Interview vom 22. Juni 2023
Ansa Sauermann, der mit bürgerlichem Namen André Sauermann heißt, ist im Wendejahr 1989 in Dresden geboren und seit einigen Jahren schon als Singer-Songwriter unterwegs. Inzwischen hat er zwei EPs und drei Alben veröffentlicht, das letzte mit dem Namen "Du kriegst was Du brauchst" ist im Juni auf den Markt gekommen (Rezension: HIER). Kurz vor der Veröffentlichung dieses Werks hatte unser Kollege Christian die Gelegenheit, den seit 2019 in Wien beheimateten Sachsen zu seiner neuen Scheibe und diverse andere Dinge zu befragen. Es war nicht das erste Zusammentreffen der beiden Gesprächspartner ...
Hallo Ansa, sind Sie eigentlich noch Dresdener oder bereits ein waschechter Wiener?
Hallo! Ich weiß nicht, ob das ein Prozess ist, der irgendwann abgeschlossen ist. Wurzeln kann man nicht einfach abschneiden. Ich merke aber, dass das "Das geht sich schon aus" in mir größer wird und das "Das geht so aber ni" kleiner. Nicht sauer sein, Dresden! Und so groß ist der Unterschied auch wieder nicht: ein Tal, Weinberge drumrum, Fluss durch, plus U-Bahn. Zack fertig. Nur alles mal vier und zum Mittag gibt es Weißen Spritzer. Na gut, der Kaffee schmeckt besser und man ist mit dem Zug in einer Stunde am Semmering und in sieben Stunden in Venedig.
Was waren die Gründe für Ihren Umzug nach Österreich im Jahre 2019?
Ich hatte davor ein Jahr lang Berlin ausprobiert und bin drauf gekommen, dass das wohl nicht meine Stadt ist. Ich brauche eine Stadt, die nicht zu klein ist, in der ich mich aber selbst jederzeit verorten kann. Berlin hat sich so nicht angefühlt. Wien schon eher. Und der Bezug war auch da. Über Freunde und über die Produktion mit Paul Gallister (Wanda, Conchita Wurst) an meinem ersten Album "Weiße Liebe". Und Wien war schon immer ein kultureller Schmelztigel, da hatten sie auch noch Platz für einen entlaufenen Dresdner.
Als ich Sie im Oktober 2014 das erst Mal gesehen und gehört habe, sind Sie im Vorprogramm von LUXUSLÄRM aufgetreten. Damals in der Zweierbesetzung mit Adrian Röbisch. Der spielt noch heute in Ihrer Band. Ist vom damaligen ANSA heute noch etwas anderes übrig geblieben, oder haben Sie sich komplett verändert?
Das ist mittlerweile fast unglaubliche zehn Jahre her. So gleich und doch so anders. Man wird ruhiger. Manche heiraten sogar. Klar geht in zehn Jahren leider auch viel Unschuld und Naivität verloren. Wobei etwas weniger Naivität in geschäftlichen Dingen etwas früher, das wäre schon von Vorteil gewesen. Man fragt sich, was für eine Art Mensch man ist. Ob man der geworden ist, der man sein will. Man merkt, dass es weh tut, wenn die beiden Dinge zu weit voneinander weg sind. An welchen Stellen, man sich selbst vielleicht etwas vormacht. Ich hab mich gerade mit Adrian darüber unterhalten. Mitte 30 nennt sich das wohl. Und dann gibt es immer noch diese Momente: Das Richtige Lied im richtigen Moment und alles löst sich auf in die totale gegenwärtige Euphorie. Und das ist dann wieder wie damals, 2014.
Damals waren Sie nur mit dem Namen ANSA unterwegs, quasi als Kurzform des Vor- und Zunamens. Inzwischen tragen Sie zum Kürzel auch den Nachnamen. War das ein strategischer Grund, damit Sie in Suchmaschinen besser gefunden werden können?
