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Interview vom 12. April 2019



Es gibt Musiker, die könnten, nein, die müssten eigentlich jedes Jahr aufs Neue in unserer Interview-Rubrik auftauchen, weil sie einfach rastlos sind, ständig neue Projekte, Alben, Veranstaltungen oder sonstiges am Start haben. In diese Kategorie gehört zweifelsohne der im Ruhrpott ansässige und dort überaus populäre Chris Kramer. Schon mehrfach haben wir über seine verschiedensten Auftritte und Schaffensperioden berichtet. Erinnert sei an sein Kindermusical "Die kleine Mundharmonika", an die Teilnahme an der International Blues Challenge in Memphis im Jahr 2017, wo er mit seiner Band Beatbox'n'Blues immerhin bis ins Halbfinale vorstieß, an diverse Konzerte, die wir von Deutsche Mugge besucht und mit einem Bericht bedacht haben oder einige CD-Rezensionen. Was kaum bekannt ist: Chris Kramer ist nicht nur ein Meister auf der Bluesharp sowie ein begnadeter Gitarrist und Sänger, sondern unter anderem gehört ihm auch ein Musikverlag. In diesem Verlag mit Namen Blow Till Midnight Musikverlag GmbH, kurz BTM, erschien nun dieser Tage ein Album, auf welchem sich fünfzehn der dort ansässigen Musiker mit jeweils einem ihrer Songs vorstellen (Rezension siehe HIER).001 20190501 1468261730 Für Deutsche Mugge ein Grund, sich mal wieder mit Chris Kramer zu verabreden und über dieses Album, den Musikverlag sowie die allgegenwärtigen Themen GEMA und Uploadfilter zu plaudern. Außerdem lassen wir neben einem Blick in die musikalische Zukunft des bald 50-jährigen Chris Kramer auch noch einmal seine Auftritte bei der International Blues Challenge Revue passieren.




Wer Dich kennt, der weiß, Stillstand ist nichts für Dich, Du brauchst immer mal wieder neue Herausforderungen. Und so erschien am 5. April unter dem Titel "Singer & Songwriter - A Collection" mal wieder ein neues Album aus dem Hause Chris Kramer, allerdings in etwas anderer Form, denn man sucht auf dem Cover vergeblich nach Deinen Namen und Du bist auch nirgendwo auf der Scheibe zu hören. Was ist also das Besondere an dieser CD?
Das Besondere ist, dass ich diesmal der Verleger bin. Ähnlich wie die Jungfrau zum Kind kam, wurde ich vor mehr als zwanzig Jahren Verleger und bemühte mich, dass die Kollegen die Tantiemen bekommen, die ihnen zustehen. Wenn die damit zufrieden waren, gaben sie das in Form von Mund-zu-Mund-Propaganda an ihre Freunde weiter. Das Ganze ist dann nach und nach so weit gewachsen, dass ich mittlerweile drei Angestellte und in der Innenstadt ein Büro gemietet habe. Jetzt dachte ich mir, es wäre mal an der Zeit, einen Teil der Musiker, die bei uns unter Vertrag stehen, auf einer CD zu veröffentlichen.

Auf einen Satz von eben, den Du auch im Covertext der CD erwähnst, möchte ich kurz eingehen. Du sagst, Ihr wollt den Künstlern dabei helfen, die ihnen zustehenden Tantiemen zu bekommen, damit sie ihren Traum von der eigenen Musik verwirklichen können. Das musst Du unseren Lesern bitte mal etwas genauer erläutern.
Es ist so: wenn Eigenkompositionen von Musikern aufgeführt oder gesendet werden, entsteht ein Anspruch, dass diese Werke auch vergütet werden. Da gibt es dann die GEMA, die quasi ein Inkasso-Unternehmen sind und das Geld eintreiben, um es dann wiederum an die Urheber zu verteilen. Ein guter Vergleich dazu ist immer die deutsche Steuergesetzgebung. Die ist ebenfalls total kompliziert, deshalb mache ich da auch nichts ohne einen Steuerberater. Und wir sind halt so eine Art Steuerberater für die Musiker und helfen ihnen, sich in diesem Dschungel zurechtzufinden. An dieser Stelle möchte ich aber unbedingt eine Lanze für die GEMA brechen. Viele denken ja, die GEMA sei böse. Dabei versuchen die wirklich nur, jedem Einzelnen gerecht zu werden. Aus diesem Grund gibt es auch so unglaublich viele Sonderregelungen, dass am Ende keiner mehr durchblickt - es sei denn, jemand kennt sich da wirklich aus.

Zu Beginn Deiner Ausführungen hatte ich befürchtet, man müsse sich seine Tantiemen wirklich mit dem Schwert in der Hand erkämpfen, aber da habe ich Dich wohl missverstanden, so schlimm ist es nicht.
Nein, absolut nicht. Die GEMA ist immer unheimlich in Bewegung und setzt sich gerade im digitalen Bereich für die Künstler wie eine Löwenmutter für ihr Kind ein. Das ist ja seit geraumer Zeit auch ein Thema in den Medien, an dem man gar nicht vorbei kommt. Seit zwanzig Jahren verdient Youtube Milliarden an der Musik, aber an die eigentlichen Urheber dieser Musik geht nur ganz wenig zurück. Die GEMA setzt sich unter anderem auch dafür ein, dass sich diese Verhältnisse ändern. Das ist ein großer Kampf auf politischer Ebene. Den kann ein einzelner Musiker gar nicht führen. Und selbst die GEMA muss sich mit den anderen Verwertungsgesellschaften verbünden und in Brüssel und Berlin den Politikern, die mit dem Thema nicht so vertraut sind, die Augen öffnen. Dafür kann und muss man einfach dankbar sein. Klar, bei der GEMA ist auch nicht alles gut. Weil an der ganzen Sache eben so viel dran hängt und alles so kompliziert und vielfältig ist, stimmen eben auch manchmal die Abrechnungen nicht. Da muss man dann reklamieren, was natürlich auch wieder ein schwieriger Vorgang ist.002 20190501 1017297272 Aber gerade in diesem Punkt sind wir stark und hartnäckig. Wir gucken uns tatsächlich bei jedem Konzert jeden Song an, ob der auch wirklich abgerechnet wurde oder nicht. Das ist sehr unsexy und überhaupt nicht Rock'n'Roll, sondern ganz stupide Büroarbeit. Darauf haben die Künstler in der Regel überhaupt keinen Bock und sind froh, wenn wir diese Arbeit für sie erledigen.

