Jörg Hindemith


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Interview vom 20. Mai 2019



Jörg Hindemith gehörte in den 80ern zur Abteilung "Entertainment & Show" der damaligen DDR. Nachdem man ihn in einer Talente-Show entdeckt hatte, ging seine Karriere steil und als "Zonen-Shaky", wie ihn die Presse nannte, beackerte er musikalisch in seiner Heimat ein ihm allein vorbehaltenes Feld. In TV-Shows war er Dauergast und man kannte Hindemith landauf - landab. Mit der Wende verlor sich seine Spur, denn die Medienlandschaft veränderte sich über Nacht komplett. Beim mdr trat er immer wieder mal in Erscheinung und wer in den 90ern in den CD-Fächern seines Plattenhändlers stöberte, konnte hin und wieder auch mal eine neue CD Single von ihm finden. Kommerzielle Erfolge blieben aber aus.a 20190523 1784850421 Was viele vielleicht nicht wissen ist, dass Jörg Hindemith nie aufgehört hat, aktiv Musik zu machen. Wir werfen mit Jörg zusammen heute einen Blick auf die Zeit, in der er medial gesehen immer "erreichbar" war und auf die, in der man meinen konnte, es gäbe ihn gar nicht mehr. Dabei schauen wir auch, was er derzeit so macht und ob man vielleicht sogar mit neuen Liedern rechnen kann ...




Du trägst ja einen sehr bekannten Namen. Gibt es ein verwandtschaftliches Verhältnis zum Komponisten Paul Hindemith?
Ich bin weitläufig mit ihm verwandt. Paul Hindemith hat ja keine direkten Nachkommen, aber mein Opa hat das zum Anfang des Jahrhunderts mal recherchiert und dabei stellte sich heraus, dass ich tatsächlich mit Paul Hindemith verwandt bin. In Frankfurt gibt es eine große rechtliche Abteilung, die das auch mal checkten, als ich vor ein paar Jahren in der Sendung "Ich trage einen großen Namen" war und in diese Sendung kommst du nur rein, wenn die das recherchiert haben und es auch tatsächlich stimmt. Und so stellte sich heraus, dass ich tatsächlich weitläufig mit Paul Hindemith verwandt und auch sehr stolz darauf bin.

In Deiner Biographie ist zu lesen, dass Du Deine ersten musikalischen Erfahrungen in einer Schülerband der Erfurter Humboldt-Schule gemacht hast. Aber man steigt ja nicht einfach ohne irgendwelche Vorkenntnisse in eine Band ein. Wie und wann bist Du zur Musik gekommen?
Also ich habe ganz normal, wie man es als Jung-Rocker in der damaligen Zeit machte, Gitarrenunterricht gehabt und bin schön gemütlich in jeder Woche zu meiner Gitarrenlehrerin gegangen. Eine köstliche alte Dame, die zwar schon ein Stützgerüst am Hals hatte, aber nichtsdestotrotz sehr sehr gute Ohren. Und da nahm ich also den ganz normalen Weg eines Gitarrenschülers und durfte auch so schöne Stücke wie "Ännchen von Tharau" spielen ... Aber das macht ja nichts, dadurch lernst du, gut nach Noten zu spielen und das Gehör wird geschult. Das war schon ziemlich wichtig. Dann ging es den einfachen Weg und wir begannen mit einer normalen Schülerband. Und mit 16 habe ich dann schon in der Band der berühmten "Engelsburg" - ein Studentenclub - hier in Erfurt gespielt. Das waren alles Leute, die studiert haben. Das heißt, ich durfte als 16-jähriger schon mit auf die Bühne, hatte aber die Maßgabe meiner verehrten Mama, dass ich um 0:00 Uhr wieder zu Hause sein musste. 20 Minuten vor zwölf wurde also das letzte Stück gespielt und ich saß zehn vor zwölf in der Straßenbahn. Dadurch kam ich musikalisch schon frühzeitig mit Leuten zusammen, bei denen ich viel lernen konnte.

Hast Du nur gesungen oder hast Du auch ein Instrument in der Band gespielt?
Dort habe ich erst mal nur gesungen. Mit dem Schlagzeug begann ich später, in der Band war ich nur Sänger.

Kannst Du Dich denn noch an Deinen allerersten Auftritt erinnern, weißt Du noch, wo und wann das war?
Also ich kann mich gut daran erinnern. Das war, als ich in der Schülerband spielte. Man muss sich ja vorstellen, dass das zu einer bestimmten Zeit war und vor allem in der DDR! Da konntest du nicht in einen Laden gehen und einen Verstärker kaufen, geschweige denn ein auftrittsfähiges Mikrofon. Ich hatte damals - glaube ich - irgend so eine Schwanenhalsmöhre, sang aber meistens ohne Mikrofon und unsere Verstärker bzw. unsere Lautsprecher, das waren alte Radios. Die Vorverstärker hatten wahrscheinlich die Größe einer Zigarettenschachtel. Wo ich wohnte, im Süden in Erfurt, gab es einen Park, den es heute nicht mehr gibt, mit einer großen, flachen Halle. Sie fungierte irgendwie als Pausenversorgung für die Arbeiter dort und in dieser Halle spielten wir zum ersten Mal.

Du hattest schon angesprochen, dass es auch zahlreiche Amateurbands gab, in denen Du mitgespielt hast. Weißt Du noch, wie viele das letztlich waren und wie sah Dein Leben als Amateurmusiker damals aus?
Wie viele es waren, das weiß ich jetzt nicht mehr. Auf jeden Fall war es so, dass ich lange in dieser Band der "Engelsburg" spielte, was natürlich auch große Vorteile hatte. Nicht nur, dass ich mit 16 schon vor Leuten, die auch älter waren, auftreten konnte, sondern natürlich auch mit der entsprechenden Altersgruppe junger Damen zusammenkam. Das hatte insgesamt also große Vorteile ... (lacht) Dann war das Abitur zu Ende und ich kam zur Armee zum normalen Grundwehrdienst. Dort gab es eine Regimentsband, in der ich unter anderem mit Holger Biege zusammengespielt habe. Er leistete dort damals auch seinen Wehrdienst ab und da begann ich dann auch, Schlagzeug zu spielen. Wir hatten keinen Trommler, auf einmal saß ich also am Schlagzeug und so nahm ich meinen zukünftigen Weg als Schlagzeuger. Holger Biege war zu diesem Zeitpunkt ja schon ein hervorragender Pianist, sang aber kaum. Also genau genommen, sang auch ich damals und so vergingen diese 18 Monate schnell. Die Regimentsband war vorbei und dann begann ich mein Studium in Senftenberg. Auch dort hatten wir natürlich wieder eine Band.

