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Interview vom 16. Oktober 2017



In Deutschland gibt es viele Plattenlabel. Einige davon sind ganz neu am Markt und versuchen sich gegen die Großen zu behaupten. Andere sind inzwischen schon Kult, weil sie mit Musikgeschichte nur so getränkt sind. Dazu gehören z.B. die Polydor oder Teldec (Decca, Telefunken), deren Wurzeln in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrtausends liegen, aber eben auch das Label AMIGA. Über AMIGA, das Anfang 1947 von Ernst Busch als Musikverlag "Lied der Zeit Schallplatten-Gesellschaft mbH" in Berlin gegründet wurde, ist schon sehr viel gesagt und geschrieben worden. Gerade hier bei Deutsche Mugge ist diese Plattenfirma allgegenwärtig, haben doch viele der von uns medial begleiteten Künstler ihre ersten Veröffentlichungen auf AMIGA gehabt. Aufgabe des einzigen Plattenlabels der DDR war es bis 1989, die komplette Bandbreite der populären Musik in der DDR abzudecken, was ihm unter teils schwierigen Bedingungen auch sehr gut gelang.001 20171018 1071833866 Aufgrund von Materialmangel (Vinyl stand in der DDR eben nicht in Hülle und Fülle zur Verfügung) wurde immer wieder neu entschieden, welcher Künstler eine komplette Platte (LP oder Single) machen konnte, und welcher eben "nur" einen, zwei oder drei Songs auf einer Kopplung veröffentlichen durfte. Natürlich sorgte dies oft für Unmut, wenn Gruppe A bereits vier Langrillen im Umlauf hatte, Sänger B aber nur eine Single (oder noch gar nichts). Dies traf nicht überall auf Verständnis. Das sind Dinge, die in der heutigen Zeit, in der sogar die personifizierte Talentlosigkeit seine Ergüsse unter das Volk bringen kann, unvorstellbar sind. Aber in anderen Zeiten und in einem anderen Land war vieles eben anders. Nach der Wende im Jahre 1989 zerfiel die AMIGA zuerst und es entstanden sogenannte Unterlabel (Musicando, Z Records, Zong). Im Jahre 1994 wurde AMIGA von der BMG (heute SONY) übernommen. Seitdem wird das Label von Jörg Stempel als Geschäftsführer geleitet. Stempel ist in dieser Funktion nicht nur Repräsentant des Kultlabels, sondern auch unermüdlicher Archäologe im Archiv-Dschungel des Berliner "Schallplatten-Großhandels". Er verwaltet den großen Back-Katalog mit unzähligen Plattenveröffentlichungen aus allen Bereichen der Musik, und ihm verdankt der Sammler so manche Sonder- und Wiederauflage, und der ein oder andere Fan die Auflage seines Lieblingsalbums auf CD. Zum 70. Geburtstag von AMIGA wird es nun auch endlich mal Zeit, Mr. AMIGA ein paar Fragen zu stellen, ihn etwas näher vorzustellen und mit einigen Unwahrheiten und Missverständnissen aufzuräumen. Unser Kollege Christian hatte zuletzt die Gelegenheit, mit Jörg Stempel zu plaudern ...




In diesem Jahr feiert das Plattenlabel AMIGA sein 70-jähriges Bestehen. Was bedeutet dieses Jubiläum für Dich persönlich?
Ich durfte ein Stück des Weges mitgehen, und zwar zunächst von 1981 bis 1988 beim VEB Deutsche Schallplatten. Nach meiner Tätigkeit als Vertriebsleiter Ost der BMG Ariola München, die ja auch die Rechte am AMIGA-Katalog erworben hatten, machte mich Thomas Stein Ende 1993 quasi zum Statthalter des Labels. Ab 1994 habe ich viele Neuproduktionen mit Künstlern aus der ehemaligen DDR aufgenommen und natürlich auch unsere LPs in das "CD-Zeitalter" überführt. Ich bin ein alter Amigo, denn die längste Zeit meines Arbeitslebens bin ich bei und für AMIGA tätig.

