
Interview vom 12. Oktober 2024
Nach über 14 Jahren beenden die Brüder Kai und Thorsten Wingenfelder das Kapitel ihrer Band WINGENFELDER. Aber nicht, ohne die Zeit noch einmal mit einem neuen Album und sogar zwei nahezu ausverkauften Tourneen gebührend zu feiern. Über die Beweggründe, einen Ausblick auf die Tour und einen Rückblick auf die Geschichte der Band hat unsere Kollegin Antje mit Thorsten ausführlich gesprochen ...
Hallo Thorsten, bei unserem letzten Interview im vergangenen Jahr hast du, für mich völlig überraschend, das Ende von WINGENFELDER angekündigt. Jetzt erscheint plötzlich schon die letzte Platte und die finale Tour steht an.
Ja du, manche Dinge sind irgendwann einfach zu Ende erzählt. Dafür ist dann wieder Platz für was Neues. Es ist ja nicht so, dass der freigewordene Raum nicht mehr besetzt wird. Mal gucken, was dann kommt. Für mich persönlich fühlt es sich total gut und richtig an. Komischer Weise macht es dadurch auch eine Menge Spaß. Persönlich finde ich, dass es eine runde Sache ist. Die letzten Akustikkonzerte mit dem Quartett waren total schön und natürlich auch für einige sehr emotional. Wir verschwinden ja nicht von der Welt. Manchmal kann ich das gar nicht so richtig nachempfinden. Für mich ist es eher: geil, aber das ist jetzt das Ende. Mal sehen, was dann kommt. Das ist meine persönliche Sicht, aber ich bin ja auch nur ein Individuum.
Ich kann die Emotionen gut nachvollziehen. Für mich wart ihr als WINGENFELDER der Schlüssel zu den FURYS.
Na klar, es gab einige, die die FURYS nicht so intensiv kannten. Oder die der Meinung waren, "Mit den FURYS könnt ihr aufhören, aber mit WINGENFELDER macht bitte weiter". Das sind alles persönliche Sichtweisen. Für mich persönlich fühlt es sich gut an und das Album ist auch schön geworden. Es ist eine würdige Nummer, um nach fast 15 Jahren eine tolle Geschichte auch rund zu machen. Ich will immer gar nicht sagen "beenden", denn Kai und ich werden sicher noch Sachen zusammen machen. Die FURYS sind natürlich sehr fordernd, weil es einfach eine Spur größer ist. Und hey, ich werde in eineinhalb Jahren 60 und habe auch ein Privatleben, wo ich auch Musik und viele andere schöne Dinge mache. Manchmal war es schon sportlich, in einem Jahr beide Bands mit Alben und Tourneen zu bedienen. Auch was das Schreiben angeht war es eine Herausforderung. Ich bin kein Vielschreiber, ich schreibe nicht viele Songs. Man musste sich dann umstellen zwischen Deutsch und Englisch. Einerseits war es schon geil, aber manchmal auch schräg.
Sicherlich ist es dann auch nicht immer einfach, die Qualität zu bringen, die man auch selber von sich erwartet.
Man möchte immer Qualität abliefern. Punkt. Es gibt unendlich viele Sachen auf Festplatten, die man dann aber doch wieder verwirft. Die eigentlich schön sind, aber nie das Licht der Welt erblicken werden. Mit den FURYS gab es mal eine Zeit, da kamen wir über ein bestimmtes Level nicht hinaus, weil wir selber nicht so am Start waren. Weil wir auch das nötige Umfeld nicht hatten. Mit WINGENFELDER konnten wir eigentlich immer machen was wir wollten. Bei einem sehr schönen Album kam uns dann Corona dazwischen und man hat uns den Stecker gezogen. Das war sicher auch ein Punkt wo man gemerkt hat, dass wir mit WINGENFELDER nicht über ein bestimmtes Level hinauskommen. Oder wenn dann nur mit massivem Einsatz. Live ist es ja sowieso immer nochmal was anderes, da sind wir größer. Das wird auch dieses Mal so sein. Aber es gibt immer noch Leute, die zu den FURY-Konzerten kommen und noch nie was von WINGENFELDER gehört haben. Als "Wenn`s am schönsten ist" rauskam, die erste Nummer vom neuen Album, haben es einige für eine FURY-Nummer gehalten. Bis wir gesagt haben: nee, das ist WINGENFELDER. Da gab es dann schon einige erstaunte Reaktionen. Wir haben vermutlich in knapp 15 Jahren nicht einmal 10% der Leute mit WINGENFELDER erreicht. Die sozialen Medien mit ihren Algorithmen schränken das so ein, dass man nur mit einem wahnsinnigen Aufwand was erreicht. Dabei hatten wir mit Fernsehwerbung und allem eigentlich eine Publicity. Aber wir werden immer der Gitarrist und die Stimme von den FURYS bleiben. Manchmal war es ein bisschen ernüchternd, aber darum geht es auch nicht nur. Es geht auch einfach darum, gut im Prozess zu bleiben. Deutsch ist einfach anders als Englisch. Die Rückmeldungen vom Publikum sind viel krasser und emotionaler. Aber trotzdem war irgendwann die Luft raus. Vielleicht sind das schlechte Beispiele, aber selbst ein gutes Theaterstück oder ein tolles Fußballspiel sind irgendwann zu Ende. Irgendwann kommt eben der Showdown. Als Band ist man ja eher eine Serie, aber auch die ist irgendwann vorbei.
Mir hat bei WINGENFELDER immer besonders gefallen, dass die Konzerte ja kleiner, aber dadurch auch eine Spur persönlicher waren.
