Im Jahre 1999 produzierte er seine bislang letzte CD. Das ist verdammt lange her, nämlich volle fünfzehn Jahre. Nach der Ankündigung, dass nun tatsächlich doch noch mal ein neues Album auf den Markt kommt, war und ist die Erwartungshaltung der Fans natürlich riesengroß. Aber ein gestandener Musiker wie EBERHARD "BIG JOE" STOLLE kann mit diesem Druck umgehen, sieht es eher als Motivation. Seit dem 17.Februar nun kann jeder selbst entscheiden, ob diese lange CD-freie Zeit sich fruchtbar oder eher hemmend auf die Kreativität des BIG JOE STOLLE ausgewirkt hat, denn seit diesem Tag kann man die neue Scheibe mit dem Titel "Stecker rein und los" käuflich erwerben. Wem das bloße Hören der CD nicht genügt, der ist herzlich eingeladen, am Donnerstag, den 27.03.2014, zur CD-Release-Party im Maschinenhaus der Kulturbrauerei zu erscheinen, um die neuen Songs auch live zu genießen. Überflüssig zu erwähnen, dass sich der Gastgeber des Abends einige hochkarätige musikalische Gäste eingeladen hat, die mit ihm die Bühne teilen werden. Es gibt eine Menge zu erzählen über das Album und über dessen Entstehung. Deshalb haben wir uns mit BIG JOE STOLLE in dessen Arbeitsräumen im schönen Prenzlauer Berg getroffen und genau darüber geplaudert. Auch das erwähnte Event im Maschinenhaus war Bestandteil unseres Interviews. Und wenn wir einen solchen Mann schon einmal vor dem Mikrofon haben, nutzen wir natürlich die Chance, seine interessante und ereignisreiche Vergangenheit als Bluesmusiker, als begnadeter Mundharmonikaspieler, als kreativer Kopf von ZENIT und vieles mehr rückblickend aufzuarbeiten und manches Detail, wie beispielsweise seine enge Freundschaft zu "CÄSAR" Peter Gläser, näher zu beleuchten. Herausgekommen ist ein vielschichtiges Portrait eines Musikers, der auch mit 63 Jahren keinen Gedanken daran verschwendet, sich zur Ruhe zu setzen ...
Als wir in Vorbereitung dieses Interviews erstmals Kontakt hatten, wusste ich ehrlich gesagt nicht, wie ich Dich ansprechen sollte: Eberhard, Joe, Big Joe ...? Wie hast Du es am liebsten?
Ich bin da völlig unsensibel. Jeder kann es halten, wie er gerne möchte. Im Allgemeinen kennt man mich in den letzten zwanzig Jahren als BIG JOE. Meine ganz alten Bekannten nennen mich manchmal noch Eberhard, aber zwischendurch höre ich auch mal STOLLE. Mir ist es egal, ich reagiere auf alles.
Du hast bestimmt schon tausendfach erklärt, aber dennoch wird es noch immer Leute geben, die es nicht wissen: Wie kommst Du zu Deinem Namen BIG JOE?
Das ist ja eigentlich ein Joke gewesen. Früher mal sang ich einige Songs von einem gewissen BIG JOE TURNER. Daraufhin alberten meine Kollegen rum und sagten: "Und hier kommt jetzt BIG JOE STOLLE!" Na gut, dachte ich, wenn es so sein soll, dann soll es so sein. Das hat sich bis heute gehalten. Die Frage stellte sich auch erst nach der Auflösung von ZENIT, als wir nach einem neuen Namen und einem neuen Profil suchten. Wir suchten ziemlich intensiv und blieben dann bei BIG JOE STOLLE hängen.
Am 17. Februar gab es für Deine Fans Grund zur Freude, denn da erschien nach fünfzehn Jahren endlich wieder eine neue CD von Dir. Wer oder was hat Dich dazu bewogen, was war der Auslöser?
Das ist sehr kompliziert. Moritz Gläser, der Bruder meines Bassisten Robert Gläser, machte eine Ausbildung in den Dorian Gray-Studios. Eines Tages rief er mich an und meinte: "JOE, ich brauche eine Band für meine Prüfung". Ich sagte ihm, das sei kein Problem, wir machen da natürlich mit. Moritz wollte wissen, was wir denn spielen würden. Daraufhin meinte ich, es wäre Quatsch, die tausendste Version von irgendwelchen ollen Blueskamellen zu spielen. Zufällig hatte ich gerade ein neues Lied am Start, das wir dann auch für Moritz genommen hatten. Das wurde am Ende so gut, dass wir uns überlegten, ob wir nicht noch drei, vier weitere neue Lieder machen sollten. Hinzufügen muss ich noch, dass alle Mitwirkenden diese Produktion umsonst, also ohne Gage, mitgemacht haben, sich einfach nur aus Überzeugung eingebracht haben. Anders wäre es auch nicht gegangen.
Es ist also nicht einfach nur eine Aufbereitung diverser Songs, die sich über die Jahre angesammelt haben und nicht verloren gehen sollen, sondern Du wolltest dieses Album wirklich und von ganzem Herzen?
Ja genau. Wir fingen zunächst mit dem Schreiben neuer Titel an. Ein oder zwei weitere Lieder hatte ich noch oder schon in der Schublade liegen, von denen ich genau wusste, dass ich die irgendwann mal produzieren wollte. Wir haben nur die Arrangements noch ein bisschen angepasst. Und ein Song ist schon etwas älter bzw. sogar von ganz früher, den haben wir mit rauf genommen, weil er bisher noch auf keiner Platte erschienen war.
Bis auf zwei Ausnahmen, die ich für den Moment auch erst mal etwas nach hinten stellen möchte, hast Du sämtliche Songs des Albums selber geschrieben und getextet. Deine Kreativität ist also ungebrochen. Das lässt in mir die Frage erwachen, warum Du dieses Album nicht schon längst gemacht hast?
Das liegt daran, dass die Nachfrage nach dem Blues einfach nicht mehr gegeben ist. Früher haben wir vor ein- bis zweitausend Leuten gespielt und heute kommen hundert, manchmal zweihundert. Nach der Wende machte ich zwei Live-CDs komplett mit eigenen Songs, nur dass die Texte da in Englisch waren. Das plätscherte aber alles so vor sich hin, obwohl wir auch ein paar gute Tourneen hatten. Nach der Jahrtausendwende wurde das Interesse der Leute dann aber immer weniger und da hatte ich irgendwann keine Motivation mehr. Zwar sammelte ich weiterhin meine Text- und Lied-Ideen, wie ich es auch schon früher gemacht hatte, aber erst durch die Anfrage von Moritz kam die Sache wieder ins Rollen. Vor allem wurde es Zeit, auch mal wieder etwas Deutschsprachiges zu machen. Wobei es da für mich überhaupt keine Wertigkeiten gibt, ob ich nun einen internationalen Song singe oder etwas auf Deutsch aufnehme.
Das Album heißt "Stecker rein und los". Interpretiere ich das richtig, dass Du sagen willst: Fünfzehn Jahre ohne eine STOLLE-CD sind genug, jetzt lasst uns ohne Wenn und Aber Gas geben und einfach nur die Musik genießen?
Nein, meine Motivation, diesen Titel zu wählen, war eine völlig andere. In der letzten Zeit liest und hört man von allen Seiten nur noch: Unplugged hier, akustisch da ... Nun weiß man als Rock'n'Roller natürlich ganz genau, dass diese Unplugged-CDs eine feine Sache sind, weil man seine eigentliche CD damit ein zweites Mal verkaufen kann. Okay, dagegen ist nichts einzuwenden, denn der Musiker muss auch leben und Kommerz gehört einfach dazu. Für mich kommt das aber auf keinen Fall und niemals in Frage. Wir spielen immer noch elektrisch, also "Stecker rein und los!"
Wie lange habt Ihr an den Aufnahmen für das Album insgesamt gearbeitet?
Oh, lange. Angefangen haben wir damit bereits 2011 und haben auch das ganze Jahr 2012 damit verbracht, die Songs aufzunehmen und zu produzieren. 2013 folgten dann die grafischen Dinge und diverse kleine Verbesserungen. Zwischendurch hatten wir natürlich immer wieder Pausen drin, weil ich mich auch nach den Zeitplänen der Kollegen und des Produzenten richten musste. Wie das dann so ist, ging auch noch das Studio-Equipment kaputt und wir mussten warten, bis das neue kam. Dadurch gingen wieder zwei Monate verloren. Aber ich hatte mir ganz fest vorgenommen, mir keinen Druck zu machen. Es gab zum Glück keinerlei Vorgaben für uns, wir hatten auch keine Plattenfirma, was ich als sehr angenehm empfand. Und natürlich hielten sich dadurch auch die Kosten im Rahmen. Alles in allem dauerte es also von den Anfängen bis zur Fertigstellung des Albums etwa zwei Jahre.
Ich finde immer spannend, in welcher Form ein neues Album aufgenommen wurde. Der Trend geht ja wieder dahin, die Songs im Studio live und mit der ganzen Band aufzunehmen, was in der Regel richtig schön authentisch klingt. Alternativ wird alles Spur für Spur aufgenommen und dann zusammengemischt. Wie war das bei "Stecker rein und los"?
Wir haben beide Optionen genutzt. Einige Songs wurden tatsächlich live eingespielt, da wurden allerdings nur die Instrumente live aufgenommen, also Schlagzeug, Bass, Gitarre und Klavier. Den Gesang habe ich nachträglich eingesungen, weil ich dann nicht so unter Druck stehe und manches besser artikulieren kann. Andere Nummern wurden schon vorher am Computer vorbereitet, beispielsweise mit einem elektrischen Schlagzeug, und der Rest wurde dann einzeln, Instrument für Instrument, eingespielt.