Es gibt Seiten im Internet, die behaupten, das Label AMIGA gäbe es seit 1994 überhaupt nicht mehr. AMIGA sei aufgelöst worden und SONY würde heute nur noch den Back-Katalog verwalten. Dann hast Du aber auch gerade angesprochen, dass es jede Menge Neuproduktionen gab und es sogar eine eigene Homepage gibt. Was ist AMIGA denn heute wirklich?
BMG hat die Rechte im Dezember 1993 erworben. Seitdem war AMIGA eins von vielen Labels der Bertelsmann Musik Gruppe (BMG). Und ab 1. Januar 1994 war es ein eigenes Profit-Center unter dem Dach von BMG Ariola Deutschland, denn so waren die Strukturen bei Bertelsmann. AMIGA hatte einen Umsatz- und Ergebnisplan und der musste erfüllt werden, sonst hätte ich meinen Hut nehmen können. Mit meiner Zeit als Vertriebsmensch und AMIGA-Labelmanager war ich dort 16 Jahre lang tätig, bis die BMG aufgelöst und die Rechte von Sony Music erworben wurden.002 20171018 1937698126 Für Sony Music wiederum arbeite ich als freier Selbstständiger, speziell für das Label AMIGA, das es selbstverständlich immer noch gibt. In diesen Jahren ab 2005 habe ich noch div. Neuproduktionen an den Start gebracht, zum Beispiel 2009 ein Album mit den ROTEN GITARREN und 2012 mit CITY. Alle Neu-Veröffentlichungen - meist Kopplungen oder DVDs aus dem Back-Katalog zu Anlässen und Jubiläen - sind auf meinem "Mist gewachsen" und wurden auf dem Label AMIGA veröffentlicht. Es gibt bei den Majors immer viele Unterlabels, um eben auch die unterschiedlichen musikalischen Stilistiken darzustellen. Insofern weiß ich nicht, wer solche Dinge behauptet, dass es AMIGA nicht mehr gäbe.

Das steht z.B. bei Wikipedia.
Das ist aber totaler Quatsch. Ich bin bei Wikipedia ohnehin immer mit einem gewissen Misstrauen unterwegs. Das einzige, was stimmt, ist der Fakt, dass aus VEB Deutsche Schallplatten zur Währungsunion Deutsche Schallplatten Berlin GmbH wurde. Nachdem Herr Urban, ein Autohändler aus Kiel, das Label von der Treuhand abkaufte, waren seine Mitarbeiter zu dem Zeitpunkt der Meinung - eine vielleicht sogar verständliche Auffassung - den Labelnamen nicht mehr zu benutzen. Na klar, die DDR gab es nicht mehr und ein Label wie AMIGA stand symbolisch dafür. Also erfand man eine Reihe neuer Labels wie Zong, Blue Song, Musicando usw. und veröffentlichte Bands wie DIE ZÖLLNER oder SILLY auf Zong, während Herbert Roth auf Musicando erschien. Insofern gab es durchaus eine Pause für AMIGA, was Neuveröffentlichungen betraf, die von 1991 bis 1993 dauerte, aber davor und dann wieder ab 1994 gab und gibt es AMIGA bis zum heutigen Tag.

Kurz zu Deinem Werdegang. Bist Du eigentlich vom Fach, also hast Du selbst mal aktiv als Musiker in Bands gespielt oder eine musikalische Ausbildung genossen?
Nein. Ich bin sozusagen ein Nichtinstrumentalist, obwohl ich mal im Chor der Internatsschule Schulpforte mitgewirkt habe. Das war ein recht bekannter Chor, der im Bezirk Halle leider immer nur den zweiten Platz bei Wettbewerben belegen konnte, denn der erste Platz ging ständig an den FDJ-Jugendchor Wernigerode :-) Nachdem es bei mir mit einem Instrument und auch mit dem Weitersingen im Chor nicht so recht klappte, war ich danach immerhin vierzehn Jahre als DJ tätig und habe wenigstens Musik aufgelegt. Während dieser Zeit habe ich wichtige Erfahrungen gesammelt, die mir und meiner Tätigkeit im späteren Verlauf enorm geholfen haben.

003 20171018 1444406192Okay, das lassen wir gelten. Welche berufliche Ausbildung hast Du gemacht?
Nach dem Abitur habe ich an der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst studiert und meinen Abschluss als Diplom-Außenhandelsökonom gemacht. Bei euch im Westen würde man wahrscheinlich sagen: Betriebswirtschaftler, aber mit Orientierung nach außen. Eigentlich wollte ich mit diesem Diplom in der Tasche auch mal ins Ausland gehen, aber dann kam alles ganz anders.

