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Interview vom 27. September 2020



Menschen gehen unterschiedlich damit um, wenn sie zur "Untätigkeit" gezwungen sind. Die Musiker durften in diesem Jahr lange Zeit nicht live auftreten bzw. Konzerte geben. Manch einer ist deshalb in ein tiefes Loch gefallen, arbeitet inzwischen sogar schon in einem anderen Beruf. Wieder andere setzten sich vor die Webcam und spielten für ein Internet-Publikum.001 20200928 1530736917 Chris Kramer hingegen wurde in dieser Zeit des Lock-Downs kreativ. Er schrieb nicht nur neue Lieder für ein kommendes Album, sondern gleich ein ganzes Kinderprogramm über den Eindringling, der ihn nicht auf die Bühne ließ. Parallel dazu wurde an einer Aktion gearbeitet, die das Erscheinen des neuen Albums von Chris Kramer & Beatbox'n'Blues ermöglichen soll. Inzwischen tritt auch Chris mit seiner Band wieder auf und blickt mit uns auf das vergangene letzte Halbjahr zurück und mit vielen Plänen in der Tasche in die Zukunft ...




Die erste und wichtigste Frage vorweg: Bist Du gesundheitlich bisher gut durch die Corona-Krise gekommen?
Ja bin ich. Es geht mir gut, und weder ich noch jemand aus meiner Familie oder aus meinem Bekanntenkreis sind erkrankt.

Was war Deine letzte Mugge vor dem Lock-Down und wusstest Du da schon, dass es die Letzte für eine ganze Weile sein würde?
Am 12. März, ein Blues-Abend in Bergheim. Meine Band hat dort zusammen mit der Zed Mitchell Band gespielt. Es waren genau 100 Tickets im Vorverkauf verkauft und nur deshalb, weil das da schon die Grenze war, ob etwas stattfinden durfte oder nicht, konnten wir spielen. Am Ende waren nur 37 Leute da. Beide Bands haben trotzdem alles gegeben und für gute Stimmung gesorgt. Aber das Gefühl, "OHOH, da kommt jetzt eine gewaltige Scheiße auf uns zu und wird wohlmöglich alles lahmlegen", lag da schon in der Luft. Im Backstage-Bereich saßen wir Musiker und im Fünfminutentakt kamen die Konzertabsagen rein. Ich schaute zu Zed. und der schüttelte auch nur noch mit dem Kopf. Da war mir klar, das hier wird für sehr lange Zeit das letzte Konzert sein. Und dann waren es fast auf den Tag genau 6 Monate ohne Live-Musik für mich.

Nun wirst Du Dich in der vielen Freizeit, die Du ja wie alle anderen Kollegen auch eher unfreiwillig "geschenkt" bekommen hast, nicht nur mit Musik beschäftigt haben ... Wie hast Du die Zeit verbracht? Hast Du womöglich neue Hobbys für Dich entdeckt?
Ich habe die digitale Welt für mich entdeckt und bin jetzt auf den sozialen Netzwerken deutlich aktiver. Vor allem bin ich jetzt auch auf Spotify aktiv, um dort langsam aber kontinuierlich meine monatlichen Hörer und Follower aufzubauen und zuzusehen, dass ich jeden Tag auf eine neue Playliste komme.

002 20200928 1256922781War es für Dich, Sean und Kevin überhaupt möglich, in der Phase des totalen Stillstands für Beatbox ´n´ Blues gemeinsam zu arbeiten, sprich zu proben und an neuen Songs zu arbeiten, oder habt Ihr Euch nur aus der Ferne gegrüßt?
In der ganz harten Zeit habe ich mich strikt daran gehalten, und nur drei Personen gesehen. Meine Freundin zuhause, und Kevin und Sean im Proberaum. Ich bin dann dem natürlichen Instinkt gefolgt, immer zu versuchen, das Beste aus der Situation zu machen, und habe mit meiner Band an neuen Songs gearbeitet - auch mal den einen oder anderen Coversong aufgenommen. "Kreativ zu sein", wie man so schön sagt. Ich habe auch online Seminare (Webinare) besucht um mich weiterzubilden. Ich bin dann aber auch in ein Loch gefallen und habe mir um meine drei sozialversicherungspflichten Mitarbeiterinnen in meinem kleinen Verlag sorgen gemacht, da wir zu 92% vom Live-Geschäft leben und ich mit aller Kraft versuche, diese Arbeitsplätze zu erhalten, weil mir die Menschen mit denen ich arbeite (jetzt übrigens fast ausschließlich im Homeoffice) einfach am Herzen liegen.

