Interview vom 1. Dezember 2023
Der Cellist im Rock- und Pop-Bereich ist eigentlich eher ein Exot. Während kein klassisches Orchester ohne einen dieser Streicher auskommen kann, trifft man ihn bei Rockbands dann doch eher seltener an. Neben Sonny Thet, der hier auch schon mal zu Gast war, tritt aber immer wieder auch ein Mann namens b.deutung in Erscheinung. Bei Muggen von SUBWAY TO SALLY oder zuletzt der MODERN SOUL BAND sahen wir ihn schon auf der Bühne, und lange bevor es uns gab war er einer der prägenden Figuren in der Band THE INCHTABOKATABLES, die die 1990er Jahre mächtig aufmischte. Dass b.deutung, der eigentlich Tobias Unterberg heißt, ein exzellenter Musiker ist, ist hinlänglich bekannt. Dass er aber auf seinem Weg bis hierher neben harter Arbeit aber auch sehr viel Glück und goldene Momente hatte, um erfolgreich zu sein, wissen vielleicht nicht viele von Euch. Was Kinderfilmproduktionen, ein australischer Konzertgast, FREYGANG-Frontmann André Greiner-Pol, eine Ausbürgerung auf den letzten Metern der DDR und Toni & Fritz von der Gruppe CITY für Rollen in seinem Werdegang gespielt haben, und was Tobias derzeit so macht, erfahrt Ihr in dem hier folgenden Interview, das unser Kollege Christian gerade vor wenigen Tagen mit ihm geführt hat ...
Tobias, grüß Dich … Du bist 1968 geboren. Wo denn?
Ich bin in Potsdam geboren, aber dafür kann ich nichts. Ich wurde da nur zufällig geworfen, weil meine Mutter dort studierte. Meine ganze Familie kommt aus Altenburg, also aus der Ecke Altenburg und Greiz. Ich stellte schon als Kind fest, dass ich da von der Struktur her mehr verwurzelt bin, als ich es in Potsdam jemals war. Also Potsdam ist eine Gartenstadt und es ist eine schöne Kulisse. Aber wie es in Brandenburg so üblich ist, das Glas ist halb leer und ich mag es mehr, wenn es halb voll ist. Während all meiner Ferienbesuche bei meiner Oma in Altenburg erlebte ich das eher. Potsdam war später wichtig. Es war natürlich ein Schmelztiegel zum Kennenlernen. Also gerade Ende der 1980er Jahre im Café Heider traf sich alles. Insofern war es durchaus eine wichtige Sache, aber ich war mit zwölf Jahren zum ersten Mal in Berlin im Internat und stellte sofort fest, dass mir Berlin näher liegt. Weil es einfach lustiger war und nicht so verkniffen. (lacht)
Tobias Unterberg alias b.deutung live in Berlin (Oktober 2023)
"Verkniffen" - das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Du Deinen bürgerlichen Namen nicht immer unbedingt vor Dir her trägst, sondern mit einem Künstlernamen auftrittst, nämlich "b.deutung". Wo kommt der eigentlich her?
Der geht auch in Anfangszeit der "Inchies" (THE INCHTABOKATABLES) zurück. Wir waren alle jung und betrunken, Künstlernamen mussten schon sein. Bei mir hatte es aber noch einen anderen Grund. Meine Mutter war damals - Ende der 1980er bis in die 1990er Jahre hinein - noch als Regisseurin aktiv und ich wollte mit diesem Namen nicht irgendwie hausieren gehen. Nicht, dass ich mich für meine Mutter schämte, ganz im Gegenteil, sie ist eine großartige Frau, aber ich wollte mein eigenes Ding machen. Das ist ein Grund. Dann stieg ich aus der Klassik aus und wollte einen Neuanfang mit dem Punk. Da kam mir das entgegen und die Namen in der Band waren - wie der Bandname selbst - allgemein sehr merkwürdig. Das war sicher auch dem Alkohol geschuldet. Wir hatten ja auch einen Herrn Jeh … Herr Jeh - dieser Name war auch Programm … Und ich glaube, dass "Deutung" hängen blieb, weil wir schon - als wir die "Inchies" gründeten - von Beginn an darauf setzten, dass wir bestimmte Sachen nicht machen werden. Wir wollten aber viel mehr spielen. So gründeten wir also Zweitprojekte, es gab zum Beispiel das Husemann-Trio. Dann gab es eine Anfrage: "Könnt Ihr mal spielen?" Und wir sagten: "Aber nicht unter diesem Namen." Wir spielten dann unter dem Namen "Berta Breuler ist schwanger von b.deutung". Und damit waren zwei Namen schon mal gesetzt. B. Breuler war der Sänger und b.deutung war meiner einer. Der Schlagzeuger hieß Kokolores Mitnichten, es waren allgemein merkwürdige Namen. Das blieb so hängen und ich arbeitete lange mit der Band unter diesem Namen. Und wenn ich im selben Bereich, also mit SUBWAY TO SALLY oder DEINE LAKEIEN unterwegs war, ging der Name natürlich mit. Bis hinein in die Hörspielkompositionen. Mittlerweile arbeite ich unter beiden Namen, ich sehe es nicht mehr so eng. Die Hörspielkompositionen laufen weiter unter b.deutung und viele andere Sachen unter meinem bürgerlichen Namen. Was ganz witzig ist, weil es ganz viele Leute aus den 1990er Jahren gibt, die mich unter Tobias überhaupt nicht kennen. Und die, die mich später kennenlernten, die konnten mit B. Deutung nichts anfangen. Das ist wirklich verrückt, weil man mit den verschiedenen Namen auch spielen kann …
Reisen wir mal ganz weit zurück in die Zeit. Kann man - wenn man es auf die Spitze treiben will - sagen, dass Du ein Kinderfilmstar der 1970er Jahre bist?
(lacht) Das ist auch so ein Ding … Ja, wäre ich wahrscheinlich geworden, wenn ich und auch meine Mutter das gewollt hätten. Zu der Zeit, als dieser Film entstand, lernte ich schon Cello und mir war merkwürdigerweise damals schon als Kind klar, dass ich Musiker werde. Also bevor ich wusste, dass man damit Geld verdienen kann, war mir klar, dass ich ein Musiker bin. Zu dem Film kam ich mehr oder weniger durch Zufall. Es war der erste Film meiner Mutter und sie wollte ums Verrecken nicht ihr Kind besetzen, hatte aber schon 3.000 Kinder getestet. Und da man dort Playback spielen und musikalisch etwas können musste, hatten sie einfach noch keinen Hauptdarsteller. Der Kameramann sagte dann zu ihr: "Nun hol' doch endlich mal Deinen Sohn ran und hör' auf mit dem Mist …" Es durfte auch gar niemand wissen und am Ende entschied der Studiodirektor der DEFA, nachdem er die Muster gesehen hatte: "Na wieso? Der ist es doch." Und dann machte ich es eben.
Das war 1976, der Film heißt "Konzert für Bratpfanne und Orchester", und Du warst acht Jahre alt. Kannst Du Dich noch an die Dreharbeiten und das ganze Drumherum erinnern, wie war das damals?
Es war ein großartiges Kindermusical, bei den Dreharbeiten war ich sechs oder sieben. Jedenfalls war ich noch nicht in der Schule. Kurz nach den Dreharbeiten wurde ich eingeschult, also war ich wahrscheinlich sogar noch sechs. Ich kann mich an vieles erinnern. Dadurch, dass meine Mutter mich dort nicht wollte, rasselten wir auch öfter aneinander, denn sie wollte ja unbedingt beweisen, dass sie mich nicht bevorzugt. Da gab es durchaus auch unschöne Sachen, zum Beispiel Wachstumsschübe. Ich sah mir den Film später mal mit meiner Tochter an und sah mich in einer Szene humpeln. Ich weiß ganz genau, an diesem Tag hatte ich Wachstumsschmerzen, mein Bein tat tierisch weh, aber es glaubte mir niemand. Ansonsten waren es wunderbare und schöne Erlebnisse. Jaecki Schwarz kennengelernt zu haben und die ganze Trickabteilung … dort hineinsehen zu können, das war schon toll. Oder auch die Szene in dem kleinen Schlosstheater in Potsdam im "Neuen Palais" war großartig. Später spielte ich dort mal und in der Kindheitserinnerung war das für mich riesig. Eine große Bühne, dieser Theaterraum mit all dem Plüsch, in meiner Erinnerung war das ein Riesending. Und als ich später dort spielte, stellte ich fest, dass es eine "Puppenstube" ist. Das war wirklich Wahnsinn. Aber die Erinnerungen an diese Zeit sind ziemlich klar.
Tobias im Film "Konzert für Bratpfanne und Orchester", 1976
Nun kam der Film in die Öffentlichkeit und wenn ich richtig informiert bin, lief er auch richtig gut …
Ja, der lief gut und räumte auch internationale Preise ab.
Wie war es denn dann als Schüler in der Klasse? Dort warst Du doch mit Sicherheit der Star, oder?
Neee, ich glaube, so etwas gab es im Osten auch gar nicht. Das war alles recht normal. Das einzige, wobei diese Nummer half, war, dass wir aus Babelsberg nach Potsdam umzogen und ich dort keinen Schulplatz hatte, weil die Schule voll war. Dort zog dieser Joker und die Direktorin quetschte mich einfach noch in die Klasse, obwohl die Schule eigentlich gar keinen Schüler mehr hätte aufnehmen können. Ansonsten war es in der Klasse überhaupt kein Thema. Die einen haben Sport gemacht, die anderen machten was anderes. Eher war's ein Thema, dass ich damals schon Musik machte und ständig irgendwie und irgendwo Cello spielte. Natürlich auch in der Schule zu irgendwelchen Feiern. Das war eher ein Thema, aber es war völlig spielerisch und völlig normal. Da waren die Zeiten auch anders. Für die Mitschüler war das kein großes Ding und bei mir selbst auch nicht. Ich glaube, dass das erst später aufgeblasen wurde und dass dann andere Leute damit ein Problem hatten.
Gab es außer der Nebenrolle, die Du noch im Märchenfilm "Verflixtes Missgeschick" hattest, noch weitere Filme, in denen Du mitwirktest oder blieb es dabei?
Es gab immer mal Nebenrollen, die ich machte. Man könnte es aber auch "Statisterie" nennen. Aus Spaß verfolgte ich das alles gern, auch später am Theater. Ich machte also keine Ferien und machte lieber auf der Freilichtbühne mit, weil es mich interessierte. Es war immer ein Spaßfaktor, bis hin zu den Theatermusiken, die ich für die Kindertheaterstücke machte, wo ich dann auch die eine oder andere kleine Rolle übernahm. Bei diesen Stücken in Köpenick waren es zwei Schauspielerinnen und ich als Musiker. Logischerweise muss man dann also etwas übernehmen, sonst geht das Stück nicht weiter. Ich weiß, dass ich nicht der geborene Schauspieler bin, aber es macht auch Spaß …
Für Dich war als kleiner Junge klar, dass Du Musiker werden willst, wie Du gerade sagtest. War das der Grund, dass Du die Schauspielerei nicht weiter verfolgtest, sondern sie nur just for fun ausgeübt hast?
Ich denke, dass es wirklich daran lag. Es wäre möglich gewesen, aber ich verfolgte von Anfang an die Musik.
Wann trat denn das Cello in Dein Leben?
Relativ früh, ich ging mit vier Jahren an die Musikschule. Eigentlich in dem Glauben, dass ich Trompete lernen würde. Es war so, dass es in dem Schallplattenfundus, den meine Mutter zur Verfügung hatte, eine noch heute von mir hoch verehrte Schallplatte mit Trompetenkonzerten von Willi Krug gab. Ein vergessener Trompeter der DDR, der für mich immer noch der geilste Trompeter der Welt ist. Er machte in den 1960er Jahren eine Scheibe bei ETERNA, dann gab es offensichtlich ein paar Probleme und er reiste - glaube ich - auch aus. Es gab also nie wieder etwas von ihm. Diese Platte legte ich wohl immer wieder auf und nervte meine Mutter mit: "Ich will das lernen." Daraufhin brachte sie mich zur Musikschule und die sagten: "Du musst erst mal ein Jahr Theorie machen, dann gibt es eine Abschlussprüfung und wenn Du die bestehst, kannst Du ein Instrument lernen." Dann saß ich mit vier Jahren zwischen allen anderen, die schon schreiben konnten, lernte Kullern und irgendwelche Quintenzirkel und den ganzen theoretischen Kram, von dem ich wahrscheinlich nur - wenn überhaupt - die Hälfte verstand. Aber ich bestand diese Prüfung und war mir sicher, jetzt kann ich Trompete lernen. Das geht aber natürlich mit fünf Jahren noch gar nicht, weil die zweiten Zähne noch nicht da sind. Mit acht oder neun Jahren kann man damit anfangen. Es wurde gesagt: "Na dann musst Du noch warten und erst mal Blockflöte machen." Darauf hatte ich allerdings überhaupt keinen Bock. Mein Musikschuldirektor gestand mir zehn Jahre später beim Oberstufenabschluss, dass sie damals entschieden hatten, dass ich Cello lerne. Sie hatten mich durchgemessen, also Gehörtest, Ausmessen der Finger, wie bei Sportlern eigentlich auch. Dabei legten sie fest, er wird ein Cellist. Und mir sagten sie, "… entweder Blockflöte oder Du guckst mal zu der Lehrerin, die bereits einen Cello-Schüler hat. Dann setz' Dich da mal mit hin und probiere mal."
Das Interesse an Musik wurde geweckt durch
Willi Krugs LP "Berühmte Bläserkonzerte"
Also eine geplante Karriere …
So gesehen, von meinem Musikschuldirektor scheinbar geplant und ich konnte mit diesem Ding überhaupt nichts anfangen. Erstens kannte ich es nicht und meine zweite wichtige Schallplatte in meinem Leben war natürlich "Peter und der Wolf", auf der das Cello aber nicht gefeatured war. Da ging ich mehr auf die Hörner ab. Ich saß da also auf einmal an einem Ding, das ich nicht kannte und das fürchterlich sägte. Die ersten Jahre sind ja auch erschütternd auf solch einem Streichinstrument. Ich hatte den Trompetenklang im Ohr und den konnte ich mit diesem Gekratze nicht herstellen. Die eigentliche Schlüsselwendung war, dass wir dann den ausrangierten Fernseher meiner Oma bekamen. Also das erste Mal ein Fernseher, da war ich wahrscheinlich sechs Jahre. Ich sah die Trauerfeier für Pablo Casals, einen Super-Cellisten. Nicht mein Lieblings-Cellist, aber damals war es ein großes Ding und da waren in Paris und Rio tausende Leute auf der Straße, weil ein Cellist gestorben war. Es ist total bescheuert, aber als ich das sah, dachte ich: "Irgendwas ist an diesem Instrument dran, was ich nicht weiß." Dann fing es an, mich zu interessieren.
Ein interessanter Werdegang … Ich frage Musiker, die sich auf ein Instrument spezialisierten und es nun perfekt spielen, gerne: Das dürfte doch viel Zeit gefressen haben neben der Schule. Hattest Du noch Freizeit in Deiner Kindheit und Jugend?
