Interview vom 4. September 2023
Kinder, wie die Zeit vergeht … Als im Herbst 1989 ein Stern namens DDR verglühte, war Dirk "Scholle" Zöllner einer der Nachwuchs-Künstler der Musikszene dieses Landes. Im Jahr der Vereinigung beider deutscher Staaten erschien mit "Die Zöllner" das erste Album seiner Band. Seitdem ist viel passiert. Großartige Platten wie z.B. "Café Größenwahn", "Bumm Bumm", "7Sünden", "Uferlos" oder "Dirk & das Glück" wurden veröffentlicht, spannende Projekte wie die 3HIGHligen, Ostende oder sein Mitwirken beim Club der toten Dichter (2006) folgten, und natürlich darf man sein Mitwirken bei Produktionen von Kollegen wie z.B. Manuel Schmid, Andreas Hähle, Johanna Zeul, Veronika Fischer oder Reinhard Fißler nicht vergessen, ebenso wenig wie seine Hauptrolle im Musical "Jesus Christ Superstar". Die Auflistung der Tatorte, an denen er seine Fingerabdrücke hinterlassen hat, füllt Seiten. Jetzt ist der inzwischen 61 Jahre alte Musikant ein Dino der deutschen Musikszene und hat mit "Portugal" ein brandneues Album fertig gestellt, das Ende September in den Handel kommen wird. Ganz "Dino-like" wurde dieses Album mit drei vorab veröffentlichten 7" Vinyl Singles countdownisiert, so wie man es noch aus den guten alten 80ern kennt. Was es dazu zu sagen gibt, welche Pläne Scholle für die nächste Zeit hat und wie überhaupt der Stand der Dinge bei ihm ist, hat unser Kollege Christian in einem Gespräch mit ihm in Erfahrung gebracht …
Ich falle gleich mal mit der Tür ins Haus. Nach dem Hören des Songs "Portugal" stellt sich mir die Frage, wie groß denn Dein Fluchtgedanke derzeit noch ist. Willste immer noch weg oder war das "nur" eine Episode während der Pandemie?
Ich gehöre jedenfalls nicht zu den Menschen, die sich fest einrichten müssen. Der Weg ist das Ziel! Die tatsächliche Ankunft ist einzig und allein der Tod. Ja, ich habe mittlerweile die Vermutung, tatsächlich sterblich zu sein und das steigert natürlich den Fluchtgedanken. Es gibt doch noch so vieles zu entdecken, noch so vieles zu tun! Aber jetzt mal im Ernst: Nicht die Pandemie hat meine akuten Fluchtgedanken verursacht, sondern die Polarisierung der Gesellschaft und das damit verbundene Gezänk. Mit dem russischen Krieg in der Ukraine ist das nicht besser geworden. Im Gegenteil, jetzt scheinen tatsächlich die "Kreuzzüge" der großen Glaubensgemeinschaften zu beginnen und da wird es keine Rückzugsmöglichkeiten mehr geben. Selbst Portugal ist da nicht mehr weit genug entfernt. Die Menschheit spielt mit ihrer Existenz. Mein eigentlich unerschütterlicher Optimismus ist angeschlagen, ich mache mir ernsthaft Sorgen um die Zukunft meiner Kinder!
Der ursprüngliche Text zu "Portugal" ist ja vom Hähle. Hast Du ihn auf die aktuelle Zeit angepasst, oder welche Veränderungen hast Du darin vorgenommen?
Ja. Andreas Hähle, ich vermisse ihn sehr. Ich habe beschlossen seinen Tod zu ignorieren und mache es einfach wie gehabt, wühle in seinen Textmappen, gucke ob mich irgendwas anspringt und verwurste es mit meinen eigenen Gedanken. Das jetzige "Portugal" hieß bei ihm "Elegie auf einen Leipziger Helden". Ich habe die Geschichte zu mir nach Berlin geholt, gerührt und geschüttelt und am Ende ist ein typischer Hähle-Zöllner-Mix herausgekommen. So haben wir es immer gehalten und ich habe nicht vor, diese schöne Zusammenarbeit wegen seines beschissenen Todes einzustellen!
In den letzten drei Jahren ist mit Dir und um Dich herum ja eine ganze Menge passiert. Was hat Dich am meisten aus den Schuhen gehoben? Der Lock Down, der Ukraine-Krieg oder die Tatsache, dass seit dem letzten Sommer eine 6 vor der 0 steht?
Der kulturelle Lockdown hatte schon etwas Demütigendes, aber wir haben dieses Tal mit unseren Wohnzimmerkonzerten ganz gut umschifft. Über zwanzig "Rockdowns" haben wir gesendet und die Sympathisanten unserer Kunst haben uns emotional und finanziell über Wasser gehalten. Interessant zu erleben, wie die Gewohnheiten von einem auf den anderen Tag kippen können! Nun sind die Masken gefallen - das mit der Ukraine kann wesentlich schlimmer enden. Die Gefahr eines wirklich großen Infernos ist in die Nähe der Realität gerückt. Ich finde, dass die deutsche Regierung fahrlässig mit der Situation umgeht. Diese Drohgebärden, dieses Schwarz-Weiss-Denken, sind irgendwie 20. Jahrhundert. Doofe alte Schule! Kinder und Frauen werden doch auch nicht mehr geschlagen, ich erwarte da mehr helle Diplomatie von der guten westlichen Demokratie. Die Spirale der Idiotie muss unterbrochen werden! Wenn wir wirklich die Guten sein wollen, dann müssen wir den Bösen zeigen, wie's geht. Ich hoffe, Du verstehst meine Ironie? Und die 60, na ja… Im Vergleich zu den anderen Problemen ist das nicht so schlimm!
Die große 60 wurde mit einem schönen Fest auf Rügen gefeiert. Wie hast Du diese Tage da oben rund um Deinen Geburtstag im vergangenen Jahr empfunden und erlebt?
Es war eine wunderschöne Hippieparty, ein rauschhaftes Fest, etwa 300 Freunde, Fans und Sympathisanten waren vor Ort, darunter natürlich auch meine ganze Familie. Die Organisation war sehr aufreibend und hat alle Beteiligten gefordert. Mein Management, die Besatzung vom LebensGut Frankenthal, mich. Der Aufwand, der hier betrieben wurde, ist durchaus mit einer Albumproduktion zu vergleichen! Eine ziemlich egozentrische Veranstaltung, aber eben auch absolut gelungen. Anfassbares Glück, welches wohl allen beteiligten Menschen in Erinnerung bleiben wird. Auch das darauf folgende allsonntägliche Musikfestival "Sommer im Machandeltal", welches zu großen Teilen von mir und meiner Lebensgefährtin Johanna Bergmann organisiert wurde, war sowohl schönes Erlebnis als auch wichtige Erfahrung.
Die Party zum 60. Geburtstag im Machandeltal, Sommer 2022 (Foto: Ute Bella Donner)
Ist der Song "Machandeltal", der auf Deinem neuen Album zu finden ist, eigens für die neue Platte und diese Party im letzten Jahr entstanden, oder gab es den vorher schon, und steht Dein Vorhaben, Dich dort "im Alter" niederlassen zu wollen, noch?
Die Titel des neuen Albums sind im letzten Lockdown 21/22 entstanden, darunter auch das "Machandeltal" mit einem Text von Harald Wandel. Dieser Text hat mich so fasziniert, dass ich auch gleich meinen 60. Geburtstag unter dieses Motto gestellt habe. Es geht um die Reise in eine ideale Welt und es ist beschrieben, wer mitkommen darf und wer nicht. Auf Rügen habe ich das Machandeltal entdeckt und nur Leute dorthin eingeladen, die die Reisebedingungen erfüllen. Das Machandeltal ist allerdings kein fester Ort, es kann morgen ganz woanders sein. Ich werde mich also nie wirklich irgendwo fest niederlassen können. Leider. Doch der Glaube ans Paradies tröstet mich. So wie die allermeisten anderen Menschen auch.
Kommen wir mal zum neuen Album "Portugal", das hier ja nun schon mehrfach erwähnt wurde. Es ist das erste neue Studioalbum seit "Dirk & das Glück" aus dem Jahre 2017. Du hast Dir für das Erschaffen neuer Songs ganz schön viel Zeit gelassen, oder? Hätte man in der DDR seinen Trabi schneller bekommen als wir jetzt demnächst das nächste Album von Dir? Muss man sich bei Dir in Zukunft an so lange Wartezeiten gewöhnen?
