daher denke ich, so etwas möglich sein wird, wird es in die Tat umgesetzt. Da bin ich froh, in einem doch sehr konstant und stabilen Team arbeiten zu dürfen.

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Du sagst gerade, ihr seid ja nicht mehr nur als Musiker da, da gehören ja auch noch eine Menge Leute dazu, die KEIMZEIT am Laufen halten. Hat dieses Corona-Virus und die ganzen Dinge, die es mit sich brachte, bei Euch etwas beeinflusst, habt Ihr mit großen Einbußen - egal welcher Art - zu kämpfen?
Na, es sind Veränderungen. Kollegen von mir, also Musiker, die normalerweise mit den Einkommen der Konzerte rechnen, die ausgefallen sind, haben sich jetzt mehr und mehr in den Unterrichtsbereich verlagert. Sie geben parallel zum Konzertgeschehen ja schon Unterricht an den Musikschulen, was ich sehr wichtig finde. Diesen Bereich haben sie im Zusammenhang mit der Pandemielage einstweilen vergrößert. So etwas ist zum Beispiel passiert. Und bei den Technikern ist es so, dass viele sich - soweit ich im Bilde bin - mehr im Produzentenbereich betätigt haben und weniger Konzerte und Veranstaltungen betreuen. Jeder versucht, weiterhin seinem Beruf treu zu bleiben, allerdings sich auch Arbeitsbereiche zu schaffen, die möglich sind.

Was glaubst Du, wird Corona im Kulturbereich am Ende angerichtet haben? Du sagst zwar, die ganzen Maßnahmen sind gerechtfertigt und okay, aber wird es jemals wieder so sein, wie es bis 2019 war?
Ich weiß nicht, ob wir insgesamt so konservativ denken sollten, dass der Zustand wieder zurück zu hebeln ist, wie es mal war. Ich finde eigentlich mehr, als Künstler insbesondere, wenn sich etwas verändert - in welche Richtung auch immer -, dann werde ich wach. Dann wird es interessant für mich, dann kann ich schreiben. Und ich weiß und nehme es auch um mich herum wahr, dass eine ganze Reihe von Kollegen in dieser Pandemiezeit zum Schreiben gekommen sind und extrem kreativ wurden. Ich denke, auch das hat diese Pandemie ausgelöst. Im schriftstellerischen Bereich, im Theaterbereich und natürlich auch bei den CDs, die weiterhin veröffentlicht werden. Insofern denke ich, den Zustand zu erreichen, wie es vorher mal war, ist möglicherweise gar nicht mal so fruchtbar. Sondern wir gucken, wie es - wenn ein Spielbetrieb wieder möglich sein wird - denn weitergeht. Wir bekamen jetzt auch mit, wie es ist, wenn eine Band ein Konzert gibt, welches gestreamt wird. Dann sitzen die Leuten vor ihren Screens zu Hause und gucken sich KEIMZEIT im "M.A.U. Club" an. Da merkten wir, das ist es nicht. Die technischen Möglichkeiten sind gut und vorhanden, die Leute haben in Rostock toll gearbeitet, aber wenn Du mich letztendlich fragst, gehört die Band auf die Bühne und das Publikum in den Saal.

Das sehe ich auch so ... Zurück zu Eurem Jubiläum: Was habt Ihr für die Jubiläumstour denn vorbereitet, wird es Überraschungen geben?
Ja, auch da ist es so, dass wir auf Sichtweite fahren. Letztlich würden wir jetzt schon auf Jubiläumstour sein und würden dann das, was wir uns ausgedacht haben, alles wieder absagen müssen. Also komplett, wenn wir Gäste dabei hätten, wenn wir etwas inszenieren wollten. Wir hatten eine ganze Mende Ideen für diese Tour und haben jetzt alles zurückgeschraubt und sagten: Wenn es losgeht, wenn es wieder möglich ist, dann rufen wir an und entscheiden ganz schnell, mit wem wir diese Jubiläumstour live ausstaffieren wollen. Was uns auf der Haben-Seite bleibt, ist natürlich das neue Album, welches wir in großen Teilen spielen werden. Das ist auf jeden Fall schon mal klar.

