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Interview vom 9. Februar 2022



Mit "Rübezahl" geht Joachim Witt am 25. Februar in die nächste Runde. Es wird die Letzte sein, denn nach der Platte "Rübezahls Reise" (Rezension HIER) beendet er die Trilogie, die er 2018 begann. Insgesamt 11 neue Lieder warten auf seine Hörer, nur die Live-Aufführung des Albums wird noch eine Weile auf sich warten lassen. Die für Ende Februar geplante Tour wurde in dieser Woche abgesagt und in den Herbst verschoben. Wegen Corona … wieder mal. Danach ist des Berggeists Reise im Witt'schen Universum am Ziel angelangt. Was danach kommt, ob überhaupt noch was kommt, was den interessierten Leser am 25.2. auf dem Album "Rübezahls Reise" erwartet und was da mit der Tour los ist, wollten wir vom Altmeister des Deutschrock erfahren, und luden ihn zum Interview ein ...

 


 

Joachim, eine Frage vornweg: Corona… hat es Dich schon ereilt oder bist Du bisher verschont geblieben?
Doch, ich war bereits betroffen, und zwar gleich am Anfang der ganzen Geschichte. Da habe ich mich irgendwo und irgendwie infiziert. Ich hatte also Corona, habe das aber ganz gut überstanden. Ich musste glücklicherweise nicht ins Krankenhaus, doch es verlief schon ungewöhnlich stark und heftig. Ungewöhnlich deshalb, weil ich ansonsten nicht mal eine Grippe kenne. Ich war sehr geschwächt, das war schon echt übel.

cd 20220210 1204872431Trotzdem hast Du es geschafft, ein neues Album zu machen. Die Rübezahl-Geschichte findet mit "Rübezahls Reise", dem dritten Album dieser Reihe, im Februar ihre Fortsetzung und gleichzeitig auch ihren Abschluss. War das eigentlich von Anfang an als Trilogie geplant oder ergab sich das erst, als sich nach dem ersten Album und der dazugehörigen Tour der Erfolg einstellte?
Nein, als Trilogie geplant war es tatsächlich nicht. Aber ich finde, so ein Dreiteiler ist eine gute Sache. Für mich war wichtig, dass man so etwas nicht unnötig in die Länge zieht und sich auch mal wieder auf was Neues einlässt. Das ist mein Anspruch und dem werde ich gerecht.

Du bist mit den beiden Vorgänger-Alben fleißig gereist und hast im Rahmen der Tourneen die Songs der Alben live präsentiert. Hast Du Dir dabei auch direkte Reaktionen der Fans abgeholt?
Ich muss sagen, ich war mit den Reaktionen mehr als zufrieden. Die Stimmung auf den Konzerten war energetisch und im positiven Sinne aufgeladen, es war toll und hat Spaß gemacht.

Wie viel von diesem Berggeist steckt denn nun nach diesen ereignisreichen vier Jahren mit neuen Sounds, dem Schreiben der Songs, den Plattenproduktionen und den Livekonzerten in Dir? Und wird es einen harten Schnitt geben, wenn der letzte Ton auf der Bühne verklungen ist?
Das ist nicht einfach zu beantworten. Ich habe Rübezahl für mich entdeckt, weil diese Figur aus ihrer Mythologie heraus sehr gut zu meinem musikalischen Ausdruck passt. Weil es groß ist, weil es manchmal wie ein Gewitter kommt und sich entfaltet. Deshalb war Rübezahl für mich die passende Figur. Das haben wir dann immer weitergesponnen. Inwieweit er inhaltlich mit mir zu tun hat, ist natürlich auch eine Frage, die man berechtigterweise stellen kann. Rübezahl hat insofern etwas von mir, weil ich selber sehr naturnah bin und er ja der Beschützer der Natur schlechthin war. Darüber hinaus ging er sehr empfindsam und sensitiv mit solchen Dingen wie Gerechtigkeit um. Das ist eben bei mir auch der Fall. Ich habe eine sehr empfindliche Antenne für Sachen, die mir gerecht oder ungerecht erscheinen. Somit war und ist Rübezahl genau die passende Figur für meinen musikalischen Ausdruck. Das Ganze hat auch eine Art Symbolcharakter, denn ich liebe solche theatralischen Momente, wie sie ja in meiner Musik immer wieder stattfinden. Aber irgendwann ist dann auch mal Schluss.