Möglicherweise gab es da einen Rapper mit dem gleichen Namen, aber ich hab so ein schlechtes Gedächtnis.
Sie erzählten mir damals am Rande des Konzerts, dass es nicht einfach ist, als junger Nachwuchsmusiker einen Fuß in die Tür zu bekommen. Erzählen Sie mir doch bitte mal, wie Sie es trotzdem geschafft hast, vom Anheizer im Vorprogramm einer Rockband zu einem eigenständigen Künstler mit inzwischen zwei veröffentlichten und einem in den Startlöchern stehenden Album zu werden...
Es ist immer noch nicht leicht. Die Produktion eines Albums mag leichter geworden sein, aber ich glaube, es war noch nie so riskant wie derzeit auf Tour zu gehen. Die Produktionskosten sind enorm gestiegen, die Veranstalter haben gelitten, manche das Handtuch geworfen. Gleichzeitig kaufen die Menschen weniger Tickets im Vorverkauf, das heißt, die Planungssicherheit wird geringer. Man muss wahnsinnig stur sein. Und man opfert viel: Gesunden Schlaf, Sicherheit, vermutlich Rente... Aber es lohnt sich unterm Strich emotional. Sonst würde ich es nicht machen.
Damit sind wir auch schon beim Thema. Ihr neues Album kommt jetzt am Freitag (23. Juni 2023) raus. Bitte beschreiben Sie den Leuten da draußen doch mal kurz, was Sie da auf Vinyl und CD gebannt haben.
Es ist eine Liebeserklärung. Ein Album, das sich von selbst geschrieben hat, sich mir aufgedrängt hat. Ich singe über die kleinen Dinge, die mehr Aufmerksamkeit verdient haben. Es beginnt ruhig, steigert sich über die Liebe zu Themen wie Konsum, Arroganz oder Selbstgefälligkeit und endet versöhnlich mit einem Traum.
Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihnen die konzertlose Zeit zwischen 2020 und 2022 genügend Gelegenheiten gab, der "Trümmerlotte" schnell einen Nachfolger in den Windschatten zu stellen?
Schnell würde ich jetzt nicht sagen. Ich bin auch niemand, der jeden Tag etwas raushauen kann. Ich bin kein klassischer Handwerker des Songwritings, wie vielleicht Bob Dylan, der phasenweise wohl täglich Songs geschrieben hat. Ich versuche es immer wieder, aber bin am Ende eben doch auf den Musenkuss angewiesen. Aber ich bin besser geworden, diesem nachzuhelfen. Ich habe während Corona gelernt, dass man sich auch in kreative Räusche malen kann. Das mache ich tatsächlich mit meiner Frau gemeinsam und ab und an malen wir am Ende ein Lied. Fragen Sie mich nicht, wie das geht, it ?s magic.
Ich habe das Album gehört und musste feststellen, dass Ihnen mit Ihrer Stimme und den Inhalten eigentlich eine Gitarre oder ein Klavier als Begleitung reichen würden - und teilweise ja auch tatsächlich reichen. Nur bei einem Song, den ich später noch anspreche, kommen Sie mal so richtig "laut" rüber. Halten Sie sich selbst eher weniger für eine krachende Rockband geeignet?
Auf keinen Fall. Genau da komme ich auch her und so werde ich auch irgendwann mal wieder klingen. Und wenn es nur für eine EP ist. Bei den letzten beiden Alben aber wollte ich Anderes ausprobieren. Ich habe aber noch ein paar Lieder in der Schublade, bei denen es ordentlich kracht.
Sind die Arrangements Ihren Ideen entsprungen oder gibt es in Ihrem Umfeld Leute, die Sie da unterstützen?
Im Grunde mache ich das selbst. Vor allem die Harmonien, Texte und auch Grundarrangements. Es gibt aber auf jeder Platte auch Songs, bei denen Adrian Röbisch (mein Gitarrist) oder auch Max Payer seine Finger im Spiel hatten. Im Studio schraubt man dann zusammen mit dem Produzenten an den Feinheiten.
