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Interview vom 20. November 2020



Dietrich Kessler und die KLOSTERBRÜDER haben ein bewegtes Jahr hinter sich. Im Februar starb mit Hans-Joachim Kneis der Mann, der der Band ein Gesicht und die unverwechselbare Stimme lieh. Eben stand er noch auf der Bühne, keine drei Monate später machte die Nachricht von seinem Tod die Runde. Menschlich und künstlerisch ein unersetzlicher Verlust. Der Trauer folgte ein Moment der Freude, denn im Frühling erschien mit "Was wird morgen sein" das erste "richtige" Album der Band, das alle noch verfügbaren Tonaufnahmen der KLOSTERBRÜDER und dessen Nachfolge-Band MAGDEBURG auf zwei CDs vereint.001 20201125 1654287084 Das Album ist im gut sortierten Fachhandel erhältlich und ist pure Musikgeschichte. Es ist eben eine Achterbahnfahrt der Gefühle, wie man sie bei der Gruppe in über 50 Jahren seit ihrer Gründung immer wieder erleben konnte. Zu DDR-Zeiten waren sie eine der führenden Rockbands auf dem Live-Sektor, zogen unzählige Fans zu ihren Auftritten und hatten deshalb immer wieder mit Problemen zu kämpfen, die ihnen das Politbüro bescherte. Ein Namenswechsel und weiterer Zoff sorgten für die Auflösung der Musikgruppe, die Inhaftierung von Kessler und Kneis und letztlich die Ausreise der beiden Musiker in die BRD. Der politischen Wende in Deutschland im Jahre 1989 folgte ein paar Jahre später das Comeback - zuerst als MAGDEBURG, dann als KLOSTERBRÜDER. Und weiter schrieben die Musikanten mit tollen Muggen an ihrer Geschichte - als Einzelkonzerte oder bei Festivals, u.a. mit Manfred Mann, den LORDS, SWEET, Stern-Combo Meißen, LIFT oder electra. Dietrich Kessler als Band-Chef hat eine ganze Menge zu erzählen, wenn es um seine Kapelle geht. Dies tat er bereits in dem Buch "Stasi-Knast", das leider schon seit Jahren ausverkauft ist, und jetzt auch bei uns. Unser Kollege Christian hatte Mitte November die Gelegenheit, mit Dietrich über ihn und seine Geschichte(n) zu plaudern ...




Es gibt mit "Stasi-Knast" bereits ein Buch von Dir, das Deine Vita sehr ausführlich wiedergibt. Es erschien vor fast zwanzig Jahren und ist längst vergriffen. Wird es davon denn nochmal eine Neuauflage geben?
Gute Frage. Ich habe es verschiedenen Verlagen angeboten, aber die argumentieren so, dass wir gerade Corona-Zeit haben. Außerdem bringen die ungern etwas heraus, was schon einmal veröffentlicht wurde. Dazu kommt, wenn ich dieses Buch "Stasi-Knast" jetzt nochmals rausbringen möchte, ist das ja auch mit extrem viel finanziellem Aufwand verbunden. Ich würde nämlich etliches darin modifizieren oder ergänzen und sogar streichen wollen. Also grundsätzlich würde ich es durchaus gerne neu verlegen, denn die Nachfrage ist ja da. Hätte ich damals gewusst, dass man auch 2020 noch Exemplare braucht, hätte ich natürlich gleich viel mehr davon drucken lassen und auch nicht so viele verschenkt. Die meisten Bücher haben wir auf unseren Konzerten verkauft und daher weiß ich um das Interesse der Leute an dem Buch und dem Thema.

002 20201125 1759109057Gibt es eventuell Alternativen?
Ich muss mir das mal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen und sehen, was ich mache. Wenn ein echter Publikumsverlag dahintersteht, ist das natürlich interessanter. Ansonsten habe ich ja primär mit Musikgeschäften zu tun, da ich in erster Linie Musikbücher schreibe. Was ich seinerzeit gemacht habe, ist sowieso eher old fashion, denn ich persönlich habe auch heute noch lieber ein echtes Buch in der Hand, als dass ich ein e-book lese. Aber ich weiß selbstverständlich um die heutigen Möglichkeiten, Bücher über das Internet zu veröffentlichen. Auf jeden Fall denke ich, das Interesse an meinem Buch ist vor allem deshalb da, weil es hundertprozentig authentisch ist. Ich habe einfach nur das aufgeschrieben, was ich erlebt habe, ich musste mir überhaupt nichts ausdenken oder extra erfinden. Allein schon aus diesem Grunde wäre es durchaus sinnvoll, das Buch nochmals zu veröffentlichen. Wenn es also einen Verlag gäbe, der Interesse hat… Mir geht es dabei nicht ums Geldverdienen, sondern es ist eine rein ideelle Geschichte.

Dann lass uns mal auf eine kleine Zeitreise gehen. Du bist eine der Konstanten bei der Gruppe KLOSTERBRÜDER. Die einen sagen, die KLOSTERBRÜDER wurden 1963 gegründet, andere sprechen von 1967. Kannst Du uns erzählen, welches dieser Daten stimmt?
Es war auf jeden Fall 1963. Die KLOSTERBRÜDER waren eine Band, die sich aus Studenten der Technischen Hochschule Magdeburg zusammensetzte. Wenn die Studenten mit ihrem Studium fertig waren, verschwanden sie wieder aus der Stadt und damit aus der Band. Wir brauchten also ständig neue Mitglieder, um die Band am Leben zu erhalten. Aber die KLOSTERBRÜDER waren schon immer eine extravagante Band, die das gewisse Etwas hatte. Allein schon unsere Songauswahl hob uns aus der Masse heraus. Wir begannen mit Big Beat, machten dann Soul und vieles mehr. Wir spielten aber auch viel von Jimi Hendrix, zum Beispiel "Purple Haze" oder "Hey Joe". Und ich muss auch heute noch sagen, dass wir das gar nicht mal so schlecht machten, zumal bei den KLOSTERBRÜDERN ja zu jeder Zeit gute Gitarristen spielten. Du darfst nicht vergessen, von welchen Zeiten wir reden. Heute kaufst Du Dir eine CD oder DVD oder guckst Dir ein Video im Internet an und hast eine prima Vorlage. Es gibt Songbooks, Du kannst online Gitarrenkurse machen… Wir hingegen mussten uns damals die ganzen Sounds mühsam selber heraushören, die wir nachspielen wollten, was andererseits natürlich eine tolle Schule für uns war.

Wann genau bist Du zu den KLOSTERBRÜDERN gestoßen? Du sagst ja, Du bist erst später dazugekommen.
Mein Einstieg fand 1971 statt. Ich hatte in Leipzig an der Karl-Marx-Universität studiert. Dadurch kannte ich auch RENFT und wurde auf diesem Wege mit dieser Musik und der dazugehörigen Szene vertraut, was äußerst interessant für mich war. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass diese Szene eine Art Parallelgesellschaft innerhalb der DDR darstellte. An dieser Stelle möchte ich mal etwas ausholen. Ursprünglich komme ich ja von der Küste. Ich bin in der Boltenhagener Ecke groß geworden, quasi direkt vor dem Stacheldraht. Wir wohnten im letzten Haus des Ortes, danach kamen 5 Kilometer Sperrzone und dann die Grenze. Und gleich hinter der Grenze, nämlich in Lübeck, haben meine Großeltern gewohnt. Es war ein Wahnsinn. 1968 habe ich auf dem Zeltplatz in Klütz meine Frau kennengelernt, mit der ich dann nach Magdeburg gezogen bin, wo ich mit der ansässigen Musikszene konfrontiert wurde und auf diesem Wege unter anderem die KLOSTERBRÜDER kennenlernte. Mit meinem Freund Achim (Anm. der Redaktion: Hans-Joachim Kneis), der leider verstorben ist, verband mich dabei in musikalischer wie menschlicher Hinsicht so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Er war ein super Typ. Wenn Achim Songs nachsang, dann hatte das etwas Einzigartiges und Einmaliges. Selbst an Aretha Franklin-Songs wagte er sich heran. Es gab ja damals in Magdeburg das Café Impro, was zwar klein war, aber trotzdem internationales Flair versprühte. Dort spielten jede Menge Jazzer, selbst Louis Armstrong trat dort auf. Und wenn Achim dort "Respect" von Aretha Franklin sang, fragten immer wieder welche, wo denn die Frau sei, die da gerade singt. Man muss wissen, dass Achim einen Umfang von drei Oktaven beherrschte. Das war echt beeindruckend. Dann gab es noch den Gitarristen Manfred "Polle" Pohl, der nach seinem Studium wieder zurück in seine Heimat Luckenwalde ging. Polle war ebenfalls technisch sehr brillant. Man konnte also durchaus behaupten, dass es im Osten schon in den Sechzigern eine Musikszene gab, die das gewisse Etwas und Eigenes hatte und wo praktisch dieses West-Flair rüber schwappte. Aber ich merke, ich komme immer mehr ins Plaudern und rücke von der eigentlichen Frage ab…

