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Interview vom 18. März 2022



"Love", zu Deutsch "Liebe". So heißt das dritte Album der Sängerin Lidia Valenta, das vor kurzem in digitaler Form vorab erschienen ist. Und von Liebe kann die Welt gar nicht genug haben, wie wir finden ... Lidia Valenta verbindet Welten. Ihr Stil beinhaltet Elemente von Jazz, Weltmusik, Pop, Kunst-Gesang und Balladen, so verspricht es der Pressetext. Aufgefallen ist Lidia unserer Redaktion im vergangenen Herbst, als sie auf Tino Eisbrenners Winter-Album das Duett "Grusinisches Lied" sang. Die seit Jahren in Dresden beheimatete Künstlerin wurde in Brest geboren, wuchs in Prag auf, studierte in Kaliningrad und Dresden, und absolvierte eine Musik-und Gesangslehre im Musiktheater "Theater der Romanze" in Kaliningrad und Moskau. Zurück in Dresden gründete sie schließlich die Lidia Valenta Band und brachte 2019 zuerst ein Weihnachtsalbum und ein Jahr später ein Album mit vertonten russischen Texten heraus ("Oblaka"). Nach zahlreichen Bühnenprogrammen in Deutschland und Russland sollte zuletzt eigentlich das zusammen mit Tino Eisbrenner erstellte neue Programm "Berührungen" folgen,002 20220402 1004940964 aber das Corona-Virus machte den beiden Musikern einen Strich durch die Rechnung. Es gäbe noch so viel mehr über diese Ausnahmekünstlerin zu erzählen, aber das wollten wir sie selber machen lassen. Unser Kollege Christian traf sich deshalb vor ein paar Tagen auf ein Gespräch mit ihr ...

 


 

Ich las Deine Biographie, und darin steht: "Geboren in Brest." Da dachte ich erst, es ist die Hafenstadt in Frankreich gemeint, aber nein, Du bist tatsächlich in der UdSSR geboren, richtig?
Ja, ich wurde in Brest in der UdSSR geboren. Meine ältere Schwester wurde auch dort geboren. Weil sie dort blieb, wurde sie zu einer Weißrussin und ich wurde nach dem Zerfall der Sowjetunion zu einer Russin. Deshalb wissen viele auch nicht, in welche "Schublade" sie mich einordnen müssen, zumal ich zur Hälfte auch Ukrainerin bin. Wie Du wahrscheinlich auch schon an meinen Alben bemerkt haben dürftest, bin ich jedoch schubladenuntauglich ... (lacht)

Da hast Du recht. Aufgewachsen bist Du jedoch in Prag und nicht in der UdSSR. Wann hast Du Deine Heimat in Richtung CSSR (heute Tschechische Republik) verlassen?
Genau drei Wochen nach meiner Geburt. Ich kam als kleines Baby in die Tschechoslowakei. Zu der Zeit, als meine Mutter schwanger war, war mein Vater in der Tschechoslowakei stationiert und meine Mutter war - und sie ist es immer noch - Künstlerin. Eine Sängerin, Dirigentin und Musikpädagogin. Beide arbeiteten dort, meine Mutter wurde schwanger und dies kam der Arbeitstelle meiner Mutter wegen einer großen Produktion völlig ungelegen. Deshalb wurde ihr eine Abtreibung empfohlen und sie aufgefordert, sich zu entscheiden. Meine Mutter bekam es irgendwie hin, beides erhalten zu können. Leider lag ich irgendwie falsch im Mutterleib und meine Mutter hatte Angst, dass sie als sowjetische Bürgerin in der CSSR nur in dem Militärhospital entbinden dürfe, also fuhr sie zu ihrer Schwester nach Brest und brachte mich dort zur Welt. Ich lebte also zwei oder drei Wochen bei meiner Tante und meine Mutter brachte mich zurück nach Prag. Seitdem lebte ich - mit einer ganz kurzen Unterbrechung - bis zu meinem 13. Lebensjahr in der Tschechoslowakei und verbrachte dort eine glückliche Kindheit.

Dein Papa war Soldat, verstehe ich das richtig?
Ja, mein Vater ist Militäroffizier und war - abgesehen von einer kleinen Unterbrechung - in unterschiedlichen Einheiten in der Tschechoslowakei stationiert. Deswegen wuchs ich erziehungstechnisch in einer hervorragenden phantastischen Formation auf. Seitens meines Vaters waren Militärordnung und Disziplin gefordert und meine Mutter als Künstlerin führte mich an ein gewisses freies sowie kreatives Denken heran. Das war für mich perfekt.

003 20220402 1999333159Deine Weltreise ging dann weiter … Ich las, Du studiertest Geisteswissenschaften in Kaliningrad - also in der russischen Heimat - und in Dresden ... Wie kam es denn dazu?
Kinder von Künstlern und Soldaten kommen eigentlich viel herum. Im Vergleich zu meiner Schwester, die in zehn Jahren 13 verschiedene Schulen besuchte, blieb ich von solchen Dingen aber verschont. Mein Vater wurde dann später nach Kaliningrad geschickt, wir wohnten dort und glücklicherweise war meine Mutter dort Leiterin eines wunderbaren Chores. Kaliningrad hat eine riesengroße kulturelle Geschichte, auch in den Zeiten der Sowjetunion. Sie bekamen dort eine Wohnung, mein Klavier reiste ebenfalls mit dorthin. Dieses gute Stück begleitet mich auch schon, seitdem ich ein Baby war. Dort fand ich einen tollen Freundeskreis und beendete meine Schule. Dann bewarb ich mich an der Immanuel-Kant-Universität, welche noch aus der deutschen Zeit stammt. In dieser Universität gab es eine Fakultät für Humanitärwissenschaften sowie Sprachen. Diese hatte einen äußerst guten Ruf und deshalb entschied ich mich, dort zu studieren. Ich ließ mich immatrikulieren und war durch meine Vergangenheit in Prag sowie Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg, sehr von der deutschen Kultur geprägt. Ich wollte immer mehr über sie erfahren, gerade deshalb auch Dresden, Prag oder Wien. Das waren - neben den Humanitärwissenschaften in Kaliningrad - drei meiner Traumschritte. Obwohl ich in Dresden keine deutsche Philologie, sondern die englischsprachige Literaturwissenschaft studierte. Deutsch kam erst später ...

