Interview vom 24. Mai 2021
Im nächsten Monat, genauer gesagt am 21. Juni, jährt sich zum 23. Mal der Todestag von Gerhard "Gundi" Gundermann. Seine Band, Die Seilschaft, hat lange gebraucht, um sich wieder auf eine Bühne zu stellen und ihrem Publikum die Lieder von "Gundi" live zu spielen. Vor 10 Jahren passierte dies und die Vertretung für den viel zu früh verstorbenen Frontmann übernahm der Liedermacher Christian Haase. Mit ihm zusammen gab die Seilschaft seitdem nicht nur zahlreiche Konzerte, sondern hat mit "Dein Paket" jetzt auch ein Album mit 13 neuen Liedern fertig aufgenommen. Es wird am 4. Juni in den Handel kommen und wir hatten die Gelegenheit, mit Christian Haase über die Platte und alles Drumherum zu sprechen ...
Eine Frage, die wir seit einiger Zeit jedem Musiker stellen ist die, wie sie oder er gerade durch diese schwere Zeit kommt. Wie sieht es bei Dir aus? Wie waren die letzten 14 Monate für Dich?
Durchwachsen. Emotional war da sicher alles dabei: Schockstarre, Resignation, Wut, Traurigkeit, Müdigkeit. Kreativität aber auch das viel stärkere Virus "Hoffnung" als Antrieb.
Anlass dieses Interviews ist aber ein Anderer. Seit 10 Jahren gibt es die Seilschaft wieder und Du hast beim Neustart den Posten am Mikrofon übernommen. Bist Du als "Vertreter" Gerhard Gundermanns auf der Bühne inzwischen voll und ganz angekommen, oder ist da möglicherweise noch ein bisschen das Gefühl der Ungewissheit bei Dir, ob Du hohe Erwartungen an Dich - - egal ob von Kollegen oder Fans - nicht erfüllen kannst?
Die Seilschaft hat ja nie aufgehört zu existieren, die Band war nie aufgelöst. Dafür hatte Gundermann die Knoten zu fest gezogen und alle an ein Seil geknüpft, dessen Enden wundersamer Weise immer weiter wachsen. Es war also kein schwerer Akt, mich in diese Seilschaft zu integrieren. Natürlich haben wir uns vor dem ersten Konzert viel unterhalten und beschnüffeln müssen. Aber wenn da irgendwas nicht gepasst hätte, wären wir nicht auf die Bühne gegangen.
Was hattest Du damals, am 15. April 2011 in Berlin im "Postbahnhof" und am 16. April 2011 im Leipziger "Anker" für ein Gefühl in der Magengegend, als Du erstmals die Bühnen als Sänger der Seilschaft betreten hast?
Wir waren super vorbereitet und hatten bei den Proben verdammt viel Spaß. Den wollten wir einfach auf die Bühne bringen. Wir waren uns daher sicher, dass wir zwei schöne Shows spielen werden. Bammel hatten wir eigentlich nur, dass es den Leuten nicht so gefallen könnte wie uns. Aber "wie es in den Wald hineinruft, so schallt es heraus". Und wir riefen "Freude" und es schallte "Freude" zurück. Aber ja, wir hatten alle krasses Lampenfieber.
An was erinnerst Du Dich in Bezug auf diese beiden Muggen noch besonders zurück? Was hat bleibende Spuren hinterlassen?
Geplant waren nur die zwei Konzerte in Berlin und Leipzig. Die Spur, die uns bis heute geführt hat, war wohl meine spontane Ankündigung, dass wir nochmal wiederkommen werden. Das war ja gar nicht abgesprochen, aber die Stimmung an beiden Abenden ließ nichts anderes zu. Man kann doch keine Rakete starten und einen Moment später die Mission abbrechen.