Apropos Studio: Wie haben Sie das Album aufgenommen? Live im Studio mit Band oder haben die einzelnen Musiker und Sie als Sänger ihre Parts einzeln eingespielt?
Teils, Teils. Zum einen haben wir Drums, Akustik-Gitarre und den Hauptgesang live eingespielt und im Nachhinein Piano, Bass, weitere Stimmen oder Trompeten hinzugefügt. Es gab aber auch Songs, bei denen alles der Reihe nach auf eine Pilotspur von mir eingespielt wurde. Ich habe das große Glück in Wien in einem höchst musikalischen Dunstkreis gelandet zu sein. Das sammelt sich alles im Studio vom Fuzzman im siebten Bezirk. Da sitzt auch das Lotterlabel. Da springen den ganzen Tag die talentiertesten Leute rum. Die spielen teilweise auch bei Pauls Jets, Voodoo Jürgens, aber auch in so abgefahrenen experimentellen Kapellen. Da können gefühlt alle alles spielen. Wenn man grad im Studio alleine mit Fuzzmann (Herwig Zamernik) arbeitet und hat da diese eine Idee für Trompete oder Klavier. Einer ist immer da und macht das schnell.
In welche Stimmung müssen Sie sich versetzen oder was muss passiert sein, damit Sie z.B. ein Lied wie "Schmuck & Dieb" mit diesen aus Worten gemalten Bildern schreiben können? Dies scheint ja pauschal Ihre Stärke zu sein, dass Sie verschiedene, auch alltägliche Themen mit wenigen Worten in Poesie verwandeln können. Ist das eine Gabe Gottes oder ist diese Kunst das Ergebnis eines längeren Lernprozesses?
Ich muss mich verlieben. Diese Gefühle dann in die richten Worte zu verpacken, ist teils Glückssache, teils Übung.
Gibt es in Sachen Textdichtung für Sie Vorbilder?
Ich kann mich nur ins Klischeenest setzen, aber ich sag ?s jetzt trotzdem: Bob Dylan, Rio Reiser, Jannis Ritsos.
Lassen Sie uns bitte noch zu zwei oder drei Songs ein paar Worte mehr verlieren. Auch beim Song "B-Seiten" stellt sich mir die Frage, wie Sie eine Schallplatte als Metapher für das Leben hernehmen können. Was steckt hinter diesem Lied?
Es geht um liebenswürdige Halunken, verkannte Genies, Säufer, Liebende, Verlorene, Gefundene, Erleuchtete, solchen, die es gerne wären. Zur Schallplattenmetapher: Auf den A-Seiten waren damals doch oft die massentauglichen Mitsing-Hits, die B-Seiten waren den etwas unbequemeren Songs, oft die Lieblingslieder der Musiker, vorbehalten. Den Song habe ich zum Beispiel mit Adrian zusammen geschrieben.
Das "Schlaflied" ist auch nur der Musik wegen als solches zu verwenden, denn der Inhalt benötigt doch einen wachen Verstand, oder? Ein Wolf im Schafspelz?
Tatsächlich ist es vielleicht ein Lied über Sucht, insofern interessant, dass Ihnen das Bild vom Wolf im Schafspelz in den Sinn kommt. Ich hab es einem Freund gewidmet, der manchmal den Halt verliert. Kennen Sie "Das verlorene Wochende" von Charles Jackson?
Nein, ist mir nicht bekannt …
Daran muss ich denken, wenn ich es höre. Aber vielleicht geht es auch um etwas ganz anderes.
Einen doch eher "lauten" Song haben Sie mit "Erfolglos" auf der Platte. Klingt wütend, Sie selbst beim Vortrag auch. Waren Sie beim Schreiben wütend?