Genau, Du hast ja gerade gesagt, dass Du 1981 zu AMIGA gekommen bist. Wie kam es dazu, was war der Auslöser und in welcher Funktion hast Du da angefangen?
Bereits während des Studiums wurde mir klar, dass mich die ökonomische Ausbildung nur peripher interessiert. Und die Aussicht, als diplomierter Außenwirtschaftler ins Ausland zu kommen, war ja sehr vage. Da ich aber während meiner Studienzeit schon im Studentenklub gearbeitet habe und später auch dessen Leiter wurde, trieb es mich danach für zweieinhalb Jahre an die Erdgastrasse in der Sowjetunion. Für diese Arbeit wurde ich schnell noch zum Filmvorführer ausgebildet und habe dann die gesamte kulturelle Breite abgedeckt, um unsere Werktätigen an der Trasse zu "bespaßen". Also neben dem Vorführen von Filmen habe ich Radiosendungen gestaltet, Freundschaftstreffen organisiert, Sportwettkämpfe durchgeführt und vieles mehr. Ach ja, Platten habe ich auch aufgelegt und zwar auf einer Baustelle mit sechshundert bis teilweise eintausend Männern und gerade mal zwanzig Frauen. Du kannst Dir vorstellen, was da abging. Es war eher Saufen mit Musik - getanzt hat da keiner. Doch eine Nummer hat immer funktioniert: City - Am Fenster!

Und wie hat Dich das dann letztlich zu AMIGA gebracht?
Nach der Zeit an der Trasse war mir klar, ich muss weiter in der Kultur bleiben. Ich fing beim Komitee für Unterhaltungskunst als künstlerischer-politischer Mitarbeiter im Büro für Wettbewerbe an. Das war die Leiteinrichtung für alles, was im weitesten Sinne mit Unterhaltung zu tun hatte. Also für Rock, Pop, Moderation, Zauberei ... für all das war das Komitee die Einrichtung, die die führenden Künstler der DDR weitergebildet hat.004 20171018 1067183032 Von dort wurden auch die zentralen Wettbewerbe wie der Interpretenwettbewerb in Karl-Marx-Stadt, das Schlagerfestival in Dresden, die Chansontage in Frankfurt/Oder oder die Leistungsschau der Unterhaltungskunst in Leipzig veranstaltet. Und natürlich trafen sich bei diesen Gelegenheiten immer die Vertreter von Rundfunk, Fernsehen und Schallplatte. Bei einem solchen Wettbewerb hat mich dann Dr. Rene Büttner - damals Chefredakteur von AMIGA - beim Komitee abgeworben und 1981 fing ich dann bei AMIGA an.

Kannst Du Dich noch an Deine erste Aufgabe erinnern, die Dir bei AMIGA übertragen wurde?
Na klar, daran kann ich mich sogar noch ganz genau erinnern. Bis dato gab es nämlich noch keinen AMIGA-Katalog. Wenn damals irgendwas gesucht wurde, mussten die Kollegen auf ihren ca. 20.000 Karteikarten danach suchen, denn da waren alle Recording-Daten notiert: Zeit, Jahr, Komponisten und Texter, Arrangeure, die beteiligten Musiker, an welchem Ort die Aufnahme entstand, die technische Freigabe usw ... Und ich habe dann im Auftrag von Rene Büttner den ersten AMIGA-Katalog zusammengestellt. Die älteren Kollegen lachten sich natürlich ins Fäustchen, denn dazu musste ich zunächst drei Monate in den Archivkeller und habe dort in mühevoller und akribischer Kleinarbeit diesen Katalog erstellt. Und habe das Ganze dann immer weiter fortgeschrieben - inklusive der jeweils aktualisierten Verkaufszahlen, die ich mir einmal im Monat vor jeder Redaktionssitzung aus der Buchhaltung geholt habe. Man hatte jetzt also alle Informationen auf einen Blick. Der Katalog war aber logischerweise nur ein betriebsinternes Werk. Bei der Arbeit im Archivkeller entdeckte ich dann sogar zwei Lizenzbänder, die noch nicht ausgewertet waren. Es handelte sich dabei um jeweils eine LP von Peter Alexander und Doris Day. Nach der Veröffentlichung erhielt ich dafür eine kleine Prämie in Höhe von immerhin 400 DDR-Mark.