Es fing damit an, dass Ihr die Botschaften und Melodien von Gundermann weiter in die Welt tragen wolltet, weil er es selbst ja nicht mehr kann. Einige Jahre habt Ihr nur die Lieder von damals wieder live gespielt, aber irgendwann kam die Idee, neue Lieder zu schreiben und mit ins Programm zu nehmen. Wann kam diese Idee erstmals auf und wer hatte sie?
Das darf man sich nicht so technisch vorstellen. Da kam keiner und hat gesagt, wir machen jetzt was Eigenes. Die Band besteht aus sechs Künstlern, die was kreieren wollen, weil sie es einfach müssen. Einen Künstler zeichnet der Schaffensprozess aus. Ohne neues Material wäre die Band irgendwann implodiert. Den Gundermann-Acker haben wir sehr intensiv gepflügt und gepflegt, und dabei ist wohl immer mal wieder ein Lied-Samen aus der Ideentasche gefallen. Dreimal nicht hingeguckt und schon wuchs ein neuer Song. Ich glaube, das Bild trifft es ganz gut.
Du bist ja lange vor Deinem Einstieg bei der Seilschaft schon als Solist unterwegs gewesen und hast für Dich eigene Lieder geschrieben. Wo liegen die Unterschiede zwischen Deiner Arbeit, für Dich selbst Lieder zu machen, und der als Songwriter für die Seilschaft tätig zu sein?
Auch das stellst du dir wieder zu technisch vor. Ich habe keine zwei Ablagestapel für meine Songs. Ich schreibe einfach ein Lied. Wenn es der Band gefällt, dann probieren wir dran rum und es kann ein Seilschaft-Song werden. Oder aber ich texte zu den Ideen der anderen. Aber auch da ist das Prinzip das gleiche. Es muss uns gefallen.
Wie sehr hast Du beim Schreiben nach links und rechts geschaut, was Gundermann damals zu Papier gebracht hat? Bist Du ein Schüler Gundermanns, der sehr auf die Arbeit des Lehrers achtet um nicht zu weit auszuscheren, oder bist Du Christian Haase, der seine Aufgabe bei der Seilschaft nun komplett in sich aufgesogen hat und dabei inzwischen nur auf seine innere Stimme hört?
Ein Schüler kannst du ohne Lehrer nicht sein. Andernfalls kopierst du Vorbilder. Das Kopieren hat aber für niemanden einen Mehrwert. Was soll ich mich denn bemühen, Lieder zu schaffen die "klingen wie…" Es weiß doch jeder, dass Christian Haase nicht Gerhard Gundermann sein kann. Ist doch logisch. Wer erwartet also wirklich, dass ich so schreiben müsste wie er?
Nun ist 10 Jahre nach dem "Neustart" ein Album mit neuen Liedern fertig und wartet auf seine Veröffentlichung. Bitte erzähle doch mal aus Deiner Sicht, was die Leute am 4. Juni erwartet, wenn es in den Handel kommt?
Wir haben wirklich viel Zeit und noch mehr Herzblut in dieses Album gesteckt. Es ist ein Seilschaft-Album geworden, so wie die Leute uns live kennen und mögen. 13 Liedern sind drauf. Keines gleicht dem anderen. Man kann jeden von uns sechsen heraus hören. Das war die große Herausforderung und die haben wir gut gemeistert.
Wird der Sound der typische Sound der 90er sein oder hat sich da was weiterentwickelt?
Aufnahmemethoden haben sich weiterentwickelt, die Band hat sich weiterentwickelt, das Songwriting ist ein anderes. Wenn der Sound der aus den 90ern wäre, hätten wir was falsch gemacht. Wenn du mit Sound aber eher so ein Gefühl meinst, dann haben wir es unter anderen getroffen.
Ein Blick ins Booklet zeigt sofort, dass Du der fleißigste Song- und Text-Schreiber warst. Waren Deine Ideen die besseren oder haben die anderen Musikanten nicht so viel geschrieben?