Ja klar, das ist natürlich immer anders. Wenn man ganz klein geht, ist das immer intimer. Wenn ich solo spiele ist auch immer viel Geschichtenerzählerei dabei. Das wird zum Glück die KI auch in den nächsten Jahren nicht ersetzen können. Das ist für ein bestimmtes Klientel das, was sie wollen, und das ist auch toll. Da sind Konzerte mit den FURYS auf der Loreley oder im IGA Park Rostock eine ganz andere Hausnummer. Natürlich können auch die FURYS kleiner, aber wir möchten ja auch unsere Crew vernünftig bezahlen. Deswegen muss es dann schon Sinn machen. Aber ja, es ist ein ganz anderes Flair.
Kam der Entschluss zum Ende der Band eher plötzlich oder ist der lange gereift?
Was heißt gereift. Es spielen so viele Dinge rein, auch private - bei uns beiden. Wenn man als Brüder viele Sachen zusammen macht, muss man auch mal Luft holen. Ich ziehe mich sowieso immer weiter zurück. Ich mache weniger Interviews und will auch immer weniger machen. Wenn ich es mir finanziell leisten kann, was auch nicht immer so einfach ist, ziehe ich mich auch aus den sozialen Medien zurück. Das ist nicht mehr meine Welt. Es ist so, dass ich gerne in einen anderen Bereich lebe, in dem ich selten war. Das ist nicht nur Privates, ich arbeite ja auch für andere. Das müssen keine Sachen sein, die sich in den Charts wiederfinden. Die erfüllen einen auf eine andere Art und Weise. Ich muss gucken, dass ich Brot und Butter auf den Tisch bringe und Zeit mit der Familie organisiert bekomme. Irgendwann bringt man das alles nicht mehr unter einen Hut und muss sehen, dass man das hinbekommt. Das kommt sicherlich nicht von heute auf morgen, sondern wächst über eine Zeit von - sagen wir mal - zwei Jahren. Wenn man ehrlich zu sich selber ist muss man irgendwann wieder den Schritt machen und sein Leben neu ausbalancieren, na klar. Ich glaube, Kai hätte gerne weitergemacht. Da war ich schon die treibende Kraft und hab gesagt, "Komm, lass mal ´n Cut machen." Es ist ja immer so, wenn irgendwo eine Lücke entsteht, läuft das Wasser genau da rein. Mal sehen, was dann kommt. Ich weiß es nicht. Momentan macht es total Spaß mit den FURYS. Wir hatten eine wahnsinnige Songschreibe-Session auch mit Vincent Sorg, unserem Produzenten. Die Band ist wahnsinnig lebendig. Wenn du den Kalender für das nächste Jahr sehen würdest … der ist wirklich voll. Dazu parallel noch für WINGENFELDER zu arbeiten und vielleicht noch Solo-Gigs … das wird mir einfach zu viel.
Erzähl bitte mal was zur Entstehung des Albums. Ihr wart wieder in den Artfarm- Studios?
Wir fühlen uns da total wohl mit Robert "Robby" Schuller, der auch beim WINGENFELDER-Quartett mitspielt. Robby ist einer der am meisten unterschätzten Tontechniker, Produzenten und Studiobetreiber, die ich kenne. Er ist so unfassbar bescheiden und unfähig, Werbung zu machen. Das finde ich ganz erstaunlich. Wenn man so einen kreativen Gegenpart hat, kommen tolle Ergebnisse raus. Es ist einfach ein Platz, wo wir uns unheimlich gerne aufhalten. Wir wohnen dann bei einem Freund, der in der Nähe in einem großen Haus lebt, und haben einfach eine tolle Zeit. Eigentlich wollten wir nur eine EP machen, am Anfang waren nur 5 Tracks geplant. Dann ging es auf einmal los, und es kamen immer mehr Songs. Irgendwann haben wir gesagt, "Komm, lass mal gucken, wie weit wir das treiben können." Wir haben ja dieses Mal auch keine große Plattenfirma, sondern arbeiten mit unserer Merchandising-Company Merchcowboy. Das ist quasi eine richtige Indie-Veröffentlichung und das macht Spaß. Auf die sind wir sehr stolz. Das ist schon geil. Die Grafik vom Cover ist auch super geworden. Bei der Vinyl nochmal krasser als bei der CD. Da ist vorne der Leuchtturm aus Bornholm drauf, der ist ein bisschen bearbeitet. Der ist als Rotfilter-Foto in meiner Ausstellung gewesen. Also die Grafik haben wir wieder selber gemacht und auch die Videos. Im Grunde kommen wir wirklich zurück zu den Anfängen mit "Besser zu zweit", wo wir alles selber gemacht haben. Das macht total Bock, das fand ich echt schön. Dass man nachher ein Produkt in den Händen hält wo man sagen kann, "Das haben wir alles selber gemacht." Zu dem kleinen Buch, die 36 Seiten, die die Geschichte von WINGENFELDR so ein bisschen erzählen, hab ich die Grafik gemacht.
Ich finde das Cover mit dem Leuchtturm richtig gelungen. Sowieso mit dem Meer ringsum, das hat was von Aufbruch und Ankommen gleichzeig. Total schön.
Ist es ja auch. Das war damals in der Gezeiten-Ausstellung. Neben dem Leuchtturm wäre eigentlich noch das Leuchtturmhäuschen. Das Bild ist eigentlich nach oben länger und ein bisschen breiter und total krass mit Rotfilter bearbeitet. Das Bild hinten drauf ist auch Bornholm. Da durften Kai und ich quasi eine Woche bezahlt fotografieren und filmen und einen Song schreiben für eine große Ausstellung. Dass wir das nochmal benutzen können ist total super und passt vor allem auch zu "Schlicht und ergreifend". So ein kleiner Leuchtturm in der Welt - das waren WINGENFELDER ja vielleicht auch für den Einen oder Anderen.