Wie kam es denn letztlich, dass Du bei der Musik landetest? Du gingst an ein Musiktheater, absolviertest dort eine Musik- und Gesangslehre. Das sind ja zwei verschiedene Paar Schuhe ...
Dieses Musiktheater gründete - damals noch in Kaliningrad - meine Mutter. Es nannte sich "Theater Romanza". Durch die Karriere meiner Mutter als Sängerin und Musikerin wurde ich schon als Kind mit Kultur - Musik, Gesang, Komposition - vertraut gemacht. Meinen ersten Kompositionswettbewerb in Prag gewann ich mit sechs Jahren und meinen ersten Auftritt auf einer Bühne überhaupt hatte ich mit fünf Jahren. Ich nahm das Ganze nicht so ernst und dachte: "Das machen meine Mutter und so viele andere ..." Meine zehn Jahre ältere Schwester hatte das alles studiert und es machte ihr auch nicht immer so viel Spaß. Ich dachte also: "Wir sind zu viele Musiker in der Familie, ich muss etwas anderes machen." Sprachen liefen immer sehr gut bei mir, in Tschechien sprach ich fließend tschechisch, ukrainische Lieder sang ich akzentfrei, meine Mutter studierte mit mir viele Lieder auf georgisch, italienisch, deutsch oder auch englisch ein. Ich trat immer auf die Bühne mit Stücken aus verschiedenen Welten und das machte mir Spaß. Deshalb war Musik immer mein Hobby. Dann lernte ich natürlich englisch. Wir hatten einen Wettbewerb bei uns an der Fakultät der englischen Philologie und mussten alle ein Shakespeare-Sonett einstudieren und vor der gesamten Universität vortragen. Vorher sollten wir das in kleinen Gruppen auch vor unseren Professoren vortragen.

Das ist aber harter Stoff, der viel Disziplin erfordert …
Ich habe mich natürlich wie jedes junge Mädchen, das gerade mal Studentin wurde und etwas freie Welt schnuppern wollte, vorher auf eine Party begeben und für diesen Tag überhaupt nicht gelernt. Dieses Sonett hatte ich aber in mein Notizblock eingetragen, weil es damals schwierig war, englische Literatur im freien Buchhandel zu bekommen. Deshalb ging ich in die Bibliothek, fand dort das Buch und übertrug mir die Sonette in meinen Notizblock. Dann war ich an der Reihe, wurde aufgerufen und ich öffnete mein Notizbuch, jedoch wurde sofort gesagt: "Nein, Sie dürfen das nicht ablesen, Sie müssen das schon frei sprechen, ohne dass sie in Ihre Notizen hinein sehen." Ich flunkerte: "Ich muss in meine Notizen sehen, das sind keine Notizen, das sind Noten. Ich werde dieses Sonett nicht sprechen, sondern singen!" Sie trauten sich nicht, in meinen Notizblock hinein zu sehen und sagten: "Na gut, dann singen Sie es." In diesem Moment hatte ich auch eine Melodie im Kopf, las den Text und die Melodie kam aus dem Kopf. Ich trug das Ganze phantastisch und einwandfrei vor und es hieß: "Wow, Du wirst uns vertreten, Du wirst auf die Bühne gehen." Die Melodie behielt ich im Kopf und sang unter Begleitung meiner Gitarre dieses Sonett dann in der Aula vor der gesamten Universität. Am nächsten Tag kam dann der Vorschlag, dies weiter zu verfolgen.

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Was Du ja wohl auch getan hast …
Da ich in meiner freien Zeit auch gerne Songs schrieb, schlug man mir eine Lehrerin vor. Eine phantastische Dame, mit der ich bis heute einen ganz guten Kontakt halte. Mit ihr kann ich über viele unterschiedliche Themen sprechen. Sie unterstützte mich und hatte nichts dagegen, dass ich immer mal wieder in Moskau sein würde. Meine Mutter lebte zu dieser Zeit schon in Moskau und so pendelte ich zwischen Kaliningrad und Moskau hin und her. So konnte ich parallel also auch noch meine Gesangsausbildung machen. Meine Mutter führte in Moskau ihr "Theater Romanza" weiter und sie konnte durch ihre Kontakte als Pädagogin gute Ausbildungsprogramme auf die Beine stellen. Deshalb gab es bei ihr viele tolle Begleiter und ich durfte eine einmalige Ausbildung genießen, weil ich meine Mutter stets als Lehrerin an meiner Seite hatte.

Wie alt warst Du denn damals, als das mit dem Sonett-Vortrag war?
Das war im dritten Semester des Studiums, da war ich 18 oder 19 Jahre alt. Komponiert habe ich aber schon vorher, das fiel mir leicht und ich musste mich dafür nicht sonderlich anstrengen. Ich dachte, Arbeit muss immer schwer sein. Andere Sachen fielen mir jedoch schwer, Wirtschaft zum Beispiel. Da bin ich immer wieder begeistert, wie schnell manche Leute ganz komplizierte Aufgaben lösen können. Diese Leute bewundere ich. Ich konnte es allerdings auch nicht verstehen, wenn mich andere fragten: "Wow, Lidia wie schaffst Du das, wie machst Du das?"

Hast Du denn damals schon Deine Lieder international - also in mehreren Sprachen - geschrieben oder noch komplett auf russisch?
Darüber dachte ich damals gar nicht nach. Als ich aus Kaliningrad weg ging, packte ich meine alten Tagebücher ein. Das waren keine richtigen Tagebücher, es waren Notizbücher, in die ich irgendwelche Notizen hinein schrieb. Ich versuchte öfter, Tagebücher zu führen und nachdem die ersten drei Seiten mit irgendwelchem Mist voll geschrieben waren, ging gar nichts. Später schrieb ich statt Tagebüchern dann Gedichte. Es waren keine großen philosophischen Gedanken und keine vollwertige Lyrik. Aber das, was ich auf das Papier brachte, waren Gefühle und als ich es wieder in die Hand nahm, sah ich, dass ich damals sogar schon englische Gedichte schrieb. Bewusst machte ich das nicht. Das, wo es gerade floss, wurde weiter verfolgt und das war es.