Du wirst ja in den sieben Jahren, die Du zunächst bei AMIGA warst, einige Erlebnisse gehabt haben. Welche sind denn bei Dir haften geblieben, positiv wie negativ?
Oh, lass mich nachdenken ... AMIGA war ja eine sehr feierfreudige Redaktion. Natürlich gab es da eine Reihe Interna, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Aber wenn wir gefeiert haben, dann meistens gemeinsam mit unseren Künstlern. Rene Büttner hatte damals die tolle Idee… wenn Künstler zu unseren Feiern kamen, hatten wir in der Regel in eine sehr gute Kneipe eingeladen. An der Eingangstür platzierten wir einen Hut, in den Büttner zwei Hundertmarkscheine eingeklebt hatte. Wir erzählten den Künstlern beim Einlass, dass die ersten schon "gespendet" haben. Die meisten fühlten sich bemüßigt, ebenfalls mindestens einen Hundertmarkschein in den Hut zu packen. Dadurch war der Abend gerettet, denn niemand von den Künstlern wollte es sich mit uns verderben. Wir unternahmen auch regelmäßig Frühjahrs- und Herbstwanderungen mit unseren Familien, wo jeder etwas beisteuerte, sowohl kulinarisch als auch musikalisch. Meistens konnten ja die anderen AMIGA-Redakteure und auch deren Kinder ein Instrument spielen, so dass das Thema Musik auf diesen Ausflügen immer präsent war. Aber auch Record Release Partys mit Bands waren immer ein Erlebnis. Und eine der feierfreudigsten, die auch ohne AMIGA gerne mal einen drauf gemacht hat, war KARUSSELL. Mit denen haben wir eine so tolle Fete zur VÖ ihres Albums "Das einzige Leben" durchgezogen , dass am nächsten Tag kaum jemand wusste, wie er nach Hause gekommen ist. Mehr will ich dazu nicht sagen.

Gab es auch unschöne Erlebnisse?
Ja, natürlich, denn es gab auch immer mal wieder Streit. Das Prinzip der Entscheidung beruhte bei AMIGA auf kollektiver Beratung und Einzelentscheidung. Letztere traf verständlicherweise der Chefredakteur. Ich selbst hatte mich 1987 mal schwer mit ihm angelegt. Wir bekamen vom Kulturministerium den Auftrag, mit den Künstlern, die zur 750-Jahr-Feier in Berlin auftraten, eine Lizenzplatte heraus zu bringen. Unter anderem ging es dabei um Udo Jürgens. Zu der Zeit hatte Udo Jürgens mit "Die Sonne und Du" einen Hit ganz vorn in den Charts. Ein Kollege stellte eine Best Of Kopplung zusammen und ich war der Auffassung, dass hier eben dieser Hit noch fehlte. Rene Büttner hatte den Lizenzantrag schon weitergereicht und wollte sich nicht durch einen Nachtrag blamieren. Geschickt argumentierte er, dass im Refrain des Liedes Ferienorte aufgezählt werden, die ein DDR-Bürger reisetechnisch gar nicht erreichen darf! Und von mir wäre es politisch total instinktlos, dass ich einen solchen Titel einfordere. Ich konterte ihn damit, dass wir schon ganz andere Songs veröffentlicht haben, in denen Fernweh besungen wird, z.B. mit dem GERD MICHAELIS CHOR - "Reisen, Reisen in die weite Ferne". Alle meine Gegenbeispiele halfen jedoch nichts. Die Sache schaukelte sich zwar bis zum Generaldirektor hoch, aber Rene Büttner hatte am Ende den längeren Atem. Die LP erschien ohne den Hit und die Fans fühlten sich bestätigt: AMIGA hinkt mal wieder hinterher ...

006 20171018 1079029858Es gab ja auch immer mal Momente, wo mancher Musiker das Weite gesucht hat, wenn wir schon beim Thema Reisen sind. Der also im Westen blieb, abgehauen war, ausgereist ist oder wie auch immer der DDR den Rücken gekehrt hat. Natürlich stand in solchen Fällen auch gerne mal die Situation im Raum, dass von diesen Künstlern bereits Platten produziert waren, die dann plötzlich verschwanden. Wie habt Ihr das damals geregelt? Hast Du etwas davon mitbekommen?
Da gab es ganz klare Ansagen, auch in der Redaktion, was wir dann logischerweise genauso nach außen vertreten haben. Die Platten, bei denen die Künstler auch gleichzeitig die Autoren waren, haben wir zurückgezogen und nicht weiter veröffentlicht. Das hatte natürlich ideologische Gründe. Das abzustreiten wäre Quatsch. Was aber gar nicht oder nur selten thematisiert wurde: die Hauptgründe dafür waren ökonomischer Natur. Beispiel Stefan Diestelmann oder Manfred Krug. Die sind in den Westen gegangen und haben sich dort sofort bei der GEMA angemeldet. Durch die innerdeutschen Verträge zwischen der AWA und der GEMA waren deren Songs jetzt Westtitel, die wir in D-Mark bezahlen mussten. Vor allem deshalb gab es diese 60:40-Regel. Es ging also nicht nur wie in Frankreich darum, das nationale Repertoire populär zu machen, sondern es war in erster Linie eine ökonomische "Bandage". Bei Angelika Mann und Vroni Fischer und ihrer Mitwirkung beim "Traumzauberbaum" war das anders. Diese LPs wurden weiter veröffentlicht, denn die Autoren waren Reinhard Lakomy und Monika Erhardt. Vroni und die Lütte waren zwar die Sängerinnen, aber nicht die Komponisten/Texter der Lieder. Insofern konnte man die Platten weiter veröffentlichen, denn man brauchte dafür kein Westgeld zu zahlen.