Es war eben schon ein wenig herauszuhören: Die GEMA ist eine Medaille mit zwei Seiten. Eigentlich soll sie in erster Linie die Nutzungs- und Urheberrechte von Textern, Komponisten und Verlegern schützen. Viele Musiker, auch welche, die ich persönlich kenne, lehnen jedoch eine Mitgliedschaft in der GEMA ab. Kannst Du Dir vorstellen, warum das so ist? Denn für Dich macht die GEMA ja scheinbar Sinn.
Weshalb Musiker die GEMA ablehnen, erschließt sich mir ehrlich gesagt nicht. Das hat sicher viel mit Unwissenheit zu tun. Ich musste auch schon den einen oder anderen überreden, da mitzumachen. Aber wenn er dann das erste Mal Geld bekommen hat, wurde die GEMA vom Feindbild zur allerbesten Freundin. Da kommen dann Sprüche wie: "Wenn ich das gewusst hätte!" Oder: "Warum habe ich Dich nicht schon vor zwanzig Jahren getroffen!" Deshalb ist vielleicht auch dieser Artikel ganz hilfreich, damit diejenigen Musiker, die Du da kennst und ansprichst, vielleicht nochmal über das Thema nachdenken. Wenn man Komponist ist und seine eigenen Werke aufführt oder die werden irgendwo gesendet, dann macht eine Mitgliedschaft in der GEMA unheimlich viel Sinn. Man muss sich halt damit auseinandersetzen. Und wenn man das macht, werden viele der Musiker, die der GEMA bisher nicht über den Weg trauen, so reagieren, wie ich es gerade geschildert habe.

Nun gibt es ja seit einigen Tagen den berühmten Artikel 13, der sich mit der Urheberrechtsreform der EU und den sogenannten Uploadfiltern befasst. Ich habe den Eindruck, es gab in den letzten Jahren in Deutschland seitens der Bevölkerung selten so viel Widerstand gegen ein Gesetz wie gegen dieses. Zwar zeigen sehr viele Menschen Verständnis für den Schutz der Urheberrechte von Künstlern, aber letztlich wird vor allem befürchtet, dass mit diesem Artikel 13 auch drastische Zensur im Internet betrieben wird, sowohl in Sachen Musikvideos als auch bei bestimmten politischen Inhalten. Kannst Du diesen Gedanken folgen oder ist das für Dich einfach nur Hysterie, die aus Unwissenheit erzeugt wird?
(überlegt) Du merkst, wie ich nach einer Formulierung suche ... Dieses Ablehnen ist immer schnell erzeugt, wie zum Beispiel beim Brexit. Das Argumentieren dagegen ist dann aber bereits deutlich vielschichtiger. Also diese Filter, vor denen die Leute Angst haben, die gibt es schon lange. Gäbe es die nämlich nicht, wäre das Netz voll mit Pornos und Gewalt. Natürlich hat die Industrie, die in Zukunft deutlich weniger verdient, wenn sie den Urhebern mehr Geld zahlen muss, diese Hysterie geschürt. Aber es ist nun mal dringend notwendig, dass etwas passiert. Stell es Dir mal so vor: man arbeitet beispielsweise als Fliesenleger, hat ein Haus von oben bis unten gefliest und wurde am Ende einmalig dafür bezahlt. Und dann kommt einer, drückt eine Tastenkombination und plötzlich kann jeder in der ganzen Welt das alles umsonst haben. Man ist aber nur einmal dafür bezahlt worden, obwohl diese Leistung vielleicht inzwischen hunderttausend Mal benutzt wurde. Gerade die jüngere Generation hat anhand solcher Beispiele das Gefühl, Musik hat keinen Wert, die gibt es völlig umsonst im Netz. Bequem ist es außerdem auch. Und seien wir mal ehrlich, wer sind denn eigentlich die Urheber? Das sind etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung. Deshalb hat man das nicht so auf dem Schirm, umso wichtiger ist es aber, dass sich inzwischen auch die Politiker dafür einsetzen. Es geht einfach nur darum, dass die Urheber für ihre Arbeit gerecht und angemessen vergütet werden wollen. Ansonsten könnte ich auch zum Zahnarzt gehen und sagen: "Lieber Zahnarzt, ich brauche eine neue Brücke. Aber ich bezahle Dich dafür nicht, denn Du bezahlst ja für meine Musik im Netz auch nichts". Wenn man die Gelegenheit bekommt, diesen Sachverhalt in Ruhe darzulegen, sehen die Leute ja auch ein, dass es das Normalste von der Welt ist, für seine Arbeit entlohnt zu werden. Denn erst durch unsere Musik verdient Youtube ja sein Geld. Oder meinst Du, die hätten auch nur annähernd so viel Zulauf ohne einen einzigen Ton Musik? Das Ganze ist im Moment noch ein echter Kampf gegen Windmühlen. Mir kommt das so vor wie der Wunsch nach Freibier.003 20190501 1263411443 Alles soll umsonst sein. In gewisser Weise kann ich das ja sogar verstehen, aber trotzdem funktioniert das so natürlich nicht. Deshalb ist es auch wichtig, dass beispielsweise wir beide gerade darüber sprechen.

Soweit ich informiert bin, sind diese Dinge in anderen europäischen Ländern anders geregelt.
Das stimmt. In Frankreich zum Beispiel geht man anders mit den Künstlern um. Da werden die einheimischen Bands nicht nur im Radio gespielt, sondern die werden vom Staat regelrecht gefördert. 90 Prozent aller Politiker, von der Linkspartei bis zu Frau Le Pen, haben dafür gestimmt. In Deutschland waren es leider nur 43 Prozent der Politiker. Da herrscht die Angst vor, dass man damit viele junge Leute verärgert und die dann vielleicht nicht mehr SPD wählen, also müssen wir mal schnell wieder die Meinung ändern. In Frankreich ist man diesbezüglich viel weiter, weil einfach das Bewusstsein der Leute ein anderes ist. Dort hat der Künstler ohnehin einen anderen Stellenwert. Ob der nun Englisch oder Französisch singt, ist egal, aber der macht eine Platte in Frankreich, presst die im eigenen Land, zahlt dort seine Steuern, lebt da. Das zu fördern macht nicht zuletzt auch volkswirtschaftlich Sinn. Bei uns sind aber diese paar Urheber nur eine kleine, politisch nicht relevante Gruppe. Das ist etwas anderes, als wenn ein Opel-Werk vor dem Konkurs steht. Bei solchen Dingen ist die Bundeskanzlerin dann gleich vor Ort, weil es um eine große Zahl Jobs geht. Aber ein paar Urheber, die das Geld für ihre Werke einfordern, zählen nicht so viel.