Du formuliertest gerade schön, dass Du in keine Schublade passt. Du machtest bisher drei Alben, auch die sind - insbesondere sprachlich - nicht einzuordnen. Ein Album auf russisch, ein Album auf deutsch und das aktuelle Album ist auf englisch. Du hast, was Sprachen betrifft, offensichtlich keine Heimat ...
Ich kann nicht behaupten, überhaupt keine Heimat zu haben, ich trage meine Heimat in meinem Herzen und in meinen Gedanken. Es gibt einen Geburtsort und es gibt einen Ort der Vergangenheit. Das ist klar. Es gibt also Orte der Vorfahren. Ich bin nicht an irgendeinen Fleck auf dieser Erde gebunden und das ist für mich ein sehr gutes Gefühl. Denn es gibt nichts Besseres, als sich dort wohl zu fühlen, wo man geliebt wird. Ich weiß, viele sprechen gerade jetzt in dieser tragischen Situation auch von "Russophobie". Russen werden im Moment auch diskriminiert und es geht ihnen so schlecht. Ich erfahre so viel Liebe, Mitgefühl und so viel Geborgenheit gerade hier bei den Deutschen, bei meinen Freunden, bei Bekannten oder bei Fans. Diese viele Aufmerksamkeit und vor allem das Mitgefühl sind eine enorme Unterstützung. Das ist das, was ich auch auf allen meinen Alben mache. Sie sind voller positiver Gefühle. Deshalb kann ich nicht sagen, in welcher Sprache sie besser sind, weil Sprachen wunderbar sind. "Oblaka" zum Beispiel heißt vom russischen ins deutsche übersetzt "Wolken". Du hast sicher auch nicht alles verstanden ...

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Ich verstand kein einziges Wort, sondern ließ mir von einer Russin aus dem Bekanntenkreis erzählen, worum es in den Texten geht ...
Und trotzdem hat es Dich berührt ... Deshalb ist es wichtig, eine gute Lyrik zu haben für diejenigen, die die Sprache verstehen. Wenn du Gefühle vermitteln willst, mit Stimme und Musik eine Welt zaubern kannst, in der man sich wohl fühlt und die dich auch zu etwas Schönem verleitet, dann braucht man in diesem Fall nicht unbedingt eine bestimmte Sprache. Das ist genau das, was ich mit diesen drei Alben versuchte. Egal, welche Genres, egal, welche Sprache, egal, welcher Anlass - der Grundgedanke ist wichtig und sollte gelebt werden. Also: "Fang' nicht an, etwas zu machen, bevor du dich in diese Tätigkeit verliebt hast." Das spürt man später, egal, ob man mit voller Liebe Fenster putzt, einen Kuchen bäckt oder wenn man singt ... Dann klappt es und man wird einem auch glauben.

Wann bist Du denn nach Dresden gekommen und wann nahm Deine Band ihre Form an? Wann wurde sie gegründet?
Meine Band wurde 2005 gegründet, nach Deutschland kam ich kurz vor dem Millennium. Schon lange, bevor ich die Band gründete, machte ich hier verschiedene Soloprojekte. Ich machte mit einem amerikanischen Produzenten, LEON LARKIN, der in Berlin lebt, schönen Pop. Mit einem deutschen Komponisten und einem Filmemacher machte ich Soundtracks für Kurzfilme. Auch in Russland gab es einige Projekte, die ich sehr interessant fand. Mit dem Poeten, welcher auch die Lyrik für das Album "Oblaka" schrieb, gab es schon vorher Projekte. Insofern startete meine Bühnenkarriere in Russland. Ich lebte in Deutschland, reiste aber auch immer wieder nach Moskau, nach Kaliningrad, nach Irkutsk und und und ... Dort hatte ich meine Auftritte und meine erste große Radiosendung hatte ich in Moskau. So begann das alles und irgendwann schwappte es nach Deutschland hinüber. Es gab Interesse und es wurde geguckt, was macht die Lidia Valenta denn da und was passiert bei ihr? Dann lud mich der Jazzclub "Tonne" ein und ich dachte, es wäre der richtige Zeitpunkt, das erste Programm mit einer Band aufzubauen. Das war 2005 ...

Kam es auch über den Jazzclub "Tonne" zustande, dass Du die Musiker für Deinen Band gefunden hast? Wie stelltest Du die Band zusammen?
Eigentlich nicht. Ich suchte tatsächlich und wusste, dass Dresden eine ganz großartige Künstlerkolonie und eine der - ich würde fast sagen - interessantesten Fabriken der zeitgenössischen Musik ist. An der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber gibt es eine ganz bekannte Abteilung Jazz, Pop und Rock. Und dort gibt es einen Dozenten der Musiktheorie, JO ALDINGER. Er ist ein großartiger - einer der besten in Deutschland - Hammondorgelspieler, der auch eigene Projekte hat, zum Beispiel den Downbeatclub und auch ein Orgeltrio. Er spielt mit ganz großen Künstlern zusammen. Ich ging also in den Jazzclub "Tonne", um ihn mir anzusehen, stattdessen fand ein anderer Musikabend statt. Da saß ich an der Theke, der Raum war voll von Studenten und Professoren, die die Arbeit der Studenten ansehen, betrachten und auch kritisieren wollten. Sie alle waren dort also unter sich. Da dachte ich, vielleicht finde ich dort ja jemanden ... Neben mir saß ein Mann, der sich immer wieder Notizen machte und es war jemand auf der Bühne, den ich komplett nicht leiden konnte, weil er das Lied "Bye Bye Blackbird" zu einem hässlichen Swing machte. Ich dachte mir: "Was traut sich dieser Student? Das geht gar nicht, das ist ja schlimm, wer ist dein Lehrer ...???" Der Song "Bye Bye Blackbird" ist ein ganz tolles Stück und es muss herzzerreißend klingen. Genau das erzählte ich dem neben mir sitzenden Mann und dieser Mann - ich weiß nicht, woher er meinen Kontakt hatte - meldete sich am kommenden Tag bei mir. "Wissen Sie was? Ich bin der Musikkritiker, ich bin Journalist und ich wurde gebeten, diese Veranstaltung etwas in der Zeitung zu erläutern. Sie haben komplett recht, ich musste den ganzen Tag darüber nachdenken, was Sie sagten. Wie kamen Sie eigentlich dorthin?" Ich sagte ihm, dass ich eine Band brauche und auf der Suche nach guten Musikern bin. "Wenn Sie mich schon anrufen, möchte ich wissen, ob Sie vielleicht JO ALDINGER kennen und mich mit ihm bekannt machen können?" Seine Antwort lautete: "Ja, ich kenne ihn gut und Sie können Kontakt mit ihm aufnehmen. Als Musikwissenschaftler kann ich Ihnen nur sagen, Sie werden gut zueinander passen. Sie haben sich im Tag geirrt, der Downbeatclub wird in zwei Tagen im Jazzclub auftreten. Möchten Sie mit mir mitkommen?" Ich sagte: "Ja, auf jeden Fall!" Aus dieser Konversation wurde eine wunderbare Freundschaft, ich bin noch immer mit diesem Musikjournalisten und -kritiker befreundet. Wir trafen eine Vereinbarung, dass er nie etwas über mich schreibt und ich kann sagen, dass ich zwar einen der besten Musikkritikern verlor, aber ich gewann einen wunderbaren Freund. Durch diesen direkten Kontakt mit JO ALDINGER zwei Tage später und durch die Empfehlung bekam ich einen hervorragenden Pianisten, der mich begleitet und vieles mit mir arrangiert. Er hat seinen Stil, dann kam ein Bassist hinzu und etwas später fand ich auch einen hervorragenden Schlagzeuger, nämlich TIM HAHN. Er ist ein zweifacher ECHO-Preisträger, spielt in ganz großen Formationen und ist ein wirklicher Sonnenschein ...