Schön, dass Du das mal aufklärst, denn im Allgemeinen wird immer nur behauptet, die wurden von oben totgeschwiegen und die gab es dann einfach nicht mehr.
Es stimmt beides - sie wurden totgeschwiegen, aber wir wollten auch kein Westgeld bezahlen. Lass mich das so vergleichen ... Wenn beispielsweise ein Lewandowski von Dortmund zu Bayern geht und die beiden Mannschaften spielen gegeneinander, wird Lewandowski gnadenlos ausgepfiffen. Okay, vielleicht blödes Beispiel, denn hier geht es um Geld und bei den Künstlern um Meinungsfreiheit - also um politische Reglementierungen. Aber unsere Politniks meinten halt, der hat unser Land verlassen, warum sollen wir dem noch Westgeld hinterher schmeißen? Das hat ja kaum für den Einkauf von Bananen gereicht :-) Allerdings wurden die Hintergründe nie öffentlich, sondern nur im Inner-Partei-Circle beleuchtet, warum so viele gegangen sind. Man wollte sich nicht eingestehen, dass unsere Künstler die ideologischen Spielregeln nicht mitmachen wollten und sich in ihrer Kreativität enorm eingeengt fühlten.

007 20171018 1594193476Für Leute, die sich mit der Firmen-Interna nicht so auskennen, sollten wir mal erläutern, wo genau der Unterschied zwischen VEB Deutsche Schallplatten und AMIGA lag. War das eine das Hauptunternehmen, unter dessen Dach die anderen tätig waren?
Jeder Betrieb in der DDR war ein Volkseigener Betrieb - Ausnahmen bestätigen die Regel. Und dieser VEB Deutsche Schallplatten hatte drei Labels: AMIGA, ETERNA und LITERA. Bei AMIGA lief die ganze populäre Musik, ETERNA war für die Klassik da und bei LITERA gab es das gesprochene Wort, also Theaterinszenierungen, Kinderplatten und Hörspiele. Es gab aber noch drei weitere Labels. Bei NOVA wurde die zeitgenössische sinfonische Musik veröffentlicht. Namen wie Siegfried Matthus, Udo Zimmermann, aber auch internationale Größen wie Mikis Theodorakis erschienen dort. Weiterhin gab es SCHOLA, das war ein reines Lehrmittel-Label - also Schallplatten für den Unterricht. Diese LPs waren übrigens viel billiger. Und schließlich gab es noch AURORA, welches ausschließlich aus Gründen der Ehrerbietung für Ernst Busch entstand. Nachdem er 1953 enteignet wurde und aus dem Verlag Lied der Zeit plötzlich VEB Lied der Zeit und 1955 VEB Deutsche Schallplatten wurde, hat man ihm ein eigenes Label namens AURORA gegeben, wo das ganze Repertoire, welches Ernst Busch jemals selbst gesungen hat, veröffentlicht wurde.

Im Jahre 1988 bist Du von AMIGA weggegangen und ins Management gewechselt. So hast Du bis zu ihrer Auflösung die PUHDYS gemanagt ...
Nein, nicht bis zu ihrer Auflösung. Die PUHDYS haben bereits 1988 verkündet, dass sie am 19. November 1989 ihr 20-jähriges Jubiläum feiern werden. Und das ganze Jahr 1989 über findet ihre "Goodbye-Tour" statt. Wenn dieses Jahr vorbei ist, werden sich die PUHDYS in zwei Teile auflösen. Quaster und Klaus wollten eine Technikfirma aufmachen. Harry Jeske hatte aus gesundheitlichen Gründen ohnehin aufgehört. Und Maschine, Peter Meyer und ich wollten ein Label aufbauen. Ab 1989 war es nämlich auch in der DDR möglich und erlaubt, private Labels zu gründen. Wir hatten sogar schon zwei Künstler im Schlepptau, mit denen wir LP-Produktionen machen wollten. Zum einen war das ROSALILI, wo ja bekanntlich die Söhne der PUHDYS mitspielten. Und das andere waren AMOR & DIE KIDS mit Tobias Künzel am Schlagzeug und Gesang (heute bei den PRINZEN). Dann kam aber alles anders. Lutz Bertram, damals Starmoderator beim Jugendradio DT64, brachte mich am 8. Dezember 1989 mit Thomas Stein zusammen. Thomas fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, in Diensten von BMG Ariola als Vertriebsleiter im Osten zu arbeiten. Ich druckste anfangs ein bisschen rum, weil ich ja mit dem Rest der PUHDYS konkrete Pläne hatte und nebenbei auch noch als DJ tätig war.008 20171018 1987641633 Dann überfluteten uns aber all die neuen Dinge, von den Gesetzen bis hin zur Steuererklärung. Zur damaligen Zeit hatte ich schon eine eigene Familie mit zwei Kindern, weshalb ich mich Ende Januar 1990 für die sichere Nummer entschied und das Angebot von Thomas Stein angenommen habe. Ab 1. März 1990 war ich somit Vertriebsleiter Ost der BMG Ariola München.