Ich finde übrigens auch den Albumtitel gut und passend wie Faust auf's Auge.
Ich glaube, HAUDEGEN hatten auch mal ein Album draußen mit dem Titel. Das gibt es schon oft. Das passte irgendwie. Wie soll ich sagen? WINGENFELDER ist halt keine Show. Ein bisschen manchmal hier und da vielleicht. Wir sind eben so, wie wir sind. In manchen Momenten schlicht, mit T-Shirts und Hemden, die wir auch privat tragen. In guten Momenten waren wir auch ergreifend. Deswegen passte das. Das passte auch zu vielen Momenten. Manchmal sagt man ja auch schlicht und ergreifend, "Wir hören auf. Letzte Tour, letztes Album - Abfahrt." Das Bauchgefühl hat gepasst und Kai hat auch gleich genickt.
Wie kam es eigentlich zu "Nie zu laut und null Beschwerden", dem Song über Hannover?
Den gab es bis kurz vor Ende der Produktion eigentlich gar nicht. Den Song gab es schon, aber den Text nicht. Irgendwann habe ich einen Text von mir da drübergezogen und quasi innerhalb von zwei Tagen hatten wir den Hannover-Song fertig. Eine Woche später lief der auf Radio Hannover, zwei Wochen später hat Hannover 96 den okkupiert. Das Gequatsche am Ende kommt auch von Kai und mir. Wir haben rumgesponnen, als wir in der Regie im Studio saßen. Kai meinte dann, "Komm, wir machen das jetzt." Also haben wir dann zweimal irgendwas gebrabbelt. Das scheint ja auch irgendwie zu zünden. Bei Radio Hannover meinte ich, "Schneidet ihr das am Ende weg?" - "Nein, das ist das Beste, das muss bleiben", kam dann. Wir wurden dann zum Schützenfest eingeladen, und Ron Robert Zieler rief an und feierte es total, weil er erwähnt wird. Kurzfristig waren wir echt mit der Nummer sowas wie hip. Uns fehlt leider das Marketing-Budget und die Plattenfirma, um das Ding richtig zu breaken. Aber ich glaube, das Ding wird bestehen bleiben. Ähnlich wie der Weihnachtssong, der kommt auch jedes Jahr hoch. Der Marketing-Chef von Hannover 96 meinte, dass sie den neben "Won`t forget these days" auch immer noch in der Stadion-Playlist haben. Es ist gar nicht so leicht, einen Song über Hannover zu machen. Köln oder Berlin, die haben ihre Hymnen. Köln hat mit eigenem Dialekt sogar eine ganze Armada an Songs. Hannover eben gar nicht. Das ist auch immer so ein bisschen ein graues Pflänzchen, das nie zu laut ist und sich auch nicht beschwert. Viele Leute haben zurückgemeldet, das wäre jetzt also erstmal die Hymne für die nächsten Jahre.
Ihr hattet ja vor circa eineinhalb Wochen ein kleines Shop-Takeover bei eurem Merchhändler und habt dort die bereits vorstellten CDs, Fanboxen usw. signiert und es auch bei Social Media gestreamt. Wie kam Euch die Idee?
Na, die Idee ist ja nicht neu und auch nicht von uns. Das ist heutzutage Gang und Gäbe. Merchcowboy machen ja auch den Merch für Deine Cousine, für Donots und auch für die FURYS. Die machen das gerne, um den Vorverkauf ein bisschen anzukurbeln. Mit den FURYS funktioniert das auch super, zu zweit ist es ein bisschen schwierig zu reden, die Reaktionen auf Social Media zu lesen und auch noch zu signieren. Die Menge war okay, war durchaus erfolgreich, aber eben auch nicht so viel, dass es nicht mehr händelbar war. Es ist ein kleines Marketing-Tool, das sich verselbstständigt hat.
Gibt es für dich auf der CD einen Lieblingssong?
Ich mag "Wenn`s am schönsten ist" sehr gern, weil der einfach gut geworden ist. Ich mag die Hannover-Nummer sehr gerne, weil die uns gelungen ist nach 40 Jahren. Ich mag "Schlicht und ergreifend" sehr gerne weil es eine Thorsten Wingenfelder-Nummer ist, die mein Leben gut beschreibt. "Fallobst" mag ich sehr gerne, weil es eine krasse Nummer ist, die sich absurd mystisch entwickelt und die wir live im Studio eingespielt haben. "Optimus Prime" und "Keiner kommt hier lebend raus" finde ich geil wegen der Gitarrenriffs. Ich liebe es, wenn ich mal wieder so Queen of the Stonage-Riffs habe, die so funktionieren. Das sind die Favorits, aber das kann sich auch mal wieder abwechseln.
Ich habe dir die Frage bei unserem letzten Interview schon in Zusammenhang mit den FURYS gestellt und fand die Antwort sehr interessant, deswegen stell ich sie jetzt nochmal: Gibt es einen Song oder ein Album, was für dich für WINGENFELDER steht?
Boah, das ist schwer. Kai würde sagen: "Selbstauslöser". Das ist wirklich schon ganz schön schwer. Das neue Album ist sehr geil geworden und ist mir auch gerade am nächsten. Das mal rausgenommen, ist es denke ich "Besser zu zweit", das erste Album. Das hatte so eine unbeschwerte "Wir dürfen alles machen, was wir wollen"-Leichtigkeit. Das finde ich gut und mag ich sehr. Die anderen aber auch! (lacht)
Für mich ganz persönlich ist es "Lied vom Meer". Das steht für mich irgendwie für WINGENFELDER und ich höre es eigentlich immer, wenn ich im Urlaub am Meer angekommen bin.