Kein Problem, wir finden leicht wieder zurück. Passierte Dein Einstieg in die Band zeitgleich mit dem Deines Bruders Detlef?
Ja. Detlef war zu der Zeit im Osten der beste Schlagzeuger. Das Ganze verhielt sich folgendermaßen: Ich machte in Leipzig unter anderem Musik mit Leuten, die im Thomanerchor aktiv waren. Und in jener Zeit ging es gerade los mit diesen sogenannten Double Bass-Drums, was zum Beispiel DEEP PURPLE und LED ZEPPELIN verwendeten. Nun konnten meine Leipziger Kommilitonen zwar alle prächtig singen und Klavier spielen, aber das mit diesen Double Bass-Drums hat nicht wirklich funktioniert, da brachen die sich fast die Beine, wenn wir was von DEEP PURPLE spielen wollten. Mein Bruder Detlef, der seinerzeit fünfzehn Jahre jung war, wohnte noch bei unseren Eltern an der Küste, spielte aber schon in einer Band. Und dem lag dieses Ding mit den Double Bass-Drums, der beherrschte diese aufwändige Beinarbeit. Der spielte das quasi locker aus der Hüfte heraus. Ich war so begeistert darüber, dass ich mir sagte, ich muss ihn fördern. Also holte ich ihn zu mir nach Magdeburg, was natürlich nicht einfach war, denn ich war gerade frisch verheiratet und wir wohnten in einer ziemlich kleinen Wohnung. Aber wir waren voller Idealismus und wollten unbedingt etwas zusammen auf die Beine stellen. So kam es, dass wir ab dieser Zeit professionell Musik machten und Detlef somit schon mit 16 Jahren Profimusiker war.

Was für Musik habt Ihr dann gespielt?
Wir machten etwas, was wirklich nicht jedem lag und schon gar nicht jeder konnte, wir trauten uns nämlich an die COLOSSEUM-Songs heran. Wir spielten fast das komplette, fantastische Album "Colosseum Live" von 1971. Außerdem hatten wir JETHRO TULL mit dem "Thick as a brick"-Album und ähnliche Sachen im Programm. Aber COLOSSEUM war schon sehr speziell und anspruchsvoll, dafür brauchtest Du richtig gute Musiker, egal, ob es um Gitarre, Schlagzeug, Orgel oder Bass ging. Und Achim hatte das natürlich auch hervorragend gesungen. Ich meine, einen Chris Farlowe singt man ja auch nicht so ohne weiteres nach. Solche Songs wie "Los Angeles" oder "Walking in the park" musste man wirklich erst einmal spielen können. Uns haben auch ganz viele Kollegen bestätigt, dass wir das auf einem hohen Level auf die Bühne brachten. Manche Songs dauerten vierzehn, fünfzehn Minuten, in denen wir total durchgerockt haben.

004 20201125 1512075244Aber Ihr hattet auch viel eigenes Material. Inzwischen wurde ja eine Menge veröffentlicht, aber zu DDR-Zeiten gab es nur eine einzige Schallplatte von Euch: Eine Single, und die musstet Ihr Euch auch noch mit LIFT teilen. Darauf enthalten war "Lied einer alten Stadt". Diese Nummer entstand aber schon Jahre vorher, wenn meine Informationen stimmen.
Ja, das spielten wir schon lange vorher. Mir war als Bandleader beizeiten klar, dass wir eigene Songs brauchten, dass wir selber Sachen produzieren mussten. Nun war und bin ich auch heute noch befreundet mit Walter Cikan, der ebenfalls zu meiner Zeit in Leipzig studierte und Musik machte und der uns später auch nach Berlin holte. Es war damals einfach ein glücklicher Zufall. Aber Du hast Recht, wir hatten bereits ein paar eigene Sachen in petto, wie "Fieber" oder "Lied einer alten Stadt". Leider kam es dann 1975 während der gemeinsamen Tournee mit der STERN COMBO MEISSEN zu diesem Split, was zur Folge hatte, dass wir als GRUPPE MAGDEBURG weitermachten.

Dazu kommen wir gleich noch. Kannst Du Dich erinnern, aus welchem Jahr das "Lied einer alten Stadt" genau stammt? Wurde es tatsächlich schon 1971 oder 1972 aufgenommen?
Nein, das war ein bisschen später. Ich denke, so um 1974 herum. Leider war AMIGA damals etwas schräg drauf. In der Volksbühne in Ostberlin fand vor Kurzem eine Art Uraufführung des Films "Nach drüben - Oststars wechseln die Seite" statt, zu der viele wichtige Personen kamen. Unter anderem war auch Volkmar Andrä von AMIGA da. Bei dem habe ich damals in den 70ern alles versucht, regelrecht um seine Gunst gebuhlt, damit wir was veröffentlichen konnten. Das war eben damals so, wenn man etwas erreichen wollte. Aber er sagte sinngemäß, das sei bei uns anders als im Kapitalismus. Bei uns geht es nicht ums Geld verdienen, sondern wir entscheiden nach unserem eigenen Ermessen. Im Laufe der Zeit wandelte sich diese Einstellung dann aber doch, denn natürlich musste auch AMIGA Geld verdienen.

Diese ablehnende Haltung ist umso unverständlicher, wenn man Eure Beliebtheit und die riesige Fangemeinde betrachtet, die die KLOSTERBRÜDER ja nachweislich hatten.
Das stimmt, wir waren neben der STERN-COMBO MEISSEN damals die Band mit den meisten Fans. Das war utopisch, fast schon eine Parallelwelt. Uns sind ständig hunderte Fans nachgereist. Das hatte beinahe schon Woodstock-Charakter. Woodstock für Arme… (lacht) Es gibt noch viele Fotos, wo man die Fans sieht in ihren Kutten, mit langen Haaren usw. Wenn wir damals die Möglichkeiten gehabt hätten, selber Musikkassetten oder Schallplatten herstellen zu können oder jemand gekommen wäre, der gesagt hätte: "Komm, wir machen was mit Euren Songs!", dann hätte sich das auf jeden Fall potenziert und verkauft ohne Ende. Ich vergleiche das gerne mit dem Erfolg, den BAP damals hatten, da hätten wir locker mithalten können.

Gerade dieses Hinterherreisen der Fans zu den Konzerten führte ja in der DDR immer wieder zu reichlich Ärger mit den Behörden. Ein weiterer Aufhänger für den Stress mit der Obrigkeit soll Eure Bühnenshow gewesen sein. Was war denn daran so anstößig, dass sich die Betonköpfe im Politbüro dermaßen daran gejuckt haben?
Wir waren natürlich schon wegen unseres Äußeren eher die Anti-Typen. Allein unsere langen Haare sorgten bei vielen Entscheidungsträgern für Unmut. Wir verkörperten also das ganze Gegenteil zu einer Veronika Fischer. Die war eine schöne Frau, die man im Fernsehen vorzeigen konnte. Dazu kam unsere allgemeine Anti-Haltung zu gewissen Dingen, die sich selbstverständlich in unserer Musik widerspiegelte. Das war eine ähnlich subtile Geschichte wie bei RENFT, für die ja 1975 das Ende kam. Klaus Jentzsch sagte, als ihm klar war, dass RENFT keine Zukunft mehr hatte: "Man muss auch mal was zerstören und es anschließend wieder neu aufbauen". Die "Rockballade vom kleinen Otto" war letztlich das Todesurteil, da war bei den Genossen endgültig Schluss mit lustig. Sehr schade für RENFT. Aber zurück zur Frage. Ja, was war eigentlich an unserer Bühnenshow so anstößig? Nun ja, wir haben zum einen sehr laut gespielt, was schon vielen ein Dorn im Auge war. Die langen Haare hatte ich ja bereits erwähnt. Ansonsten hatten wir mal zu einem Faschingsauftritt lange Kutten an und einen Sarg auf der Bühne. Dummerweise wollten die Fans das dann immer wieder sehen, so dass sich diese Sachen verselbstständigten. Natürlich konnten wir nun nicht zu jedem einzelnen Konzert einen Sarg auf die Bühne stellen, denn dann wären wir sofort weg gewesen. Zumal wir ja auch noch diesen bei den Genossen ungeliebten Namen KLOSTERBRÜDER trugen, was zu einem atheistisch geprägten System, wie wir es hatten, nicht passen wollte. Dieses Image blieb jedenfalls bis heute an uns haften. Viel wichtiger ist aber, dass wir bei den Fans nach wie vor einen großen Kultstatus besitzen. Kennst Du übrigens die Band SODOM?