Nein. Im Grunde ist es eine Hommage an die kleinen Dinge, die einen schon sehr glücklich machen können. Ein freier Nachmittag, Sonne, ein gutes Getränk und Buch in der Hand. Dass der Song dann zum Soundtrack der Verfilmung von Thees Uhlmanns Buch "Sophia, der Tod und ich" ausgewählt wurde, macht mich sehr stolz.
Wir hatten unlängst im kleinen Kreis das Thema Rundfunk und wer da heute noch Chancen hat, gespielt zu werden. Wie sehen Ihre aus? Sind Sie mit Ihren Zeiten im Radio zufrieden oder ist das ausbaufähig?
Ich war gerade fünf Tage in Deutschland unterwegs, von Radio zu Radio, Interview zu Interview. Insofern bin ich sehr zufrieden. Etwas mehr Rotation kann man sich immer wünschen.
Hier muss man ja von unterschiedlichen Gegenden reden, denn wie eingangs schon festgestellt, wohnen Sie inzwischen ja in Österreich. Ist die Radiolandschaft dort eine andere als in der alten Heimat?
Also in Sachsen hatte ich nie nennenswert Radiozeit und werde sie vermutlich auch nie haben. Dafür fehlt da der passende Sender. Dafür gibt´s ganz klar eine sechs. Im Rest der Republik gibt es genügend tolle Sender, die an Musik abseits der größten Mainstream-Richtungen interessiert sind. In Österreich gibt es FM4 oder auch Radio Soundportal, die beide bewusst auch lokalen oder noch unbekannteren Entdeckungen eine Plattform bieten. Nochmal: In Sachsen gibt es nichts Vergleichbares. Absolut unverständlich und traurig.
Sie werden mit dem Album auch auf Tour gehen, teilweise solo, aber auch mit Band. Was haben Sie für Ihre Konzerte vorbereitet. Worauf darf sich Ihr Publikum freuen - sowohl wenn Sie allein, als auch wenn Sie mit Verstärkung kommen?
Es wird eine Achterbahnfahrt. Laut, Leise, Schnell, Schneller, Langsam und überraschend. Wir bereiten eigene Live-Versionen vor, da kann ein auf der Platte ruhig bleibender Song am Ende auch komplett ausbrechen, länger dauern usw usf. Mit den nun drei Alben habe ich auch unheimlich viele Möglichkeiten neue dramaturgische Höhen aufzubauen.
Ich habe gesehen, dass Sie auch immer noch im Vorprogramm von "größeren" Namen spielst, nämlich am 25. August in Berlin für ELEMENT OF CRIME. Im November in der Schweiz bei STEINER & MADLEINA. Sind Sie aus der Support-Phase nicht schon längst heraus gewachsen?
Zu groß für ELEMENT OF CRIME? lacht Nein, also zum einen mag ich die Band sehr und kenne sie mittlerweile auch persönlich, zum anderen ist das eine große Chance für mich. Das gleiche gilt für Steiner und Madlaina, mit denen ich immer sehr gern viel Zeit verbringe.
Was wünschen Sie sichr, wenn am Freitag das Album offiziell erscheint. Haben Sie sich damit Ziele gesetzt oder ist es ein Fortsetzen des Weges, den Sie bereits mit "Weisse Liebe" (2017) und "Trümmerlotte" (2020) eingeschlagen haben?
Genau, ich habe Spaß am Musikmachen. Das ist das Ziel. Was daraus dann wird, ist Im Grunde zweitrangig. Die Miete will natürlich gezahlt werden, logisch. Aber ich höre so oder so nicht auf Lieder zu schreiben und aufzunehmen. Das ist mein Leben. Ich habe bereits einige Ideen für ein neues Album.
