Volly Tanner trifft ...

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Interview vom 30. März 2018



Gerade kam ein neues Falkenberg-Album heraus, welches tiefgründig nach Stoff bohrt, die Welt zu verstehen. Und da der Tanner auch immernoch nach Antworten sucht, fragte er den Falkenberg einfach mal ein bisschen aus:



001 20180401 1654284535Guten Tag, Falkenberg. Gerade hast Du mit Deinem neuen Album "Die Apathie der Sterne" den nächsten Stein ins gesamtgesellschaftliche Kuddelmuddel geschoben. Wobei Du immer klarer wirst in Deinen Texten zur Lage des Planeten. Doch wo sind die bunten Farben hin? Da war doch mal was in den Achtziger Jahren.
Vielleicht wirken meine Achtziger aus der heutigen Perspektive für manchen so bunt wie ein Disney-Film, in meinem Rückspiegel sehe ich aber nur einen grau verhangenen Himmel. Ich erinnere mich an ein paar seltene, lichte Momente, die aus der heutigen, verklärten Sicht des Infotainments wie Farben wirken könnten. Der erste tiefe Schnitt war sicherlich meine Zeit bei der Armee. Meinen Eltern zuliebe hatte ich darauf verzichtet die Waffe zu verweigern, also wurde ich ganz normal eingezogen. Als erstes kassierte die Stasi meine Songtexte, mit einem zielgerichteten Griff in meinen Seesack. Daraufhin wurde meine Zeit dort von drei IMs dokumentiert, wie ich Jahre später aus meiner Akte erfuhr. Unerwartet verstarb meine Mutter. Um zu ihrer Beisetzung fahren zu dürfen, bedurfte es der Intervention eines gütigen Offiziers, der davon erfuhr. Dieser Offizier bewahrte mich auch, wie ich heute weiß, vor dem NVA-Knast und Bautzen, denn das war der Plan der NVA-Oberen. Irgendwann war das Eingesperrtsein vorbei. Freiheit. Ich wollte weitermachen wo ich vor der Armeezeit angefangen hatte, Lieder schreiben und diese auch singen. Ich begann ziemlich schnell mit Freunden an einem Folkprojekt zu arbeiten. Dann kam aber auch das Angebot einer halleschen Jazzrockband, das ich letztendlich annahm. Ich habe dort viel gelernt. Als es mir aber darum ging, meine eigenen Songs zu schreiben und zu singen, endete das mit meiner Entlassung. Nächste Station, das gleiche Desaster mit einer New-Wave-Cover-Band aus Magdeburg, aber auch hier konnte ich wichtige Erfahrungen und Fähigkeiten sammeln. Dann wieder Halle, eine New-Wave-Punk-Band; hier durfte ich auch endlich Eigenes schreiben und singen. Vor der Auflösung der Band spielten wir noch ein Konzert in Suhl. Eigentlich war es so eine Art Showcase bei der After-Show-Party eines FDJ-Bandcontests. Ein kleiner Skandal, mit einem scheinbar blutverschmierten "Neuen Deutschland" als Requisit meiner Performance, brachte mir die Sympathie einiger Leute von DT64 und den Unmut der anwesenden Funktionäre und DDR-Unterhaltungskünstler ein. Beim Frühstück am nächsten Morgen kam jemand auf mich zu, gab mir eine Karte mit einer Telefonnummer, meinte er sei von Stern Meissen, sie suchen einen Sänger und ich sollte mich mal melden. Ich wohnte damals schon in Berlin/Köpenick. Ein paar Wochen später fiel mir die Karte wieder ein, ich hatte ja keine Band mehr. Ich rief an und wurde zu einem Gespräch eingeladen. Ich bekam ein Demo-Tape, um mich vorzubereiten. Ein paar Tage später fuhr ich dann zu Stern Meissen ins Studio, sang wie dreißig andere die Songs ein. Die Musiker signalisierten, dass sie jetzt was ganz anderes, zeitgemäßeres machen wollten. Das klang für mich spannend und ich wurde der neue Sänger. Leider machten die neuen Kollegen nach den ersten desaströsen Konzerten einen Rückzieher. Die Leute erwarteten natürlich und völlig verständlich den gewohnten Artrock der Siebziger und bekamen einen unkontrolliert rumspringenden dünnen Jungen in Springerstiefeln und bunten Haaren, der mehr rief als sang. Den Zorn, die Beleidigungen, die Demütigungen musste ich allein ertragen. Der Band schien ich fast unangenehm zu sein, so nach dem Motto, "Wir kennen den gar nicht". Erst als sich sehr schnell die ersten Erfolge einstellten, gab es auch mal ein Schulterklopfen. Ich bemerkte zu spät, dass ich in der völlig falschen Ecke der Szene Ost gelandet war. Es war zu spät, ich ließ mich treiben und tragen vom Erfolg und den Möglichkeiten, die sich mir erschlossen. Es war sehr komfortabel. Einer nach dem Anderen verließ dann die Band in Richtung Reisekaderorchester. Es kamen neue Musiker. Mir war damals nicht klar, dass ich der Grund dafür war, dass Stern Meissen nicht reisen durfte. Die Firma blieb mir auf den Fersen. Gegen alle Widerstände der Band begann ich dann mein Soloprojekt und da kam tatsächlich etwas Farbe in mein Leben. Ich war damit wesentlich erfolgreicher als mit Stern Meissen, die wiederum davon profitierten. Im Sommer '89 kündigte ich dann meinen Ausstieg an. Ich konnte das einfach nicht mehr machen.

