Interview vom 13. Juli 2018
Mario Ferraro ist Gitarrist. Das war er in den 80ern schon bei den WILDERERN und er war es auch schon in den 90ern bei der SEILSCHAFT. Damals noch GUNDERMANNs SEILSCHAFT. Mario und "Gundi" arbeiteten viele Jahre in beiden Formationen zusammen, und während der Sänger (Gundermann) die Lieder inhaltlich füllte, war der Gitarrist auch am Entstehungsprozess der Musik direkt beteiligt. Seit dem Neustart der SEILSCHAFT, knapp 12 Jahre nach Gundermanns Tod, ist auch Mario wieder mit dabei und trägt den musikalischen Nachlass seines Freundes und Musiker-Kollegen Gerhard "Gundi" Gundermann hinaus in die Welt. Nachdem uns Gundermanns Witwe Conny im Jahre 2013 über den privaten "Gundi" schon eine Menge erzählt hat (Interview siehe HIER), wollten wir jetzt von Mario etwas über den Musiker und Kollegen "Gundi" wissen. Auf all unsere Fragen hatte der sympathische Saitenhexer immer eine Antwort parat ...
In diesem Sommer jährt sich zum 20. Mal der Todestag von GERHARD GUNDERMANN. An ihn wird entsprechend erinnert, zahlreiche Veranstaltungen finden rund um diesen Tag statt. Braucht jemand wie Du, der so lange mit ihm gearbeitet hat, überhaupt irgendwelche Jahrestage, um sich zu erinnern?
Nein, definitiv nicht. Das passiert zwischendurch immer wieder und ziemlich oft. Und in letzter Zeit sogar sehr oft. Ich bin eh nicht so derjenige, der sich an Jahreszahlen festmacht.
Wie und wann haben GUNDERMANN und Du Euch eigentlich kennengelernt?
Gehört habe ich ihn das erste Mal, als ich bei der Armee war. Das war im Jahre 1988. Da lief der Song "Halte durch" im Radio. Das fiel mir auf, weil es anders war, als andere Lieder. Persönlich gesehen habe ich ihn, als wir mit den WILDERERN bei einer Talkshow beim ehemaligen SFB waren. Da waren wir als musikalische Gäste und er war Gesprächsgast. Hinterher kamen wir ins Gespräch und es war so der Klassiker in der Musik: "Wir müssen unbedingt mal etwas zusammen machen ..." Es kam auch dann dazu, dass er mit den WILDERERN etwas gemeinsam machte.
Für die Leute, die nicht so tief im Thema stecken: Was waren die WILDERER für eine Band, wer gehörte dazu, wie entstand sie und welche Ziele hattet Ihr damals?
Die WILDERER waren zunächst ein loser Zusammenschluss von Musikern, die sich aus verschiedenen Bands kannten. Als ich von der Armee kam, fingen wir im Frühjahr 1988 an, gemeinsam zu spielen. Es war eine Band mit vier Gitarren, also sehr rock'n'rollig bzw. punkig. Vier Gitarren und Keyboard. Mit dabei waren Jörg "Mischka" Mischke, Jörg Wilkendorf, Arne Hutzler, Torsten Ottersberg, Udo Kiehne und Detlev "Delle" Kriese. Christoph Frenz kam dann später hinzu und ersetzte ab 1990 Udo Kiehne.
Du sagtest, Ihr habt Rock'n'Roll gemacht ...
Ja, es war sehr rockiges Zeug. Vorrangig eigene Songs von Jörg Wilkendorf, ein paar Coversongs und wir spielten auch zwei drei Nummern der Blankenfelder Boggie Band, bei denen Jörg auch dabei war.
Ein eigenes Album gab es nicht, und beim Rundfunk produzierte Lieder erschien erst Jahre später nach GUNDERMANNs Tod auf der CD "Werkstücke 2". Hatte die Band damals eigentlich selbst einen Anteil an der Musik oder war sie lediglich ausführendes Organ zur Umsetzung der GUNDERMANNschen Kompositionen und Texte?
Sowohl als auch. Wir entwickelten Songs gemeinsam und arrangierten Sachen von GUNDERMANN. Es gab aber auch andere Sachen. Zum Beispiel wurden Text und Musik zu "Einsame Spitze" von Jörg Wilkendorf geschrieben. Es ist fast der einzige Song, bei dem "Gundi" den Text nicht selbst geschrieben hat. Auch die Musik zu "Sehnsucht nach dem Rattenfänger" stammt von den WILDERERN.
Wie hat GUNDERMANN seine Lieder gemacht? Hast Du den kreativen Prozess von ihm beobachten können oder sprach er mal darüber, wie er seine Lieder schrieb?
Ja, später bei der SEILSCHAFT. Gerade beim Autofahren dachte er sich Texte auf irgendwelche Musiken, die er auf Kassette - damals waren es ja noch immer die Kassetten - hatte, aus.
Wie lange waren die WILDERER damals seine Band? War es dieses oft erwähnte wilde Jahr oder ging das länger?
Na ja, es waren ca. eineinhalb Jahre, länger war es gar nicht. In der Zeit passierte aber sehr viel und es ging alles sehr schnell ... (lacht)
War der Übergang von den WILDEREN zur SEILSCHAFT fließend oder gab es dazwischen eine Pause?
Da gab es definitiv eine Pause. Wir hatten mit den WILDEREN und "Gundi" gemeinsam eine Tour und spielten noch ein paar einzelne Konzerte. Ich glaube, ihm war der Bandanteil damals zu groß. Wir waren einfach zu laut ... (lacht) Es war für ihn nicht einfach, gegen all die Gitarren anzusingen. In dieser Pause machte er mit den Leuten von SILLY die Platte "Einsame Spitze". Bevor die Platte gemacht wurde, hatten wir sogar auch schon Songs von ihnen gespielt und er suchte dann Leute, die die Platte live mit ihm auf die Bühne bringen können und kam wieder auf mich als Gitarristen zu.
Warum wurden die WILDERER eigentlich aufgelöst? Auch wenn GUNDERMANN gegangen war, hättet Ihr im Prinzip ja weitermachen können ...
Wir haben auch noch weitergemacht und spielten auch noch immer. Es gab allerdings einige bandinterne Dinge, wo wir sagten, wir lösen uns nicht auf, legen die Sache aber jetzt mal auf Eis. Ein paar Jahre später spielten wir dann noch ein oder zwei Mal, aber es war schwierig, nach den Jahren den alten Zauber wieder herzustellen. Mit "Gundi" hatte das weniger zu tun.