Apropos Überraschungen: Du sprachst ja schon Gäste an, die vielleicht dabei sein werden. Wir sprachen gerade schon über zwei ehemalige KEIMZEITler, solch ein Jubiläum ist ja auch immer ein willkommener Anlass, bereits ausgestiegene Ex-Kollegen noch mal auf die Bühne zu holen. Ist so etwas für eine der Muggen geplant, habt Ihr so was im Hinterkopf?
Natürlich. Wir haben darüber nachgedacht, Ralf Benschu - unseren Saxophonisten - endlich mal wieder für einige Konzerte dabei zu haben. Wir sprachen auch schon mit ihm. Und den einen oder anderen KEIMZEIT-Musiker aus der vergangenen Zeit werden wir ebenfalls auf die Bühne bitten. Aber wie gesagt, erst wird zu klären sein, wann wir wieder auf die Bühnen dürfen. Dann werden wir Entscheidungen fällen und entsprechende Anfragen stellen. Jetzt im Februar 2022 ist es schwierig, genauere Dinge zu sagen, die dann möglicherweise gar nicht stattfinden können.

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Ist dieses Jubiläum eigentlich ein Anlass, mal etwas genauer auf die vergangenen 40 Jahre zurück zu blicken oder schaust Du nicht so gern auf Vergangenes? Du sagtest ja gerade, gern nach vorn zu sehen und willst es gar nicht haben, wie es 2019 war. Schaust Du lieber auf das, was noch vor Euch liegt oder guckst Du auch mal zurück und sagst "40 Jahre, da ist so einiges passiert ..."?
Ja, beides. Ich bin natürlich auch immer mit einem Blick darauf, wie ist die Historie von KEIMZEIT verlaufen. Wir hatten uns ja am Anfang mit vier Geschwistern gegründet, erweiterten dann den Reigen mit Matthias Opitz am Klavier, Ulrich Sende an der Gitarre und Ralf Benschu am Saxophon. Dann stieg meine Schwester aus und später auch mein Bruder. Es gab eine ganze Reihe von Veränderungen und die sind mir natürlich bewusst. Und ich weiß auch, dass KEIMZEIT möglicherweise prägend für die 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts war. Ich weiß, welche Alben wir aufgenommen haben, also der Blick zurück ist mir schon sehr bewusst. Obgleich ich - das sagtest Du richtig - natürlich nicht unbedingt der "Jubiläums-Feierer" bin. Ich bin glücklich über die 40 Jahre, die ich bislang auf der Bühne stehen durfte, ich bin glücklich darüber, dass ich in einem solchen Team arbeiten darf. In diesem KEIMZEIT-Team, zu dem auch das Management und die Technik-Crew dazu gehört. Das macht Spaß und ich bin ein Teamplayer. Dann gucken wir Musiker allerdings eher nach vorn und fragen: "Was haben wir 2022 denn zu sagen und wie wollen wir uns ausdrücken?" Deshalb haben wir jetzt auch das Album "Kein Fiasko" am Start und würden auch weiterhin nach vorn schauen, als zu sagen: "Ach wie toll war das damals, wir wollen das wieder zurück haben."

Bist Du auch jemand, der irgendwann mal hadert und sagst: "Das ist ein bisschen doof gelaufen"? Gibt es Entscheidungen die Band betreffend in diesen 40 Jahren, die Du heute anders teffen würdest?
En masse, en masse! Es gibt einige Entscheidungen. Ich will nur die benennen, in denen man sich getrennt hat. Wenn man zusammen findet in einer Band, um eine Tour zusammen zu spielen, ist das toll. In dem Moment, in dem sich Diskrepanzen in familiärer, persönlicher oder künstlerischer Hinsicht aufbauen, muss man irgendwann auch mal die Entscheidung einer Trennung fällen und das ist um vieles schwieriger, als sich zusammen zu finden. Da gucke ich natürlich auch oft mit Kummer auf Trennungsakte, die nicht gerade besonders schön verlaufen sind.