Das war das Lied zu der Fotoausstellung übrigens. Da gab es eine Videoinstallation und wir haben den Song gespielt. "Lied vom Meer" ist toll, ja. Ach Gott, da gibt es so viele. Das ist schön, wenn du mit sowas um die Ecke kommst. Jemand anderes sagt vielleicht "Paradies" oder "Irgendwann zurück" oder irgendjemand kommt mit einer ganz absurden Idee. Das ist das, was WINGENFELDER ausmacht: da kommen nach den Konzerten die Leute und erzählen ihre Geschichten zu den Songs, die ganz klar textlich orientiert sind. Das schafft man nur, wenn man in der eigenen Sprache singt.
Lass uns nochmal kurz in die Geschichte gehen: hat WINGENFELDER gleich funktioniert?
Das hat gar nicht funktioniert. Wir haben eine neue, unbekannte Band aufgemacht. Ich hatte mir mehr versprochen und gedacht, dass wir mehr die Fans von den FURYS mit rüber nehmen. Die ersten Konzerte waren in Regensburg und im Sauerland - da war kein Mensch. Ich weiß es noch: es war der 19. Juni 2010 nach dem Sauerland-Konzert, da habe ich zu Kai gesagt, "Das ist schön, aber auch zu aufwendig und einfach Wahnsinn. Wir fangen gefühlt im Minusbereich an, das könnte anstrengend werden." Aber es hat sich entwickelt und wir sind drangeblieben. Dann kam das erste Album und das ging in die Charts, dann kamen immer mehr Leute. Dann hatten wir uns mit unserem damaligen Manager und Freund ein neues Konzept erarbeitet und wollten andere, kulturelle Dinge machen. Einige klappten dann auch. Man geht dann von einem Hügelchen zum nächsten und der ist wieder ein bisschen höher. Es ist ja nicht wie bei Til Lindemann von Rammstein, der macht eine Sologeschichte und kriegt dann gleich einen Riesendeal. Ganz im Gegenteil, es war richtig richtig schwer. Es gab einen Moment, da hatten wir das Album "Sieben Himmel hoch" gerade fertig - den werde ich nie vergessen. An dem Tag, ab dem man es vorbestellen konnte, hatte ich Geburtstag und habe später am Abend bei Amazon geschaut, ob Vorbestellungen reingekommen sind. Das sieht man ja anhand der Charts. Ich habe uns nicht gefunden und dachte, "Schade, ist doch ein tolles Album." Da war ich aber noch gar nicht in den Top 10. Dann habe ich mal in die Top 10 geguckt, und da waren wir auf 1. Wir waren also die ganze Nacht durch Vorbestellungen der bestverkaufte Musik-Act. Das war schon ganz schön geil, damit hatte ich nicht gerechnet. Jetzt hast du es nochmal gemacht mit Brüderchen und dann sind wir auch gechartet in den Top 10. Das ist alles Schall und Rauch, das sind alles Glasperlen. Ich weiß das. Aber nochmal die Nr. 1 mit den FURYS sein und WINGENFELDER in die Top 10, immer mehr Leute kommen zu Konzerten - das war schon schön. Irgendwann hat man gemerkt: das Thema geht auf. Aber wie gesagt, wir bleiben irgendwie stehen wo wir sind. Das wäre auch gar nicht schlimm, wenn wir das Feuer noch hätten, ewig lang weiterzumachen. Dann spielste halte dein Leben lang im MAU-Club, wo ist das Problem? Menschen kommen und hören deine Musik, das ist großartig. Das ist auch gar nicht der Punkt. Irgendwann sind alle Geschichten erzählt.
Wer von euch beiden hatte damals die Idee zu WINGENFELDER?
Das waren Kai und ich zusammen, glaube ich. Kai hatte für eine große Medienagentur einer Reederei gearbeitet und ich war als Fotograf unterwegs, und die haben ihn und mich angefragt, ob wir eine Tourismus-DVD über Spieckeroog machen wollen. Da haben wir angefangen, zusammen Musik zu machen und haben Songs geschrieben. Irgendwann dachten wir, "Lass uns mal was probieren." Dann kam noch ein Song und noch ein Song, schließlich ein Album ... Eigentlich gehen ohne direktes Ziel. Da war der Weg das, worum es ging.
Nochmal ein kurzer Rückschwung zu eurer Tour: euer alter Buddy Norman Keil ist ja auch wieder dabei …
Ja, wir haben Norman irgendwann gefragt, ob er Support machen möchte. Dann spielen wir auch so ein, zwei Nummern mit ihm. Er hat ja unsere Anfangszeit massiv mitgeprägt und ist dann halt seinen eigenen Weg gegangen. So schließt sich der Kreis. Das finde ich charmant, das mag ich.
Gerade "Springen in die Nacht" ist für mich schon auch etwas sehr besonders. Denn er handelt ja von einer sehr bewegten Zeit in der ich zwar schon da war, aber null eigene Erinnerungen habe.
Ich finde, es ist wie oft bei Rock`n Roll-Songs. Manchmal erzählt der mir mehr über die Menschen und über die Zeit als 1.000 Sozialkundestunden, und ich verstehe das dann. Wie bei Elif und "Baba", als sie noch Singer-Songwriter-Sachen gemacht hat. Man versteht in drei Minuten nahezu alles. Wie bei "Springen in die Nacht". So wie es aussieht, werden wir den Song auch spielen. Der kann ganz viel Gutes tun und erzeugt ein gutes Gefühl, Verständnis und gute Gedanken. Ich freue mich darauf, wenn wir es hinkriegen und den spielen.