In dem Zusammengang fiel mir auf, dass Ihr Musiker damals und auch später eine enge Verbindung zu CÄSAR PETER GLÄSER hattet. Detlev Kriese spielte vorher und nachher bei ihm, CÄSAR wirkte bei GUNDERMANNs erster Platte mit und Du selbst hast nach "Gundis" Tod in seiner Band mitgespielt. Wie genau sah diese Verbindung aus? War das reiner Zufall oder fand da ein reger Austausch statt?
Also was mich betrifft, war es reiner Zufall. Ich hatte CÄSAR über Umwege per Studioarbeit kennengelernt. Ich betrieb eine Zeit lang ein eigenes Studio, nahm mit ihm eine CD auf und lernte ihn erst dann richtig kennen. Die Verbindung mit "Gundi" war immer noch da und nach seinem Tod hatte sich CÄSAR mit mir in Verbindung gesetzt und fragte mich, ob ich Lust hätte, bei ihm zu spielen.
Als SEILSCHAFT habt Ihr knapp acht Jahre zusammen zahlreiche Konzerte gespielt, hauptsächlich wohl im Braunkohlerevier und bis nach Berlin rauf. Ist das richtig?
Na ja, nicht nur im Braunkohlerevier, sondern auch sehr viel in Sachsen, in Thüringen oder in und um Magdeburg. Im Norden waren wir auch, allerdings nicht all zu oft. Es gab einige Ausflüge in den Westen, wir waren in Nürnberg beim "Bardentreffen", spielten einige Male in Stuttgart - es wurde immer voller ...
Es gab also deutschlandweit Konzerte?
Ja, auf jeden Fall.
Es heißt ja immer, "Gundi" wäre da in seinem Braunkohlerevier und dort wäre es abgegangen, wie die Post. Ansonsten hätte es nichts gegeben. Deshalb frage ich da mal nach ...
Nein, ganz im Gegenteil. Insbesondere um Berlin herum war es extrem voll, auch in Richtung Frankfurt/Oder. Wir hatten sogar eher das Problem, wenn wir direkt in Hoyerswerda spielten, dass es dort gar nicht so voll wurde. Wir hatten immer das Gefühl "Der Prophet im eigenen Land ..." (lacht)
Immerhin füllten sich die Hallen ja ...
Definitiv.
Wie stellte sich das für Dich persönlich dar? Der Erfolg von GUNDERMANN mit der SEILSCHAFT - von kommerziellem Erfolg wollte "Gundi" ja eigentlich gar nichts wissen, oder?
Das ist immer ein zweischneidiges Schwert. Einerseits möchte man, dass viele Leute die Songs hören, die man macht und es ist auch schöner, wenn die Säle voll sind, in denen man spielt und sich nicht nur ein paar Leute vor der Bühne tummeln. Aber es war für ihn bestimmt schwerer, damit klar zu kommen, als für uns als Band, weil man nicht vorn am Mikrofon, sondern einen Schritt weiter hinten steht. Da kann man die Sachen ganz sicher besser genießen. Auf ihm lastete die gesamte Verantwortung und jedes gesagte Wort wurde plötzlich immer wichtiger, je mehr Leute zuhörten.
Kam dieser Zuspruch der Menschen auf einen Schlag oder füllten sich die Säle erst so nach und nach?
Ich würde sagen, es kam nach und nach. Es gab Orte, an denen wir regelmäßig spielten, zum Beispiel waren wir jedes Jahr in Gera, und es wurde dort von Jahr zu Jahr voller. Es kam also nicht plötzlich und es gab auch keine Initialzündung. Es war schon ein Stück Arbeit, regelmäßig dort sein zu können. Wichtig war "Mundpropaganda", in den Medien fand nicht viel statt und Internet war zu dieser Zeit auch noch nicht so verbreitet, um sich austauschen zu können.
Ich hatte ja gerade schon mal gefragt, wie die Lieder damals entstanden sind und welche Funktion die Band hatte. Das dürfte bei der SEILSCHAFT komplett anders gewesen sein, denn da erschien es ja so, als ob GUNDERMANN alles gemacht hätte ... Oder täuscht das?
Das täuscht auf jeden Fall. Die Arbeitsweise war so, dass "Gundi" zu Hause mit einem Rhythmusgerät und einer Gitarre Songs aufgenommen und dazu gesungen hat. Die haben wir als Band dann gemeinsam arrangiert und die zweite Ebene war, dass Keyboarder Michael Nass und ich zu Hause Songs gebastelt und Demos erstellt haben, die wir ihm dann auf Kassette gaben und er dann seine Texte dazu schrieb. Das sind doch einige Songs, die von uns dazu kamen. Da könnten wir jetzt die Platten durchgehen, es sind bestimmt ca. 30 Prozent, an denen Micha Nass und ich beteiligt waren. Und wir trafen uns auch zu dritt bei "Gundi" zu Hause, um an Liedern zu arbeiten.
Das wäre meine nächste Frage gewesen, wie sich das gestaltete. Es war also schon ein engeres kreatives Schaffen von Euch Dreien ...
Also definitiv mehr und bedeutend enger, als mit den WILDERERN.
Um noch mal auf diese acht Jahre zurückzukommen. Was waren für Dich die prägendsten Erfahrungen und Erlebnisse, die Du in dieser Zeit mit GUNDERMANN gemacht hast? Gibt es welche, von denen Du heute noch zehrst?
Musik war für mich bis dahin immer mit Spaß verbunden - so ist es natürlich auch heute noch, aber ich entdeckte auch eine ernsthafte Seite. Zum Beispiel, dass man an Sachen arbeiten muss und sich mit Songs nicht zu schnell zufrieden gibt. "Oh ja, alles klar, wir haben den geprobt, wir können den spielen, super!", sondern dass man mehr ins Detail geht und viele Sachen einfach hinterfragt, die man musikalisch macht.
Nun wird GUNDERMANN heute wie ein Held verehrt. Wenn man die Leute fragt, ist er ein absolutes Idol und Idole haben bekanntlich nie Fehler gemacht und haben auch keine Macken. War er als Kollege ein unkomplizierter Mensch oder gab es auch Momente, in denen man sich aneinander rieb?
Ja natürlich gab es die. Er war ja ein Mensch und es ist immer das Problem, dass man im Nachhinein viele Dinge vergisst und auch beschönigt oder so. Ein großes Problem war natürlich, dass man sich relativ selten sah und beim Arbeiten in der Band manches viel enger machen wollte, was nicht ging, weil er immer weg musste usw. Und in Gedanken ist man manchmal eben auch ganz woanders. Ich habe ihn damals nie als Held gesehen, er war ein sehr angenehmer, kreativer und kluger Mensch, aber eben ein Mensch.