Ich wünsche Ihnen für die Platte, die Tour und beim Einsammeln des Lohns für Ihre Arbeit den größtmöglichen Erfolg. Möchten Sie abschließend noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Wenn es drunter und drüber geht, ist es für die eigene Gesundheit sicherlich nicht hinderlich, sich auch mal in die Sonne zu legen, abzuschalten und vielleicht meine Platte zu hören. :) Es ist ein Klischee und zu oft zitiert, aber es stimmt: man muss die kleinen Dinge genießen. Das versuche ich auch gerade zu lernen.
Hallo Ansa, sind Sie eigentlich noch Dresdener oder bereits ein waschechter Wiener?
Hallo! Ich weiß nicht, ob das ein Prozess ist, der irgendwann abgeschlossen ist. Wurzeln kann man nicht einfach abschneiden. Ich merke aber, dass das "Das geht sich schon aus" in mir größer wird und das "Das geht so aber ni" kleiner. Nicht sauer sein, Dresden! Und so groß ist der Unterschied auch wieder nicht: ein Tal, Weinberge drumrum, Fluss durch, plus U-Bahn. Zack fertig. Nur alles mal vier und zum Mittag gibt es Weißen Spritzer. Na gut, der Kaffee schmeckt besser und man ist mit dem Zug in einer Stunde am Semmering und in sieben Stunden in Venedig.
Was waren die Gründe für Ihren Umzug nach Österreich im Jahre 2019?
Ich hatte davor ein Jahr lang Berlin ausprobiert und bin drauf gekommen, dass das wohl nicht meine Stadt ist. Ich brauche eine Stadt, die nicht zu klein ist, in der ich mich aber selbst jederzeit verorten kann. Berlin hat sich so nicht angefühlt. Wien schon eher. Und der Bezug war auch da. Über Freunde und über die Produktion mit Paul Gallister (Wanda, Conchita Wurst) an meinem ersten Album "Weiße Liebe". Und Wien war schon immer ein kultureller Schmelztigel, da hatten sie auch noch Platz für einen entlaufenen Dresdner.
Als ich Sie im Oktober 2014 das erst Mal gesehen und gehört habe, sind Sie im Vorprogramm von LUXUSLÄRM aufgetreten. Damals in der Zweierbesetzung mit Adrian Röbisch. Der spielt noch heute in Ihrer Band. Ist vom damaligen ANSA heute noch etwas anderes übrig geblieben, oder haben Sie sich komplett verändert?
Das ist mittlerweile fast unglaubliche zehn Jahre her. So gleich und doch so anders. Man wird ruhiger. Manche heiraten sogar. Klar geht in zehn Jahren leider auch viel Unschuld und Naivität verloren. Wobei etwas weniger Naivität in geschäftlichen Dingen etwas früher, das wäre schon von Vorteil gewesen. Man fragt sich, was für eine Art Mensch man ist. Ob man der geworden ist, der man sein will. Man merkt, dass es weh tut, wenn die beiden Dinge zu weit voneinander weg sind. An welchen Stellen, man sich selbst vielleicht etwas vormacht. Ich hab mich gerade mit Adrian darüber unterhalten. Mitte 30 nennt sich das wohl. Und dann gibt es immer noch diese Momente: Das Richtige Lied im richtigen Moment und alles löst sich auf in die totale gegenwärtige Euphorie. Und das ist dann wieder wie damals, 2014.
Damals waren Sie nur mit dem Namen ANSA unterwegs, quasi als Kurzform des Vor- und Zunamens. Inzwischen tragen Sie zum Kürzel auch den Nachnamen. War das ein strategischer Grund, damit Sie in Suchmaschinen besser gefunden werden können?
Möglicherweise gab es da einen Rapper mit dem gleichen Namen, aber ich hab so ein schlechtes Gedächtnis.
Sie erzählten mir damals am Rande des Konzerts, dass es nicht einfach ist, als junger Nachwuchsmusiker einen Fuß in die Tür zu bekommen. Erzählen Sie mir doch bitte mal, wie Sie es trotzdem geschafft hast, vom Anheizer im Vorprogramm einer Rockband zu einem eigenständigen Künstler mit inzwischen zwei veröffentlichten und einem in den Startlöchern stehenden Album zu werden...