Komischerweise ja. Wenn ich jetzt zurückblicke, weiß ich nicht, wo ich die Zeit her nahm. Genau so war es auch später, als ich ja auch viele Dinge machte. Ich war kein Außenseiter, ich hätte viel mehr üben sollen, als ich es tat. Mein Talent half mir sehr und was mir ebenfalls half, ist der Umstand, dass ich ein Prüfungstyp bin. Also dass ich am Ende in einer Prüfung - immer wenn es darauf ankam - immer ein paar Klassen besser war, als ich eigentlich vorbereitet war. Was mir auch später bei der Bühne half. Mein erstes Konzert war mit sechs und dieses Lampenfieber, was andere haben, das hatte ich nicht. Mein Lampenfieber äußert sich bis heute darin, dass ich eine Stunde vorher konsequent müde werde und dann komplett herunterfahre. Ich möchte nicht angesprochen werden, weil ich müde bin. In dem Moment, wenn es losgeht, geht es los. Das half mir schon, ich spielte auch Fußball in einem Verein und machte jeglichen anderen Mist, den man eben so machte. Natürlich ging Zeit fürs Üben drauf. Es war eine tägliche Sache, die musste sein und ich saß also täglich an diesem Ding. Das hielt mich aber nicht davon ab, später auf Partys zu gehen oder andere Sachen zu verfolgen. Gar nicht. Die Zeit im Internat in der Spezialschule war durchaus heftig, aber in der Rückschau kann ich nicht erkennen, dass ich irgendwas verpasste. Auch der Druck des Elternhauses war nicht extrem zu spüren.
Du sagtest, dass Du irgendwann die Klassik verlassen hast. Daher gehe ich davon aus, dass Du in Deiner Jugend auch nur in der Klassik unterwegs warst …
Ich war spielerisch erst mal nur in der Klassik unterwegs, aber vom Hören her nicht eingleisig. Wir hörten zu Hause alles, auch meine Mutter zum Glück. Von Klassik über Rock und Pop war alles vorhanden, und demzufolge wuchs ich nicht mit einer Sperre irgendwelcher Musikgenres auf. Ich war immer interessiert, aber mir war klar, dass ich diese klassische Ausbildung wollte. Wo sie mich später hinführen würde, wusste ich nicht. Aber die Ausbildung war natürlich super.
In Deiner Vita steht als erste Station 1990 die Band CATRIONA. War dies tatsächlich die erste Station?
Außerhalb der Klassik war CATRIONA so ziemlich das erste. Es gab - da weiß ich den Namen gar nicht mehr - noch eine Band, in der man sich traf und irgendwas miteinander probierte. CATRIONA war das erste ernsthafte, was man außerhalb der Klassik erwähnen kann. Ziemlich zeitgleich mit THE JIGS. THE JIGS waren quasi die Vorläufer der "Inchies". Da waren die beiden Geiger, ich und drei Punks gemeinsam. Es war nur ein offizielles Konzert, danach waren die Instrumente weggesperrt und wir mussten unterschreiben, dass wie nie wieder auftreten. Was wir natürlich dennoch machten, dann aber nur noch in geschützten Räumen, also in Kirchen oder beim Punk-Treffen in Rummelsburg. Offiziell gab es die Band also nicht mehr …
Bei CATRIONA lerntest Du auch Eric Fish kennen, nehme ich an …
Genau, bei CATRIONA traf ich Eric zum ersten Mal.
Du sagtest gerade, parallel dazu lief das mit den "Inchies", die wurden letztlich 1991 gegründet …
Ja, THE JIGS waren vorher, dann kamen holterdiepolter alle möglichen Sachen, die Mauer fiel, mich hatten sie 1989 noch aus der DDR rausgeschmissen und dann traf man sich wieder. Ziemlich schnell entstanden dann 1991 die "Inchies".
The Inchtabokatables (Pressefoto)
Da hake ich doch mal ein: Was heißt denn "Aus der DDR rausgeschmissen"?
Ich wurde ausgebürgert. Man hat mich mehrmals darauf hingewiesen, dass ich doch einen Ausreiseantrag stellen solle. Das wollte ich aber nicht, irgendwann war der Ausweis weg und ich war in Westberlin.
Das ist ja krass. Andere Leute wollten gehen und durften nicht, Du wolltest nicht gehen, aber solltest …
Ich wollte nicht, ich wollte eine andere DDR. Das wäre wahrscheinlich noch mal ein Thema für sich, es war eine ziemlich schräge Aktion. Vor allem völlig absurd, also im Sommer 1989. Was natürlich dazu führte, dass man nur noch kotzend in Westberlin saß und sah, wie alles losgeht und man selbst nicht dabei war. Aber es war auch schön, am 9. November der einzige zu sein, der in die Gegenrichtung lief. Offiziell durfte ich ja nicht mehr rein, ich war also illegal dort.
Wie hast Du denn im Westen Deine Zeit verbracht? Auch als Musiker?
Das war schwierig. Ich versuchte in Westberlin natürlich erst mal, Leute kennenzulernen und mir Musiker zu suchen, stellte dann aber recht schnell fest, dass es ein völlig anderer Impuls des Musikmachens war. Bei uns war es ja so, egal ob bei CATRIONA, THE JIGS oder allen anderen Projekten: Treffen, proben und nach zwei Wochen auftreten. Egal, wo. Also entweder auf der Straße, in einem Café oder in einer Kirche. Völlig egal, aber raus damit …Die ersten Leute, die ich kennenlernte, wollten alle nur proben. Die wollten gar nicht auftreten. Da gab es Leute, die hatten Proberäume, davon träumt man. Ich war mit zwei Leuten in einem Proberaum in Kreuzberg, da war eine Bühne drin! Es waren zwei Proberäume, im mittleren gab es besagte Bühne, sogar eine Anlage war vorhanden. Die wollten nicht auftreten, sondern nur proben. Das hat mich völlig geschreddert. Für dieses Projekt - ein Gitarrist, ein Bassist und ich - machten wir ein Programm und als wir fertig waren, sagte ich: "Lasst uns damit auftreten." "Ach neee, das will doch keiner hören …" Also fragte ich sie, ob sie mitspielen würden, wenn ich Spielorte besorgen würde. "Na ja …" In knapp zwei Wochen hatte ich acht Cafés organisiert, in denen wir spielen konnten. Danach sagte der Bassist, dass ihm das zu viel wäre und er aussteigen würde. Der besuchte mich aber dann später bei einem Konzert den "Inchies". Er war irgendwo in der Ecke Krefeld Lehrer geworden und meinte nach der Show: "Ja stimmt, eigentlich hattest Du recht, das hätte ich auch machen können …"
Letztlich fand sich bei den "Inchies" alles und Ihr machtet ziemlich lange und erfolgreich gemeinsam Musik …
Auch das muss ich noch mal sagen, denn es ist ganz wichtig: Diese Bands, die damals entstanden sind, das waren Freunde, die zusammen gesoffen haben und gemeinsam Musik machen wollten. Der Vorsatz, eine solche Karriere zu machen, war überhaupt nicht vorhanden. Wir hatten ganz viel Schwein. Der Punkt, als wir gegründet wurden, war genau der Punkt, als die Ost-Bands - zumindest vorübergehend - niemand mehr hören wollte und die West-Bands nicht in den Osten kamen, weil dort noch kein Geld zu verdienen war. In genau diese Lücke kamen wir rein. Wir können, außer dass wir ungewöhnlich waren, kaum etwas dafür. Ich glaube, ein Jahr vorher oder zwei Jahre später hätten die "Inchies" gar nicht funktioniert. Es ging alles rasend schnell …
Ihr hattet dann auch einen Plattenvertrag beim Label von Fritz Puppel und Toni Krahl von CITY.
Ja, die wollten schon unser erstes Album haben, das machten wir aber nicht, da wir erst mal selbst probieren wollten. Die ersten beiden Alben machten wir an ihnen vorbei, erst beim dritten wechselten wir zu ihnen.
Das war ja auch ziemlich ungewöhnlich, denn das waren ja etablierte Musiker der Ostrock-Szene und Ihr wart relativ neu. Wie kam das denn zustande?
Der Witz war, und auch das ist - glaube ich - ein Ost-Phänomen: Natürlich waren die Ost-Bands untereinander auch konkurrierende Bands, aber dieser Konkurrenz-Gedanke, den wir dann im Westen kennenlernten, den gab es so nicht. Das heißt, sie waren erst mal alle interessiert. Bei unseren ersten Konzerten in Berlin waren alle da. SILLY kamen gucken, also Tamara, Hassbecker, Ritchie, CITY kamen vorbei und alle guckten, was der Nachwuchs so macht. So lernten wir die kennen, alle auf eine völlig verspielte Art und Weise, wo man ins Gespräch kam. Und sie sahen uns von Beginn an als Kollegen. Zum Thema Konkurrenzgedanken: Ein ganz wichtiger Faktor für uns war, dass unser erstes Konzert in einem Café im Prenzlauer Berg vom Sänger der Band FREYGANG, André Greiner-Pol, besucht wurde. Er wohnte dort um die Ecke. Nach dem Konzert kam er zu uns und meinte: "Ich nehme Euch mit." FREYGANG hatte in diesem Jahr ein Festival, das muss das "Ostwoodstock-Festival" irgendwo im Harz gewesen sein. lch war so besoffen, dass ich nicht mal mehr weiß, wo genau das war. Dort spielten FREYGANG, FEELING B., ICHFUNKTION, alle waren da. Und eben auch alle Veranstalter aus dem Osten waren dort. Greiner-Pol hat den Veranstalter erpresst, FREYGANG waren Headliner und er sagte ihm: "Ich bringe noch eine Band mit." Der Veranstalter meinte: "Das geht nicht, das Lineup ist voll." Daraufhin erwiderte Greiner-Pol: "Dann kommen wir auch nicht …" Deshalb spielten wir auf diesem Festival und hatten danach plötzlich eine Tour, weil die Veranstalter alle da waren. Auch das mal zum Thema "Konkurrenzgedanken". Aber Greiner-Pol setzte noch einen drauf: Er nahm uns quasi für FREYGANG als Vorband mit und auf der Hälfte der Tour kam er zu uns und sagte: "Also, wenn ich mir das jetzt so angucke, wie das mit dem Publikum ist, müssen wir die Reihenfolge tauschen." Und dann haben wir ab der zweiten Hälfte der Tour als Headliner gespielt.
Die Idee kam von André Greiner-Pol selbst?
Ja, von ihm selbst. Er hat einfach gemerkt, was bei uns abgeht und kam zu dem Entschluss, dass wir es ab morgen anders herum machen. "Erst spielt FREYGANG und dann Ihr …" Und theoretisch war es eine FREYGANG-Tour.
Das hat tatsächlich nichts mehr mit Konkurrenzdenken zu tun …
Nein, ein paar Jahre später wärst du als Band aus der Tour geflogen, wenn du den Headliner abkochst … Das sind schon Sachen, die alle eine Rolle bei der Entstehung der "Inchies" spielen. Also sowohl das Interesse der anderen und auch das Wohlwollen bzw. das Gönnenkönnen. Also das, was man manchmal ein wenig vermisst.
Du erzählst hier gerade von tollen Ereignissen, allein der Plattenvertrag, nun die Sache mit FREYGANG. Welche bleibenden Eindrücke hast Du mit der Band überhaupt sammeln können, egal ob positiv oder negativ? Was blieb Dir dauerhaft von den "Inchies" in Erinnerung?
Als allererstes wirklich das ganz große Ding, was man sich so erträumt. Dass man zusammen mit Freunden etwas macht, erschafft und das dann auch noch funktioniert. So fing es ja an und so war es auch wirklich viele Jahre. Wir waren eine fahrende Wohngemeinschaft, entweder Studio oder auf Tour oder im Proberaum. Eine gemeinsame Bandwohnung gab es auch, wir hingen wirklich zusammen und das machte diese Band aus. Solch eine Sache gehabt und erlebt zu haben, ist großartig. Dazu kann ich auch noch eine schöne Geschichte erzählen, manchmal wird einem das ja erst auf der Reise klar: Am Ende der zehnten Klasse war ich mit einem Kumpel trampenderweise und verbunden mit Zelten an der Ostsee. Er ging zum Studium nach Berlin und ich ging nach Dresden, wir waren beide Klassiker. In diesem Urlaub entwarfen wir aber witziger Weise eine Band. Völlig absurd. Wir hörten Musik, überlegten, wie die Band aussehen könnte. Wir schmiedeten Pläne, ein großer Traum war ein BARKAS mit einem Anhänger, sogar die Klamotten waren schon klar. Es war jedenfalls komplett absurd. Schnitt. Irgendwann wurde ich im Nightliner wach, wir waren gerade auf dem Weg nach Paris und ich hörte, wie der Busfahrer vorn ein Mix-Tape hört. Da kamen fünf Titel hintereinander aus diesem Urlaub, ich setzte mich nach vorn und dachte: "Wie geil ist das eigentlich?" Da hatte man irgendwann mal den größten Wunsch, zwischen Suhl und Rostock und zwischen Frankfurt (Oder) und Magdeburg mit einem BARKAS hin- und her zu fahren und Musik zu machen. Und nun sitzt man im Tourbus nach Frankreich und es kam eigentlich alles noch viel geiler, als man es sich erträumte. Das sind Sachen, die bleiben hängen. Also erst mal der Umschwung von der Klassik zum Punk, was es ja am Anfang war, und die großartige Energie, die diese Band hatte und die natürlich für alles verantwortlich war, was in meinem Leben danach kam.
Was war denn bei den "Inchies" der größte kommerzielle Erfolg?
Das kann ich gar nicht sagen, das weiß ich wirklich nicht. Wir dachten nie - was uns immer niemand glaubt - in solchen Kategorien, bis zum Schluss nicht. Wir wollten losfahren und unser größtes Ding war es immer, live zu spielen.
Ich fand zum Beispiel keine Chart-Platzierungen. Sind Platten von Euch in den Charts gelandet?
Ja, in den TOP 100, das war aber auch noch zu Zeiten, als man für die TOP 10 wahrscheinlich 100.000 verkaufte Alben brauchte. Das haben wir garantiert nie geschafft, in den TOP 100 waren wir mehrmals drin. Es klingt doof, aber wir haben nie danach gefragt und es hat uns eigentlich auch nicht interessiert. Wenn man nach den größten Erfolgen fragt, dann waren es wirklich die Touren. Wenn man sich überlegt, drei Mal im Jahr sechs Wochen in ausverkauften Häusern und in Zeiten, in denen es nicht mal "Off-Days" gab - das war unser Leben.
So, wie Du das erzählst, klingt es so, als ob es tatsächlich eine Indie-Band gewesen ist … Andere Bands nennen sich "Indie" und sind eigentlich das komplette Gegenteil.
Ja, wir waren eine Indie-Band, die BMG hat das aber nicht begriffen. Die BMG wollte uns aufbauen als deutsche Stadion-Band. Wir zeigten ihnen einen Vogel und sagten ihnen, was wir sein wollten: "Wir wollen eine Band sein - dafür gibt es Beispiele von amerikanischen und englischen Bands - die weltweit auf Club-Ebene spielt." Wir merkten es ja, wenn wir im Ausland waren. Wir konnten spielen, wo wir wollten, die Energie kam überall an. Wir waren keine "deutsche Band", wenn wir in Griechenland, Spanien, Frankreich oder in den USA waren. Es wäre unser Traum gewesen, wenn man uns dabei unterstützt hätte. Club-Niveau mit 2.000er oder 3.000er Hallen, das aber nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.
Bei diesem außergewöhnlichen Bandnamen: Haben die sich im Ausland nicht den Arsch gebrochen, ihn auszusprechen?
Na in Deutschland ja auch, das machte keinen Unterschied … (lacht)
Wer ließ ihn sich einfallen?