Das klingt ja fast vorwurfsvoll … äh, ja… so'n alter Mann ist doch kein D-Zug! Und ein mit der Pandemie verbundenes Auftrittsverbot ist ja nun auch nicht so optimal für den Verkauf von Tonträgern. Regelrecht tödlich für Bands wie uns, die ihre Alben vor allem nach den Konzerten absetzen. Und bei "Portugal", mein lieber Freund, handelt sich immerhin um die siebzehnte Veröffentlichung unter dem Namen Zöllner. In dreiunddreißig Jahren! Dazwischen noch vier Bücher, CDs mit anderen Künstlern und wahrscheinlich an die Zweitausend Konzerte. Die ZackZackZessions von 2019, die wir vor Publikum abhielten, waren auch eine Studioproduktion, selbst wenn es sich fast ausschließlich um bereits existierende Songs handelte. "Herzschlagen" war da die einzige Neukomposition, aber alle anderen Titel wurden neu arrangiert und teilweise mit Bläsern versehen, wo vorher keine waren. Durchweg neu sind die großartigen Chor-Arrangements von Anna-Marlene Bicking, die sie zusammen mit meiner Tochter Rubini als Overdub eingesungen hat. Neu ist auch, dass wir alles mitgefilmt haben und im Bundle, als CD und DVD veröffentlichten. An "Herzschlagen" haben Hähle und ich übrigens bis kurz vor seinem Tod herum geschraubt! Im Angesicht der Sterblichkeit, wird die Liebe für alles was einen umgibt größer und so nimmt vor allem die Familie einen immer höheren Stellenwert ein. Ich will Zeit mit ihr verbringen, zumal ich das Glück habe, von noch minderjährigen Kindern umgeben zu sein. Ja, Du hast recht, man muss sich an längere Wartezeiten gewöhnen! Auf einen Trabi musste man doch volle zehn Jahre warten, wenn ich das recht in Erinnerung habe? Im Moment weiß ich gar nicht, ob ich mich überhaupt nochmal auf so einen Kraftakt einlasse, ein Album herauszubringen!
Du bist mit André zum Schreiben der Songs für "Portugal" zeitweise in die Gassmühle Rotta gezogen. Warum ausgerechnet dahin und in wie weit hat Euch das Umfeld dort beim Arbeiten beeinflusst?
Wir sind kurz zuvor, also in der sommerlichen Coronapause, schon mal in der Gassmühle aufgetreten und fanden die Arbeitsbedingungen optimal. Die Hausherren, also Torsten und Simone Sielaff, sind sehr angenehme Menschen. Wie gendert man eigentlich Hausherr? Egal, Hausherr und Hausfrau, beide super! Tolles Ambiente, schöne Unterkunft, viel Platz für's Miteinander und gute Rückzugsmöglichkeiten. So ein schöner Ort beflügelt natürlich die Gedanken!
Die Rezension zum Album findet Ihr HIER
Kannst Du kurz was zum Entstehen des Albums erzählen? Wie lange wart Ihr insgesamt damit beschäftigt und wie habt Ihr die Lieder unter den "pandemischen" Voraussetzungen eingespielt?
Kurz. Nun gut, ich versuche es. Fast das gesamte Albummaterial ist dort in Rotta bei Leipzig Innerhalb von zehn Tagen entstanden. Zwischen André Gensicke und mir. Im Lockdown 21/22. Unser Freund und Toningenieur Marcel Wicher war ebenfalls dabei und hat all unsere geistigen Ergüsse festgehalten. Gensi und ich haben sowohl miteinander als auch separat gearbeitet. Der einzige Titel, den es schon vorher gab, war "Zwei blinde Passagiere". Unsere Dresdner Rhythmusgruppe, Lars Kutschke, Oliver Klemp und Stephan Salewski, kamen auch mal heimlich vorbei und wir haben gejammt. Die Lockdown-Polizei hat nichts mitbekommen! Lars hatte die harmonischen Gerüste zu "Alles auf Anfang" und "Mach das Licht an" im Gepäck, Gensi hat die Melodien dafür geschrieben und ich habe sie betextet. Ich habe dann noch die besagte "Elegie auf einen Leipziger Helden" von Hähle entdeckt und daran rumgeschraubt, alle anderen Texte stammen von Poeten, die mir bei Facebook begegneten und deren Gedichtbücher ich mir daraufhin besorgt habe: Henry-Martin Klemt und Jürgen Gutsch. Und dann ist da noch das schon erwähnte "Machandeltal" vom Brachial-Liedermacher Harald Wandel. Brachial deshalb, weil er mit Abstand die längsten lyrischen Werke Deutschlands schreibt. Im Hip-Hop-Bereich gibt es vielleicht noch derartige Wortlawinen, aber ansonsten liegt Harald in dieser Disziplin ganz weit vorn. Er hatte seinen Text vom "Machandeltal" bereits selbst vertont. Ich habe das Lied bei einem seiner Auftritte gehört und war völlig aus dem Häuschen. Die Nummer war allerdings eine gefühlte Viertelstunde lang. Ich habe ihn dann um Erlaubnis gebeten, ob ich den Text noch mal auf meine Art vertonen kann, und er hat zugesagt. Apropos zu lang. Du hattest mich gebeten, mal kurz was zum Entstehen des Albums zu sagen!
Nein, alles gut! Fließt doch. Solange ich nicht einschlafe, musst Du Dir keine Sorgen machen!
Die pandemischen Maßnahmen wurden ja dann im Frühjahr 22 ein wenig gelockert, was meines Erachtens mit dem Ausbruch des Krieges im Februar zusammenhängt. Im März haben wir die Tonscheune von Rainer Oleak gebucht, um die thematisch brennenden Titel "Machandeltal" und "Wenn die Masken endlich fallen" einzuspielen. Ist auch passiert, allerdings ohne mich, denn mein Test fiel leider positiv aus. Die Produktion zog sich in die Länge und es kamen wie schon erwähnt andere aufwändige Produktionen dazwischen und vor allem: Endlich wieder Konzerte! Die Band hat die restlichen Titel erst Ende 22 in den "Castle Studios" zu Röhrsdorf eingespielt, aber ich glaube: Gott war bei uns! Die Gesänge und Chorarrangements habe ich mit meinem Freund Holly Loose entworfen und in seinem Studio in Berlin aufgenommen. Das ist der Frontmann der Band LETZTE INSTANZ.
Bist Du ein gläubiger Mensch?
Ja. Allerdings Autodidakt. Es gibt Dinge, die sich nicht in Zahlen und Formeln pressen lassen. Die Liebe zum Beispiel. Ich nenne sie Gott.
Dirk Zöllner (Foto: Johanna Bergmann)
Was waren für Dich die Gründe, den Text zum Song "Mama unser" zu vertonen? Die KatholischeKirche wird Dich dafür sicher feiern ;-)
Die Glaubensverwalter sind mir egal. Außerdem ist der Text von Henry-Martin Klemt, er muss in die Folterkammern der Inquisition! Aber mal im Ernst, er ist mich regelrecht angesprungen. Also der Text, nicht Henry-Martin! (lacht) Aber meines Erachtens fehlte dem Werk noch ein Refrain und da ist mir das "Mama Unser" eingefallen. Bei HMK hieß der Song einfach nur "Gläubiges Lied". Für die blasphemische Umdeutung des christlichen Ur-Gebetes, muss ich also auf die Streckbank!
Du hast auf "Dirk & Das Glück" von 2017 ja ausschließlich Texte von Werner Karma vertont. Auf "Portugal" ist mit "Zwei blinde Passagiere" ein weiterer Karma-Text mit drauf. War das einer, der bei der letzten Album-Produktion hinten raus fiel oder wurde er für "Portugal" neu entdeckt und vertont?
Ja, tatsächlich wiederentdeckt. Den Text habe ich schon vor 20 Jahren vertont und gelegentlich mit Gensi als Duettpartner vorgetragen. Albern, weil wir ja nur langweilige Heteros sind. Nun haben wir es glaubhafter gemacht und unsere Freundin, die wunderbare Steffi Breiting, zur platonischen Obsession geladen!