Du spielst Gitarre, Mundharmonika und singst. Hast Du auf dem Album noch weitere Instrumente übernommen?
Nein, das war wirklich genug.
Sind die Musiker, die man auf der Platte hören kann, auch gleichzeitig Deine Live-Musiker?
Genau, mit denen stehe ich auch immer auf der Bühne.
Du hast die Scheibe komplett auf Deutsch eingesungen, was wieder manche Skeptiker auf den Plan rufen wird, die die uralte Weisheit bemühen, dass Blues mit deutschen Texten gar nicht ginge. Ich vermute mal, Du hast da eine gänzlich andere Meinung ...
Nun bin ich ja kein Blues-Purist. Für mich ist vieles Blues, wo andere wiederum meinen: "Nein, das ist doch nun wirklich kein Blues". Letztlich ist das auch eine Lebensauffassung und eine Lebensweise, die zwar auch, aber nicht nur mit der Musik zusammenhängt. Ich komme aus diesem Genre, kenne mich da gut aus. Ich habe ja auch früher schon viele Sachen auf Deutsch geschrieben und gesungen. Klar, früher hatte man da keine großen Optionen, da wurde das halt gewünscht und verlangt. Andererseits kommt man mit deutschen Texten auch näher an die Leute ran. Zumal ja damals auch längst nicht alle so perfekt im Englischen waren, dass sie uns auch verstanden hätten. Bei deutsch gesungenen Texten hat aber jeder verstanden, worum es in den Liedern ging.
Lass uns noch kurz bei den Texten bleiben. In den meisten Songs besingst Du kleine Alltags- und Beziehungsgeschichten. Die klingen stellenweise so real und lebensnah, als würdest Du tatsächlich aus Deinen Memoiren vorlesen. Ist das so? Hören wir auf der CD diverse Lebensbeichten des Eberhard Stolle?
Da antworte ich eindeutig mit ja. Die Lieder sind immer "Ich"-bezogen. Natürlich muss es trotzdem nicht immer um mein eigenes Leben dabei gehen, aber es ist immer in meiner Nähe passiert und ich habe es miterlebt, was ich da besinge.
Als ich beispielsweise den Song "Verheiratet sein" gehört habe, habe ich mich gefragt, ob das nun ein Plädoyer FÜR die Ehe ist oder Heiratswillige eher abschrecken soll. Auf jeden Fall steckt jede Menge Ironie im Text.
Weder - noch. Es ist letztendlich eine freie Entscheidung, die jeder für sich treffen kann und muss. Und niemand kann vorab sagen, ob die Ehe gut laufen wird oder schlecht. Natürlich ist es auch ein bisschen ironisch gemeint. Wenn man selber schon lange Zeit verheiratet ist, kann man dieses Thema auch mal mit der nötigen Ironie angehen.
Einer meiner Lieblingssongs vom Album ist "Bye bye Blues". Die Vocals dazu klingen wie ein Abschied von einem guten Freund. Wem ist der Song gewidmet?
Ja, das ist richtig. Im Prinzip ist es so, dass zur damaligen Zeit in der DDR unser Bassist und unser Schlagzeuger zur gleichen Zeit einen Ausreiseantrag gestellt hatten. Das war für uns als Band natürlich das totale Chaos. Wir mussten uns die Frage stellen, wie es jetzt weitergehen soll. Zu allem Unglück stieg dann noch ein weiterer Kollege aus, weil er meinte, das wird ja sowieso nichts mehr mit der Band. Genau zu dieser Zeit hatte ich gerade eine Geburtstagsparty, zu der auch CÄSAR kam. Er hatte ein Bild dabei, wo drauf stand: "Bye Bye Blues". Das war quasi sein Abschiedsgeschenk. Das war auch der Hauptgrund, weshalb ich dieses Lied geschrieben habe.
Der "Boogieman" scheint auch so ein authentischer Song zu sein. Gibt es diesen scheinbar erfolglosen, verkannten und demoralisierten Boogieman wirklich? Am Ende besingst Du Dich gar selber?
Ja natürlich, auch wenn er nicht verkannt ist. Es sollte auch etwas traurig rüber kommen. Aber es ist schon so, der Boogieman kann nicht anders und auch ich kann gar nicht anders. Was soll ich machen? Ich könnte z. B. nie in die deutsche Volksmusik wechseln. Ich spiele halt nach wie vor meinen Blues. Nur fehlen uns heute die 500.000 Leute, die früher in unsere Konzerte kamen. Früher waren die alle noch jung, heute sind sie eben entsprechend älter und auch mit vielen anderen Sachen beschäftigt. Da überlegt man sich zehnmal, ob man an seinem freien Tag abends noch irgendwohin geht.
"Ins Paradies" beschreibt den idealen Tagesablauf, den sich wohl jeder von uns wünscht. "Lass den Job einfach sausen, der macht Dich alt und krank ..." Wenn das so einfach wäre, hätte ich es längst getan.
Ganz genau. Über solche Themen sinniert man natürlich, wenn man älter wird. Man ist da immer etwas zweigeteilt. Natürlich freut man sich, wenn man ein paar Scheine in der Tasche hat. Aber ob das immer so gut ist und ob das wirklich alles ist, das kann sich jeder selber aussuchen.
Inzwischen gibt es auch schon einen Song als Video, nämlich "Lass Dich nicht fallen". Je öfter ich die Nummer höre, desto mehr bohrt sie sich in mein Hirn. Du machst hier all denen Mut, die gegen die Einsamkeit ankämpfen oder die einen Tiefschlag im Leben erlitten haben, in welcher Form auch immer. Steckt auch hier ein persönlicher Bezug dahinter?
Da erzähle ich zwar nichts Persönliches über mich, aber aus meinem Freundeskreis. So ein Lied macht immer auch ein bisschen Mut, wie ich festgestellt habe. Natürlich verändert sich dadurch nicht die Grundsituation und das Warum und Weshalb, aber es ist doch wichtig, mal zu sagen: Schluss, Aus, Feierabend, jetzt ziehen wir einen Strich und schauen nach vorne.
So ein Musikvideo ist ja in der Regel eine sehr aufwändige und vor allem nicht ganz billige Angelegenheit. War das eine private Produktion? Und liege ich richtig in der Annahme, dass Ihr das Video in Deinem Kiez im Prenzlauer Berg gedreht habt?
Mit dem Kiez als Drehort liegst Du richtig. Ansonsten war das Ganze eine Idee unseres Bassisten Robert Gläser, der meinte: "BIG JOE, wir sollten mal über ein kleines Video nachdenken, um die Platte besser promoten zu können". Der Gedanke gefiel mir. Wir haben dann zusammen mit unserem Produzenten überlegt, wie und wann wir es machen wollen. Letztlich ist das Ganze eine iPhone-Produktion. Wir haben dies und jenes vorbereitet, sind dann einfach mit dem iPhone durch den heimischen Kiez gelaufen und haben überlegt, was den Zuschauer ansprechen könnte. Eigentlich wollten wir es ja auch nur probieren. Es war kein Zwang dahinter, dass wir das, was wir da aufnehmen, unbedingt verbreiten und unter die Leute bringen müssen. Letztlich waren sowohl die Spannung als auch die Stimmung gut und es wurde ein schönes Video, über das ich mich hinterher richtig amüsieren konnte.
Insgesamt klingen die Lieder auf der Platte bis auf ganz wenige Ausnahmen sehr relaxt und entspannt. Das hat mich schon ein Stück weit überrascht, denn auf der Bühne kommst Du mit Deiner Band deutlich rockiger rüber und packst doch öfter mal den Hammer aus. Erleben wir künftig einen etwas gesetzteren BIG JOE STOLLE?
Nein, auf keinen Fall, das hat sich auf dieser Platte einfach so ergeben. Auf der Bühne kommt das eh alles deutlich intensiver rüber. Es kann natürlich passieren, dass man live mal sagt, jetzt lehne ich mich mal ein Stück zurück, aber das ist nicht die Norm. Wobei das auch immer mit dem Sänger zusammenhängt. Ein Sänger hat lieber eine getragene Nummer, weil er sich und seine Stimme da besser entwickeln kann, als bei schnelleren Nummern.
Ärgert es Dich, wenn jemand beim Hören der Platte beispielsweise sagt: "Mensch, diese Nummer klingt ja, als würde sie von CLAPTON kommen", oder: "LYNYRD SKYNYRD lässt grüßen"?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe festgestellt, diese Lieder, die mussten einfach aus mir raus. Und dann sollte man es auch zulassen und machen. Ich habe auch Meinungen gehört, die sagten, das klinge ja fast wie Schlager, aber im guten Sinne. Das ist für mich völlig in Ordnung. Auch wenn einer sagt, die Nummern sind toll, kommen aber erst nach dem dritten Hören bei mir an. Ja, dann ist es eben so. Solche Lieder unterliegen ja einem bestimmten Entstehungsprozess. Mal kommen erst die Melodien, später der Text und im Idealfalle fällt mir beides zusammen ein. Böse bin ich jedenfalls keinem, wenn er irgendwelche Vergleiche zieht. Schön wäre mal, wenn einer sagt: "Mensch, das klingt ja wie BIG JOE STOLLE!" Aber das wird nicht passieren, dafür mache ich einfach zu wenig. Um ein eigenes Profil zu erstellen, müsste man eben viel mehr Tonträger verkaufen. Aber das ist nicht Sinn und Zweck meines Tuns.
Wie zufrieden bist Du denn selber mit der CD? Sagst Du heute: "Dieses und jenes würde ich inzwischen anders machen"?