Du wirst es ja direkt miterlebt haben, als seine Stasi-Vergangenheit herauskam. Wie hast Du diese Zeit erlebt und hat er sich Euch gegenüber zu dem Thema geäußert?
Er hatte uns das vorher schon mal gesagt, irgendwann Backstage. Er sagte: "Ihr wisst ja, Ihr habt schon öfter über diese Arschlöcher gesprochen, die damals bei der Stasi waren. Ich war auch eine Zeit lang einer von denen." Dann erzählte er uns die Geschichte. Für mich - ich kannte ihn und seine Einstellungen ja - war das nicht so überraschend und irgendwie war es für ihn nur folgerichtig, dass er das nicht ausgelassen hat.
Ich als "Wessi" werde, anders als andere meiner Artgenossen, einen Teufel tun und darüber urteilen ...
(lacht) Das habe ich ihm damals auch gesagt. Ich bin froh, dass ich ihn erst nach der Wende kennengelernt habe, denn ich weiß nicht, wie es gewesen wäre, wenn man selbst in dieser Lage gewesen wäre, dass Berichte über einen geschrieben wurden. Das will ich mir doch lieber nicht vorstellen ... Sicher auch vor allem, weil man nicht weiß, wie man selbst reagiert hätte.
Gerade im künstlerischen Bereich musste man sich ja mit dem Staat arrangieren und sich auch ein Stück verbiegen, um überleben zu können. Gibt es für Dich deshalb sowas wie den guten und den schlechten IM?
(denkt kurz nach) Nein, nicht wirklich. Gut oder schlecht, ich weiß es nicht. Auch ich selbst wurde in verschiedenen Situationen gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, vielleicht mal Informationen zu liefern oder irgendwas zu erzählen. Ich lehnte das immer ab und es hatte nie Konsequenzen. Es war also nicht so, dass dann irgendwelche Dinge passierten. Es musste jeder für sich selbst entscheiden und andererseits war auch allen klar, dass viele Leute bei dem Verein dabei waren. Und man sagt ja auch, dass in jeder bekannteren Band mindestens einer dabei war und ich glaube, wenn man im Nachhinein so guckt, stimmt das auch. Viele hatten Glück, da war es nur der Techniker ... (lacht) Da konnte man sich weiter in die Augen sehen, in anderen Bands gab es richtige Verwerfungen.
"Gundi" ging tagsüber im Tagebau arbeiten, Du sagtest gerade, es war immer wenig Zeit und er spielte am Abend mit Euch Konzerte, die bis zu drei Stunden und gelegentlich auch mal länger gehen konnten. Raubbau am eigenen Körper nannte das mal jemand. Habt Ihr das eigentlich so wahrgenommen, dass er sich damit selbst quasi kaputt machte?
Ja, auf jeden Fall. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn irgendwann die Nachricht gekommen wäre, dass er nachts einen Verkehrsunfall hatte, weil er nach den Konzerten immer noch irgendwo hin fuhr. Das war so die Vorstellung und es war völlig klar, dass er viel zu viel machte. Tagsüber arbeiten, Frühschichten, die um 5.00 Uhr begannen, Nachtschichten, dann tagsüber mal proben. Kurz vor seinem Tod hatte er ja noch eine Umschulung zum Tischler gemacht. Da war der Tagesablauf etwas geregelter, aber er war mit dieser Umschulung total unglücklich.
Ging dieser Raubbau über einen längeren Zeitraum, hat er das von Anfang an gemacht, war das erst zuletzt so oder wie kann man sich das vorstellen?
Eigentlich kenne ich es nicht anders von ihm. Er führte irgendwie immer mindestens zwei Leben gleichzeitig, im Schnitt hatte er nur vier Stunden Schlaf. Ich erinnere mich noch an ein Gespräch, es gibt ja einige Leute, die mit nur vier Stunden Schlaf auskamen, wie zum Beispiel Napoleon oder Margaret Thatcher. Also Leute, die alle nicht alt geworden sind ...
In der Nacht zum 21. Juni 1998 starb GUNDERMANN an einem Schlaganfall. Wie und wo hast Du davon erfahren?
Am nächsten Morgen. Wenn ich mich nicht irre, war es ein Sonntag und ich hatte damals die dumme Angewohnheit, mein Telefon immer neben das Bett zu legen. Das gewöhnte ich mir seitdem wieder ab, um nicht mit irgendwelchen schlechten Nachrichten geweckt zu werden ...
Diese Nachricht dürfte Euch die Füße weggehauen haben ...
Ja, das war eine total furchtbare Situation für uns alle. Wir haben uns danach als Band in einer kleinen Datsche von Petra Kelling getroffen und waren dort mehrere Tage zusammen, um zu überlegen, wie man überhaupt damit umgehen und was man machen kann.
Da ist plötzlich eine Band ohne Frontmann. Du hast dieses Treffen erwähnt. Gab es damals überhaupt Überlegungen, ohne ihn weiter zu machen?
Wir haben kurz überlegt, ob wir etwas machen, aber uns war klar, dass Zeit ins Land gehen muss. Dass es so viel Zeit würde, hätte keiner gedacht. Aber eigentlich war klar, dass es nicht geht und dass man in dieser Konstellation nicht weitermachen kann.
Ich stelle mir vor, dass das eine ziemlich surreale Situation ist, wenn man so viele Jahre dicht beieinander ist, eng zusammenarbeitet und plötzlich ist der eigentliche Kern der Sache nicht mehr da. Wie hast Du diese Zeit - direkt danach - erlebt, wie ging es Dir, was hast Du da gemacht?
Ehrlich gesagt, kann ich mich so konkret gar nicht an diese Zeit erinnern. Es war ein absoluter Ausnahmezustand für alle und irgendwie war alles vernebelt. Er war ja mehrere Dinge gleichzeitig: Er war ein Freund, ein Kollege und ich kann mich an nichts so wirklich erinnern, es rauschte einfach alles an mir vorbei ...
Ende 2010 habt Ihr Euch entschieden, die Band wieder auf die Bühne zu bringen. Vertreter GUNDERMANNs wurde CHRISTIAN HAASE, für die Fans ein Glücksfall. Stimmt es, dass sich seine Frau Conny anfangs mit dieser Idee gar nicht anfreunden konnte?