Es ist immer noch nicht leicht. Die Produktion eines Albums mag leichter geworden sein, aber ich glaube, es war noch nie so riskant wie derzeit auf Tour zu gehen. Die Produktionskosten sind enorm gestiegen, die Veranstalter haben gelitten, manche das Handtuch geworfen. Gleichzeitig kaufen die Menschen weniger Tickets im Vorverkauf, das heißt, die Planungssicherheit wird geringer. Man muss wahnsinnig stur sein. Und man opfert viel: Gesunden Schlaf, Sicherheit, vermutlich Rente... Aber es lohnt sich unterm Strich emotional. Sonst würde ich es nicht machen.
Damit sind wir auch schon beim Thema. Ihr neues Album kommt jetzt am Freitag (23. Juni 2023) raus. Bitte beschreiben Sie den Leuten da draußen doch mal kurz, was Sie da auf Vinyl und CD gebannt haben.
Es ist eine Liebeserklärung. Ein Album, das sich von selbst geschrieben hat, sich mir aufgedrängt hat. Ich singe über die kleinen Dinge, die mehr Aufmerksamkeit verdient haben. Es beginnt ruhig, steigert sich über die Liebe zu Themen wie Konsum, Arroganz oder Selbstgefälligkeit und endet versöhnlich mit einem Traum.
Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihnen die konzertlose Zeit zwischen 2020 und 2022 genügend Gelegenheiten gab, der "Trümmerlotte" schnell einen Nachfolger in den Windschatten zu stellen?
Schnell würde ich jetzt nicht sagen. Ich bin auch niemand, der jeden Tag etwas raushauen kann. Ich bin kein klassischer Handwerker des Songwritings, wie vielleicht Bob Dylan, der phasenweise wohl täglich Songs geschrieben hat. Ich versuche es immer wieder, aber bin am Ende eben doch auf den Musenkuss angewiesen. Aber ich bin besser geworden, diesem nachzuhelfen. Ich habe während Corona gelernt, dass man sich auch in kreative Räusche malen kann. Das mache ich tatsächlich mit meiner Frau gemeinsam und ab und an malen wir am Ende ein Lied. Fragen Sie mich nicht, wie das geht, it ?s magic.
Ich habe das Album gehört und musste feststellen, dass Ihnen mit Ihrer Stimme und den Inhalten eigentlich eine Gitarre oder ein Klavier als Begleitung reichen würden - und teilweise ja auch tatsächlich reichen. Nur bei einem Song, den ich später noch anspreche, kommen Sie mal so richtig "laut" rüber. Halten Sie sich selbst eher weniger für eine krachende Rockband geeignet?
Auf keinen Fall. Genau da komme ich auch her und so werde ich auch irgendwann mal wieder klingen. Und wenn es nur für eine EP ist. Bei den letzten beiden Alben aber wollte ich Anderes ausprobieren. Ich habe aber noch ein paar Lieder in der Schublade, bei denen es ordentlich kracht.
Sind die Arrangements Ihren Ideen entsprungen oder gibt es in Ihrem Umfeld Leute, die Sie da unterstützen?
Im Grunde mache ich das selbst. Vor allem die Harmonien, Texte und auch Grundarrangements. Es gibt aber auf jeder Platte auch Songs, bei denen Adrian Röbisch (mein Gitarrist) oder auch Max Payer seine Finger im Spiel hatten. Im Studio schraubt man dann zusammen mit dem Produzenten an den Feinheiten.
Apropos Studio: Wie haben Sie das Album aufgenommen? Live im Studio mit Band oder haben die einzelnen Musiker und Sie als Sänger ihre Parts einzeln eingespielt?