Ja, doch, mit der CD bin ich immer noch zufrieden. Ich kenne das natürlich, man könnte immer und jederzeit Dinge ändern. Es gibt viele Wege nach Rom und es gibt viele Wege, eine CD zu produzieren. Für unsere Verhältnisse und für das, was am Ende dabei herausgekommen ist, bin ich sehr zufrieden. Man darf nicht vergessen, es war eine "low budget production", hat also nicht viel gekostet. Und trotzdem ist das Ergebnis prima und steht vor allem soundmäßig anderen CDs keinesfalls nach.
Da muss ich Dir Recht geben, es ist ein sehr erdiger und natürlicher Klang.
Absolut. Wir wollten auch keine Pop-Produktion und nichts für große Räume oder Hallen. Im Gegenteil, bei der CD-Produktion sollte eher Club- und Saal-Feeling rüber kommen. Und live wird es ähnlich klingen.
Zwei der Songs vom neuen Album kennen wir alle: "Mein Bruder Blues" und "Whisky", die beide aus CÄSARs Feder stammen. Die beiden Nummern gehören auch schon seit längerem zu Deinem Liveprogramm. Warum sind es gerade diesen beiden geworden?
Ich war mit CÄSAR sehr eng befreundet und habe auch mit seinen Söhnen viele Jahre lang zusammen Musik gemacht. Als CÄSAR dann nicht mehr unter uns weilte, fand im "Anker" in Leipzig eine Gedächtnisparty statt. Da fragte man mich, ob ich Lust hätte, bei dieser Veranstaltung mitzumachen. Man schlug mir vor, "Mein Bruder Blues" und "Whisky" zu spielen. Beim Auseinandersetzen mit den beiden Songs stellte ich dann fest, das könnten auch genau so gut meine Songs sein. Seitdem stehen diese Nummern auch dauerhaft in meinem Programm.
Cäsar scheint überhaupt eine wichtige Rolle in Deinem Leben gespielt zu haben ...
Absolut. Das begann damals mit RENFT. Anfang der 70er Jahre war RENFT gerade eine wichtige Größe geworden. Da ich ohnehin gerade wegen meines Musikstudiums in Leipzig war, ergab es sich, dass wir uns öfter trafen und über alles Mögliche redeten und sinnierten. Zu diesem Zeitpunkt kamen auch gerade die deutschen Texte in der Rockmusik auf und RENFT hatte in Gerulf Pannach ja auch einen sehr guten Texter zur Hand. Ich war immer irgendwie dabei. Auch als RENFT dann verboten wurde, habe ich mich mit CÄSAR weiterhin getroffen. Später dann war ich ja auch bei KARUSSELL. In dieser Zeit festigte sich meine Freundschaft zu CÄSAR sehr stark. Wir waren also schon richtig lange Zeit Freunde.
Irgendwer hat mal gesagt: "CÄSAR war der einzige echte Rockstar, den die DDR je hatte".
Das ist wohl wahr. Die meisten Rockstars sind ja bekannt geworden durch ihre Bands, in denen sie spielten. Aber der Einzige, der für sich alleine stand, das war CÄSAR. Ich wüsste auch heute noch keinen, der ihm das Wasser reichen kann.
Dann hat Dich sein Tod sicher mächtig getroffen.
Natürlich. Wir wussten zwar schon vorher über einige Dinge Bescheid, die seine Gesundheit betrafen, aber wenn man dann persönlich damit in Berührung kommt, geht einem das doch mächtig an die Nieren. Solche Dinge braucht man überhaupt nicht.
2010 hast Du in Leipzig beim Semper Fidelis-Gedenkkonzert für PETER GLÄSER mitgespielt. Wirst Du am 30. März in Gera auch wieder dabei sein?
Nein, diesmal wahrscheinlich nicht. Die beiden Söhne sind sicher dabei, aber alles andere muss Simone Dake entscheiden. Die managt das und macht das auch sehr gut. Wenn ich gefragt werde, mache ich natürlich gerne mit, aber das steht im Moment nicht zur Diskussion.
Du hast eben CÄSARs Söhne Robert und Moritz erwähnt. Es sind sicher ganz eigene Charaktere und sie gehören auch einer anderen Musikergeneration an. Dennoch wurden sie zu einem Großteil von ihrem Vater geprägt. Was meinst Du, wie viel Cäsar steckt in den beiden?
Wenn man CÄSAR kennt, vor allem den jungen CÄSAR, dann sagt man vor allem über Moritz in Sachen Habitus und Gestik: "Wie der Alte!" Musikalisch muss man das aber schon etwas differenzieren. Bei Robert ist es so, dass der schon mit 16 Jahren mit seinem Vater zusammen gespielt hat. Er ist in die ganze Rockgeschichte involviert, kennt die ganzen Leute, war immer dabei. Robert ist auch sehr interessiert an Rockgeschichte, hinterfragt viel und deshalb ist es für ihn auch nichts Schlimmes oder gar Belastendes, mit so alten Leuten wie mir zusammen zu spielen. Wir lernen beide gegenseitig sehr viel voneinander.
Am 27. März präsentierst Du im Maschinenhaus der Kulturbrauerei die CD offiziell Deinen Fans. Es werden diverse Gäste mit Dir und Deiner Band auf der Bühne stehen. Nenn bitte mal ein paar Namen.
Es wird Bodi Bodag dabei sein, Peter Schmidt von EASTBLUES EXPERIENCE und ich konnte sogar meinen Freund Speiche von MONOKEL überreden, zwei Titel mitzuspielen. Natürlich fehlt auch Dirk Zöllner nicht, Andy Wieczorek kommt mit seinem Saxophon und und und ... Lasst Euch überraschen. Sören Birke sollte ich vielleicht noch erwähnen, der ja so was wie der Veranstaltungsvater ist, weil er in der Geschäftsleitung der Kulturbrauerei sitzt. Den kenne ich noch von früher, also habe ich ihn eingeladen, mit seiner Mundharmonika vorbei zu kommen und mitzuspielen.
Nach welchen Kriterien hast Du Deine Gäste ausgewählt?
Das sind alles meine Freunde, da gab es keine Kriterien. Zu meinem 60. Geburtstag waren die auch schon alle dabei, davon gibt es ja sogar eine DVD. Jetzt habe ich alle wieder angerufen und gefragt, ob wir wieder mal was zusammen machen wollen. Damit kann man auch dem Publikum zeigen: Guckt mal, wir sind alle noch da!
Bei so vielen unterschiedlichen Gästen müsst Ihr doch sicherlich auch mal vorher proben oder verlässt man sich auf die Professionalität der Musiker?
Na klar machen wir vorher eine Probe. Die findet bei mir zuhause statt, in ganz gemütlichem Rahmen. Ganz leise und ruhig, das Schlagzeug wird nur angedeutet. Ich denke, jeder weiß, was er zu tun hat. Hauptsächlich werden wir die einzelnen organisatorischen Abläufe besprechen, wer muss wann in den Vordergrund, wer muss wann etwas zurücktreten, wer spielt was, wann, warum und wie lange, und all sowas. Die Songs hat jeder vorliegen, da brauchen wir nicht groß dran rumdoktorn, denn die Jungs wissen, wie man Musik macht. Beim Blues ist es ja relativ einfach. Es gibt zwei oder drei Sachen, die man beachten muss. Kennt man die, kann man auch schnell mal in eine Session einsteigen. Der Blues bietet relativ viel Freiraum, mal einen Chorus zu spielen, was die Pop-Musiker zum Beispiel gar nicht mögen. Und wenn ein Gitarrist sein Handwerk versteht und gut drauf ist an dem Abend, dann kann er ruhig auch mal nicht nur zwei, sondern drei oder vier Chorusse spielen. Da muss man die Sache einfach laufen lassen.
Was passiert am 27. März? Gibt es eine reine CD-Release-Party oder können wir uns auf ein ausgewachsenes STOLLE-Konzert, vielleicht mit einigen Überraschungen freuen?
Es wird auf jeden Fall einen Block mit Titeln der neuen CD geben. Alle neuen Songs sind live nicht spielbar, jedenfalls ist das mein momentanes Gefühl. Bei unseren Gästen ist es ja so, dass jeder Gast das spielen darf, was er will. Eröffnet wird der Abend von einer ganz tollen, jungen Sängerin namens Marie Chain, die bereits sehr viel musikalische Erfahrung besitzt und ein paar ihrer Lieder spielen wird.
Man darf es ruhig sagen, Du hast inzwischen 63-mal Geburtstag gehabt. Den größten Teil davon hast Du auf der Bühne gestanden und Musik gemacht. Wie Du schon im letzten Song Deiner neuen Platte singst, ging es dabei nicht immer nur vorwärts, sondern "Das Leben ist wie ein Boogie ... mal ist es beschissen, manchmal hart, aber trotzdem schön". Deshalb lass uns mal ein bisschen über dieses Auf und Ab in den vergangenen Jahrzehnten reden. Wie begann Dein Leben mit der Musik, warst Du elternseitig vorbelastet?
An sich nicht. Meine Eltern waren ganz normale Musikliebhaber. Mein Vater hatte ein Topas-Tonband, bei dem man das Band noch per Hand einlegen musste. Er sammelte Musik, kopierte Schallplatten und zuhause lief dann immer das Tonband mit dieser Musik. Das war die einzige Verbindung zur Musik von Seiten meiner Eltern. In der Nachkriegszeit waren die Eltern aber bestrebt, aus ihren Kindern etwas zu machen, deshalb musste ich Akkordeon-Unterricht nehmen. Das war nicht unbedingt mein Traum, aber man hat es halt hingenommen. Immerhin legte das den Grundstein dafür, dass ich mir später selber das Gitarrespielen beibringen konnte.