Lieber Thorsten, wir sind dann auch schon am Ende. Möchtest du unseren Lesern noch etwas mitgeben?
Bleibt einfach menschlich.
Hallo Thorsten, bei unserem letzten Interview im vergangenen Jahr hast du, für mich völlig überraschend, das Ende von WINGENFELDER angekündigt. Jetzt erscheint plötzlich schon die letzte Platte und die finale Tour steht an.
Ja du, manche Dinge sind irgendwann einfach zu Ende erzählt. Dafür ist dann wieder Platz für was Neues. Es ist ja nicht so, dass der freigewordene Raum nicht mehr besetzt wird. Mal gucken, was dann kommt. Für mich persönlich fühlt es sich total gut und richtig an. Komischer Weise macht es dadurch auch eine Menge Spaß. Persönlich finde ich, dass es eine runde Sache ist. Die letzten Akustikkonzerte mit dem Quartett waren total schön und natürlich auch für einige sehr emotional. Wir verschwinden ja nicht von der Welt. Manchmal kann ich das gar nicht so richtig nachempfinden. Für mich ist es eher: geil, aber das ist jetzt das Ende. Mal sehen, was dann kommt. Das ist meine persönliche Sicht, aber ich bin ja auch nur ein Individuum.

Ich kann die Emotionen gut nachvollziehen. Für mich wart ihr als WINGENFELDER der Schlüssel zu den FURYS.
Na klar, es gab einige, die die FURYS nicht so intensiv kannten. Oder die der Meinung waren, "Mit den FURYS könnt ihr aufhören, aber mit WINGENFELDER macht bitte weiter". Das sind alles persönliche Sichtweisen. Für mich persönlich fühlt es sich gut an und das Album ist auch schön geworden. Es ist eine würdige Nummer, um nach fast 15 Jahren eine tolle Geschichte auch rund zu machen. Ich will immer gar nicht sagen "beenden", denn Kai und ich werden sicher noch Sachen zusammen machen. Die FURYS sind natürlich sehr fordernd, weil es einfach eine Spur größer ist. Und hey, ich werde in eineinhalb Jahren 60 und habe auch ein Privatleben, wo ich auch Musik und viele andere schöne Dinge mache. Manchmal war es schon sportlich, in einem Jahr beide Bands mit Alben und Tourneen zu bedienen. Auch was das Schreiben angeht war es eine Herausforderung. Ich bin kein Vielschreiber, ich schreibe nicht viele Songs. Man musste sich dann umstellen zwischen Deutsch und Englisch. Einerseits war es schon geil, aber manchmal auch schräg.
Sicherlich ist es dann auch nicht immer einfach, die Qualität zu bringen, die man auch selber von sich erwartet.
Man möchte immer Qualität abliefern. Punkt. Es gibt unendlich viele Sachen auf Festplatten, die man dann aber doch wieder verwirft. Die eigentlich schön sind, aber nie das Licht der Welt erblicken werden. Mit den FURYS gab es mal eine Zeit, da kamen wir über ein bestimmtes Level nicht hinaus, weil wir selber nicht so am Start waren. Weil wir auch das nötige Umfeld nicht hatten. Mit WINGENFELDER konnten wir eigentlich immer machen was wir wollten. Bei einem sehr schönen Album kam uns dann Corona dazwischen und man hat uns den Stecker gezogen. Das war sicher auch ein Punkt wo man gemerkt hat, dass wir mit WINGENFELDER nicht über ein bestimmtes Level hinauskommen. Oder wenn dann nur mit massivem Einsatz. Live ist es ja sowieso immer nochmal was anderes, da sind wir größer. Das wird auch dieses Mal so sein. Aber es gibt immer noch Leute, die zu den FURY-Konzerten kommen und noch nie was von WINGENFELDER gehört haben. Als "Wenn`s am schönsten ist" rauskam, die erste Nummer vom neuen Album, haben es einige für eine FURY-Nummer gehalten. Bis wir gesagt haben: nee, das ist WINGENFELDER. Da gab es dann schon einige erstaunte Reaktionen. Wir haben vermutlich in knapp 15 Jahren nicht einmal 10% der Leute mit WINGENFELDER erreicht. Die sozialen Medien mit ihren Algorithmen schränken das so ein, dass man nur mit einem wahnsinnigen Aufwand was erreicht. Dabei hatten wir mit Fernsehwerbung und allem eigentlich eine Publicity. Aber wir werden immer der Gitarrist und die Stimme von den FURYS bleiben. Manchmal war es ein bisschen ernüchternd, aber darum geht es auch nicht nur. Es geht auch einfach darum, gut im Prozess zu bleiben. Deutsch ist einfach anders als Englisch. Die Rückmeldungen vom Publikum sind viel krasser und emotionaler. Aber trotzdem war irgendwann die Luft raus. Vielleicht sind das schlechte Beispiele, aber selbst ein gutes Theaterstück oder ein tolles Fußballspiel sind irgendwann zu Ende. Irgendwann kommt eben der Showdown. Als Band ist man ja eher eine Serie, aber auch die ist irgendwann vorbei.
Mir hat bei WINGENFELDER immer besonders gefallen, dass die Konzerte ja kleiner, aber dadurch auch eine Spur persönlicher waren.