Auch wieder nicht wir. Wir waren von Beginn an eine demokratische Band, in der jede Stimme zählte. Wir hatten auch bei den "Inchies" den Anspruch, zwei Wochen zu proben und danach aufzutreten. Wir hatten aber keinen Bandnamen, weil wir uns nicht einigen konnten. Jeder warf irgendwas in den Raum, es gab eine Abstimmung und keiner der Namen kam durch. Nach diesen zwei Wochen machten wir eine Party in dem besetzten Haus, in dem sich auch unser Proberaum befand. Wir luden Leute ein und spielten ihnen unsere erste Kassette mit wahrscheinlich fünf Nummern live vor und baten alle Anwesenden, Namensvorschläge zu machen, die auch alle Scheiße waren. Bis auf diesen einen. Er kam von Bruno, einem gestrandeten Australier aus dem "Tacheles" … einem Künstler. Der saß ab irgendeinem Punkt der Party stammelnd in einer Ecke und sagte immer wieder dieses Wort vor sich hin. Ich glaube, unser Trommler fragte ihn dann, was das eigentlich hieße. Darauf sagte er: "Das ist das, was Ihr seid. Es ist ein Slang aus Australien für Leute, die in der Kneipe sind und so tun, als gehöre ihnen die Kneipe und am Ende können sie ihre Zeche nicht zahlen." Wir fragten ihn, ob wir den Namen haben dürfen, denn er war es und wir fanden es einleuchtend.
Das alles ist eine Aneinanderreihung von Zufällen, oder? Ja, natürlich, am Ende schon. Na klar muss man dafür arbeiten und wenn ich sage, dass alles darauf aufbaut, heißt es ja nicht, dass ich wirklich extrem viel arbeite. Aber ein solches Vakuum mit einem Projekt zu erwischen, ist eben auch Glückssache. Das hat man, wenn die Bands ehrlich sind, bei vielen. Auch weil wir gerade bei Fritz und Toni waren, genau das gleiche Ding. Wenn Wolfgang Martin diesen Schnürsenkel von "Am Fenster" - den es ja noch gar nicht gab - nachts nicht gespielt hätte, hätte es bei CITY noch Jahre gedauert, bevor sie ein Album hätten aufnehmen dürfen. Im Prinzip war das eine Sache von "Wölfi" und diesem West-Manager, der AMIGA eine Scheibe abgekauft hatte, die es quasi noch gar nicht gab. So etwas gibt es bei vielen Bands. Ich sah auch viele Bands, die so etwas leider nicht schafften. Was wir manchmal an Vorbands dabei hatten, wir suchten sie ja immer aus und bei uns musste eine Vorband auch nie bezahlen. Wir nahmen sie mit, weil wir sie wollten. Da waren Sachen dabei, bei denen ich mir völlig sicher war, dass es durch die Decke gehen müsste. Genau das passierte allerdings nicht … Weil eben genau dieser Punkt fehlte, dieser eine "Stupser". Wäre für die "Inchies" bei der BMG etwas Verständnis vorhanden gewesen, hätte unsere Vorstellung von dem, was wir sein wollten, funktionieren können. Es geht immer besser, aber Fakt ist, dass dieser Anfang ohne dieses Vakuum nicht möglich gewesen wäre.
b.deutung auf der Bühne … (Foto: Jochen Melchior)
Ihr wart über zehn Jahre eine Truppe, seid herumgereist, wart eigentlich eine herumtingelnde WG … Fliegt einem das nicht irgendwann um die Ohren, geht man sich nicht gegenseitig auf den Sack und es kommt zu Streit?
Ja, na klar, wie in einer Familie, natürlich. Mit allem Drum und Dran. Mehrheiten wechseln in einer Band, es gibt schlimme Sachen. Auch wenn man eine demokratische Band ist, dann heißt es auch, dass man einkalkulieren muss, dass nicht eine Songidee, die irgendjemand von uns jemals hatte, so durchging, wie er es sich vorgestellt hat. Die ging ja immer erst mal durch die Band und das tut in diesem Moment manchmal richtig weh. Im Nachhinein betrachtet ist dadurch aber jeder Song ein "Inchie"-Song. Was ich aus manchen anderen Bands kenne, wenn es darum geht, Setlisten für eine Tour zusammenzustellen: "Neee, da muss noch der rein, von mir ist noch keiner dabei." Oder auch bei einem Album: "Von mir ist aber noch gar keiner drauf …" So etwas gab es nicht, weil jeder Song konsequent ein "Inchie"-Song inklusive Beteiligung aller war. Da waren wir in unserem Suff damals schon irgendwie cleverer, als wir wussten …
Und die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwann mal so läuft, wie bei den PUHDYS, hat es bei Euch nicht gegeben?
Nein, das ging gar nicht. Weil es von Anfang an klar war und wir erweiterten es ja auch noch: Nicht nur, dass die ganze Band unabhängig vom Input an den Alben beteiligt wurde, wir holten später sogar unseren Tonmann mit hinein. Er war ja nicht "nur" der Tonmann, sondern auch komplett beteiligt. Übrigens ein Konzept (abzüglich Tonmann), das RAMMSTEIN dann von uns übernommen hat. Also "Brigade RAMMSTEIN" und alle Songs sind auf alle angemeldet. Ihr Proberaum war neben unserem und unser Bassist ging zu RAMMSTEIN. Das übernahmen die komplett und das ist richtig so. Wenn man eine Band sein will, ist das richtig.
Ja, das finde ich gut … 2002 wurde die Band allerdings aufgelöst, warum ging es nicht weiter?
Neee, wir sind in Urlaub.
Ach so …???
Wir haben uns nie offiziell aufgelöst. Wir lernten schon so viele Bands kennen, die nach ihrer Auflösung schon zum dritten Mal auf Tour waren, dass wir sagten: "Das machen wir nicht." Wir verkünden stattdessen einen Urlaub …
Rein theoretisch könnten die "Inchies" also morgen wieder auftreten?
Rein theoretisch ja. Wir haben nie aufgehört, sind in Urlaub und begründeten das damals ja auch: "Wir müssen erst mal das Geld durchbringen und alle Adressen, die wir einsammelten, abfahren." (lacht)
Habt Ihr das mit einem Abschiedskonzert gemacht oder sagtet Ihr einfach: "Wir sind jetzt weg."
Nein, das war schon vorbereitet. Unser letztes Festival-Konzert war auf dem M'era Luna. Das war, bevor wir aufgehört hatten. Wir wussten, dies wird unser letztes Festival, weshalb das letzte Lied auch - glaube ich - 25 Minuten ging, weil wir nicht aufhören konnten. Es war schon heftig. Zwar selbstgewählt, aber trotzdem schwierig. Wir merkten es bei diesem Konzert, der letzte Song zog sich in die Länge. Dann spielten wir eine richtige Abschlusstour und unser allerletztes Konzert war in Berlin in der Columbia-Halle. Da wurde das ganze noch mal fett zelebriert mit anschließender Party bis in den frühen Morgen.
Du hast im Anschluss einiges gemacht, zu einzelnen Punkten kommen wir noch. Was machtest Du unmittelbar nach diesem letzten Konzert? Es waren wahrscheinlich alle Wege offen, aber wie ging es konkret für Dich persönlich weiter?
Das war auch wieder so ein Ding: Eigentlich wollte ich bewusst einen Puffer zum Live-Betrieb setzen, weil ich wusste, dass mir das, was wir hatten, sowieso nie wieder jemand geben kann. Deshalb hatte ich mich auch nicht wieder an eine Band gebunden. Ich zog mit meiner "Damaligen" nach Neustrelitz. Damals hatte ich ja schon begonnen, Hörspielmusiken zu schreiben. Mein Plan, den ich ihr auch mitteilte, war: "Hörspiele, Theatermusiken und ja okay, zwei Bands dürfen anrufen." Das blöde war, die riefen beide an! Innerhalb von einer Woche riefen DEINE LAKAIEN an und ein paar Tage später die NEW MODEL ARMY. Da war ich jedoch schon bei DEINE LAKAIEN verbucht. Das waren die beiden Projekte, bei denen ich sagte, es mir noch mal überlegen zu wollen. Ansonsten erst mal nicht. Das war schräg. Dann war ich - glaube ich - 12 Jahre mit DEINE LAKAIEN unterwegs.
Warst Du dort auch zusammen mit Ivonne Fechner?
Ja, na klar, sie nahm ich mit zu den LAKAIEN. Sie fragten mich, ob ich noch eine Geigerin kennen würde und mit Ivonne war ich auch schon gemeinsam auf der Musikschule in Potsdam.
DEINE LAKAIEN, NEW MODEL ARMY, später kamen SUBWAY TO SALLY hinzu. Du hast bei vielen Bands als Gast oder auch als Dauergast mitgespielt. Konnte man irgendwas von dem mit dem vergleichen, was Du vorher bei den "Inchies" erlebt hast? Gab es Parallelen oder war das alles komplett anders?
Diesen Zauber, den dir die eigentlich erste Rock'n'Roll-Band schenkt, in der es gut funktioniert - den kann einem keiner geben. Und trotzdem ist es ja so, dass man weiterlebt. Somit war es auf andere Art und Weise schön und das mit SUBWAY TO SALLY war zum Beispiel ganz einfach, weil wir schon immer miteinander befreundet waren. Nur nach außen hin nicht, weil die Managements daraus immer irgendein Ding machten. Da gab es auf der Management-Ebene irgendwelche Spitzeleien, die haben uns als Band nie interessiert. Wir wussten, so lange diese beiden Bands aktiv sind, kann keiner bei den anderen zu Gast sein, das geht eben nicht. Aber wir waren immer zusammen auf Spur. Ich war mit Frau Schmitt und Bodi nächtelang unterwegs, man kannte sich eben aus Potsdam. Die Verbindung war immer da und da musste ich auch nicht lange überlegen, als die Anfrage für dieses Akustik-Projekt - welches wirklich ein sensationelles Projekt war - kam. Da auch noch mal Hut ab vor Ingo, der das alles schrieb und auch noch von seiner Gitarre auf die Laute umstieg. Es war wirklich fett und richtig geil. Die DVD dazu und die zwei oder drei großen Touren, das war cool. Und dann mit den LAKAIEN wieder Festivals zu spielen und überhaupt wieder auf Tour zu sein, das ging eigentlich nahtlos bis 2010. Da kam es zu einem "Kipp-Punkt", an dem ich merkte, ich muss mal irgendwas ändern. Ich war ca. 300 Tage in verschiedenen Konstellationen unterwegs und da war ich dann zum zweiten Mal an dem Punkt, wo ich überlegte, den Fokus eher auf Kompositionen und weniger auf Touren zu legen. Vielleicht gibt es ja auch noch etwas, wie ein Privatleben, was natürlich immer auf der Strecke bleibt, wenn man so lebt, wie die "Inchies" gelebt haben und man danach nicht von diesem Film herunter kommt, immer unterwegs zu sein.
Eine dieser Bands, die schon erwähnt wurde, war die NEW MODEL ARMY. Das war ja - korrigiere mich bitte, falls ich falsch liege - eigentlich so eine 1980er EBM-Band gewesen …
Inzwischen ist die NEW MODEL ARMY seit Jahren eine solide Punkrock-Band. Ich glaube, dass sie zu Beginn in England eher unter Folk einsortiert wurden, aber es ist eine immer noch fette und geile Punkrock-Band.
Wenn man in ein solches Projekt als Musiker einsteigt, kann man sich da so einfach hinein fuchsen in ein völlig anderes Universum? Geht es so einfach, sich hinzusetzen, das Cello zu nehmen und dort zu spielen?
Ich glaube, dass bei allen Projekten - wenn man sie verfolgt - nie ein Projekt dabei ist, bei dem die Musik die Hauptrolle spielt. Mein erster Anspruch sind immer die Menschen, das ist mir sehr wichtig. Da geht natürlich viel über Freundschaften. NEW MODEL ARMY bzw. Justin Sullivan lernte ich 1993 richtig kennen. Zuerst war die Freundschaft und die besteht bis heute. Justin ist einer der ganz wenigen aus dem Musikbusiness, mit dem ich eigentlich nie über Musik rede. Wenn wir miteinander telefonieren, wenn wir uns treffen, geht es um alles. Um die Welt, um die Familie, um die Liebe und ganz am Ende vielleicht auch mal irgendwann um Musik … Es war ein schleichendes Ding, ich bin seit 1996 auf jedem ihrer Alben drauf, nur live ist es etwas schwierig, da Justin meistens zu spät aufsteht, wenn es ums Planen von Touren geht. Und meistens war ich, wenn seine Touren dann geplant wurden, bereits verbucht. Insofern waren es gar nicht so viele Touren, die wir gemeinsam machten. Er gab es dann irgendwann auf, weil er im November anrief, ob ich im Dezember mit auf Tour kommen könne. Ich bin jedoch schon ein Jahr voraus in der Planung. Unsere Absprache lautet nun: "Guck doch in unseren Tour-Plan und wenn Du Zeit hast, spielst Du mit."
Du bist ja nicht nur Musiker, sondern Du bist auch Produzent …
Ja, das bleibt nicht aus. Aber es ist keine Sache, die ich permanent verfolge, da sie automatisch entsteht und ich die Hörspiel- und Theatermusiken natürlich komplett selbst produziere. Wenn mir dann noch eine Band über den Weg läuft und mich fragt, ob ich es geil finde, dann mache ich das auch. Das war auch bei MILA MAR und den DONKEY PILOTS so. Eigentlich sollte ich da lediglich ein Cello einspielen, dann flog denen aber die ganze Produktion um die Ohren und der Produzent stieg aus. Nun war mein Cello aber schon da und ich sagte zur Band: "Wisst Ihr was? Packt Euer Zeug ein, kommt nach Berlin und wir produzieren das Album jetzt." Das Material war gut und ich dachte, es kann nicht sein, dass das ganze jetzt implodiert. Es ist nicht so, dass ich das permanent mache. Es ist eine interessante Sache, wenn ich weiß, dass ich etwas geben kann, wenn es gefragt ist und wenn es coole Leute sind. Ich verändere eine Band nicht. Es gibt ja zwei verschiedene Ansätze bei Produzenten: Die einen rufst du an, wenn du sagst, die Band braucht einen TOP 10-Hit, dann wird die Band darauf hingebügelt. Und den anderen - wie zum Beispiel Moses Schneider, den ich nach wie vor für einen der Größten halte - rufst du an, wenn du möchtest, dass eine Band ernst genommen wird. Und er verbessert diese Band dann auch. Der holt aus der Band raus, was zur Band passt. Das fiel mir damals beim ersten BOSSE-Album auf, als Moses das noch machte. Da hörte ich eine Nummer von BOSSE im Radio und ich dachte: "Alter ey, was ist das denn? Wie kann man denn so jung schon so erwachsen klingen und trotzdem so geil?" Und dann sah ich näher rein, na klar: Moses Schneider. (lacht) Das ist eher mein Anspruch. Wo steht die Band? Was kann man als Maximum herausholen, ohne dass die Band danach sagt: "Das sind wir aber nicht."
Weil Du ganz einfach selbst aus dem Thema kommst …
Ja, weil ich auch beide Seiten erlebt habe. Leute, die Musik verändern wollen und eben Leute, die ganz klar sehen, wo die Schwächen und wo die Stärken sind. Wo kann ich die Schwächen verstecken und die Stärken herauskitzeln, was am Ende für eine Band besser ist.
Wenn Du sagst, Du hast Dich nach den "Inchies" nie wieder in eine Band so fest eingebracht und an sie gebunden: Würdest Du Dich jetzt musikalisch als heimatlos empfinden?
Nein, gar nicht. Also eingebracht schon, alles, was ich mache, da bringe ich mich 100%ig ein.
Aber Du bist nicht dieses Dauermitglied einer Band …
Nein, ich halte mir immer eine Fluchttür offen. (lacht) Wenn es irgendwie nicht mehr passt, dann muss ich weg. Und das sind dann meistens nicht mal musikalische Gründe. Ich will mir auch nicht das Ding verbauen, mit Menschen, die ich auf allen Ebenen mag und schätze, Musik machen zu können. Nein, heimatlos bin ich nicht. Im Prinzip versuche ich, das, was ich insgesamt 13 oder 14 Jahre machte und die ich auch mit denselben Menschen verbrachte, weiter zu machen. Man kann zwar seinen Stil ändern und etwas ausprobieren, was die "Inchies" oft genug machten, aber man befindet sich dennoch in einem Korsett. Und was ich bewusst seitdem mache, ist ja eigentlich nur, Musik auszuloten in verschiedenen Konstellationen mit verschiedenen Leuten. Was ich unter dem Beruf verstehe, ist eine ständige Entwicklung, ein ständiges Lernen und ein ständiges neugierig sein. Das nutze ich derzeit einfach extrem und kann aus jeder Konstellation etwas für mich mitnehmen. Sei es auf der menschlichen Ebene, sei es auf der musikalischen Ebene, der kommunikativen Ebene - das bringt mich alles in meinem Denken als Musiker weiter.