Du wurdest 1950 geboren, verbrachtest Deine Kindheit also zu einer Zeit, in der politisch einiges los war in Deinem Geburtsland DDR. Hat sich da überhaupt jemand für Musikerziehung, Musikschulen und solche Dinge interessiert?
Natürlich, denn die Eltern wollten, dass es uns Kindern mal besser gehen soll. Zu uns kam immer Herr Witzig nach Hause, das war der Akkordeonlehrer. Der hat uns ganz schön drangsaliert, aber das gehörte eben dazu.
Ende der 60er Jahre hast Du dann in Leipzig schon in verschiedenen Amateurbands, wie z. B. KALEIDOSKOP, Dein Glück versucht. Ich nehme an, das waren alles Coverbands?
Ich muss Dich korrigieren, das war in Rostock, wo ich als kleines Kind mit meinen Eltern hinzog. Natürlich waren das Coverbands. Durch das Nachspielen haben wir viel gelernt, das war für uns normal und extrem wichtig.
Auf einem Foto von 1968 sieht man Dich unter den Namen BORDBAND als jungen Mann mit einer Gitarre im Arm. Neben Dir steht jemand mit einem Akkordeon. Was verbirgt sich hinter diesem Foto?
Ich habe nach der Schule Schiffsbetriebsschlosser gelernt und fuhr dann auch zwei, drei Jahre zur See. An Bord hatten wir diese kleine, aus zwei Leuten bestehende Bordkapelle namens BORDBAND. Wir mussten immerzu Musik machen, der Kapitän befreite mich sogar manchmal von meinen Wachdiensten, damit ich in der Zeit für ihn spiele.
Habt Ihr damals Shanties gespielt?
Nein, wir haben alles Mögliche gespielt, meistens aber Stimmungsmusik.
Während Deiner Armeezeit 1972/73 hast Du sogar in einer Soldatenband gespielt. Welchem Zweck diente eine solche Band, für wen habt Ihr gespielt? Und wie frei war man als Musiker in einer solchen Konstellation überhaupt?
Wir hatten schon relativ viele Freiräume. Normalerweise ist bei der Armee ja alles sehr strukturiert. Wenn man aber Kultur machte, bekam man schon einige Privilegien. Wir konnten im großen Saal üben, hatten einen eigenen Schlüssel und konnten in der Freizeit regelmäßig proben. Während einiger Ernteeinsätze im Sommer haben wir auf den Dörfern die Dorffeste bespielt. Es war richtige Rockmusik, also keine Kampflieder oder so was. Vorweg gab es zwar immer eine politische Singegruppe, aber das gehörte eben dazu.
Waren unter den Kollegen der Soldatenband Musiker, die man heute noch kennt?
Nein, da fällt mir niemand ein.
Interessant finde ich, dass Du zwar auch Tanzmusik studiert hast, aber zunächst an der Musikhochschule in Leipzig mit klassischem Gesang begonnen hast. Musste man Dich dazu überreden oder war einfach gerade kein anderer Studiengang frei?
Das war eine seltsame Sache. Ich fuhr - wie schon gesagt - zur See, hatte aber irgendwann die Schnauze voll. Monatelang auf See, zuhause lief mir alles weg ... In dieser Zeit schrieb mir meine Tante, dass die Musikhochschule Leipzig einen Sänger sucht. Ich fuhr dann ganz blauäugig mit meiner Gitarre hin, sang irgendwelche Lieder vor. Die meinten dann, als Solosänger können sie mich nicht gebrauchen. Aber ich könnte Chorsänger werden! Na gut, dachte ich, mache ich halt Chorsänger. Eigentlich wollte ich eher TuM studieren, also Tanz- und Unterhaltungsmusik. Aber nun war es egal, ich machte die ersten zwei Jahre erst mal Klassik, sang Opern und Arien. Ich fand das auch gar nicht schlecht, denn das ist ja wie eine Art Grundausbildung gewesen. Gesangsmäßig hat es mir auf keinen Fall geschadet.
Könntest Du auch heute noch eine Arie schmettern?
Natürlich. Ich habe schon des Öfteren mal eine Vorführung gegeben und die Leute empfinden das dann immer als sehr, sehr laut.
Parallel zum Gesangsstudium hast Du aber auch "richtige" Musik gemacht, nämlich bei einer Gruppe namens SOFT. Stand der Name Pate für die musikalische Ausrichtung?
Überhaupt nicht. Letztlich wollte man sich zum Studium einfach nur ein paar Mark dazu verdienen, da war es egal, wie die Band hieß. Man muss aber dazu sagen, hier ging es um SOFT Leipzig. Zur selben Zeit gab es nämlich auch noch eine Band namens SOFT in Berlin, was aber kein Problem war, denn jeder hatte seine eigene Musik und seine eigenen Fans.
Leipzig galt ja schon immer als eine Keimzelle für gute und anspruchsvolle Rockmusik. So blieb es nicht aus, dass Du bald an namhafte Bands geraten bist. Zum Beispiel hast Du zeitweilig bei KARUSSELL und den Bluesvätern von MAMA BASUTO mitgespielt. Warst Du in diesen beiden Bands richtig festes Mitglied?
Bei MAMA BASUTO war ich festes Mitglied, bei KARUSSELL war ich Gastsänger. Die haben ihre Songs und Platten gemacht, das hat mich nicht weiter tangiert. Aber live war ich dabei. KARUSSELL hatte anfangs nur ein einstündiges Live-Programm, man musste aber mindestens 90 Minuten bis zwei Stunden spielen. Also übernahm ich nach der ersten Stunde das Mikrofon und wir füllten die restliche Zeit mit Bluesnummern aus. Das machte richtig viel Spaß. Du musst auch bedenken, wir hatten damals ca. zwanzig Muggen im Monat, das ist heute unvorstellbar. Es war anstrengend, aber auch schön.
Bei MAMA BASUTO hast Du auch gesungen oder was war Dein Part?
Ja, da war ich auch der Sänger. Mundharmonika spielte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, das kam erst später. Damals spielte der Chef der Band, Michael Codse Malditz, die Mundi, weshalb es für mich keinerlei Notwendigkeit dafür gab.
MAMA BASUTO war ja schon damals eine Band, die sich eher dem traditionellen, ursprünglichen schwarzen Blues verpflichtet sah, wie ihn beispielsweise WILLIE DIXON, MUDDY WATERS oder auch JOHN MAYALL und ALEXIS KORNER interpretierten. Wie wurde das von den Jugendlichen in der DDR aufgenommen, die ja eigentlich eher auf den gitarrenorientierten und härteren Bluesrock abfuhren?
Du sprichst hier von den Siebzigern. Damals kamen die Leute wirklich massenweise in die Konzerte. Überwiegend natürlich die Jugendlichen, die hatten Zeit, die hatten Lust und die hatten die nötige Energie. Es war immer was los, es war immer rappelvoll, egal wo wir spielten. Damals gab es auch noch nicht so viele Diskotheken. Die Leute gingen am Wochenende "in den Saal", wie man damals sagte, und Blues war zu dieser Zeit der Standard, da fuhren die Massen total drauf ab. Das ging ja bis Mitte der 80er Jahre so weiter. Wir spielten irgendwann mal mit ZENIT in der "Jungen Garde" in Dresden, da waren 8.000 Leute da! Das muss man sich mal vorstellen. Und es gab keinen einzigen Ordner! Die einen saßen unten vor der Bühne auf dem Boden und wer tanzen wollte, stand weiter oben. Alle waren völlig entspannt und friedlich, es gab keinen Krach. Was dann natürlich nach dem Konzert passierte ... Da liefen alle durch den Park zurück, viele waren volltrunken und es gab im Park einige Schäden. Aber letztlich war das alles halb so wild. Blues, egal in welcher Form, war jedenfalls total angesagt. Das lief in den Siebzigern bis etwa 1985 extrem gut. Die Jugend nahm es als ihre Musik an und es war völlig egal, welche Art Blues Du spieltest. Wir hatten in der DDR, das muss man mal deutlich sagen, auch eine Menge wirklich interessanter und guter Bluesbands verschiedener Couleur.
Eines Tages hast Du Deinen Lebensmittelpunkt dann von Leipzig nach Berlin verlegt. Geschah das aus privaten Gründen oder war Leipzig für Dich in musikalischer Hinsicht ausgereizt?
Irgendwann tat sich in Leipzig das Problem auf, dass sich alle halbwegs guten Musiker verabschiedeten. Die stellten einen Ausreiseantrag und Tschüss, weg waren sie. Zwei oder drei andere Verbliebene zogen ebenfalls nach Berlin. Und damit war Leipzig in musikalischer Hinsicht quasi ausgeblutet. Dass begann schon in den Achtzigern. Als ich dann bei ZENIT war, dachte ich mir, wir müssen unbedingt ein Bein in die Berliner Szene rein kriegen, denn nur in Berlin gab es für Rockbands Fördermittel. In Leipzig gab es so etwas überhaupt nicht. Aber es gab in Berlin nicht nur Fördermittel, sondern noch weitergehende Hilfen für die Bands. Sei es nun die Vermittlung von Veranstaltungen gewesen oder Plattenaufnahmen. Da war es besonders deutlich, wie ich finde. 80% aller Platten in der DDR wurden von Berliner Bands aufgenommen, der Rest der Republik musste mit den restlichen 20% vorlieb nehmen. Also war es nicht die schlechteste Entscheidung, nach Berlin zu gehen.
Wenn ich heute auf Blueskonzerte gehe, ist es fast normal, dass zu besonderen Anlässen Musiker anderer Bands als Gäste auf der Bühne stehen. Ich könnte mir vorstellen, das war vor dreißig Jahren noch nicht so ausgeprägt, weil man da in den anderen Bands doch eher Konkurrenten sah. Wie war zu DDR-Zeiten das Verhältnis zwischen Euch Musikern? Gab es so was, wie Neid?