Ja klar, das ist natürlich immer anders. Wenn man ganz klein geht, ist das immer intimer. Wenn ich solo spiele ist auch immer viel Geschichtenerzählerei dabei. Das wird zum Glück die KI auch in den nächsten Jahren nicht ersetzen können. Das ist für ein bestimmtes Klientel das, was sie wollen, und das ist auch toll. Da sind Konzerte mit den FURYS auf der Loreley oder im IGA Park Rostock eine ganz andere Hausnummer. Natürlich können auch die FURYS kleiner, aber wir möchten ja auch unsere Crew vernünftig bezahlen. Deswegen muss es dann schon Sinn machen. Aber ja, es ist ein ganz anderes Flair.
Kam der Entschluss zum Ende der Band eher plötzlich oder ist der lange gereift?
Was heißt gereift. Es spielen so viele Dinge rein, auch private - bei uns beiden. Wenn man als Brüder viele Sachen zusammen macht, muss man auch mal Luft holen. Ich ziehe mich sowieso immer weiter zurück. Ich mache weniger Interviews und will auch immer weniger machen. Wenn ich es mir finanziell leisten kann, was auch nicht immer so einfach ist, ziehe ich mich auch aus den sozialen Medien zurück. Das ist nicht mehr meine Welt. Es ist so, dass ich gerne in einen anderen Bereich lebe, in dem ich selten war. Das ist nicht nur Privates, ich arbeite ja auch für andere. Das müssen keine Sachen sein, die sich in den Charts wiederfinden. Die erfüllen einen auf eine andere Art und Weise. Ich muss gucken, dass ich Brot und Butter auf den Tisch bringe und Zeit mit der Familie organisiert bekomme. Irgendwann bringt man das alles nicht mehr unter einen Hut und muss sehen, dass man das hinbekommt. Das kommt sicherlich nicht von heute auf morgen, sondern wächst über eine Zeit von - sagen wir mal - zwei Jahren. Wenn man ehrlich zu sich selber ist muss man irgendwann wieder den Schritt machen und sein Leben neu ausbalancieren, na klar. Ich glaube, Kai hätte gerne weitergemacht. Da war ich schon die treibende Kraft und hab gesagt, "Komm, lass mal ´n Cut machen." Es ist ja immer so, wenn irgendwo eine Lücke entsteht, läuft das Wasser genau da rein. Mal sehen, was dann kommt. Ich weiß es nicht. Momentan macht es total Spaß mit den FURYS. Wir hatten eine wahnsinnige Songschreibe-Session auch mit Vincent Sorg, unserem Produzenten. Die Band ist wahnsinnig lebendig. Wenn du den Kalender für das nächste Jahr sehen würdest … der ist wirklich voll. Dazu parallel noch für WINGENFELDER zu arbeiten und vielleicht noch Solo-Gigs … das wird mir einfach zu viel.
Wir fühlen uns da total wohl mit Robert "Robby" Schuller, der auch beim WINGENFELDER-Quartett mitspielt. Robby ist einer der am meisten unterschätzten Tontechniker, Produzenten und Studiobetreiber, die ich kenne. Er ist so unfassbar bescheiden und unfähig, Werbung zu machen. Das finde ich ganz erstaunlich. Wenn man so einen kreativen Gegenpart hat, kommen tolle Ergebnisse raus. Es ist einfach ein Platz, wo wir uns unheimlich gerne aufhalten. Wir wohnen dann bei einem Freund, der in der Nähe in einem großen Haus lebt, und haben einfach eine tolle Zeit. Eigentlich wollten wir nur eine EP machen, am Anfang waren nur 5 Tracks geplant. Dann ging es auf einmal los, und es kamen immer mehr Songs. Irgendwann haben wir gesagt, "Komm, lass mal gucken, wie weit wir das treiben können." Wir haben ja dieses Mal auch keine große Plattenfirma, sondern arbeiten mit unserer Merchandising-Company Merchcowboy. Das ist quasi eine richtige Indie-Veröffentlichung und das macht Spaß. Auf die sind wir sehr stolz. Das ist schon geil. Die Grafik vom Cover ist auch super geworden. Bei der Vinyl nochmal krasser als bei der CD. Da ist vorne der Leuchtturm aus Bornholm drauf, der ist ein bisschen bearbeitet. Der ist als Rotfilter-Foto in meiner Ausstellung gewesen. Also die Grafik haben wir wieder selber gemacht und auch die Videos. Im Grunde kommen wir wirklich zurück zu den Anfängen mit "Besser zu zweit", wo wir alles selber gemacht haben. Das macht total Bock, das fand ich echt schön. Dass man nachher ein Produkt in den Händen hält wo man sagen kann, "Das haben wir alles selber gemacht." Zu dem kleinen Buch, die 36 Seiten, die die Geschichte von WINGENFELDR so ein bisschen erzählen, hab ich die Grafik gemacht.
Ich finde das Cover mit dem Leuchtturm richtig gelungen. Sowieso mit dem Meer ringsum, das hat was von Aufbruch und Ankommen gleichzeig. Total schön.
Ist es ja auch. Das war damals in der Gezeiten-Ausstellung. Neben dem Leuchtturm wäre eigentlich noch das Leuchtturmhäuschen. Das Bild ist eigentlich nach oben länger und ein bisschen breiter und total krass mit Rotfilter bearbeitet. Das Bild hinten drauf ist auch Bornholm. Da durften Kai und ich quasi eine Woche bezahlt fotografieren und filmen und einen Song schreiben für eine große Ausstellung. Dass wir das nochmal benutzen können ist total super und passt vor allem auch zu "Schlicht und ergreifend". So ein kleiner Leuchtturm in der Welt - das waren WINGENFELDER ja vielleicht auch für den Einen oder Anderen.