Das war ein Bergbaustudium, wenn ich richtig informiert bin ...
Ja, ich bin Projektierungsingenieur.

Hast Du in diesem Job eigentlich richtig gearbeitet?
Das ist eine niedliche Geschichte: In der DDR war es so ... wenn du von einer Firma delegiert worden bist, dann musstest du nach dem abgeschlossenen Studium drei Jahre in dieser Firma arbeiten. Das heißt, mein Studium war zu Ende, ich war fertig, war aber genau in der Zwischenzeit bei diesen Talentewettbewerben entdeckt worden. Ich hatte also mein Studium beendet und stand pflichtgemäß am 1. September in der Personalabteilung dieser Firma und genau genommen gab es schon das Angebot, dass ich eine künstlerische Laufbahn einschlagen soll. Ich stand also morgens um sieben dort und dreiviertel acht kam das Schreiben des Energieministers der DDR, dass sich Herr Hindemith seiner künstlerischen Laufbahn widmen darf. Somit war ich also nach einer dreiviertel Stunde aus dieser Firma wieder raus ... (lacht) So ist das gewesen. Das heißt also auch, ich hätte diese Laufbahn so nie einschlagen können, hätte es diese Zustimmung nicht gegeben. Dann wäre das nichts geworden. Allerdings ist es so, dass der damalige Energieminister ein Studienfreund meines Vaters war, die beiden haben das also dann schon ein bisschen intern geregelt. (lacht)

Folgte diesem Studium später eigentlich noch ein weiteres in Sachen Musik?
Ja, ich studierte dann in Weimar Musik. Ich hätte das eigentlich gar nicht machen müssen, denn ich hatte ja schon einen Berufsausweis. Man muss dazu wissen, dass man sich in der DDR nicht einfach so auf eine Bühne stellen, eine Gitarre um den Hals hängen und auftreten konnte. Du brauchtest ja eine Auftrittsgenehmigung. Das heißt, die konntest du entweder bei diesen volkstümlichen Ensembles machen oder du hattest ein Musikstudium abgeschlossen. Dann hatte man praktisch eine Berufsbefähigung, die so genannte "Pappe". Bei mir war es so, dass ich diese "Pappe" ja schon vorher hatte, da ich in Berlin zu einer entsprechenden Ausbildung war. Das Studium hätte ich also nicht machen müssen, aber ich wollte es machen, weil ich auch noch etwas lernen wollte. Und Unterricht bei einem hervorragenden Lehrer, der dort Chef war, nämlich Prof. Hans-Herbert Schulz, kann einem ja keinesfalls schaden. So war ich dann also an der Hochschule und in den 90er Jahren habe ich dann in Jena noch mal fünfeinhalb Semester Psychologie studiert. Das musste ich dann allerdings aufgeben, ansonsten hätte ich mit der Musik aufhören müssen. Das war einfach nicht mehr zu bewältigen, jeden Morgen dort hinzufahren und wir hatten in dieser Zeit auch das erste Studio gegründet und auch gute Aufträge. Der Tag hätte also 35 oder 40 Stunden haben müssen, um das alles bewältigen zu können. Deshalb musste ich nach dem fünften Semester leider die Segel streichen. Aber was soll's, man wird ja nicht dümmer davon. Und gerade an der Uni in Jena, das hat schon nicht geschadet.

Ja, dann kam es 1983 zu Deinem Durchbruch. Es heißt, Hartmut Schulze-Gerlach - allen als Muck bekannt - habe Dich entdeckt. Wie sah dieses "Entdecktwerden" denn aus?
Genau genommen bin ich schon mal von Heinz Quermann entdeckt worden. Das war in dieser berühmten "Junge Talente"-Geschichte, die zum Teil heute noch gemacht wird. Weil wir gerade darüber sprechen: Ich bin im September Stargast bei diesem Talente-Wettbewerb, bei dem auch Quermanns Tochter noch etabliert ist. Aber genau genommen hatte Heinz Quermann mit der Auswahl ja nichts zu tun gehabt. Er war auch im Hörfunk der Präsentator dieser Serie "Herzklopfen kostenlos". Das hatte damals aber keine Auswirkungen, es dauerte noch ein wenig und dann gab es das "Sprungbrett". Dorthin kam ich durch eine Autorin, nämlich Monika Jacobs, und dann ging alles ganz schnell. Ich war dort beim Vorsingen, die Knochen- und Ochsentour hatte ich durch, was man für eine schnelle Probe mit einer Profiband braucht. Und so stand ich dort in Adlershof im Fernsehstudio, sang zwei Shakin' Stevens-Nummern und dann dauerte es auch nur noch zehn Minuten und mein Leben hatte sich komplett geändert. Die damalige Regieassistentin kam zu mir und meinte, "Da drinnen ist die Hölle los, die reden schon über Dich." Und dann ging das eben ganz ganz schnell. Dann war ich auf einmal im "Sprungbrett", Muck hatte "Bitte, bitte, Hanni" geschrieben und Christian Pittius schrieb damals schon eine Comedy-Nummer für mich. Sie war logischerweise die Rückseite einer Vinyl-Single, sogar noch in Mono (lacht), die dann später in Stereo breitgezogen wurde. Und dann waren auf einmal alle Türen offen.

Ist diese Single, "Bitte, bitte, Hanni" war ja Dein erster Song und auch Dein erster Hit, eigentlich parallel zu dieser Sendung erschienen oder wurde sie erst nach dieser Sendung produziert?
Der Song wurde für diese Sendung produziert. Auch "Ich habe irgendwas Gewisses" von Christian Pittius, welcher viele Jahre die Top-Nummer in meinem Live-Programm war, war eine B-Seite, die schon Comedy war. Ich hatte dann ja auch eine eigene Fernsehshow und da konnte ich mich austoben. Aber zu diesem Zeitpunkt war es ja noch gar nicht zu vermuten, dass es mal so weit kommt. Gottseidank war ich erst in der zweiten "Sprungbrett"-Sendung dabei, die - glaube ich - im Dezember ausgestrahlt wurde. Die erste lief bereits im Hochsommer und die hatte natürlich keiner gesehen.d 20190523 2037367507 Ich hatte - wenn ich mich recht erinnere und wie sie mir sagten - alleine 60 Prozent aller Stimmen. Damals musstest du ja vom Publikum gewählt werden und das war später bei "bong" genauso. Bei "bong" musstest du drei Mal weiterkommen, das wurde dann später auf zwei Mal geändert. Aber von den "bongs" habe ich auch drei Stück ...