In 40 Jahren sind knapp 20 Alben entstanden. Das erste entstand in der Wendezeit, das zweite im geeinten Deutschland, wieder ein anderes habt Ihr unter der Sonne Südeuropas quasi im Urlaubsmodus aufgenommen. Wie ist Eure neue Scheibe "Kein Fiasko" denn zur Welt gekommen, es ist ja praktisch ein pandemisches Produkt, oder?
(lacht) Wenn man so will, von der Zeit her stimmt es schon. Aber wenn man sich das Album anhört, wird man ganz schnell merken, dass ich mich nicht unbedingt speziell auf die gesellschaftliche pandemische Lage beziehe und Songs diesbezüglich geschrieben habe. Es ist bei KEIMZEIT immer so, es ist das 13. KEIMZEIT-Studioalbum, dass wir vom Punkt Null ausgehen. Das heißt, erst mal werden Songs geschrieben. Dann gehen wir mit diesen Songs ins Studio und stellen die Arrangements her. Wir brauchen also zwei bis drei Jahre, bis wir reif für ein Album sind. Dann gucken wir, mit wem wollen wir das aufnehmen, also wer tritt als verantwortlicher Produzent des Albums in Erscheinung und dann auch, wo wollen wir es aufnehmen? Alles das haben wir auch bei diesem Album wieder durchlaufen und nachdem ungefähr 15 oder 16 Songs vorhanden waren, griffen wir den Vorschlag unseres Keyboarders Andreas "Spatz" Sperling auf und entschieden uns für sein Studio in Wiesenhagen bei Luckenwalde. In diesem Scheunenstudio nahmen wir unter seiner Regie das Album im vergangenen Mai auf.

Das Album wurde mit "Kein Fiasko" betitelt. Es gibt zwar einen gleichnamigen Song auf der Platte, aber Eure Albumtitel hatten in der Vergangenheit oft auch eine besondere Bedeutung. Dieses Mal auch?
Na ja, eine besondere Bedeutung haben Albumtitel - auch bei KEIMZEIT - immer, weil sie toll klingen und auch irgendwie fassbar sein müssen. Und dann gibt es bei "Kein Fiasko" eigentlich die grundsätzliche Einstellung, welche meine und auch die meiner Kollegen ist, dass man manchmal bestimmte Dinge so extrem aufbläst, extrem schwierig für sich sieht, man Kummer hat. Sei es auch Liebeskummer. Dann braucht man einfach eine Schulter, an die man sich anlehnen darf und dann relativieren sich Dinge und werden nicht unbedingt zu einem Fiasko. Diesen Zustand wollte ich mal in einem Song ausarbeiten.

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Ab 18.02.2022 im gut sortierten Fachhandel. Rezension zum Album: HIER


Du sagtest gerade, Ihr saht zu, die aktuelle Situation nicht in den Mittelpunkt zu rücken. Ist Corona auf dem Album trotzdem irgendwo ein Thema oder ist das Album virenfrei?
Das Album ist insofern nicht virenfrei, als dass ich die Viren eigentlich brauchte, um das Album zu schreiben. Aber thematisch bezog ich mich jedoch keinesfalls auf die Pandemie. Das sah ich nicht als notwendig an. Zum einen hat es mich nicht so interessiert und zum anderen sehe ich, dass das andere viel besser können. Die bezogen sich darauf, weil sie es für wichtig hielten. Ich nicht.

Okay, das ist ein Statement. Ein Thema ist aber das Leben als "Messie", das ihr im Stück "Plastiktütenmann" behandelt habt. Kam dieses Phänomen der Psyche in der Musik und den Medien Eurer Meinung nach bisher zu kurz oder welche Geschichte steckt dahinter?
Ich denke nicht darüber nach, ob die Medien das gerade brauchen, sondern ich denke darüber nach, was ich in einem Song ausdrücken will. Da ich selbst sehr geneigt bin, immer wieder irgendwelche Plastiktüten zu sammeln - es fiel mir auf, dass ich in meinem persönlichen Gepäck immer unzählig viele Plastiktüten habe -, weitete ich dies einfach mal fiktiv aus in diesem "Plastiktütenmann", dass er so viel sammelt, dass irgendwann seine Wohnung natürlich voller Plastiktüten ist. Man verfährt krankhaft damit und stellt sich die Wohnung mit irgendwelchem Krempel zu. Letztendlich entstand der Song aus meinem eigenen Naturell.