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Lidia Valenta Band


Es dauerte eine ganze Weile bis zur Veröffentlichung Deines ersten Albums im Jahr 2019. Ziemlich ungewöhnlich dabei war, dass Du gleich mit einem Weihnachtsalbum um die Ecke gekommen bist. Warum?
Ich hatte vorher schon mehrere Musikzyklen gemacht. Einen englischen, der hieß "Echo", welcher Songs mit Gedichten von englischen und amerikanischen Dichterinnen des 19. Jahrhunderts enthielt. Später kam ein russischer Zyklus, er hieß "Nighttrain" und enthielt sechs Lieder, die ich auf Gedichte von dem russischen Poeten Vladimir Isaicev schrieb. Mit ihm machten wir später auch das Album "Oblaka". Darüber hinaus hatte ich viele Programme, die alle wunderbar und gut waren. Auch diverse Singles, z.B. hatte ich bereits "Follow Me", "I Miss You" oder "Not Enough" veröffentlicht. Das waren alles Singles, aber für ein Album fehlte mir tatsächlich einfach der Mut. Da ich selbst der Motor aller meiner Projekte bin, fehlten mir einerseits der Mut und zum anderen ein gutes Gefühl. Zu diesem Zeitpunkt gab es auch unglaublich viele Veränderungen, was elektronische und digitale Medien betrifft. Die Umformatierung von Labels, immer mehr kleine Labels wurden von großen aufgefressen, es entstanden große Monopole und ich sah, wie sich Künstler den großen Labels gegenüber anbiederten. Ich bin ein unglaublich stolzer Mensch, ja, ich bin eine Diva. Es war gegen meine Natur, irgendwelche erniedrigende Versuche zu unternehmen, um an irgendwelche A&R-Manager zu gelangen. Dort, wo kleine und unabhängige Labels bereits ihre Künstler hatten, stießen sie mit dem Kopf an die Decke und konnten auch niemanden mehr annehmen bzw. betreuen. Die Konzertveranstalter, die dort waren … das war alles etwas problematisch und ich musste mit mir selbst kämpfen. UNIVERSAL saugte alles auf und es gibt nirgendwo mehr eine kleine Abteilung. Es gibt nur ein und denselben A&R. Das war eine solche Mauer, die ich nicht durchbrechen wollte, weil ich wusste, dass ich selbst als Person daran zerbrechen und mir selbst nicht treu bleiben werde. Insbesondere wollte ich diese Berge nicht mit meiner Band, meinen Musikern erklimmen. Deshalb nutzte ich die Gunst der Stunde, in welcher man digital so vieles gut veröffentlichen kann und ich fand ein gutes Team, welches bereit ist, meine Ideen zu unterstützen.

Die Voraussetzungen für Musiker abseits des sogenannten Mainstream sind heute ziemlich unschön, das stimmt …
Wie ich ja schon sagte, passe ich in keine Schublade. Für einige war ich viel zu poppig, für andere zu jazzig, für dritte zu viel Singer-Songwriter usw. usw. Es gab immer total viele Leute, die mir sagten, was ich machen soll. Auch sagten mir Labels: "Wenn du möchtest, dass man deine Musik kauft und dich das Publikum wahrnimmt, musst du unbedingt in diese oder in diese Richtung gehen. Du musst mehr Schlager machen, junges Publikum ansprechen ..." Ich dachte: "Nein, das bin ich alles nicht." Durch mein Porzellan - ich habe auch eine Porzellan-Kollektion entworfen - machte ich ein besonderes Programm in einem Hotel. Es hieß: "Porzellan-Pop". Und dieser Porzellan-Pop hieß deshalb so, weil ich davor mit einem Dresdner Künstler - Holger John - eine Porzellan-Kollektion erstellte. Ich machte eine Ausstellung im Hotel "Gewandhaus" in Dresden, einem historischen Gebäude mit einer großartigen Geschichte. Ich sagte: "Dort werden meine Vasen, meine Pokale stehen", und zu Beginn gab es eine Eröffnung mit einem Konzert. Und auf diesem Konzert war der Geschäftsführer des Dresdner Druck- und Verlagshauses zu Gast, sah sich meine Vasen an, interessierte sich für meine Geschichte, dass ich Dresdner Porzellan "retten" wollte, denn im Vergleich zum Meißner Porzellan ist das Dresdner Porzellan ein unglaublich spannendes, aber weitestgehend unbekanntes Feld mit dem Hintergrund, das Sachsen nicht zwei Manufakturen füttern konnte. Daher ist das erste europäische Porzellan aus Meißen natürlich bekannter. Mein Gedanke war, diese Dresdner Manufaktur zu retten. Da ich als Sängerin, die Traditionelles mit Zeitgenössischem zusammen bringt, daraus eine Geschichte machte und statt Marketing-Mensch als Künstlerin mit einer dahinter steckenden Botschaft agierte, fragte mich dieser Geschäftsführer, was ich denn gerne machen würde. Ich sagte ihm, dass ich genau das, was ich mit dem Dresdner Porzellan machte, auch mit Folklore machen würde. Also Folklore im heutigen Gewand verkleiden.007 20220402 1807288118 So etwas passiert auch oft auf den Opernbühnen. Wenn man den Leuten einfach nur eine andere Sprache in den Mund legt, die Geschichte und die Musik dahinter bleibt dieselbe. Sie steht dann nicht mehr mit dem alten Staub im Raum. Auf einmal merken die Leute: "Ja, so geht es auch."