Was hast du gemacht, um aus dem Loch rauszukommen?
Bei einem Telefonat mit meinem Kumpel Oliver Krajewski, der im Hauptberuf Grundschullehrer ist, kam die entscheidende Idee. Dann hat es einmal Klick gemacht, und wir haben gemeinsam eine neue Geschichte mit meiner Hauptfigur "Die kleine Mundharmonika" geschrieben. In "Die kleine Mundharmonika und die Coronaviren" geht es darum, Kindern mit einer spannenden Geschichte und viel guter Musik die aktuelle Situation kindgerecht und spielerisch zu vermitteln. Oliver hat Arbeitsblätter dafür erstellt, so dass in Schulen oder auch zu Hause das in dem Hörbuch Erfahrene dann noch anschließend intensiver vertieft werden kann. Der geniale Zeichner Christoph Heuer hat für die ganz kleinen ein wunderschönes Malbuch erstellt. Es gibt Playbacks, Noten und im Netz unter http://chris-kramer.de/diekleinemundharmonikaunddiecoronaviren/ kann jeder kostenlos darauf zugreifen. Bei der Arbeit habe ich richtiggehend gespürt, dass ich da jetzt das Richtige tue, und wie besseren daran gearbeitet.

Wie darf man sich das vorstellen, wenn Chris Kramer besessen an etwas arbeitet?
Ich habe morgens um 9:00 Uhr angefangen und bis 3:00 oder 4:00 Uhr nachts gearbeitet, und in 10 Tagen vom leeren Blatt bis zur fertigen Onlineproduktion alles aus dem Boden gestampft. Natürlich mit tatkräftiger Unterstützung meiner Freunde. Ich habe nicht nur viel Herzblut und Zeit, sondern auch einiges an Geld investiert und war happy und stolz, dass die Kulturministerien direkt oder eine untergeordnete Behörde in insgesamt sechs Bundesländern unsere Arbeit für gut befunden haben und sie allen Lehrer*innen als empfehlenswert empfohlen haben.003 20200928 1950165743 Auch der Schulverlag des deutschen Sparkassenverbandes hat das bundeweit empfohlen. Aber ernüchternd musste ich dann feststellen, dass ich auch mit diesem "Rückenwind" einfach nicht zu den einzelnen Schulen durchdringen konnte. Die Situation war für die Schulen derart schwierig, da Anweisungen vom Vortag am nächsten Tag schon wieder übern Haufen geworfen wurden und den Lehrer*innen zugemutet wurde, ein Chaos zu managen von dem niemand wusste, wie eigentlich. Da hatte ich schlicht keine Chance durchzudringen, egal wie wert- und liebevoll gestaltet und umfassend gut das Konzept war.

Ist das jetzt einfach so versandet?
Nein! Gott sei Dank nicht. Der gute Teil kommt jetzt: Ich kann in NRW musikalische Lesereisen, natürlich streng nach der Corona-Schutzverordnung des Landes NRW, machen und es geht richtig, richtig los. Ich habe zum Teil vier Veranstaltungen am Tag und hoffe, dass ich da bis zum Sommer 2021 auch noch in anderen Bundesländern nachlegen darf. Der Bedarf und die Nachfrage sind riesig!

Ich habe es nicht mitbekommen, aber hattest Du mit Beatbox ´n´ Blues auch Streaming-Konzerte oder habt Ihr darauf verzichtet?
Wir haben ein Streaming-Konzert gemacht, was wir mit sehr hohem technischen Aufwand betrieben haben, und die Mühe hat sich wirklich gelohnt. Danke an Peter Birkholz und Moritz Lanwer für Ton und Licht, das war spitze was ihr beiden da gezaubert habt! Es hat sich zwar gelohnt und war eine wertvolle Erfahrung, aber wir haben es nur einmal gemacht.

Inzwischen gibt es aber wieder Konzerte mit Publikum vor der Bühne, wie man auf Deiner Homepage unter "Tour" sehen kann. Seit wann könnt Ihr wieder spielen? Wo habt Ihr den ersten Auftritt nach der Pause gehabt?
Am 6. September in Dortmund im Hansa Theater, einer wirklich wundervollen Spielstätte, in der sich 100 Leute eingefunden hatten. Eine Woche später waren wir in der Pfalz und haben nach einem Blues-Gottesdienst ein Open Air-Konzert gespielt. Jetzt geht es am 2. Oktober im Kulturrat in Bochum weiter.