Ja. Einmal mehr ist hier Steffi Breiting mit Dir im Duett zu hören. Wird es nicht langsam mal Zeit, ein komplettes Album mit ihr als Deiner Gesangspartnerin zu machen?
Das wäre für mich tatsächlich ein triftiger Grund, doch noch einmal den steinigen Weg einer Album-Produktion auf mich zu nehmen! Aber jetzt muss ich mich erstmal erholen. Schlimm ist ja nicht die Aufnahme und der kreative Prozess, lieber Christian. Schlimm ist der organisatorische Aufwand, das Klinkenputzen. Die ganze Geldbeschaffung und der mühevolle Akt, das Baby ans Licht der Welt und dann vor allem ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Da kommt man sich gelegentlich vor wie ein Bettler. Nicht falsch verstehen, das Gespräch mit Dir macht mir Spaß, Du scheinst ja auch wirklich interessiert zu sein!
Dieser Schein trügt nicht. Wenn Du selbst nochmal "Alles auf Anfang" stellen könntest … Wo würdest Du ansetzen?
Eigentlich bin ich mit mir im Reinen. Mein Freund, unser Toningenieur Marcel Wicher, fehlt mir! Er hat im Frühjahr dieses Jahres die Zusammenarbeit mit mir gekündigt. Über zehn Jahre war er an meiner Seite und neben Gensi mein wichtigster Kreativ-Partner. Seine Lebensgefährtin Nicole hat die finanziellen Geschicke der Zöllner-Unternehmungen gelenkt und geleitet, also besser gesagt, die beiden gab es nur im Doppelpack. Mit Ansage! Sie wurde immer einnehmender, das hat mich gestört, und es kam zu einer Entfremdung. Es war wie in einer alten Ehe, meine Kreativität war ausgebremst und nach mehreren Krisen habe ich die Scheidung eingereicht. Eine sehr schwere Entscheidung, keinesfalls im Affekt! Aber in der mir eigenen Egozentrik habe ich gehofft, dass Marcel vielleicht trotzdem bei mir bleibt. Er ist mit seiner Frau gegangen! Die Beiden haben ein gemeinsames Kind im Hause, da hatte ich natürlich keine Chance. Vielleicht hätte ich im Frühjahr nochmal ansetzen sollen, mit einer Paar-Therapie zwischen Nicole und mir. Hätte, hätte, Fahrradkette! Mittlerweile ist das nicht mehr möglich, Nicole hat einen Rosenkrieg eröffnet und Marcel ist ihr Adjutant. Mir dreht sich das Herz um. Marcel hat immer gesagt: Du Profi, Ich Profi - und damit hatte er absolut recht! Nach meinem Empfinden hat er unseren Leitspruch aufgegeben. Ich glaube aber, dass es eines Tages wieder einen Ansatz zwischen uns geben wird: Meine Tür steht offen! Bei dem Song "Alles auf Anfang", auf den Du hier anspielst, wird ein neuer gesellschaftlicher Ansatz eingefordert. Ich finde, dass wir vor dreiunddreißig Jahren die Chance zu einer guten gesellschaftlichen Alternative vergeigt haben. Vorher, in der DDR auch schon. Ich finde, es ist an der Zeit den Begriff "Sozialismus" wieder zu etablieren! Für sehr viele Menschen wäre er gut und wichtig. Traut sich nur im Moment noch keiner zu sagen, denn die ersten sozialistischen Großversuche waren einfach zu kleinkariert. Zu stumpf. Und in einigen Ausführungen sogar völlig aus dem menschlichen Ruder laufend.
Die Zöllner (Foto: Johanna Bergmann)
Von den 12 Liedern auf Deinem neuen Album hast Du doch sicher einen oder mehrere Favoriten. Welche sind es und welche der Stücke wird es auch live auf der Bühne geben? Du bist in Sachen Konzerte ja immer unterwegs und spielst live. Ich nehme aber an, dass es passend zum Album auch ein neues Programm geben wird. Liege ich da richtig?
Absolut! Natürlich werden wir so viele Lieder wie möglich in ein neues Live-Programm einarbeiten. Im November, Dezember werden wir "Portugal" mit Pauken & Trompeten präsentieren. "Zwei blinde Passagiere" werden wir natürlich nur spielen, wenn Steffi dabei ist, und das wird leider nicht immer der Fall sein. "Mach das Licht an" ist ein Titel, der mich auf dem Album gerade besonders anspricht. Aber hier oktaviere ich mich durchweg, für Laien: Ich singe sozusagen mit mir selbst im Duett. Lässt sich live schwer realisieren. Auf jeden Fall werden der Titelsong, "Mama Unser", "Der alte Zorn", "Kullerkeks und "Sie lacht und schwingt" zu hören sein. "Wenn die Masken endlich fallen" wohl nicht, die Zeit hat andere Themen. Der "Käfer" ist leider wieder aktuell. "Bleifrei" und "Neue Wege". Der letztgenannte Titel ist übrigens die B-Seite der Vinyl-Single "Mama Unser", eine Version, die ich mit meinen Kindern Rubini und Egon eingesungen habe. Da kommt jetzt auch noch ein Video dazu heraus.
Was wünschst Du Dir für Dein neues Album? Einmal vom Charterfolg abgesehen … Wo willst Du mit "Portugal" landen und wen möchtest Du erreichen?
Natürlich wünsche ich mir einen Charterfolg, aber ich glaube nicht mehr so recht daran. Wir haben uns als eine Band für Künstler und Kunstliebhaber etabliert und damit bin ich sehr zufrieden! Ich bin mir sicher, dass wir diesen Anspruch mit unserem neuen Album vertiefen können und vielleicht können wir unseren schönen Veröffentlichungen der letzten Jahre sogar die Krone aufsetzen. Ich denke, wir sind auch inhaltlich gut an der Zeit und beteiligen uns damit an der Neugestaltung der Gesellschaft. Im positiven, hellen Sinne. Mit konservativem Rumgeheule haben wir nichts zu tun - es muss weitergehen, in Liebe und auf friedlichem Wege!
Ist Dir in Sachen Erreichen von Hörern die neue Plattenfirma SPV eine große Hilfe? Kam von SPV die Idee mit den drei Vinyl-Singles als vorab gereichten Appetitanregern, oder war das Deine Idee?
Die Firma übernimmt administrative Aufgaben. Das Geld müssen wir mehr oder weniger selber erwirtschaften. Wir haben einen Vorschuss bekommen und eine Menge Struktur. Die Idee mit den Appetitanregern kam tatsächlich von mir, aber ich hatte da mehr USB-Sticks im Sinn und an eine erneute Crowdfunding-Aktion gedacht. Ohne die Logistik und die Kontakte von SPV hätten wir das mit den Vinyl-Singles nicht hinbekommen. Als Normalsterblicher muss man sich bei den Presswerken ja mittlerweile schon ein Jahr vorher anstellen. Die CD geht langsam flöten, aber es gibt eine Wiederauferstehung der Schallplatte! Sogar Leute, die keinen Plattenspieler besitzen, schlagen hier zu. Wahrscheinlich streamen die alles und gucken sich dabei die Texte und Infos auf dem großen Cover und im Booklet an. Wir haben hier im Übrigen einen sehr großen Aufwand betrieben: Die Grafiken und das Design aller Vorab-Singles und des Albums stammen vom etablierten Maler Jörg Menge. Eine glückliche Symbiose ist hier entstanden. Ich arbeite mit dem Künstler bereits an etwas ganz Neuem, aber darüber möchte ich an dieser Stelle noch nicht sprechen!
Die drei vorab erschienenen Singles
Nun gut, dann bleiben wir beim Thema: Welche Idee steckte eigentlich konkret hinter dieser tollen Veröffentlichungsstrategie? Sowas kennt man ja seit den 80ern nicht mehr, dass drei 7" Singles erscheinen und dann erst die Langrille folgt. Wie haben es die Fans an- und aufgenommen? Sind die Platten, die ja limitiert waren, schon alle vergriffen oder noch welche auf Lager?