Ja klar!
Mit denen war ich mal in Japan und Thailand unterwegs. Die hatten mich eingeladen, sie auf ihrer Tour zu begleiten. Das ist zwar eine etwas andere Musik, nämlich Trash Metal, aber die Jungs sind total okay. Es war schon Wahnsinn zu sehen, wie in Japan die kleinen Mädels unten vor der Bühne standen und richtig was auf die Ohren bekamen. Der Sänger von SODOM sagte jedenfalls zu mir: "SODOM ist Kult!" Und damit hatte er nicht ganz unrecht, denn wenn erst ein gewisses Image da ist, bleibt das in den meisten Fällen für immer da. So verhält es sich auch mit den KLOSTERBRÜDERN. Die Leute sahen uns mit dem Sarg auf der Bühne, das wurde zur Legende und erhielt diese Eigendynamik. Es gab übrigens wirklich noch ein weiteres Konzert in Magdeburg, wo wir in Kutten auftraten. Wir spielten ein Konzert zusammen mit RENFT und MONOKEL und liehen uns für diesen Abend beim Theater die Kutten aus.

Du hast es vorhin schon erwähnt, die KLOSTERBRÜDER und die STERN COMBO MEISSEN galten seinerzeit als die BIG TWO im Rockgeschäft der DDR. Bevor wir zu der Fusion der beiden Bands im Jahr 1975 kommen, lass uns kurz über Deinen Bruder Detlef sprechen, der 1974 die KLOSTERBRÜDER verlassen hat. Warum ging er und was hat er danach gemacht?
Wir wohnten damals in Magdeburg. Eines Tages tauchte Henning Protzmann auf, der ja zu der Zeit der Chef von PANTA RHEI war. Henning wollte Detlef schlicht und einfach abwerben, was er dann auch erfolgreich tat. Was sollte ich dazu sagen? Detlef bekam die Chance, nach Berlin zu gehen und PANTA RHEI war ja durchaus eine anerkannte Band. Detlef war immer mein Lieblingsbruder, ich wollte ihn gerne musikalisch fördern und voranbringen, aber nun war er weg. Er blieb eine Zeit lang bei PANTA RHEI, spielte unter anderem mit ihnen in Budapest im Nepstadion mit BERGENDY und anderen Bands. Bei PANTA RHEI traf er auf anerkannte und hochkarätige Musiker wie Conny Körner und Ed Swillms. Daraus entstand bekanntermaßen später KARAT, wo Detlef als straighter Rocker aber nicht so recht hinein passte. Nach ein paar Monaten kam Detlef dann zu den KLOSTERBRÜDERN zurück.

1975 kam es zu dieser einzigartigen Geschichte, als die STERN-COMBO MEISSEN und die KLOSTERBRÜDER plötzlich eins waren und nun FUSION hießen. Woran erinnerst Du Dich besonders, wenn Du daran zurückdenkst? Und wie kam es überhaupt zur Liaison dieser beiden heißen Bands?
Wir hatten uns schon immer gegenseitig sehr geschätzt und spielten auch schon bei einigen Events zusammen, natürlich jeder mit seinem separaten Programm. Die STERN COMBO interpretierte unter anderem Songs von EMERSON, LAKE & PALMER oder THE TEMPTATIONS, was für die Fans echte Anheizer waren. Musikalisch waren unsere beiden Bands schon etwas indifferent, was aber gar nicht schlimm war. Wir kannten und mochten uns, wobei meine besondere Sympathie Martin Schreier und Detlef Seidel galt. Nun war es ja so, dass wir im Osten wirklich pausenlos unterwegs waren und von Rügen bis ins Erzgebirge jede einzelne Bühne bespielten. Später fragte ich mich ganz oft, wie es möglich war, in diesem kleinen Land namens DDR bis zu zwanzig Muggen im Monat zu spielen?! Es war eben so, dass wir diese Stellvertreterfunktion hatten, da ja wenig ausländische Bands ins Land rein gelassen wurden. Und wenn dann "rund" im Fernsehen lief, traten ohnehin nur diese geföhnten Popkapellen auf. Aufgrund dieser Situation war durchaus das Bedürfnis da, mal ein echtes Highlight zu kreieren. Dieser Wunsch verfolgte mich schon längere Zeit. So wollte ich unbedingt mal was mit der polnischen Band SBB machen, was sich aber leider nicht ergab. Obwohl wir musikalisch nicht unbedingt gleich tickten, uns aber dennoch sympathisch waren, ließen die Jungs der STERN COMBO Interesse erkennen, etwas zusammen zu machen. Was wir dann geleistet haben, wäre heutzutage unvorstellbar, denn wir spielten 65 (!) Konzerte hintereinander und manchmal sogar zwei Konzerte an einem Tag. Das alles war mit einem riesigen Aufwand verbunden, denn wir spielten in Quadrophonie, was wochenlange Proben voraussetzte. Solche aufreibenden Dinge kriegt man nur gebacken, wenn man jung ist und über eine gehörige Portion Idealismus verfügt. Klar, für die Fans war das ein riesiges Erlebnis und Ereignis. Sie kamen zu Tausenden, egal ob in Rostock, Dresden oder sonst wo, es war überall rappelvoll. Es hatte, wie ich anfangs schon sagte, einen Hauch von Woodstock. Das Feeling und auch das Ambiente hätten dazu gepasst.

Ihr habt diese Unmenge Konzerte in ganz kurzer Zeit gespielt. Nun wart Ihr ja ein ziemlich bunter Haufen aus unterschiedlichen Charakteren und auch einigen Alphatieren. Lief das denn immer reibungslos und friedlich zwischen Euch ab oder gab es auch mal die eine oder andere zwischenmenschliche Stresssituation?
Dummerweise war es ja so, dass Matze Blankenburg und Lothar Kramer etwas Eigenes machen wollten, was zumindest Matze dann mit der Gründung von REFORM auch vollzogen hatte. Diese Situation war ziemlich unglücklich und wir hätten das Projekt zu diesem Zeitpunkt eigentlich stoppen müssen. Heute würde ich das auf jeden Fall so machen. Aber wie das so ist, man steckt irgendwie fest, sieht aber, dass man auch eine gewisse Verantwortung hat. Deshalb wollte ich die Sache mit dem Zusammenschluss der Bands nicht sprengen, denn es war ja alles schon bestens vorbereitet. Doch es war sehr anstrengend für alle, das muss ich schon sagen. Andererseits sahen wir in der Folgezeit den Erfolg, der alles ein bisschen relativierte. Wir spielten jeden Abend vor vollen Häusern und die Leute waren begeistert.

Gibt es denn aus dieser Zeit auch Mitschnitte? Veröffentlichungen auf Schallplatte sind mir jedenfalls nicht bekannt.
Das wollte ich gerade erzählen, denn das war wieder eine sehr DDR-typische Idiotie, über die sich Martin Schreier und Detlef Seidel heute noch aufregen. Es wurden extra ein paar Stücke geschrieben, die wir tatsächlich auch tagelang probten, um sie dann auf der Bühne zu spielen. Diese Stücke hatten eine gewisse klassische Attitüde und waren ein Mix aus symphonischem Rock und Jazz. Natürlich wurden davon Mitschnitte angefertigt, die Martin Schreier und Detlef Seidel AMIGA anboten, die aber nur abgewunken hatten. Die Reaktion von AMIGA war in meinen Augen unterirdisch. So etwas kann man doch nicht einfach ablehnen! Wenn sie die vorhandenen Masterbänder verwendet und eine LP daraus gemacht hätten, hätten sie die ohne Ende verkaufen können! Danach fragen manche Leute heute immer noch! Wir waren nämlich zu der Zeit auf dem absoluten Zenit unseres Könnens und unseres Erfolges. Aber das war der Osten, da wurde eben nach eigenem Ermessen geurteilt und entschieden und nicht nach Erfolg oder Qualitätsmaßstäben.