Es hieß ja immer, Harry Jeske sei bei den PUHDYS der Strippenzieher und der organisatorische Kopf der Band ... Was war dann Deine Aufgabe?
Absolut richtig, das war er auch. Man muss wissen, ich war mangels Erfahrung zu keiner Zeit der Booker. Das bin ich bis heute nicht. Das Booking hat also Harry Jeske weitergemacht, zumal man ja bei den Puhdys in Sachen Booking gar nicht so viel zu tun hatte, denn wenn die mal irgendwo spielen wollten, bekamen sie natürlich einen Vertrag. Meistens war es nämlich umgekehrt. Da klingelten bei Harry die Telefone, weil man die PUHDYS gerne buchen wollte. Harry fragte dann nur noch, wie viel Kohle es gab und klärte den Termin ab. Alle anderen Themen waren mein Job. Wir haben ja 1989 mit den PUHDYS gleich zwei Platten veröffentlicht. "Neue Helden" war ein ganz neues Album und dann erschien noch die Jubiläums-LP. Dazu kamen Rundfunk- und Fernsehauftritte, Pressetermine und was sonst noch zu den Managementaufgaben gehörte, z.B. die große Jubiläumsfeier im Ahornblatt - heute steht dort ein Hotel.

Du warst ab 1990 also für drei Jahre der Vertriebsleiter Ost bei der BMG, wie Du eben erzähltest, wurdest aber dann Labelchef bei AMIGA. Hat man Dir diesen Posten angeboten, oder wie bist Du dazu gekommen?
Als Deutsche Schallplatten Berlin GmbH im Sommer 1993 Insolvenz anmelden musste, rief Thomas Stein mich an und meinte, meine ehemalige Bude stehe zum Verkauf. Das höchste Angebot kam damals von Polygram, der heutigen Universal, und das lag bei 3,5 Millionen. Thomas Stein überbot mit 3,9 Millionen und bekam tatsächlich den Zuschlag. Er machte mich zum Label-Chef und ich konnte diese Möglichkeit einfach nicht ablehnen.

009 20171018 1769849777Korrigiere mich, wenn ich falsch liege, aber Du hast bei AMIGA dort weitergemacht, womit Du damals angefangen hast, nämlich mit Archivarbeit. Immer, wenn man eine neue Platte von AMIGA in die Hände kriegt, kann man darauf lesen, dass Du fleißig in den Archiven gewühlt hast. Ich weiß ja auch aus Deinen Erzählungen, dass Du manchmal tage- und wochenlang verschwunden bist ...
Na ja, das stimmt nur zur Hälfte. Ich habe die ersten vier Jahre nach dem Mauerfall miterlebt und wusste, wie es um unsere Künstler steht und dass es ihnen nicht gut ging. Viele waren inzwischen Versicherungsvertreter oder Autoverkäufer oder hatten genügend Geld gespart, dass sie sich erst einmal zurückziehen konnten. Es ging ja erst Anfang 1993 wieder los mit den ersten Konzerten, erst da wurden auch wieder ehemalige DDR-Bands unter Vertrag genommen. Deshalb habe ich zu Thomas Stein gesagt - worauf ich heute noch ein bisschen stolz bin - ich möchte nicht nur einer sein, der Kataloge erstellt und auswertet, sondern ich möchte mit unseren Künstlern aus dem Osten auch Neues produzieren. Ab 1995 habe ich dann auch zahlreiche Neuproduktionen initiiert. LPs waren es über zwanzig, Singles über fünfzig. Zu den Neuproduktionen zählen die PUHDYS, SILLY, CITY, KARAT, Wolfgang Ziegler, Frank Schöbel, Ben Becker, Manfred Krug, Swing Dance Orchestra und so weiter. Diese Neuproduktionen waren mir wichtig, damit AMIGA nicht nur zu Jubiläen oder Künstler-Geburtstagen in erscheinung tritt. Bei Sony Music, für die ich heute freiberuflich arbeite, habe ich allerdings nichts mehr zu entscheiden. Ich kann höchstens etwas vorschlagen - Entscheidungen trifft Sony Music. Die aktuellen 5-CD-Boxen, die in diesem Jubiläumsjahr erschienen sind, waren bislang nicht auf CD zu haben. Das sind dann meine Kämpfe hinter den Kulissen, um solche Ideen durchzuboxen, von denen natürlich Außenstehende nichts mitbekommen. Letztendlich geht es nämlich, auch wenn viele es nicht wahrhaben wollen, immer nur um erfolgreiche Produkte, die Gewinn bringen. Das ist in jeder Branche so - nur in der Musik ähnlich wie beim Film sind die Risiken größer. Keiner kann den Erfolg voraussagen. Hinzu kommt, dass physische Ton- und Bildträger auf dem absteigenden Ast sind - man lädt ja auch nicht mehr runter, sondern streamt oder leistet sich noch eine richtige neue Vinyl :-)