Was den Neid betrifft: Teils, teils. Mit Gastmusikern an sich war das nicht so ausgeprägt, das stimmt. Aber wir hatten damals die Möglichkeit, mit mehreren Bands gleichzeitig auf Tour zu gehen. Das empfand ich als angenehm. Im Sommer beispielsweise spielten wir immer mit ENGERLING und JONATHAN zusammen an der Ostsee. Untereinander gab es aber eigentlich keine Konkurrenz. Auch mit MONOKEL nicht. Ich kann aber nur für uns sprechen. Es gab ja in der DDR auch noch eine richtige Hardrock- und Metalszene. Wie es bei denen war, kann ich nicht beurteilen. Da wurde mehr Wert auf Posing und so was gelegt, da ging es also um ganz andere Dinge, als bei uns Bluesern. Und was die Oberklasse der Rockmusiker betrifft, da gab es schon mal das eine oder andere Gerangel, aber das blieb alles im Rahmen. Natürlich hätten früher niemals solche Bands wie KARAT und die PUHDYS gemeinsam auf einer Bühne gestanden. Aber das mussten sie auch nicht, denn jeder für sich hat den Laden vollgekriegt, da brauchten die keine zweite Band. Das hätte überhaupt keinen Sinn gemacht.
Es war 1980, oder schon 1981, als Du einen für Deine weitere Karriere bedeutungsvollen Schritt wagtest. Du bist der Gruppe ZENIT beigetreten, die damals gerade erst ihren Status als Berufsmusiker erhalten hatten. Brauchtest Du einen Tapetenwechsel?
Ich bin in Rostock groß geworden, habe da meine Jugend verbracht und ZENIT war ja eine Rostocker Band. Mit dem ehemaligen ZENIT-Pianisten spielte ich vor meinem Studium auch schon in der einen oder anderen Gruppe zusammen. Als ich dann mit KARUSSELL mal in Rostock spielte, fragte er mich, ob ich nicht Lust hätte, als Sänger bei ZENIT einzusteigen, weil ihr bisheriger Sänger zu HORST KRÜGER gegangen war. Nun wusste ich, dass ZENIT eine gut organisierte Band war und der Bandleader sichere Veranstaltungen abschloss, es lief also ganz gut bei denen. Ich lief demnach nicht blind hinein, sondern ich war mir sicher, diese Band hatte zumindest in Rostock einen guten Stand. Deshalb machte ich da mit.
Du hast gleich mehrere Kollegen von MAMA BASUTO zu ZENIT mitgenommen. Solche Aktionen riechen immer verdammt nach internem Ärger. Was war da los?
Es ist ja so, dass irgendwann mal jeder Musiker an seine Grenzen kommt. Deshalb habe ich dann bei ZENIT irgendwann zu unserem Bassisten, der gleichzeitig auch der Manager war, gesagt: "Du brauchst keinen Bass mehr spielen. Kümmere Dich nur um die Geschäfte, da bist Du besser aufgehoben, Du brauchst dann auch nicht immer mit zu den Konzerten fahren". Er ließ sich tatsächlich dazu überreden und fuhr damit ganz gut. Nun hatten wir zwar keinen Bassisten mehr, aber ich schlug den Jungs dann vor: "Ich kenne einen Bassisten aus Leipzig, von MAMA BASUTO". Der kam dann auch und freute sich riesig, dass er bei ZENIT mitspielen konnte. Es war ja so, dass ZENIT eine Profiband war. Das bedeutete, man brauchte nicht mehr zu arbeiten, sondern machte seine Musik und das reichte zum Leben. Kurz darauf hörte der Drummer auf, weil ihm das alles zu stressig wurde. Wir waren ja mittlerweile in der ganzen DDR unterwegs, was natürlich enorm viel Zeit kostete durch die viele Fahrerei auf diesen tollen Straßen und Autobahnen. Nun brauchten wir also auch einen neuen Schlagzeuger. In Rostock gab es zu der Zeit keinen, der richtig gut war. Also schlug ich vor, nachdem nun schon der Bassist und ich da waren, auch noch Frank Fischer von MAMA BASUTO zu nehmen. Später folgte noch der Pianist. Zu guter letzt ging der ZENIT-Gitarrist weg zu BERLUC, was ihm keiner verübeln konnte, denn die waren gerade auf dem Weg nach oben. Also brauchten wir einen Ersatz-Gitarristen und an wen haben wir wohl gedacht? Letztlich war es dann so, dass bis auf den Chef die gesamte MAMA BASUTO-Band bei ZENIT spielte.
Und das ging wirklich alles ohne Zoff ab? Schwer vorstellbar ...
Nein, es gab wirklich keinen Zoff, sondern das unterliegt ja immer alles einer stetigen Entwicklung. Man greift natürlich immer zuerst auf Leute zurück, die man kannte und auf die man sich verlassen konnte. Außerdem war es so, dass MAMA BASUTO kaum noch Konzerte spielte, weil ja kaum noch einer da war und weil sich auch keiner so richtig darum gekümmert hatte. Die hatten kein funktionierendes Management und daran krankte die Band zeitlebens. Wenn man dann die Wahl hat zwischen einer Band mit drei oder vier Gigs im Monat und einer, die jede Woche mehrmals spielt ... Dann sahen die Musiker natürlich, es gibt bei ZENIT richtig Kohle, man kann Verstärker davon kaufen, dies und jenes besorgen von dem Geld ... Außerdem ist da immer was los und wir mögen die Musik. Es war also wirklich eine logische, normale Entwicklung.
Lass mich kurz einen kleinen Schwenk machen. Als Du zu Beginn der 80er Jahre bei ZENIT eingestiegen bist, was für einen Stellenwert hatte die Bluesmusik Deiner Meinung nach zu dieser Zeit? Ich meine damit vor allem die Akzeptanz von Seiten des Staates, nachdem in den Siebzigern ja schon beinahe eine Kriminalisierung der Kutte und lange Haare tragenden Bluesfans erfolgte.
Das stimmt, in den 70er Jahren wurde da ein ziemlich hartes Programm gefahren. In den Achtzigern kam man aber wieder davon weg, weil es keinen Sinn machte. Stattdessen wurde die Szene geduldet, aber umso mehr kontrolliert. Ich weiß, andere Bands hatten hier und da ordentlich Stress, aber wir mit ZENIT hatten glücklicherweise keinerlei Berührungspunkte mit der STASI. Unsere Rundfunkaufnahmen galten als salonfähig, weshalb wir auch geduldet wurden. Entscheidend waren ja immer die Texte. Natürlich hatten wir manchmal auch ein paar wacklige Verse dabei, aber da entschied dann unsere Produzentin Luise Mirsch gleich, dass es so nicht funktionieren wird. Es hätte ja auch nichts gebracht, außer haufenweise Ärger.
Von 1979 bis 1987 gab es in Berlin die so genannten Bluesmessen, die mehr und mehr zu einem Politikum wurden. Habt Ihr auch mal bei einer solchen Bluesmesse mitgemacht oder habt Ihr Euch eher als unpolitische Band verstanden?
Ja, ich habe von diesen Messen gehört, aber ich war weder alleine noch mit ZENIT jemals dabei. Unser Manager riet uns immer davon ab, weil man durch seine Teilnahme in Kauf nehmen musste, dass man keine Platten mehr aufnehmen darf, dass man nicht ins Ausland fahren kann und einiges mehr. Also mussten wir uns entscheiden, ob wir das wollen. Uns hatte auch nie einer gefragt. Die Veranstalter hatten in der Regel ihre eigenen Bluesbands, die da auftraten. Das war uns ganz recht, denn wir wollten eigentlich nur in Ruhe unsere Musik machen. Nimm das Beispiel FREYGANG. Die begannen mal als Bluesband und gingen erst durch die Teilnahme an den Bluesmessen in die Richtung TON STEINE SCHERBEN-Songs. Natürlich zogen die dann pro Konzert schon mal bis zu Tausend Zuschauer an, aber der Ärger war natürlich auch vorprogrammiert.
Zurück zu ZENIT. Soweit ich weiß, begann die Band erst mit Deinem Eintritt, eigene Songs zu schreiben. Warst Du der treibende Keil dabei?
Letztlich ja. Die Jungs haben es schon vor meinem Einstieg mit eigenen Songs probiert, aber das klappte nie so richtig. Mein Ziel hingegen war eine eigene Schallplatte mit selbst geschriebenen Liedern. Ich kannte das ja schon von KARUSSELL, wo mit eigenen Sachen gearbeitet wurde und da hatte ich mir auch ein paar Techniken abgeschaut. Das eigentlich Kritische, das sagte ich ja vorhin schon mal, waren immer die Texte. Die Musik wurde durchgewunken, aber bei den Texten gab es öfter Diskussionen mit dem Lektorat. Für mich war das immer wie so eine kleine Bonusaufgabe und für einen guten Text gibt es zwei Extrapunkte.
Ihr habt Euch auf den so genannten Big City Blues spezialisiert. Steht jedenfalls heute überall in den Geschichtsbüchern zu lesen. Was war an dieser Stilistik so anders, als am herkömmlichen Blues? Ich konnte nirgendwo eine Erklärung dafür finden.
Big City Blues bedeutet, dass der Blues von der Akustikgitarre und kleinen Räumen zur Elektrogitarre und auf die großen Bühnen kam. Der Blues wurde also in die Großstadt getragen. Wenn wir als BIG CITY BLUES BAND unterwegs waren, haben wir auch mit großer Besetzung gespielt, hatten also Bläser und eine Hammond-Orgel dabei. Das muss man also unterscheiden von der normalen ZENIT-Band, die in üblicher Rock-Besetzung spielte.