In "Die Schiffe verneigen sich vor dem Strand" singst Du: "Hoffnung tropft aus den Wunden." Nur Hoffnung? Hat Hoffnung überhaupt noch Sinn oder sind alle Messen gelesen? Ich habe manchmal doch eher das Gefühl, dass ein großes, reinigendes Desaster weit sinnvoller ist als ein Festhalten an der Hoffnung.
Es gibt so vieles, das mich hoffen lässt. Ich glaube, es hilft, größere Zeitspannen zu betrachten. Die Geißeln der Menschheit: der Krieg, die Seuchen, der Hunger, bedrohen weiterhin die menschliche Existenz, aber bei weitem nicht mehr so unkontrolliert wie in den vergangenen Jahrhunderten. In den letzten hundert Jahren konnte beispielsweise die Kindersterblichkeit enorm gesenkt werden. Seuchen wie die Spanische Grippe, die Millionen Todesopfer weltweit forderte, scheinen in diesem Ausmaß heute unmöglich. Auch die Kriegsherde brennen nicht mehr so flächendeckend. Der Hunger kann heute durch starke internationale Netzwerke besser bekämpft werden als je zuvor. Ich möchte all das Furchtbare, dass immer noch überall auf der Welt passiert, keinesfalls kleinreden oder verharmlosen, aber das sind Fortschritte, die letztendlich doch bedeuten, dass sich etwas bewegt, dass das kollektive Bewusstsein global wächst. Die Evolution braucht offensichtlich ihre Zeit. Vielleicht schaffen wir es ja unser Heute zu überleben.

Du bist ein autonomer Künstler, ein Selbermacher. Texte, Musik, Label - alles in Deinen Händen. Das scheint heute nicht mehr der zielführende - weil Erfolg bringende - Weg zu sein. Oder irre ich mich da? Mit jedem Lied bist doch auch Du Teil der Popindustrie.
Ich glaube, ich bin mit dem, was ich inhaltlich mache, schon mal weit entfernt davon, populär sein zu können. Meine Alben, die ich auf meinem Label veröffentliche, das sich einzig und allein meiner Musik widmet, sind keine industriell gefertigte Konfektionsware. Ich habe meine Erfahrungen mit der Musikindustrie Anfang der Neunziger gemacht und mich entschieden, mein künstlerisches Leben autonom weiterzuführen.004 20180401 1003020133 Für mich ist es der einzig gangbare Weg. Die Behauptung vieler Industriemusiker, dass sie die absolute Kontrolle über ihr Werk haben, ist nach meiner Erfahrung der größte Selbstbetrug der Branche. Wenn man als Industriemusiker Lieder veröffentlicht, die sich mit den Brüchen in unserer Gesellschaft auseinandersetzen, kritisiert man ein System, das man ja mitträgt, das ist absurd und bigott. Klar spielen viele dieser Acts, wenn sie ein neues Album promoten müssen, gern auch mal auf einem Festival gegen den erstarkenden Neofaschismus, wenn es ausreichend Polizeischutz gibt. Auf ihren Alben sucht man aber vergeblich nach Liedern, die sich damit auseinandersetzen, denn das spielt keiner im Radio, das kostet Publikum, weil es polarisiert.