Zumindest hatte ich den Eindruck. Ich weiß es natürlich nicht genau, weil wir nicht darüber gesprochen haben. Es machte den Anschein und ich kann mir gut vorstellen, wie schwer es ist, wenn da plötzlich jemand an der Stelle steht und diese Lieder singt. Und es sind ja teilweise auch ganz persönliche Lieder, zu denen sie ganz andere Zugänge hat, die wir nicht verstehen, weil wir viel zu wenig wissen.
Habt Ihr heute Kontakt zu ihr?
Ja, auf jeden Fall. Wir sehen uns zwar nicht regelmäßig, aber ein loser Kontakt besteht.
Habt Ihr mittlerweile mal darüber gesprochen, wie sie Eure Arbeit jetzt sieht?
Nein, darüber gab es nie ein Gespräch. Wobei - da könnte Tina bestimmt mehr dazu erzählen, denn sie spielen ja ab und zu bei den LIEDGEFÄHRTEN zusammen und von Frau zu Frau finden mitunter ja ganz andere Gespräche statt ...
Bis jetzt pflegt die SEILSCHAFT ja den Nachlass von GERHARD GUNDERMANN und trägt seine Lieder weiter hinaus ins Land. Ihr spielt Konzerte, HAASE singt die Lieder. Dieses Weitertragen des Nachlasses soll ja demnächst ein Stück weit erweitert werden, denn Ihr habt eigene Songs, richtig?
Ja, wir haben schon vor mittlerweile zwei oder drei Jahren angefangen, neue Songs zu machen. Was mich anbelangt, ist es in einer Band immer das wichtigste, dass man vorangeht, neue Sachen macht und nicht nur "Nachlassverwalter" ist. Gerade jetzt sind wir ziemlich dolle dabei, Songs zu machen. Wir haben einen großen Stapel, waren im Studio, nahmen schon viele Grundbänder auf und werkeln fleißig an den Liedern. Man muss immer sehen, wie man diesen Spagat hinbekommt, insbesondere live beide Sachen spielen zu können.
Es ist ja nicht davon auszugehen, dass Ihr nun plötzlich Pop-Musik für die Charts machen werdet. Wie weit seid Ihr mit den Arbeiten an den Songs und was wird die Leute erwarten, die sich am Ende die Platte kaufen werden?
Oh, das kann man natürlich erst sagen, wenn es fertig sein wird (lacht). Wir haben auf jeden Fall mehr Songs, als wir veröffentlichen werden. Mal sehen, in welche Richtung es gehen wird. Es wird auf jeden Fall im weitesten Sinne Singer-Songwriter-mäßig und auch mit folklorigen Einflüssen sein, die wir früher auch schon immer hatten. Wir sind mittlerweile ja alle 20 Jahre älter und da spielt man viele Sachen natürlich ganz anders. Solche Erfahrungen usw. werden alle mit einfließen.
Ihr habt von den neuen Sachen aber noch nichts live gespielt, oder?
Doch, "Es sieht nach Regen aus", das "Lebenslied" - die beiden Nummern schmuggelten wir immer so ein wenig dazwischen. Leider funktioniert das nicht wirklich, denn die Leute kennen ja alles von "Gundi" (lacht). Aber wir haben das natürlich auch entsprechend angesagt ...
Wie sind die Sachen denn angekommen bei den Leuten? Gab es direkte Feedbacks und konnte man sich mit den Fans schon darüber austauschen?
Ja, es kam sehr gut an und deshalb haben wir uns auch entschlossen, noch mehr neue Songs zu machen. Es ist schon erstaunlich, dass wir einen Song ein oder zwei Mal live gespielt haben und beim dritten Konzert wurde er schon mitgesungen. Da kam uns der Gedanke, in diese Richtung weitergehen zu wollen ...
Jetzt ist das immer so, wenn ein Musiker stirbt, hat er ja vielleicht noch irgendetwas angefangen oder etwas hinterlassen, was noch nicht verarbeitet wurde. Gibt es von GUNDERMANN einen Nachlass, der noch nicht vertont wurde?
Ich bin mir sicher, dass es da noch viele Texte gibt, zu denen wir aber nicht wirklich Zugang haben. Da wird Conny sicherlich viele Sachen haben und dann gibt es in Hoyerswerda ja auch noch diesen Verein und ich weiß nicht, ob dort noch viele Sachen von ihm herumliegen.
Im August kommt der GUNDERMANN-Film von Andreas Dresen in die Kinos. Hast Du ihn schon sehen können?
Nein, außer zwei Trailern sah ich noch nichts von dem Film.
Kam Dresen auf Euch Musikanten zu, bat Euch vielleicht sogar um eine Art der Mithilfe oder wart Ihr sogar aktiv beteiligt?
Mit Jens Quant, dem "Musical-Director" gab es Gespräche. Er wollte vieles von uns wissen. Aber musikalisch direkt haben wir mit dem Film gar nichts zu tun.
Aber Ihr seid in die Recherche, um diesen Film möglichst authentisch zu machen, schon mit einbezogen worden?
In die Recherchen auf jeden Fall. Wir haben uns vorher mehrmals mit Laila Stieler, der Drehbuchautorin, getroffen und sie führte mit uns allen einzelne Gespräche.
Wirst Du Dir den Film ansehen oder verzichtest Du darauf?
Ich werde ihn mir definitiv ansehen (lacht). Ich weiß noch nicht, wann und wo, aber das auf jeden Fall, na klar ...
Okay, jeder geht ja anders mit dem Thema um ...
Es ist schwierig. Als der zweite GUNDERMANN-Film von Richard Engel in die Kinos kam, waren wir bei der Premiere dabei. Es war ein Dokumentarfilm und es war schon sehr seltsam, wenn man sich selbst bei einer Beerdigung sieht, wie man an einem Grab steht. Da hätte ich mir dann doch eher gewünscht, nicht im Kino gewesen zu sein. Aber bei einem Spielfilm ist das etwas anders und ich bin schon gespannt, auch auf die Musik ... (lacht)
Die wurde neu eingespielt, richtig?
Ja, die wurde völlig neu eingespielt, auch ohne unsere Hilfe. Das finde ich bedauerlich, dazu kann man nicht wirklich etwas sagen. Man kann es nur akzeptieren und sagen, die Macher werden sich schon etwas dabei gedacht haben. Aber auch aus Authentizitätsgründen ist es schon schade. Das betrifft auch die FEUERSTEINE, das sind die Leute, die die anderen Songs gespielt haben, wobei da musikalisch ein riesiger Unterschied besteht.