Sie gehen sehr gut weg! Von "Portugal", der ersten Single, halten wir noch einen Karton in Reserve. Für absolute Liebhaber und für den Live-Verkauf. Sind ja nicht alle Zöllner-Fans in meiner Facebook-Blase, über die ja bisher die gesamte Werbung ablief. Die "Blinden Passagiere" gehen auch langsam von Bord und "Mama Unser" ist erst vor 14 Tagen rausgekommen. Ich denke mal, dass mit dem Erscheinen des Videos zur speziellen B-Seite "Neue Wege 2.0", die Vorräte verdampfen werden. Eine Bewerbung außerhalb der Welt meiner Facebook-Homies muss es also gar nicht mehr stattfinden. Mit dem Erlös aus dem Verkauf unserer Singles wurde letztendlich das Album fertiggestellt. Eine sehr elegante Variante des Crowdfundings, wie ich finde. Und die Stück-für-Stück-Veröffentlichung eines Albums passt natürlich absolut zur Schnelllebigkeit unserer Zeit. Du sprichst von Strategie, ich würde sagen: Cool durch Zufall! Wenn man nicht Helene Fischer oder Peter Fox heißt, und so wie wir abseits der großen Musikindustrie agiert, gleicht das Schicksal eines Albums dem einer Tageszeitung. Na gut, sagen wir mal dem Schicksal eines Wochenmagazins. Das ist doch bitter, oder? Das ist mir tatsächlich zu wenig Aufmerksamkeit für die jahrelange Arbeit an einem Album! Ich benötige nach dem Schöpfungsakt längere Streicheleinheiten von meiner Umgebung!
Du bist ja ein sehr kommunikativer Mensch und dementsprechend auch in den sozialen Netzwerken unterwegs. Bei einer Diskussion im letzten Jahr gab es viel Unruhe um Dich, als Du Position bezogen und Dich gegen Waffenlieferungen in die Ukraine ausgesprochen hast. Das zog auch ziemlich viel Kritik seitens Kollegen und Fans nach sich. Rückblickend darauf: Würdest Du alles nochmal genauso machen oder bei der Möglichkeit "Alles auf Anfang" dann doch lieber die Finger still halten, und keine Position mehr öffentlich beziehen?
Ich stehe auf der Bühne. Ich zeige mich. Ich bin kein Animateur, der zum Mitsingen und Schunkeln anregt. Es ist mir auch nicht gegeben, zu verharren. Still und unbemerkt wie ein Zeck auf den richtigen Moment zu warten, um parasitär zu überleben. Mein Herz ist keine Mördergrube. Dass ich mich in meiner Privatheit zeige, ist wahrscheinlich meine eigentliche Kunst. Ich bin mir sehr bewusst, damit zu polarisieren und ich halte das auch recht gut aus. Ein Ersatzmusiker meiner Band hat sich von mir abgewandt, ohne ein Gespräch mit mir zu suchen. Das hat mich verletzt. Nun gut, es kam gar nicht dazu, dass wir uns wirklich persönlich kennenlernten. Er verfolgte meine Facebook-Diskussionen und wahrscheinlich nahm er Anstoß daran, dass ich den Diskurs zulasse. Ich blockiere nur die allergrößten Vollpfosten. Ansonsten liegt mir sehr viel daran, im Gespräch zu bleiben und vielleicht ein paar strauchelnden Figuren dabei zu helfen, den Pfad der Liebe zu finden. Okay, eine echte Freundin ist mir tatsächlich verloren gegangen! Sie hat mich bei Facebook geblockt und ist danach nie wieder in meinem Umfeld aufgetaucht. Ebenfalls eine Künstlerin. Das ist nachhaltig sehr irritierend für mich. Wahrscheinlich war die Freundschaft einseitig, bzw. ich gehe vielleicht zu inflationär mit diesem Begriff um. Hier bin ich nicht nur verletzt, sondern sogar enttäuscht. Ich akzeptiere ihre konservativen Ansichten und kann damit locker leben. Sie stört sich an meinen Ansichten zu den deutschen Waffenlieferungen. Ich schicke hiermit eine schöne bunte Ansichtskarte aus dem Machandeltal in ihre schwarz-weiße Welt. Verbunden mit Wünschen für eine baldige und vollständige Genesung!
Dirk Zöllner 1996 (Foto: Jim Rakete)
Ich habe diese Frage auch André Herzberg, Deinem Kollegen von den 3HIGHligen, im letzten Interview gestellt, und stelle sie Dir jetzt auch. Wie funktioniert es bei den 3HIGHligen aus Deiner Sicht, wo ja bekanntlich unterschiedliche Meinungen im Team sind, was Ukraine, Corona und andere heiße Eisen der Zeit betrifft?
Wir können gut streiten und ich sehe das als eine unserer großen Stärken an! Momentan knickt Dirk Michaelis ein wenig ein, aber das darf er. Das ist André und mir auch schon passiert. Im Angesicht der greifbaren Endlichkeit finde ich es allerdings bedauerlich, wenn wir länger als ein Jahr voneinander Abstand halten. Ich kann da jetzt nur von mir reden, aber ich empfinde trotz aller Unterschiedlichkeiten und Reibereien Freundschaft. Mit Dirk pflege ich seit 38 Jahren erhellende Begegnungen, mit André bin ich seit 33 Jahren befreundet. Unsere highlige Unternehmung feiert in diesem Jahr das 30-jährige Jubiläum und wir haben im Januar unsere bisher erfolgreichste Tour absolviert! Aus einer emotionalen Personality-Show ist mit den Jahren eine groovige Band geworden. Auch Dank der beiden Scheinhighligen Tobias Hillig und Karl Neukauf. Das Ding muss jetzt durchgezogen werden! Bis der Tod uns scheidet.
Viele Nutzer dieser sozialen Netzwerke fallen ja bei unterschiedlichen Themen durch ziemlich viel Meinung bei nur wenig Ahnung und Problemen in Bezug auf Anstand und gutem Benehmen auf. Hältst Du diese Seiten im Netz für den richtigen Platz für einen fruchtbaren und auch gesitteten Meinungsaustausch?
Es ist nicht leicht. Facebook ist der neue Stammtisch. Um einiges größer als der traditionelle und wir müssen irgendwie damit leben. Beim Internet wird es sich ganz sicher nicht um einen vorübergehenden Modetrend handeln, deshalb müssen wir also lernen, mit diesem Kommunikationsmittel vernünftig umzugehen. Ich denke, dass sich über diesen Weg Sprache vertiefen kann. Mimik und Gestik fallen ja als Hilfsmittel weg und wir merken, was das für eine Bedeutung hat. Darüber hinaus nimmt uns das Internet allmählich die Ehrfurcht vor dem geschriebenen Wort und den einfältigen Glauben an das Bild. Die Besitzer der großen Sender und Verlage können den Menschen nicht mehr so einfach manipulieren. Es grassieren verschiedenste Wahrheiten und wir müssen uns daraus eine gesellschaftlich brauchbare zusammenstellen. Ich hoffe, dass es uns gelingt!
Dirk Zöllner 2023 (Foto: Johanna Bergmann)
Neben all der Grütze, die in den letzten drei Jahren so passiert ist, hast Du aber auch sehr viel Schönes erlebt. Die Party auf Rügen war schon Thema, die Produktion Deines Albums ebenso. Und Du bist Opa geworden … Erzähl doch mal was über den neuen Erdenbewohner und was er mit Dir macht.
Ach Gott, ja! Mein Baby hat ein Baby bekommen! Josua. So richtig habe ich es noch nicht realisiert, dass ich nun auch Opa bin. Habe ja mit Ludwig selber noch so'n kleinen Jungen im Hause. Mit vier Jahren ist er Onkel geworden. Rubini ist sehr intensiv Mutter, wir bieten ihr immer wieder an, mal ein bisschen um die Häuser zu ziehen und den Kleinen bei uns abzustellen. Sie macht leider nur spärlich Gebrauch von unserem Angebot.
Wird es eigentlich nochmal eine Neuauflage vom "Café Größenwahn" geben, oder ist das Thema beendet?
Ich plane nicht, ich folge dem Leben. Der Lust!
Gibt es noch einen Wunsch, den Du bzgl. einer musikalischen Kooperation mit einer Kollegin oder einem Kollegen hast? Neben wem möchtest Du nochmal auf einer Bühne oder gemeinsam im Studio stehen?