Dem Stück folgt der Song "Berlinale", der mit der gleichnamigen Veranstaltung beim genaueren Hinhören nur am Rande etwas zu tun hat. Beruht diese Geschichte auf einer wahren Begebenheit wie beispielsweise einem seltsamen Traum bei Nacht?
(lacht) Nein, es ist total fiktiv. Ich werde hin und wieder mit irgendwelchen Schauspielern verwechselt, zum Beispiel mit Klaus Kinski. Ich schmunzle dann und frage mich: "Wie kommt ihr denn darauf?" Das formulierte ich mal etwas weiter aus, ein Teil ist Wahrheit und der andere Teil ist fiktiv. Ich weiß natürlich, dass es eine ganze Reihe von Doubles gibt, die berühmte Schauspieler darstellen und dieses Thema wählte ich mir aus mit dem Titel "Berlinale".

Ähnlich erfindungsreich muss man sein, wenn man glaubt, eine Beziehung mit einem Gutschein retten zu können, wie uns im Song "Gutschein" erzählt wird. Auch hier die Frage: Welche Beobachtung oder Idee liegt diesem Titel zugrunde?
Das ist ziemlich einfach. Man kommt hin und wieder mit dem, den man liebt, in Schwierigkeiten. Und wie will man diese Schwierigkeiten aus dem Weg räumen? Man überlegt sich, wie man das machen kann. Entweder man kauft einen Gutschein für einen Wohlfühltag, Kino oder sonst etwas, um alles wieder hin zu biegen, was natürlich völliger Unsinn ist, weil man den Konflikt nicht unbedingt an seiner Wurzel anpackt. Aber in diesem Fall dachte ich mir: "Ich werde erst mal mit einem Gutschein bestochen und umgekehrt dachte aber auch ich schon an einen Gutschein". Grundsätzlich geht es selten auf, dass man mit einem Gutschein einen Haussegen wieder in Ordnung bringen kann. Das versuchte ich, in diesem Song ausdrücken.

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Ein weiterer neuer Song ist "Clowns". Wer gehört denn alles in diese Kategorie, die da besungen wird?
Alle die Bekloppten, die eigentlich keine Bekloppten sind. Die, die sich schminken, die auf die Bühne gehen, Musiker, Schauspieler, Balletttänzer. Also alle, die auf der Bühne etwas darstellen und natürlich auch Beifall für ihre Nummern haben wollen. Auch im Zirkus ist das so. Ich finde, diese Clowns und diese Leute sollte man nicht verarschen, denn sie machen einen - wie ich finde - seriösen Job, obgleich sie zur Unterhaltung da sind. Wir sind nun mal Clowns, wir brauchen den Applaus und die Zustimmung unseres Publikums, aber wir sehen uns selbst nicht unbedingt als Harlekine, sondern einfach nur als Menschen.

Das Lied "Thronräuber" wartet mit Zeilen wie "Seine alten Könige köpft der Rock'n'Roll selbst" und "Schon ist im Handumdrehen auf der Bühne wieder Platz!" auf ... Ist das ein von Euch mit Tönen gemaltes Bild über den Lauf der Dinge in der Musikszene?
Ja, er hat vor uns schon stattgefunden und wird auch nach uns stattfinden. Das heißt, die nächste Generation von Rock'n'Roll-Unterhaltungskünstlern ist längst am Start. Und die sind großartig in ihrem Ausdruck und ihrem Output. Und wie wir wissen, werden die besten Songs im Alter zwischen 20 und 30 geschrieben und auf die Bühne gebracht. Das besagt schon, wenn man danach weiter macht, ist man nicht mehr so relevant und sollte auf die nächste Generation schauen. Das ist ein Kreislauf, den kein Künstler erfand, sondern er beruht auf einer natürlichen Funktion. Die Alten müssen irgendwann den Thron räumen, weil die nächsten diesen Thron besetzen wollen.