Da bin ich nun auch gespannt. Mein lieber Mario, ich danke Dir für die Zeit und die Antworten auf meine vielen Fragen, in denen es ja fast ausschließlich um GUNDERMANN und weniger um Dich selbst ging. Bei Gelegenheit werden wir uns mal ausführlicher über Dich unterhalten, das holen wir nach, wenn die GUNDERMANN-Gedenktage vorbei sind.
(lacht) Das können wir sehr gerne machen, ich freue mich drauf!
Mach's gut!
Du auch. Tschüss!
In diesem Sommer jährt sich zum 20. Mal der Todestag von GERHARD GUNDERMANN. An ihn wird entsprechend erinnert, zahlreiche Veranstaltungen finden rund um diesen Tag statt. Braucht jemand wie Du, der so lange mit ihm gearbeitet hat, überhaupt irgendwelche Jahrestage, um sich zu erinnern?
Nein, definitiv nicht. Das passiert zwischendurch immer wieder und ziemlich oft. Und in letzter Zeit sogar sehr oft. Ich bin eh nicht so derjenige, der sich an Jahreszahlen festmacht.
Wie und wann haben GUNDERMANN und Du Euch eigentlich kennengelernt?
Gehört habe ich ihn das erste Mal, als ich bei der Armee war. Das war im Jahre 1988. Da lief der Song "Halte durch" im Radio. Das fiel mir auf, weil es anders war, als andere Lieder. Persönlich gesehen habe ich ihn, als wir mit den WILDERERN bei einer Talkshow beim ehemaligen SFB waren. Da waren wir als musikalische Gäste und er war Gesprächsgast. Hinterher kamen wir ins Gespräch und es war so der Klassiker in der Musik: "Wir müssen unbedingt mal etwas zusammen machen ..." Es kam auch dann dazu, dass er mit den WILDERERN etwas gemeinsam machte.
Für die Leute, die nicht so tief im Thema stecken: Was waren die WILDERER für eine Band, wer gehörte dazu, wie entstand sie und welche Ziele hattet Ihr damals?
Die WILDERER waren zunächst ein loser Zusammenschluss von Musikern, die sich aus verschiedenen Bands kannten. Als ich von der Armee kam, fingen wir im Frühjahr 1988 an, gemeinsam zu spielen. Es war eine Band mit vier Gitarren, also sehr rock'n'rollig bzw. punkig. Vier Gitarren und Keyboard. Mit dabei waren Jörg "Mischka" Mischke, Jörg Wilkendorf, Arne Hutzler, Torsten Ottersberg, Udo Kiehne und Detlev "Delle" Kriese. Christoph Frenz kam dann später hinzu und ersetzte ab 1990 Udo Kiehne.
Du sagtest, Ihr habt Rock'n'Roll gemacht ...
Ja, es war sehr rockiges Zeug. Vorrangig eigene Songs von Jörg Wilkendorf, ein paar Coversongs und wir spielten auch zwei drei Nummern der Blankenfelder Boggie Band, bei denen Jörg auch dabei war.
Ein eigenes Album gab es nicht, und beim Rundfunk produzierte Lieder erschien erst Jahre später nach GUNDERMANNs Tod auf der CD "Werkstücke 2". Hatte die Band damals eigentlich selbst einen Anteil an der Musik oder war sie lediglich ausführendes Organ zur Umsetzung der GUNDERMANNschen Kompositionen und Texte?
Sowohl als auch. Wir entwickelten Songs gemeinsam und arrangierten Sachen von GUNDERMANN. Es gab aber auch andere Sachen. Zum Beispiel wurden Text und Musik zu "Einsame Spitze" von Jörg Wilkendorf geschrieben. Es ist fast der einzige Song, bei dem "Gundi" den Text nicht selbst geschrieben hat. Auch die Musik zu "Sehnsucht nach dem Rattenfänger" stammt von den WILDERERN.
Wie hat GUNDERMANN seine Lieder gemacht? Hast Du den kreativen Prozess von ihm beobachten können oder sprach er mal darüber, wie er seine Lieder schrieb?
Ja, später bei der SEILSCHAFT. Gerade beim Autofahren dachte er sich Texte auf irgendwelche Musiken, die er auf Kassette - damals waren es ja noch immer die Kassetten - hatte, aus.
Wie lange waren die WILDERER damals seine Band? War es dieses oft erwähnte wilde Jahr oder ging das länger?
Na ja, es waren ca. eineinhalb Jahre, länger war es gar nicht. In der Zeit passierte aber sehr viel und es ging alles sehr schnell ... (lacht)
War der Übergang von den WILDEREN zur SEILSCHAFT fließend oder gab es dazwischen eine Pause?
Da gab es definitiv eine Pause. Wir hatten mit den WILDEREN und "Gundi" gemeinsam eine Tour und spielten noch ein paar einzelne Konzerte. Ich glaube, ihm war der Bandanteil damals zu groß. Wir waren einfach zu laut ... (lacht) Es war für ihn nicht einfach, gegen all die Gitarren anzusingen. In dieser Pause machte er mit den Leuten von SILLY die Platte "Einsame Spitze". Bevor die Platte gemacht wurde, hatten wir sogar auch schon Songs von ihnen gespielt und er suchte dann Leute, die die Platte live mit ihm auf die Bühne bringen können und kam wieder auf mich als Gitarristen zu.
Warum wurden die WILDERER eigentlich aufgelöst? Auch wenn GUNDERMANN gegangen war, hättet Ihr im Prinzip ja weitermachen können ...
Wir haben auch noch weitergemacht und spielten auch noch immer. Es gab allerdings einige bandinterne Dinge, wo wir sagten, wir lösen uns nicht auf, legen die Sache aber jetzt mal auf Eis. Ein paar Jahre später spielten wir dann noch ein oder zwei Mal, aber es war schwierig, nach den Jahren den alten Zauber wieder herzustellen. Mit "Gundi" hatte das weniger zu tun.
In dem Zusammengang fiel mir auf, dass Ihr Musiker damals und auch später eine enge Verbindung zu CÄSAR PETER GLÄSER hattet. Detlev Kriese spielte vorher und nachher bei ihm, CÄSAR wirkte bei GUNDERMANNs erster Platte mit und Du selbst hast nach "Gundis" Tod in seiner Band mitgespielt. Wie genau sah diese Verbindung aus? War das reiner Zufall oder fand da ein reger Austausch statt?