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Lässt sich so ein Konzept wie das Rübezahl-Programm mit den drei Platten und diesem speziellen Sound denn einfach so beenden bzw. ist diese letzte Reise dann auch wirklich die letzte Reise oder wird Rübezahl in irgendeiner Form bei Dir weiterleben? Man kennt das ja von den anderen Sachen, die Du bisher gemacht hast, da schimmert ja immer wieder mal etwas durch. Wird es auch mit dieser Sache so sein?
Natürlich wird Rübezahl in meiner Erinnerung weiterleben und er wird auch immer ein Teil meiner Person bleiben, weil ich ihn auch genau in dem Bewusstsein ausgewählt habe, dass er etwas mit mir zu tun hat. Aber wenn ich ein neues Kapitel aufschlage, bedeutet das ja nicht, dass das alte nicht mehr stattfindet. Auf den Konzerten wird Rübezahl immer einen Platz finden und zum Leben erweckt werden. Darüber mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Aber ich möchte den Menschen, die mir gerne zuhören und die meine Musik mögen, auch wieder etwas anderes, neues bieten.

Nach "Bayreuth" ist das ja nun schon die zweite Trilogie, die Du gemacht hast. Mal abgesehen davon, dass zwischen den einzelnen "Bayreuth"-CDs noch andere Platten mit anderen Inhalten erschienen sind, würde mich interessieren, ob es große Unterschiede in der Arbeit und der Herangehensweise zwischen beiden Konzepten gibt? Lässt sich manches sogar miteinander vergleichen?
Die "Bayreuth"-Trilogie kann man auf jeden Fall mit der "Rübezahl"-Reihe vergleichen. So weit würde ich durchaus gehen. Alles weitere muss man nun erst einmal abwarten, denn mir geht gerade ganz vieles durch den Kopf. Was am Ende dabei rauskommt, ist auch für mich selbst spannend zu beobachten. Es wird viel davon abhängen, was das ganze Team an Kreativität hervorbringt. Im Moment befinde ich mich in einer Art Warteschleife, bevor etwas Konkretes und Neues umgesetzt wird.

Sprechen wir lieber weniger vom Ende der Reise, sondern lieber davon, was noch vor Dir und dem Berggeist liegt. Was erwartet die Fans denn am 22. Februar, wenn sie "Rübezahls Reise" erstmals in seiner vollen Schönheit genießen können?
So eine neue Platte ist ja immer ein Abbild des Seelenzustandes, in dem ich mich gerade befinde. Es ist außerdem immer die Frage, inwieweit man das Konzept bedient, welches man sich ausgedacht hat. Letztlich ist es aber inhaltlich und von den Texten her immer ein direktes Abbild von mir, denn es sind ja nicht nur fiktive Dinge, die in den Liedern vorkommen, sondern es ist immer auch ein Teil meiner Selbst und wie ich die Welt erlebe. Das versuche ich möglichst authentisch und effektiv durch die Begleitmusik zu untermauern. Diese Musik fällt deshalb meistens sehr groß und gewaltig, aber auch tief und romantisch aus.

Kannst Du zu den Punkten "fiktive Inhalte" und "persönliche Inhalte" Beispiele nennen?
Das kann ich nur ganz schwer, weil ich die Texte, so wie sie am Ende dastehen, gerne der Phantasie des Hörers überlasse. Darüber hinaus ist es tatsächlich so, dass es wenig Sinn macht, mich bei etwas, was als Projekt abgeschlossen ist, nach den Texten zu fragen. Ich erinnere mich dann höchstens noch an die Überschriften (lacht). Ich habe innerlich einfach damit abgeschlossen.