Und wie kam es dann vom Porzellan zum Weihnachtsthema?
Zu dieser Zeit hatte ich schon meine kleine Tochter, sie ist ein ganz großer Lackmusstreicher für mich. Sie weiß gar nicht, dass ich unheimlich viel an ihr ausprobiere ... (lacht) Damals gab es eine folkloristische Truppe, die eine Weihnachts-CD mit Liedern aus verschiedenen Jahrhunderten herausbrachte, bei der meine Tochter Lara juchzte und völlig glücklich war. Zu Weihnachten lag diese CD dann auch unter dem Weihnachtsbaum und meine Tochter freute sich. Irgendwann bekam ich eine CD von HERMAN VAN VEEN in die Hände, der deutsche Weihnachtslieder ganz wunderbar sang und dann auch die von MANFRED KRUG oder die von GÖTZ ALSMANN. Alles verrückte Leute, sie sich so etwas trauten ... Dann ging ich auf den Striezelmarkt und hörte dort diese typischen Weihnachtslieder, die dort gesungen werden. Ich dachte "Alles schon und gut", aber irgendwie verstehe ich, warum viele Leute doch etwas anderes hören wollen. Meine Tochter besucht die Kreuzschule und hat dort in jedem Jahr auch eine tolle Weihnachtsmesse, die in der Kreuzkirche stattfindet. Ja, das hat ein großes Spektrum, angefangen mit dem Mittealter und der Entwicklung der deutschen Weihnachtslieder bis hin zu klassischen Oratorien. Für mich öffnete sich damals eine große Welt und so sagte ich diesem Geschäftsführer, dass ich mich sogar trauen würde, deutsche Weihnachtsleider zu "verjazzen". Vorher wäre das nicht möglich gewesen und als Deutsche wäre es mir nicht möglich gewesen, dieses Liedgut einfach so zu entstellen ... (lacht) Aber alle "Porzelliner" - Maler, Künstler dieser Manufaktur - verziehen mir meinen "Porzellan-Pop", da ich aus einer ganz anderen Welt kam und mit meiner Musik völlig neue Möglichkeiten eröffnete. Ich denke, wenn ich als Russin mit meinem Akzent und meinen Interpretationen von Weihnachtsliedern Leute abholen und überzeugen könnte, die eigentlich keine Weihnachtslieder mehr hören wollen oder sie nur mit Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt verbinden, hätten wir nichts verloren, sondern vielleicht sogar gewonnen. Besagter Geschäftsführer fand diese Idee phantastisch, ich besprach es mit meiner Band und ich sagte ihnen: "Es sind 16 Lieder und ich möchte, dass wir diese Lieder - wir sind vier Personen - auf uns aufteilen, so dass jeder vier Lieder nach eigenen Vorstellungen arrangiert. Wir sind sehr unterschiedlich, kommen aber wunderbar zusammen, ich möchte den Stil von jedem erkennen und wir toben uns richtig aus."

Du hast quasi in Deiner eigenen Band eine Art Gleichberechtigung geschaffen, dass nicht Du die Chefin bist und vorgibst, was zu machen ist, sondern Du hast Deine Musiker eingebunden ...
Ich bin natürlich die Chefin, auf jeden Fall. Aber ich gebe insofern freie Hand, damit jeder seine Ideen einbringen kann, denn ich weiß, nur dann spielen sie von Herzen. Es sind keine Maschinen, wir sind alle Künstler. Man kann auf der Bühne nur jemandem glauben, wenn er nicht nur Spaß daran hat, sondern auch liebt, was er tut. Das sieht man letztlich an den Gesichtern. Na klar bin ich die Chefin, weil letztlich ich die Lieder singe, aber ich muss mit dem, was ich singe, ein Bild vor den geschlossenen Augen des Publikums entstehen lassen können. "Ich steh' an deiner Krippen hier" geht zum Beispiel als Bossa Nova eben nicht, es wäre in No Go. Es ist eine Offenbarung und so etwas muss man mit Ehrfurcht singen. Dies war jetzt allerdings ein krasses Beispiel, welches wir so auch nie machen würden. Bei leisen Stellen, in denen Jesus in der Krippe ist, kann man natürlich nicht eine Schlagzeug-Partie einbauen, da muss man tatsächlich mit ganz anderen Mitteln arbeiten ... Insofern gebe ich das dann auch vor, wir orientieren uns an den Texten, versuchen, das Lied nach vorn zu bringen und dass sich jeder entfalten kann. Aber es muss der Sache dienen und darf das Lied nicht verstümmeln ...

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Auf jeden Fall ist es ein tolles Weihnachtsalbum und ich freue mich jetzt schon vor Ostern auf die kommende Adventszeit ...
Danke. Aus dieser Geschichte entstanden übrigens 200.000 CDs, ein besonders großer Erfolg in Sachsen. Und mit diesen deutschen Weihnachtsliedern machte ich eine Jazz-Tour in Russland. Ich trat dort bei großen Festivals auf und machte drei Solo-Konzerte mit diesen Liedern. Sie alle waren äußerst erfolgreich ...