Mit den eigenen Kindern aufzutreten ist das Größte! Oder wie gerade passiert, ein gemeinsames Lied aufzunehmen. Ich hoffe, dass das noch oft passiert, ich bin immer bereit dafür, wenn sie es wollen. Die Begegnungen mit Steffi Breiting sind auch sehr schön und wie schon gesagt, die mit den 3HIGHligen. Habe im Moment keinen dringlichen Wunsch auf Neubegegnung, Wiederbegegnung reicht mir.
Ich danke Dir für die Antworten auf meine Fragen und die Zeit, die Du Dir dafür genommen hast. Gibt es noch ein paar letzte Worte, die Du an unsere Leser richten möchtest?
Seid lieb zueinander! Und vor allem zu mir, kauft unser neues Album und verbreitet die Kunde von seiner Herrlichkeit! In Ewigkeit! Ahoi.
Ich falle gleich mal mit der Tür ins Haus. Nach dem Hören des Songs "Portugal" stellt sich mir die Frage, wie groß denn Dein Fluchtgedanke derzeit noch ist. Willste immer noch weg oder war das "nur" eine Episode während der Pandemie?
Ich gehöre jedenfalls nicht zu den Menschen, die sich fest einrichten müssen. Der Weg ist das Ziel! Die tatsächliche Ankunft ist einzig und allein der Tod. Ja, ich habe mittlerweile die Vermutung, tatsächlich sterblich zu sein und das steigert natürlich den Fluchtgedanken. Es gibt doch noch so vieles zu entdecken, noch so vieles zu tun! Aber jetzt mal im Ernst: Nicht die Pandemie hat meine akuten Fluchtgedanken verursacht, sondern die Polarisierung der Gesellschaft und das damit verbundene Gezänk. Mit dem russischen Krieg in der Ukraine ist das nicht besser geworden. Im Gegenteil, jetzt scheinen tatsächlich die "Kreuzzüge" der großen Glaubensgemeinschaften zu beginnen und da wird es keine Rückzugsmöglichkeiten mehr geben. Selbst Portugal ist da nicht mehr weit genug entfernt. Die Menschheit spielt mit ihrer Existenz. Mein eigentlich unerschütterlicher Optimismus ist angeschlagen, ich mache mir ernsthaft Sorgen um die Zukunft meiner Kinder!
Der ursprüngliche Text zu "Portugal" ist ja vom Hähle. Hast Du ihn auf die aktuelle Zeit angepasst, oder welche Veränderungen hast Du darin vorgenommen?
Ja. Andreas Hähle, ich vermisse ihn sehr. Ich habe beschlossen seinen Tod zu ignorieren und mache es einfach wie gehabt, wühle in seinen Textmappen, gucke ob mich irgendwas anspringt und verwurste es mit meinen eigenen Gedanken. Das jetzige "Portugal" hieß bei ihm "Elegie auf einen Leipziger Helden". Ich habe die Geschichte zu mir nach Berlin geholt, gerührt und geschüttelt und am Ende ist ein typischer Hähle-Zöllner-Mix herausgekommen. So haben wir es immer gehalten und ich habe nicht vor, diese schöne Zusammenarbeit wegen seines beschissenen Todes einzustellen!
In den letzten drei Jahren ist mit Dir und um Dich herum ja eine ganze Menge passiert. Was hat Dich am meisten aus den Schuhen gehoben? Der Lock Down, der Ukraine-Krieg oder die Tatsache, dass seit dem letzten Sommer eine 6 vor der 0 steht?
Der kulturelle Lockdown hatte schon etwas Demütigendes, aber wir haben dieses Tal mit unseren Wohnzimmerkonzerten ganz gut umschifft. Über zwanzig "Rockdowns" haben wir gesendet und die Sympathisanten unserer Kunst haben uns emotional und finanziell über Wasser gehalten. Interessant zu erleben, wie die Gewohnheiten von einem auf den anderen Tag kippen können! Nun sind die Masken gefallen - das mit der Ukraine kann wesentlich schlimmer enden. Die Gefahr eines wirklich großen Infernos ist in die Nähe der Realität gerückt. Ich finde, dass die deutsche Regierung fahrlässig mit der Situation umgeht. Diese Drohgebärden, dieses Schwarz-Weiss-Denken, sind irgendwie 20. Jahrhundert. Doofe alte Schule! Kinder und Frauen werden doch auch nicht mehr geschlagen, ich erwarte da mehr helle Diplomatie von der guten westlichen Demokratie. Die Spirale der Idiotie muss unterbrochen werden! Wenn wir wirklich die Guten sein wollen, dann müssen wir den Bösen zeigen, wie's geht. Ich hoffe, Du verstehst meine Ironie? Und die 60, na ja… Im Vergleich zu den anderen Problemen ist das nicht so schlimm!
Die große 60 wurde mit einem schönen Fest auf Rügen gefeiert. Wie hast Du diese Tage da oben rund um Deinen Geburtstag im vergangenen Jahr empfunden und erlebt?
Es war eine wunderschöne Hippieparty, ein rauschhaftes Fest, etwa 300 Freunde, Fans und Sympathisanten waren vor Ort, darunter natürlich auch meine ganze Familie. Die Organisation war sehr aufreibend und hat alle Beteiligten gefordert. Mein Management, die Besatzung vom LebensGut Frankenthal, mich. Der Aufwand, der hier betrieben wurde, ist durchaus mit einer Albumproduktion zu vergleichen! Eine ziemlich egozentrische Veranstaltung, aber eben auch absolut gelungen. Anfassbares Glück, welches wohl allen beteiligten Menschen in Erinnerung bleiben wird. Auch das darauf folgende allsonntägliche Musikfestival "Sommer im Machandeltal", welches zu großen Teilen von mir und meiner Lebensgefährtin Johanna Bergmann organisiert wurde, war sowohl schönes Erlebnis als auch wichtige Erfahrung.
Die Party zum 60. Geburtstag im Machandeltal, Sommer 2022 (Foto: Ute Bella Donner)
Ist der Song "Machandeltal", der auf Deinem neuen Album zu finden ist, eigens für die neue Platte und diese Party im letzten Jahr entstanden, oder gab es den vorher schon, und steht Dein Vorhaben, Dich dort "im Alter" niederlassen zu wollen, noch?
Die Titel des neuen Albums sind im letzten Lockdown 21/22 entstanden, darunter auch das "Machandeltal" mit einem Text von Harald Wandel. Dieser Text hat mich so fasziniert, dass ich auch gleich meinen 60. Geburtstag unter dieses Motto gestellt habe. Es geht um die Reise in eine ideale Welt und es ist beschrieben, wer mitkommen darf und wer nicht. Auf Rügen habe ich das Machandeltal entdeckt und nur Leute dorthin eingeladen, die die Reisebedingungen erfüllen. Das Machandeltal ist allerdings kein fester Ort, es kann morgen ganz woanders sein. Ich werde mich also nie wirklich irgendwo fest niederlassen können. Leider. Doch der Glaube ans Paradies tröstet mich. So wie die allermeisten anderen Menschen auch.
Kommen wir mal zum neuen Album "Portugal", das hier ja nun schon mehrfach erwähnt wurde. Es ist das erste neue Studioalbum seit "Dirk & das Glück" aus dem Jahre 2017. Du hast Dir für das Erschaffen neuer Songs ganz schön viel Zeit gelassen, oder? Hätte man in der DDR seinen Trabi schneller bekommen als wir jetzt demnächst das nächste Album von Dir? Muss man sich bei Dir in Zukunft an so lange Wartezeiten gewöhnen?