Aus wessen Feder stammten denn diese neuen gemeinsamen Stücke?
Die wurden geschrieben von Axel Gothe, einem bekannten Musiker aus der Dresdner Ecke, der unter anderem auch bei Klaus Lenz spielte. Der ging übrigens irgendwann rüber in den Westen und lebt heute in New York City. So unterschiedlich verlaufen eben manche Leben.

Du sagtest es gerade, Matze Blankenburg wollte nach FUSION etwas Neues machen und gründete dann ja auch REFORM, während Lothar Kramer gleich bei der STERN-COMBO MEISSEN blieb. Wenn man zwei so wichtige Musiker auf einmal verliert, hat man eigentlich noch Bock, mit dem eigenen Projekt weiterzumachen oder will man sich lieber eine andere Band suchen, wo man einfach einsteigt und seine Ruhe hat?
Auf keinen Fall. Ich war schließlich der Bandleader, hatte Verantwortung. Mein Bruder Detlef spielte in meiner Band, mein Freund Achim ebenfalls. Außerdem hatte ich den großen Ehrgeiz weiterzumachen, so bitter das mit Matze und Lothar auch war. Da fiel mir Gisbert "Pitti" Piatkowski ein, der in Magdeburg bei mir um die Ecke wohnte. Pitti war und ist ein sehr authentischer Typ, der auf die Welt gekommen ist, um Rockmusik zu machen und Gitarre zu spielen. Er studierte damals, war dann mit 18 Jahren aber von BLACK SABBATH infiziert und orientierte sich um auf Gitarre. Ich war ein bisschen mitschuldig daran, dass er zugunsten des Gitarrenspiels sein Studium abbrach, denn wir brauchten dringend einen Gitarristen. Und so bin ich eines Nachts um zwölf mit meinem Bruder Detlef zu ihm gefahren und habe ihn sozusagen eingekauft und von seiner damaligen Band QUINTESSENZ abgeworben. Außerdem suchten wir noch einen Keyboarder. Auf Empfehlung von Martin Schreier kontaktierte ich Hans-Peter Dohanetz, der damals gerade bei ELECTRA raus war, aber das passte irgendwie nicht. So was kommt eben auch mal vor.

Für Dich gab es also kein Kopf-in-den-Sand-stecken, sondern es musste mit den KLOSTERBRÜDERN weitergehen. Kurioserweise war Dein Bruder wieder da. Wo kam er denn so plötzlich her?
Ich hatte vorhin erzählt, dass Detlef nur ein kurzzeitiges Gastspiel bei PANTA RHEI gegeben hatte und wir ihn anschließend wieder bei uns aufnahmen. Als die Sache mit FUSION losging, war Detlef also schon wieder bei uns.

Wann und warum wurde denn der Bandname KLOSTERBRÜDER umgewandelt in MAGDEBURG?
Wir spielten ja unverdrossen unter dem Namen KLOSTERBRÜDER weiter. Nun war ich ja schon damals nicht von gestern und deshalb war mir klar, dass unser Name KLOSTERBRÜDER inzwischen ein richtiger Markenname war und ein gewisses Kapital darstellte. Es kommen ja auch heute noch Fans, darunter echte Hardcorefans, wenn wir mal spielen. Also unser Name war längst ein wichtiger Bestandteil der Szene. Nun hatten wir ja auch mit dem Texter Burkhard Lasch zu tun, der für uns die Texte zu "Lieder einer alten Stadt" und "Fieber" schrieb. Burkhard hatte gute Kontakte zum Komitee für Unterhaltungskunst und erklärte uns eines Tages eindringlich, dass wir unbedingt unseren sehr christlich anmutenden Namen KLOSTERBRÜDER ablegen und gegen einen anderen eintauschen müssen, wenn wir weiter Erfolg haben wollten. So war es halt, die haben sich an jeder Kleinigkeit aufgehängt. Es reichte manchmal schon, wenn man auf seiner Jeans einen Sticker mit bestimmten Motiven aufgenäht hatte. Heute lachen wir darüber, aber damals war das alles eher zum Heulen. Wir waren also unter Druck und mussten reagieren, schnell reagieren. Und da uns so spontan nichts Besseres einfiel, gaben wir uns analog zu CHICAGO den Namen unserer Stadt, nämlich MAGDEBURG.

Wie reagierten denn Eure Fans darauf?
Ende 1975 fand dann im Kulturpalast Dresden eine große Veranstaltung unter dem Titel "Solibeat" statt, was vom DDR-Fernsehen mitgeschnitten wurde. Dort wurde offiziell unsere Namensänderung bekanntgegeben. Wie zu erwarten war, haben uns viele Fans den Namenswechsel sehr übelgenommen. Es ging so weit, dass man uns vorwarf, wir würden mit den Genossen kooperieren, sonst hätten wir doch niemals den Namen KLOSTERBRÜDER abgelegt. Es war keine ungefährliche Situation für uns. Trotzdem schafften wir es, Ende der 70er Jahre auch als GRUPPE MAGDEBURG wieder Erfolge zu feiern. Sehr große Erfolge sogar. Es war in Sachen Songmaterial sogar unsere kreativste Zeit, würde ich rückblickend sagen. Solche tollen Nummern wie "Was wird morgen sein" stammen genau aus dieser Phase. Zur Band gehörte inzwischen neben Pitti auch Ritchie Barton, was für uns echte Gewinne waren. Leider passierte dann 1980 das große Drama für uns, als CITY für ihre englischsprachige LP zwei gute Leute suchten und die Wahl auf Ritchie Barton und Pitti Piatkowski fiel.

Der Vollständigkeit halber darf ich ergänzen, dass Ritchie Barton zu MAGDEBURG wechselte, weil der Kollege Dohanetz ja kurze Zeit später bei Euch wieder ausstieg und zur Gruppe PILOT ging.
Nein, das war etwas anders. Ich tausche sehr ungern meine Leute aus, weil ich als Bandleader natürlich eine gewisse Kontinuität in der Band brauche, um in Ruhe arbeiten zu können. Von Dohanetz trennte ich mich, weil es Differenzen gab und es nicht anders zu lösen war. Allerdings wechselte er nicht einfach nur zu PILOT, sondern er gründete die Band.

Wie kam es denn zum Einstieg von Ritchie Barton, ist er an Euch herangetreten oder hast Du ihn angesprochen?
Pitti und Ritchie waren genauso dicke Freunde wie Achim und ich. Nachdem Hans-Peter Dohanetz unsere Band verlassen hatte, sprach Pitti eine herzliche Empfehlung für Ritchie Barton als Nachfolger aus. Nach einem Konzert in Dresden sind wir, also Pitti und ich, nach Weimar gefahren, wo Ritchie studierte und gerade in einer Vorlesung an der Musikhochschule saß. Nun war ich damals recht unkonventionell in meinen Methoden, ging einfach in den Hörsaal rein und rief Ritchie zu, er möge bitte mal rauskommen. Der Professor ließ ihn auch tatsächlich gehen und so konnte ich Rüdiger "Ritchie" Barton quasi aus der Vorlesung heraus für die GRUPPE MAGDEBURG anwerben. Er beendete dann zwangsläufig sein Studium, weil es einfach anders nicht machbar war. Wir haben rund um die Uhr gespielt, viel geprobt, da blieb kaum noch Zeit für ein Studium. Ich muss im Nachgang klipp und klar sagen, dass Ritchie für uns eine riesige Bereicherung war. Nicht nur auf musikalischer Ebene, sondern vor allem auch in menschlicher Hinsicht.