Ein Jahr später kam dann das Album "Oblaka". Wenn man das in Deutschland komplett in russisch heraus bringt, läuft man natürlich Gefahr, vor die Wand zu laufen, weil es niemand versteht. Aber dieses Album ist - auch ohne die russische Sprache zu beherrschen - eine Offenbarung, es ist ein wunderbares Werk. Wie kam es denn dazu, dass Du von hier aus ein Album auf Russisch gemacht hast?
Dort, wo ich Musik mache, ist es völlig egal. Es gibt russische Schriftsteller, wie zum Beispiel Nikolai Gogol, er schrieb viele seiner Werke in Rom. Fjodor Dostojewski schrieb seine "Dämonen" hier in Dresden. Ich glaube, man schreibt dort, wo man in diesem Moment auch am liebsten schreiben möchte und wo man auch seine Inspiration findet. Ich lernte einen wunderbaren Gitarristen kennen - RÜDIGER KRAUSE. Ein ganz bekannter Jazz-Gitarrist, der unter anderen auch mit BARBARA THALHEIM zusammen spielt, den ich unbedingt für die Produktion eines gemeinsamen Singer-Songwriter-Albums haben wollte. Ich fragte ihn, ob er Lust hätte, das hier in Dresden mit mir gemeinsam zu machen. Ich wusste, dass er viele Sachen mit spanisch, portugiesisch oder englisch singenden Sängern aufnimmt, ich sah, wie er arbeitete und besuchte auch Konzerte, bei denen er dabei war. Er meinte: "Ja, ich habe natürlich viele Projekte, aber wenn es schnell läuft, dann ja." Darauf versicherte ich ihm, dass es schnell laufen wird weil außer ihm und mir niemand weiter am Set sein würde. Also nur wir beide. Ich erklärte ihm, worum es geht, erklärte ihm die Poesie und auch die Musikrichtung und schon nahmen wir es im Studio auf. Das waren Lieder aus meinem russischen Musikzyklus "Nighttrain" und es fehlten noch einige Songs. Diese Lieder haben alle unterschiedliche Richtungen: Es ist Pop, es ist Jazz, es gibt sie als Single, aber nicht als akustisches Album. Und ich möchte unbedingt die Lyrik eines Mannes im Alter in ein völlig anderes Gewand versetzen. Wir spielen hier wieder mit der Verwandlung und deshalb sage ich auch, dass ich statt Sängerin eher eine konzeptionelle Künstlerin bin. Ich verwandle, ich schaffe eine neue, andere Sicht auf die Dinge, die vielleicht früher mal ganz anders betrachtet werden sollten oder auch konnten.

009 20220402 1176042528Man könnte auch sagen, Du lässt Grenzen verschwinden ...
Na ja, nicht verschwinden, aber vielleicht erweitern. Wenn Grenzen verschwinden, entsteht wahrscheinlich Chaos. Horizonte erweitern, Fragen stellen oder Geschmack bilden. Oder etwas Neues erschaffen, was den Leuten Toleranz nahe bringt. Diese Lyrik, diese Gedichte, auf die ich die Songs schrieb, schreibt ein Mann, der über 70 ist. Wie kann ich als junge Frau das so weit bringen, dass ich als Person das singen kann und diese Lyrik auch ein weibliches Gesicht bekommt? Das ist natürlich ganz spannend. Im Gegensatz zum Englischen gibt es im Deutschen oder auch im Russischen das weibliche oder männliche Geschlecht. Du musst also immer sagen "Sie" oder "Er". Und wenn du als Frau sagst "Ich glaube", bekommt das Wort "Glaube" eine weibliche Endung. Da sind wir wieder bei der Philologie ... Und wenn du von einem Mann sprichst, bekommen ein Adjektiv oder ein Verb eine männliche Färbung. Deshalb dichtete ich fast alle Gedichte um, damit sie auf mich passen. Der Dichter Wladimir hatte nichts dagegen, sondern fand es sehr spannend und interessant. So entstand diese ganz wunderbare Symbiose und ich sagte: "Wir machen das in Deutschland, ich bringe dieses Produkt nach Russland und wir stellen dieses Album dort auf die Bühne, dort wird das Release sein." Genau so machte ich das, wir nahmen hier alles auf und in Russland hatte ich einen anderen, ganz wunderbaren Gitarristen dabei, weil Rüdiger Krause in einem anderen Projekt in New York angebunden war. Deshalb war ein Gitarrist an meiner Seite, der früher auch meine Mutter begleitete und auch während meiner Theaterzeit in Russland dabei war. Ich sagte ihm: "Es ist jetzt Zeit, miteinander zu arbeiten. Du bist jetzt nicht mein Mentor, sondern du arbeitest mit mir ..." Er sagte: "Sehr gerne, Lidia - mit dir bis ans Ende der Welt ..." (lacht) Und so führten wir die Präsentation im "Zentralhaus des Kunstschaffenden" in Moskau durch. Der Saal war voll und es war eine phantastische Atmosphäre. Es war natürlich auch spannend, auf einer Bühne zu stehen, auf welcher vorher schon ganz große Künstler aus Russland und der Sowjetunion standen. Auch im Publikum saßen Legenden, ganz berühmte russische Lieder-Komponisten, welche mittlerweile auch in Zypern oder in den USA leben. Die waren alle da! Ich hätte nie an ein Publikum, das solch Rang und Namen hat, gedacht und auch nicht an die warmen Worte, welche ich auf der Bühne empfangen durfte. Allein für ein Album, auf dem nur eine Stimme und zwei Gitarren zu hören sind. Minimalistisches ist manchmal auch etwas ganz Tolles ...



Das funktioniert manchmal. Vor allem, wenn die Stimme passt ...
Ja, danke! Und ich stellte durch diverse Statistiken fest, dass dieses russische Album bestens verkauft wurde und einen großen Zuspruch fand. Übrigens auch bei TINO EISBRENNER ... (lacht)