Empfindest Du das wirklich so? Ich habe eher den Eindruck, dass die Medien diesen Lauf beeinflussen und dass es weniger natürlich gewachsen ist. Irgendwann verlieren die Medien das Interesse am König und hofieren mehr den Prinzen, der nachwächst, und lassen den König so in Vergessenheit geraten. Das ist zumindest mein Empfinden ...
Interessant ... Du bist ja ein Vertreter der Medien und würdest Dich quasi in die Verantwortung nehmen. Ist das richtig? Ich sehe Dich ganz anders, denn Ihr seht ja schon, dass Leute wie Wenzel oder Gerhard Schöne, die in die Jahre gekommen sind, noch extrem wichtige Dinge zu sagen haben. Um auf Deinen Einwand zurück zu kommen: Natürlich gibt es Ausnahmen in den Medien, es gibt Leute wie Leonard Cohen, der bis zu seinem Tod seinen Thron behauptet hat. Diese Ausnahmen gibt es, aber die meisten, die irgendwann in die Jahre kommen, werden ihres Thrones beraubt. Ich sehe das nicht unbedingt als Medienprodukt, sondern merke auch an mir selbst, dass ich bestimmte Künstler - man möge es mir nicht übel nehmen - nach einer Weile nicht mehr verfolge, weil ich merke, vor 20 Jahren waren sie großartig mit ihren Alben und nun sind sie nur noch mittelmäßig. Was so natürlich auch nicht schlimm ist. Was KEIMZEIT betrifft, sagen mir Leute auch immer wieder: "Was Du in den 80er und 90er Jahren geschrieben hast, hast Du nie wieder erreicht auf Deinen späteren Platten ..." Dann bin ich erst mal verschnupft und sage: "Das stimmt doch gar nicht", aber wenn ich mal genau hin schaue, muss ich sagen: "Ja, wenn Ihr das so seht, dann wird wohl irgendwas Wahres dran sein ..." Übrigens ist das ja nicht nur bei Musikern so, sondern auch in der Wissenschaft. Man sagt nicht selten, dass die großen Entdeckungen von Frauen und Männern gemacht werden, wenn sie jung sind. Insofern würde ich sagen, dass die Medien schon einen Anteil daran haben, aber eigentlich ist es ein sehr organischer Vorgang.

Okay. Trotzdem ist es Dir gelungen, 13 Songs zu schreiben, die sich gut anhören und an deren Ende man kaum glauben mag, dass das Programm schon wieder vorbei ist, so schnell vergeht die CD. Du sagtest gerade, Ihr habt dieses Album über einen längeren Prozess aufgenommen, hattet Ihr dennoch am Ende das Gefühl, dass die Produktion rasant vor sich ging? Ging es locker von der Hand oder war es eine schwere Geburt?
Ich muss etwas berichtigen: Es sind 13 Songs auf dem Album, aber nur zwölf von ihnen schrieb ich. Der Titel "Manchmal" wurde von unserem Pianisten Andreas "Spatz" Sperling geschrieben und auch von ihm selbst gesungen. Daran habe ich also keine Aktien ... So ein Album hat Schwierigkeiten und Leichtigkeiten zusammen. Teilweise tat ich mich beim Schreiben schwer, bestimmte Songs wollen einfach nicht aufs Papier. Dann werden auch einige Songs, die ich schreibe, wieder ausgemustert, weil sie nichts taugen. Das ist schmerzhaft für mich und solche Dinge sind zum Teil sehr zäh von der Hand gegangen. Das Aufnehmen mit den Kollegen Lars Kutschke, Sebastian Piskorz, meinem Bruder Hartmut Leisegang, Lin Dittmann und Andreas "Spatz" Sperling machte großen Spaß. Innerhalb kurzer Zeit hatten wir im Mai vergangenen Jahres eine tolle Zeit. Die Eltern von Andreas bewirteten uns, das Wetter war uns zugeneigt, das Aufnehmen des Albums machte echt Spaß und innerhalb kurzer Zeit hatten wir die Songs im Kasten ...