Lass mich an dieser Stelle nochmal kurz auf Deinen Bruder Detlef schwenken. So schnell er zu Euch zurückkam, so schnell war er dann auch wieder weg. Ich glaube, 1976 verließ er die Band erneut. Warum?
Mein Bruder neigte seinerzeit dazu, etwas materiell eingestellt zu sein. Es gab dadurch einige interne Reibereien, die schließlich dazu führten, dass Detlef zu Klaus Lenz nach Berlin ging und 1978 aus der DDR abgehauen ist. Für mich gab es deshalb natürlich jede Menge Scherereien mit der Stasi, aber das ist eine andere Geschichte…

Was Euch mit den KLOSTERBRÜDERN nicht gelang, klappte dann als GRUPPE MAGDEBURG, denn plötzlich konntet Ihr Platten veröffentlichen. Ihr habt vier Singles und eine LP produziert. Und diese LP, die 1980 in der DDR erschien, wurde ein Jahr später, also 1981, unter dem Titel "Verkehrte Welt" auch in der BRD herausgebracht, und zwar bei Teldec. Hattet Ihr Einfluss darauf, wusstet Ihr überhaupt davon oder haben das AMIGA und Teldec unter sich geregelt?
Das verdanken wir Peter Schimmelpfennig, der den Deal mit Teldec eingerührt hat. Wir wussten natürlich davon und ich glaube, das Album hat sich im Westen auch ganz ordentlich verkauft. Traurig war nur, dass wir eigentlich zu der Zeit, als die LP erschien, bereits wussten, dass wir aus der DDR weg wollten. Der Erfolg kam also zu spät, wenn man das so sehen will. Trotzdem nahmen wir mit "Vorsicht Glas", "Hundsgemein", "Grand Hand" und "Untreue Freunde" noch ein paar tolle Songs auf. "Untreue Freunde", das nur am Rande, mussten wir insgesamt dreimal aufnehmen, weil die Texte der ersten beiden Versionen nicht genehmigt wurden. Das war ja im Osten schon immer das leidige Thema.010 20201125 1145914303 Die Musik interessierte weniger, aber die Texte waren das reinste Politikum. Ja, es hat fürchterlich genervt, aber man musste mitspielen, man hatte keine Wahl. Es war ein bisschen wie in einer Diktatur. Die Leute standen unter großem Druck und sobald man eine Anti-Stellung zum System und den ganzen Abläufen gezeigt hat, war sofort Feierabend. Deshalb habe ich ein kleines Problem mit den Leuten, die heute ganz schlau sagen: Ihr hättet doch aber damals…

Du sagtest eben, Ihr habt 1980 noch ein paar neue Songs aufgenommen und es sollte unter dem Titel "Grand Hand" sogar ein zweites Album bei AMIGA veröffentlicht werden.
Genauso war es. Wir hatten sogar schon von einem Grafiker ein Cover für die Platte entwerfen lassen. Möglicherweise waren wir da ein wenig zu sehr inspiriert durch manche westliche Cover-Gestaltungen. Es sollte nämlich so aussehen, dass eine Faust von unten durch einen Tisch haut. Das sah im Entwurf wirklich klasse aus. Nur kam es ja dann nicht mehr dazu, da wir unseren Ausreiseantrag gestellt hatten.

Wir hatten auf der Webseite von Deutsche Mugge gerade eine Umfrage über die besten Ost-Songs aus der zweiten Reihe. Da tauchten auch sehr viele Titel vom MAGDEBURG auf, die aber nicht auf der Retrospektive drauf sind, die im letzten Jahr erschienen ist, weil diese Titel einfach nicht mehr auffindbar sind. Es heißt aber, es wurden noch ganz viele Lieder produziert, die sollen aber irgendwie überspielt worden sein. Kannst Du das bestätigen?
Die müssen in irgendwelchen Archiven liegen.

Nein, eben nicht, das ist ja das Problem. Es geht um Titel wie "Leidenschaft", "Hände, die uns vorwärts weisen", "Sturmwindritt" oder "Auf dem Weg". Diese Nummern kennt man namentlich, die liefen zum Teil auch im Rundfunk, aber die sind heute nicht mehr zu finden.
Ja, wir haben diese Titel aufgenommen, das ist richtig. Es gibt heute noch ein paar Hardcorefans, mit denen ich auch befreundet bin, so zum Beispiel einen, der aus der Oberlausitz stammt und heute in der Ecke Mannheim/Ludwigshafen wohnt. Der macht eine eigene Sendung, in der er die ganze DDR-Musik spielt. Dieser Mann hat einfach alles und vielleicht gibt es ja über ihn eine Möglichkeit, bei Bedarf an diese Titel heranzukommen. Aber wenn ich mal ganz vorsichtig etwas sagen darf zu Deiner Erwähnung der Umfrage bei Deutsche Mugge, ohne überheblich zu wirken… In der zweiten Reihe habe ich uns mit MAGDEBURG eigentlich nie gesehen.

Es war überhaupt keine Wertung damit verbunden, als wir die Umfrage nach Musik aus der zweiten Reihe gemacht haben. Es ging vielmehr darum, dass es Lieder gab, die als Singles oder auf LPs veröffentlicht wurden und ein Hit wurden. Und dann gab es auch jede Menge B-Seiten oder Rundfunkproduktionen, die eben keine Hits wurden. Und das sind dann diese Hits der zweiten Reihe, nach denen wir unsere Leser gefragt habe.
Das habe ich ja auch so verstanden. Ich wollte nur darauf hinaus, dass Bands wie KARAT oder die PUHDYS logischerweise mehr Erfolg hatten, weil sie am laufenden Band Platten machen konnten. Uns hingegen hat man auf Grund der hier schon erläuterten Dinge nicht so gerne gesehen. Es hat also leider kommerziell nicht ganz so gut funktioniert für uns.011 20201125 1595394489 Aber es wird Dir jeder ehemalige oder noch aktive Ostmusiker bestätigen, dass sowohl bei den KLOSTERBRÜDERN als auch bei MAGDEBURG zu jeder Zeit erstklassige Musiker gespielt haben. Und ich muss auch erwähnen, dass spätere erfolgreiche Bands wie CITY oder SILLY anfangs bei uns als Vorband gespielt haben. Wir spielten z.B. mal in Plauen, als CITY, damals noch mit Emil Bogdanow, dabei waren und schon "Am Fenster" als eine Art Session-Titel spielten.

Kommen wir zurück zu MAGDEBURG. Hans-Joachim Kneis und Du, Ihr habt ja diese Sache mit den Ausreiseanträgen knallhart durchgezogen, während Eure Kollegen ihre Anträge wieder zurückgenommen haben. Ihr beide seid ja dafür auch in den Knast gewandert. Wird man diese Erinnerungen an das Gefängnis eigentlich irgendwann wieder los oder verfolgt einen das noch Jahre später bis in den Schlaf?
Ich mache es mal kurz: Natürlich bleibt das immer in Erinnerung und es bleibt immer etwas zurück. Mehr will ich dazu gar nicht sagen. Aber einen anderen Gedanken möchte ich noch ins Spiel bringen. Hätten die Genossen uns damals gleich aus dem Land rausgelassen, dann hätte ich natürlich dieses Buch "Stasiknast" niemals geschrieben und veröffentlicht. Aber so weit haben die nicht gedacht. In diesem Buch ist alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt.