Wir kommen nachher noch einmal auf Deinen Verlag zurück. Lass uns zunächst ein wenig über die musikalischen Inhalte der CD reden. Es sind darauf fünfzehn verschiedene Künstler aus diversen Ländern mit jeweils einem ihrer Songs zu hören. Nun sind bei Blow Till Midnight ja sicher noch einige mehr unter Vertrag. Warum haben es gerade diese Musiker auf das Album geschafft? Nach welchen Kriterien bist Du vorgegangen?
Wir haben alle angeschrieben und diese fünfzehn waren die ersten, die geantwortet und "Ja!" gesagt haben. Das ist der ganze Hintergrund.

Wie haben die Künstler auf die Idee mit diesem Album reagiert? Hatten sie ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Songs oder hast Du die Entscheidung ganz allein getroffen?
Ich habe die Titelauswahl ganz allein entschieden, was aber eine schöne Arbeit war. Und zwar habe ich mich Stück für Stück in das Songmaterial der Künstler reingehört und versucht herauszufinden, welcher Song den Künstler am besten repräsentiert. Außerdem habe ich das Alleinstellungsmerkmal des jeweiligen Künstlers gesucht, was man als Außenstehender meistens besser reflektieren kann als der Künstler selber. Und die dritte Ebene war die, dass sich die Songs am Ende alle irgendwie ineinander fügen und passen mussten. Das musst Du Dir wie einen Staffellauf mit fünfzehn Läufern vorstellen. Es muss laufen wie aus einem Guss und die Reihenfolge der Läufer muss ebenfalls passen, damit es am Ende eine runde Sache wird. Die Aufgabe war nicht einfach, aber sehr schön, weil ich dadurch "meinen" Musikern auch vom Herzen her nochmal viel näher gekommen bin. Teilweise habe ich für die einzelnen Musiker dann auch gleich die vorgefertigten Pressetexte übernommen, weil die einfach passten. Oftmals habe ich aber an die Texte noch einmal Hand angelegt, weil ich die Musiker eben doch schon näher kannte. Uwe Schatter zum Beispiel hat mir mal einen handgeschriebenen Brief geschickt. Wer macht denn so etwas heute noch? Und dieser Brief gibt den Charakter dieses Mannes so naturgetreu wider, dass ich denke, wenn ich darauf im Covertext eingehe, kann der Konsument der CD sich ein viel besseres Bild von dem Künstler machen.

004 20190501 1746392039Auffällig ist für mich die große stilistische Vielfalt der Lieder. Die Betonung liegt sicher zu Recht auf Singer & Songwriter, aber es gibt ja durchaus auch einige Ausreißer. Beispielsweise Markus Rill, der gleich zu Beginn mit "Killer on the radio" eine recht rockige Note ins Spiel bringt. Bei einem so breit gefächerten Angebot stellt sich natürlich die Frage, für welche Zielgruppe ist das Album eigentlich gemacht worden? Oder sind solche Überlegungen für Dich eher zweitrangig?
Die Frage nach der Zielgruppe geht ja immer ein bisschen in die kommerzielle Richtung.

Natürlich, denn die CD soll sich ja am Ende des Tages auch verkaufen.
Richtig. Hier ist es aber so, dass ich dieses Album unter anderem als eine Art Dankeschön sehe. Ich habe jedem der darauf vertretenen Künstler einhundert CDs geschenkt. Insgesamt habe ich zunächst dreitausend Stück pressen lassen, was heutzutage ja eigentlich totaler Wahnsinn ist. Außerdem habe ich jede Menge Werbung damit gemacht. So habe ich nicht nur Eurer Redaktion eine Ausgabe geschickt, sondern auch allen relevanten Radiostationen, obgleich das natürlich mit dem Wissen verbunden ist, dass eine Platzierung in den Programmen sehr schwer sein wird. Aber so habe ich wenigstens das Gefühl, alles Nötige getan zu haben. Es bleibt ja noch die Hoffnung, auf den Konzerten eine Menge CDs zu verkaufen. Und auch durch dieses Interview und vielleicht durch eine Rezension wird sicher manch einer das Album bestellen. Gerade durch diese angesprochene Abwechslung ist es ein wirklich schönes Klangerlebnis. Die amerikanische Note ist durch den von Dir schon genannten Markus Rill vertreten. Und es gibt ein gewisses Neil Young-Feeling, wenn Tobias Pannwitz alias Trailhead musiziert. Es sind irische Einflüsse vertreten, auch mal ein bisschen Folk, typische Singer/Songwriter-Nummern und vor allem sind auch starke Frauenstimmen zu hören. Zum Autofahren ist die CD ideal.

Besonders aufgefallen ist mir beim Hören des Albums eine australische Sängerin namens Prita Grealy mit ihrem Song "Umbrella days". Unweigerlich musste ich an solche aktuell erfolgreichen Stimmgewalten wie Elle King oder Alex Hepburn denken. Wie seid Ihr zusammengekommen?
Das passierte über Hören-Sagen. Mathew James White, der auch auf dem Album vertreten ist und der aus Neuseeland kommt, war einer der Ersten, die zugesagt haben. Der war happy wegen dieser Sache und hat uns weiter empfohlen. Zumal wir echt faire Bedingungen bieten. Über Mathew James White kam ich dann also mit Prita Grealy ins Gespräch und sie letztendlich zu meinem Verlag.

Wenn es mit rechten Dingen zugehen oder tatsächlich nach dem Leistungsprinzip funktionieren würde, müsste Prita Grealy mit dieser Wahnsinnsstimme eigentlich schon ganz weit oben mitschwimmen, denn gerade "Umbrella days" schreit für mich förmlich danach, in den Radiostationen rauf und runter gespielt zu werden.
Da gebe ich Dir Recht. Aber das ist natürlich eine Frage, die weit über dieses Album hinausgeht. Das Motto dazu heißt "Wenn die Welt gerecht wäre ..." Es gibt da einen ganz tollen Künstler, den ich sehr schätze, das ist Paul Millns. Ein toller Pianist und Komponist. Bei dem steht auf seinen Plakaten dieser Spruch "Wenn die Welt gerecht wäre ...". Aber die Welt ist nicht gerecht, das Musikgeschäft sowieso nicht. Wer sich dafür entscheidet, Musik zu machen, muss sich ohnehin die Frage stellen: Liebe ich das, was ich mache? Wenn ja, dann bin ich auch auf kleineren Bühnen zuhause, denn was ich mache, mache ich aus dem Herzen heraus. Oder anders formuliert: Mache ich die Musik, die ich liebe, oder mache ich die Musik, mit der ich am meisten Geld verdienen kann? In diesem Fall kann man bedenkenlos Schlager oder Plastikmusik machen, die ins Radioformat passt. Prita Grealy und alle anderen auf dem Album machen ihre Musik aber aus dem Herzen heraus.005 20190501 1945786573 Die wollen natürlich trotzdem auch erfolgreich sein. Ein schönes Beispiel dafür, dass es geht, ist Ed Sheeran, der ja unglaublichen Erfolg hat. Bei mir ist es so, wenn ich hundert Konzerte im Jahr mache, die Plattenverkäufe und GEMA-Einnahmen dazu rechne, dann kann ich davon leben. Ich kann dann MEINE Musik machen und muss nicht mit Cover-Programmen durch die Lande ziehen.