Du sagtest gerade, dass alles ziemlich hopplahopp bei Dir gegangen ist. Hast Du diesen Moment mit dem Auftritt im "Sprungbrett" und dem Sieg dort eigentlich bewusst wahrnehmen können?
Na ja, so hopplahopp war das dann gar nicht mehr. Nachdem diese "Sprungbrett"-Sendung gelaufen ist, war es nicht mehr aufzuhalten. Auf einmal war alles, was ich vorher gemacht hatte, plötzlich richtig. Ich habe dann später auch in meinen Stasi-Akten lesen können, wenn es um den "Zonen-Shaky" Jörg Hindemith ging. Ich war offensichtlich, wie man so schön sagt, zum richtigen Moment mit den richtigen Leuten am richtigen Ort mit der richtigen Sache. Ich war ja damals der einzige, der diese Shakin' Stevens-Geschichte gemacht hat. Von dem Moment an war die Entwicklung, wie ich vorhin schon sagte, nicht mehr aufzuhalten. Dann ging alles ganz schnell, es kamen die zweite und dritte Single, alles lief, dann kam der Interpretenwettbewerb, bei dem ich zum Beispiel neben SILLY eine Goldmedaille bekam. Kurz darauf kam das Album. Zu der Zeit gab es allerdings noch keine goldenen Schallplatten. Die erste bekam viel später erst Inka. Hätte es die ein paar Monate früher gegeben, hätte auch ich eine bekommen. Das betrifft auch Leute wie Gerd Christian, der ja nun weit über eine Million von seinem ersten Album verkauft hat. Also ich weiß es jetzt nicht genau, aber es waren auf jeden Fall sechs Nullen dran. Und bei mir waren es auch ein paar hunderttausend ...

Das ist zwar jetzt alles schon gut 36 Jahre her ...
Ja, überleg' mal ...

... aber bleibende Eindrücke wird dieser Auftritt in der Sendung doch hinterlassen haben. Kannst Du Dich noch an diesen Auftritt erinnern?
Im "Sprungbrett"? Natürlich! Ich musste damals ja auch schon mit den Mädels vom Ballett arbeiten. Die hatten ja schnell herausbekommen, dass ich - ich will es mal vorsichtig ausdrücken - ein tänzerisch begabter Typ bin. Das ging alles schnell und schwuppdiwupp stand ich im Ballettsaal und dort stand ich später dauernd. Wenn irgendwo "Ein Kessel Buntes" oder was auch immer war, musste ich natürlich immer mit dem Ballett tanzen. Man muss dazu wissen, dass das Ballett eine gewisse Umrahmung für die Sänger war, für die aber keine Choreographie gemacht wurden. Aber für mich machten sie richtige Choreographien und das ist in der Sendung auch schon so gewesen. Ich glaube, es waren damals die Tänzerinnen vom Friedrichstadtpalast. Ja, es waren die vom Friedrichstadtpalast und das witzige daran ist, dass die Mädels ja alle mindestens 1,80 groß waren (lacht). Und Jörg Hindemith ist ja nur 1,74. Das heißt, es war schon von der Optik her sehr lustig, wie wir Überschläge usw. machten. Die Überschläge machte aber nicht ich mit den Mädchen, sondern die Mädchen mit mir. Es war für das Publikum schon etwas Besonderes, dass da nun ein Typ stand, der eben auch mit den Tänzerinnen zurechtkam. Deswegen erinnere ich mich auch genau daran und ab und zu wird das auch mal gesendet.

e 20190523 1624423374Ich glaube, bei "Damals war's" habe ich das schon mal gesehen ...
Ja, als Muck die Sendung machte. Meistens zeigten sie ja Ausschnitte aus meiner Fernsehshow, entweder die Tanzeinlagen oder diesen berühmten Sketch mit Muck im Altersheim, solche Sachen werden ja immer mal gezeigt.

Du sprachst es schon zwei Mal an: Du hattest eine eigene TV-Sendung? Das wusste ich gar nicht. Was war das für eine Show?
Die hieß "Heute Abend Nr. 1". Ich weiß es nicht mehr genau, dort bekamen Hauff/Henkler, Schöbel, noch jemand und ich die Chance, eine Personality-Show zu machen. Das bedeutete, dass ich monatelang in Berlin war. Es war ein komplett geschriebenes Buch für eine eineinhalbstündige Fernsehshow, in der ich x Rollen gespielt habe. Vom Kellner angefangen, mit Muck im Altersheim, als Rocker, als Gesangslehrerin ... Das war richtig komplettes Entertainment, brachte mir sehr viele Freunde ein und hatte eine Riesenquote. Bestimmte Dinge gingen heute natürlich nicht mehr, das wäre dann einfach auch zu altmodisch. Aber auch der Regisseur ist heute noch der Meinung, wenn wir mal miteinander telefonieren, dass man es ohne jeden Zweifel senden könnte. Weil es einfach Spaß ist und fertig. So, wie man ja sonst auch solch alten Kram sendet ...

Kommen wir noch mal zurück zu dieser "Sprungbrett"-Sendung. Wie war denn der Tag direkt nach der Sendung? Kannst Du Dich noch daran erinnern? Haben Dich nicht Gott und die Welt und die, die Dich persönlich kannten, darauf angesprochen?
Na ja gut, im Winter ... Die Sendung ist gelaufen und dann - das kann man ruhig so sagen - waren schlagartig alle Türen, die vorher zu waren, plötzlich geöffnet. Das bekommst du genau genommen ja nicht mehr auf die Reihe. Man hat sich gekümmert, man wollte ins Fernsehen, man wollte ins Radio, man wollte produzieren, was auch immer. Das ist ja ein harter Weg und auf einmal geht alles von alleine. Und man muss dazu wissen, dass wir in der seligen DDR nicht alles hatten. Ich hatte sieben Jahr kein Telefon, bis ich dann endlich mal eins bekam. Das bedeutete, dass ich vorher stundenlang vorne bei mir auf der Post saß und versuchte, meine Geschäfte zu regeln. Ohne eigenes Telefon, das kannst du heute gar keinem mehr erklären, wo jeder drei Handys hat. Aber damals war es eben so und ich hatte Gottseidank einen guten Draht zu den Mädels und wenn dann jemand kam, der auch telefonieren wollte, musste ich eben mal kurz raus. Da änderte sich mein Leben schon grundlegend, aber an den Tag danach selbst kann ich mich nicht mehr erinnern.