Erinnerst Du Dich denn noch an diesen Moment, als Du die DDR verlassen hast und Deinen Fuß erstmals auf neuen Boden gesetzt hast? Was ging da in Dir vor?
Selbstverständlich erinnere ich mich daran, das ist bei mir eingespeichert wie ein Film. Ich saß in Karl-Marx-Stadt im Abschiebeknast. Dort wurden wir vor der endgültigen Ausreise erst noch einmal drei Wochen lang durchgecheckt, um auszuschließen, dass die nicht zufällig irgendeine Kleinigkeit übersehen haben, die möglicherweise die Ausreise noch verzögern könnte. Das war eine sehr unangenehme Zeit. Nicht nur, weil wir schon wieder eingesperrt waren, sondern weil hier beispielsweise die Toiletten in den Zellen waren. Stell Dir vor, einer wollte gerade was essen und der andere musste aufs Töpfchen… Ganz schlimm. Als der Tag dann endlich da war, stand auf dem Knastgelände ein Mercedes-Bus bereit. Und plötzlich erschien der Anwalt Dr. Vogel, der ja diese ganzen Freikäufe von DDR-Häftlingen organisiert hatte. Dr. Vogel hielt eine kurze Rede, die sogar einigermaßen emotional rüberkam, da er ja selber mal als Flüchtling aus Schlesien nach Deutschland kam und sich dadurch ein wenig in unsere Situation hineinversetzen konnte. Irgendwann setzte sich der Bus endlich in Bewegung und fuhr quer durch die DDR. Wir kamen an ganz vielen Orten vorbei, wo wir als Musiker schon gespielt hatten. Die Fahrt ging von Karl-Marx-Stadt Richtung Hermsdorfer Kreuz und von da über Apolda, Weimar, Erfurt, Gotha bis nach Eisenach, wo der Bus stoppte. Ganz vorn im Bus saß eine Dame, die sicherlich zur Stasi gehörte. Die stieg aus und der Busfahrer fragte in hessischem Dialekt: "Möchte noch jemand aussteigen?" Da wussten wir, wir haben es geschafft. Der Bus fuhr hinter Eisenach über die Brücke nach Herleshausen und beim Blick von der Brücke herunter sah man Unbeschreibliches. Ich kannte die Grenze ja schon, aber was man hier sah, war einmalig. Mauer, Stacheldraht, wieder Mauer… Unfassbar! Der Bus rollte über die Brücke, der restliche Verkehr wurde unseretwegen angehalten, wir parkten ein und ein Mann in einer anderen Uniform, als wir sie kannten, stieg ein und sagte in ruhigem Ton: "Willkommen in der Bundesrepublik Deutschland". Zur Krönung ertönte dann auch noch die Hymne der BRD. Wir bekamen jeder ein kleines Päckchen mit Äpfeln, Banane, Brötchen und einem kleinen Tetrapack Orangensaft in die Hand gedrückt und fuhren noch ein ganzes Stück weiter bis nach Gießen.

Was hattest Du denn als Wunschziel angegeben, von wo aus wolltest Du denn in der BRD neu starten?
Das war auch so ein Ding. Ich wollte mit Achim eigentlich nach Köln, was wir auch auf den Formularen vermerkt hatten. Mein Bruder Detlef war ja schon drüben und versuchte mir klarzumachen, dass ich nicht nach Köln, sondern unbedingt nach Westberlin gehen müsse, denn dort wäre das Mekka der Musikszene. Na ja, ich dachte mir so, Detlef ist schon ein paar Jahre vor Ort und weiß, wovon er redet, er wird schon Recht haben. Also strich ich Köln durch und schrieb stattdessen Westberlin hin, worüber meine Frau nicht sehr glücklich war. Nun war Westberlin zur damaligen Zeit für ehemalige DDR-Bürger tatsächlich ein gutes Pflaster. Man war dort gern gesehen, man galt als eine Art Exot. Nur wie das so ist, wenn man erst einmal irgendwo Fuß gefasst hat, schafft man den Absprung nicht mehr, so dass ich also nie in Köln angekommen bin. Das bedauere ich heute sehr. Aber die Verbindung zu Achim blieb trotzdem immer bestehen.

Wie ging es denn im Westen für Dich weiter, insbesondere in beruflicher Hinsicht?
Das will ich Dir gerne erzählen. Die Bands im Osten hatten natürlich trotz der unterschiedlichen Erfolge alle die gleichen Probleme. Man musste Anlagen besorgen, man musste vernünftige Autos haben usw. Durch das Wissen um diese Dinge war ich organisatorisch schon etwas vorgebildet. Ich machte zunächst etwas Geld locker, was damals noch ganz gut funktionierte, gründete eine Plattenfirma und begann zu produzieren. Mir wurde auch gleich ein Unternehmensberater zur Seite gestellt, der aber Zahlen zusammenschrieb, die utopisch waren. Ich nahm "Wenn ich zwei Leben hätt`", "Risiko" und ein paar andere Sachen neu auf, merkte aber ganz schnell, dass es hier ganz schwierig werden würde, Fuß zu fassen. Dazu kamen die Nachwirkungen des Knastes. Aber ich war ambitioniert und guten Willens. Anfangs verteilte ich ein paar Platten bei WOM und sonstigen Plattengeschäften, bekam einmal sogar ein ganzes Fenster für mich freigeräumt. Dann kam mir aber ganz intuitiv eine Idee, die sich als Volltreffer herausstellte. Ich bin ja nicht besonders gläubig, aber in solchen Momenten frage ich mich dann doch, ob da nicht irgendwo jemand sitzt, der mir hilft. Die Idee bestand darin, dass ich das tat, was ich niemals wollte, ich schrieb nämlich ein Musik-Theoriebuch. Das war alles sehr aufwändig, da man noch vieles per Hand erledigen musste, was man heute auf digitalem Wege macht. Dieses Buch bot ich dem Voggenreiter Verlag in Köln-Bonn an. Der Dr. Voggenreiter fand das auch recht interessant und wollte mit mir ins Geschäft kommen, nur leider hätte ich ihm 60 Prozent der Einnahmen überlassen müssen. Das kam für mich nicht in Frage, denn ich wollte ja am Ende nicht draufzahlen. Stattdessen habe ich mich kurz danach in mein Auto gesetzt, bin über die Transitstrecke zum Grenzübergang Marienborn/Helmstedt gefahren, weiter nach Braunschweig, wo ich am Kohlmarkt 5 dem ehrwürdigen Haus "Musik-Mewes" einen Besuch abgestattet habe. Das läuft in meinem Kopf alles ab wie ein Film. Ich hatte in meine Tasche ein paar der Bücher eingepackt und bot die dort an. Die wollten wissen, ob ich auch mit "10 plus 1" einverstanden wäre. Das war ich natürlich. Ich bekam sogar auf der Stelle das komplette Geld ausbezahlt, hatte plötzlich fast hundert D-Mark in der Hand und war glücklich. In der Folge klapperte ich hochmotiviert ganz Westdeutschland ab, von Flensburg bis München, weiter nach Österreich und Südtirol, um mein Buch zu verkaufen. Musikalisch sah es währenddessen so aus, dass Achim in Köln ein Bandprojekt am Start hatte, mit dem wir fünf Wochen lang an der Côte d'Azur unterwegs waren und gespielt haben. Allerdings haben wir immer nur gecovert, was uns nicht sonderlich befriedigt hat, da wir ja in der DDR ausschließlich Eigenmaterial auf die Bühne brachten. Damit brauchte man in Cannes oder Nizza natürlich gar nicht erst anzufangen. Das Kreative blieb also völlig auf der Strecke.

Wie und wo hast Du den Fall der Mauer am 9.11.1989 erlebt? Wie sah an diesem Tag und an den Tagen danach Dein Innenleben aus?
Oh, da könnte ich eine abendfüllende Story draus machen. Oder ich mache es kurz und knackig und sage, ich saß vor dem Fernseher. Nun ja, es gab ja in den Tagen zuvor schon diverse Gerüchte, dass sich in der DDR bald etwas tun könnte. Ich wohnte damals in Berlin-Schöneberg und bekam gegen Mitternacht einen Anruf von meinem Bruder Detlef, der gerade in der Nähe von Bad Godesberg wohnte: "Mach mal den Fernseher an…". In dem Moment sah ich es zwar live, nahm ich die Ereignisse aber überhaupt nicht richtig wahr. Irgendwie wirkte das auf mich eher wie ein Science-Fiction-Film. Die ganze politische Tragweite dessen konnte ich in dieser Nacht überhaupt nicht erfassen, aber das änderte sich ganz schnell. Morgens um halb fünf klingelte es nämlich an meiner Tür und davor standen die Nichte meiner Frau und ihr Mann, die beide freudetrunken aus Ostberlin rübergekommen waren. Sie erzählten, dass sie nun hierbleiben wollen, was ich ihnen auszureden versuchte, denn sie hatten sich im Osten gerade eine neue Wohnung eingerichtet und hätten das ja alles aufgeben müssen. Aber ich denke, sie hatten Angst, dass die Mauer wieder hochgezogen und die Grenzen wieder geschlossen würden. Jedenfalls bin ich am nächsten Tag mit ihnen mit dem Auto von Berlin-Schöneberg ins Aufnahmelager Marienfelde gefahren. Vier Stunden im Schritttempo - es war die Hölle! Für die beiden wäre es eigentlich besser gewesen, sie wären zurückgegangen, denn die Mauer blieb ja offen, aber sie wollten sich nichts sagen lassen. In der nächsten Zeit kamen weitere Bekannte und Verwandte zu uns, was dazu führte, dass wir ständig eine volle Wohnung hatten und mit der Zeit ein wenig genervt waren. Aber wir hatten natürlich auch Verständnis, da wir ja selber mal neu im Westen waren und halfen deshalb, wo wir konnten. Wenn ich heute in Ruhe über alles nachdenke, ist für mich der Fall der Mauer immer noch unbegreiflich. Dass dieses System implodiert ist, hätte ich vorher nie für möglich gehalten, denn ich kannte die Stasi und hatte das Gefühl, die haben das alles voll im Griff. Aber wahrscheinlich sahen einige von ihnen das Ende dann doch voraus, weil sie begriffen, das Land DDR ist wirtschaftlich nicht länger zu halten. Ob allerdings Schabowskis berühmte Rede mit der Aussage "… ab sofort!" so gedacht war, bezweifle ich doch sehr.