Wie lange habt Ihr gebraucht, um Euch in der Bluesszene neben den etablierten Bands einen Namen zu erspielen und akzeptiert zu werden?
Ungefähr zwei bis drei Jahre. Wir waren immer bemüht, zusammen mit Bluesbands auf die Bühne zu gehen, die schon einen Namen hatten. Anfangs waren wir als Vorband dieser Gruppen unterwegs, was den Vorteil hatte, dass auch die Fans der bekannteren Bands uns kennen lernten. Irgendwann löste sich das dann dahingehend auf, dass wir auch alleine unterwegs waren und eigene Konzerte spielen konnten.
Ihr habt mit ZENIT monatlich zwischen 15 und 20 Auftritte gehabt. Nun war es ja in der DDR üblich, nicht nur Konzerte zu geben, sondern auch zum Tanz zu spielen. Welche dieser beiden Optionen waren Euch lieber?
Das ist nicht so leicht zu beantworten. Damals hieß "Konzert" ja noch, die Band kam ins Kino rein und das Publikum saß. Natürlich war es immer sehr schwierig, die Leute in dieser Konstellation zum Aufstehen und Mitmachen zu bewegen. Deshalb spielten wir lieber zum Tanz. Wenn wir irgendwo auf dem Dorf tätig waren, war der Platz vor der Bühne anfangs frei, aber ganz schnell sprangen und hüpften die Typen da rum und hatten ihre Freude. Es war einfach mehr Energie da bei solchen Tanzabenden.
Hin und wieder zählten auch BERND KLEINOW und der Saxophonist KONRAD KÖRNER zum Line Up von ZENIT. Das waren ja durchaus schon richtig namhafte Kollegen, die Ihr gewinnen konntet. Waren die beiden nur an Studio- bzw. Rundfunkaufnahmen beteiligt oder spielten die auch live bei ZENIT mit?
BERND KLEINOW war auch manchmal mit uns im Studio, während KONNY am liebsten live spielte. Wir spielten nämlich in zwei komplizierten Tonarten, die für einen Bläser nicht einfach waren. Das wiederum reizte KONNY sehr, weshalb er mal sagte: "Bei uns kann ich wenigstens mal die Tonleiter üben". Unsere Techniker haben ja früher auch regelmäßig in Leipzig die "Jazztage" beschallt, wo überwiegend Freejazz angesagt war. Und von da kamen auch unsere drei Bläser der BIG CITY BLUES BAND. Wir hatten also noch mehr Gäste in unseren Bands.
Ihr durftet, so muss man das ja sagen, jährlich zwei bis drei Titel beim Rundfunk produzieren. Habt Ihr wenigstens selber entscheiden dürfen, was aufgenommen wird oder gab es wieder so eine von diesen berüchtigten Kommissionen, die diesbezüglich das Sagen hatte?
Nein, da redete keiner rein. Wir sind mit unseren Liedern zu Luise Mirsch gefahren, die wir immer sehr geschätzt haben. Die gab uns die nötigen Tipps, worauf wir achten müssen und das war es auch schon.
1984 erschien eine "Kleeblatt"-LP unter dem Motto "Berliner Bluesbands", auf der neben der JONATHAN BLUES BAND und MONOKEL auch ein paar Songs von Euch zu finden sind. Ich vermute mal, dass Ihr als Band aber spätestens jetzt von der Entscheidung befreit wart, was in die Rillen gepresst wird?
Doch, wir durften auch hier mitreden. Wir wurden gefragt, was wollt Ihr an Titeln drauf haben auf der Platte und dann haben wir gesagt: "Das, das und das ...". Da es eigene Titel waren, gab es zunächst keine Probleme. Wir mussten natürlich vorher noch - wie üblich - die Texte einschicken und fertig war der Kuchen.
Das war aber wirklich nicht üblich, denn gerade bei den neueren Bands hat man doch schon mal aus Kostengründen auf irgendwelche oftmals schon ältere Rundfunkproduktionen zurückgegriffen.
Das stimmt, aber wir hatten das Glück, dass wir nicht viel Material beim Rundfunk rumliegen hatten. Da gab es noch gerade ein Lied vom Rundfunk, was auf die "Kleeblatt"-LP mit rauf kam, die zwei anderen konnten wir in dem besser ausgestatteten AMIGA-Studio neu einspielen. Wir waren natürlich stolz wie Bolle wegen der Platte.
Dann dauerte es auch nicht mehr lange bis zur ersten eigenen LP, die logischerweise den Titel "Dr. Blues" trug. Das Besondere an dieser Platte war die ungewöhnliche Zusammenstellung der beiden Seiten, denn auf Seite 1 konnte man reine ZENIT-Songs der letzten Jahre hören. Die B-Seite hingegen gehörte der BIG CITY BLUES BAND und war ein Live-Mitschnitt aus dem "Haus der jungen Talente" in Berlin. Wolltet Ihr die Platte so zweigeteilt?
Ich sammelte früher Liveaufnahmen, die ich zwar nur auf Kassette hatte, aber es war live. Deshalb war es auch mein Wunsch, mal ein Konzert von uns live mitzuschneiden. Das klappte dann eines Tages auch. Man schnitt unser Konzert mit, wir hörten uns das hinterher an und fanden das okay. Allerdings war das eben die große BIG CITY BLUES BAND mit drei Bläsern und der Orgel. Wir hatten so was vorher schon mit MAMA BASUTO gemacht, allerdings war das nicht so durchorganisiert, dass es zu einer Aufnahme reichte. Am Ende war es mit der BIG CITY BLUES BAND eine extrem gute Mischung aus Covertiteln und eigenen Songs.
"Dr. Blues" gab nicht nur der LP den Namen, sondern das war und ist auch Eure bekanntest Nummer. Habt Ihr damit gerechnet, dass das Ding dermaßen einschlägt und hat Euch "Dr. Blues" letztlich auch ein paar Türen geöffnet?
Ja, durchaus. Hauptsächlich, was die Plattenproduktion betraf, half uns der Titel enorm weiter. Denn wegen des durchschlagenden Erfolges von "Dr. Blues" als Einzeltitel kam man ja erst auf uns zu und sagte: "Lasst uns mal eine Platte machen". Das war wirklich der Türöffner, wie Du so schön sagst.
Nun habe ich gelesen, dass trotz des Erfolges der "Kleeblatt"-LP und Eurer eigenen LP zwar hier und da mal ein Song im Rundfunk lief, aber Fernsehen und Presse weitestgehend einen Bogen um ZENIT gemacht haben, die Band also im Gegensatz zu MONOKEL oder JONATHAN in den Medien kaum stattfand. Hat Euch das geärgert?
Fernsehen gab es für Bluesbands gar nicht, weder für uns, noch für JONATHAN oder ENGERLING. Vielleicht war man einmal in "rund" zu sehen, aber das war's dann auch schon. Andere Bands waren da viel präsenter, speziell aus dem Rockbereich. Wir haben zwar auch bei "Rock für den Frieden" gespielt, aber niemals im Großen Saal, sondern immer nur auf Nebenbühnen. Aber damit hatten wir uns abgefunden, denn lieber waren wir in zweiter Reihe dabei, als gar nicht. Wenn ich ehrlich bin, haben uns die Medien damals auch nicht so interessiert. Wir spielten lieber live, da kamen die Leute in Scharen und daraus holten wir uns die nötige Bestätigung.
Trotzdem durftet Ihr zwei Jahre nach der ersten Platte, also 1987, noch eine zweite LP aufnehmen und zwar eine Live-LP mit dem Namen "Let the good times roll". Ihr müsst also irgendwo bei AMIGA einen Fürsprecher gehabt haben. Oder war ZENIT inzwischen so populär, dass man nicht mehr an Euch vorbei kam?
Wir hatten ja schon bei ersten Platte unseren eigenen Produzenten, den Karl-Heinz Ocasek. Dem sagte ich, wir müssen mal wieder so eine Live-Platte machen. Der war einverstanden. Nun gab es in Berlin den Studentenklub an der Humboldt-Uni. Wenn wir da spielten, war immer der Teufel los. Da hat dermaßen die Luft gebrannt, das ist heute unvorstellbar. Das war ein flacher Keller, brechend voll mit Leuten, wir haben geschwitzt ohne Ende. Und genau da wollte ich die Aufnahmen für die Platte machen. Am Ende wurde es sehr gut, die Liveatmosphäre kommt sehr gut rüber. Die Leute kannten unsere Musik sehr gut und warteten schon regelrecht auf manche Details in den Liedern. Als BERND KLEINOW zum Beispiel mal auf seiner Mundi einfach nur ein Stückchen einer DIESTELMANN-Nummer anspielte, erkannten die das sofort und jubelten lautstark. Es war Klasse. Und man kann sagen, dieses zweite Album entsprach genau meinen Vorstellungen. Komisch war noch, dass die Platte eigentlich schon ein Jahr früher fertig war. Aber das war blöderweise das Jahr, in dem Berlin 750 Jahre alt wurde und da wurden sämtliche Plattenkontingente des Jahres für Ausgaben zum Berlin-Geburtstag gebraucht.
Leider gibt es die beiden ZENIT-LPs noch immer nicht auf CD oder doch?
Nein, die kompletten Platten nicht. Zwei Einzeltitel, nämlich "Dr. Blues" und den "Langschläferblues" findet man auf irgendwelchen Kopplungen, aber mehr auch nicht. Das ist schade, ja. Ich habe mich aber von Ocasek darüber in Kenntnis setzen lassen, dass ich eigentlich die vollen Rechte über die Titel habe. Es wird zwar die Original-Bänder nicht mehr geben, aber ich habe die Schallplatten noch da. Die könnte ich ja praktisch digitalisieren, mit der heutigen Technik noch etwas verhübschen und aufpeppen und dann verkaufen. Aber das macht einfach keinen Sinn. Die Platte gehört zur damaligen Zeit und würde heute keinen mehr interessieren.