Wo wird der Weg von AMIGA hingehen? Du sagst ja eben, die CD ist auf dem absteigenden Ast, die DVD ebenfalls. Und seien wir mal ehrlich, die Fans dieser Art Musik, die AMIGA vertritt, werden ja auch nicht mehr. Wie wird AMIGA in zehn Jahren aussehen, wenn der 80. Geburtstag ansteht?
Da bin ich optimistischer als Du. Nimm nur mal die ROCK LEGENDEN. Die touren mittlerweile genauso erfolgreich im Westen wie im Osten. Das war schon bei der ersten Ausgabe so, als die PUHDYS noch komplett dabei waren. Da die breite Masse im Westen die AMIGA-Musik ja noch immer nicht richtig erfahren hat, bis auf die paar Eingeweihten natürlich, die KARAT, CITY oder die PUHDYS schon vorher kannten, kriegen wir jetzt völlig neue Fans. RAMMSTEIN-Keyboarder Flake sieht das ähnlich. Der meinte, dass Feeling B - seine erste Band zu DDR-Zeiten - die PUHDYS oder KARAT schon aus Prinzip nicht gut finden konnten.010 20171018 1660755660 Aber wenn er sich heute die alten Platten anhört, dann gibt er zu, dass diese Songs im Verhältnis zu dem, was er damals abgeliefert hat, einfach richtig geile Musik ist. Insofern bin ich optimistisch, was die Zukunft von AMIGA angeht. Ein weiteres Medium bzw. Format ist der Film. Es gab Anfang des Jahres den Mehrteiler "Deutschland '83", der, bevor er auf RTL lief, in Amerika ausgestrahlt wurde. Im Moment wird "Deutschland '86" gedreht. Auch diese Serie ist darauf angelegt, von Amerika bis Hongkong verkauft zu werden. Ich durfte bei der musikalischen Beratung mitwirken und weiß daher, dass auch hier wieder AMIGA-Songs dabei sein werden. Über solche Wege wie Filme, Bücher, Fernsehserien werden auch immer wieder AMIGA-Titel verbreitet, wenn man denn authentisch sein will. Und so werden immer wieder jüngere Menschen diese Musik und diese Bands entdecken und sich fragen: "Hey, was ist das denn? Das ist ja geil!" :-)

Dann lasse ich mich einfach mal von Deinem Optimismus anstecken, denn wir wollen mit Deutsche Mugge das Ganze ja auch weiterhin begleiten. Aber Du hast ja nicht nur AMIGA gemacht, sondern Du hast auch ein eigenes Label gegründet, nämlich "sechzehnzehn". Wann war das genau und mit welchem Hintergrund hast Du dieses Label parallel zu AMIGA gegründet?
Das Label wurde von einem langjährigen Freund und mir 2005 gegründet. Wir haben genau das rausgebracht, was Sony nicht veröffentlichen wollte, weil diese Bands oder Künstler nach Sonys Meinung nicht zum Mainstream gehören und im Westen eher unbekannt sind, wie z.B. BAYON oder TRANSIT. Einerseits war Sony uns dankbar, weil die Künstler sie nicht genervt haben, warum gerade sie nicht wiederveröffentlicht wurden. Für die Musiker ist es wichtig, dass ihre Scheiben verfügbar sind und mit Buschfunk haben wir einen sehr guten Vertriebspartner. Das war eigentlich der Hauptgrund für die Gründung von Sechzehnzehn. Neuproduktionen finden dort so gut wie nicht statt, weil wir nicht den finanziellen Background dafür haben, um das zu stemmen. Wir sind auch nur zwei Leute und haben keine Promotionabteilung. Wir beschränken uns darauf, Dinge zu suchen, die dem Musikfreak bekannt sind, die aber bisher nirgendwo zu finden waren. Wir bewegen uns aber auch nur im Stückzahlbereich zwischen 500 und 1.500. Höhere Auflagen sind nicht zu erreichen.