Also was mich betrifft, war es reiner Zufall. Ich hatte CÄSAR über Umwege per Studioarbeit kennengelernt. Ich betrieb eine Zeit lang ein eigenes Studio, nahm mit ihm eine CD auf und lernte ihn erst dann richtig kennen. Die Verbindung mit "Gundi" war immer noch da und nach seinem Tod hatte sich CÄSAR mit mir in Verbindung gesetzt und fragte mich, ob ich Lust hätte, bei ihm zu spielen.
Als SEILSCHAFT habt Ihr knapp acht Jahre zusammen zahlreiche Konzerte gespielt, hauptsächlich wohl im Braunkohlerevier und bis nach Berlin rauf. Ist das richtig?
Na ja, nicht nur im Braunkohlerevier, sondern auch sehr viel in Sachsen, in Thüringen oder in und um Magdeburg. Im Norden waren wir auch, allerdings nicht all zu oft. Es gab einige Ausflüge in den Westen, wir waren in Nürnberg beim "Bardentreffen", spielten einige Male in Stuttgart - es wurde immer voller ...
Es gab also deutschlandweit Konzerte?
Ja, auf jeden Fall.
Es heißt ja immer, "Gundi" wäre da in seinem Braunkohlerevier und dort wäre es abgegangen, wie die Post. Ansonsten hätte es nichts gegeben. Deshalb frage ich da mal nach ...
Nein, ganz im Gegenteil. Insbesondere um Berlin herum war es extrem voll, auch in Richtung Frankfurt/Oder. Wir hatten sogar eher das Problem, wenn wir direkt in Hoyerswerda spielten, dass es dort gar nicht so voll wurde. Wir hatten immer das Gefühl "Der Prophet im eigenen Land ..." (lacht)
Immerhin füllten sich die Hallen ja ...
Definitiv.
Wie stellte sich das für Dich persönlich dar? Der Erfolg von GUNDERMANN mit der SEILSCHAFT - von kommerziellem Erfolg wollte "Gundi" ja eigentlich gar nichts wissen, oder?
Das ist immer ein zweischneidiges Schwert. Einerseits möchte man, dass viele Leute die Songs hören, die man macht und es ist auch schöner, wenn die Säle voll sind, in denen man spielt und sich nicht nur ein paar Leute vor der Bühne tummeln. Aber es war für ihn bestimmt schwerer, damit klar zu kommen, als für uns als Band, weil man nicht vorn am Mikrofon, sondern einen Schritt weiter hinten steht. Da kann man die Sachen ganz sicher besser genießen. Auf ihm lastete die gesamte Verantwortung und jedes gesagte Wort wurde plötzlich immer wichtiger, je mehr Leute zuhörten.
Kam dieser Zuspruch der Menschen auf einen Schlag oder füllten sich die Säle erst so nach und nach?
Ich würde sagen, es kam nach und nach. Es gab Orte, an denen wir regelmäßig spielten, zum Beispiel waren wir jedes Jahr in Gera, und es wurde dort von Jahr zu Jahr voller. Es kam also nicht plötzlich und es gab auch keine Initialzündung. Es war schon ein Stück Arbeit, regelmäßig dort sein zu können. Wichtig war "Mundpropaganda", in den Medien fand nicht viel statt und Internet war zu dieser Zeit auch noch nicht so verbreitet, um sich austauschen zu können.
Ich hatte ja gerade schon mal gefragt, wie die Lieder damals entstanden sind und welche Funktion die Band hatte. Das dürfte bei der SEILSCHAFT komplett anders gewesen sein, denn da erschien es ja so, als ob GUNDERMANN alles gemacht hätte ... Oder täuscht das?
Das täuscht auf jeden Fall. Die Arbeitsweise war so, dass "Gundi" zu Hause mit einem Rhythmusgerät und einer Gitarre Songs aufgenommen und dazu gesungen hat. Die haben wir als Band dann gemeinsam arrangiert und die zweite Ebene war, dass Keyboarder Michael Nass und ich zu Hause Songs gebastelt und Demos erstellt haben, die wir ihm dann auf Kassette gaben und er dann seine Texte dazu schrieb. Das sind doch einige Songs, die von uns dazu kamen. Da könnten wir jetzt die Platten durchgehen, es sind bestimmt ca. 30 Prozent, an denen Micha Nass und ich beteiligt waren. Und wir trafen uns auch zu dritt bei "Gundi" zu Hause, um an Liedern zu arbeiten.
Das wäre meine nächste Frage gewesen, wie sich das gestaltete. Es war also schon ein engeres kreatives Schaffen von Euch Dreien ...
Also definitiv mehr und bedeutend enger, als mit den WILDERERN.
Um noch mal auf diese acht Jahre zurückzukommen. Was waren für Dich die prägendsten Erfahrungen und Erlebnisse, die Du in dieser Zeit mit GUNDERMANN gemacht hast? Gibt es welche, von denen Du heute noch zehrst?
Musik war für mich bis dahin immer mit Spaß verbunden - so ist es natürlich auch heute noch, aber ich entdeckte auch eine ernsthafte Seite. Zum Beispiel, dass man an Sachen arbeiten muss und sich mit Songs nicht zu schnell zufrieden gibt. "Oh ja, alles klar, wir haben den geprobt, wir können den spielen, super!", sondern dass man mehr ins Detail geht und viele Sachen einfach hinterfragt, die man musikalisch macht.
Nun wird GUNDERMANN heute wie ein Held verehrt. Wenn man die Leute fragt, ist er ein absolutes Idol und Idole haben bekanntlich nie Fehler gemacht und haben auch keine Macken. War er als Kollege ein unkomplizierter Mensch oder gab es auch Momente, in denen man sich aneinander rieb?
Ja natürlich gab es die. Er war ja ein Mensch und es ist immer das Problem, dass man im Nachhinein viele Dinge vergisst und auch beschönigt oder so. Ein großes Problem war natürlich, dass man sich relativ selten sah und beim Arbeiten in der Band manches viel enger machen wollte, was nicht ging, weil er immer weg musste usw. Und in Gedanken ist man manchmal eben auch ganz woanders. Ich habe ihn damals nie als Held gesehen, er war ein sehr angenehmer, kreativer und kluger Mensch, aber eben ein Mensch.
Du wirst es ja direkt miterlebt haben, als seine Stasi-Vergangenheit herauskam. Wie hast Du diese Zeit erlebt und hat er sich Euch gegenüber zu dem Thema geäußert?
Er hatte uns das vorher schon mal gesagt, irgendwann Backstage. Er sagte: "Ihr wisst ja, Ihr habt schon öfter über diese Arschlöcher gesprochen, die damals bei der Stasi waren. Ich war auch eine Zeit lang einer von denen." Dann erzählte er uns die Geschichte. Für mich - ich kannte ihn und seine Einstellungen ja - war das nicht so überraschend und irgendwie war es für ihn nur folgerichtig, dass er das nicht ausgelassen hat.