Das war jetzt schon fast die Antwort auf meine nächste Frage. Ich wollte nämlich erwähnen, dass mich auch Dominik Wrana mit seinem Song "Burning bridges" total abholt. Und auch hier habe ich das zwingende Gefühl, das hat hundertmal mehr Potenzial als vieles von dem, was die Radiostationen uns tagein, tagaus ins Hirn blasen. Verzweifelt man da nicht irgendwann, wenn trotz aller Mühen und aller vorhandenen Klasse nicht eines Tages der Durchbruch kommt, die Charts aber größtenteils von Mittelmaß durchsetzt sind? Oder anders gefragt: Woher nimmt man als Musiker die Motivation, trotzdem immer weiter zu machen?
Da will ich mal bei den Rückschlägen anfangen. Ich habe anfangs mit richtig viel Geld einzelne Radiopromoter bezahlt, um ins Radio zu kommen. Ich habe sogar einige meiner Songs gegen meine Überzeugung radiotauglich produziert. Jedenfalls glaubte ich, es wäre so. Nun muss man aber auch sehen, dass es in meinem Genre beispielsweise einen Joe Bonamassa gibt. Der Mann füllt ganze Arenen. Und selbst ein solcher Mann wie Bonamassa kommt nicht in eine Radiorotation. Dann wird ein Chris Kramer erst recht nicht im Radio gespielt. Ich tauche eher mal auf Spartensendern oder im Kulturprogramm bei den Öffentlich-Rechtlichen auf. Natürlich immer weit nach Mitternacht, damit ja nicht zu viele Leute zuhören. Da wird dann auch mal ein Song von mir gespielt. Das war's, mehr passiert nicht. Für mich persönlich läuft es interessanterweise im Fernsehen besser als im Radio. Das heutige Radio ist dermaßen vorformatiert, dass es schwierig ist unterzukommen. Wenn man dann noch mit den Redakteuren redet, dann bleibt man mit einem Gefühl irgendwo zwischen Trauer und Zorn zurück. Und dennoch sind gerade auf dieser CD einige Leute dabei, von denen man meint, die könnten durchaus mal im Radio laufen. Deshalb habe ich mir die Mühe gemacht und circa hundertfünfzig Radioredakteure angeschrieben in der Hoffnung, dass sie sich die Zeit dafür nehmen und es machen wie Du, der ausgiebig in die Platte reingehört hat. Das zeichnet ja Euer Magazin so aus, dass ihr Euch Zeit nehmt und die Künstler in dieser Form würdigt. Das würde ich mir von dem einen oder anderen, der von meinen GEZ-Gebühren bezahlt wird, auch wünschen.

Eine Möglichkeit wäre ja vielleicht die Teilnahme an diesen zweifelhaften Castingshows. Auf der CD ist ja mit Guido Goh auch jemand vertreten, der es bei "The voice of Germany" versucht hat und relativ weit kam. Wie stehst Du zu diesen Wettbewerben, die in der Regel nur den TV-Stationen enorme Werbegelder in die Kassen spülen, aber in den seltensten Fällen wirklich dem Künstler zu einem Karrierestart verhelfen?
Ich möchte das mal am Beispiel von Guido Goh beantworten, den ich erst im Vorfeld und dann auch während der "The voice of Germany"-Sendung mit Rat und Tat betreut habe. Von Guido bekam ich ein wunderschönes Feedback, er sagte nämlich: "Chris, das war alles genauso, wie Du es mir gesagt hast. Danke!" Ich hatte mich zum ersten Mal mit diesem Format auseinandergesetzt, als ich eine junge Sängerin namens Nina Zaborowski entdeckte. Damals war sie 13 Jahre, heute ist sie 17. Die wäre total prädestiniert gewesen für solche Sendungen und wurde auch wirklich einige Male angefragt, deshalb hatte ich mich für sie schon mal schlau gemacht und wusste also schon ein bisschen, wie der Hase läuft und konnte dem Guido mit einigen strategischen Tipps helfen. Im Nachhinein meinte Guido, für ihn war das eine tolle Erfahrung, es läuft jetzt viel besser, es war für ihn ein echter Sprung nach vorne. Er hat auch immer noch Kontakt zu seinem damaligen Coach, dem Patrick Kelly, der ihm eine große Hilfe war und wertvolle Kontakte geknüpft hat. Es ist also nicht so, dass man alle Castingshows verdammen kann, denn es ist sicherlich ein Unterschied, ob man zu Dieter Bohlen in die Show geht oder zu "The voice of Germany".

006 20190501 1152655553Dennoch hat man Guido Goh danach nie wieder im Fernsehen gesehen.
Das kann sein. Es ist ohnehin unglaublich schade, wenn Musik nur in Form eines Wettkampfs im TV zu sehen ist. Viel besser wäre es aus meiner Sicht, wenn es im Fernsehen mindestens genauso viele Musikformate und -sendungen geben würde wie es Comedyformate gibt.

Es gab ja in den 70er und 80er Jahren diese Musikformate durchaus schon mal.
Richtig, es war alles schon mal da. Ich zitiere jetzt mal Konstantin Wecker, der irgendwann in einem Interview sagte, wenn er eingeladen wird, wollen die Leute mit ihm über seine Kokainsucht oder über sein Engagement in Afghanistan reden. Wenn er dann aber anfragt, ob er nicht wenigstens mal ein Lied singen dürfe, kriegt er zur Antwort: "Nein, das geht nicht, dann schalten die Leute ab". Es ist traurig, wenn man so etwas hört. Aber Du siehst ja, was stattdessen im Tagesprogramm über den Bildschirm läuft. Da gibt es diese Soaps und das sogenannte Reality-Trash-TV, wo es nur darum geht, Menschen bloß zu stellen.