Für Euch Musiker ergaben sich ja durch die Maueröffnung neue Möglichkeiten, denn in den Neunzigern seid Ihr zuerst wieder als MAGDEBURG und später dann unter dem alten Namen KLOSTERBRÜDER aufgetreten. Wer ergriff denn damals die Initiative, diese Bands wieder zum Leben zu erwecken und auch wieder Konzerte zu geben?
Ich hatte 1993 die Idee, wieder als KLOSTERBRÜDER auf Tour zu gehen, und die alten Zeiten mit den tollen Fans wieder aufleben zu lassen. Aber natürlich waren seitdem einige Jahre ins Land gezogen. Nun hatte ich es geschafft, telefonisch immerhin um die dreißig Gigs zu organisieren. Allerdings hatte ich die Organisation solcher Dinge in der heutigen Zeit etwas unterschätzt. Ich hätte das Ganze lieber einem Manager überlassen sollen. Da wir schon immer große Fans von FRUMPY und Inga Rumpf waren, habe ich einfach bei Inga angerufen und gefragt, ob sie Zeit und Lust hätte, mit uns auf Tour zu gehen. Und siehe da, Inga hatte Zeit und Lust. Wir hatten da einige schöne Auftritte in Jena, Suhl und Erfurt, aber natürlich kamen nur wenige Leute in die Konzerte. Ich habe ganz schön Miese damit gemacht oder, wie mein Bruder Detlef sagen würde, ich habe eine Menge Geld verbrannt. Ja, es machte trotzdem Spaß, denn diese Tour war eine reine Herzensangelegenheit. Pitti spielte mit, Inga Rumpf sang nicht nur "How the gipsy was born", sondern auch noch ein paar weitere ihrer Rocksongs, und dennoch musste ich die Tour nach dem zehnten Gig stoppen. Es hätte, wie schon gesagt, anders vorbereitet werden müssen, aber irgendwie lebte ich noch in der guten, alten Zeit. So zahlte ich eben ordentlich Lehrgeld.

Klingt nach vielen Gründen um aufzugeben. Wie ging es nach dem Misserfolg denn weiter?
Wir haben uns aber nicht entmutigen lassen und sind dann im Jahr 2000 bei der Rockgala in Magdeburg wieder als KLOSTERBRÜDER aufgetreten. Wir hatten sogar die alte Besetzung am Start, also auch mit Matze Blankenburg. Wir waren sehr erfolgreich, wir spielten wie einst im Mai die guten, alten COLOSSEUM-Titel, was auch super ankam bei den Leuten. Dieser Auftritt erzeugte dann bei uns große Lust, weiterzumachen. Vor allem änderten wir unser Programm etwas ab, indem wir wieder eigene Songs von MAGDEBURG und den KLOSTERBRÜDERN auf die Setlist nahmen. Wir haben also seit der Wende wirklich einige Highlights erlebt, die natürlich nicht vergleichbar sind mit denen von früher im Osten. Da spielten wir bis zu zwanzig Gigs im Monat. Heute verteilen wir die paar Auftritte über das ganze Jahr. Eins ist aber klar: wenn wir in der Zukunft mal wieder irgendwo spielen sollten, mache ich das vorher über facebook bekannt und ich bin mir sicher, dass wird dann richtig schön. Wir werden nicht rund um die Uhr spielen, aber ich denke, wir sind es uns und unseren Fans schuldig, noch ein, zwei oder auch drei Konzerte zu spielen.

Fassen wir mal zusammen: Ihr seid nach dem Mauerfall wieder aufgetreten, wart damit nicht ganz unerfolgreich, die Leute kamen wieder in die Konzerte. Mit Ausnahme einiger Best Of-Kopplungen hat es aber kein einziges neues Album mehr von Euch gegeben. Warum habt Ihr in den zurückliegenden dreißig Jahren kein Album mit neuen Liedern mehr produziert?
Das ist natürlich vor allem eine finanzielle Geschichte. Die Titel, die man auf den der Doppel-CD findet, hat Jörg Stempel umsonst von uns und aus dem Rundfunkarchiv gekriegt. Ich habe ja selber auch ein paar CDs von uns pressen lassen und habe gemerkt, dass das eine durchaus kostspielige Angelegenheit ist. Da muss man ein ganz schöner Idealist sein. Also stelle ich fest, die Aufnahme einer neuen CD ist nur interessant und machbar, wenn eine größere Firma dahinter steht. Selbst Jörg Stempel mit dem Buschfunk-Label im Hintergrund muss sich das genau überlegen, denn zu glauben, dass man heute noch zehntausend CDs verkauft, ist reine Illusion. Meine Schublade ist voller neuer Songs. Und die meisten dieser Songs sind viel besser als die früheren, denn ich habe mich im Laufe der Jahre natürlich weiterentwickelt. Ich würde also gerne wieder etwas veröffentlichen, nur müssen dazu eben die finanziellen Dinge geklärt werden und am Ende stimmig sein.015 20201125 1879311466 Jörg Stempel hat unsere KLOSTERBRÜDER-Sachen bei Sony Music angeboten, aber - wen wundert's - die wollten Geld damit verdienen und konnten mit einer Band wie den KLOSTERBRÜDERN nicht viel anfangen. Wir waren im Osten präsent und bekannt und auch im Westen kennen uns noch einige. Aber ob das ausreicht, um nochmal neu durchzustarten, wird sich zeigen. Wir danken Jörg Stempel sehr dafür, dass er die Doppel-CD "Was wird morgen sein" von den Klosterbrüdern und Magdeburg veröffentlicht hat.

Dein Freund und Kollege Hans-Joachim Kneis ist leider am 16. Februar 2020 verstorben. Im November 2019 habt Ihr noch ein Konzert gegeben, keine zwei Monate später starb er. Was ist in dieser kurzen Zeit passiert, dass Achim plötzlich ging?
Er war sowieso schon angeschlagen und hätte wegen seiner Gesundheit eigentlich nicht mehr auftreten sollen. Seine Familie wollte ihn auch gar nicht mehr fahren lassen. Nun war es aber so, dass wir am 30.11.2019 diese Veranstaltung in Mülsen hatten. Ich hatte den Termin ursprünglich abgesagt, doch der Veranstalter meinte, das geht nicht, ihr müsst spielen. Ohne Achim wäre das aber ohnehin nicht gegangen. Der Gig hing also am seidenen Faden. Daraufhin habe ich einen großen Fan von uns aktiviert, der von Magdeburg nach Köln gefahren ist, Achim eingesammelt hat und ihn nach Mülsen gebracht hat. Achim hat das Konzert durchgezogen, konnte auch noch selbstständig stehen und war gut bei Stimme. Am nächsten Tag fuhr der Kumpel Achim wieder zurück nach Köln. Insgesamt waren das etwa zweitausend Kilometer, die unser Fan abgerissen hat, damit der Gig stattfinden konnte. Das werde ich ihm auch nie vergessen. Wir Ostler haben solche Dinge halt drauf. Wir weinen nicht, sondern ziehen das einfach durch. Es war jedenfalls ein schöner Abend in Mülsen und es war auch unser letzter gemeinsamer Auftritt. Wir haben danach täglich telefoniert, manchmal stundenlang. Anfang Februar dieses Jahres ging es dann los, dass er keinen richtigen Appetit mehr hatte, was für Achim wirklich bedenklich war, da er immer sehr gerne aß. Am nächsten Tag war keine Besserung eingetreten, es ging ihm auch sonst nicht gut. Ich empfahl seiner Frau, sie soll sofort den Notarzt rufen. Die kamen auch gleich, nahmen ihn mit ins Krankenhaus und stellten dort diverse Wehwehchen fest. Er nahm in den Tagen im Krankenhaus mächtig ab, war kaum wiederzuerkennen, erholte sich dann aber nochmal. Und am 16. Februar kam schließlich der Anruf seiner Frau mit der Nachricht, Achim ist eingeschlafen.