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Zwischen "Rübezahls Rückkehr" und der neuen Platte lag nicht allzu viel Zeit. Ist auf dem aktuellen Album komplett neues Material enthalten, welches in den letzten 24 Monaten geschrieben wurde oder greifst Du auch auf Songs zurück, die bereits während der Arbeit an den beiden Vorgänger-Alben entstanden sind?
Die Songs sind alle komplett neu. Zum Teil sind die Lieder von mir komponiert worden, zum Teil von Chris. Er und die anderen Kollegen haben mir Sachen angeboten, aus denen ich mir dann die herausgesucht habe, zu denen ich energetisch eine Verbindung gespürt habe. Insofern findet sich auf der Platte ein gemischtes Repertoire an Komponisten. Man bastelt halt an den Songs herum und muss dabei den Kontext herstellen, was auf das Album passt, welche Reihenfolge man wählt usw. Die Songs von Chris sind etwas härter als meine, was man natürlich irgendwie mischen muss, was aber am Ende auch eine schöne Abwechslung mit sich bringt. "Einsamkeit" und "Bernstein" sind zum Beispiel Titel von Chris, die ich mit auf die Platte genommen habe. Eine Nummer wie "Stern" ist auch von Chris, hat aber wiederum einen völlig anderen Charakter als die anderen beiden Songs. Ursprünglich war "Stern" für einen ganz anderen Zweck gedacht, aber ich habe um die Nummer gebeten, weil sie mir so positiv auffiel. Chris gab sie mir dann und ich denke, das war eine gute Entscheidung. Alles in allem ist es ein sehr abwechslungsreiches Album geworden. Oder wie siehst Du das?

Ich konnte es bisher nur über den PC hören, was ich äußerst ungern mache. Aber bei dem, was ich da schon gehört habe, steckt tatsächlich jede Menge Abwechslung drin. Es klingt nicht wie aus einem Guss, sondern es hat durchaus seine Momente, wo man aufhorcht. Mehr kann ich dazu erst sagen, wenn ich das Album in aller Ruhe über meine Anlage gehört habe.
Das solltest Du auch wirklich tun, denn der Sound braucht Lautstärke. Das geht natürlich über den PC nicht.

Du hast eben schon einen speziellen Namen erwähnt, nämlich den von Chris. Chris Harms. Es ist also ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Ein anderer Name ist Claudia Uhle, die mit Dir in einem Duett zu hören ist. Nun hat Chris nicht nur beim Songwriting mitgewirkt, sondern er war vermutlich auch in den Produktionsprozess mit eingebunden. Waren aber die Besuche der beiden am Mikrofon von vornherein eingeplant oder ergab sich das erst im Entstehungsprozess der Platte?
Das hat sich so ergeben. Ich dachte, "Stern" wäre ein guter Song für ein Duett, denn das war so nicht geplant. Ich habe dann aber Claudia dieses Duett vorgeschlagen, weil der Kontrast unserer beider Stimmen enorm ist und es einen hohen Reiz bietet, unsere Stimmen zusammen zu hören. Ich finde, das Ergebnis spricht für sich.

Wer schon in den Neunzigern Musik gehört hat, wird sich noch an Claudia als Sängerin von EXPERIENCE erinnern. Weißt Du noch, wann Ihr Euch zum ersten Mal einen Song geteilt habt und wie Ihr Euch kennengelernt habt?
Das muss Anfang der 2000er gewesen sein. Da sind wir in der Berliner Philharmonie aufgetreten und das müsste mit dem Song "Meaning of life" gewesen sein.



Dein neues Album entstand ja mitten in dieser seltsamen Zeit mit all den bekannten Problemen und Beschränkungen, die die Pandemie mit sich brachte. Waren die Arbeiten an "Rübezahls Reise" davon in irgendeiner Art betroffen oder hatte das keinen größeren Einfluss auf die Plattenproduktion?
Erfreulicherweise hatte das Ganze nur wenig Einfluss sowohl auf mein Leben als auch auf die Produktion der Platte. Ich selber lebe ja relativ zurückgezogen und bin nicht so sehr auf Gesellschaft angewiesen. Deshalb bin ich in meiner Arbeit, die ich weitgehend aus dem häuslichen Bereich heraus machen kann, relativ unabhängig von äußeren Einflüssen. Meine Layouts erarbeite ich mir alle zuhause in meinem eigenen Studio und tausche diese Layouts dann auf digitalem Wege aus. Das war aber auch vor Corona schon die gängige Arbeitsweise. Mit Chris treffe ich mich wie gehabt zu den Gesangsaufnahmen, was aufgrund der Vielzahl von Testmöglichkeiten, die man hatte, auch nie ein Problem darstellte. Natürlich trafen wir uns auch sonst des Öfteren mal, wenn es z.B. um Konzeptionsbesprechungen ging. Ansonsten vermied ich es, ständig unter Menschen zu sein.