Ich glaube, HAUDEGEN hatten auch mal ein Album draußen mit dem Titel. Das gibt es schon oft. Das passte irgendwie. Wie soll ich sagen? WINGENFELDER ist halt keine Show. Ein bisschen manchmal hier und da vielleicht. Wir sind eben so, wie wir sind. In manchen Momenten schlicht, mit T-Shirts und Hemden, die wir auch privat tragen. In guten Momenten waren wir auch ergreifend. Deswegen passte das. Das passte auch zu vielen Momenten. Manchmal sagt man ja auch schlicht und ergreifend, "Wir hören auf. Letzte Tour, letztes Album - Abfahrt." Das Bauchgefühl hat gepasst und Kai hat auch gleich genickt.
Wie kam es eigentlich zu "Nie zu laut und null Beschwerden", dem Song über Hannover?
Den gab es bis kurz vor Ende der Produktion eigentlich gar nicht. Den Song gab es schon, aber den Text nicht. Irgendwann habe ich einen Text von mir da drübergezogen und quasi innerhalb von zwei Tagen hatten wir den Hannover-Song fertig. Eine Woche später lief der auf Radio Hannover, zwei Wochen später hat Hannover 96 den okkupiert. Das Gequatsche am Ende kommt auch von Kai und mir. Wir haben rumgesponnen, als wir in der Regie im Studio saßen. Kai meinte dann, "Komm, wir machen das jetzt." Also haben wir dann zweimal irgendwas gebrabbelt. Das scheint ja auch irgendwie zu zünden. Bei Radio Hannover meinte ich, "Schneidet ihr das am Ende weg?" - "Nein, das ist das Beste, das muss bleiben", kam dann. Wir wurden dann zum Schützenfest eingeladen, und Ron Robert Zieler rief an und feierte es total, weil er erwähnt wird. Kurzfristig waren wir echt mit der Nummer sowas wie hip. Uns fehlt leider das Marketing-Budget und die Plattenfirma, um das Ding richtig zu breaken. Aber ich glaube, das Ding wird bestehen bleiben. Ähnlich wie der Weihnachtssong, der kommt auch jedes Jahr hoch. Der Marketing-Chef von Hannover 96 meinte, dass sie den neben "Won`t forget these days" auch immer noch in der Stadion-Playlist haben. Es ist gar nicht so leicht, einen Song über Hannover zu machen. Köln oder Berlin, die haben ihre Hymnen. Köln hat mit eigenem Dialekt sogar eine ganze Armada an Songs. Hannover eben gar nicht. Das ist auch immer so ein bisschen ein graues Pflänzchen, das nie zu laut ist und sich auch nicht beschwert. Viele Leute haben zurückgemeldet, das wäre jetzt also erstmal die Hymne für die nächsten Jahre.
Ihr hattet ja vor circa eineinhalb Wochen ein kleines Shop-Takeover bei eurem Merchhändler und habt dort die bereits vorstellten CDs, Fanboxen usw. signiert und es auch bei Social Media gestreamt. Wie kam Euch die Idee?
Na, die Idee ist ja nicht neu und auch nicht von uns. Das ist heutzutage Gang und Gäbe. Merchcowboy machen ja auch den Merch für Deine Cousine, für Donots und auch für die FURYS. Die machen das gerne, um den Vorverkauf ein bisschen anzukurbeln. Mit den FURYS funktioniert das auch super, zu zweit ist es ein bisschen schwierig zu reden, die Reaktionen auf Social Media zu lesen und auch noch zu signieren. Die Menge war okay, war durchaus erfolgreich, aber eben auch nicht so viel, dass es nicht mehr händelbar war. Es ist ein kleines Marketing-Tool, das sich verselbstständigt hat.
Gibt es für dich auf der CD einen Lieblingssong?
Ich mag "Wenn`s am schönsten ist" sehr gern, weil der einfach gut geworden ist. Ich mag die Hannover-Nummer sehr gerne, weil die uns gelungen ist nach 40 Jahren. Ich mag "Schlicht und ergreifend" sehr gerne weil es eine Thorsten Wingenfelder-Nummer ist, die mein Leben gut beschreibt. "Fallobst" mag ich sehr gerne, weil es eine krasse Nummer ist, die sich absurd mystisch entwickelt und die wir live im Studio eingespielt haben. "Optimus Prime" und "Keiner kommt hier lebend raus" finde ich geil wegen der Gitarrenriffs. Ich liebe es, wenn ich mal wieder so Queen of the Stonage-Riffs habe, die so funktionieren. Das sind die Favorits, aber das kann sich auch mal wieder abwechseln.
Ich habe dir die Frage bei unserem letzten Interview schon in Zusammenhang mit den FURYS gestellt und fand die Antwort sehr interessant, deswegen stell ich sie jetzt nochmal: Gibt es einen Song oder ein Album, was für dich für WINGENFELDER steht?
Boah, das ist schwer. Kai würde sagen: "Selbstauslöser". Das ist wirklich schon ganz schön schwer. Das neue Album ist sehr geil geworden und ist mir auch gerade am nächsten. Das mal rausgenommen, ist es denke ich "Besser zu zweit", das erste Album. Das hatte so eine unbeschwerte "Wir dürfen alles machen, was wir wollen"-Leichtigkeit. Das finde ich gut und mag ich sehr. Die anderen aber auch! (lacht)
Für mich ganz persönlich ist es "Lied vom Meer". Das steht für mich irgendwie für WINGENFELDER und ich höre es eigentlich immer, wenn ich im Urlaub am Meer angekommen bin.