Das ist alles erst wenige Monate her und trotzdem werden sich viele Fans die Frage stellen: Was wird morgen sein? Du sagst ja, Du bist hungrig, Du willst in musikalischer Hinsicht unbedingt weitermachen. Also wie wird es weitergehen mit den KLOSTERBRÜDERN? Kommt ein neuer Sänger? Ist die Band Geschichte?
Nein, auf keinen Fall. Sowie Gott will und Corona sich etwas zurückzieht, werden wir etwas Neues machen. Es gibt da verschiedene Optionen. In Magdeburg gibt es jemanden, der ein großer Achim-Fan ist und der auch so einiges singen kann. Natürlich wird Achim niemals zu ersetzen sein. Deshalb werde ich in Zukunft auch nicht mit jedermann Musik machen, sondern es muss schon das gewisse Etwas vorhanden sein. Unsere Bandkollegen um Matze Blankenburg wollen jedenfalls unbedingt weitermachen. Nicht zu vergessen: zu uns gehört ja seit einiger Zeit auch Beata Kossowska, die singen kann und die eine wunderbare Bluesharp spielt. Und jetzt wirst Du staunen, denn wir haben auch noch einen gewissen Hans-Jürgen Beyer auf dem Zettel, der bei den Thomanern groß wurde, der bei der BÜRKHOLZ FORMATION schon Songs von COLOSSEUM gesungen hat, der dann zwar auf der Schlagerschiene gelandet ist, aber dennoch eine großartige Stimme hat. Mit Hans-Jürgen Beyer wollten wir sogar ins Fernsehen gehen. Jörg Stempel organisierte einen Auftritt beim "Riverboat", wo wir "Was wird morgen sein" spielen wollten. Natürlich neu aufgenommen und von Hans-Jürgen Beyer gesungen, der auch wirklich begeistert davon war und es liebend gerne mit uns gemacht hätte. Nur als es soweit war, hat das Fernsehen leider kein Interesse mehr gezeigt. Die wollten wahrscheinlich lieber eine Ute Freudenberg haben. Aber was soll's, ich bin nicht scharf darauf, unbedingt ins Fernsehen zu kommen. Aus dem Alter bin ich heraus und für eine Weltkarriere sowieso zu alt. Wichtiger ist mir, dass wir irgendwann wieder etwas Gemeinsames auf der Bühne machen und einigermaßen gute Musik abliefern. Mehr will ich gar nicht. Natürlich sind unsere Fans und Freunde sehr wichtig.

Ist Hans-Jürgen Beyer denn nach wie vor eine ernsthafte Option oder ist dieser Gedanke ausgesponnen?
Er ist hundertprozentig eine Option! Ich stehe mit Hansi Beyer indirekt über facebook in Verbindung. Ihm gefällt das, was wir machen, er hat auch von mir unsere Doppel-CD bekommen. Natürlich hat er dieses Schlager-Image im Nacken. Aber auf jeden Fall kann er unsere Songs singen. Es gibt im Internet ein paar Mitschnitte aus Leipzig, wo er Songs wie "Smoke on the water" oder "Child in time" singt. Da sieht man, was er drauf hat und dass er es kann.

Vor zehn Jahren zu seinem 60. Geburtstag hat er auch wieder mit der BÜRKHOLZ FORMATION auf der Bühne gestanden und die Lieder gesungen.
Na klar, das war großartig. Was die 1972 oder 1973 mit der BÜRKHOLZ FORMATION gemacht haben, war übrigens eine riesengroße Schweinerei. Die waren richtig gut im Geschäft, hatten diese ellenlangen Werke wie die "Tagesreise" im Programm, die sollten sogar mit OMEGA eine Tour machen. Aber dann gab es diesen Auftritt in der Nähe von Dresden, wo ein paar Fans am Bühnenrand standen und ein bisschen getanzt haben, was schließlich völlig eskalierte und zum Ende der Band führte. Manche Stimmen flüstern auch, man wollte Hansi Beyer unbedingt als Schlagersänger haben, weshalb man die BÜRKHOLZ FORMATION kaputtmachen musste und es auch geschafft hat. Ich bleibe dabei: das war eine Riesensauerei, was da ablief. Und das sage ich, obwohl wir davon profitiert haben, denn sowohl BÜRKHOLZ als auch wir mit den KLOSTERBRÜDERN haben COLOSSEUM gecovert. Mir geht es aber darum, dass man hier auf brutale Art und Weise eine Band zerstört hat. Ich hatte zwischenzeitlich Kontakt mit Heinz Geisler, dem BÜRKHOLZ-Gitarristen. Er sprach davon, dass man die BÜRKHOLZ FORMATION wieder ins Leben rufen wollte und schickte mir auch ein paar Sequenzen ihrer Titel. Am Rande sagte er mir, deshalb erwähne ich das, dass er nach dem Verbot der Band so fertig war, dass er schon mit dem Äußersten geliebäugelt hatte. Es ist doch klar, Du hast eine Band, die bei den Leuten ankam und deren weiterer Erfolg vorprogrammiert war. Die hatten eine gute Qualität und tolle Songs und die hatten einen Michael Heubach in der Band. Den Genossen war das jedenfalls völlig egal, was die da gerade kaputtgemacht haben, die interessierte das nicht die Bohne. Dabei verstanden sie nicht, dass sie uns Rockbands brauchten.

Du warst ja zuletzt mit Eberhard Klunker unterwegs. Was habt Ihr zwei denn da ausgeheckt? Und wo soll diese Reise hingehen?
Das war wie so vieles im Leben ein reiner Zufall. Eberhard spielt ja im Augenblick sehr viel mit Beata Kossowska zusammen. Er und ich kennen uns von früher aus den Zeiten bei der MODERN SOUL BAND und HANSI BIEBL. Wir trafen uns mal auf einen Kaffee, um ein bisschen über alte und neue Zeiten zu plaudern. Nun war es so, dass Jörg Stempel in Speiches Blueskneipe für Rockradio ein Interview mit mir geführt hatte. Das Ganze dauerte fast zwei Stunden und Eberhard Klunker sollte an diesem Abend etwas spielen. Klunki bat mich, mit ihm zusammen auf die Bühne zu gehen, was ich ihm zuliebe dann auch tat. Ich packte also seit dem besagten Konzert in Mülsen erstmals wieder Querflöte und Saxofon aus. Wir probten nicht großartig vorher, legten lediglich eine lockere Setlist fest. So wollten wir zwei Nummern der KLOSTERBRÜDER bringen, außerdem "Locomotive breath" und noch das eine oder andere Stück. Wir haben dann also nach meinem Interview unsere Songs gespielt, es war auch gut besucht trotz Corona. Was ich aber eigentlich sagen will: Das Zusammenspiel mit Eberhard war ein Traum! Er Gitarre, ich Sax und Flöte ... Jörg Stempel hat uns hinterher zu Tode gelobt, so begeistert war er! Nach dieser Erfahrung könnte ich mir vorstellen, bei den kommenden KLOSTERBRÜDER-Konzerten vielleicht eine halbe Stunde vorher mit Eberhard etwas zum Besten zu geben. Quasi als Vorband.

Wenn die Corona-Geschichte sich beruhigt hat und wieder Kultur stattfinden kann, werden wir diese Dinge auf jeden Fall im Auge behalten und zu gegebener Zeit wieder darüber reden und auch gerne die Werbetrommel dafür rühren. Damit sind wir auch schon am Ende unseres Gespräches. Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Ich möchte mich vor allem bei Dir für dieses Interview bedanken. Viele Dinge sind dadurch wieder vor meinem Auge abgelaufen. Es ist gut, dass es Leute wie Euch gibt, die dies alles noch am Leben erhalten, Und natürlich grüße ich alle Leser von Deutsche Mugge.

 

Interview: Christian Reder
Bearbeitung: tormey
Fotos: Axel Balko-Fieberg, Danny Trujillo, Redaktion





   
   
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