Es stimmt, dass ich das Album getextet habe. Mit den Kompositionen waren Micha und Mario auch sehr fleißig. Du hast irgendwann einen Stapel Songs und fängst an, die aufzunehmen. Dann bildet sich schnell eine Art Musik-Menü. Manche Zutaten passen besser zu manchen Gerichten, manche bleiben über für ein Dessert und andere sind einfach zu viel. Die frierst du dann ein und freust dich auf die nächste Koch-Session. Jetzt habe ich schon wieder zu viel verraten, oder?
Nein, auf keinen Fall! Wir sind gespannt. Wie lange habt Ihr jetzt insgesamt an diesem Album gearbeitet. Wieviel Zeit verging vom ersten bis zum letzten Ton im Studio?
Insgesamt haben wir vielleicht 12 Studiotage gehabt, die wir zusammen genutzt haben. Overdubs kamen aus den verschiedensten Locations. Ich habe mit Micha später einige Songs in meinem Studio "Rustico Siciliano" auf Sizilien eingesungen, Andy hat in Norwegen zur Klarinette gegriffen und aufgenommen. Ein paar Aufnahmen sind noch auf Tournee nach dem Frühstück in diversen Hotelzimmern entstanden. Micha hat auf seinem Steinway im McXingroom Studio recorded und Mario im Onlinerocker Studio sogar Gundis Mandoline nochmal zum Einsatz gebracht. Vom ersten bis zum letzten Ton (und Corona-Pausen abgezogen) haben wir ein gutes Jahr lang dieses Paket zusammengeschnürt.
Ich fragte eingangs, ob Du inzwischen komplett bei der Seilschaft angekommen bist, was die Arbeit auf der Bühne betrifft. Gleiche Frage in Bezug auf die Aufgabe, das Programm der Band mit neuem Leben zu füllen. Fühlst Du Dich restlos gut mit dem, was man auf dem Album "Dein Paket" finden kann, oder gibt es Zweifel?
Selbstkritik ist doch ein guter Motor. Mit ein paar PS zu viel wird daraus aber Zweifel. Dann fährst du auch mal schnell gegen den Baum und bremst dich selber aus. Man kann also sagen: Zweifellos sind wir selbstkritisch, aber irgendwann musst du einfach loslassen und die Songs in die Welt lassen. Da gehören sie schließlich hin. Ein guter Song wird immer seinen Weg finden.
Michael Nass hat das Album produziert. Hat er das komplett allein übernommen oder hat die Band während der Produktionsphase noch eigene Ideen und Änderungswünsche eingebracht?
Michael ist unser musikalischer Leiter und kümmert sich seit eh und je um das Fine-Tuning der Arrangements. Dass er das Album gleich produziert hat, lag in der Natur der Sache. Ein Produzent ist ja aber nicht der Herr Oberkommandeur, dem man Änderungswünsche mitteilt. Zumindest nicht bei der Seilschaft. Vielmehr sammeln sich die eigenen Ansätze bei ihm und er unterstützt jeden einzelnen Musiker im Verbessern dieser Ideen. Er hat den Blick über den Arbeitsstand und das Gesamtwerk und hält den Roten Faden fest.
Gemischt wurde das Album von Peter Schmidt, der schon viele deutsche Pop- und Rockstars in Szene gesetzt hat. Wieso habt ihr euch ihn ausgesucht?
Wir wussten von Anfang an, dass wir den Mix aus den Händen geben wollen und ein Paar frische Ohren am Pult brauchen. Peter hat in seinen Ballsaal-Studios eine beachtliche Vielfalt zusammengemischt. Zum Beispiel Wir sind Helden, Maffay, Sarah Connor, Selig, La brass banda, Johannes Oerding, Beatsteaks, um jetzt mal ein bisschen die Palette aufzuzählen. Und da "Dein Paket" musikalisch auch ein paar Genre umfasst, war Peter Schmidt eine gute Entscheidung.
Im Studio war ein Gast bzw. eine Gästin mit dabei, nämlich Anne de Wolff. Sie spielt Cello, Bratsche und Violine. Wie kam es zu ihrem Mitwirken?