Das war das Lied zu der Fotoausstellung übrigens. Da gab es eine Videoinstallation und wir haben den Song gespielt. "Lied vom Meer" ist toll, ja. Ach Gott, da gibt es so viele. Das ist schön, wenn du mit sowas um die Ecke kommst. Jemand anderes sagt vielleicht "Paradies" oder "Irgendwann zurück" oder irgendjemand kommt mit einer ganz absurden Idee. Das ist das, was WINGENFELDER ausmacht: da kommen nach den Konzerten die Leute und erzählen ihre Geschichten zu den Songs, die ganz klar textlich orientiert sind. Das schafft man nur, wenn man in der eigenen Sprache singt.

Lass uns nochmal kurz in die Geschichte gehen: hat WINGENFELDER gleich funktioniert?
Das hat gar nicht funktioniert. Wir haben eine neue, unbekannte Band aufgemacht. Ich hatte mir mehr versprochen und gedacht, dass wir mehr die Fans von den FURYS mit rüber nehmen. Die ersten Konzerte waren in Regensburg und im Sauerland - da war kein Mensch. Ich weiß es noch: es war der 19. Juni 2010 nach dem Sauerland-Konzert, da habe ich zu Kai gesagt, "Das ist schön, aber auch zu aufwendig und einfach Wahnsinn. Wir fangen gefühlt im Minusbereich an, das könnte anstrengend werden." Aber es hat sich entwickelt und wir sind drangeblieben. Dann kam das erste Album und das ging in die Charts, dann kamen immer mehr Leute. Dann hatten wir uns mit unserem damaligen Manager und Freund ein neues Konzept erarbeitet und wollten andere, kulturelle Dinge machen. Einige klappten dann auch. Man geht dann von einem Hügelchen zum nächsten und der ist wieder ein bisschen höher. Es ist ja nicht wie bei Til Lindemann von Rammstein, der macht eine Sologeschichte und kriegt dann gleich einen Riesendeal. Ganz im Gegenteil, es war richtig richtig schwer. Es gab einen Moment, da hatten wir das Album "Sieben Himmel hoch" gerade fertig - den werde ich nie vergessen. An dem Tag, ab dem man es vorbestellen konnte, hatte ich Geburtstag und habe später am Abend bei Amazon geschaut, ob Vorbestellungen reingekommen sind. Das sieht man ja anhand der Charts. Ich habe uns nicht gefunden und dachte, "Schade, ist doch ein tolles Album." Da war ich aber noch gar nicht in den Top 10. Dann habe ich mal in die Top 10 geguckt, und da waren wir auf 1. Wir waren also die ganze Nacht durch Vorbestellungen der bestverkaufte Musik-Act. Das war schon ganz schön geil, damit hatte ich nicht gerechnet. Jetzt hast du es nochmal gemacht mit Brüderchen und dann sind wir auch gechartet in den Top 10. Das ist alles Schall und Rauch, das sind alles Glasperlen. Ich weiß das. Aber nochmal die Nr. 1 mit den FURYS sein und WINGENFELDER in die Top 10, immer mehr Leute kommen zu Konzerten - das war schon schön. Irgendwann hat man gemerkt: das Thema geht auf. Aber wie gesagt, wir bleiben irgendwie stehen wo wir sind. Das wäre auch gar nicht schlimm, wenn wir das Feuer noch hätten, ewig lang weiterzumachen. Dann spielste halte dein Leben lang im MAU-Club, wo ist das Problem? Menschen kommen und hören deine Musik, das ist großartig. Das ist auch gar nicht der Punkt. Irgendwann sind alle Geschichten erzählt.
Wer von euch beiden hatte damals die Idee zu WINGENFELDER?
Das waren Kai und ich zusammen, glaube ich. Kai hatte für eine große Medienagentur einer Reederei gearbeitet und ich war als Fotograf unterwegs, und die haben ihn und mich angefragt, ob wir eine Tourismus-DVD über Spieckeroog machen wollen. Da haben wir angefangen, zusammen Musik zu machen und haben Songs geschrieben. Irgendwann dachten wir, "Lass uns mal was probieren." Dann kam noch ein Song und noch ein Song, schließlich ein Album ... Eigentlich gehen ohne direktes Ziel. Da war der Weg das, worum es ging.
Nochmal ein kurzer Rückschwung zu eurer Tour: euer alter Buddy Norman Keil ist ja auch wieder dabei …
Ja, wir haben Norman irgendwann gefragt, ob er Support machen möchte. Dann spielen wir auch so ein, zwei Nummern mit ihm. Er hat ja unsere Anfangszeit massiv mitgeprägt und ist dann halt seinen eigenen Weg gegangen. So schließt sich der Kreis. Das finde ich charmant, das mag ich.
Gerade "Springen in die Nacht" ist für mich schon auch etwas sehr besonders. Denn er handelt ja von einer sehr bewegten Zeit in der ich zwar schon da war, aber null eigene Erinnerungen habe.
Ich finde, es ist wie oft bei Rock`n Roll-Songs. Manchmal erzählt der mir mehr über die Menschen und über die Zeit als 1.000 Sozialkundestunden, und ich verstehe das dann. Wie bei Elif und "Baba", als sie noch Singer-Songwriter-Sachen gemacht hat. Man versteht in drei Minuten nahezu alles. Wie bei "Springen in die Nacht". So wie es aussieht, werden wir den Song auch spielen. Der kann ganz viel Gutes tun und erzeugt ein gutes Gefühl, Verständnis und gute Gedanken. Ich freue mich darauf, wenn wir es hinkriegen und den spielen.
Lieber Thorsten, wir sind dann auch schon am Ende. Möchtest du unseren Lesern noch etwas mitgeben?
Bleibt einfach menschlich.
Interview: Antje Nebel
Bearbeitung: cr
Fotos: Pressematerial (u.a. Olaf Gebert)
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Fotos: Pressematerial (u.a. Olaf Gebert)