Manch ein Musiker ist ja nun schon mehrere Jahre bei Blow Till Midnight unter Vertrag. Ich denke da zum Beispiel an Peter Ray, dessen Album "444" wir ja auch schon rezensiert hatten (Rezension siehe HIER) und der auch auf der aktuellen CD, über die wir gerade reden, wieder mit einem Stück vertreten ist. Das spricht für eine konstante Arbeit im Verlag und für eine gewisse Zufriedenheit beim Künstler.
Das versuchen wir natürlich zu erreichen. Aber wie heißt es so schön im Rheinland: "Jeder Jeck ist anders". Es gibt also manchmal auch etwas schwierigere Charaktere unter den Künstlern, doch wir geben immer unser Bestes. Manchmal ist es leider so, dass bei dem einen oder anderen Musiker größere Träume da sind, die wir nicht erfüllen können. Nun ist unsere Philosophie aber die, dass wir keine Knebelverträge abschließen, sondern dass im Zweifelsfall der Künstler auf der stärkeren Seite steht. Wenn er also gehen will, dann kann er auch gehen. Für mich ist es dann eine Art moralische Bezahlung, wenn Leute, die von uns weggehen, mich und den Verlag trotzdem noch weiterempfehlen.

Gibt es denn auch den einen oder anderen, der bei Deinem Verlag angefangen hat und inzwischen bei einem Major Label unterschrieben hat?
Klar, das ist schon mehrfach passiert.

So manch einer ist leider verheizt worden, weil das große Label ihn wieder fallen ließ, weil der schnelle Erfolg ausblieb. Du bist ja nun ein alter Hase im Geschäft. Sagst Du möglicherweise auch mal, wenn jemand ein vermeintlich tolles Angebot bekommt: "Warte lieber noch ein, zwei Jahre, Du bist noch nicht so weit"? Und hören die dann überhaupt auf Deine Worte?
Ich gebe schon meine Meinung ab, klar. Und ich sage auch schon mal: "Wenn das so ist und Du das willst, dann geh dahin", auch wenn es natürlich gegen meine Bedürfnisse als Verleger spricht. Und diese Klischees, die Du ansprichst, dass die da also durchaus auch mal verheizt werden, das wissen die alles selber. Das sind ja keine Kinder mehr. Die wissen, das kann passieren, aber diese Erfahrungen muss man dann eben auch mal selber machen. Ich musste diese Erfahrungen bei meinen ersten beiden Plattenfirmen leider auch sammeln. Die erste wollte, konnte aber nicht und die zweite hätte gekonnt, hatte aber irgendwie kein Interesse an uns. Ich war damals Mitte 20 und habe darunter gelitten. Trotz dieser Erfahrungen habe ich natürlich auch später noch die eine oder andere falsche Entscheidung getroffen, ich bin ja auch nur ein Mensch. Zum Beispiel habe ich irgendwann mal darauf bestanden, alles selber zu machen, anstatt mit einem anderen Verlag zu kooperieren.

007 20190501 1261226537Lass uns noch für einen Moment bei der Arbeit des Verlages bleiben, denn dieses Thema kommt relativ selten zur Sprache. Wie viele Musiker oder Bands sind denn derzeit bei Blow Till Music unter Vertrag?
Im Moment sind es ungefähr dreißig.

Siehst Du Deine Aufgabe als erledigt an, wenn Du den Musikern die Chance gibst, ihre CDs über Deinen Verlag zu vertreiben und damit das Interesse der Öffentlichkeit zu gewinnen? Oder gibt es durch Dich und Dein Team auch eine Art Betreuung der Künstler, was z.B. das Marketing oder künstlerische Fragen betrifft? Das ist ja bei den großen Labels nicht immer der Fall.
Wir sind zwar nur ein relativ kleiner Verlag, aber natürlich beraten wir unsere Kunden auch. Wir sorgen für den Label- oder EAN-Code und wir helfen beim digitalen Vertrieb. Und wir haben noch ein paar andere Serviceleistungen, die darüber hinausgehen. Aber unsere eigentliche Stärke besteht darin, wie wir es eingangs schon besprochen haben, dass wir wie ein guter Steuerberater dafür sorgen, dass der Künstler das bekommt, was ihm zusteht. Es ist ja so, dass durch die riesigen Abrechnungsaufträge, die innerhalb eines Jahres bei der GEMA eingehen, diese gar nicht immer alles richtig berechnen können. Wir müssen dann reklamieren und dran bleiben, bis alles seine Ordnung und Richtigkeit hat. Für den normalen Musiker ist das einfach nur Fach-Chinesisch, der versteht das alles überhaupt nicht. Deshalb kämen auch nur die Wenigsten auf die Idee, die Abrechnungen zu reklamieren. Aber wir machen das eben sehr genau und gründlich, worüber die GEMA auch keinesfalls böse ist. Ganz im Gegenteil, die GEMA freut sich, wenn die Verlage oder manchmal auch die Musiker selber aufpassen und für ihr Recht etwas tun. Doch das alles ist natürlich für uns ein riesiger Verwaltungsaufwand.

Das glaube ich. Wie viele Mitarbeiter sind denn in Deinem Verlag aktuell beschäftigt?
Neben mir sind es im Moment noch drei weitere Mitarbeiter. Meine Hauptmitarbeiterin ist in der Lage, neunzig Prozent aller Fragen sofort und selbstständig beantworten zu können. Ich selber muss da also gar nicht so sehr eingreifen, sondern werde eher aktiv, wenn es beispielsweise um sogenannte Strategiegespräche mit einem Musiker geht. Da helfe ich mit meiner Erfahrung weiter, wenn es darum geht, welches Video als erstes erscheinen sollte oder was er tun muss, um wirklich mit all seinen Stärken rüber zu kommen. Oder mit dem Künstler zu entscheiden, wo will er hin mit seiner Musik, was ist seine Zielgruppe, was ist sein Alleinstellungsmerkmal. Letzteres ist nämlich ganz wichtig für die Entwicklung eines Musikers. Was kannst Du, was kein anderer kann? Willst Du nur eine Kopie von irgendwem sein oder machst Du etwas Eigenes? Ich mache zum Beispiel mit meiner Band Beatbox und Blues. Das macht sonst kein anderer auf der Welt. Das ist eben unser Alleinstellungsmerkmal. Manchmal tut meine Antwort erst mal weh, aber wenn derjenige in Ruhe darüber nachdenkt, kommt er eines Tages wieder und sagt: "Mensch Chris, ich habe jetzt meine Persönlichkeit gefunden".