Ich mag, wie Du ja weißt, Dein Lied "Brot und Beton" sehr. Darin singst Du von "... schamlosen Leben" und "Schöner Wohnen hinter Mauern". Ist dieser Rückzug derer, die es sich leisten können, sich Sicherheit hinter Mauern zu erkaufen, nicht nachvollziehbar? Ist gerechtes Sein für alle wirklich machbar? Auch für die, die sowieso immer alles Scheiße finden und destruktiv zerstören?
Auch hier hilft es den Raum der Betrachtung etwas größer zu ziehen. Das ist ja keine Neiddebatte, die hier geführt werden muss. Hier geht's doch um was ganz Grundlegendes, um Gerechtigkeit. Menschen mit Eigentumswohnungen oder einem Haus im Grünen sind doch hier nicht die Täter. Es geht um die Symptome einer eskalierenden Ungerechtigkeit in der Verteilung von Reichtum. Gerecht wäre doch, dass die, die diesen Reichtum durch ihre Arbeit und ihre Ideen erwirtschaften an diesem Reichtum auch partizipieren. Bisher wurden die Symbole des immensen Reichtums der Wenigen ja mehr oder weniger camoufliert. Aber den Superreichen wurde es in ihren Enklaven offensichtlich zu langweilig, jetzt kaufen sie Städte, zerstören lange gewachsene soziale Strukturen und fragmentieren die Gesellschaften. Die sozial Schwachen werden noch mehr an die Ränder gedrückt und sich selbst überlassen, denn sie stören im gelifteten Stadtgesicht.

Während Humanisten sich zerstreiten und sich an Kleinigkeiten in unterschiedlichste Kleinstgruppe zerteilen, marschiert die autoritäre und konservative Revolution seit Jahren siegreich in vielen Ländern. Wieviel kann Kunst ausrichten? Warum machst Du weiter?
Das Problem der, im weitesten Sinne, Nichtkonservativen war schon immer ihre Zersplitterung. Da habe ich auch wenig Hoffnung auf ein zusammenwachsen. Die Weimarer Republik beginnt gerade sich partiell aber lautstark in Erinnerung zu rufen. Die Neue Rechte kann immer mehr Zulauf von Intellektuellen verzeichnen. Hier kann Kunst dagegenhalten, indem sie inspiriert und ermutigt, erinnert und provoziert. Ich versuche, meinen Teil dabei zu tun, nicht nur als Künstler; und begegne dabei Zuspruch aber auch Ablehnung. Ich will weder belehren noch missionieren, ich teile meine Gedanken mit meinem Publikum und das mit absoluter Offenheit.

Und auf Tour so? Wie ist die Resonanz?
Die Tour hat ja gerade erst begonnen. Bisher fühlt es sich sehr gut an. Die Leute sind sehr aufmerksam, lassen sich ein, hinterfragen die neuen Songs. Meine erste Aufregung hat sich auch ein wenig gelegt und weicht langsam einer unangestrengten und ganz normalen Anspannung. Die ersten Konzerte gab ich vor vollen Häusern. Ich bin gespannt wie es weitergeht und freue mich sehr auch dieses Jahr an vielen schönen Spielorten zu gastieren.

Du bist auch ein äußerst sensibler und genauer Fotograf und Beobachter. Sollten wir nicht mal ein Buch in Angriff nehmen? Halle & Leipzig in Texten & Bildern?
Das klingt spannend. Ich denke ja, dass Leipzig und Halle irgendwann zu einer Metropole zusammenwachsen werden oder auch müssen. Das wäre ja schon mal ein Grund diese momentane Phase der beiden Städte, ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten, das Jetzt zu dokumentieren und zu archivieren.

Wo führt Dich Dein Weg hin? Hast Du ein Ziel?
Mein Ziel ist, ganz klar, meinen Weg weiterzugehen. Ich will Menschen begegnen, die meine Ideale und meine Hoffnungen teilen, mich austauschen und daran wachsen. Also, einfach leben.

Wie sind denn eigentlich die Kontakte unter Euch Musikern mit längeren Karrieren? Eisbrenner, Zöllner und Du? Gibt es da miteinander?
Mein engster Freundeskreis bestand schon immer nur zu einem kleinem Teil aus Musikerkollegen. Die typischen Musikerthemen waren mir schon immer zu eindimensional. Mit Tino habe ich heute telefoniert. Auch meinem Freund Eric Fish werde ich in diesem Jahr noch einige Male begegnen. Einige meiner anderen geschätzten Kollegen habe ich schon wieder viel zu lange nicht gesehen und gehört, aber auch das wird passieren, wenn es an der Zeit ist. Ansonsten versuche ich Leuten, die in meiner Vergangenheit einfach nicht gut für mein Leben waren, aus dem Weg zu gehen.

Im Song "Die Apathie der Sterne" erwähnst Du Gedankenkasernen. Kasernen sind ja nur temporäre Gefängnisse. Wann öffnen sich denn die Tore? Für Dich. Für mich? Für alle?
Unsere Gedanken verlassen ihre Kasernen, wenn sie stark genug dafür sind.

Danke, Falkenberg, für Deine Antworten.

 


 

Interview: Volly Tanner
Bearbeitung: cr
Fotos: Pressematerial Mollwerk/Falkenberg




   
   
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