Teils, Teils. Zum einen haben wir Drums, Akustik-Gitarre und den Hauptgesang live eingespielt und im Nachhinein Piano, Bass, weitere Stimmen oder Trompeten hinzugefügt. Es gab aber auch Songs, bei denen alles der Reihe nach auf eine Pilotspur von mir eingespielt wurde. Ich habe das große Glück in Wien in einem höchst musikalischen Dunstkreis gelandet zu sein. Das sammelt sich alles im Studio vom Fuzzman im siebten Bezirk. Da sitzt auch das Lotterlabel. Da springen den ganzen Tag die talentiertesten Leute rum. Die spielen teilweise auch bei Pauls Jets, Voodoo Jürgens, aber auch in so abgefahrenen experimentellen Kapellen. Da können gefühlt alle alles spielen. Wenn man grad im Studio alleine mit Fuzzmann (Herwig Zamernik) arbeitet und hat da diese eine Idee für Trompete oder Klavier. Einer ist immer da und macht das schnell.
In welche Stimmung müssen Sie sich versetzen oder was muss passiert sein, damit Sie z.B. ein Lied wie "Schmuck & Dieb" mit diesen aus Worten gemalten Bildern schreiben können? Dies scheint ja pauschal Ihre Stärke zu sein, dass Sie verschiedene, auch alltägliche Themen mit wenigen Worten in Poesie verwandeln können. Ist das eine Gabe Gottes oder ist diese Kunst das Ergebnis eines längeren Lernprozesses?
Ich muss mich verlieben. Diese Gefühle dann in die richten Worte zu verpacken, ist teils Glückssache, teils Übung.
Gibt es in Sachen Textdichtung für Sie Vorbilder?
Ich kann mich nur ins Klischeenest setzen, aber ich sag ?s jetzt trotzdem: Bob Dylan, Rio Reiser, Jannis Ritsos.
Lassen Sie uns bitte noch zu zwei oder drei Songs ein paar Worte mehr verlieren. Auch beim Song "B-Seiten" stellt sich mir die Frage, wie Sie eine Schallplatte als Metapher für das Leben hernehmen können. Was steckt hinter diesem Lied?
Es geht um liebenswürdige Halunken, verkannte Genies, Säufer, Liebende, Verlorene, Gefundene, Erleuchtete, solchen, die es gerne wären. Zur Schallplattenmetapher: Auf den A-Seiten waren damals doch oft die massentauglichen Mitsing-Hits, die B-Seiten waren den etwas unbequemeren Songs, oft die Lieblingslieder der Musiker, vorbehalten. Den Song habe ich zum Beispiel mit Adrian zusammen geschrieben.
Das "Schlaflied" ist auch nur der Musik wegen als solches zu verwenden, denn der Inhalt benötigt doch einen wachen Verstand, oder? Ein Wolf im Schafspelz?
Tatsächlich ist es vielleicht ein Lied über Sucht, insofern interessant, dass Ihnen das Bild vom Wolf im Schafspelz in den Sinn kommt. Ich hab es einem Freund gewidmet, der manchmal den Halt verliert. Kennen Sie "Das verlorene Wochende" von Charles Jackson?
Nein, ist mir nicht bekannt …
Daran muss ich denken, wenn ich es höre. Aber vielleicht geht es auch um etwas ganz anderes.
Einen doch eher "lauten" Song haben Sie mit "Erfolglos" auf der Platte. Klingt wütend, Sie selbst beim Vortrag auch. Waren Sie beim Schreiben wütend?
Nein. Im Grunde ist es eine Hommage an die kleinen Dinge, die einen schon sehr glücklich machen können. Ein freier Nachmittag, Sonne, ein gutes Getränk und Buch in der Hand. Dass der Song dann zum Soundtrack der Verfilmung von Thees Uhlmanns Buch "Sophia, der Tod und ich" ausgewählt wurde, macht mich sehr stolz.
Wir hatten unlängst im kleinen Kreis das Thema Rundfunk und wer da heute noch Chancen hat, gespielt zu werden. Wie sehen Ihre aus? Sind Sie mit Ihren Zeiten im Radio zufrieden oder ist das ausbaufähig?