Ohne Telefon war das ja auch schlecht, es konnte dich ja niemand anrufen um Dir zu Deinem Auftritt zu gratulieren ...
Ja, da bist du schon ein bisschen angeschissen ... (lacht) Aber wie gesagt, das versteht heute niemand mehr. Es hatte natürlich auch Konsequenzen in vielerlei anderer Richtungen, aber wir kamen irgendwie damit klar. In dem Moment, als ich dann bei der damaligen Konzert- und Gastspieldirektion unter Vertrag war, vereinfachte sich die Sache ungemein, aber du warst eben schlecht erreichbar, das war eben nun mal so.

Was ja auch sehr interessant ist: Neben der ersten Single kamen innerhalb kürzester Zeit zwei weitere raus. So etwas, wie ein Privileg, welches andere Künstler in der DDR eben nicht hatten und Du hast 1985 sogar ein komplettes Album machen können. Das ist ja auch etwas, was andere, die schon länger zugange waren, nicht machen konnten und Du konntest es machen ...
Na ja, es ist wie mit allen Dingen: Wenn etwas erfolgreich zu sein scheint und alle glauben, etwas davon haben zu können, geht es natürlich auch schnell. In diesem Zusammenhang darf man aber nicht vergessen, die Sache mit einer Fernsehsendung ging relativ schnell, aber zum damaligen Zeitpunkt gab es ja auch noch keine privaten Tonstudios. Das erste private Tonstudio, welches es überhaupt neben dem Hörfunk und AMIGA gab, war das von Klaus Schmidt, dem Tonmeister von STERN MEISSEN, das wissen viele ja gar nicht. Das muss man sich mal vor Augen halten. Das ging also gemütlich los und ich war in der Brunnenstraße, dort befand sich das AMIGA-Tonstudio. In dem gab es Bedingungen, die sich heute kaum noch jemand vorstellen kann, wie damals und mit welchen Möglichkeiten, die man hatte, alles eingespielt wurde. Und das war ja nun wirklich ein topmodernes Studio. Das wurde dann nur noch vom Hörfunkstudio absolut getoppt. Diese Bedingungen darf man dabei nicht vergessen. Auf alle Fälle hat damals Muck schon die meisten Sachen geschrieben und dann hatten wir ja sogar noch zwei internationale Songs drauf. Und ich war einer der wenigen, der "Diana" von Paul Anka tatsächlich englisch auf der Scheibe singen durfte. Das war für die damalige Zeit schon ein ziemliches Privileg, welches ich hatte. Aber was soll's, im Endeffekt ist das Album ja richtig gut verkauft worden und das war schon eine verrückte Zeit, als auf einmal alles von alleine ging.

Ein paar der Titel waren der Öffentlichkeit ja vor der Platte schon bekannt, zum Beispiel die ganzen Singles ...
Na ja klar. Man muss heute dazu wissen, dass "Heut' kommt Marie zurück" genau genommen erfolgreicher war, als "Bitte, bitte, Hanni", denn mit "Heut' kommt Marie zurück" war ich überall Platz 1. Auf allen Hörfunksendern und mit ihm gewann ich den Grand Prix 1984 und auch die Goldmedaille beim Interpretenwettbewerb.

Entstanden die anderen Titel auf dem Album damals eigentlich eigens für diese LP oder waren die vorher schon fertig?
Nein, die wurden alle extra gemacht, auch im AMIGA-Studio in der Brunnenstraße.

Ein interessantes Detail ist, in der Besetzungsliste Deiner Studioband sind einige Musiker von Gisela May's Begleitband zu finden ...
Nicht nur, Du wirst sogar Maschine von den PUHDYS finden ...

Ja, aber besonders interessant sind eben diese beiden Gisela May-Jungs Achim Türpe und Manfred Pohl. Hattest Du selbst Kontakt zu Giselas Band?
Ob ich bei allen Aufnahmen dabei war, weiß ich gar nicht mehr. Ich bin auf jeden Fall bei ein paar Studioaufnahmen dabei gewesen. Bei denen vom Schlagzeuger war ich zum Beispiel meistens dabei, weil der natürlich wissen wollte, wie er das spielen sollte. Da hörte er auch auf mich, weil ich ja nun auch selbst Schlagzeug spielte, aber eben natürlich kein Studioschlagzeuger bin, dafür reichte es nicht. Auch bei den Choraufnahmen war ich meistens dabei, weil ich die Chöre größtenteils auch mitsingen musste.

Hattest Du denn damals ein Mitspracherecht, wie diese Band auszusehen hat oder wurde sie Dir einfach ins Studio gestellt?
Nein nein, da hattest du als Interpret kein Mitspracherecht, das macht ja auch keinen Sinn. Du musst dazu wissen, dass der Tonmeister mit Spitznamen "Engel" ein hervorragender Tonmeister war. Ich sage das jetzt mal so: um 10:00 Uhr hat er Olaf Berger aufgenommen, um 12:00 Uhr weiß ich wen und um 14:00 Uhr Jörg Hindemith. Also um zehn Schlager, um zwölf Volksmusik und um zwei Rock'n'Roll ... Das heißt, es wurde von den Studioproduzenten bestimmt. Volkmar Andrä war mein damaliger Produzent und er legte fest, wer dort im Studio spielt. Und da ich ja nun mit keiner eigenen Band dort gespielt habe, spielte das für die Aufnahmen selbst auch keine Rolle. Sieh mal, wieviele Diskussionen es mittlerweile gegeben hat, wenn bei bekannten Bands auf einmal publik wurde, dass im Studio andere Leute gespielt haben. Das ist überhaupt nichts Besonders, das ist völlig normal. Was glaubst du, wie viele hervorragende Studiomusiker es gibt, die du aber live nicht verwenden kannst, weil sie dafür nicht geeignet sind. Und umgedreht ist es genau so, es gibt sehr sehr gute Live-Musiker, die aber für eine Studioarbeit nicht geeignet sind. Das heißt, solche Dinge, wie bei den KASTELRUTHER SPATZEN damals, sind völlig normal. Später kam ja dann auch mal heraus, dass zum Beispiel auch Paul McCartney nachts heimlich ins Studio ging und die Parts von Ringo Starr neu einspielte ... (lacht)

Bei den PUHDYS hat sogar Maschine den Bass gespielt und nicht Jeske ...
Ja, na klar, das ist nichts Besonderes. Der junge Tommy Feiler, mit dem ich im Studio arbeite, der spielt nicht nur die Gitarren, sondern wenn kein Bassist da ist, spielt er ihn. Percussion oder die Hammondorgel spiele ich. Fürs Piano reicht es allerdings nicht, das muss ein richtiger Pianist spielen.

Das Album ging insgesamt über 200.000 Mal über die Ladentheken. Verkaufszahlen, die ja mehr als nur bemerkenswert sind. Wusstest Du damals, dass sich Dein Album quasi wie geschnitten Brot verkauft oder hast Du davon erst später erfahren?
Nein, das war zu diesem Zeitpunkt nicht zu ahnen. Es war zu vermuten, aber dass es tatsächlich so toll wird, das konnte keiner wissen.