Ich als "Wessi" werde, anders als andere meiner Artgenossen, einen Teufel tun und darüber urteilen ...
(lacht) Das habe ich ihm damals auch gesagt. Ich bin froh, dass ich ihn erst nach der Wende kennengelernt habe, denn ich weiß nicht, wie es gewesen wäre, wenn man selbst in dieser Lage gewesen wäre, dass Berichte über einen geschrieben wurden. Das will ich mir doch lieber nicht vorstellen ... Sicher auch vor allem, weil man nicht weiß, wie man selbst reagiert hätte.
Gerade im künstlerischen Bereich musste man sich ja mit dem Staat arrangieren und sich auch ein Stück verbiegen, um überleben zu können. Gibt es für Dich deshalb sowas wie den guten und den schlechten IM?
(denkt kurz nach) Nein, nicht wirklich. Gut oder schlecht, ich weiß es nicht. Auch ich selbst wurde in verschiedenen Situationen gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, vielleicht mal Informationen zu liefern oder irgendwas zu erzählen. Ich lehnte das immer ab und es hatte nie Konsequenzen. Es war also nicht so, dass dann irgendwelche Dinge passierten. Es musste jeder für sich selbst entscheiden und andererseits war auch allen klar, dass viele Leute bei dem Verein dabei waren. Und man sagt ja auch, dass in jeder bekannteren Band mindestens einer dabei war und ich glaube, wenn man im Nachhinein so guckt, stimmt das auch. Viele hatten Glück, da war es nur der Techniker ... (lacht) Da konnte man sich weiter in die Augen sehen, in anderen Bands gab es richtige Verwerfungen.
"Gundi" ging tagsüber im Tagebau arbeiten, Du sagtest gerade, es war immer wenig Zeit und er spielte am Abend mit Euch Konzerte, die bis zu drei Stunden und gelegentlich auch mal länger gehen konnten. Raubbau am eigenen Körper nannte das mal jemand. Habt Ihr das eigentlich so wahrgenommen, dass er sich damit selbst quasi kaputt machte?
Ja, auf jeden Fall. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn irgendwann die Nachricht gekommen wäre, dass er nachts einen Verkehrsunfall hatte, weil er nach den Konzerten immer noch irgendwo hin fuhr. Das war so die Vorstellung und es war völlig klar, dass er viel zu viel machte. Tagsüber arbeiten, Frühschichten, die um 5.00 Uhr begannen, Nachtschichten, dann tagsüber mal proben. Kurz vor seinem Tod hatte er ja noch eine Umschulung zum Tischler gemacht. Da war der Tagesablauf etwas geregelter, aber er war mit dieser Umschulung total unglücklich.
Ging dieser Raubbau über einen längeren Zeitraum, hat er das von Anfang an gemacht, war das erst zuletzt so oder wie kann man sich das vorstellen?
Eigentlich kenne ich es nicht anders von ihm. Er führte irgendwie immer mindestens zwei Leben gleichzeitig, im Schnitt hatte er nur vier Stunden Schlaf. Ich erinnere mich noch an ein Gespräch, es gibt ja einige Leute, die mit nur vier Stunden Schlaf auskamen, wie zum Beispiel Napoleon oder Margaret Thatcher. Also Leute, die alle nicht alt geworden sind ...
In der Nacht zum 21. Juni 1998 starb GUNDERMANN an einem Schlaganfall. Wie und wo hast Du davon erfahren?
Am nächsten Morgen. Wenn ich mich nicht irre, war es ein Sonntag und ich hatte damals die dumme Angewohnheit, mein Telefon immer neben das Bett zu legen. Das gewöhnte ich mir seitdem wieder ab, um nicht mit irgendwelchen schlechten Nachrichten geweckt zu werden ...
Diese Nachricht dürfte Euch die Füße weggehauen haben ...
Ja, das war eine total furchtbare Situation für uns alle. Wir haben uns danach als Band in einer kleinen Datsche von Petra Kelling getroffen und waren dort mehrere Tage zusammen, um zu überlegen, wie man überhaupt damit umgehen und was man machen kann.
Da ist plötzlich eine Band ohne Frontmann. Du hast dieses Treffen erwähnt. Gab es damals überhaupt Überlegungen, ohne ihn weiter zu machen?
Wir haben kurz überlegt, ob wir etwas machen, aber uns war klar, dass Zeit ins Land gehen muss. Dass es so viel Zeit würde, hätte keiner gedacht. Aber eigentlich war klar, dass es nicht geht und dass man in dieser Konstellation nicht weitermachen kann.
Ich stelle mir vor, dass das eine ziemlich surreale Situation ist, wenn man so viele Jahre dicht beieinander ist, eng zusammenarbeitet und plötzlich ist der eigentliche Kern der Sache nicht mehr da. Wie hast Du diese Zeit - direkt danach - erlebt, wie ging es Dir, was hast Du da gemacht?
Ehrlich gesagt, kann ich mich so konkret gar nicht an diese Zeit erinnern. Es war ein absoluter Ausnahmezustand für alle und irgendwie war alles vernebelt. Er war ja mehrere Dinge gleichzeitig: Er war ein Freund, ein Kollege und ich kann mich an nichts so wirklich erinnern, es rauschte einfach alles an mir vorbei ...
Ende 2010 habt Ihr Euch entschieden, die Band wieder auf die Bühne zu bringen. Vertreter GUNDERMANNs wurde CHRISTIAN HAASE, für die Fans ein Glücksfall. Stimmt es, dass sich seine Frau Conny anfangs mit dieser Idee gar nicht anfreunden konnte?
Zumindest hatte ich den Eindruck. Ich weiß es natürlich nicht genau, weil wir nicht darüber gesprochen haben. Es machte den Anschein und ich kann mir gut vorstellen, wie schwer es ist, wenn da plötzlich jemand an der Stelle steht und diese Lieder singt. Und es sind ja teilweise auch ganz persönliche Lieder, zu denen sie ganz andere Zugänge hat, die wir nicht verstehen, weil wir viel zu wenig wissen.
Habt Ihr heute Kontakt zu ihr?
Ja, auf jeden Fall. Wir sehen uns zwar nicht regelmäßig, aber ein loser Kontakt besteht.
Habt Ihr mittlerweile mal darüber gesprochen, wie sie Eure Arbeit jetzt sieht?