Das klingt ja fast vorwurfsvoll … äh, ja… so'n alter Mann ist doch kein D-Zug! Und ein mit der Pandemie verbundenes Auftrittsverbot ist ja nun auch nicht so optimal für den Verkauf von Tonträgern. Regelrecht tödlich für Bands wie uns, die ihre Alben vor allem nach den Konzerten absetzen. Und bei "Portugal", mein lieber Freund, handelt sich immerhin um die siebzehnte Veröffentlichung unter dem Namen Zöllner. In dreiunddreißig Jahren! Dazwischen noch vier Bücher, CDs mit anderen Künstlern und wahrscheinlich an die Zweitausend Konzerte. Die ZackZackZessions von 2019, die wir vor Publikum abhielten, waren auch eine Studioproduktion, selbst wenn es sich fast ausschließlich um bereits existierende Songs handelte. "Herzschlagen" war da die einzige Neukomposition, aber alle anderen Titel wurden neu arrangiert und teilweise mit Bläsern versehen, wo vorher keine waren. Durchweg neu sind die großartigen Chor-Arrangements von Anna-Marlene Bicking, die sie zusammen mit meiner Tochter Rubini als Overdub eingesungen hat. Neu ist auch, dass wir alles mitgefilmt haben und im Bundle, als CD und DVD veröffentlichten. An "Herzschlagen" haben Hähle und ich übrigens bis kurz vor seinem Tod herum geschraubt! Im Angesicht der Sterblichkeit, wird die Liebe für alles was einen umgibt größer und so nimmt vor allem die Familie einen immer höheren Stellenwert ein. Ich will Zeit mit ihr verbringen, zumal ich das Glück habe, von noch minderjährigen Kindern umgeben zu sein. Ja, Du hast recht, man muss sich an längere Wartezeiten gewöhnen! Auf einen Trabi musste man doch volle zehn Jahre warten, wenn ich das recht in Erinnerung habe? Im Moment weiß ich gar nicht, ob ich mich überhaupt nochmal auf so einen Kraftakt einlasse, ein Album herauszubringen!
Du bist mit André zum Schreiben der Songs für "Portugal" zeitweise in die Gassmühle Rotta gezogen. Warum ausgerechnet dahin und in wie weit hat Euch das Umfeld dort beim Arbeiten beeinflusst?
Wir sind kurz zuvor, also in der sommerlichen Coronapause, schon mal in der Gassmühle aufgetreten und fanden die Arbeitsbedingungen optimal. Die Hausherren, also Torsten und Simone Sielaff, sind sehr angenehme Menschen. Wie gendert man eigentlich Hausherr? Egal, Hausherr und Hausfrau, beide super! Tolles Ambiente, schöne Unterkunft, viel Platz für's Miteinander und gute Rückzugsmöglichkeiten. So ein schöner Ort beflügelt natürlich die Gedanken!
Die Rezension zum Album findet Ihr HIER
Kannst Du kurz was zum Entstehen des Albums erzählen? Wie lange wart Ihr insgesamt damit beschäftigt und wie habt Ihr die Lieder unter den "pandemischen" Voraussetzungen eingespielt?
Kurz. Nun gut, ich versuche es. Fast das gesamte Albummaterial ist dort in Rotta bei Leipzig Innerhalb von zehn Tagen entstanden. Zwischen André Gensicke und mir. Im Lockdown 21/22. Unser Freund und Toningenieur Marcel Wicher war ebenfalls dabei und hat all unsere geistigen Ergüsse festgehalten. Gensi und ich haben sowohl miteinander als auch separat gearbeitet. Der einzige Titel, den es schon vorher gab, war "Zwei blinde Passagiere". Unsere Dresdner Rhythmusgruppe, Lars Kutschke, Oliver Klemp und Stephan Salewski, kamen auch mal heimlich vorbei und wir haben gejammt. Die Lockdown-Polizei hat nichts mitbekommen! Lars hatte die harmonischen Gerüste zu "Alles auf Anfang" und "Mach das Licht an" im Gepäck, Gensi hat die Melodien dafür geschrieben und ich habe sie betextet. Ich habe dann noch die besagte "Elegie auf einen Leipziger Helden" von Hähle entdeckt und daran rumgeschraubt, alle anderen Texte stammen von Poeten, die mir bei Facebook begegneten und deren Gedichtbücher ich mir daraufhin besorgt habe: Henry-Martin Klemt und Jürgen Gutsch. Und dann ist da noch das schon erwähnte "Machandeltal" vom Brachial-Liedermacher Harald Wandel. Brachial deshalb, weil er mit Abstand die längsten lyrischen Werke Deutschlands schreibt. Im Hip-Hop-Bereich gibt es vielleicht noch derartige Wortlawinen, aber ansonsten liegt Harald in dieser Disziplin ganz weit vorn. Er hatte seinen Text vom "Machandeltal" bereits selbst vertont. Ich habe das Lied bei einem seiner Auftritte gehört und war völlig aus dem Häuschen. Die Nummer war allerdings eine gefühlte Viertelstunde lang. Ich habe ihn dann um Erlaubnis gebeten, ob ich den Text noch mal auf meine Art vertonen kann, und er hat zugesagt. Apropos zu lang. Du hattest mich gebeten, mal kurz was zum Entstehen des Albums zu sagen!
Nein, alles gut! Fließt doch. Solange ich nicht einschlafe, musst Du Dir keine Sorgen machen!
Die pandemischen Maßnahmen wurden ja dann im Frühjahr 22 ein wenig gelockert, was meines Erachtens mit dem Ausbruch des Krieges im Februar zusammenhängt. Im März haben wir die Tonscheune von Rainer Oleak gebucht, um die thematisch brennenden Titel "Machandeltal" und "Wenn die Masken endlich fallen" einzuspielen. Ist auch passiert, allerdings ohne mich, denn mein Test fiel leider positiv aus. Die Produktion zog sich in die Länge und es kamen wie schon erwähnt andere aufwändige Produktionen dazwischen und vor allem: Endlich wieder Konzerte! Die Band hat die restlichen Titel erst Ende 22 in den "Castle Studios" zu Röhrsdorf eingespielt, aber ich glaube: Gott war bei uns! Die Gesänge und Chorarrangements habe ich mit meinem Freund Holly Loose entworfen und in seinem Studio in Berlin aufgenommen. Das ist der Frontmann der Band LETZTE INSTANZ.
Bist Du ein gläubiger Mensch?
Ja. Allerdings Autodidakt. Es gibt Dinge, die sich nicht in Zahlen und Formeln pressen lassen. Die Liebe zum Beispiel. Ich nenne sie Gott.
Dirk Zöllner (Foto: Johanna Bergmann)
Was waren für Dich die Gründe, den Text zum Song "Mama unser" zu vertonen? Die KatholischeKirche wird Dich dafür sicher feiern ;-)
Die Glaubensverwalter sind mir egal. Außerdem ist der Text von Henry-Martin Klemt, er muss in die Folterkammern der Inquisition! Aber mal im Ernst, er ist mich regelrecht angesprungen. Also der Text, nicht Henry-Martin! (lacht) Aber meines Erachtens fehlte dem Werk noch ein Refrain und da ist mir das "Mama Unser" eingefallen. Bei HMK hieß der Song einfach nur "Gläubiges Lied". Für die blasphemische Umdeutung des christlichen Ur-Gebetes, muss ich also auf die Streckbank!
Du hast auf "Dirk & Das Glück" von 2017 ja ausschließlich Texte von Werner Karma vertont. Auf "Portugal" ist mit "Zwei blinde Passagiere" ein weiterer Karma-Text mit drauf. War das einer, der bei der letzten Album-Produktion hinten raus fiel oder wurde er für "Portugal" neu entdeckt und vertont?
Ja, tatsächlich wiederentdeckt. Den Text habe ich schon vor 20 Jahren vertont und gelegentlich mit Gensi als Duettpartner vorgetragen. Albern, weil wir ja nur langweilige Heteros sind. Nun haben wir es glaubhafter gemacht und unsere Freundin, die wunderbare Steffi Breiting, zur platonischen Obsession geladen!
Ja. Einmal mehr ist hier Steffi Breiting mit Dir im Duett zu hören. Wird es nicht langsam mal Zeit, ein komplettes Album mit ihr als Deiner Gesangspartnerin zu machen?
Das wäre für mich tatsächlich ein triftiger Grund, doch noch einmal den steinigen Weg einer Album-Produktion auf mich zu nehmen! Aber jetzt muss ich mich erstmal erholen. Schlimm ist ja nicht die Aufnahme und der kreative Prozess, lieber Christian. Schlimm ist der organisatorische Aufwand, das Klinkenputzen. Die ganze Geldbeschaffung und der mühevolle Akt, das Baby ans Licht der Welt und dann vor allem ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Da kommt man sich gelegentlich vor wie ein Bettler. Nicht falsch verstehen, das Gespräch mit Dir macht mir Spaß, Du scheinst ja auch wirklich interessiert zu sein!