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Wo liegen für Dich denn die Unterschiede zwischen dieser neuen Platte und ihren Vorgängern, sowohl handwerklich als auch im Entstehungsprozess?
Ich sehe eher Gemeinsamkeiten in den letzten drei Alben. Das vorletzte Album "Das Schloss" hatten wir mit Moses Schneider aufgenommen und trug somit auch seine Handschrift. Das Album davor hatten wir schon mit Andreas aufgenommen und die Besetzung der KEIMZEIT-Musiker war relativ stabil. Lediglich Martin Weigel war bei den beiden Alben als Gitarrist dabei, nun wieder Lars Kutschke. Ich sehe auch dieses Album mehr als Vervollkommnung des KEIMZEIT-Oeuvres, so dass ich weniger Unterschiede, als Gemeinsamkeiten sehe. Das ist meine Meinung, aber das kann natürlich jeder für sich selbst entscheiden.

Ich fragte, weil Du gerade eben ja auch gewisse Selbstzweifel ansprachst ...
Ich gehe so etwas eher unterschwellig an, denn wenn man große Erwartungen hat und meint, dieses jetzt aktuelle Album ist so toll geworden, weil man ja emotional sehr berührt und angetan ist. Jeder Künstler will, dass das aktuelle Album ein totaler Burner ist. Diese Erwartungen schraube ich glücklicherweise von vornherein recht weit herunter. Aber ich freue mich natürlich dennoch, denn letztlich wurde es ja hergestellt, um die Herzen unserer Hörer zu berühren. Jeder Song ist wirklich ernst gemeint. Wenn es dann so ist, dass nach Veröffentlichung des Albums bestimmte Leute sagen: "Dieser Song hat mich wirklich erreicht, den finde ich gelungen und großartig" - dann freue ich mich natürlich darüber.

Zuerst erscheint in diesem Monat die CD von "Kein Fiasko", im April folgt die Vinyl-Ausgabe. Warum gibt es diesen zeitlich versetzten Veröffentlichungstermin bei der Schallplatte?
Weil die Herstellung der Schallplatte einen extremen Vorlauf bedurfte. Wir waren mit dem Master im vergangenen November fertig und hätten auch das Vinyl pressen lassen können. Aber dort, wo wir es pressen lassen, nämlich in Röbel, muss man warten und sich anstellen. Das geht momentan in ganz Deutschland nicht schneller, ein halbes Jahr Verzug muss man einplanen, ehe man das Vinyl veröffentlichen kann. Daher entschieden wir uns, zu warten und veröffentlichen zuvor die CD. Das ist der nüchterne Gang der Dinge.

Es sind also technische Gründe ...
Genau. Im Land gibt es zu wenige Apparate, die Vinyl herstellen können.

Ihr habt mit KEIMZEIT zehn der 40 Jahre in der DDR gelebt und gearbeitet. Siehst Du KEIMZEIT als eine sogenannte Ostband bzw. Vertreter des Ostrocks oder sind Dir solche Einstufungen eher fremd?
Das ist mir eigentlich "Stulle". Ich bin natürlich in die DDR hineingeboren worden und ich habe viel Zeit bis 1989 in der DDR verbracht, in Potsdam und auch im brandenburgischen Lütte, wo ich aufwuchs. Diese Zeit prägt mich und insofern will ich sie auch nicht vom Tisch wischen. Die Zeit danach allerdings gehört auch dazu und insofern würde ich sagen: Wer Bock drauf hat, KEIMZEIT als Ostrock-Band zu bezeichnen, der soll das tun. Ich selbst bin frei von diesen kategorischen Dingen.