Es war also nicht so, dass Ihr mit zehn oder mehr Leuten im Studio wart und die Platte gemeinsam eingespielt habt?
Nein, auf keinen Fall. Wie Chris das in den zurückliegenden Monaten gehandhabt hat, kann ich nicht sagen. Er arbeitet ja ständig mit verschiedenen Musikern zusammen, komponiert auch gemeinsam mit anderen Leuten. Wie die das allerdings Corona-konform geregelt haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber er hat sich nie beschwert, dass das Arbeiten unter Corona-Bedingungen nicht möglich gewesen wäre, so dass ich davon ausgehe, er hat seinen Weg gefunden, damit umzugehen.

Wir haben also festgestellt, dass das Album sehr abwechslungsreich geworden ist. Lässt sich trotzdem ein Song der Platte besonders hervorheben, der stellvertretend für das ganze Album stehen könnte?
Ich kann Dir nur meinen Lieblingssong nennen, das ist "Die Wölfe ziehen".

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Warum ausgerechnet "Die Wölfe ziehen"?
Weil er so archaisch ist und weil er dafür steht, mit der Natur in Verbindung zu treten. Außerdem ist der Wolf eine Art Lieblingstier von mir. Ich empfinde dieses Tier in seiner ganzen Erscheinung als relativ mysteriös und unterstütze auch die Entscheidung, den Wolf wieder bei uns anzusiedeln. Er hat einfach etwas Mystisches für mich, was wunderbar zu meinem eigenen Naturell passt und sich gut mit meiner Auffassung von der naturalistischen Ausgestaltung meiner Texte verträgt. Und natürlich fügt er sich auch wunderbar ins Bild von Rübezahl ein, diesem einsamen Riesen, mit dem er sich eine Heimat teilt, nämlich den Wald. Insofern könnte man meinen, der Wolf ist ein naher Verwandter von Rübezahl und in diese Richtung habe mir ja auch die Texte ersponnen. Dort, wo der Wolf auftauchte, erscheint er immer als guter Freund von Rübezahl.

Wie wird denn das neue Liveprogramm aussehen? Werden nur Stücke der Rübezahl-Trilogie präsentiert oder kommst Du an "Tri Tra Trullala" und "Der goldene Reiter" nicht vorbei?
Ich werde meine ganze Bandbreite präsentieren. Natürlich wird "Der goldene Reiter" stattfinden. Die Rübezahl-Trilogie ist in Form eines Potpourris vertreten. Auch von den "Bayreuth"-Sachen wird es einiges geben und meine sonstigen Hits spiele ich auf jeden Fall auch.

Und wer wird Dich live begleiten? Ist es dasselbe Ensemble wie bei der letzten Tour?
Nein, ich habe eine neue Band zusammengestellt. Ich weiß nicht, ob Dir die Namen alle geläufig sind, denn es ist ja keine Band an sich, sondern meine Liveband setzt sich zusammen aus einzelnen Musikern. Wir haben auch noch nicht zusammen geprobt, sondern uns erstmal nur getroffen und uns über gewisse Dinge unterhalten und abgestimmt.

Du hast gerade am Dienstag Deine komplette Tournee, die am 25. Februar starten und Dich in jeden Winkel des Landes führen sollte, abgesagt. Wann wird sie nachgeholt?
Ich habe die Tour in den Herbst verschoben, weil ich denke, dass wir bis dahin diesen ganzen Wahnsinn hinter uns gelassen haben. Leider ging es nicht anders, als diesen Schritt zu vollziehen.

Viele Deiner Kollegen sprechen ja auch von der Zurückhaltung des Publikums, wenn es um das Vorabkaufen von Tickets geht. Konntest Du diese Beobachtung auch machen, dass die Leute vorsichtig geworden sind und sich keine Tickets mehr im Vorverkauf zulegen wollen?
Ja, ich denke, das ist im Moment wirklich ein Problem. Viele haben Angst, sich unter Corona-Bedingungen in eine Konzerthalle zu stellen, wo ja doch einige Menschen relativ dicht beieinanderstehen. Das ist menschlich alles nachvollziehbar und man muss es in diesen Zeiten auch nicht unbedingt erzwingen. Also macht man solche Dinge am besten erst dann wieder, wenn alle eine positive energetische Einstellung haben und es wieder genießen können, in ein Konzert zu gehen. Ich habe auch auf solche Dinge wie Parkplatz- oder Strandkorbkonzerte verzichtet, weil man durch das Herunterbrechen auf ein absolutes Minimum natürlich große Zuschauerverluste in Kauf nehmen muss und mit großer Wahrscheinlichkeit ein wirtschaftliches Minus einfährt. Dafür stelle ich mich nicht auf die Bühne. Es muss schon alles organisch sein und wie gewohnt ablaufen, nur dann werden es schöne Konzerte und niemand muss unter irgendwelchen Einschränkungen leiden.