Dieser Schein trügt nicht. Wenn Du selbst nochmal "Alles auf Anfang" stellen könntest … Wo würdest Du ansetzen?
Eigentlich bin ich mit mir im Reinen. Mein Freund, unser Toningenieur Marcel Wicher, fehlt mir! Er hat im Frühjahr dieses Jahres die Zusammenarbeit mit mir gekündigt. Über zehn Jahre war er an meiner Seite und neben Gensi mein wichtigster Kreativ-Partner. Seine Lebensgefährtin Nicole hat die finanziellen Geschicke der Zöllner-Unternehmungen gelenkt und geleitet, also besser gesagt, die beiden gab es nur im Doppelpack. Mit Ansage! Sie wurde immer einnehmender, das hat mich gestört, und es kam zu einer Entfremdung. Es war wie in einer alten Ehe, meine Kreativität war ausgebremst und nach mehreren Krisen habe ich die Scheidung eingereicht. Eine sehr schwere Entscheidung, keinesfalls im Affekt! Aber in der mir eigenen Egozentrik habe ich gehofft, dass Marcel vielleicht trotzdem bei mir bleibt. Er ist mit seiner Frau gegangen! Die Beiden haben ein gemeinsames Kind im Hause, da hatte ich natürlich keine Chance. Vielleicht hätte ich im Frühjahr nochmal ansetzen sollen, mit einer Paar-Therapie zwischen Nicole und mir. Hätte, hätte, Fahrradkette! Mittlerweile ist das nicht mehr möglich, Nicole hat einen Rosenkrieg eröffnet und Marcel ist ihr Adjutant. Mir dreht sich das Herz um. Marcel hat immer gesagt: Du Profi, Ich Profi - und damit hatte er absolut recht! Nach meinem Empfinden hat er unseren Leitspruch aufgegeben. Ich glaube aber, dass es eines Tages wieder einen Ansatz zwischen uns geben wird: Meine Tür steht offen! Bei dem Song "Alles auf Anfang", auf den Du hier anspielst, wird ein neuer gesellschaftlicher Ansatz eingefordert. Ich finde, dass wir vor dreiunddreißig Jahren die Chance zu einer guten gesellschaftlichen Alternative vergeigt haben. Vorher, in der DDR auch schon. Ich finde, es ist an der Zeit den Begriff "Sozialismus" wieder zu etablieren! Für sehr viele Menschen wäre er gut und wichtig. Traut sich nur im Moment noch keiner zu sagen, denn die ersten sozialistischen Großversuche waren einfach zu kleinkariert. Zu stumpf. Und in einigen Ausführungen sogar völlig aus dem menschlichen Ruder laufend.
Die Zöllner (Foto: Johanna Bergmann)
Von den 12 Liedern auf Deinem neuen Album hast Du doch sicher einen oder mehrere Favoriten. Welche sind es und welche der Stücke wird es auch live auf der Bühne geben? Du bist in Sachen Konzerte ja immer unterwegs und spielst live. Ich nehme aber an, dass es passend zum Album auch ein neues Programm geben wird. Liege ich da richtig?
Absolut! Natürlich werden wir so viele Lieder wie möglich in ein neues Live-Programm einarbeiten. Im November, Dezember werden wir "Portugal" mit Pauken & Trompeten präsentieren. "Zwei blinde Passagiere" werden wir natürlich nur spielen, wenn Steffi dabei ist, und das wird leider nicht immer der Fall sein. "Mach das Licht an" ist ein Titel, der mich auf dem Album gerade besonders anspricht. Aber hier oktaviere ich mich durchweg, für Laien: Ich singe sozusagen mit mir selbst im Duett. Lässt sich live schwer realisieren. Auf jeden Fall werden der Titelsong, "Mama Unser", "Der alte Zorn", "Kullerkeks und "Sie lacht und schwingt" zu hören sein. "Wenn die Masken endlich fallen" wohl nicht, die Zeit hat andere Themen. Der "Käfer" ist leider wieder aktuell. "Bleifrei" und "Neue Wege". Der letztgenannte Titel ist übrigens die B-Seite der Vinyl-Single "Mama Unser", eine Version, die ich mit meinen Kindern Rubini und Egon eingesungen habe. Da kommt jetzt auch noch ein Video dazu heraus.
Was wünschst Du Dir für Dein neues Album? Einmal vom Charterfolg abgesehen … Wo willst Du mit "Portugal" landen und wen möchtest Du erreichen?
Natürlich wünsche ich mir einen Charterfolg, aber ich glaube nicht mehr so recht daran. Wir haben uns als eine Band für Künstler und Kunstliebhaber etabliert und damit bin ich sehr zufrieden! Ich bin mir sicher, dass wir diesen Anspruch mit unserem neuen Album vertiefen können und vielleicht können wir unseren schönen Veröffentlichungen der letzten Jahre sogar die Krone aufsetzen. Ich denke, wir sind auch inhaltlich gut an der Zeit und beteiligen uns damit an der Neugestaltung der Gesellschaft. Im positiven, hellen Sinne. Mit konservativem Rumgeheule haben wir nichts zu tun - es muss weitergehen, in Liebe und auf friedlichem Wege!
Ist Dir in Sachen Erreichen von Hörern die neue Plattenfirma SPV eine große Hilfe? Kam von SPV die Idee mit den drei Vinyl-Singles als vorab gereichten Appetitanregern, oder war das Deine Idee?
Die Firma übernimmt administrative Aufgaben. Das Geld müssen wir mehr oder weniger selber erwirtschaften. Wir haben einen Vorschuss bekommen und eine Menge Struktur. Die Idee mit den Appetitanregern kam tatsächlich von mir, aber ich hatte da mehr USB-Sticks im Sinn und an eine erneute Crowdfunding-Aktion gedacht. Ohne die Logistik und die Kontakte von SPV hätten wir das mit den Vinyl-Singles nicht hinbekommen. Als Normalsterblicher muss man sich bei den Presswerken ja mittlerweile schon ein Jahr vorher anstellen. Die CD geht langsam flöten, aber es gibt eine Wiederauferstehung der Schallplatte! Sogar Leute, die keinen Plattenspieler besitzen, schlagen hier zu. Wahrscheinlich streamen die alles und gucken sich dabei die Texte und Infos auf dem großen Cover und im Booklet an. Wir haben hier im Übrigen einen sehr großen Aufwand betrieben: Die Grafiken und das Design aller Vorab-Singles und des Albums stammen vom etablierten Maler Jörg Menge. Eine glückliche Symbiose ist hier entstanden. Ich arbeite mit dem Künstler bereits an etwas ganz Neuem, aber darüber möchte ich an dieser Stelle noch nicht sprechen!
Die drei vorab erschienenen Singles
Nun gut, dann bleiben wir beim Thema: Welche Idee steckte eigentlich konkret hinter dieser tollen Veröffentlichungsstrategie? Sowas kennt man ja seit den 80ern nicht mehr, dass drei 7" Singles erscheinen und dann erst die Langrille folgt. Wie haben es die Fans an- und aufgenommen? Sind die Platten, die ja limitiert waren, schon alle vergriffen oder noch welche auf Lager?
Sie gehen sehr gut weg! Von "Portugal", der ersten Single, halten wir noch einen Karton in Reserve. Für absolute Liebhaber und für den Live-Verkauf. Sind ja nicht alle Zöllner-Fans in meiner Facebook-Blase, über die ja bisher die gesamte Werbung ablief. Die "Blinden Passagiere" gehen auch langsam von Bord und "Mama Unser" ist erst vor 14 Tagen rausgekommen. Ich denke mal, dass mit dem Erscheinen des Videos zur speziellen B-Seite "Neue Wege 2.0", die Vorräte verdampfen werden. Eine Bewerbung außerhalb der Welt meiner Facebook-Homies muss es also gar nicht mehr stattfinden. Mit dem Erlös aus dem Verkauf unserer Singles wurde letztendlich das Album fertiggestellt. Eine sehr elegante Variante des Crowdfundings, wie ich finde. Und die Stück-für-Stück-Veröffentlichung eines Albums passt natürlich absolut zur Schnelllebigkeit unserer Zeit. Du sprichst von Strategie, ich würde sagen: Cool durch Zufall! Wenn man nicht Helene Fischer oder Peter Fox heißt, und so wie wir abseits der großen Musikindustrie agiert, gleicht das Schicksal eines Albums dem einer Tageszeitung. Na gut, sagen wir mal dem Schicksal eines Wochenmagazins. Das ist doch bitter, oder? Das ist mir tatsächlich zu wenig Aufmerksamkeit für die jahrelange Arbeit an einem Album! Ich benötige nach dem Schöpfungsakt längere Streicheleinheiten von meiner Umgebung!