Nun hast Du ja in Deiner fast 30-jährigen Musiker-Laufbahn bereits einiges auf die Beine gestellt. Wann und vor allem warum kam plötzlich der Wunsch in Dir auf, einen eigenen Verlag zu gründen und anderen Künstlern eine Plattform zu geben? Warst Du als Musiker nicht ausgelastet?
Alles in meinem Leben hat sich sozusagen organisch entwickelt. Ich erwähnte es ja eben, mit meiner ersten Plattenfirma lief es nicht so optimal. Trotzdem erzählte ich jedem voller Stolz: "Ich habe jetzt eine Plattenfirma, ich bin ein klasse Musiker!" Irgendwann erkannte ich dann, ich wäre besser dran gewesen und hätte mehr Geld verdient, wenn ich das alles selber gemacht hätte. Und auch die zweite Firma versprach mir alles Mögliche, hielt aber gar nichts von den ganzen Versprechungen ein.008 20190501 1686810069 An dem Punkt dachte ich zum ersten Mal ernsthaft darüber nach, das wirklich selber in die Hand zu nehmen. Ich machte dann mit einem Verlag zusammen auch noch eine Mundharmonikaschule, war aber wieder total enttäuscht, so dass ich nun endlich selber einen Musikverlag aufmachte, um meine Mundharmonikabücher in Eigenregie herauszubringen.

Wenn ich Dich am Anfang unseres Interviews richtig verstanden habe, begannst Du Dich jetzt auch mit dem Thema GEMA auseinanderzusetzen.
Richtig. Mich sprach am Anfang meiner Karriere mal ein Musiker auf die Anzahl meiner Gigs an. Ich sagte ihm, es sind so etwa hundert Gigs im Jahr, die ich spiele. Daraufhin meinte er, ich müsse unbedingt in die GEMA eintreten. Und ich sagte: "Ja, das wollte ich ja auch mal machen". Aber mehr so wie "Ich muss auch mal irgendwann meinen Keller aufräumen". Ich trat dann aber wirklich bald der GEMA bei und verdiente plötzlich richtig Geld mit meiner Musik. Ich habe dann bei diesem Kollegen alles darüber gelernt, was ich wissen musste, bis sich unsere Wege trennten. Erst einmal nutzte ich mein neues Wissen nur für mich, bis dann immer mehr Kollegen ankamen und meinten, ich hätte mir inzwischen so viel Wissen angeeignet, dass es Sünde wäre, das nicht auch für andere zu nutzen. Und so kam es, dass ich mich ein bisschen umsah und auf Musiker stieß, die bis zu 200 Gigs im Jahr spielten, aber nicht in der GEMA waren. Denen erklärte ich, das sei so, als würden auf der Straße mehrere 100 Euro-Scheine liegen und niemand bückt sich, um die aufzuheben. Ich nahm dann den ersten, den zweiten, den dritten bei mir auf. Anfangs half mir eine 400 DM-Kraft. Das war übrigens meine Putzfrau, die war richtig auf Zack und arbeitete sich in die Materie ein. Nachdem ich also den ersten Musikern auf diese Art geholfen hatte, vermittelten die mich weiter an ihre besten Freunde. Und so nahm das seinen Lauf.

Das war sicher ein gutes Gefühl ...
Absolut. Ungewöhnlich daran ist vor allem, dass ich sowohl künstlerisch als auch kaufmännisch aktiv und erfolgreich bin. Das sind eigentlich zwei widerstrebende Kräfte. Deshalb führt das bei mir immer wieder dazu, dass meine Decke manchmal zu kurz ist. Es hört sich im ersten Moment zwar für den Leser gut an, wenn da steht, der Kramer ist künstlerisch UND kaufmännisch gut unterwegs. Es ist aber gleichzeitig auch die Lizenz zum Unglücklichsein, weil die Decke eben nach einer Seite hin immer zu kurz ist. Mache ich zum Beispiel nur Kunst und schreibe gerade an einem ganz tollen Song, dann vernachlässige ich meine Büroarbeit. Sitze ich aber zu viel im Büro, verdiene ich vielleicht viel Geld und freue mich darüber, aber ich habe keine Zeit mehr, um mal wieder ein neues Lied zu schreiben. Aber dadurch, dass ich jetzt Mitarbeiterinnen habe, die mich unterstützen, habe ich für mich einen Weg gefunden, um glücklich zu sein und die Musik zu machen, die ich selber machen will und gleichzeitig mit meinem Verlag anderen so gut es geht zu helfen.

Nun bist Du ja trotzdem in Deinem Hauptberuf immer noch Musiker. Könntest Du Dir vorstellen, die Geschichte mit dem Verlag irgendwann mal zu Deinem eigentlichen Standbein zu machen und den Verlag vielleicht groß aufzuziehen?
Nein. Ganz klar nein. Ich möchte bis zu meinem Tod Musik machen.

Das war eine schöne Überleitung zur nächsten Frage. Im nächsten Jahr, das darf ich hoffentlich verraten, wirst Du 50 Jahre jung. Weißt Du schon, wie Du diesen Tag begehen wirst?
(lacht) Nein, überhaupt nicht. Da schütteln auch alle immer die Köpfe, dass ich diesem Ereignis gar nicht so viel Bedeutung beimesse. Es ist vielmehr so, dass ich ein Jahr später, also 2021, mein 30-jähriges Bühnenjubiläum habe.009 20190501 1177789536 Ich denke tatsächlich schon daran, vielleicht aus diesem Anlass etwas Größeres zu veranstalten. Aber zu meinem 50. Geburtstag habe ich wirklich noch keinen Plan. Ich könnte mir aber vorstellen, diesen Tag ganz allein mit meiner Freundin zu verbringen.