Eigentlich wären das alles gute Gründe, das Album jetzt endlich auch mal auf CD erscheinen zu lassen. Weißt Du, warum das bis heute noch nicht passiert ist, hast Du Dich da eventuell selbst mal mit AMIGA in Verbindung gesetzt?
Meines Erachtens stimmt das nicht. Nachdem die Archive in den Wendezeiten aufgelöst wurden, haben die - ob das jetzt bei allen passiert ist, kann ich nicht sagen - alles, was ich produziert habe, digitalisiert. Und das waren nicht nur die AMIGA-Produktionen. "Bitte, bitte, Hanni" zum Beispiel war eine Fernsehproduktion, also nicht von einer Schallplattenfirma. Andere Sachen wurden beim Hörfunk produziert, das war damals übrigens üblich. Die meisten Songs, die im Hörfunk liefen, wurden im Hörfunk und nicht bei AMIGA produziert.

Aber sie sind nicht auf CD erschienen ...
Vielleicht nicht komplett erschienen, aber immer mal irgendwo auf einem Sampler. Ich habe so gut wie alle meine Aufnahmen irgendwann digitalisiert bekommen. Das ist aber - frage mich bitte nicht - schon zig Jahre her ... Aber wenn eine Firma wie SONY keinen Grund sieht, die Verwertung einer AMIGA-Veröffentlichung vorzunehmen, dann machen die das auch nicht. Man darf dabei ja einfach nicht vergessen, was wird heute tatsächlich gekauft? Und ich rede nicht von gestreamt oder von irgendwo her, sondern tatsächlich in den Laden zu gehen und eine CD zu kaufen. Das muss man sich schon mal kommen lassen, was da tatsächlich passiert. Leute, die heute glauben, dass sie über Streamen irgendwas erreichen, denen ist nicht zu helfen ...

Mit Deiner Musik und Deiner Art aufzutreten bekamst Du den Namen "Zonen-Shaky" in Anlehnung an Shakin' Stevens. Diese Bezeichnung fiel ja gerade schon einmal. Etwas charmanter klang dann schon "Der Shakin' Stevens aus dem Osten". Wer hat Dir den Namen eigentlich verpasst und wann kam er auf?
Wer das war, kann ich nicht sagen. Ich glaube aber, das wird jemand aus der Branche, also zum Beispiel ein Redakteur, gewesen sein. So, wie zum Beispiel jemand zu mir meinte, ich könnte doch das berühmte Lied "New York, New York" als "New Jörg, New Jörg" singen. Das sind solche kleinen Gags ... Viel lustiger war, dass ich zu tiefsten Ostzeiten mal zu einem Interview im Thüringer Hörfunk in Weimar eingeladen wurde. Da hat noch kein Mensch an Wende oder ähnliches geglaubt. Ich saß also dort und sagte in diesem Live-Interview tatsächlich "Zonen-Shaky". Die Sendung war noch nicht ganz zu Ende, da wurde ich ins Büro vom Chef zitiert und sie fragten mich, was ich mir einbilden würde, in der DDR so etwas zu sagen. Und später habe ich dann diese ganze Aktion inklusive der Konsequenzen in meiner Stasi-Akte wiedergefunden. Genau das ist das jetzt eigentlich schon wieder lustige an dieser Geschichte, dass die sich darüber so aufgeregt haben. Aber genau genommen ist diese Geschichte mit dem "Zonen-Shaky" genau so lustig wie "Bitte, bitte, Honni". Es war so, dass die Leute bei Auftritten immer "Honni" statt "Honey" gesungen haben ... Dazu noch eine kleine Nebengeschichte: Als der Song entstand, hat die Textautorin Monika Jacobs ursprünglich tatsächlich "Honey" englisch geschrieben, das war ihre eigentliche Idee.i 20190523 1789997845 Aber sie hat, um dem Stress mit dem Lektorat aus dem Weg zu gehen, dass die sich wieder aufregen, dass das englisch ist, einfach "Hanni" geschrieben. Insofern ist das dann viel witziger gewesen, als wäre es ein englisches "Honey" geworden ... Letztlich mit dem Ergebnis, dass das Publikum grundsätzlich "Honni" für Honecker gesungen hat ...

Aber es ist auch interessant, dass Dir jemand quasi diesen Namen überstülpt, Du wiederholst es nur und bekommst den Ärger ...
Na ja, den Ärger habe ich mir ja selbst eingebrockt, als ich das in einer Livesendung im staatlichen Hörfunk der DDR sagte, obwohl ich in diesem Moment ja auch nur jemanden zitierte. Aber "Zonen-Shaky" war mein Spitzname und gut war's ... Ganz ehrlich: Etwas Besseres konnte mir nicht passieren.

Bist Du als Künstler auch auf Tournee gegangen, hast Konzerte gespielt oder bist Du ausschließlich im TV und zu besonderen Anlässen aufgetreten?
Ich hatte das große Glück, nachdem das alles anfing, bei Ina-Maria Federowski, einer sehr bekannten Sängerin in der DDR, die leider im vergangenen Jahr verstarb, in ihr bestehendes Tourneeprogramm als Gast eingeladen zu werden. Ich wurde also als Gastsänger in dieses Programm integriert. Der Chef der Konzert- und Gastspieldirektion Dresden - ein ganz cooler Typ - hatte dann nach einem Jahr die Idee, dass ich dieses Programm von Ina-Maria übernehmen müsste, weil sie dauernd irgendetwas anderes machen musste, sie war in Fernsehsendungen, dann war sie in Schweden usw. Mein Part umfasste dann auch die komplette Moderation und nachdem die das ganze ein Jahr lang beobachtet hatten, bekam ich bei der KGD Dresden meine eigene Show "Jörg Hindemith live". Ein Sänger, der eine eigene Entertainment-Show bekam, mehr konnte man in der DDR nicht erreichen, weil der Verkauf der Show unabhängig davon, ob du jetzt viel im Hörfunk oder Fernsehen warst - was ich ja trotzdem war - passierte. Meine Show gehörte neben den Shows von zwei drei anderen, unter anderem Uwe Jensen oder Thomas Lück & Andreas Holm, zu den bestverkauftesten Shows in der DDR.