Du bist ja ein sehr kommunikativer Mensch und dementsprechend auch in den sozialen Netzwerken unterwegs. Bei einer Diskussion im letzten Jahr gab es viel Unruhe um Dich, als Du Position bezogen und Dich gegen Waffenlieferungen in die Ukraine ausgesprochen hast. Das zog auch ziemlich viel Kritik seitens Kollegen und Fans nach sich. Rückblickend darauf: Würdest Du alles nochmal genauso machen oder bei der Möglichkeit "Alles auf Anfang" dann doch lieber die Finger still halten, und keine Position mehr öffentlich beziehen?
Ich stehe auf der Bühne. Ich zeige mich. Ich bin kein Animateur, der zum Mitsingen und Schunkeln anregt. Es ist mir auch nicht gegeben, zu verharren. Still und unbemerkt wie ein Zeck auf den richtigen Moment zu warten, um parasitär zu überleben. Mein Herz ist keine Mördergrube. Dass ich mich in meiner Privatheit zeige, ist wahrscheinlich meine eigentliche Kunst. Ich bin mir sehr bewusst, damit zu polarisieren und ich halte das auch recht gut aus. Ein Ersatzmusiker meiner Band hat sich von mir abgewandt, ohne ein Gespräch mit mir zu suchen. Das hat mich verletzt. Nun gut, es kam gar nicht dazu, dass wir uns wirklich persönlich kennenlernten. Er verfolgte meine Facebook-Diskussionen und wahrscheinlich nahm er Anstoß daran, dass ich den Diskurs zulasse. Ich blockiere nur die allergrößten Vollpfosten. Ansonsten liegt mir sehr viel daran, im Gespräch zu bleiben und vielleicht ein paar strauchelnden Figuren dabei zu helfen, den Pfad der Liebe zu finden. Okay, eine echte Freundin ist mir tatsächlich verloren gegangen! Sie hat mich bei Facebook geblockt und ist danach nie wieder in meinem Umfeld aufgetaucht. Ebenfalls eine Künstlerin. Das ist nachhaltig sehr irritierend für mich. Wahrscheinlich war die Freundschaft einseitig, bzw. ich gehe vielleicht zu inflationär mit diesem Begriff um. Hier bin ich nicht nur verletzt, sondern sogar enttäuscht. Ich akzeptiere ihre konservativen Ansichten und kann damit locker leben. Sie stört sich an meinen Ansichten zu den deutschen Waffenlieferungen. Ich schicke hiermit eine schöne bunte Ansichtskarte aus dem Machandeltal in ihre schwarz-weiße Welt. Verbunden mit Wünschen für eine baldige und vollständige Genesung!
Dirk Zöllner 1996 (Foto: Jim Rakete)
Ich habe diese Frage auch André Herzberg, Deinem Kollegen von den 3HIGHligen, im letzten Interview gestellt, und stelle sie Dir jetzt auch. Wie funktioniert es bei den 3HIGHligen aus Deiner Sicht, wo ja bekanntlich unterschiedliche Meinungen im Team sind, was Ukraine, Corona und andere heiße Eisen der Zeit betrifft?
Wir können gut streiten und ich sehe das als eine unserer großen Stärken an! Momentan knickt Dirk Michaelis ein wenig ein, aber das darf er. Das ist André und mir auch schon passiert. Im Angesicht der greifbaren Endlichkeit finde ich es allerdings bedauerlich, wenn wir länger als ein Jahr voneinander Abstand halten. Ich kann da jetzt nur von mir reden, aber ich empfinde trotz aller Unterschiedlichkeiten und Reibereien Freundschaft. Mit Dirk pflege ich seit 38 Jahren erhellende Begegnungen, mit André bin ich seit 33 Jahren befreundet. Unsere highlige Unternehmung feiert in diesem Jahr das 30-jährige Jubiläum und wir haben im Januar unsere bisher erfolgreichste Tour absolviert! Aus einer emotionalen Personality-Show ist mit den Jahren eine groovige Band geworden. Auch Dank der beiden Scheinhighligen Tobias Hillig und Karl Neukauf. Das Ding muss jetzt durchgezogen werden! Bis der Tod uns scheidet.
Viele Nutzer dieser sozialen Netzwerke fallen ja bei unterschiedlichen Themen durch ziemlich viel Meinung bei nur wenig Ahnung und Problemen in Bezug auf Anstand und gutem Benehmen auf. Hältst Du diese Seiten im Netz für den richtigen Platz für einen fruchtbaren und auch gesitteten Meinungsaustausch?
Es ist nicht leicht. Facebook ist der neue Stammtisch. Um einiges größer als der traditionelle und wir müssen irgendwie damit leben. Beim Internet wird es sich ganz sicher nicht um einen vorübergehenden Modetrend handeln, deshalb müssen wir also lernen, mit diesem Kommunikationsmittel vernünftig umzugehen. Ich denke, dass sich über diesen Weg Sprache vertiefen kann. Mimik und Gestik fallen ja als Hilfsmittel weg und wir merken, was das für eine Bedeutung hat. Darüber hinaus nimmt uns das Internet allmählich die Ehrfurcht vor dem geschriebenen Wort und den einfältigen Glauben an das Bild. Die Besitzer der großen Sender und Verlage können den Menschen nicht mehr so einfach manipulieren. Es grassieren verschiedenste Wahrheiten und wir müssen uns daraus eine gesellschaftlich brauchbare zusammenstellen. Ich hoffe, dass es uns gelingt!
Dirk Zöllner 2023 (Foto: Johanna Bergmann)
Neben all der Grütze, die in den letzten drei Jahren so passiert ist, hast Du aber auch sehr viel Schönes erlebt. Die Party auf Rügen war schon Thema, die Produktion Deines Albums ebenso. Und Du bist Opa geworden … Erzähl doch mal was über den neuen Erdenbewohner und was er mit Dir macht.
Ach Gott, ja! Mein Baby hat ein Baby bekommen! Josua. So richtig habe ich es noch nicht realisiert, dass ich nun auch Opa bin. Habe ja mit Ludwig selber noch so'n kleinen Jungen im Hause. Mit vier Jahren ist er Onkel geworden. Rubini ist sehr intensiv Mutter, wir bieten ihr immer wieder an, mal ein bisschen um die Häuser zu ziehen und den Kleinen bei uns abzustellen. Sie macht leider nur spärlich Gebrauch von unserem Angebot.
Wird es eigentlich nochmal eine Neuauflage vom "Café Größenwahn" geben, oder ist das Thema beendet?
Ich plane nicht, ich folge dem Leben. Der Lust!
Gibt es noch einen Wunsch, den Du bzgl. einer musikalischen Kooperation mit einer Kollegin oder einem Kollegen hast? Neben wem möchtest Du nochmal auf einer Bühne oder gemeinsam im Studio stehen?
Mit den eigenen Kindern aufzutreten ist das Größte! Oder wie gerade passiert, ein gemeinsames Lied aufzunehmen. Ich hoffe, dass das noch oft passiert, ich bin immer bereit dafür, wenn sie es wollen. Die Begegnungen mit Steffi Breiting sind auch sehr schön und wie schon gesagt, die mit den 3HIGHligen. Habe im Moment keinen dringlichen Wunsch auf Neubegegnung, Wiederbegegnung reicht mir.
Ich danke Dir für die Antworten auf meine Fragen und die Zeit, die Du Dir dafür genommen hast. Gibt es noch ein paar letzte Worte, die Du an unsere Leser richten möchtest?
Seid lieb zueinander! Und vor allem zu mir, kauft unser neues Album und verbreitet die Kunde von seiner Herrlichkeit! In Ewigkeit! Ahoi.
Interview: Christian Reder
Fotos: Johanna Bergmann, Jim Rakete, Ute Bella Donner
Fotos: Johanna Bergmann, Jim Rakete, Ute Bella Donner