Nach "Oblaka" kam mit "Love" nun ein englischsprachiges Album. Es erschien im letzten Jahr aber anders - als seine beiden Vorgänger - nicht physisch, sondern nur digital. Woran liegt es, dass es dieses Album nicht als CD oder Vinyl zu kaufen gibt?
Es gibt zwei Gründe: Erstens sollte das Album ursprünglich 16 Songs haben. Ich hatte jedoch viele Musikzyklen und viele verschiedene Programme. Es gab auch eines mit ausschließlich "Männerliedern" über die Liebe. Songs von DEPECHE MODE, JUSTIN BIEBER, BRYAN FERRY, LENNY KRAVITZ, GEORGE MICHAEL ... Ich fragte mich, wie würde es klingen, wenn eine Frau sie singt. Es war ein Experiment. Die Songs waren anders arrangiert, sie wurden anders dargeboten. Dieses Programm, mit dem ich auf Tour war, wurde damals ein Erfolg und kam wunderbar an. Irgendwann dachte ich dann, diese Songs sollten auf ein Album kommen. Tja, und dann kam Corona ... Wir hatten alle unsere finanziellen Probleme und ich wollte meinen Musikern nicht antun, zu sagen: "Wir machen das jetzt alle für ein Apfel und ein Ei." Deshalb dachte ich, es erst mal digital zu veröffentlichen. Lieber digital herausbringen und die Kollegen gerecht entlohnen, wie es auch sein muss. Ich begab mich auf die Suche nach einen Sponsoren und nach Leuten, die unsere Kunst unterstützen wollen. Mich fragten damals viele, wie es mir geht. Im Gegensatz zu Angestellten bei der Dresdner Staatsoper oder dergleichen hatte ich als freischaffende Künstlerin kein Einkommen und es ging mir nicht gut. Ich machte immer meine Projekte selbst, hatte Unterstützung von sehr netten Leuten und finanzierte sie auch durch Konzerte. Das funktionierte plötzlich nicht mehr. Von einem Geschäftsmann bekam ich dann eine gewisse finanzielle Summe angeboten und er fragte mich, ob diese Summe für eine Veröffentlichung genügen würde. Für eine physische Veröffentlichung, welche natürlich mit weiteren Produktionskosten verbunden ist, genügte sie leider nicht. Aber sie genügte für eine digitale Veröffentlichung und ich war diesem Mann sehr dankbar, denn mit dieser Summe konnte ich arbeiten, mit meinen Künstlern über die Runden kommen und diese Aufnahmen machen. Ich dachte mir, wenn eine klassische CD-Produktion nicht möglich ist, ist es mir lieber, ein kleines, virtuelles Videokonzert zu dieser physisch als CD nicht vorhandenen Musik zu machen. Wir visualisierten dieses Projekt "Love" also und machten ein "Galerie-Konzert". Hier in Dresden gibt es ein tolles Restaurant im "Lingnerschloss". Dieses hatte zu der Zeit natürlich auch geschlossen und so entschloss ich mich, dieses Konzert dort zu machen, um auch die Leute dort zu unterstützen. Der zweite Grund für die bisher nur digitale Version des Albums ist die Tatsache, dass ich es erst veröffentlichen möchte, wenn sämtliche 16 Songs mit dabei sein werden. Auf dem digitalen Album gibt es bisher nur 13 Lieder, weil mir für drei Lieder aus meinem gesamten "Gedankenpaket" noch die Freigaben der Original-Interpreten bzw. der Autoren fehlen. Für "Question Of Lust" von DEPECHE MODE liegt sie mir inzwischen vor und ich warte noch auf die Lizenzen für die Songs von LENNY KRAVITZ und BRYAN FERRY. Diese drei Songs werden digital später veröffentlicht und es wird auch ein physisches Album erscheinen, sobald mir sämtliche Lizenzen vorliegen. Man kann also noch eine CD erwarten ...


LOVE | Gallery Concert | Lingnerschloss


Prima, das hört sich gut an ... Aufmerksam wurde ich auf Dich eigentlich durch TINO EISBRENNER und sein Winter-Album, auf dem Du zu hören bist. Wie kamt Ihr zusammen, wie habt Ihr Euch kennen gelernt und wie kam es, dass Ihr gemeinsam Musik gemacht habt?
Also TINO ist ein Schatz, so fangen wir an ... Unabhängig davon, dass wir beide durchaus auch unterschiedliche Sichten auf Dinge und die Welt haben. TINO ist in einer Partei, ich bin parteilos, aber das alles spielt überhaupt keine Rolle. Was für mich wichtig ist: TINO ist ein wunderbarer Künstler, er macht alles mit einer Leichtigkeit, dass man nicht sieht, wie viel Arbeit hinter dem steckt, was er macht. Wir wurden aufeinander aufmerksam durch den Betreiber eines Berliner Informationsportals, welches "Berlin 24" heißt und seine Publikationen in russischer Sprache veröffentlicht. Er und ich lernten uns bei einem Neujahrsempfang in der russischen Botschaft kennen. Eine PR-Agentin machte uns miteinander bekannt und er fragte mich, ob ich TINO EISBRENNER kennen würde. Dies musste ich verneinen, allerdings hatte TINO EISBRENNER ihm bereits von mir erzählt, was ich natürlich nicht wissen konnte. Es war natürlich sehr interessant, dass eine Russin einen Deutschen in Deutschland nicht kennt, aber ein Deutscher eine Russin in Deutschland kennt bzw. zumindest weiß, dass es sie gibt. Der Kontakt wurde also hergestellt und wir telefonierten über eine Stunde miteinander. TINO wollte unbedingt etwas in russischer Hinsicht machen, da er viele Erfahrungen mit russischen Künstlern hatte und mit seiner Konzertreihe "Musik statt Krieg" schon seit einiger Zeit erfolgreich Veranstaltungen durchführte. Er meinte, dass es sehr schön wäre, wenn wir ein paar schöne Lieder zusammen machen könnten. Weiter sagte er mir, er hätte ein Lied von BULAT OKUDSHAWA ins Deutsche übersetzt und fragte mich, ob ich Lust hätte, dieses Lied mit ihm gemeinsam zu singen. Wir nahmen dieses Lied hier in Dresden in meinem kleinen Studio auf, TINO hatte seine Vorstellungen, ich hatte meine und das funkte irgendwie, es funktionierte. Wir konnten uns spüren und "verschmolzen" dennoch nicht miteinander. Das fand ich sehr gut. Es entstand eine sehr gute Harmonie, aber kein einheitlicher Brei. Genauso empfand TINO dies auch. Er erzählte mir, dass er in jedem Jahr zum Geburtstag von WLADIMIR WYSSOZKI im "Russischen Haus" in Berlin ein Konzert spielt und meinte: "Lass uns doch zusammen ein Programm auf die Beine stellen, du singst russische Lieder, ich singe deutsche Lieder, wir werden von einem chilenischen Multiinstrumentalisten begleitet, das könnte ein wunderbar rundes Programm werde." Zu dieser Zeit - es war Januar - wurde auch mein Album "Oblaka" produziert und ich dachte, dass ich für die im März - um den Internationalen Frauentag herum - geplante Live-Präsentation des Albums in Russland damit ja schon mal ein wenig trainieren könnte ... (lacht) So entstand ein sehr schönes Programm, TINO nannte es "Berührungen". Er kam nach Dresden, wir ließen hier tolle gemeinsame Fotos für dieses Programm machen, er packte das Publikum mit seiner männlich-rebellischen Energie mit einer ordentlichen Portion "Rock", ich ergänzte es mit meiner weiblichen, russischen und liebevoll lyrischen Art, aber leider kam dann die Pandemie und wir mussten auch einige Konzerte absagen. Somit konnten wir dieses Programm nur ein einziges Mal in Eberswalde präsentieren, ansonsten wäre es ganz sicher ein Erfolg geworden. Nun taut dieses Thema etwas auf, aber es gibt ganz aktuell ein anderes Problem, denn ich weiß nicht, ob russische Kunst in Deutschland derzeit überhaupt gefragt ist. Entweder müssen wir noch etwas abwarten oder wir "zaubern" etwas Neues und Interessantes zusammen. Auf jeden Fall ist es eine wunderbare Arbeit mit TINO. Auf der Bühne stehen unterschiedliche Künstler und haben dennoch das gemeinsame Ziel, Menschen zu vereinen und Brücken zu bauen. Wobei wir das mit dem "Brückenbauen" momentan äußerst elegant umgehen müssen, denn die Brücken sollten nicht bröckeln ...