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Der Song "Kling Klang" ist ja bis heute Euer größter Hit und der wahrscheinlich am meisten gespielte Song in Eurem Fundus. Nervt Dich die Nummer inzwischen, weil andere Lieder die heutige Band KEIMZEIT anders darstellen oder ist die Nummer in jeder Form noch immer so knackig, wie am Anfang der 90er Jahre?
Ich finde, da ist zuerst mal eine gewisse Demut gefragt. Wir schreiben Songs und meinen jeden ernst. Wenn es dann einen oder zwei Songs gibt, wo Medien, Publikum etc. sagen, das finde ich außergewöhnlich gut, es sticht heraus, dann freue ich mich und sage: "Gut, dann ist das Eure Wahl und Eure Entscheidung." Darauf habe ich keinen Einfluss mehr und warum sollte ich dann schlecht gelaunt sein? Eine Zeit lang war ich verschnupft, dass man KEIMZEIT auf "Kling Klang" reduzierte. Das machen nur bestimmte Leute, die eigentlichen Leute, die KEIMZEIT hören wollen, wissen, dass es über "Kling Klang" hinaus zahlreiche andere Musik und eine lange Geschichte von KEIMZEIT gibt. Die sind für mich maßgeblich.

Es ist jetzt das dreizehnte Album, Ihr habt eine ganze Menge Lieder geschrieben und veröffentlicht. Gibt es heute trotzdem Lieder aus dem Fundus, auf die Du gar keinen Bock mehr hast und die Du nicht mehr spielen möchtest?
Unbedingt, na klar. Es gibt einige Songs auf jedem Album, bei denen ich hinterher merke, dass ich es nicht traf, wir es hätten aussondern können und nicht in die Auswahl des Albums einrechnen sollen. Das wird einem hinterher oft klar, zum Zeitpunkt des Aufnehmens ist dies noch nicht offensichtlich. Aber es gibt bei jedem Album einige Songs, von denen ich denke, dass sie entweder gar nichts oder ganz schlecht geworden sind. Einige schaffen es besser und letztendlich möge man da mit mir nicht so hart ins Regime gehen. Es sind Dinge, dich ich besser vorher entscheiden sollte, aber wenn es aufgenommen ist, kann man da auch nichts mehr machen ...

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Wie schaut denn die Zeit bis April jetzt bei Euch aus? Wird es eine Release-Party geben oder wie überbrückt Ihr die konzertfreie Zeit bis in den April?
Das ist unterschiedlich. Wie ich schon sagte, regelt jeder Musiker sein Leben auf die eigene Art und Weise. KEIMZEIT-mäßig haben wir erst mal nichts geplant, wir sind da in einer Warteschleife. Du sagst jetzt schon "April", ich würde mich freuen, wenn es im April losgehen würde. Wenn es denn im April nach Ostern tatsächlich losgehen würde, würde ich mich riesig freuen! Insofern: Dein Wort in Gottes Gehörgang ... In der Zeit bis dahin werde ich mich teilweise zurück ziehen, ich lese viel und mache im Winter wenig. Ich versuche also mehr, in den Winterschlaf zu kommen und daher sind von mir keine großartigen Aktivitäten zu erwarten.

Ich wünsche Euch auf jeden Fall alles Gute für die Platte und die Tour! Möchtest Du zum Abschluss noch ein paar Worte an die Leser richten?
Wir haben jetzt eigentlich alles und recht viel gesagt. Ich finde grundsätzlich toll, wenn "Deutsche Mugge" und verschiedene andere Medien sich den Themen der Unterhaltungs-, Rock- und Pop-Musiker widmen. Ich finde echt toll, dass es Medien gibt, die sich für die Verbreitung der aktuellen Alben einsetzen. Zum einen können die Bands gerade nicht auf die Bühne, sind also darauf angewiesen und zum anderen gehört die Musik - auch die von KEIMZEIT - in die Öffentlichkeit. Da freuen wir uns über jeden, der diesbezüglich hilft, denn wir können alles aufnehmen, veröffentlichen und in die Streaming-Dienste geben, aber wenn wir Unterstützung von Euch anderen Medien haben, sind wir glücklich ... Danke dafür!



Interview: Christian Reder
Übertragung/Bearbeitung: Mike Brettschneider
Fotos: Comic Helden/Band, DT-M, Reinhard Baer, Christian Reder




   
   
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