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Deine Einstellung gefällt mir. Auch ich habe mit diesen Autokonzerten oder Wohnzimmerstreamings nichts anfangen können, das hat mit einem Konzert an sich nichts zu tun.
Stimmt. Das war ja für viele auch nur eine Notlösung. Ich muss unter solchen Bedingungen jedenfalls nicht stattfinden.

Mal abgesehen vom Schlagerbereich, der ja durch seine mediale Omnipräsenz von der Krise sogar zu profitieren scheint, geht ja vieles gerade richtig vor die Hunde. Was glaubst Du, was wird am Ende der Pandemie von unserer einstigen Kulturlandschaft noch übrig sein? Erleben wir gerade das endgültige Ende der Abwechslung in diesem Bereich?
Also ich meine, dass dieser Wahnsinn endlich ein Ende finden muss. Bestimmte Dinge müssen jetzt einfach angepasst werden und nicht aus reinem Selbstzweck aufrechterhalten werden, um das Gesicht nicht zu verlieren. Das ist meine grundsätzliche Meinung zur Situation. Andere Länder sind da deutlich weiter als wir, was an ihrer Einstellung dem Problem gegenüber liegt. Es ist mittlerweile so unglaublich viel Schaden entstanden, ob nun in der Gastronomie oder sonst wo. Gerade der Mittelstand ist davon betroffen. Und man muss nun endlich Lösungen finden, denn inzwischen gibt es diese Lösungen. Und was den Veranstaltungsbereich angeht, so sind wir alle genauso betroffen. Es ist ein Fiasko! Also ich kann mich immer nur wiederholen, man muss jetzt und sofort einschreiten und die Maßnahmen den wissenschaftlichen Erkenntnissen und Entwicklungen anpassen. Das ist meine persönliche Meinung, zu der ich auch jederzeit stehe. Es ist ja nicht nur großer wirtschaftlicher Schaden entstanden, sondern auch psychologischer Schaden. Man kann sagen, dass der Schaden allumfassend ist und man den ganzen Umfang noch gar nicht erkennen kann. Man wird viele Baustellen haben, nicht zuletzt auch im psychologischen Bereich, was durch die unzähligen Störungen im Miteinander begründet ist, die in den zurückliegenden zwei Jahren aufgetreten sind. Diese Störungen müssen allesamt therapiert werden, was natürlich eine immense Aufgabe darstellt. Aber man darf nicht vergessen, dass es vor allem im wirtschaftlichen Bereich auch einige Gewinner der Krise gibt, zum Beispiel im Online-Geschäft. Oder die Pharma-Industrie. Den eigentlichen Finanzmarkt hingegen hat das alles eh nicht gestört, ganz im Gegenteil, die sind ja eher noch reicher geworden, als sie ohnehin schon waren. Es trifft also wie immer vor allem die Kleinen und Schwachen unserer Gesellschaft. Das wieder hinzubiegen, wird ganz viel Zeit brauchen, wenn man es denn überhaupt wieder hinbekommt.

Kennst Du denn auch persönlich den einen oder anderen Kollegen, der aus diesen Gründen seinen künstlerischen Beruf beiseiteschieben und in einen "normalen" Beruf wechseln musste, um finanziell zu überleben?
Das wird mit Sicherheit passiert sein. Ich weiß nur von einigen Musikern, die ihren Unterricht, den sie nebenher Kindern gaben, verstärkt online durchführen mussten. Die sind einfach auf diese Einnahmen angewiesen. Ansonsten habe ich relativ wenig Feedback von anderen Musikern, da ich quasi in meinem Eremitenturm lebe. Aber ich denke, bei den Musikern, die darauf angewiesen sind, ihr Geld auf der Bühne zu verdienen,003 20220210 1659209346 sieht es ganz dunkel aus. Und ja, da kann ich mir durchaus vorstellen, dass manch einer inzwischen auch andere Jobs annehmen muss, weil er durch den Staat nicht entsprechend getragen wird. Das, was man für den Ausfall von Konzerten usw. gezahlt wird, ist wirklich lächerlich. Davon kann man gerade mal einen Monat überleben. In der Gastronomie ist das schon wieder anders. Da hast Du ab einer bestimmten Größe Auffangzahlungen vom Staat bekommen, mit denen man sehr gut klarkommen konnte. Aber wie gesagt, die Verlierer sind immer die, die sowieso schon ganz unten stehen.