Gibt bzw. gab es denn in den vergangenen 33 Jahren getroffene Entscheidungen, von denen Du sagst: "Die würde ich nicht noch mal so treffen?"
Aus dem Impuls heraus würde ich jetzt sofort "Nein" sagen. Alle meine Entscheidungen waren am Ende "Bauch-Entscheidungen". Egal, ob ich irgendwo mitmache oder ob ich irgendetwas sein lasse. Ich glaube auch im Nachhinein, dass sie alle richtig waren …
Schön, wenn man so etwas von sich sagen kann, finde ich …
Es gibt natürlich Sachen … Mich rief eine Westberliner Punk-Band - ich erwähne den Namen jetzt nicht - an und fragte mich, ob ich nicht Cello spielen könnte. Ich hörte mir das Zeug an und es war wirklich einfach Scheiße. Um aus der Nummer raus zu kommen, fragte ich, ob sie sich sicher sind, auf ihrem Album einen Musiker haben zu wollen, der wirklich sein Instrument beherrscht? Ich dachte, die schmeißen mich raus, sie sagten aber: "Nein, das ist uns völlig klar, das machen wir genau deshalb und deshalb und wir hatten auch schon mal ein Album mit Bläsern, die konnten ihre Instrumente auch …" Ich fand diese Reaktion so enorm, dass ich es dann doch machte. Musikalisch finde ich es nach wie vor nicht toll, aber ich fand einfach die Reaktion darauf super. Ich kann voll zu den Sachen stehen, die ich machte. Was aber nicht heißt, dass ich mit allem zufrieden bin. Zum Beispiel ist es bei einer Komposition immer so, dass man anfängt, zu arbeiten und eigentlich schon scheitert. Hätte ich keine Abgabetermine, würde ich nie fertig werden. Was übrigens - glaube ich - ein großes Manko bei großen und reichen Bands ist. Sie haben alle Zeit der Welt, was die Musik aber nicht unbedingt besser macht. Also Abgabetermine sind schon cool. Aber ich bin nie zufrieden, wenn etwas fertig ist. Niemals. In der Rückschau sehe ich dann manche Sachen anders und denke, es war gar nicht so schlecht. Ich versuche, in diesem Moment alles hineinzugeben und zu schaffen, was geht und mit der Unzufriedenheit klar zu kommen. Aber an den Entscheidungen würde ich nichts zurücknehmen.
Du hast 2020 an einem Projekt von Reinhard Mey mitgewirkt, nämlich bei der Neuaufnahme von "Nein, meine Söhne geb' ich nicht". Das ist eine ganz tolle Geschichte, wie ich finde. Wie kam es denn dazu, kanntest Du Reinhard Mey, fragte er Dich an oder wie kam es dazu?
Nein, gar nicht. Diese ganze Idee und was mir daran wichtig ist, ist der Zeitpunkt. Wir reden von 2020, denn dieses Lied wird seit 2022 auch manchmal anders benutzt. Aber dazu vielleicht später. Die Idee kam - man möchte es nicht glauben - nicht von einem einzigen Musiker dort, sondern von dem Typen, der das Video machte. Das ist ein Typ aus Hamburg, ein Fotograf, der ehemals auch aus Thüringen stammt, aber in Hamburg wohnt (Der Mann heißt Ronny Zeisberg, Anm. d. Red.). Der hörte dieses Lied irgendwann wieder und dabei fiel ihm ein: "Scheiße, dieses Lied hat mich damals in der Zeit, als ich die Armee verweigerte, so begleitet, man müsste das eigentlich noch mal machen."
Wie kamst Du letztlich dazu?
Er rief quasi alle Leute an und stellte dieses Setup zusammen. Das wuchs also komplett auf seinem Mist …
Eine kunterbunte Mischung: Sarah Lesch, Eric Fish, Holly Loose, Ally Storch, Joachim Witt und Lucy van Org sind dabei … Du ebenfalls und andere mehr. Hammer!
Jetzt kommen wir zu Reinhard Mey. Das coole war: Als wir im Studio fertig waren, war das Video logischerweise noch nicht gemacht. Da gab es lediglich die Idee, ob man es sich vielleicht wenigstens von ihm freigeben lässt, wobei man das nicht muss, weil der Song nicht verändert wurde. Aber die Idee war, ihn wenigstens einzuweihen und so wurde ihm das Band zugeschickt. Dann kam von ihm: "Ja, toll. Aber warum darf ich denn nicht mitmachen?" Daraufhin wurde dann die letzte Strophe für ihn freigeräumt. Ein ganz leiser Typ, das war wirklich toll.
Ausschlag gebend für dieses Videos und die Neuaufnahme des Stücks war dieses Friedensdorf, nicht wahr?
Genau. Die Frage war: Dürfen wir das machen und er fragte, ob er mitmachen dürfe und dann war klar, dass die Einnahmen sowieso gespendet werden sollten. Der Vorschlag für das Friedensdorf kam von ihm, weil er schon lange mit denen zusammenarbeitet. Da kam auch ordentlich etwas zusammen und kommt es auch immer noch.
Und dann stiegst Du 2006 wieder in eine Band ein, nämlich bei CHAMBER. So steht es bei wikipedia …
Bei CHAMBER??? Das ist total witzig, denn dieser Wikipedia-Eintrag stammt nicht von mir, sonst würden dort andere Sachen stehen, die man auch auf meiner Website lesen kann. Ich weiß gar nicht, wer diesen Eintrag überhaupt verfasst hat. Von CHAMBER gab es eine Anfrage, weil wir uns natürlich kennen. Sie fragten, ob ich bei ihnen mitmachen würde und ich bekundete meine Bereitschaft. Allerdings kam es nie dazu und ich habe mit CHAMBER nie gespielt.
Das ist ja witzig … So viel zum Thema "Verlässlichkeit" dieser Enzyklopädie.
Ja, absolut. (lacht) Ich habe schon überlegt, ob ich den Eintrag - wenn ich mal viel Zeit habe - ändere oder ich muss mal jemanden darauf ansetzen. Wobei es letztlich ja einen Link zu meiner Seite gibt, unter dem man nachlesen kann, was wirklich wahr ist …
Was aber wirklich wahr ist, ist Dein Engagement für den Kunsthof in Köpenick, bei dem Du schon seit sieben Jahren dabei bist. Was genau machst Du da und wie kamst Du dazu?
Also ich mache das Booking, suche die Künstler zusammen, kümmere mich um die Künstler, fahre den Ton an den Sonntagen und mache im Prinzip den gesamten kulturellen Überbau. Wie es dazu kam? Ganz ursprünglich war es mal so, dass sich an diesem Ort jemand mit einem kleinen Weingarten ansiedeln wollte und überlegte, wie er das ans Laufen bringen könnte. Dann war meine Überlegung - da dort am Sonntag nichts lief - eine Sonntagsreihe zu installieren. Der Ursprungshintergedanke war natürlich der, wie ich ihn von Theaterschiffen her kannte, als sie noch funktionierten. Die fliegen ja immer auseinander, wenn sich die Gastronomie von der Kultur splittet, was leider sehr oft passiert. Der Gedanke war, ein Ding zu schaffen, bei dem die Gastro für die Kultur arbeitet, die Kultur für die Gastro und man befruchtet sich gegenseitig. Da stellte sich ziemlich schnell heraus, dass es eine Einbahnstraße war, auch mit der zweiten Betreiberin, weil nie etwas zurückkam. Jetzt sind wir im Prinzip seit zwei Jahren autark, was aber gar nicht so lustig ist, weil es aktuell quasi keinen Betreiber gibt. Wir sind dort also nur noch an den Sonntagen aktiv. Wir können das Ding aber nicht mieten, da wir alles ehrenamtlich machen und zum Mieten fehlen uns die finanziellen Kapazitäten. Das heißt, wir sind am Sonntag dort geduldet und in jedem Winter haben wir dasselbe Spiel: "Machen wir denn im April nun auf, oder nicht?" Was ganz witzig ist, weil ich dann natürlich alle Bands schon gebucht habe … (lacht) Aber das Spiel kenne ich schon, es ist jeden Winter so.
Könnte da ein Sponsor helfen?
Ja, durchaus. Entweder jemand, der das wirklich mit uns betreiben möchte oder ein Sponsor. Aber wir reden wirklich von einem Volumen in Höhe von 60.000 Euro im Jahr, um das Ding betreiben zu können. Das ist mit Vereinsbeiträgen nicht machbar …
b.deutung bei Modern Soul im September 2023 (Foto. Thorsten Murr)
Aber vielleicht starten wir mal einen kleinen Aufruf und suchen so Geldgeber für Euch, die sich für Kunst und Kultur interessieren. Wir haben dasselbe Problem, wie auch Ihr, für Kunst und Kultur ist selten etwas übrig. Eventuell ist ja unter unseren Lesern einer dabei, der sich für so etwas begeistern kann ...
Absolut, immer gern genommen! Wir treffen uns auch gern mit jedem, der Lust hat, mit uns darüber zu reden. Es ist eine coole Sache, aber wir wollen auch von diesem Konzept nicht weg. Wir nehmen keinen Eintritt und trotzdem verdienen die Bands bei uns. Und das gar nicht so schlecht …
Ihr macht das mit Hut?
Genau. Aber eben nicht, dass da einfach ein Hut rumsteht, wie das bei vielen anderen üblich ist, sondern es wird jede Woche moderiert. Ich stelle mich dann auf die Bühne und erzähle noch mal, warum und wofür und dann geht der Erlös abzüglich GEMA, die wir natürlich rausnehmen, zu 100 Prozent an die Künstler. Dadurch, dass die Veranstaltungen draußen stattfinden, waren wir die, die auch während der Pandemie durchzogen. Also, die Leute haben bei uns Geld verdient. Das war wirklich teilweise herzzerreißend, wenn Leute Geld in die Hand gedrückt bekamen und in diesem Moment heulten, weil sie endlich ihre Miete zahlen können …Es ist ein toller Ort und ein tolles Team. Ab 9.00 Uhr sind - seitdem wir das allein machen - Minimum zehn Leute auf dem Hof, die aufräumen, die die Tische zusammenstellen, die alles schön machen.
Umso wichtiger ist es, diesen Aufruf noch mal zu unterstreichen: Leute, wenn Ihr Geld übrig habt, der Verein kann es gebrauchen!
Ja, absolut. Und wie gesagt, eine Spendenbescheinigung ist kein Problem, wir sind gemeinnützig. Wenn also jemand zum Jahresende noch überlegt, wo er Geld unterbringen muss, damit es das Finanzamt nicht bekommt, dann gerne bei uns.
Womit bist Du denn aktuell beschäftigt? Gibt es irgendwas, was derzeit bei Dir auf der Pfanne ist und dort vor sich hin köchelt?
Wie immer ganz viel. Ich bin gerade wieder in einer Hörspielproduktion. Es gibt ja die Reihe "Die Chroniken von Narnia" - das sind sieben Romane und von ihnen brachten wir schon vier als Hörspiele heraus. Nun sind wir gerade am fünften, das wird zu Ostern 2024 veröffentlicht. Zu Ostern werden diese Hörspiele immer bei SWR2 gesendet und im Oktober darauf erscheinen sie beim Verlag "Der Audio Verlag" als CD. Dabei sind wir gerade mit meinem Leib- und Magenregisseur Robert Schön … Dann hatten wir noch "Momo", das konnten wir gerade abschließen. Vielleicht sogar zwei Tipps für Weihnachten, "Momo" kam jetzt noch mal neu bei "Hörbuch Hamburg" als Hörspiel heraus … Das sind so die Sachen, die ich jetzt mache und ansonsten bin ich am 15., 16. und 17. Dezember noch drei Mal live mit der MODERN SOUL BAND im Berliner "Neu-Helgoland". Das ist auch eine geile Sache, sie kam vor fünf Jahren zum 50-jährigen Jubiläum der Band zustande. Hugo rief mich damals an und ich fand die Idee so unglaublich geil, mit einer Band zu spielen, die so alt ist, wie ich. Das ist völlig verrückt. Jetzt spiele ich also die Jubiläumskonzerte zum 55. Bandjubiläum mit. Da werden auch Uschi Brüning, Toni Krahl und Uwe Hassbecker dabei sein. Das ist richtig fett und macht richtig Laune.
Und nun erzählst Du uns bitte noch, was Ihr für den Kunsthof Köpenick im nächsten Jahr geplant habt. Wer wird denn dort auftreten?
Da gibt es etliche Highlights. Ich sage nur: HOLLY LOOSE am 21. April zur Saisoneröffnung, André Herzberg, NERVLING, Janine Vahldiek, Paula Linke, COLBINGER und viele andere. Es ist wirklich ein tolles Programm.
Das klingt gut. Leider für mich zu weit weg für einen Sonntag …
Darüber hinaus gibt es, was mich selbst betrifft, natürlich auch einige weitere Sachen: Was ich jetzt schon weiß ist, dass es etwas mit den ZÖLLNERN geben wird. Von ihnen gibt es ja fünf Besetzungen, eine von ihnen ist das TRIO INFERNALE mit Dirk Zöllner, André Gensicke und mir. Das ist eine echt schöne Sache, in den vergangenen Jahren machten wir das ab und zu und bauen es jetzt langsam als eigenständige Sache aus, weil es eigenständig und wirklich toll ist. Unabhängig von der Ostsee-Tour, die sicher wieder stattfinden wird, wollen wir Mitteldeutschland ein wenig abgrasen. Dazu kann ich schon sagen, dass wir am 5. Juli 2024 in Stolberg im Harz auf einer wunderschönen Freilichtbühne sein werden und am 14. Juli 2024 werden wir auf "Vineta" auf dem Störmthaler See spielen. Das ist total geil, dort gibt es 50 bis 60 Plätze und dorthin werden die Leute mit einer Fähre übergesetzt, da sich dieser Spielort mitten auf dem See befindet. Höchstwahrscheinlich werden wir dort wohl mit zwei unterschiedlichen Sets zwei Mal spielen …Die Leute können sich dann überlegen, ob sie nur ein Set hören wollen oder gleich beide kaufen und sich eine Fahrt mit der Fähre sparen. Es wird auf jeden Fall in ganz Mitteldeutschland etwas passieren. Mühlhausen, Schloss Goseck, Weimar und einige andere Termine sind in Planung. Dann gibt es ja noch die Lesungen zum "Herzkasper" von Dirk Zöllner, mit der wir auch in Erscheinung treten werden. Darüber hinaus werde ich garantiert auch mit Pascal von Wroblewsky unterwegs sein. Mit MODERN SOUL und JONATHAN ebenfalls …
b.deutung bei Modern Soul im September 2023 (Foto. Thorsten Murr)
Da wirst Du im kommenden Jahr einige Male bei uns Thema sein … (lacht …)
Siehste … (lacht) Ach so, am 30. Juni wird das TRIO INFERNALE seinen Start 2024 natürlich im Kunsthof Köpenick absolvieren und in der Woche darauf geht's dann nach Mitteldeutschland und an die Ostsee …
Das klingt toll, ich drücke Dir für alles die Daumen und wünsche Dir viel Spaß!