Anne de Wolff und Micha Nass kennen sich von ihrer Arbeit bei BAP, deren letzten beiden Alben Anne zum Beispiel mit produziert hat. Dass sie auch auf "Dein Paket" mitspielt, hat ein paar wunderschöne Highlights in die Platte gezaubert.
Wird man sie auch bei Konzerten als Gast-Musikerin erleben können?
Wir wären schon glücklich, wenn erstmal überhaupt wieder Shows geplant werden können. Anne ist uns dann jederzeit willkommen.
Was sind Deine Favoriten auf dem Album?
Lied 01, 06, 09, 12 und 13 finde ich super. Und 03, 02, 07, 04, 08, 05,10 und 11.
Sieht bei mir ähnlich aus ;-) … Kommt "Dein Paket" eigentlich nur als CD oder auch als Vinyl auf den Markt?
Das Album kommt als CD mit einem fetten Booklet und in schönem Digipack.
Ihr habt bereits vor der offiziellen Album-VÖ am 4. Juni zwei Singles daraus veröffentlicht. Zuerst das lyrische, getragene Titelstück "Dein Paket" und später das fröhliche "Hand aufs Herz", die jetzt schon öfter im Radio zu hören waren. Die Singles haben von Oliver Thomas poetische Videos bekommen, die auf Youtube bereits gut geklickt werden. Wieso genau diese beiden Songs, wieso in dieser Reihenfolge?
"Hand aufs Herz" ist ein Song über das Zusammenbrechen des Muts und den Kraftakt, aus den Scherben einen Spiegel der Motivation zu kleben. Um wieder aufzustehen, um weiter zu machen. Unser Beitrag zum endenden Winter und Lockdown, unser Ja zu einem "Weiter geht's". Als Klebstoff dient beste, musikalisch-folkloristische Seilschaft-Manier. Ein "Happy-Song", wie es so schön heißt, aber ohne inhaltsleeres Shalalala. Das ruhige Lied "Dein Paket" haut eigentlich in die gleiche Kerbe, nähert sich dem Thema aber anders an. "Auch wenn ich es will, ich kann mich nicht zerreißen. Hör ich auf die Lauten, überhör ich die Leisen." Diese Zeile daraus ist zugleich unser Statement, unser inhaltlicher Faden, der sich durch das Album zieht. Wir müssen wieder beginnen, mehr aufeinander acht zu geben. Das Laute müssen wir lernen zu überhören, die Schreier müssen wir ausblenden und denen, die mit leiser Stimme flüstern, unsere Ohren leihen. Unter anderem.
Was wünschst Du Dir persönlich für "Dein Paket"? Glaubst Du an eine richtig gute mediale Aufmerksamkeit oder denkt Ihr über "überregionale" Reaktionen gar nicht groß nach?
Jeder Absender wünscht sich, dass sein Paket auch gut ankommt. Mit dem Album geht es uns nicht anders. Aber erste Airplays und ein paar interessierte Magazine sind ja schon am Start.
Egal ob solo oder mit der Seilschaft: Was wird das für ein Gefühl sein, wenn Du bald wieder das erste Mal vor Publikum auf der Bühne stehen wirst? Lässt sich dieses bevorstehende Gefühl schon in Ansätzen erahnen?
Es wird eine große Dankbarkeit sein, die sich dann Bahn bricht. Diese Pandemie und die damit verbundene Zwangspause hat uns noch einmal deutlich gemacht, dass das alles hier, die Tourneen, das Platten machen, unsere Fans, auch dieses Interview, nicht selbstverständlich und ein großes Glück sind.
Ich wünsche Dir und Deinen Kollegen maximale Erfolge und dass die Leute im Land mehr als nur Notiz vor der neuen Scheibe nehmen werden!
Danke für deine Zeit.