004 20200928 1246046733War das für Euch auch so ein Erlebnis, dass zu Herzen ging, als Ihr wieder Publikum vor Euch sitzen sehen konntet?
So schwer die Zeit für uns Künstler jetzt auch ist, aber die emotionale Unterstützung und Anteilnahme, die wir sozusagen "aus der Bevölkerung" erfahren, ist wirklich berührend, und bei den Konzerten waren ja dann zusätzlich noch Menschen da, denen wirklich was an unserer Musik liegt. Direkt nach dem Startapplaus ging mir die Seele auf und auch die vielen kleinen Gespräche in der Pause und nach dem Konzert waren wie Balsam. Wenn man wie ich fast 30 Jahre lang auf der Bühne steht, wird Applaus so selbstverständlich wie Ein- und Ausatmen. Nach der 6-monatigen Zwangspause ist mir in aller Härte klar gemacht worden, dass das eben nicht so ist. Nichts ist selbstverständlich, und umso dankbarer war ich und bin es noch.

Dazwischen sind allerdings ganz viele Konzerttermine zu finden, hinter denen "abgesagt" als Notiz steht. Beide Muggen in Berlin, das Konzert in Schleswig Holstein und das in Bayern finden demnach nicht statt. Sind die ersatzlos gestrichen oder gibt es schon Nachholtermine?
Einige wenige Veranstalter gibt es tatsächlich leider nicht mehr und die Konzerte sind einfach weg. Aber das Meiste wird irgendwann nachgeholt Da aber auch für 2021 keine Planungssicherheit besteht, wird das auch eine harte Nummer, wenngleich ich jetzt doch deutlich spüre, dass allmählich die guten Nachrichten wieder Überhand nehmen. Ich bete dafür, dass es so bleibt und nicht einige wenige Unvernünftige dafür sorgen, dass es lokale Lock Downs geben wird und wir Künstler und die nach Kultur dürstenden Menschen dann die Leidtragenden sind.

005 20200928 1331860921Wie sehen Eure Auftritte denn überhaupt aus? Speziell Kevin mit seinem Beatboxing und Du mit der Mundharmonika erzeugen ja eine Menge Aerosole, vor denen ja seit ein paar Wochen ganz intensiv gewarnt wird und von denen wir bis dahin noch nie was gehört haben. Steht Ihr hinter einer Plexiglas-Scheibe, tragt Ihr Mund/Nasenschutz oder ist sowas keine Hygienevoraussetzungen für Eure Auftritte?
Wie von den Behörden vorgeschrieben: 4 Meter Abstand zum Publikum!

Ihr schaut auch schon über die Zeit hinaus, denn Ihr habt gerade Eure Pläne für die Zukunft veröffentlicht. Im Sommer 2021 soll das neue Album erscheinen. Du sagtest ja gerade, dass Du schon Songs geschrieben hast. Wie ist denn da der Stand der Dinge?
Etwas mehr als die Hälfte sind bereits geschrieben, der Rest ist noch in der "Mache"!

Ihr werdet dafür einen für Euch neuen und für viele Eurer Kollegen bereits attraktiven Weg gehen, denn die Scheibe soll mit dem beliebten "Crowdfunding" finanziert werden. Wer hatte von Euch denn dafür die Idee?
Das kann ich jetzt so gar nicht mehr sagen. Das war wie so vieles bei uns eine Gemeinschaftsproduktion und nach dieser Zeit auch irgendwie naheliegend. Wenn wir ganz normal unsere 100 Konzerte im Jahr spielen, dann können wir nicht nur ganz gut davon leben, es bleibt auch immer noch was übrig, um eine neue CD zu finanzieren. Diese Möglichkeit wurde uns jetzt genommen und ein Crowdfunding dreht den Spieß sozusagen um. Die Fans bezahlen z.B. die CD bereits im Vorhinein und die Band hat so das Geld, um die CD zu finanzieren - also ganz grob beschrieben.

Wie lange wird diese Aktion laufen und was ist das Ziel?
Die Aktion läuft bis zum 14. Dezember 2020 und unser Mindestziel sind 7.500 EUR.

Was wird mit diesem Geld konkret finanziert? Ausschließlich die Produktion der Songs im Studio oder auch die Pressung auf CD und/oder Platte?
Also für eine Vinyl-Produktion wird das sicher nicht reichen. Aber Studio, Pressung, Layouter und wenn vielleicht noch mehr rumkommt auch etwas für Promotion.