Der darf nicht vergehen bei allem Stress … (lacht)
Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Ich kann nur immer sagen, insbesondere seit der Pandemie: Haltet zur Kultur, geht auf Konzerte, unterstützt die Leute, hört auf mit dem Scheiß-Streaming und haltet zusammen. Redet miteinander! Mir geht gesellschaftlich einiges so richtig auf den Keks und das beginnt mit Kommunikation. Also andere Meinungen zulassen, reden und vielleicht auch mal wo anders hingucken, um festzustellen, dass es so schlecht bei uns gar nicht ist. Alles, was hier schief läuft, kann man aus einer Demokratie heraus immer noch besser ändern, als aus einer Autokratie …
Ich bin in Potsdam geboren, aber dafür kann ich nichts. Ich wurde da nur zufällig geworfen, weil meine Mutter dort studierte. Meine ganze Familie kommt aus Altenburg, also aus der Ecke Altenburg und Greiz. Ich stellte schon als Kind fest, dass ich da von der Struktur her mehr verwurzelt bin, als ich es in Potsdam jemals war. Also Potsdam ist eine Gartenstadt und es ist eine schöne Kulisse. Aber wie es in Brandenburg so üblich ist, das Glas ist halb leer und ich mag es mehr, wenn es halb voll ist. Während all meiner Ferienbesuche bei meiner Oma in Altenburg erlebte ich das eher. Potsdam war später wichtig. Es war natürlich ein Schmelztiegel zum Kennenlernen. Also gerade Ende der 1980er Jahre im Café Heider traf sich alles. Insofern war es durchaus eine wichtige Sache, aber ich war mit zwölf Jahren zum ersten Mal in Berlin im Internat und stellte sofort fest, dass mir Berlin näher liegt. Weil es einfach lustiger war und nicht so verkniffen. (lacht)
Tobias Unterberg alias b.deutung live in Berlin (Oktober 2023)
"Verkniffen" - das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Du Deinen bürgerlichen Namen nicht immer unbedingt vor Dir her trägst, sondern mit einem Künstlernamen auftrittst, nämlich "b.deutung". Wo kommt der eigentlich her?
Der geht auch in Anfangszeit der "Inchies" (THE INCHTABOKATABLES) zurück. Wir waren alle jung und betrunken, Künstlernamen mussten schon sein. Bei mir hatte es aber noch einen anderen Grund. Meine Mutter war damals - Ende der 1980er bis in die 1990er Jahre hinein - noch als Regisseurin aktiv und ich wollte mit diesem Namen nicht irgendwie hausieren gehen. Nicht, dass ich mich für meine Mutter schämte, ganz im Gegenteil, sie ist eine großartige Frau, aber ich wollte mein eigenes Ding machen. Das ist ein Grund. Dann stieg ich aus der Klassik aus und wollte einen Neuanfang mit dem Punk. Da kam mir das entgegen und die Namen in der Band waren - wie der Bandname selbst - allgemein sehr merkwürdig. Das war sicher auch dem Alkohol geschuldet. Wir hatten ja auch einen Herrn Jeh … Herr Jeh - dieser Name war auch Programm … Und ich glaube, dass "Deutung" hängen blieb, weil wir schon - als wir die "Inchies" gründeten - von Beginn an darauf setzten, dass wir bestimmte Sachen nicht machen werden. Wir wollten aber viel mehr spielen. So gründeten wir also Zweitprojekte, es gab zum Beispiel das Husemann-Trio. Dann gab es eine Anfrage: "Könnt Ihr mal spielen?" Und wir sagten: "Aber nicht unter diesem Namen." Wir spielten dann unter dem Namen "Berta Breuler ist schwanger von b.deutung". Und damit waren zwei Namen schon mal gesetzt. B. Breuler war der Sänger und b.deutung war meiner einer. Der Schlagzeuger hieß Kokolores Mitnichten, es waren allgemein merkwürdige Namen. Das blieb so hängen und ich arbeitete lange mit der Band unter diesem Namen. Und wenn ich im selben Bereich, also mit SUBWAY TO SALLY oder DEINE LAKEIEN unterwegs war, ging der Name natürlich mit. Bis hinein in die Hörspielkompositionen. Mittlerweile arbeite ich unter beiden Namen, ich sehe es nicht mehr so eng. Die Hörspielkompositionen laufen weiter unter b.deutung und viele andere Sachen unter meinem bürgerlichen Namen. Was ganz witzig ist, weil es ganz viele Leute aus den 1990er Jahren gibt, die mich unter Tobias überhaupt nicht kennen. Und die, die mich später kennenlernten, die konnten mit B. Deutung nichts anfangen. Das ist wirklich verrückt, weil man mit den verschiedenen Namen auch spielen kann …
Reisen wir mal ganz weit zurück in die Zeit. Kann man - wenn man es auf die Spitze treiben will - sagen, dass Du ein Kinderfilmstar der 1970er Jahre bist?
(lacht) Das ist auch so ein Ding … Ja, wäre ich wahrscheinlich geworden, wenn ich und auch meine Mutter das gewollt hätten. Zu der Zeit, als dieser Film entstand, lernte ich schon Cello und mir war merkwürdigerweise damals schon als Kind klar, dass ich Musiker werde. Also bevor ich wusste, dass man damit Geld verdienen kann, war mir klar, dass ich ein Musiker bin. Zu dem Film kam ich mehr oder weniger durch Zufall. Es war der erste Film meiner Mutter und sie wollte ums Verrecken nicht ihr Kind besetzen, hatte aber schon 3.000 Kinder getestet. Und da man dort Playback spielen und musikalisch etwas können musste, hatten sie einfach noch keinen Hauptdarsteller. Der Kameramann sagte dann zu ihr: "Nun hol' doch endlich mal Deinen Sohn ran und hör' auf mit dem Mist …" Es durfte auch gar niemand wissen und am Ende entschied der Studiodirektor der DEFA, nachdem er die Muster gesehen hatte: "Na wieso? Der ist es doch." Und dann machte ich es eben.
Das war 1976, der Film heißt "Konzert für Bratpfanne und Orchester", und Du warst acht Jahre alt. Kannst Du Dich noch an die Dreharbeiten und das ganze Drumherum erinnern, wie war das damals?
Es war ein großartiges Kindermusical, bei den Dreharbeiten war ich sechs oder sieben. Jedenfalls war ich noch nicht in der Schule. Kurz nach den Dreharbeiten wurde ich eingeschult, also war ich wahrscheinlich sogar noch sechs. Ich kann mich an vieles erinnern. Dadurch, dass meine Mutter mich dort nicht wollte, rasselten wir auch öfter aneinander, denn sie wollte ja unbedingt beweisen, dass sie mich nicht bevorzugt. Da gab es durchaus auch unschöne Sachen, zum Beispiel Wachstumsschübe. Ich sah mir den Film später mal mit meiner Tochter an und sah mich in einer Szene humpeln. Ich weiß ganz genau, an diesem Tag hatte ich Wachstumsschmerzen, mein Bein tat tierisch weh, aber es glaubte mir niemand. Ansonsten waren es wunderbare und schöne Erlebnisse. Jaecki Schwarz kennengelernt zu haben und die ganze Trickabteilung … dort hineinsehen zu können, das war schon toll. Oder auch die Szene in dem kleinen Schlosstheater in Potsdam im "Neuen Palais" war großartig. Später spielte ich dort mal und in der Kindheitserinnerung war das für mich riesig. Eine große Bühne, dieser Theaterraum mit all dem Plüsch, in meiner Erinnerung war das ein Riesending. Und als ich später dort spielte, stellte ich fest, dass es eine "Puppenstube" ist. Das war wirklich Wahnsinn. Aber die Erinnerungen an diese Zeit sind ziemlich klar.
Tobias im Film "Konzert für Bratpfanne und Orchester", 1976
(Foto: Christa Köfer, Quelle: Stiftung DEFA Filme)
Nun kam der Film in die Öffentlichkeit und wenn ich richtig informiert bin, lief er auch richtig gut …
Ja, der lief gut und räumte auch internationale Preise ab.
Wie war es denn dann als Schüler in der Klasse? Dort warst Du doch mit Sicherheit der Star, oder?
Neee, ich glaube, so etwas gab es im Osten auch gar nicht. Das war alles recht normal. Das einzige, wobei diese Nummer half, war, dass wir aus Babelsberg nach Potsdam umzogen und ich dort keinen Schulplatz hatte, weil die Schule voll war. Dort zog dieser Joker und die Direktorin quetschte mich einfach noch in die Klasse, obwohl die Schule eigentlich gar keinen Schüler mehr hätte aufnehmen können. Ansonsten war es in der Klasse überhaupt kein Thema. Die einen haben Sport gemacht, die anderen machten was anderes. Eher war's ein Thema, dass ich damals schon Musik machte und ständig irgendwie und irgendwo Cello spielte. Natürlich auch in der Schule zu irgendwelchen Feiern. Das war eher ein Thema, aber es war völlig spielerisch und völlig normal. Da waren die Zeiten auch anders. Für die Mitschüler war das kein großes Ding und bei mir selbst auch nicht. Ich glaube, dass das erst später aufgeblasen wurde und dass dann andere Leute damit ein Problem hatten.
Gab es außer der Nebenrolle, die Du noch im Märchenfilm "Verflixtes Missgeschick" hattest, noch weitere Filme, in denen Du mitwirktest oder blieb es dabei?
Es gab immer mal Nebenrollen, die ich machte. Man könnte es aber auch "Statisterie" nennen. Aus Spaß verfolgte ich das alles gern, auch später am Theater. Ich machte also keine Ferien und machte lieber auf der Freilichtbühne mit, weil es mich interessierte. Es war immer ein Spaßfaktor, bis hin zu den Theatermusiken, die ich für die Kindertheaterstücke machte, wo ich dann auch die eine oder andere kleine Rolle übernahm. Bei diesen Stücken in Köpenick waren es zwei Schauspielerinnen und ich als Musiker. Logischerweise muss man dann also etwas übernehmen, sonst geht das Stück nicht weiter. Ich weiß, dass ich nicht der geborene Schauspieler bin, aber es macht auch Spaß …
Für Dich war als kleiner Junge klar, dass Du Musiker werden willst, wie Du gerade sagtest. War das der Grund, dass Du die Schauspielerei nicht weiter verfolgtest, sondern sie nur just for fun ausgeübt hast?
Ich denke, dass es wirklich daran lag. Es wäre möglich gewesen, aber ich verfolgte von Anfang an die Musik.
Wann trat denn das Cello in Dein Leben?
Relativ früh, ich ging mit vier Jahren an die Musikschule. Eigentlich in dem Glauben, dass ich Trompete lernen würde. Es war so, dass es in dem Schallplattenfundus, den meine Mutter zur Verfügung hatte, eine noch heute von mir hoch verehrte Schallplatte mit Trompetenkonzerten von Willi Krug gab. Ein vergessener Trompeter der DDR, der für mich immer noch der geilste Trompeter der Welt ist. Er machte in den 1960er Jahren eine Scheibe bei ETERNA, dann gab es offensichtlich ein paar Probleme und er reiste - glaube ich - auch aus. Es gab also nie wieder etwas von ihm. Diese Platte legte ich wohl immer wieder auf und nervte meine Mutter mit: "Ich will das lernen." Daraufhin brachte sie mich zur Musikschule und die sagten: "Du musst erst mal ein Jahr Theorie machen, dann gibt es eine Abschlussprüfung und wenn Du die bestehst, kannst Du ein Instrument lernen." Dann saß ich mit vier Jahren zwischen allen anderen, die schon schreiben konnten, lernte Kullern und irgendwelche Quintenzirkel und den ganzen theoretischen Kram, von dem ich wahrscheinlich nur - wenn überhaupt - die Hälfte verstand. Aber ich bestand diese Prüfung und war mir sicher, jetzt kann ich Trompete lernen. Das geht aber natürlich mit fünf Jahren noch gar nicht, weil die zweiten Zähne noch nicht da sind. Mit acht oder neun Jahren kann man damit anfangen. Es wurde gesagt: "Na dann musst Du noch warten und erst mal Blockflöte machen." Darauf hatte ich allerdings überhaupt keinen Bock. Mein Musikschuldirektor gestand mir zehn Jahre später beim Oberstufenabschluss, dass sie damals entschieden hatten, dass ich Cello lerne. Sie hatten mich durchgemessen, also Gehörtest, Ausmessen der Finger, wie bei Sportlern eigentlich auch. Dabei legten sie fest, er wird ein Cellist. Und mir sagten sie, "… entweder Blockflöte oder Du guckst mal zu der Lehrerin, die bereits einen Cello-Schüler hat. Dann setz' Dich da mal mit hin und probiere mal."
Das Interesse an Musik wurde geweckt durch
Willi Krugs LP "Berühmte Bläserkonzerte"
Also eine geplante Karriere …
So gesehen, von meinem Musikschuldirektor scheinbar geplant und ich konnte mit diesem Ding überhaupt nichts anfangen. Erstens kannte ich es nicht und meine zweite wichtige Schallplatte in meinem Leben war natürlich "Peter und der Wolf", auf der das Cello aber nicht gefeatured war. Da ging ich mehr auf die Hörner ab. Ich saß da also auf einmal an einem Ding, das ich nicht kannte und das fürchterlich sägte. Die ersten Jahre sind ja auch erschütternd auf solch einem Streichinstrument. Ich hatte den Trompetenklang im Ohr und den konnte ich mit diesem Gekratze nicht herstellen. Die eigentliche Schlüsselwendung war, dass wir dann den ausrangierten Fernseher meiner Oma bekamen. Also das erste Mal ein Fernseher, da war ich wahrscheinlich sechs Jahre. Ich sah die Trauerfeier für Pablo Casals, einen Super-Cellisten. Nicht mein Lieblings-Cellist, aber damals war es ein großes Ding und da waren in Paris und Rio tausende Leute auf der Straße, weil ein Cellist gestorben war. Es ist total bescheuert, aber als ich das sah, dachte ich: "Irgendwas ist an diesem Instrument dran, was ich nicht weiß." Dann fing es an, mich zu interessieren.
Ein interessanter Werdegang … Ich frage Musiker, die sich auf ein Instrument spezialisierten und es nun perfekt spielen, gerne: Das dürfte doch viel Zeit gefressen haben neben der Schule. Hattest Du noch Freizeit in Deiner Kindheit und Jugend?
Komischerweise ja. Wenn ich jetzt zurückblicke, weiß ich nicht, wo ich die Zeit her nahm. Genau so war es auch später, als ich ja auch viele Dinge machte. Ich war kein Außenseiter, ich hätte viel mehr üben sollen, als ich es tat. Mein Talent half mir sehr und was mir ebenfalls half, ist der Umstand, dass ich ein Prüfungstyp bin. Also dass ich am Ende in einer Prüfung - immer wenn es darauf ankam - immer ein paar Klassen besser war, als ich eigentlich vorbereitet war. Was mir auch später bei der Bühne half. Mein erstes Konzert war mit sechs und dieses Lampenfieber, was andere haben, das hatte ich nicht. Mein Lampenfieber äußert sich bis heute darin, dass ich eine Stunde vorher konsequent müde werde und dann komplett herunterfahre. Ich möchte nicht angesprochen werden, weil ich müde bin. In dem Moment, wenn es losgeht, geht es los. Das half mir schon, ich spielte auch Fußball in einem Verein und machte jeglichen anderen Mist, den man eben so machte. Natürlich ging Zeit fürs Üben drauf. Es war eine tägliche Sache, die musste sein und ich saß also täglich an diesem Ding. Das hielt mich aber nicht davon ab, später auf Partys zu gehen oder andere Sachen zu verfolgen. Gar nicht. Die Zeit im Internat in der Spezialschule war durchaus heftig, aber in der Rückschau kann ich nicht erkennen, dass ich irgendwas verpasste. Auch der Druck des Elternhauses war nicht extrem zu spüren.