Wie hast denn Du in den letzten Monaten ohne Muggen den Kontakt zu Deinen Fans gehalten?
Nur online. Aber das war vorher auch nicht anders. Der Kontakt läuft entweder über die Fan-Plattform getnext oder über die Supporterseite, wo hin und wieder mal etwas gepostet wird. Oder eben live bei Konzerten. Da das aber wegfiel, blieb nur noch getnext übrig.

Eine Frage habe ich noch, die mir schon länger auf der Seele brennt, die ich Dir aber noch nie gestellt habe. Es geht dabei um Deine Anfangszeit unter dem Namen Julian. Die Single, die damals auf den Markt kam, ist inzwischen Goldstaub. Die Fans suchen sie verzweifelt, finden sie aber nirgendwo. Gab es zu dieser Julian-Geschichte eigentlich auch die Idee, mal ein Album zu machen und den Julian weiter zu etablieren oder bleib das eine einmalige Geschichte?
Grundsätzlich ist es vielleicht ganz gut, dass diese Single nicht mehr gefunden wird. Musikalisch war das überhaupt nicht das, was ich mir vorgestellt habe, aber es war eine Möglichkeit, in die Öffentlichkeit zu treten und auszuprobieren, was für mich als Künstler am Anfang meiner Karriere möglich ist. Und zur damaligen Zeit musste ich halt noch das annehmen, was mich gefördert und vorangebracht hat. Jedenfalls war Julian in musikalischer Hinsicht… Na gut, über die B-Seite der Single konnte man sagen, es hat vielleicht ein kleines bisschen was mit mir zu tun, während die A-Seite überhaupt nicht meine Welt war. Visuell fand ich das aber durchaus gelungen, was also die Klamotten und die Frisur betraf. Aber über die Musik müssen wir nicht sprechen, da kann man ruhigen Gewissens drüber hinwegsehen.

Wie kam es denn überhaupt dazu? Du warst meines Wissens zu dem Zeitpunkt Theaterschauspieler, richtig?
Ja, ich hatte es mal mit der Schauspielerei versucht. Bevor ich zur Schauspielschule ging, fragte mich jemand, ob ich mal mitmachen wollte bei einem Stück namens "Gorilla Queen", was im Grünspan in Hamburg aufgeführt wurde. Nachdem ich da also mitgewirkt hatte, meinte man, ich sei ein echtes Talent und solle auf die Schauspielschule gehen. Das versuchte ich tatsächlich und empfand diese Zeit als sehr faszinierend. Über die Schauspielschule landete ich dann beim Thalia Theater Hamburg, habe das aber zugunsten von DUESENBERG, meiner ersten eigenen Band, aufgegeben. Bei DUESENBERG konnte ich machen, was ich wollte, während ich beim Theater immer nur reagieren musste. Da ich aber ein Typ bin, der nicht gerne auf Anweisungen reagiert, war das im Grundsatz nicht der richtige Weg für mich.

Wie wird es nach Rübezahl bei Joachim Witt weitergehen? Hast Du schon Pläne für Deine nähere Zukunft bzw. für Deine nächste Metamorphose? Du häutest Dich ja ständig…
Na klar, ich habe bereits einige Vorstellungen und Gedanken im Kopf, die aber noch nicht fertig ausgemalt sind und so konkret bestimmt sind, dass es sich lohnen würde, zum jetzigen Zeitpunkt darüber zu sprechen. Auf jeden Fall wird es weitergehen und das wird auch so bleiben, solange ich Lust darauf habe. Und im Moment habe ich noch Lust.

Dann wünsche ich Dir viel Erfolg für die Platte und die Tour.
Vielen Dank.



Interview: Christian Reder
Übertragung/Bearbeitung: Torsten Meyer
Fotos: Franz Schepers, Christian Reder




   
   
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