Eine Frage, die wir seit einiger Zeit jedem Musiker stellen ist die, wie sie oder er gerade durch diese schwere Zeit kommt. Wie sieht es bei Dir aus? Wie waren die letzten 14 Monate für Dich?
Durchwachsen. Emotional war da sicher alles dabei: Schockstarre, Resignation, Wut, Traurigkeit, Müdigkeit. Kreativität aber auch das viel stärkere Virus "Hoffnung" als Antrieb.
Anlass dieses Interviews ist aber ein Anderer. Seit 10 Jahren gibt es die Seilschaft wieder und Du hast beim Neustart den Posten am Mikrofon übernommen. Bist Du als "Vertreter" Gerhard Gundermanns auf der Bühne inzwischen voll und ganz angekommen, oder ist da möglicherweise noch ein bisschen das Gefühl der Ungewissheit bei Dir, ob Du hohe Erwartungen an Dich - - egal ob von Kollegen oder Fans - nicht erfüllen kannst?
Die Seilschaft hat ja nie aufgehört zu existieren, die Band war nie aufgelöst. Dafür hatte Gundermann die Knoten zu fest gezogen und alle an ein Seil geknüpft, dessen Enden wundersamer Weise immer weiter wachsen. Es war also kein schwerer Akt, mich in diese Seilschaft zu integrieren. Natürlich haben wir uns vor dem ersten Konzert viel unterhalten und beschnüffeln müssen. Aber wenn da irgendwas nicht gepasst hätte, wären wir nicht auf die Bühne gegangen.
Was hattest Du damals, am 15. April 2011 in Berlin im "Postbahnhof" und am 16. April 2011 im Leipziger "Anker" für ein Gefühl in der Magengegend, als Du erstmals die Bühnen als Sänger der Seilschaft betreten hast?
Wir waren super vorbereitet und hatten bei den Proben verdammt viel Spaß. Den wollten wir einfach auf die Bühne bringen. Wir waren uns daher sicher, dass wir zwei schöne Shows spielen werden. Bammel hatten wir eigentlich nur, dass es den Leuten nicht so gefallen könnte wie uns. Aber "wie es in den Wald hineinruft, so schallt es heraus". Und wir riefen "Freude" und es schallte "Freude" zurück. Aber ja, wir hatten alle krasses Lampenfieber.
An was erinnerst Du Dich in Bezug auf diese beiden Muggen noch besonders zurück? Was hat bleibende Spuren hinterlassen?
Geplant waren nur die zwei Konzerte in Berlin und Leipzig. Die Spur, die uns bis heute geführt hat, war wohl meine spontane Ankündigung, dass wir nochmal wiederkommen werden. Das war ja gar nicht abgesprochen, aber die Stimmung an beiden Abenden ließ nichts anderes zu. Man kann doch keine Rakete starten und einen Moment später die Mission abbrechen.
Es fing damit an, dass Ihr die Botschaften und Melodien von Gundermann weiter in die Welt tragen wolltet, weil er es selbst ja nicht mehr kann. Einige Jahre habt Ihr nur die Lieder von damals wieder live gespielt, aber irgendwann kam die Idee, neue Lieder zu schreiben und mit ins Programm zu nehmen. Wann kam diese Idee erstmals auf und wer hatte sie?
Das darf man sich nicht so technisch vorstellen. Da kam keiner und hat gesagt, wir machen jetzt was Eigenes. Die Band besteht aus sechs Künstlern, die was kreieren wollen, weil sie es einfach müssen. Einen Künstler zeichnet der Schaffensprozess aus. Ohne neues Material wäre die Band irgendwann implodiert. Den Gundermann-Acker haben wir sehr intensiv gepflügt und gepflegt, und dabei ist wohl immer mal wieder ein Lied-Samen aus der Ideentasche gefallen. Dreimal nicht hingeguckt und schon wuchs ein neuer Song. Ich glaube, das Bild trifft es ganz gut.