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Tino Eisbrenner und Lidia Valenta (Foto: Isabel Noack)


Ich finde, an dieser Stelle kann man durchaus ein Statement abgeben: Ich bin der Meinung, dass Du als in Dresden lebende Russin nichts dafür kannst, was in der Welt-Politik geschieht. Da sollte der Musikinteressierte zu unterscheiden wissen, ob die eingeführten Sanktionen auch die Menschen betreffen sollten, die gar nicht in Russland leben und auch überhaupt nichts dafür können, was ein einlner Staatschef da gerade abzieht. Dies ist meine Meinung. Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass Ihr Eure Kunst definitiv auf die Bühne bringen solltet und die Toleranz - welche hier immer wieder gepredigt wird - durchaus auch mal dort gezeigt werden kann, wo sie auch angebracht wäre ...
Das ist eine wunderbare Meinung eines Deutschen und ich als Russin muss natürlich sagen, dass auch ich nicht dafür bin, die Verantwortung in die Breite zu verschmieren, denn so findet man keinen Verantwortlichen. Andererseits gibt es keine Grauzonen und man muss Stellung beziehen. Ich finde es auch richtig, in Deutschland lebende russische Künstler dazu aufzufordern, eine Stellung einzunehmen. Denn man kann nicht in Deutschland leben, deutsche Gagen bekommen und das, was in der Ukraine passiert, gleichzeitig unterstützen. Es ist nicht die Zeit für solche Grauzonen. Das kann ich Dir als Russin sagen: Menschen sind erbost und verbittert und es ist so, wie wenn eine Mutter ihrem Kind droht, ihm den Arsch zu versohlen, wenn es jetzt nicht dies oder das macht. Letztlich schmiert die Mutter ihrem Kind aber doch eine Stulle, Bemme oder Schnitte, streichelt es und wird ihm sagen "Ich werde dich immer unterstützen" ... (lacht) Und so versteht man auch die Ukrainer, die nun in der Hitze des Gefechts beginnen, alle Russen zu hassen, obwohl auch dies nicht komplett der Fall ist. Dies ist jedoch fast schon ein philosophischer Gedanke und ich finde es gut und sehr nett, dass Du über diese gepredigte Toleranz sprichst und dass man einfach unterscheiden muss. Aber ich als russische Künstlerin muss erwarten können, dass sich viele russische Künstler, welche hier in Deutschland leben, Einnahmen haben und Steuern zahlen, auch entsprechend positionieren.

Du bist in Deutschland wohnhaft und auch ein Teil der Dresdner Musikszene, welche sowohl klassisch als auch modern äußerst geschichtsträchtig ist. Sind Dir Bands wie electra oder LIFT geläufig?
electra ja, LIFT kenne ich leider nicht ...

Du siehst also über den Tellerrand hinaus und schaust, was in der Szene so los ist und interessierst Dich dafür ...
Auf jeden Fall! Ich sehe in jede Musikrichtung hinein. Neulich sprach ich mit einem Freund über ein Projekt und wir kamen auf ein eigenes, welches ich machte. Es geht um den Song "Über sieben Brücken musst du geh'n" von KARAT und später auch von PETER MAFFAY. Ein Welthit. Während der Pandemiezeit gab es in Omsk in Russland ein Festival, bei welchem Kriegs- und Nachkriegslieder im Mittelpunkt standen. Dort stellte ich das Lied "Über sieben Brücken musst du geh'n" vor, weil ich den dazugehörigen Film gesehen hatte und auch von dem von HELMUT RICHTER geschriebenen Theaterstück hörte. In Betrachtung dieses Stücks und auch des Films sang ich dieses Lied, natürlich wieder aus einer weiblichen Sicht. Obwohl KARAT als Männer dieses Lied erfanden. Ich dachte einfach, dieser Song gehört dorthin und man muss die Bühne nutzen, um Liebe auszustrahlen. Im Vergleich zur Dunkelheit, welche das Nichtvorhandensein von Licht ist, ist die Liebe immer da, sie ist ein Urgefühl, genau so wie Angst, Ekel, Hass oder Kummer. Liebe - egal, wofür - muss man immer zeigen.



Womit ich wieder bei den Grenzen bin, die ich vorhin schon als bei Dir nicht existent bezeichnet habe. Du bist also doch grenzenlos unterwegs und international aufgestellt ...
Ja, das bin ich.

Ich danke Dir für dieses ausführliche Interview und hoffe, dass das mit der CD klappen wird und man Dich auch wieder live auf der Bühne sehen kann.
Das wünsche ich mir auch. Danke!


Interview: Christian Reder
Übertragung: Mike Brettschneider
Fotos: René Gaens (erstes Foto oben), Isabel Noack (Fotos mit Tino Eisbrenner und Lidia), PR Lidia Valenta (Rest)




   
   
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