Du sagtest, dass Du irgendwann die Klassik verlassen hast. Daher gehe ich davon aus, dass Du in Deiner Jugend auch nur in der Klassik unterwegs warst …
Ich war spielerisch erst mal nur in der Klassik unterwegs, aber vom Hören her nicht eingleisig. Wir hörten zu Hause alles, auch meine Mutter zum Glück. Von Klassik über Rock und Pop war alles vorhanden, und demzufolge wuchs ich nicht mit einer Sperre irgendwelcher Musikgenres auf. Ich war immer interessiert, aber mir war klar, dass ich diese klassische Ausbildung wollte. Wo sie mich später hinführen würde, wusste ich nicht. Aber die Ausbildung war natürlich super.
In Deiner Vita steht als erste Station 1990 die Band CATRIONA. War dies tatsächlich die erste Station?
Außerhalb der Klassik war CATRIONA so ziemlich das erste. Es gab - da weiß ich den Namen gar nicht mehr - noch eine Band, in der man sich traf und irgendwas miteinander probierte. CATRIONA war das erste ernsthafte, was man außerhalb der Klassik erwähnen kann. Ziemlich zeitgleich mit THE JIGS. THE JIGS waren quasi die Vorläufer der "Inchies". Da waren die beiden Geiger, ich und drei Punks gemeinsam. Es war nur ein offizielles Konzert, danach waren die Instrumente weggesperrt und wir mussten unterschreiben, dass wie nie wieder auftreten. Was wir natürlich dennoch machten, dann aber nur noch in geschützten Räumen, also in Kirchen oder beim Punk-Treffen in Rummelsburg. Offiziell gab es die Band also nicht mehr …
Bei CATRIONA lerntest Du auch Eric Fish kennen, nehme ich an …
Genau, bei CATRIONA traf ich Eric zum ersten Mal.
Du sagtest gerade, parallel dazu lief das mit den "Inchies", die wurden letztlich 1991 gegründet …
Ja, THE JIGS waren vorher, dann kamen holterdiepolter alle möglichen Sachen, die Mauer fiel, mich hatten sie 1989 noch aus der DDR rausgeschmissen und dann traf man sich wieder. Ziemlich schnell entstanden dann 1991 die "Inchies".
The Inchtabokatables (Pressefoto)
Da hake ich doch mal ein: Was heißt denn "Aus der DDR rausgeschmissen"?
Ich wurde ausgebürgert. Man hat mich mehrmals darauf hingewiesen, dass ich doch einen Ausreiseantrag stellen solle. Das wollte ich aber nicht, irgendwann war der Ausweis weg und ich war in Westberlin.
Das ist ja krass. Andere Leute wollten gehen und durften nicht, Du wolltest nicht gehen, aber solltest …
Ich wollte nicht, ich wollte eine andere DDR. Das wäre wahrscheinlich noch mal ein Thema für sich, es war eine ziemlich schräge Aktion. Vor allem völlig absurd, also im Sommer 1989. Was natürlich dazu führte, dass man nur noch kotzend in Westberlin saß und sah, wie alles losgeht und man selbst nicht dabei war. Aber es war auch schön, am 9. November der einzige zu sein, der in die Gegenrichtung lief. Offiziell durfte ich ja nicht mehr rein, ich war also illegal dort.
Wie hast Du denn im Westen Deine Zeit verbracht? Auch als Musiker?
Das war schwierig. Ich versuchte in Westberlin natürlich erst mal, Leute kennenzulernen und mir Musiker zu suchen, stellte dann aber recht schnell fest, dass es ein völlig anderer Impuls des Musikmachens war. Bei uns war es ja so, egal ob bei CATRIONA, THE JIGS oder allen anderen Projekten: Treffen, proben und nach zwei Wochen auftreten. Egal, wo. Also entweder auf der Straße, in einem Café oder in einer Kirche. Völlig egal, aber raus damit …Die ersten Leute, die ich kennenlernte, wollten alle nur proben. Die wollten gar nicht auftreten. Da gab es Leute, die hatten Proberäume, davon träumt man. Ich war mit zwei Leuten in einem Proberaum in Kreuzberg, da war eine Bühne drin! Es waren zwei Proberäume, im mittleren gab es besagte Bühne, sogar eine Anlage war vorhanden. Die wollten nicht auftreten, sondern nur proben. Das hat mich völlig geschreddert. Für dieses Projekt - ein Gitarrist, ein Bassist und ich - machten wir ein Programm und als wir fertig waren, sagte ich: "Lasst uns damit auftreten." "Ach neee, das will doch keiner hören …" Also fragte ich sie, ob sie mitspielen würden, wenn ich Spielorte besorgen würde. "Na ja …" In knapp zwei Wochen hatte ich acht Cafés organisiert, in denen wir spielen konnten. Danach sagte der Bassist, dass ihm das zu viel wäre und er aussteigen würde. Der besuchte mich aber dann später bei einem Konzert den "Inchies". Er war irgendwo in der Ecke Krefeld Lehrer geworden und meinte nach der Show: "Ja stimmt, eigentlich hattest Du recht, das hätte ich auch machen können …"
Letztlich fand sich bei den "Inchies" alles und Ihr machtet ziemlich lange und erfolgreich gemeinsam Musik …
Auch das muss ich noch mal sagen, denn es ist ganz wichtig: Diese Bands, die damals entstanden sind, das waren Freunde, die zusammen gesoffen haben und gemeinsam Musik machen wollten. Der Vorsatz, eine solche Karriere zu machen, war überhaupt nicht vorhanden. Wir hatten ganz viel Schwein. Der Punkt, als wir gegründet wurden, war genau der Punkt, als die Ost-Bands - zumindest vorübergehend - niemand mehr hören wollte und die West-Bands nicht in den Osten kamen, weil dort noch kein Geld zu verdienen war. In genau diese Lücke kamen wir rein. Wir können, außer dass wir ungewöhnlich waren, kaum etwas dafür. Ich glaube, ein Jahr vorher oder zwei Jahre später hätten die "Inchies" gar nicht funktioniert. Es ging alles rasend schnell …
Ihr hattet dann auch einen Plattenvertrag beim Label von Fritz Puppel und Toni Krahl von CITY.
Ja, die wollten schon unser erstes Album haben, das machten wir aber nicht, da wir erst mal selbst probieren wollten. Die ersten beiden Alben machten wir an ihnen vorbei, erst beim dritten wechselten wir zu ihnen.
Das war ja auch ziemlich ungewöhnlich, denn das waren ja etablierte Musiker der Ostrock-Szene und Ihr wart relativ neu. Wie kam das denn zustande?
Der Witz war, und auch das ist - glaube ich - ein Ost-Phänomen: Natürlich waren die Ost-Bands untereinander auch konkurrierende Bands, aber dieser Konkurrenz-Gedanke, den wir dann im Westen kennenlernten, den gab es so nicht. Das heißt, sie waren erst mal alle interessiert. Bei unseren ersten Konzerten in Berlin waren alle da. SILLY kamen gucken, also Tamara, Hassbecker, Ritchie, CITY kamen vorbei und alle guckten, was der Nachwuchs so macht. So lernten wir die kennen, alle auf eine völlig verspielte Art und Weise, wo man ins Gespräch kam. Und sie sahen uns von Beginn an als Kollegen. Zum Thema Konkurrenzgedanken: Ein ganz wichtiger Faktor für uns war, dass unser erstes Konzert in einem Café im Prenzlauer Berg vom Sänger der Band FREYGANG, André Greiner-Pol, besucht wurde. Er wohnte dort um die Ecke. Nach dem Konzert kam er zu uns und meinte: "Ich nehme Euch mit." FREYGANG hatte in diesem Jahr ein Festival, das muss das "Ostwoodstock-Festival" irgendwo im Harz gewesen sein. lch war so besoffen, dass ich nicht mal mehr weiß, wo genau das war. Dort spielten FREYGANG, FEELING B., ICHFUNKTION, alle waren da. Und eben auch alle Veranstalter aus dem Osten waren dort. Greiner-Pol hat den Veranstalter erpresst, FREYGANG waren Headliner und er sagte ihm: "Ich bringe noch eine Band mit." Der Veranstalter meinte: "Das geht nicht, das Lineup ist voll." Daraufhin erwiderte Greiner-Pol: "Dann kommen wir auch nicht …" Deshalb spielten wir auf diesem Festival und hatten danach plötzlich eine Tour, weil die Veranstalter alle da waren. Auch das mal zum Thema "Konkurrenzgedanken". Aber Greiner-Pol setzte noch einen drauf: Er nahm uns quasi für FREYGANG als Vorband mit und auf der Hälfte der Tour kam er zu uns und sagte: "Also, wenn ich mir das jetzt so angucke, wie das mit dem Publikum ist, müssen wir die Reihenfolge tauschen." Und dann haben wir ab der zweiten Hälfte der Tour als Headliner gespielt.
Die Idee kam von André Greiner-Pol selbst?
Ja, von ihm selbst. Er hat einfach gemerkt, was bei uns abgeht und kam zu dem Entschluss, dass wir es ab morgen anders herum machen. "Erst spielt FREYGANG und dann Ihr …" Und theoretisch war es eine FREYGANG-Tour.
Das hat tatsächlich nichts mehr mit Konkurrenzdenken zu tun …
Nein, ein paar Jahre später wärst du als Band aus der Tour geflogen, wenn du den Headliner abkochst … Das sind schon Sachen, die alle eine Rolle bei der Entstehung der "Inchies" spielen. Also sowohl das Interesse der anderen und auch das Wohlwollen bzw. das Gönnenkönnen. Also das, was man manchmal ein wenig vermisst.
Du erzählst hier gerade von tollen Ereignissen, allein der Plattenvertrag, nun die Sache mit FREYGANG. Welche bleibenden Eindrücke hast Du mit der Band überhaupt sammeln können, egal ob positiv oder negativ? Was blieb Dir dauerhaft von den "Inchies" in Erinnerung?
Als allererstes wirklich das ganz große Ding, was man sich so erträumt. Dass man zusammen mit Freunden etwas macht, erschafft und das dann auch noch funktioniert. So fing es ja an und so war es auch wirklich viele Jahre. Wir waren eine fahrende Wohngemeinschaft, entweder Studio oder auf Tour oder im Proberaum. Eine gemeinsame Bandwohnung gab es auch, wir hingen wirklich zusammen und das machte diese Band aus. Solch eine Sache gehabt und erlebt zu haben, ist großartig. Dazu kann ich auch noch eine schöne Geschichte erzählen, manchmal wird einem das ja erst auf der Reise klar: Am Ende der zehnten Klasse war ich mit einem Kumpel trampenderweise und verbunden mit Zelten an der Ostsee. Er ging zum Studium nach Berlin und ich ging nach Dresden, wir waren beide Klassiker. In diesem Urlaub entwarfen wir aber witziger Weise eine Band. Völlig absurd. Wir hörten Musik, überlegten, wie die Band aussehen könnte. Wir schmiedeten Pläne, ein großer Traum war ein BARKAS mit einem Anhänger, sogar die Klamotten waren schon klar. Es war jedenfalls komplett absurd. Schnitt. Irgendwann wurde ich im Nightliner wach, wir waren gerade auf dem Weg nach Paris und ich hörte, wie der Busfahrer vorn ein Mix-Tape hört. Da kamen fünf Titel hintereinander aus diesem Urlaub, ich setzte mich nach vorn und dachte: "Wie geil ist das eigentlich?" Da hatte man irgendwann mal den größten Wunsch, zwischen Suhl und Rostock und zwischen Frankfurt (Oder) und Magdeburg mit einem BARKAS hin- und her zu fahren und Musik zu machen. Und nun sitzt man im Tourbus nach Frankreich und es kam eigentlich alles noch viel geiler, als man es sich erträumte. Das sind Sachen, die bleiben hängen. Also erst mal der Umschwung von der Klassik zum Punk, was es ja am Anfang war, und die großartige Energie, die diese Band hatte und die natürlich für alles verantwortlich war, was in meinem Leben danach kam.
Was war denn bei den "Inchies" der größte kommerzielle Erfolg?
Das kann ich gar nicht sagen, das weiß ich wirklich nicht. Wir dachten nie - was uns immer niemand glaubt - in solchen Kategorien, bis zum Schluss nicht. Wir wollten losfahren und unser größtes Ding war es immer, live zu spielen.
Ich fand zum Beispiel keine Chart-Platzierungen. Sind Platten von Euch in den Charts gelandet?
Ja, in den TOP 100, das war aber auch noch zu Zeiten, als man für die TOP 10 wahrscheinlich 100.000 verkaufte Alben brauchte. Das haben wir garantiert nie geschafft, in den TOP 100 waren wir mehrmals drin. Es klingt doof, aber wir haben nie danach gefragt und es hat uns eigentlich auch nicht interessiert. Wenn man nach den größten Erfolgen fragt, dann waren es wirklich die Touren. Wenn man sich überlegt, drei Mal im Jahr sechs Wochen in ausverkauften Häusern und in Zeiten, in denen es nicht mal "Off-Days" gab - das war unser Leben.
So, wie Du das erzählst, klingt es so, als ob es tatsächlich eine Indie-Band gewesen ist … Andere Bands nennen sich "Indie" und sind eigentlich das komplette Gegenteil.
Ja, wir waren eine Indie-Band, die BMG hat das aber nicht begriffen. Die BMG wollte uns aufbauen als deutsche Stadion-Band. Wir zeigten ihnen einen Vogel und sagten ihnen, was wir sein wollten: "Wir wollen eine Band sein - dafür gibt es Beispiele von amerikanischen und englischen Bands - die weltweit auf Club-Ebene spielt." Wir merkten es ja, wenn wir im Ausland waren. Wir konnten spielen, wo wir wollten, die Energie kam überall an. Wir waren keine "deutsche Band", wenn wir in Griechenland, Spanien, Frankreich oder in den USA waren. Es wäre unser Traum gewesen, wenn man uns dabei unterstützt hätte. Club-Niveau mit 2.000er oder 3.000er Hallen, das aber nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.
Bei diesem außergewöhnlichen Bandnamen: Haben die sich im Ausland nicht den Arsch gebrochen, ihn auszusprechen?
Na in Deutschland ja auch, das machte keinen Unterschied … (lacht)
Wer ließ ihn sich einfallen?
Auch wieder nicht wir. Wir waren von Beginn an eine demokratische Band, in der jede Stimme zählte. Wir hatten auch bei den "Inchies" den Anspruch, zwei Wochen zu proben und danach aufzutreten. Wir hatten aber keinen Bandnamen, weil wir uns nicht einigen konnten. Jeder warf irgendwas in den Raum, es gab eine Abstimmung und keiner der Namen kam durch. Nach diesen zwei Wochen machten wir eine Party in dem besetzten Haus, in dem sich auch unser Proberaum befand. Wir luden Leute ein und spielten ihnen unsere erste Kassette mit wahrscheinlich fünf Nummern live vor und baten alle Anwesenden, Namensvorschläge zu machen, die auch alle Scheiße waren. Bis auf diesen einen. Er kam von Bruno, einem gestrandeten Australier aus dem "Tacheles" … einem Künstler. Der saß ab irgendeinem Punkt der Party stammelnd in einer Ecke und sagte immer wieder dieses Wort vor sich hin. Ich glaube, unser Trommler fragte ihn dann, was das eigentlich hieße. Darauf sagte er: "Das ist das, was Ihr seid. Es ist ein Slang aus Australien für Leute, die in der Kneipe sind und so tun, als gehöre ihnen die Kneipe und am Ende können sie ihre Zeche nicht zahlen." Wir fragten ihn, ob wir den Namen haben dürfen, denn er war es und wir fanden es einleuchtend.