Du bist ja lange vor Deinem Einstieg bei der Seilschaft schon als Solist unterwegs gewesen und hast für Dich eigene Lieder geschrieben. Wo liegen die Unterschiede zwischen Deiner Arbeit, für Dich selbst Lieder zu machen, und der als Songwriter für die Seilschaft tätig zu sein?
Auch das stellst du dir wieder zu technisch vor. Ich habe keine zwei Ablagestapel für meine Songs. Ich schreibe einfach ein Lied. Wenn es der Band gefällt, dann probieren wir dran rum und es kann ein Seilschaft-Song werden. Oder aber ich texte zu den Ideen der anderen. Aber auch da ist das Prinzip das gleiche. Es muss uns gefallen.
Wie sehr hast Du beim Schreiben nach links und rechts geschaut, was Gundermann damals zu Papier gebracht hat? Bist Du ein Schüler Gundermanns, der sehr auf die Arbeit des Lehrers achtet um nicht zu weit auszuscheren, oder bist Du Christian Haase, der seine Aufgabe bei der Seilschaft nun komplett in sich aufgesogen hat und dabei inzwischen nur auf seine innere Stimme hört?
Ein Schüler kannst du ohne Lehrer nicht sein. Andernfalls kopierst du Vorbilder. Das Kopieren hat aber für niemanden einen Mehrwert. Was soll ich mich denn bemühen, Lieder zu schaffen die "klingen wie…" Es weiß doch jeder, dass Christian Haase nicht Gerhard Gundermann sein kann. Ist doch logisch. Wer erwartet also wirklich, dass ich so schreiben müsste wie er?
Nun ist 10 Jahre nach dem "Neustart" ein Album mit neuen Liedern fertig und wartet auf seine Veröffentlichung. Bitte erzähle doch mal aus Deiner Sicht, was die Leute am 4. Juni erwartet, wenn es in den Handel kommt?
Wir haben wirklich viel Zeit und noch mehr Herzblut in dieses Album gesteckt. Es ist ein Seilschaft-Album geworden, so wie die Leute uns live kennen und mögen. 13 Liedern sind drauf. Keines gleicht dem anderen. Man kann jeden von uns sechsen heraus hören. Das war die große Herausforderung und die haben wir gut gemeistert.
Wird der Sound der typische Sound der 90er sein oder hat sich da was weiterentwickelt?
Aufnahmemethoden haben sich weiterentwickelt, die Band hat sich weiterentwickelt, das Songwriting ist ein anderes. Wenn der Sound der aus den 90ern wäre, hätten wir was falsch gemacht. Wenn du mit Sound aber eher so ein Gefühl meinst, dann haben wir es unter anderen getroffen.
Ein Blick ins Booklet zeigt sofort, dass Du der fleißigste Song- und Text-Schreiber warst. Waren Deine Ideen die besseren oder haben die anderen Musikanten nicht so viel geschrieben?
Es stimmt, dass ich das Album getextet habe. Mit den Kompositionen waren Micha und Mario auch sehr fleißig. Du hast irgendwann einen Stapel Songs und fängst an, die aufzunehmen. Dann bildet sich schnell eine Art Musik-Menü. Manche Zutaten passen besser zu manchen Gerichten, manche bleiben über für ein Dessert und andere sind einfach zu viel. Die frierst du dann ein und freust dich auf die nächste Koch-Session. Jetzt habe ich schon wieder zu viel verraten, oder?
Nein, auf keinen Fall! Wir sind gespannt. Wie lange habt Ihr jetzt insgesamt an diesem Album gearbeitet. Wieviel Zeit verging vom ersten bis zum letzten Ton im Studio?