Hattest Du da eine eigene Live-Band mit allem Pipapo?
Na klar, es gab nichts anderes in der DDR. Damals gab es kein Playback. Der erste, der überhaupt mit Playback arbeitete, war Wolfgang Lippert und ich bekam einen riesigen Ärger, weil ich bei irgendeiner Veranstaltung ein Playback dabeihatte, was nicht geduldet wurde. Aus gutem Grund: Die staatlichen Konzert- und Gastspieldirektionen wollten ja ihre Musiker beschäftigen.j 20190523 1481424439 Sie sollten bei Tagesveranstaltungen, Tourneeprogrammen usw. live spielen und es sollte nicht irgendein DJ im Hintergrund stehen, der nur die Musik abspielt. Es hatte also Gründe. Das heißt, ich habe bei jedem Live- und Tournee-Programm immer mit einer Live-Band gespielt. Damals war das die Manfred Nitsch Band aus Berlin, mit der wir Musiker heute noch Kontakt haben. Aber das ist natürlich schon viele viele Jahre her. Dennoch haben wir bis ins Jahr 1990 hinein noch Auftritte gemacht.

Gab es bis zur Wende 1989 eigentlich Pläne für ein weiteres Album?
Die Pläne gab es - glaube ich - schon, aber dann überschlugen sich die Ereignisse. Es war mittlerweile ja so, dass viele andere Sachen auch schon nicht mehr auf LPs veröffentlicht wurden. Das hatte auch wirtschaftliche Gründe und es war ja so, dass nur noch entscheidend war, ob die Sachen im Hörfunk oder im Fernsehen gespielt wurden. Dabei war es für die damaligen Verhältnisse völlig egal, ob das auf einer LP erschienen war oder nicht. Wie ich vorhin schon sagte, es gab so viele Dinge, die beim Hörfunk produziert, aber niemals auf einer Single oder einer LP veröffentlicht wurden. Es sei denn, als Sampler, okay. Ich bekam 1989 für "Belinda" sogar noch den dritten "bong" ...

Wie und wo hast Du denn damals vor 30 Jahren die Wende erlebt?
Die habe ich zwar hier erlebt, aber dann ging alles ganz ganz schnell. Viel interessanter ist, wo ich die Grenzöffnung erlebt habe: Ich saß bei meiner verehrten Mama in Hamburg auf der Couch vorm Fernseher, gucke dort rein und da geht die Schranke hoch in Berlin. So habe ich das erlebt. Dann kamst du in keinen Zug und nichts mehr rein, ich musste ja auch irgendwie mal wieder zurück und bin dann also wieder ganz schnell nach Hause gefahren. Die ganzen Nachwendegeschichten, die kennen wir ja alle, was da so lief. Aber für mich der eigentliche Knaller war, dass ich in Hamburg-Harburg auf der Couch saß und im Fernseher auf einmal sah, dass die Grenze offen war.

Du sprichst es gerade schon an, Du hast bis Anfang der 90er noch Musik gemacht und bist erst Mitte der 90er Jahre wieder in Erscheinung getreten. Für die Künstler aus der ehemaligen DDR gab es nach der Wende jedenfalls keine blühenden Landschaften ...
Nein, so ganz stimmt das nicht. Du hast eine eigentlich sehr schöne Formulierung gebraucht, "In Erscheinung getreten". Das bedeutet ja nur, dass du öffentlich wahrnehmbar bist. Ich hatte überhaupt kein Problem, ich machte meine Auftritte. Der eigentlich spürbare Einschnitt - und das geben auch viele Kollegen heute zu - ist erst 1998 gewesen. Ich will es mal locker formulieren: Ich hatte im Jahr drei Fernsehsendungen, aber ich habe kein Geld verdient. Das stimmt natürlich so nicht, ich will damit nur folgendes ausdrücken: Da hat sich die Wende für uns, für mich spürbar bemerkbar gemacht. Es änderten sich viele Dinge, die Auftritte wurden weniger, aber die eigentliche Wendezeit ist für mich kein Loch gewesen, das stimmt so nicht und es ging auch ohne Loch weiter, denn 1998/99 habe ich dann ja schon mit meinem Kollegen Tommy Feiler mit der Studioarbeit begonnen.

Man muss natürlich auch unterscheiden zwischen den alteingesessenen Rockbands und eben Künstlern wie Dir, die ja auch ein bisschen mehr auf Show gesetzt haben. Diesen Unterschied gab es ja und deshalb auch die Formulierungen "in ein Loch gefallen" oder "keine Aufträge und keine Konzerte mehr". Du hast in diesem Sinne ja mehr TV gemacht ...
Ich habe im März 1989 - das musst Du Dir mal überlegen - das Steintor Varieté in Halle (eine 1.000 Mann-Halle), die dann renoviert wurde, 23 Mal hintereinander gefüllt. Mehr hatte außer mir - wie man mir damals sagte - nur Schöbel geschafft. Ich hatte eine Auslastung von 94 Prozent, er hatte 97 Prozent. Ich habe das gemacht, was ich mein Leben lang als Profi gemacht habe, also Entertainment-Shows. Ich habe ja nicht nur gesungen, ich habe moderiert usw. Als es diese Zirkus-Show "Nacht der Prominenten" gab, habe ich Feuerschlucken und in Scherben springen gelernt, das habe ich ja alles live auf der Bühne gemacht. Wir haben Mary & Gordy - die berühmte Transvestiten-Nummer - parodiert. Da war ich der einzige im Osten, der das gemacht hat. Und das in einer derartigen Umgebung, wie im Steintor-Varieté, welches ja aus gutem Grund "Varieté" heißt, wo also nicht nur Typen auf der Bühne stehen, die fünf Lieder singen und wieder gehen, so wie das ja eigentlich Standard war. Dadurch hatten wir eine gewisse Ausnahmeposition inne. Uwe Jensen hat ja auch etwas anderes gemacht, er arbeitete mit Tänzerinnen usw. Wir waren ja nicht nur die, die sich auf die Bühne stellten und Lieder gesungen haben, sondern eben auch wirklich als Entertainer gearbeitet haben. Das hat uns - und vor allem auch mir - über viele Jahre auch den Arsch gerettet.