006 20200928 1921937095Für die Fans, die ein Album auf diesem Wege vorfinanzieren, gibt es bei solchen Aktionen ja immer einen Anreiz in Form von Geschenken. Was habt Ihr Euch für Eure Fans ausgedacht? Was kann man für seine Finanzspritze bei Euch bekommen?
Angefangen vom Button und Plektren bis hin zum Wohnzimmerkonzert. Wir haben unser erstes Band T-Shirt, Sean und ich bieten Privatstunden an und sehr viele persönliche kleine Unikate wie eine einmalig individuell bedruckte CD mit Widmung. Bei www.startnext.com/chris-kramer-beatboxnblues hat man dann die komplette Übersicht und kann sich in Ruhe umsehen.

Gehen wir mal vom Worst Case aus, und Ihr erreicht das Ziel nicht. Ist zwar eher unwahrscheinlich, aber in diesen unsicheren Zeiten nicht unmöglich. Was passiert dann?
So wie ich mich kenne werde ich das machen, was ich in den letzten sechs Monaten auch gemacht habe: Ich werde an mein Erspartes gehen, also an das Geld, das ich eigentlich für meine Altersvorsorge eingeplant habe, und das dann selbst finanzieren, weil ich mich nicht aufhalten lasse meinem Traum zu folgen. Neue Songs sind wie deine eigenen Kinder, die das Licht des Lebens sehen sollen und Sean, Kevin und ich sind in den letzten vier Jahren immer intensiver zusammengewachsen, und eine echte Einheit geworden. Die neuen Songs gehen auch genau in diese Richtung, uns als Einheit zu präsentieren. Sean und Kevin werden mehr singen bzw. rappen, und wir schreiben immer mehr gemeinsam an den Songs. Die Abwechslung, die wir live schon immer präsentieren, da jeder abwechselnd im Mittelpunkt steht und die beiden genialen jungen Kollegen keine austauschbaren Begleitmusiker sind sondern gleichberechtigt neben mir auf der Bühne stehen, ist unser Konzept und das verfolgen wir weiter. Und da sind wir in den letzten beiden Jahren einen großen Sprung nach vorne gekommen. Das wollen wir jetzt auch auf CD festhalten - unbedingt!

Etwas, das ich leider aus dem Auge verloren habe, war die Kooperation von Euch mit Thomas Godoj. Was ist daraus eigentlich geworden?
Die Tour mit Thomas war einfach klasse. Thomas ist einer der besten Sänger, die wir in Deutschland haben, und eine gute Seele obendrein! Es war für uns eine neue Herausforderung, nicht an unseren, sondern an fremden Songs zu arbeiten, und das hat uns noch mehr zusammengeschweißt. Und am Ende hatten wir natürlich einfach geile Konzerte, wo wir zunächst 30 Minuten im Vorprogramm den Abend eröffnen durften und dann mit Thomas das volle Konzert als seine Begleitband gespielt haben.007 20200928 1744325594 Es hat uns allen Spaß gemacht und wir werden mit Thomas auch mindestens noch ein weiteres Konzert spielen. Wir könnten uns auch sehr gut vorstellen, auch andere Künstler auf dieser Art zu begleiten. Sehr gerne auch aus dem Hip-Hop Bereich.

Bist Du derzeit eigentlich ausschließlich nur mit dem Beatbox ´n´ Blues-Programm unterwegs oder kann man Dich auch Solo und mit diesem wunderbaren Kinderprogramm noch buchen?
Das Projekt "Die kleine Mundharmonika" gibt meinem Leben, neben meinem Bluesaktivitäten, eine Sinnebene. Kinder an die Musik und auch an die Mundharmonika heranzuführen erfüllt mich auf eine ganz besondere Art und Weise und führt dann auch konkret dazu, dass ich auch mit Kevin und Sean zusammen unterschiedliche Formate dazu anbiete. Im Oktober sind wir z.B. in Pirna und neben unserem Konzert am Abend wird es im Q24 gleich zwei Kinderveranstaltungen geben.

Wird es eigentlich auch nochmals eine Aufführung des Musicals geben oder ist dieses Projekt abgeschlossen?
Das wird es in den unterschiedlichsten Formaten immer wieder geben, ganz, ganz sicher!!!

Chris, ich drücke Dir die Daumen für die Aktion mit der Album-Finanzierung und mit den Konzerten. Hast Du noch ein paar abschließende Worte für die Leser auf dem Herzen?
Bitte bleibt alle gesund und gefährdet andere nicht, indem ihr unvernünftig über die Stränge schlagt. Rücksicht und Respekt ist jetzt das Gebot der Stunde, einfach einen Gang zurückschalten und Vernunft walten lassen, dann kommen wir da gemeinsam wieder raus.



Interview: Christian Reder
Fotos: Pressematerial (Büro Chris Kramer, u.a. Frank Beer), Redaktion