Insgesamt haben wir vielleicht 12 Studiotage gehabt, die wir zusammen genutzt haben. Overdubs kamen aus den verschiedensten Locations. Ich habe mit Micha später einige Songs in meinem Studio "Rustico Siciliano" auf Sizilien eingesungen, Andy hat in Norwegen zur Klarinette gegriffen und aufgenommen. Ein paar Aufnahmen sind noch auf Tournee nach dem Frühstück in diversen Hotelzimmern entstanden. Micha hat auf seinem Steinway im McXingroom Studio recorded und Mario im Onlinerocker Studio sogar Gundis Mandoline nochmal zum Einsatz gebracht. Vom ersten bis zum letzten Ton (und Corona-Pausen abgezogen) haben wir ein gutes Jahr lang dieses Paket zusammengeschnürt.
Ich fragte eingangs, ob Du inzwischen komplett bei der Seilschaft angekommen bist, was die Arbeit auf der Bühne betrifft. Gleiche Frage in Bezug auf die Aufgabe, das Programm der Band mit neuem Leben zu füllen. Fühlst Du Dich restlos gut mit dem, was man auf dem Album "Dein Paket" finden kann, oder gibt es Zweifel?
Selbstkritik ist doch ein guter Motor. Mit ein paar PS zu viel wird daraus aber Zweifel. Dann fährst du auch mal schnell gegen den Baum und bremst dich selber aus. Man kann also sagen: Zweifellos sind wir selbstkritisch, aber irgendwann musst du einfach loslassen und die Songs in die Welt lassen. Da gehören sie schließlich hin. Ein guter Song wird immer seinen Weg finden.
Michael Nass hat das Album produziert. Hat er das komplett allein übernommen oder hat die Band während der Produktionsphase noch eigene Ideen und Änderungswünsche eingebracht?
Michael ist unser musikalischer Leiter und kümmert sich seit eh und je um das Fine-Tuning der Arrangements. Dass er das Album gleich produziert hat, lag in der Natur der Sache. Ein Produzent ist ja aber nicht der Herr Oberkommandeur, dem man Änderungswünsche mitteilt. Zumindest nicht bei der Seilschaft. Vielmehr sammeln sich die eigenen Ansätze bei ihm und er unterstützt jeden einzelnen Musiker im Verbessern dieser Ideen. Er hat den Blick über den Arbeitsstand und das Gesamtwerk und hält den Roten Faden fest.
Gemischt wurde das Album von Peter Schmidt, der schon viele deutsche Pop- und Rockstars in Szene gesetzt hat. Wieso habt ihr euch ihn ausgesucht?
Wir wussten von Anfang an, dass wir den Mix aus den Händen geben wollen und ein Paar frische Ohren am Pult brauchen. Peter hat in seinen Ballsaal-Studios eine beachtliche Vielfalt zusammengemischt. Zum Beispiel Wir sind Helden, Maffay, Sarah Connor, Selig, La brass banda, Johannes Oerding, Beatsteaks, um jetzt mal ein bisschen die Palette aufzuzählen. Und da "Dein Paket" musikalisch auch ein paar Genre umfasst, war Peter Schmidt eine gute Entscheidung.
Im Studio war ein Gast bzw. eine Gästin mit dabei, nämlich Anne de Wolff. Sie spielt Cello, Bratsche und Violine. Wie kam es zu ihrem Mitwirken?
Anne de Wolff und Micha Nass kennen sich von ihrer Arbeit bei BAP, deren letzten beiden Alben Anne zum Beispiel mit produziert hat. Dass sie auch auf "Dein Paket" mitspielt, hat ein paar wunderschöne Highlights in die Platte gezaubert.
Wird man sie auch bei Konzerten als Gast-Musikerin erleben können?
Wir wären schon glücklich, wenn erstmal überhaupt wieder Shows geplant werden können. Anne ist uns dann jederzeit willkommen.
Was sind Deine Favoriten auf dem Album?
Lied 01, 06, 09, 12 und 13 finde ich super. Und 03, 02, 07, 04, 08, 05,10 und 11.
Sieht bei mir ähnlich aus ;-) … Kommt "Dein Paket" eigentlich nur als CD oder auch als Vinyl auf den Markt?