Du sagtest gerade, bis 1998/99 ... Ich entdeckte noch eine Single, die 1999 erschien, nämlich "Lassen Sie die Finger vom Rock'n'Roll" ... War das etwa schon eine Art Resignation?
Ganz im Gegenteil: Du musst wissen, dass diese Single-Produktion meine erste eigene Produktion war. Musik, Text: Jörg Hindemith, Arrangement zum Teil, denn es war natürlich auch ein Produzent beteiligt. Zu dieser Single bzw. zu diesem Deal bin ich mit einem früheren Produzenten von Roland Kaiser gekommen. Der hatte irgendwo etwas von mir in die Hände bekommen, dieses Demo landete bei ihm und vier Wochen später hatte ich auf einmal einen Deal mit einer Plattenfirma. Das war natürlich für meine neue Tätigkeit, die ich im Studio und später auch als Produzent begonnen hatte, der Start. Das war also keine Resignation, sondern ein absoluter Neubeginn. Ich hatte schon begonnen, mich mit Studiotechnik zu beschäftigen und das war ja damals alles noch ganz neu. Es gab noch kein Harddisk-Recording, die MACs, die es damals gab, die hatten noch keine Audiokarten - das war doch alles nagelneu damals. Die richtigen Studiosachen, außer dem, was es an Pro Tools früher gab und hunderttausende kostete, wurde ja auf einmal bezahlbar. Und das war jetzt erst Mitte der neunziger Jahre, das heißt, wir waren in diesem Zusammenhang schon ziemlich schnell ...

l 20190523 1047958410Trotzdem gab es Ende der 90er eine Pause bei Dir ...
Ja, in den Medien. Das heißt jedoch nicht, dass ich in dieser Zeit nichts gemacht habe.

Für mich bist Du mit dem zweiten Album "The Voice Is Back" wieder in Erscheinung getreten. Darauf ein Song mit dem Namen "Ich bin ein Ex-DDR-Schlagersänger". Als ich dies zum ersten Mal las, dachte ich so für mich: Für die Medien ist das ja keine gute Bewerbung, denn die verschweigen ja gerne, dass es in der DDR eine Kulturszene gegeben hat. Gab es dazu irgendwelche Reaktionen?
Ich habe ja nicht nur dieses Album zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht, übrigens bei einer österreichischen Firma. Das ist übrigens die Firma, bei der die AMIGOS unter Vertrag sind und die hatten immer die Erkenntnis, dass die AMIGOS 500.000 CDs verkauft haben und wir nicht annähernd so viel ... (lacht) Das aber nur mal nebenbei. Zum gleichen Zeitpunkt veröffentlichte ich noch ein zweites Album. Das war diese Kindertanzrevue unter dem Namen "Dance Groove Company". Das war natürlich eine Zeit, die uns sehr viel Mut gemacht hat, weil die Arbeit mit den Kindern und Talenten, mit denen ich gearbeitet habe und die später teilweise auch von mir produziert wurden, von Erfolg gekrönt war. Die große Frage ist natürlich, was das insgesamt alles bringt. Ob es das Fernsehen interessiert, ob es den Rundfunk interessiert. Aber ich konnte mir dann eben schon leisten, solche Sachen wie "Ich bin ein Ex-DDR-Schlagersänger" mit einem riesigen Spaß der damaligen Produzenten in Österreich zu machen. Die haben Tränen gelacht und meinten "Genau so einen Scheiß wollen wir hören ..." Das hat uns natürlich Mut gemacht.

Die "Dance Groove Company" - was war das für ein Projekt und was habt Ihr damals gemacht? Gab es das nur im Fernsehen oder auch live auf Bühnen?
Das war live. Wenn Du mal auf meine Internetseite unter Videos nachsiehst, findest Du sogar einen kleinen sieben- oder achtminütigen Film. Dieser Film entstand bei einem Live-Auftritt in Bad Schlema. Dort gibt es eine große Tanzschule, die hatten die Idee, eine Tanzshow zu kreieren und fragten mich, ob ich dazu die Musik schreiben könne. Es gab natürlich schon bestehende Titel, das ist logisch. Ansonsten wäre das gar nicht zu schaffen gewesen. Ich machte ein paar spezielle Dinge, wie zum Beispiel das gesamte Entrée. Das wurde übrigens sogar in einer Sendung des MDR aus Erfurt gesendet und ist ebenfalls im Videobereich auf der Internetseite zu sehen. Dort machten wir "Bitte, bitte, Hanni" und die Kids spielten "Dance 'n Grooves". Da sind natürlich eine Reihe sehr sehr schöner Sachen entstanden, allerdings muss man bei all dem eben auch sagen: Um ein derartiges Projekt in eine Tourneeschiene zu bringen, dazu gehört viel Geld. Irgendwo eine Halle mieten, das kann ich jede Woche drei Mal. Ob die Leute auch kommen, das ist die große Frage! Und so musste man zum damaligen Zeitpunkt auch schon zu der Erkenntnis gelangen, dass das alles sehr schwer werden wird. Zu dem Zeitpunkt haben ganz andere Leute keine Hallen gefüllt und die waren weitaus bekannter. Das ist nun mal die Realität. Für uns als Produzenten war es aber erst mal wichtig, dass wir es tatsächlich hinbekamen, Musiksachen zu veröffentlichen und große Plattenfirmen dafür zu interessieren, sich nicht nur mit normalem Mainstream zu beschäftigen, sondern eben auch Dinge zu veröffentlichen, die doch mal ein bisschen etwas anderes waren. Das war für mich als Autor und Produzent ganz ganz wichtig und das machte ich später dann ja auch weiter. Die Sachen, die wir veröffentlichten, auch mit den Mädels, die ich produzierte, das hat - und das ist jetzt keine Wertung - mit normalem deutschen Schlager nichts zu tun gehabt.

Bei Perl Records erschienen zwischen 2011 und 2012 drei Singles von Dir. Also wieder ein Plattenfirmenwechsel. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Jürgen Kerber, dem das Label ja gehört?
Wir hatten früher schon mal miteinander zu tun. Das war in der Zeit, als ich beim SWF in der Sendung "Ich trage einen großen Namen" war, daher kannten wir uns. Wie das meistens so ist, verloren wir uns wieder aus den Augen, aber im Zusammenhang mit den Produktionen mit meinen jungen Mädels veröffentlichten wir gemeinsam ein paar Sachen.