Nein, darüber gab es nie ein Gespräch. Wobei - da könnte Tina bestimmt mehr dazu erzählen, denn sie spielen ja ab und zu bei den LIEDGEFÄHRTEN zusammen und von Frau zu Frau finden mitunter ja ganz andere Gespräche statt ...
Bis jetzt pflegt die SEILSCHAFT ja den Nachlass von GERHARD GUNDERMANN und trägt seine Lieder weiter hinaus ins Land. Ihr spielt Konzerte, HAASE singt die Lieder. Dieses Weitertragen des Nachlasses soll ja demnächst ein Stück weit erweitert werden, denn Ihr habt eigene Songs, richtig?
Ja, wir haben schon vor mittlerweile zwei oder drei Jahren angefangen, neue Songs zu machen. Was mich anbelangt, ist es in einer Band immer das wichtigste, dass man vorangeht, neue Sachen macht und nicht nur "Nachlassverwalter" ist. Gerade jetzt sind wir ziemlich dolle dabei, Songs zu machen. Wir haben einen großen Stapel, waren im Studio, nahmen schon viele Grundbänder auf und werkeln fleißig an den Liedern. Man muss immer sehen, wie man diesen Spagat hinbekommt, insbesondere live beide Sachen spielen zu können.
Es ist ja nicht davon auszugehen, dass Ihr nun plötzlich Pop-Musik für die Charts machen werdet. Wie weit seid Ihr mit den Arbeiten an den Songs und was wird die Leute erwarten, die sich am Ende die Platte kaufen werden?
Oh, das kann man natürlich erst sagen, wenn es fertig sein wird (lacht). Wir haben auf jeden Fall mehr Songs, als wir veröffentlichen werden. Mal sehen, in welche Richtung es gehen wird. Es wird auf jeden Fall im weitesten Sinne Singer-Songwriter-mäßig und auch mit folklorigen Einflüssen sein, die wir früher auch schon immer hatten. Wir sind mittlerweile ja alle 20 Jahre älter und da spielt man viele Sachen natürlich ganz anders. Solche Erfahrungen usw. werden alle mit einfließen.
Ihr habt von den neuen Sachen aber noch nichts live gespielt, oder?
Doch, "Es sieht nach Regen aus", das "Lebenslied" - die beiden Nummern schmuggelten wir immer so ein wenig dazwischen. Leider funktioniert das nicht wirklich, denn die Leute kennen ja alles von "Gundi" (lacht). Aber wir haben das natürlich auch entsprechend angesagt ...
Wie sind die Sachen denn angekommen bei den Leuten? Gab es direkte Feedbacks und konnte man sich mit den Fans schon darüber austauschen?
Ja, es kam sehr gut an und deshalb haben wir uns auch entschlossen, noch mehr neue Songs zu machen. Es ist schon erstaunlich, dass wir einen Song ein oder zwei Mal live gespielt haben und beim dritten Konzert wurde er schon mitgesungen. Da kam uns der Gedanke, in diese Richtung weitergehen zu wollen ...
Jetzt ist das immer so, wenn ein Musiker stirbt, hat er ja vielleicht noch irgendetwas angefangen oder etwas hinterlassen, was noch nicht verarbeitet wurde. Gibt es von GUNDERMANN einen Nachlass, der noch nicht vertont wurde?
Ich bin mir sicher, dass es da noch viele Texte gibt, zu denen wir aber nicht wirklich Zugang haben. Da wird Conny sicherlich viele Sachen haben und dann gibt es in Hoyerswerda ja auch noch diesen Verein und ich weiß nicht, ob dort noch viele Sachen von ihm herumliegen.
Im August kommt der GUNDERMANN-Film von Andreas Dresen in die Kinos. Hast Du ihn schon sehen können?
Nein, außer zwei Trailern sah ich noch nichts von dem Film.
Kam Dresen auf Euch Musikanten zu, bat Euch vielleicht sogar um eine Art der Mithilfe oder wart Ihr sogar aktiv beteiligt?
Mit Jens Quant, dem "Musical-Director" gab es Gespräche. Er wollte vieles von uns wissen. Aber musikalisch direkt haben wir mit dem Film gar nichts zu tun.
Aber Ihr seid in die Recherche, um diesen Film möglichst authentisch zu machen, schon mit einbezogen worden?
In die Recherchen auf jeden Fall. Wir haben uns vorher mehrmals mit Laila Stieler, der Drehbuchautorin, getroffen und sie führte mit uns allen einzelne Gespräche.
Wirst Du Dir den Film ansehen oder verzichtest Du darauf?
Ich werde ihn mir definitiv ansehen (lacht). Ich weiß noch nicht, wann und wo, aber das auf jeden Fall, na klar ...
Okay, jeder geht ja anders mit dem Thema um ...
Es ist schwierig. Als der zweite GUNDERMANN-Film von Richard Engel in die Kinos kam, waren wir bei der Premiere dabei. Es war ein Dokumentarfilm und es war schon sehr seltsam, wenn man sich selbst bei einer Beerdigung sieht, wie man an einem Grab steht. Da hätte ich mir dann doch eher gewünscht, nicht im Kino gewesen zu sein. Aber bei einem Spielfilm ist das etwas anders und ich bin schon gespannt, auch auf die Musik ... (lacht)
Die wurde neu eingespielt, richtig?
Ja, die wurde völlig neu eingespielt, auch ohne unsere Hilfe. Das finde ich bedauerlich, dazu kann man nicht wirklich etwas sagen. Man kann es nur akzeptieren und sagen, die Macher werden sich schon etwas dabei gedacht haben. Aber auch aus Authentizitätsgründen ist es schon schade. Das betrifft auch die FEUERSTEINE, das sind die Leute, die die anderen Songs gespielt haben, wobei da musikalisch ein riesiger Unterschied besteht.
Da bin ich nun auch gespannt. Mein lieber Mario, ich danke Dir für die Zeit und die Antworten auf meine vielen Fragen, in denen es ja fast ausschließlich um GUNDERMANN und weniger um Dich selbst ging. Bei Gelegenheit werden wir uns mal ausführlicher über Dich unterhalten, das holen wir nach, wenn die GUNDERMANN-Gedenktage vorbei sind.
(lacht) Das können wir sehr gerne machen, ich freue mich drauf!
Mach's gut!
Du auch. Tschüss!
Interview: Christian Reder
Bearbeitung: MB
Fotos: Pressematerial, Stephan Auner, Volker Palme
Bearbeitung: MB
Fotos: Pressematerial, Stephan Auner, Volker Palme