011 20171018 1100532128Neben sechzehnzehn hast Du auch noch Bandbetreuung gemacht. Oder kann man es schon Management nennen?
Ja, das lief ähnlich ab wie meine Arbeit bei den PUHDYS. Also weniger das Booking, aber dafür die ganze Imagearbeit, die Promotion, das Marketing usw. Das habe ich für SILLY und auch für CITY gemacht.

Läuft das mit CITY auch heute noch?
Nein, gar nicht mehr. Dadurch, dass CITY auch nicht mehr bei Sony unter Vertrag stehen, sondern ihr neues Album bei einem Unterlabel von Universal veröffentlicht haben, sind wir nur noch Freunde, aber nicht mehr geschäftlich miteinander verbandelt.

Tut es Dir weh, wenn Du siehst, dass Bands, die Du früher bei AMIGA unter Deinen Fittichen hattest, zur Konkurrenz abwandern? Die Großen sind ja jetzt fast alle bei Universal.
Jein. Aber eigentlich eher nicht. Okay, sicher ist auch bei Sony nicht immer alles optimal gelaufen und man hätte wahrscheinlich hier und da mehr daraus machen können. Letztlich freue ich mich, dass die Bands heute erfolgreicher als je zuvor sind. Das spricht für meine Worte, dass die Bands aus dem Osten sehr gute Long-Run-Qualitäten besitzen. Das sind keine schnelllebigen Hypes, sind keine "Zitronenkünstler" die man auspressen kann und danach wegwirft, sondern die leben immer noch und das finde ich super! Das spricht ohne Frage für AMIGA und vielleicht auch ein kleines bisschen für mich :-)

012 20171018 1934673334Das Jubiläumsjahr bringt acht neue 5-CD-Boxen mit, die Puhdys-Live-Alben ihrer Jubiläumskonzerte von 1979, 1984 und 1989, die es bislang nur in der Gesamtbox der Puhdys gab, dann die DVD und die CD-Ausgabe mit allen Amiga-Aufnahmen von Manfred Krug, sowie die Vinyl-Boxen der Rock-Dinos (Puhdys, Silly, Karat und City). All das ist bereits erschienen. Ist für dieses Jahr noch weiteres Material zum 70jährigen von AMIGA geplant oder war es das?
Ja, es sind noch drei Dinge geplant. Es gibt eine Einzel-CD, die mit dem 55-jährigen Bühnenjubiläum von Frank Schöbel zu tun hat und die Ende September erschienen ist. Darauf sind seine Hits aus den DEFA-Filmen enthalten. Die gab es ewig nicht zu kaufen, wurden aber bei ebay zu unverhältnismäßigen Preisen angeboten. Außerdem wird es drei große Fernsehsendungen mit Frank geben. Einmal am 10. Dezember im MDR in der Reihe "Legenden", am 16. Dezember dann die große Jubiläumsshow "55 Jahre Frank Schöbel" - eine Aufzeichnung aus dem Admiralspalast vom August diesen Jahres und am 24. Dezember traditionsgemäß "Weihnachten mit Frank". Ende Oktober veröffentlichen wir auf Sechszehnzehn "Weihnachten in Familie" auf Vinyl mit Abdruck aller Lied-Texte auf der Innenhülle, damit die Familie komplett mitsingen kann. Und als letztes wird noch, was mich ganz besonders freut, die vier Vinyls umfassende komplette Manfred Krug/Günter Fischer-Box herauskommen mit den Originalplatten von 1971 bis 1976. Damit schließen wir dann endgültig das AMIGA-Jubiläumsjahr ab.

Lieber Jörg, wir haben jetzt ganz viel über Dich und AMIGA erfahren. Recht herzlichen Dank dafür und alles Gute für Dich.
Danke sehr.



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: tormey
Fotos: Fundus von Jörg Stempel, Archiv Deutsche Mugge







   
   
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