Das alles ist eine Aneinanderreihung von Zufällen, oder? Ja, natürlich, am Ende schon. Na klar muss man dafür arbeiten und wenn ich sage, dass alles darauf aufbaut, heißt es ja nicht, dass ich wirklich extrem viel arbeite. Aber ein solches Vakuum mit einem Projekt zu erwischen, ist eben auch Glückssache. Das hat man, wenn die Bands ehrlich sind, bei vielen. Auch weil wir gerade bei Fritz und Toni waren, genau das gleiche Ding. Wenn Wolfgang Martin diesen Schnürsenkel von "Am Fenster" - den es ja noch gar nicht gab - nachts nicht gespielt hätte, hätte es bei CITY noch Jahre gedauert, bevor sie ein Album hätten aufnehmen dürfen. Im Prinzip war das eine Sache von "Wölfi" und diesem West-Manager, der AMIGA eine Scheibe abgekauft hatte, die es quasi noch gar nicht gab. So etwas gibt es bei vielen Bands. Ich sah auch viele Bands, die so etwas leider nicht schafften. Was wir manchmal an Vorbands dabei hatten, wir suchten sie ja immer aus und bei uns musste eine Vorband auch nie bezahlen. Wir nahmen sie mit, weil wir sie wollten. Da waren Sachen dabei, bei denen ich mir völlig sicher war, dass es durch die Decke gehen müsste. Genau das passierte allerdings nicht … Weil eben genau dieser Punkt fehlte, dieser eine "Stupser". Wäre für die "Inchies" bei der BMG etwas Verständnis vorhanden gewesen, hätte unsere Vorstellung von dem, was wir sein wollten, funktionieren können. Es geht immer besser, aber Fakt ist, dass dieser Anfang ohne dieses Vakuum nicht möglich gewesen wäre.
b.deutung auf der Bühne … (Foto: Jochen Melchior)
Ihr wart über zehn Jahre eine Truppe, seid herumgereist, wart eigentlich eine herumtingelnde WG … Fliegt einem das nicht irgendwann um die Ohren, geht man sich nicht gegenseitig auf den Sack und es kommt zu Streit?
Ja, na klar, wie in einer Familie, natürlich. Mit allem Drum und Dran. Mehrheiten wechseln in einer Band, es gibt schlimme Sachen. Auch wenn man eine demokratische Band ist, dann heißt es auch, dass man einkalkulieren muss, dass nicht eine Songidee, die irgendjemand von uns jemals hatte, so durchging, wie er es sich vorgestellt hat. Die ging ja immer erst mal durch die Band und das tut in diesem Moment manchmal richtig weh. Im Nachhinein betrachtet ist dadurch aber jeder Song ein "Inchie"-Song. Was ich aus manchen anderen Bands kenne, wenn es darum geht, Setlisten für eine Tour zusammenzustellen: "Neee, da muss noch der rein, von mir ist noch keiner dabei." Oder auch bei einem Album: "Von mir ist aber noch gar keiner drauf …" So etwas gab es nicht, weil jeder Song konsequent ein "Inchie"-Song inklusive Beteiligung aller war. Da waren wir in unserem Suff damals schon irgendwie cleverer, als wir wussten …
Und die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwann mal so läuft, wie bei den PUHDYS, hat es bei Euch nicht gegeben?
Nein, das ging gar nicht. Weil es von Anfang an klar war und wir erweiterten es ja auch noch: Nicht nur, dass die ganze Band unabhängig vom Input an den Alben beteiligt wurde, wir holten später sogar unseren Tonmann mit hinein. Er war ja nicht "nur" der Tonmann, sondern auch komplett beteiligt. Übrigens ein Konzept (abzüglich Tonmann), das RAMMSTEIN dann von uns übernommen hat. Also "Brigade RAMMSTEIN" und alle Songs sind auf alle angemeldet. Ihr Proberaum war neben unserem und unser Bassist ging zu RAMMSTEIN. Das übernahmen die komplett und das ist richtig so. Wenn man eine Band sein will, ist das richtig.
Ja, das finde ich gut … 2002 wurde die Band allerdings aufgelöst, warum ging es nicht weiter?
Neee, wir sind in Urlaub.
Ach so …???
Wir haben uns nie offiziell aufgelöst. Wir lernten schon so viele Bands kennen, die nach ihrer Auflösung schon zum dritten Mal auf Tour waren, dass wir sagten: "Das machen wir nicht." Wir verkünden stattdessen einen Urlaub …
Rein theoretisch könnten die "Inchies" also morgen wieder auftreten?
Rein theoretisch ja. Wir haben nie aufgehört, sind in Urlaub und begründeten das damals ja auch: "Wir müssen erst mal das Geld durchbringen und alle Adressen, die wir einsammelten, abfahren." (lacht)
Habt Ihr das mit einem Abschiedskonzert gemacht oder sagtet Ihr einfach: "Wir sind jetzt weg."
Nein, das war schon vorbereitet. Unser letztes Festival-Konzert war auf dem M'era Luna. Das war, bevor wir aufgehört hatten. Wir wussten, dies wird unser letztes Festival, weshalb das letzte Lied auch - glaube ich - 25 Minuten ging, weil wir nicht aufhören konnten. Es war schon heftig. Zwar selbstgewählt, aber trotzdem schwierig. Wir merkten es bei diesem Konzert, der letzte Song zog sich in die Länge. Dann spielten wir eine richtige Abschlusstour und unser allerletztes Konzert war in Berlin in der Columbia-Halle. Da wurde das ganze noch mal fett zelebriert mit anschließender Party bis in den frühen Morgen.
Du hast im Anschluss einiges gemacht, zu einzelnen Punkten kommen wir noch. Was machtest Du unmittelbar nach diesem letzten Konzert? Es waren wahrscheinlich alle Wege offen, aber wie ging es konkret für Dich persönlich weiter?
Das war auch wieder so ein Ding: Eigentlich wollte ich bewusst einen Puffer zum Live-Betrieb setzen, weil ich wusste, dass mir das, was wir hatten, sowieso nie wieder jemand geben kann. Deshalb hatte ich mich auch nicht wieder an eine Band gebunden. Ich zog mit meiner "Damaligen" nach Neustrelitz. Damals hatte ich ja schon begonnen, Hörspielmusiken zu schreiben. Mein Plan, den ich ihr auch mitteilte, war: "Hörspiele, Theatermusiken und ja okay, zwei Bands dürfen anrufen." Das blöde war, die riefen beide an! Innerhalb von einer Woche riefen DEINE LAKAIEN an und ein paar Tage später die NEW MODEL ARMY. Da war ich jedoch schon bei DEINE LAKAIEN verbucht. Das waren die beiden Projekte, bei denen ich sagte, es mir noch mal überlegen zu wollen. Ansonsten erst mal nicht. Das war schräg. Dann war ich - glaube ich - 12 Jahre mit DEINE LAKAIEN unterwegs.
Warst Du dort auch zusammen mit Ivonne Fechner?
Ja, na klar, sie nahm ich mit zu den LAKAIEN. Sie fragten mich, ob ich noch eine Geigerin kennen würde und mit Ivonne war ich auch schon gemeinsam auf der Musikschule in Potsdam.
DEINE LAKAIEN, NEW MODEL ARMY, später kamen SUBWAY TO SALLY hinzu. Du hast bei vielen Bands als Gast oder auch als Dauergast mitgespielt. Konnte man irgendwas von dem mit dem vergleichen, was Du vorher bei den "Inchies" erlebt hast? Gab es Parallelen oder war das alles komplett anders?
Diesen Zauber, den dir die eigentlich erste Rock'n'Roll-Band schenkt, in der es gut funktioniert - den kann einem keiner geben. Und trotzdem ist es ja so, dass man weiterlebt. Somit war es auf andere Art und Weise schön und das mit SUBWAY TO SALLY war zum Beispiel ganz einfach, weil wir schon immer miteinander befreundet waren. Nur nach außen hin nicht, weil die Managements daraus immer irgendein Ding machten. Da gab es auf der Management-Ebene irgendwelche Spitzeleien, die haben uns als Band nie interessiert. Wir wussten, so lange diese beiden Bands aktiv sind, kann keiner bei den anderen zu Gast sein, das geht eben nicht. Aber wir waren immer zusammen auf Spur. Ich war mit Frau Schmitt und Bodi nächtelang unterwegs, man kannte sich eben aus Potsdam. Die Verbindung war immer da und da musste ich auch nicht lange überlegen, als die Anfrage für dieses Akustik-Projekt - welches wirklich ein sensationelles Projekt war - kam. Da auch noch mal Hut ab vor Ingo, der das alles schrieb und auch noch von seiner Gitarre auf die Laute umstieg. Es war wirklich fett und richtig geil. Die DVD dazu und die zwei oder drei großen Touren, das war cool. Und dann mit den LAKAIEN wieder Festivals zu spielen und überhaupt wieder auf Tour zu sein, das ging eigentlich nahtlos bis 2010. Da kam es zu einem "Kipp-Punkt", an dem ich merkte, ich muss mal irgendwas ändern. Ich war ca. 300 Tage in verschiedenen Konstellationen unterwegs und da war ich dann zum zweiten Mal an dem Punkt, wo ich überlegte, den Fokus eher auf Kompositionen und weniger auf Touren zu legen. Vielleicht gibt es ja auch noch etwas, wie ein Privatleben, was natürlich immer auf der Strecke bleibt, wenn man so lebt, wie die "Inchies" gelebt haben und man danach nicht von diesem Film herunter kommt, immer unterwegs zu sein.
Eine dieser Bands, die schon erwähnt wurde, war die NEW MODEL ARMY. Das war ja - korrigiere mich bitte, falls ich falsch liege - eigentlich so eine 1980er EBM-Band gewesen …
Inzwischen ist die NEW MODEL ARMY seit Jahren eine solide Punkrock-Band. Ich glaube, dass sie zu Beginn in England eher unter Folk einsortiert wurden, aber es ist eine immer noch fette und geile Punkrock-Band.
Wenn man in ein solches Projekt als Musiker einsteigt, kann man sich da so einfach hinein fuchsen in ein völlig anderes Universum? Geht es so einfach, sich hinzusetzen, das Cello zu nehmen und dort zu spielen?
Ich glaube, dass bei allen Projekten - wenn man sie verfolgt - nie ein Projekt dabei ist, bei dem die Musik die Hauptrolle spielt. Mein erster Anspruch sind immer die Menschen, das ist mir sehr wichtig. Da geht natürlich viel über Freundschaften. NEW MODEL ARMY bzw. Justin Sullivan lernte ich 1993 richtig kennen. Zuerst war die Freundschaft und die besteht bis heute. Justin ist einer der ganz wenigen aus dem Musikbusiness, mit dem ich eigentlich nie über Musik rede. Wenn wir miteinander telefonieren, wenn wir uns treffen, geht es um alles. Um die Welt, um die Familie, um die Liebe und ganz am Ende vielleicht auch mal irgendwann um Musik … Es war ein schleichendes Ding, ich bin seit 1996 auf jedem ihrer Alben drauf, nur live ist es etwas schwierig, da Justin meistens zu spät aufsteht, wenn es ums Planen von Touren geht. Und meistens war ich, wenn seine Touren dann geplant wurden, bereits verbucht. Insofern waren es gar nicht so viele Touren, die wir gemeinsam machten. Er gab es dann irgendwann auf, weil er im November anrief, ob ich im Dezember mit auf Tour kommen könne. Ich bin jedoch schon ein Jahr voraus in der Planung. Unsere Absprache lautet nun: "Guck doch in unseren Tour-Plan und wenn Du Zeit hast, spielst Du mit."
Du bist ja nicht nur Musiker, sondern Du bist auch Produzent …
Ja, das bleibt nicht aus. Aber es ist keine Sache, die ich permanent verfolge, da sie automatisch entsteht und ich die Hörspiel- und Theatermusiken natürlich komplett selbst produziere. Wenn mir dann noch eine Band über den Weg läuft und mich fragt, ob ich es geil finde, dann mache ich das auch. Das war auch bei MILA MAR und den DONKEY PILOTS so. Eigentlich sollte ich da lediglich ein Cello einspielen, dann flog denen aber die ganze Produktion um die Ohren und der Produzent stieg aus. Nun war mein Cello aber schon da und ich sagte zur Band: "Wisst Ihr was? Packt Euer Zeug ein, kommt nach Berlin und wir produzieren das Album jetzt." Das Material war gut und ich dachte, es kann nicht sein, dass das ganze jetzt implodiert. Es ist nicht so, dass ich das permanent mache. Es ist eine interessante Sache, wenn ich weiß, dass ich etwas geben kann, wenn es gefragt ist und wenn es coole Leute sind. Ich verändere eine Band nicht. Es gibt ja zwei verschiedene Ansätze bei Produzenten: Die einen rufst du an, wenn du sagst, die Band braucht einen TOP 10-Hit, dann wird die Band darauf hingebügelt. Und den anderen - wie zum Beispiel Moses Schneider, den ich nach wie vor für einen der Größten halte - rufst du an, wenn du möchtest, dass eine Band ernst genommen wird. Und er verbessert diese Band dann auch. Der holt aus der Band raus, was zur Band passt. Das fiel mir damals beim ersten BOSSE-Album auf, als Moses das noch machte. Da hörte ich eine Nummer von BOSSE im Radio und ich dachte: "Alter ey, was ist das denn? Wie kann man denn so jung schon so erwachsen klingen und trotzdem so geil?" Und dann sah ich näher rein, na klar: Moses Schneider. (lacht) Das ist eher mein Anspruch. Wo steht die Band? Was kann man als Maximum herausholen, ohne dass die Band danach sagt: "Das sind wir aber nicht."
Weil Du ganz einfach selbst aus dem Thema kommst …
Ja, weil ich auch beide Seiten erlebt habe. Leute, die Musik verändern wollen und eben Leute, die ganz klar sehen, wo die Schwächen und wo die Stärken sind. Wo kann ich die Schwächen verstecken und die Stärken herauskitzeln, was am Ende für eine Band besser ist.
Wenn Du sagst, Du hast Dich nach den "Inchies" nie wieder in eine Band so fest eingebracht und an sie gebunden: Würdest Du Dich jetzt musikalisch als heimatlos empfinden?
Nein, gar nicht. Also eingebracht schon, alles, was ich mache, da bringe ich mich 100%ig ein.
Aber Du bist nicht dieses Dauermitglied einer Band …
Nein, ich halte mir immer eine Fluchttür offen. (lacht) Wenn es irgendwie nicht mehr passt, dann muss ich weg. Und das sind dann meistens nicht mal musikalische Gründe. Ich will mir auch nicht das Ding verbauen, mit Menschen, die ich auf allen Ebenen mag und schätze, Musik machen zu können. Nein, heimatlos bin ich nicht. Im Prinzip versuche ich, das, was ich insgesamt 13 oder 14 Jahre machte und die ich auch mit denselben Menschen verbrachte, weiter zu machen. Man kann zwar seinen Stil ändern und etwas ausprobieren, was die "Inchies" oft genug machten, aber man befindet sich dennoch in einem Korsett. Und was ich bewusst seitdem mache, ist ja eigentlich nur, Musik auszuloten in verschiedenen Konstellationen mit verschiedenen Leuten. Was ich unter dem Beruf verstehe, ist eine ständige Entwicklung, ein ständiges Lernen und ein ständiges neugierig sein. Das nutze ich derzeit einfach extrem und kann aus jeder Konstellation etwas für mich mitnehmen. Sei es auf der menschlichen Ebene, sei es auf der musikalischen Ebene, der kommunikativen Ebene - das bringt mich alles in meinem Denken als Musiker weiter.
Gibt bzw. gab es denn in den vergangenen 33 Jahren getroffene Entscheidungen, von denen Du sagst: "Die würde ich nicht noch mal so treffen?"