Das Album kommt als CD mit einem fetten Booklet und in schönem Digipack.
Ihr habt bereits vor der offiziellen Album-VÖ am 4. Juni zwei Singles daraus veröffentlicht. Zuerst das lyrische, getragene Titelstück "Dein Paket" und später das fröhliche "Hand aufs Herz", die jetzt schon öfter im Radio zu hören waren. Die Singles haben von Oliver Thomas poetische Videos bekommen, die auf Youtube bereits gut geklickt werden. Wieso genau diese beiden Songs, wieso in dieser Reihenfolge?
"Hand aufs Herz" ist ein Song über das Zusammenbrechen des Muts und den Kraftakt, aus den Scherben einen Spiegel der Motivation zu kleben. Um wieder aufzustehen, um weiter zu machen. Unser Beitrag zum endenden Winter und Lockdown, unser Ja zu einem "Weiter geht's". Als Klebstoff dient beste, musikalisch-folkloristische Seilschaft-Manier. Ein "Happy-Song", wie es so schön heißt, aber ohne inhaltsleeres Shalalala. Das ruhige Lied "Dein Paket" haut eigentlich in die gleiche Kerbe, nähert sich dem Thema aber anders an. "Auch wenn ich es will, ich kann mich nicht zerreißen. Hör ich auf die Lauten, überhör ich die Leisen." Diese Zeile daraus ist zugleich unser Statement, unser inhaltlicher Faden, der sich durch das Album zieht. Wir müssen wieder beginnen, mehr aufeinander acht zu geben. Das Laute müssen wir lernen zu überhören, die Schreier müssen wir ausblenden und denen, die mit leiser Stimme flüstern, unsere Ohren leihen. Unter anderem.
Was wünschst Du Dir persönlich für "Dein Paket"? Glaubst Du an eine richtig gute mediale Aufmerksamkeit oder denkt Ihr über "überregionale" Reaktionen gar nicht groß nach?
Jeder Absender wünscht sich, dass sein Paket auch gut ankommt. Mit dem Album geht es uns nicht anders. Aber erste Airplays und ein paar interessierte Magazine sind ja schon am Start.
Egal ob solo oder mit der Seilschaft: Was wird das für ein Gefühl sein, wenn Du bald wieder das erste Mal vor Publikum auf der Bühne stehen wirst? Lässt sich dieses bevorstehende Gefühl schon in Ansätzen erahnen?
Es wird eine große Dankbarkeit sein, die sich dann Bahn bricht. Diese Pandemie und die damit verbundene Zwangspause hat uns noch einmal deutlich gemacht, dass das alles hier, die Tourneen, das Platten machen, unsere Fans, auch dieses Interview, nicht selbstverständlich und ein großes Glück sind.
Ich wünsche Dir und Deinen Kollegen maximale Erfolge und dass die Leute im Land mehr als nur Notiz vor der neuen Scheibe nehmen werden!
Danke für deine Zeit.
Interview: Christian Reder
Fotos: Die Seilschaft, Lutz Müller-Bohlen, Dominik Balkow, Christian Haase privat
Fotos: Die Seilschaft, Lutz Müller-Bohlen, Dominik Balkow, Christian Haase privat
Termine:
• 14.08.2021 - Schorfheide - Altenhofer Liedersommer
• 15.08.2021 - Dresden - Filmnächte am Elbufer
• 19.08.2021 - Leipzig - Filmnächte am Scheibenholz
• 22.08.2021 - Hoyerswerda - Krabatmühle Schwarzkollm
• 12.11.2021 - Rostock - M.A.U.-Klub
• 03.12.2021 - Erfurt - HSD Gewerkschaftshaus
• 25.02.2022 - Weissenfels - Schloss Neu-Augustusburg
• 13.05.2022 - Weimar - Köstritzer Spiegelzelt
• 10.06.2022 - Plauen - Malzhaus
• 18.06.2022 - Chemnitz - Küchwaldbühne