Im Jahre 2017 hast Du Deinen Geburtstag nicht zuhause, sondern in Memphis gefeiert, wo Du anlässlich der International Blues Challenge mit Deiner Beatbox'n'Blues Band gespielt und es immerhin bis ins Halbfinale geschafft hast (Beitrag dazu HIER). Wie siehst Du dieses Erlebnis aus heutiger Sicht? Bist Du noch traurig über den verpassten Einzug ins Finale oder überwiegt der Stolz, überhaupt dabei gewesen zu sein?
Hmmm ... da überwiegt in erster Linie die Freude. Natürlich haben wir uns damals ziemlich doll geärgert, dass wir nicht ins Finale eingezogen sind, zumal die Band gegen die wir "verloren" haben ganz traditionellen Blues gespielt haben und unsere Originalität offenbar nicht so gut ankam wie altes Liedgut zu bewahren. Das Ergebnis stieß bei mir dann auch auf einiges Unverständnis, obwohl die anderen natürlich auch gut waren, keine Frage. Nur die spielten eben diesen Standardblues, den man schon vor fünfzig Jahren gespielt hat. Wir haben den Blues mit einem ganz neuen Ansatz gespielt, was auch vom Publikum honoriert wurde, aber leider nicht von der Jury. Das muss man am Ende akzeptieren. Es war dennoch der Trip unseres Lebens. Wir haben unheimlich viel erlebt und ich weiß genau, davon werde ich mein ganzes Leben lang zehren. Wir waren insgesamt 17 Tage dort und haben am Ende gesagt: "Wir hatten 17 Samstage am Stück." Das bringt die Wertigkeit des Erlebten wohl am besten rüber. Am Rande unserer Auftritte waren wir natürlich viel unterwegs, waren in Museen, haben interessante Leute getroffen, haben viele Sessions gespielt und Konzerte gegeben. Der Höhepunkt war der Besuch eines Gospel-Gottesdienstes. Ich durfte mit meiner Mundharmonika sogar mitmachen, worüber ich mich wie ein kleiner Junge gefreut habe. Meine beiden Jungs (Anm. d. Red.: Kevin O'Neal und Sean Athens) waren zum ersten Mal in einer Gospelkirche und waren total angetan. Das ist natürlich ein völlig anderes Erlebnis als bei uns in der Kirche.

Normalerweise profitiert ein Musiker oder eine Band ja von einem solchen Erfolg. Die Fanbase vergrößert sich, Sponsoren klopfen an, im besten Fall winken Plattenfirmen mit Rentenverträgen. Was hat sich denn für Dich nach diesem tollen Abschneiden in Memphis aus künstlerischer wie auch aus menschlicher Sicht verändert?
Wir sind als Band natürlich zusammengewachsen. Sean und Kevin sind zwei wirklich exzellente Musiker und Menschen und man merkt bei unseren Auftritten immer mehr, was für eine Einheit wir sind. Aber gleichzeitig merkt man auch, dass wir drei unterschiedliche Charaktere und Typen sind, zumal ich ja eigentlich der Vater der beiden sein könnte. Ein schöner Effekt des Ausflugs nach Memphis ist der, dass wir jetzt eine irre Pressemappe haben mit wunderschönen Pressefotos, die von einem tollen Fotografen gemacht wurden. Und natürlich hat es auch geschäftliche Auswirkungen gehabt. Beispielsweise gab es jemanden, der uns sowohl in Eutin bei der German Blues Challenge als auch in Memphis gesehen hat. Und dieser Mann hat uns inzwischen schon für fünfzehn Konzerte in Norwegen gebucht. Im letzten Jahr durften wir fünf Gigs in Spanien spielen und jetzt im Mai fliegen wir zum Bluesfestival nach Barcelona. Das schaffen auch nicht viele. Okay, wir werden dadurch nicht reich an Geld, aber reich an Erfahrung und reich an der Bestätigung, als Künstler so gefragt zu sein, dass wir für Festivals in Barcelona, in Trondheim oder auch in der Schweiz gebucht werden.

Für die Steigerung Eures Bekanntheitsgrades war Memphis also keinesfalls schädlich.
Nein, ganz im Gegenteil. Da gab es ja auch noch eine andere erfreuliche Geschichte. Das Bluesfest in Eutin ist dank des Organisationschefs Helge Nickel so gut vernetzt, dass u.a. auch der Deutschlandfunk da ist. Und vom Deutschlandfunk wurde ein Livemitschnitt unseres Siegerkonzertes gemacht und auch gesendet. Wir wurden auch noch zum Sender eingeladen und hatten dadurch eine Stunde Radio!013 20190501 2014440519 Und den Deutschlandfunk hören ja nun auch ein paar Menschen, was zur Folge hat, dass künftig eher dreißig Leute mehr in unsere Konzerte kommen als weniger. Trotzdem muss man sich das jeden Tag neu erspielen, denn der Erfolg von gestern hilft mir morgen auf der Bühne nicht mehr weiter.

Wir haben ja auf unseren Deutsche Mugge-Seiten bereits mehrfach über Dich und Deine aktuelle Band Beatbox'n'Blues berichtet. Was wir aber noch nie angesprochen haben, ist die Frage, wie es eigentlich zu dieser verrückten Konstellation gekommen ist, denn eine Band in dieser Zusammensetzung ist ja wahrhaftig ungewöhnlich und wohl auch einzigartig. Wie habt Ihr Euch gefunden?
Das war eine Folge meines Kindermusicals "Die kleine Mundharmonika" (Bericht über das Dattelner Konzert HIER). In dieser Geschichte trifft die kleine Mundharmonika unter anderem einen Beatboxer, also brauchte ich tatsächlich jemanden, der das auch wirklich kann. Als ich Kevin dann getestet hatte, war mir klar, der Kerl ist der Oberhammer. Das war sogar noch, bevor er Deutscher Meister im Beatboxen wurde. Es war sozusagen "Liebe auf den ersten beat". Zuerst spielten wir im Duo und merkten, das kommt super an bei den Leuten, weil es einfach spektakulär ist. Also war mir schnell klar, das schreit nach mehr als den drei Liedern für das Musical, das schreit nach einem ganzen Programm. Und nach den ersten gemeinsamen Konzerten war ich der Meinung, es funktioniert zwar gut, aber es fehlt irgendwie noch ein Killer-Gitarrist. Den fanden wir dann in Sean Athens und sind jetzt ein echtes Dreamteam. Und wir werden immer besser. Unsere Entwicklung ist auch noch längst nicht beendet. Positiv ist natürlich, dass wir nur zwanzig Minuten voneinander entfernt wohnen, so dass wir uns regelmäßig zum Proben und zum Komponieren treffen.

Es scheint also mehr als nur ein kurzlebiges Projekt zu sein, oder?
Wir sind mittlerweile eine richtige Band geworden. Man weiß natürlich nie, was passieren wird. Kevin wird auch von vielen anderen angefragt, wo es dann auch etwas mehr Kohle gibt. Und Sean könnte jedes Wochenende mit drei bis vier anderen Bands spielen, so gefragt ist er mittlerweile. Aber uns ist klar, Beatbox'n'Blues ist unsere Nummer 1. Das ist wunderbar. Solche Erlebnisse wie unsere Konzerte in Amerika, in Spanien und Norwegen schweißen natürlich auch zusammen. Selbst im rbb-Fernsehen waren wir schon zweimal.