Aus dem Impuls heraus würde ich jetzt sofort "Nein" sagen. Alle meine Entscheidungen waren am Ende "Bauch-Entscheidungen". Egal, ob ich irgendwo mitmache oder ob ich irgendetwas sein lasse. Ich glaube auch im Nachhinein, dass sie alle richtig waren …
Schön, wenn man so etwas von sich sagen kann, finde ich …
Es gibt natürlich Sachen … Mich rief eine Westberliner Punk-Band - ich erwähne den Namen jetzt nicht - an und fragte mich, ob ich nicht Cello spielen könnte. Ich hörte mir das Zeug an und es war wirklich einfach Scheiße. Um aus der Nummer raus zu kommen, fragte ich, ob sie sich sicher sind, auf ihrem Album einen Musiker haben zu wollen, der wirklich sein Instrument beherrscht? Ich dachte, die schmeißen mich raus, sie sagten aber: "Nein, das ist uns völlig klar, das machen wir genau deshalb und deshalb und wir hatten auch schon mal ein Album mit Bläsern, die konnten ihre Instrumente auch …" Ich fand diese Reaktion so enorm, dass ich es dann doch machte. Musikalisch finde ich es nach wie vor nicht toll, aber ich fand einfach die Reaktion darauf super. Ich kann voll zu den Sachen stehen, die ich machte. Was aber nicht heißt, dass ich mit allem zufrieden bin. Zum Beispiel ist es bei einer Komposition immer so, dass man anfängt, zu arbeiten und eigentlich schon scheitert. Hätte ich keine Abgabetermine, würde ich nie fertig werden. Was übrigens - glaube ich - ein großes Manko bei großen und reichen Bands ist. Sie haben alle Zeit der Welt, was die Musik aber nicht unbedingt besser macht. Also Abgabetermine sind schon cool. Aber ich bin nie zufrieden, wenn etwas fertig ist. Niemals. In der Rückschau sehe ich dann manche Sachen anders und denke, es war gar nicht so schlecht. Ich versuche, in diesem Moment alles hineinzugeben und zu schaffen, was geht und mit der Unzufriedenheit klar zu kommen. Aber an den Entscheidungen würde ich nichts zurücknehmen.
Du hast 2020 an einem Projekt von Reinhard Mey mitgewirkt, nämlich bei der Neuaufnahme von "Nein, meine Söhne geb' ich nicht". Das ist eine ganz tolle Geschichte, wie ich finde. Wie kam es denn dazu, kanntest Du Reinhard Mey, fragte er Dich an oder wie kam es dazu?
Nein, gar nicht. Diese ganze Idee und was mir daran wichtig ist, ist der Zeitpunkt. Wir reden von 2020, denn dieses Lied wird seit 2022 auch manchmal anders benutzt. Aber dazu vielleicht später. Die Idee kam - man möchte es nicht glauben - nicht von einem einzigen Musiker dort, sondern von dem Typen, der das Video machte. Das ist ein Typ aus Hamburg, ein Fotograf, der ehemals auch aus Thüringen stammt, aber in Hamburg wohnt (Der Mann heißt Ronny Zeisberg, Anm. d. Red.). Der hörte dieses Lied irgendwann wieder und dabei fiel ihm ein: "Scheiße, dieses Lied hat mich damals in der Zeit, als ich die Armee verweigerte, so begleitet, man müsste das eigentlich noch mal machen."
Wie kamst Du letztlich dazu?
Er rief quasi alle Leute an und stellte dieses Setup zusammen. Das wuchs also komplett auf seinem Mist …
Eine kunterbunte Mischung: Sarah Lesch, Eric Fish, Holly Loose, Ally Storch, Joachim Witt und Lucy van Org sind dabei … Du ebenfalls und andere mehr. Hammer!
Jetzt kommen wir zu Reinhard Mey. Das coole war: Als wir im Studio fertig waren, war das Video logischerweise noch nicht gemacht. Da gab es lediglich die Idee, ob man es sich vielleicht wenigstens von ihm freigeben lässt, wobei man das nicht muss, weil der Song nicht verändert wurde. Aber die Idee war, ihn wenigstens einzuweihen und so wurde ihm das Band zugeschickt. Dann kam von ihm: "Ja, toll. Aber warum darf ich denn nicht mitmachen?" Daraufhin wurde dann die letzte Strophe für ihn freigeräumt. Ein ganz leiser Typ, das war wirklich toll.
Ausschlag gebend für dieses Videos und die Neuaufnahme des Stücks war dieses Friedensdorf, nicht wahr?
Genau. Die Frage war: Dürfen wir das machen und er fragte, ob er mitmachen dürfe und dann war klar, dass die Einnahmen sowieso gespendet werden sollten. Der Vorschlag für das Friedensdorf kam von ihm, weil er schon lange mit denen zusammenarbeitet. Da kam auch ordentlich etwas zusammen und kommt es auch immer noch.
Und dann stiegst Du 2006 wieder in eine Band ein, nämlich bei CHAMBER. So steht es bei wikipedia …
Bei CHAMBER??? Das ist total witzig, denn dieser Wikipedia-Eintrag stammt nicht von mir, sonst würden dort andere Sachen stehen, die man auch auf meiner Website lesen kann. Ich weiß gar nicht, wer diesen Eintrag überhaupt verfasst hat. Von CHAMBER gab es eine Anfrage, weil wir uns natürlich kennen. Sie fragten, ob ich bei ihnen mitmachen würde und ich bekundete meine Bereitschaft. Allerdings kam es nie dazu und ich habe mit CHAMBER nie gespielt.
Das ist ja witzig … So viel zum Thema "Verlässlichkeit" dieser Enzyklopädie.
Ja, absolut. (lacht) Ich habe schon überlegt, ob ich den Eintrag - wenn ich mal viel Zeit habe - ändere oder ich muss mal jemanden darauf ansetzen. Wobei es letztlich ja einen Link zu meiner Seite gibt, unter dem man nachlesen kann, was wirklich wahr ist …
Was aber wirklich wahr ist, ist Dein Engagement für den Kunsthof in Köpenick, bei dem Du schon seit sieben Jahren dabei bist. Was genau machst Du da und wie kamst Du dazu?
Also ich mache das Booking, suche die Künstler zusammen, kümmere mich um die Künstler, fahre den Ton an den Sonntagen und mache im Prinzip den gesamten kulturellen Überbau. Wie es dazu kam? Ganz ursprünglich war es mal so, dass sich an diesem Ort jemand mit einem kleinen Weingarten ansiedeln wollte und überlegte, wie er das ans Laufen bringen könnte. Dann war meine Überlegung - da dort am Sonntag nichts lief - eine Sonntagsreihe zu installieren. Der Ursprungshintergedanke war natürlich der, wie ich ihn von Theaterschiffen her kannte, als sie noch funktionierten. Die fliegen ja immer auseinander, wenn sich die Gastronomie von der Kultur splittet, was leider sehr oft passiert. Der Gedanke war, ein Ding zu schaffen, bei dem die Gastro für die Kultur arbeitet, die Kultur für die Gastro und man befruchtet sich gegenseitig. Da stellte sich ziemlich schnell heraus, dass es eine Einbahnstraße war, auch mit der zweiten Betreiberin, weil nie etwas zurückkam. Jetzt sind wir im Prinzip seit zwei Jahren autark, was aber gar nicht so lustig ist, weil es aktuell quasi keinen Betreiber gibt. Wir sind dort also nur noch an den Sonntagen aktiv. Wir können das Ding aber nicht mieten, da wir alles ehrenamtlich machen und zum Mieten fehlen uns die finanziellen Kapazitäten. Das heißt, wir sind am Sonntag dort geduldet und in jedem Winter haben wir dasselbe Spiel: "Machen wir denn im April nun auf, oder nicht?" Was ganz witzig ist, weil ich dann natürlich alle Bands schon gebucht habe … (lacht) Aber das Spiel kenne ich schon, es ist jeden Winter so.
Könnte da ein Sponsor helfen?
Ja, durchaus. Entweder jemand, der das wirklich mit uns betreiben möchte oder ein Sponsor. Aber wir reden wirklich von einem Volumen in Höhe von 60.000 Euro im Jahr, um das Ding betreiben zu können. Das ist mit Vereinsbeiträgen nicht machbar …
b.deutung bei Modern Soul im September 2023 (Foto. Thorsten Murr)
Aber vielleicht starten wir mal einen kleinen Aufruf und suchen so Geldgeber für Euch, die sich für Kunst und Kultur interessieren. Wir haben dasselbe Problem, wie auch Ihr, für Kunst und Kultur ist selten etwas übrig. Eventuell ist ja unter unseren Lesern einer dabei, der sich für so etwas begeistern kann ...
Absolut, immer gern genommen! Wir treffen uns auch gern mit jedem, der Lust hat, mit uns darüber zu reden. Es ist eine coole Sache, aber wir wollen auch von diesem Konzept nicht weg. Wir nehmen keinen Eintritt und trotzdem verdienen die Bands bei uns. Und das gar nicht so schlecht …
Ihr macht das mit Hut?
Genau. Aber eben nicht, dass da einfach ein Hut rumsteht, wie das bei vielen anderen üblich ist, sondern es wird jede Woche moderiert. Ich stelle mich dann auf die Bühne und erzähle noch mal, warum und wofür und dann geht der Erlös abzüglich GEMA, die wir natürlich rausnehmen, zu 100 Prozent an die Künstler. Dadurch, dass die Veranstaltungen draußen stattfinden, waren wir die, die auch während der Pandemie durchzogen. Also, die Leute haben bei uns Geld verdient. Das war wirklich teilweise herzzerreißend, wenn Leute Geld in die Hand gedrückt bekamen und in diesem Moment heulten, weil sie endlich ihre Miete zahlen können …Es ist ein toller Ort und ein tolles Team. Ab 9.00 Uhr sind - seitdem wir das allein machen - Minimum zehn Leute auf dem Hof, die aufräumen, die die Tische zusammenstellen, die alles schön machen.
Umso wichtiger ist es, diesen Aufruf noch mal zu unterstreichen: Leute, wenn Ihr Geld übrig habt, der Verein kann es gebrauchen!
Ja, absolut. Und wie gesagt, eine Spendenbescheinigung ist kein Problem, wir sind gemeinnützig. Wenn also jemand zum Jahresende noch überlegt, wo er Geld unterbringen muss, damit es das Finanzamt nicht bekommt, dann gerne bei uns.
Womit bist Du denn aktuell beschäftigt? Gibt es irgendwas, was derzeit bei Dir auf der Pfanne ist und dort vor sich hin köchelt?
Wie immer ganz viel. Ich bin gerade wieder in einer Hörspielproduktion. Es gibt ja die Reihe "Die Chroniken von Narnia" - das sind sieben Romane und von ihnen brachten wir schon vier als Hörspiele heraus. Nun sind wir gerade am fünften, das wird zu Ostern 2024 veröffentlicht. Zu Ostern werden diese Hörspiele immer bei SWR2 gesendet und im Oktober darauf erscheinen sie beim Verlag "Der Audio Verlag" als CD. Dabei sind wir gerade mit meinem Leib- und Magenregisseur Robert Schön … Dann hatten wir noch "Momo", das konnten wir gerade abschließen. Vielleicht sogar zwei Tipps für Weihnachten, "Momo" kam jetzt noch mal neu bei "Hörbuch Hamburg" als Hörspiel heraus … Das sind so die Sachen, die ich jetzt mache und ansonsten bin ich am 15., 16. und 17. Dezember noch drei Mal live mit der MODERN SOUL BAND im Berliner "Neu-Helgoland". Das ist auch eine geile Sache, sie kam vor fünf Jahren zum 50-jährigen Jubiläum der Band zustande. Hugo rief mich damals an und ich fand die Idee so unglaublich geil, mit einer Band zu spielen, die so alt ist, wie ich. Das ist völlig verrückt. Jetzt spiele ich also die Jubiläumskonzerte zum 55. Bandjubiläum mit. Da werden auch Uschi Brüning, Toni Krahl und Uwe Hassbecker dabei sein. Das ist richtig fett und macht richtig Laune.
Und nun erzählst Du uns bitte noch, was Ihr für den Kunsthof Köpenick im nächsten Jahr geplant habt. Wer wird denn dort auftreten?
Da gibt es etliche Highlights. Ich sage nur: HOLLY LOOSE am 21. April zur Saisoneröffnung, André Herzberg, NERVLING, Janine Vahldiek, Paula Linke, COLBINGER und viele andere. Es ist wirklich ein tolles Programm.
Das klingt gut. Leider für mich zu weit weg für einen Sonntag …
Darüber hinaus gibt es, was mich selbst betrifft, natürlich auch einige weitere Sachen: Was ich jetzt schon weiß ist, dass es etwas mit den ZÖLLNERN geben wird. Von ihnen gibt es ja fünf Besetzungen, eine von ihnen ist das TRIO INFERNALE mit Dirk Zöllner, André Gensicke und mir. Das ist eine echt schöne Sache, in den vergangenen Jahren machten wir das ab und zu und bauen es jetzt langsam als eigenständige Sache aus, weil es eigenständig und wirklich toll ist. Unabhängig von der Ostsee-Tour, die sicher wieder stattfinden wird, wollen wir Mitteldeutschland ein wenig abgrasen. Dazu kann ich schon sagen, dass wir am 5. Juli 2024 in Stolberg im Harz auf einer wunderschönen Freilichtbühne sein werden und am 14. Juli 2024 werden wir auf "Vineta" auf dem Störmthaler See spielen. Das ist total geil, dort gibt es 50 bis 60 Plätze und dorthin werden die Leute mit einer Fähre übergesetzt, da sich dieser Spielort mitten auf dem See befindet. Höchstwahrscheinlich werden wir dort wohl mit zwei unterschiedlichen Sets zwei Mal spielen …Die Leute können sich dann überlegen, ob sie nur ein Set hören wollen oder gleich beide kaufen und sich eine Fahrt mit der Fähre sparen. Es wird auf jeden Fall in ganz Mitteldeutschland etwas passieren. Mühlhausen, Schloss Goseck, Weimar und einige andere Termine sind in Planung. Dann gibt es ja noch die Lesungen zum "Herzkasper" von Dirk Zöllner, mit der wir auch in Erscheinung treten werden. Darüber hinaus werde ich garantiert auch mit Pascal von Wroblewsky unterwegs sein. Mit MODERN SOUL und JONATHAN ebenfalls …
b.deutung bei Modern Soul im September 2023 (Foto. Thorsten Murr)
Da wirst Du im kommenden Jahr einige Male bei uns Thema sein … (lacht …)
Siehste … (lacht) Ach so, am 30. Juni wird das TRIO INFERNALE seinen Start 2024 natürlich im Kunsthof Köpenick absolvieren und in der Woche darauf geht's dann nach Mitteldeutschland und an die Ostsee …
Das klingt toll, ich drücke Dir für alles die Daumen und wünsche Dir viel Spaß!
Der darf nicht vergehen bei allem Stress … (lacht)
Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Ich kann nur immer sagen, insbesondere seit der Pandemie: Haltet zur Kultur, geht auf Konzerte, unterstützt die Leute, hört auf mit dem Scheiß-Streaming und haltet zusammen. Redet miteinander! Mir geht gesellschaftlich einiges so richtig auf den Keks und das beginnt mit Kommunikation. Also andere Meinungen zulassen, reden und vielleicht auch mal wo anders hingucken, um festzustellen, dass es so schlecht bei uns gar nicht ist. Alles, was hier schief läuft, kann man aus einer Demokratie heraus immer noch besser ändern, als aus einer Autokratie …
Interview: Christian Reder
Übertragung: Mike Brettschneider
Fotos: Dajana Prosser-Gehn, Dana Barthel, Thorsten Murr, Jochen Melchior
Übertragung: Mike Brettschneider
Fotos: Dajana Prosser-Gehn, Dana Barthel, Thorsten Murr, Jochen Melchior