Sag' das nicht, ich würde Dir eine ordentlich digitalisierte CD sofort aus der Hand reißen. Und sicher nicht nur ich.
Das ist mir klar. Aber die Zahl der Liebhaber reicht einfach nicht aus, um so etwas rentabel zu gestalten. Ocasek hat zwar nach der Wende die ganzen alten Kampflieder auf CD raus gebracht und das verkaufte sich wie verrückt. Aber er und ich wusste auch, die Bluessachen laufen lange nicht so gut. Wenn jetzt Sony käme und wollte das alte Zeug wieder raus bringen, würde ich natürlich zustimmen. So muss ich aber sagen, ich müsste die Sache alleine vorfinanzieren und das ist mir zu riskant.
Ihr wart ja Berufsmusiker. Nun war es aber nicht so, wie in der westlichen Welt, dass der Markt und die Nachfrage den Verdienst einer Band bestimmten, sondern in der DDR waren die Einnahmen und Gagen einer festen Reglementierung unterworfen. Konntet Ihr wirklich von den Einnahmen leben?
Wir hatten ja mit ZENIT eine bestimmte Bandeinstufung. Das war der Grund, weshalb wir nach Berlin gegangen sind. Ich selber hatte ja einen Hochschulabschluss und konnte deshalb bei den Vorgaben für meinen Verdienst 100% draufschlagen. Das waren immerhin 260 Ostmark pro Konzert und das war schon viel Geld damals. Im Durchschnitt bekam jeder Musiker bei uns pro Abend etwa einhundert Mark, das war in Ordnung. Für DDR-Verhältnisse war das schon gehobene Klasse. Gut, kein PUHDYS-Gehalt, aber man kam sehr gut damit hin.
Wie siehst Du rückwirkend Deine Zeit mit ZENIT? War es die wichtigste Zeit in Deiner musikalischen Laufbahn? Auf jeden Fall doch aber die prägendste, oder?
Eindeutig ja, weil wir in dieser Zeit am produktivsten waren. Wir sind raus gefahren in die große weite Welt der DDR, was bedeutete, mehr als 50 Kilometer Umkreis. In dieser Zeit begann ich ja auch, Mundharmonika zu spielen. Sicher war BERND KLEINOW immer der bessere Mundi-Spieler, aber das war egal.
Es gehört inzwischen zur Normalität, dass sich Bands aus dem vergangenen Jahrhundert nach unzähligen Jahren der Trennung heutzutage einfach mal einer Reunion unterziehen. Die einen machen es, um ihr Taschengeld aufzubessern, andere haben tatsächlich den Willen, künstlerisch noch einmal etwas zu bewegen. Was hältst Du von der Idee, eine Band wie ZENIT wieder zum Leben zu erwecken?
Das lässt sich schon deshalb nicht mehr so richtig reunionieren, weil der Bassist schon tot ist. Gut, dass könnte man schieben, aber musikalisch war das einfach eine andere Zeit. Nach der Wende haben wir es ja noch ein paar Mal gemacht, sind als ZENIT aufgetreten. Das war vor allem zwischen 1995 und 1998, als die Leute sich an der Westmusik satt gehört hatten und wieder auf den Trichter kamen, dass unsere Ostbands ja auch gut sind. Mit der Zeit kristallisierte sich aber heraus, dass die einzelnen Musiker auch noch andere Verpflichtungen hatten und irgendwann sagten wir dann: "Jetzt ist Schluss mit ZENIT, das war's". Klar könnte man das heute noch mal versuchen, aber es macht musikalisch keinen Sinn.
Die 80er Jahre gingen zu Ende und somit auch die Lebenszeit der DDR. Als die Mauer sich 1989 öffnete, was für Gefühle hattest Du da? Unterschieden sich die Gedanken des Menschen Eberhard Stolle von denen des Musikers?
Grundsätzlich war ich froh, dass es so kam. Das Interessante war ja, dass wir an diesem ominösen 9. November gerade wieder in diesem Studentenklub der Humboldt-Uni gespielt hatten. Und wir wunderten uns extremst, warum an diesem Abend keiner zum Konzert kam. Der Saal war halb leer. Erst als ich dann später zu Hause war, bekam ich mit, was eigentlich passiert war. Ja, wie soll ich meine Gefühle beschreiben ... Also, wir hatten uns als Musiker in der DDR ja mittlerweile tot gelaufen. Wir kannten jede Bühne, jeden Stein im Land. Wir waren im russischen Ausland, sogar an der Trasse, was sollte da noch kommen? Deshalb fand ich toll, dass die Mauer weg war, weil ich das für uns Musiker als Chance sah, voranzukommen.
Du hast aber gar nicht erst lange den alten Zeiten nachgetrauert, sondern mit ALEXANDER BLUME die INTERCITY BLUES BAND aufgemacht. Mal ehrlich: Hat das in diesen Zeiten überhaupt jemanden hinterm Ofen vorgelockt?
Das war genau der Punkt, denn zu der Zeit wollte der DDR-Bürger natürlich erst einmal seinen Hunger nach Westmusik befriedigen. Aber es gab da so eine Art Fördertopf, der allerdings hauptsächlich für die Weststudios ausgeschüttet wurde. So waren wir z. B. mal im Schwabenland, was für mich eine ganz seltsame Erfahrung war. Wir haben zwar damals eine Menge Songs aufgenommen, hatten auch tolle Musiker dabei, auch in guten Studios in Westdeutschland produziert, aber es hat wirklich niemanden interessiert. Es war einfach die falsche Zeit dafür.
Ihr habt sogar eine LP unter dem Titel "Reflection in blues" aufgenommen. Wie hat die sich verkauft?
Das weiß ich nicht mehr.
Irgendwann hast Du dann aber für Dich entschieden, solistisch weiter zu machen. Bis 1997 hast Du drei Live CDs gemacht. Es ging also wieder schrittweise aufwärts?
Na ja, ZENIT war halt ein Auslaufmodell. Bis 1990 waren wir noch aktiv, spielten die alten Verträge ab. Für Westgeld, das war okay. Danach war erst mal Ruhe. Für mich war wirklich ein ganzes Jahr Pause. Ich fuhr höchstens manchmal rüber in den Westen, spielte hier und da in einigen Sessions mit. Aber natürlich fehlte mir schon bald die Musik als Ganzes. Deshalb setzten wir restlichen ZENIT-Leute uns zusammen und überlegten, wie es weitergeht. Das war zum einen der Bassist "Erbse" Moser, dann Jürgen Schötz, der vor seinem Wechsel zu JONATHAN ebenfalls bei ZENIT war. Und unser alter Gitarrist sowieso. Wir überlegten dann, ob wir uns weiterhin ZENIT nennen sollten. Letztlich einigten wir uns auf einen neuen Namen, obwohl uns klar war, dass wir damit anfangs zu kämpfen hätten, um uns wieder ins Bewusstsein der Leute zu spielen. Das war der Moment, in dem BIG JOE STOLLE aus der Taufe gehoben wurde. Aus dem einstigen Joke wurde also Ernst. Ab 1993 ging es dann wieder richtig los für uns. In diesem Jahr bekam ich auch mein erstes Mobiltelefon und konnte nun also selber dafür sorgen, dass wir Auftritte bekamen. Ich telefonierte wirklich jeden Tag zwei Stunden in der Gegend rum, erzählte, wer wir sind und was wir machen. Dieses Klinkenputzen hatte aber auch durchaus Erfolg, denn wir brachten es in dieser Zeit auf 170 bis 180 Muggen jährlich.
Immerhin hast Du es geschafft, mit solchen internationalen Größen wie CHAMPION JACK DUPREE und JACK BRUCE aufzutreten. Waren das zufällige Begegnungen oder wer ist da gezielt auf wen zugekommen?
Ja, im Prinzip waren das eher Zufälle. CHAMPION JACK DUPREE z. B. wohnte in der Nähe des "Quartier Latin", was heute der "Wintergarten" ist. Da drin gab es ein Café, welches von einem Freund von mir geleitet wurde. Dieser Freund, ein farbiger Amerikaner, war früher mal Betreuer bei T-Bone Walker (Anm. d. Verf.: ein amerikanischer Bluesgitarrist) gewesen. Und in diesem Café spielten immer die Ausreisebands. Also all die Musiker von uns, die ausgereist waren, trafen sich in dort. Im "Quartier Latin" traten auch viele bekannte Bands auf. Und da der DUPREE in der Nähe wohnte, kam der öfter mal vorbei und spielte mit. Meistens mit einer Pulle Whisky in der Hand. Der war schon ziemlich alt, ein ganz ruhiger Typ, aber beim Singen kam er richtig aus sich raus und war ein anderer Mensch. Wir haben uns oft dort getroffen und Session gemacht. Mit JACK BRUCE (Bassist bei CREAM, Anm. d. Verf.) war es so, dass ich seinerzeit Roadie und Tourmanager bei der HAMBURG BLUES BAND war. Die gingen eine Zeit lang zusammen auf Tour und da ergab es sich, dass ich hin und wieder mal meine Mundi rausholen sollte, um mitzuspielen. Am Ende wurden daraus mehrere Konzerte, die auch richtig Spaß machten. Erstaunlich bei JACK BRUCE war, wie viel Energie dieser unglaublich kleine Mann beim Spielen entwickeln konnte! Aber bei all diesen Gelegenheiten stellte ich fest, dass diese ganzen Stars auch nur mit Wasser kochen.