Es ist eigentlich ein harter Kampf im Musikgeschäft. Du bist jetzt nicht derjenige, der einem täglich im Fernsehen über den Weg läuft, aber Du bist immer noch aktiv. Du machst weiter, sicher auch vor und hinter den Reglern ...
Wir haben ja schon vor etlichen Jahren damit begonnen, für Industriefirmen zu produzieren und das ist natürlich etwas, was ganz ganz wichtig ist. Weil du damit von der Meinung eines Musikredakteurs unabhängig bist. Was der meint, was läuft oder nicht läuft oder ob er meint, dass das Schlagzeug zu laut oder zu leise ist und all diesen Kram, der sich da abspielt. Ich produzierte für deutsche Firmen, zum Beispiel für Vorwerk, für verschiedene Bahnfirmen, große Reiseunternehmen, gerade eben erst für Weltenbummler. Auf Facebook und YouTube sind die Aufnahmen auch zu hören. Das sind richtig eigenständige Songs. Aber hier hast du eben einen Firmenchef oder einen PR-Boss, der dir genau sagt, was er haben will. Da weißt du natürlich genau, was auf dich zukommt und hast am Schluss auch tatsächlich den sofortigen Erfolg oder Nichterfolg, wenn der sagt "Nein, das gefällt mir nicht." Gut, das weißt du ja schon vorher, wenn die Demos abgegeben werden ... Aber wir haben eben schon sehr frühzeitig damit begonnen und das ist natürlich viel wichtiger. Ich habe ja damals 2004 in diesem Zusammenhang die Hymne für die Biathlon-Weltmeisterschaften gemacht und das sind natürlich Dinge, die für Autoren, die Produzenten und für mich viel wichtiger sind. Und wenn du genau weißt, dass du heutzutage in verschiedenen Hörfunksendern nicht stattfindest - und das bin nicht nur ich, hier in Thüringen finden ja Helene Fischer und Andrea Berg auch nicht statt, die werden ja nicht gespielt, das hat also mit mir nichts zu tun - muss man sich darüber einfach mal im Klaren sein, wie die aktuellen Verhältnisse sind. Und wenn du dann Sachen produzieren kannst für große internationale Firmen, wo du genau weißt, dass acht Wochen später wieder das Telefon von einer anderen Firma klingelt, weil die das gehört haben, ist das natürlich viel wichtiger.

Du sagst gerade, ein neues Album ist in der Mache und schon fertig ...
Es ist fertig produziert.

Wann wird es erscheinen?
(lacht) Ja, da sind wir genau am entscheidenden Punkt. Es ist fertig produziert, aber noch nicht endgültig gemastert, das ist aber egal. Es werden 15 Songs drauf sein und da bin ich nun gerade am Machen, einen einigermaßen vernünftigen Plattendeal - wie man das heute noch immer sagt - zu bekommen. Das ganze irgendwie zu streamen, wäre völliger Quatsch. Das interessiert keinen Menschen mehr und wäre vergebene Liebesmühe. Und es irgendeiner kleinen Plattenfirma zu geben, bei der das dort im Verlag verschwindet, weil sie nichts bewirken können, ebenso. Da muss man sich einfach Zeit lassen. Ich kann es mir leisten, mir diese Zeit zu nehmen, um mich in Ruhe darum zu kümmern, weil ich ja auch noch genügend andere Nebenbeschäftigungen habe ...

Dann freuen wir uns auf Dein Album und sind auch schon am Ende angekommen. Eine sehr interessante und farbenfrohe Karriere, die Du hast ...
Ja, das ist sie wirklich. Wir haben Gottseidank zu tun, ich spiele ja auch mit meinem Salopp-Orchester und die Jungs spielten übrigens auch größtenteils das Album ein. Wie Du weißt, ist dies ja so ein bisschen die Max Raabe-Schiene, die wir da fahren, obwohl wir von ihm lediglich "Kein Schwein ruft mich an" spielen. Aber das ist für uns als Musiker und für mich als Sänger eine große Herausforderung, weil das Musik ist, die du nicht auf einer Arschbacke abspielst. Und wir haben dafür auch ein sehr sehr dankbares Publikum. Und dann gibt es übrigens noch eine weitere neue Show. Mit ihr begann ich vor zwei, drei Jahren auf Empfehlung eines Kollegen, der zu mir meinte: "Mensch Jörg, Du schreibst so schöne Lieder, die haben nur einen Nachteil. Die kennt keiner." (lacht) Und damit hatte er recht. Ich begann also, mit einem Freund, der auch DJ hier beim Hörfunk ist, Playbacks zu produzieren. Die Show heißt "Whatever You Want", also benannt nach dieser alten STATUS QUO-Nummer. Das sind bekannte Rocksongs aus den vergangenen fünf Jahrzehnten. Also ich sage mal STATUS QUO, Sting, A-ha, Robbie Williams, Bill Withers, Eric Clapton ... Also alles Sachen, die die Leute wirklich kennen und die ich mit meiner hell klingenden Stimme auch transportieren kann. Dabei stellte sich heraus, dass es dafür eine große Nachfrage gibt. Das sind vor allem auch Sachen, die eine normale Live-Band gar nicht spielen kann, zumal in ihnen streckenweise auch vierstimmige Chorsätze enthalten sind, die eine Band nicht live rekapitulieren kann. Das erwies sich als schlauer Plan, wir sind gut zugange und das macht natürlich einen riesigen Spaß, das kannst Du Dir sicher lebhaft vorstellen. Und wenn dann am Schluss "Rockin' All Over The World" kommt (lacht ...) und man T. REX und "Mr. Tambourine Man" noch dranhängt, dann weißt Du, was da passiert ...

Man hört Dir beim Erzählen schon an, dass Du einen Riesenspaß daran hast ...
Ja, na klar. Wenn du keinen Spaß bei der Geschichte hast, dann kannst du den Job auch nicht machen. Du kennst ja sicher genügend Leute, die Dir wahrscheinlich auch erzählen, wie schlimm alles ist. Das ist bei mir nicht so, ganz im Gegenteil ... Allerdings ist es auch eine Frage der Herangehensweise. Wenn man - so wie ich - ein grenzenloser Optimist ist, dann ist das alles auch nicht so schlimm ...

Deshalb auch meine letzte Frage: Würdest Du heute alles noch mal genau so machen, wie Du es in Deiner Karriere gemacht hast?
Es gibt natürlich ein paar Dinge, die ich sicherlich anders machen würde, aber es stellt sich dann ja auch die Frage: "Was hätte das denn für Konsequenzen?" Aber das ist ja fast wie "Big Bang Theory". Das sollte man auch lassen. Es gibt vielleicht zwei, drei Sachen, bei denen man sich sagt: "Ja, das hätte ich mir sparen können", aber es gibt natürlich auch Dinge, von denen man sagt: "Das hast du genau richtig gemacht." Ich überlege mir heute sehr genau, in welche Fernsehsendung ich gehe oder auch nicht. Und wenn ich als aktueller Produzent und Sänger nicht stattfinde und permanent nur darüber schwafeln soll, was ich vor 35 Jahren gemacht habe, dann muss man auch Konsequenzen ziehen. Und das hab' ich auch schon getan ... (lacht) Aber man muss sich das natürlich auch leisten können. Wir haben hier ein tolles Netzwerk von Leuten, ich habe meine Freunde, Beschallungsfirmen, Licht, Ton, Technik und alles, was man braucht. Wir arbeiten gut zusammen, können uns aufeinander verlassen und dann funktioniert das auch alles ...



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: MB
Fotos: Jörg Hindemith privat, Herbert Schulze, Redaktion




   
   
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