Zwei Alben von Chris Kramer & Beatbox'n'Blues habt Ihr schon aufgenommen. Können wir in naher Zukunft vielleicht sogar mit einem dritten Album rechnen?
Ja, wir arbeiten bereits an neuen Stücken, aber ich wollte mir diesmal ganz bewusst mehr Zeit lassen, damit wir noch mehr an unserem ganz speziellen Sound arbeiten können. Das Ganze soll in Ruhe wachsen, es soll etwas ganz Besonderes werden. Bisher haben wir schon ungefähr zwanzig Songideen zusammengetragen, aber wenn so ein Song dann tatsächlich die Jahreswende überdauert, merkt man schon, den einen findet man nur noch halb so gut, andere wiederum sind immer noch Klasse.011 20190501 1984359459 In jüngeren Jahren habe ich ganz viel ganz schnell gemacht und schon mal vier Alben in einem Jahr veröffentlicht. So nach dem Motto "Ich mache, also bin ich". Heute weiß ich, manchmal wäre weniger mehr gewesen. Deshalb nehmen wir uns heute eben die Zeit, die wir wirklich brauchen. An einigen Songs haben wir auch schon gemerkt, was man alles noch herausholen kann, wenn man richtig intensiv daran arbeitet.

Im Jahr 2008 erschien mit "Komm mit!" Dein erstes rein deutschsprachiges Album, dem vier weitere folgten, u.a. das geniale "Chicago Blues"-Album aus dem Jahr 2010 mit den Musikern der Muddy Waters Band. Inzwischen singst Du wieder fast ausschließlich auf Englisch. Warum?
Daran ist auch ein bisschen die Blues Challenge in Memphis schuld. Ich habe ja hier viele Jahre auf Deutsch gesungen, weil ich verstanden werden wollte. Ich will aber genauso verstanden werden, wenn ich im Ausland auftrete. Wir singen auch in Spanien deutschsprachige Nummern und es ist ein schönes Gefühl, wenn das dortige Publikum "Lass uns tanzen gehen" auf Deutsch mitsingt. Die merken ja auch, dass es bei dem Song um das Tanzen geht. Sie machen ordentlich mit und tanzen Rock'n'Roll. Wenn wir Deutsch singen, hat das so einen Exotenstatus. Aber nach spätestens drei Nummern ist dieses Exotische auch wieder weg, dann sollte man ein Instrumental oder etwas auf Englisch hinterherschieben.

Es wird also fürs Erste dabei bleiben, dass Eure Texte auf Englisch geschrieben werden?
Vermutlich ja. Wir sind ja jetzt vermehrt international unterwegs, da macht das echt Sinn. In Memphis wurden wir von einem Fernsehteam begleitet und wir hoffen, dass wir diese Dokumentation irgendwann mal bei Arte unterkriegen. Das hätte zur Folge, dass sich für uns auch der riesige französische Markt auftut. Frankreich ist ein sehr großes Bluesland und, wie vorhin schon erwähnt, kulturell ganz anders gefördert.

Ich habe unser Gespräch ja mit den Worten begonnen: Stillstand ist nichts für Dich. Was hast Du denn noch für Pläne in der Schublade? Sind die schon spruchreif oder lässt Du Dich treiben?
In den Osterferien werde ich meine zweite Weihnachts-CD aufnehmen. Das ist ein Thema, welches in den letzten Jahren immer mal vorhatte. Mit dem wunderbaren Klavierspieler Niklas Flohr, mit Heike Mehring und mit Nina Zabarowsky am Gesang haben wir uns ein tolles Weihnachtsprogramm erarbeitet. Und ich will quasi die Arbeit der letzten vier Jahre krönen, in dem ich unsere Weihnachtssongs jetzt aufnehme.

Wen kann man denn heute noch mit einer Weihnachts-CD hinterm Ofen vorlocken? Irgendwie hat uns doch gefühlt inzwischen jeder mehr oder weniger bekannte Musiker mit einem solchen Album beglückt und der Markt sollte eigentlich gesättigt sein.
Die Weihnachtssachen, die wir machen, sind definitiv zu 100 Prozent kitschfrei. Ich habe mich in letzter Zeit wirklich viel mit Weihnachten auseinandergesetzt und bin entsetzt, was es da für einen Scheiß auf dem Markt gibt.012 20190501 1502812026 Auch von richtig guten Künstlern! Da fragt man sich: Warum musste der jetzt diese Platte aufnehmen? Wir machen jetzt aber ein wirklich niveauvolles, abwechslungsreiches Album. Wir spielen zum Beispiel etwas von Bach, da steht meine Mundharmonika in der vierten Position, was alles andere als der Standard ist. Und wir verjazzen die Nummer noch einen Hauch weit. Es gibt auch ein paar Funky-Songs, wo uns Kevin und Sean im Studio unterstützen. Morgen probe ich außerdem mit den besten Jazzmusikern aus unserem Umfeld. Es wird also toll werden. Natürlich werden die Verkaufszahlen am Ende etwas eingeschränkt sein, weil ich das Album ja auf meinem eigenen, kleinen Label vertreibe, aber ich bin mir sicher, auf den Konzerten werden eine Menge davon den Besitzer wechseln.

Abschließend darf ich vielleicht noch meinem Wunsch Ausdruck verleihen, Dich zukünftig auch wieder mehr in den östlichen Gefilden erleben zu dürfen. Einen Termin gibt es ja bereits, und zwar wirst Du am 10. August beim Blues Open Air in Niederlehme spielen.
Ja, an mir soll es wirklich nicht liegen! Wir haben immer gerne in den neuen Bundesländern gespielt und gute Erfahrungen gesammelt. Es gibt hier auch wirklich tolle Bluesmusiker. Mir fallen da spontan Engerling und Bernd Kleinow ein, auch Diestelmann war ein Guter.

Chris, herzlichen Dank für den Einblick in Deine aktuelle Arbeit und viel Erfolg für die CD.
Ich danke Dir und schicke viele Grüße aus dem Ruhrgebiet an die Leser von Deutsche Mugge.



Interview: Torsten Meyer
Bearbeitung: cr
Fotos: Pressematerial des btm Musikverlag, Archiv Deutsche Mugge






   
   
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