Ich war gerade fünf Tage in Deutschland unterwegs, von Radio zu Radio, Interview zu Interview. Insofern bin ich sehr zufrieden. Etwas mehr Rotation kann man sich immer wünschen.
Hier muss man ja von unterschiedlichen Gegenden reden, denn wie eingangs schon festgestellt, wohnen Sie inzwischen ja in Österreich. Ist die Radiolandschaft dort eine andere als in der alten Heimat?
Also in Sachsen hatte ich nie nennenswert Radiozeit und werde sie vermutlich auch nie haben. Dafür fehlt da der passende Sender. Dafür gibt´s ganz klar eine sechs. Im Rest der Republik gibt es genügend tolle Sender, die an Musik abseits der größten Mainstream-Richtungen interessiert sind. In Österreich gibt es FM4 oder auch Radio Soundportal, die beide bewusst auch lokalen oder noch unbekannteren Entdeckungen eine Plattform bieten. Nochmal: In Sachsen gibt es nichts Vergleichbares. Absolut unverständlich und traurig.
Sie werden mit dem Album auch auf Tour gehen, teilweise solo, aber auch mit Band. Was haben Sie für Ihre Konzerte vorbereitet. Worauf darf sich Ihr Publikum freuen - sowohl wenn Sie allein, als auch wenn Sie mit Verstärkung kommen?
Es wird eine Achterbahnfahrt. Laut, Leise, Schnell, Schneller, Langsam und überraschend. Wir bereiten eigene Live-Versionen vor, da kann ein auf der Platte ruhig bleibender Song am Ende auch komplett ausbrechen, länger dauern usw usf. Mit den nun drei Alben habe ich auch unheimlich viele Möglichkeiten neue dramaturgische Höhen aufzubauen.
Ich habe gesehen, dass Sie auch immer noch im Vorprogramm von "größeren" Namen spielst, nämlich am 25. August in Berlin für ELEMENT OF CRIME. Im November in der Schweiz bei STEINER & MADLEINA. Sind Sie aus der Support-Phase nicht schon längst heraus gewachsen?
Zu groß für ELEMENT OF CRIME? lacht Nein, also zum einen mag ich die Band sehr und kenne sie mittlerweile auch persönlich, zum anderen ist das eine große Chance für mich. Das gleiche gilt für Steiner und Madlaina, mit denen ich immer sehr gern viel Zeit verbringe.
Was wünschen Sie sichr, wenn am Freitag das Album offiziell erscheint. Haben Sie sich damit Ziele gesetzt oder ist es ein Fortsetzen des Weges, den Sie bereits mit "Weisse Liebe" (2017) und "Trümmerlotte" (2020) eingeschlagen haben?
Genau, ich habe Spaß am Musikmachen. Das ist das Ziel. Was daraus dann wird, ist Im Grunde zweitrangig. Die Miete will natürlich gezahlt werden, logisch. Aber ich höre so oder so nicht auf Lieder zu schreiben und aufzunehmen. Das ist mein Leben. Ich habe bereits einige Ideen für ein neues Album.
Ich wünsche Ihnen für die Platte, die Tour und beim Einsammeln des Lohns für Ihre Arbeit den größtmöglichen Erfolg. Möchten Sie abschließend noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Wenn es drunter und drüber geht, ist es für die eigene Gesundheit sicherlich nicht hinderlich, sich auch mal in die Sonne zu legen, abzuschalten und vielleicht meine Platte zu hören. :) Es ist ein Klischee und zu oft zitiert, aber es stimmt: man muss die kleinen Dinge genießen. Das versuche ich auch gerade zu lernen.
Interview: Christian Reder
Fotos: Pressematerial (Susanne Hassler-Smith)
Fotos: Pressematerial (Susanne Hassler-Smith)