Bemerkenswert finde ich vor allem Dein Zusammentreffen mit CHARLIE MUSSELWHITE, der ja so wie Du ein großartiger Mundharmonikaspieler ist. Bei welcher Gelegenheit habt Ihr Euch getroffen?
Das war noch zu DDR-Zeiten. Da spielte MUSSELWHITE in Halle im "Turm". Ich kannte ihn natürlich als glänzenden Mundharmonikaspieler, aber eben noch nicht persönlich. Da mein damaliger Manager aber die Leitung vom "Turm" kannte, kamen wir rein zum Konzert und da lernte ich CHARLIE MUSSELWHITE auch kennen. Mein Englisch war zwar eher mies, so dass nicht allzu viel Kommunikation erfolgte, aber musikalisch verstanden wir uns. Wir spielten dann an dem Abend zusammen, er auf seiner Mundi die hohen Töne, ich auf meiner die tiefen Töne. Das war schon interessant und ging tierisch ab. Seine Band war Klasse und den Leuten gefiel es sehr gut.
Wie sah es bei Dir nach der Wende mit Auslandsgastspielen aus?
Da war gar nichts, zumindest nicht mit der Band. Ich war zwar mal mit Robert Gläser in San Francisco, wo wir auch hier und da bei Sessions mitgemacht haben. Wir durften sogar mal live im Rundfunk spielen, bei einer dieser unzähligen amerikanischen Radio Stations, die immer gute Laune verbreiteten: "Hello, here is from East Germany BIG JOE STOLLE ..." Aber es kam nie etwas dabei heraus. Damals war die Stimmung in den Staaten ja auch noch total relaxt. Wenn man das heute sieht ... Da habe ich keine Lust mehr, hinzufahren.
Du scheinst noch immer eine enge Verbindung zu Leipzig zu haben. Im Dezember 2009 hast Du das dort das "Konzert der Besinnung und des Erinnerns an verstorbene Leipziger Stars", wie Klaus Renft, Cäsar organisiert. Wie kamst Du auf diese Idee und wie war die Resonanz darauf?
Wir hatten ja 2006 unseren ehemaligen Bassisten Hans-Jörg "Erbse" Moser verloren. Das traf mich schon sehr, zumal er ja auch jünger war, als ich. Also kam ich mit ein paar Leuten aus Leipzig auf die Idee, ihm zu Ehren eine Veranstaltung zu machen. Die Leipziger organisierten das alles, aber irgendwie lief das nicht so richtig. Es waren gerade mal sechzig Leute da. Irgendjemand meinte dann zu mir: "Dann mach Du das doch beim nächsten Mal!" Okay, ich nahm das also in die Hand, kümmerte mich um die Werbung, sprach Musiker an, ob sie mitmachen würden und seitdem gibt es eben diese Veranstaltung. Es gab ja eine Menge Leute aus der Gegend, die wir ehren konnten, z. B. CÄSAR oder Pjotr. Jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr gibt es dieses Programm. 2014 wird es am 28. Dezember stattfinden, das steht schon fest. Die Besetzung wechselt oft, mal spielt Bodi Bodag mit, dann wieder andere. Auch MAMA BASUTO ist hin und wieder dabei.
Trittst Du heutzutage generell mit Band auf oder auch mal im Duo oder anderen variablen Besetzungen?
Ja, ich trete manchmal auch im Duo auf. Früher war ich mit einem Pianisten unterwegs, der mit der linken Hand auch noch Bass spielte. Nach zehn gemeinsamen Jahren reichte es dann aber. Und zur Zeit spiele ich mit Mauro Pandolfino zusammen. Mauro ist nicht nur ein glänzender Gitarrist, sondern auch ein echter Römer.
Zu Deiner Band gehört neben Robert Gläser auch der großartige und vielbeschäftigte Simon Anke am Piano. Wer noch?
Simon Anke ist wirklich so gefragt, dass er nicht immer dabei sein kann. Aber wir können auch ohne weiteres zu viert spielen. Am Schlagzeug sitzt immer noch Jürgen Schötz, aber auch Andy Scherer, der auf dem Album die Drums bedient. Das ist der Kern der Band. Wenn Robert mal nicht kann, spielt Simon Anke auch gerne mal mit der freien Hand den Bass oder Moritz Gläser kommt hin und wieder auch mal dazu.
Wie viele Konzerte spielt Ihr pro Jahr?
Da zähle ich nicht mehr mit. Es sind natürlich deutlich weniger, als früher, so etwa drei bis vier im Monat. Wir sind auf jeden Fall immer präsent. An der Reaktion der Leute spüren wir auch immer, dass die sich freuen, wenn wir irgendwo spielen.
Auf YouTube geistern etliche Videos von Auftritten der BIG JOE STOLLE BLUES BAND bei den so genannten Hangar49-Konzerten umher. Du scheinst da 2013 über mehrere Monate gespielt haben. Was ist das für eine Veranstaltung, wer oder was steckt dahinter?
Diese Veranstaltung diente dazu, eine Art Bluesabend fest zu etablieren. Der Zuspruch in den bislang eineinhalb Jahren war aber so gering, dass ich gesagt habe, der Aufwand lohnt sich einfach nicht. Ich kann ja meine Kollegen nicht fortlaufend überreden, umsonst zu spielen. Deshalb habe ich entschieden, damit aufzuhören.
Ich habe mir kürzlich etliche dieser Videos angesehen und festgestellt, dass Du mit Deiner Band dort fast ausschließlich Coverversionen gespielt hast. Das ist zwar im Bluesbereich durchaus nichts Unübliches, aber wenn ich mir Dein neues Album anhöre und auch an Deine Vergangenheit zurückdenke, frage ich mich, weshalb Du live nicht viel mehr eigenes Material bringst.
Insgesamt habe ich ein Live-Repertoire von etwa einhundert Songs. Ich habe ja auch nach der Wende zwei CDs mit eigenen Songs gemacht, die man zwar live nicht alle bringen kann, aber die, die man auf der Bühne spielen kann, sind eigentlich immer mit am Start. Es kommt immer darauf an, wo ich gerade spiele. Trete ich z. B. in einer Kneipe auf, brauche ich die Leute nicht mit hochwertigem Blues zu belästigen, sondern da spielt man dann eben eher Party-Blues. Spielen wir aber ein Konzert, wie z. B. letztens bei SPEICHE in seiner Kneipe, dann sind natürlich viele eigene Sachen dabei. Und künftig gehören natürlich auch einige Nummern vom neuen Album mit zum Programm.
Wenn man wie Du seit mehreren Jahrzehnten Blues in all seinen Schattierungen spielt, hat man da nicht irgendwann mal das Bedürfnis, etwas anderes zu spielen?
Nein, eigentlich nicht. Ich habe ja beispielsweise viele internationale Nummern zu meinen eigenen Liedern gemacht. Die Lieder wurden einfach etwas verändert und angepasst. Letztendlich ist das auch eine Einstellungsfrage. Wenn das jemand als Belastung empfindet, dass er jahrelang dieselbe Musik, dieselbe Stilistik spielt, dann kann ich das auch nicht ändern. Ich jedenfalls liebe den Blues, es ist meine Musik.
Lass mich raten: Privat hörst Du aber eher Klassik, als Blues.
Selbstverständlich höre ich zuhause auch Klassik. Die Mischung ist da sehr bunt. Ich gehe auch nach wie vor gerne auf Konzerte. Mein letzter Besuch war im Kesselhaus bei "Live in Reitwein". Ansonsten schaue ich mir sehr gerne Projekte anderer Kollegen an, wie beispielsweise Dirk Zöllners "Café Größenwahn".
Wie verbringst Du Deine freie Zeit, wenn Du nicht auf der Bühne stehst? Gibst Du nebenbei vielleicht jungen Künstlern Unterricht?
Früher habe ich das tatsächlich mal gemacht, im Moment habe ich aber keinen Bezug mehr dazu. Wenn man einmal mit Unterricht anfängt, muss man auch dran bleiben. Aber an Gesangsunterricht will keiner so richtig ran, an der Gitarre kann ich auch nicht alles vermitteln, weil ich mich da selber nicht genug auskenne. Und bei der Mundharmonika gibt es nicht genügend ernsthafte Interessenten. Die fangen an, nehmen zwei Stunden Unterricht und dann sind sie wieder weg. Für viele Musiker ist das ein zweites Standbein, aber ganz ehrlich: Ich brauche das nicht.
Ich stelle seit einiger Zeit fest, dass auf Blueskonzerten vermehrt jüngeres Publikum auftaucht. Das ist natürlich für das Überleben dieser Musikrichtung wichtig. Was glaubst Du, woran liegen die Ursachen dafür?
Richtig, auch bei unseren Konzerten fallen mir immer wieder junge Leute im Publikum auf. Und die sind sogar recht begeistert von der Musik, die wir spielen. Ich denke mal, dass der junge Mensch heutzutage ja tagsüber von früh bis spät von Musik überschüttet wird. Der kann alle fünf Minuten was anderes hören. Wenn der dann am Wochenende mal weg gehen will, hat er die Schnauze voll von seiner Musik, die er den ganzen Tag auf dem Kopfhörer hat. Da will er mal was anderes hören, am besten Livemusik. Wenn diese Leute unsere Musik erleben, dann gefällt denen das und die honorieren das auch. Ich bin da für die Zukunft recht optimistisch, dass dieser Trend anhält.
Du wirst im nächsten Jahr 65 Jahre jung. Zeit für die Rente? Oder will BIG JOE STOLLE im Jahr 2018 noch sein 50-jähriges Bühnenjubiläum feiern?
Ja, das wäre in der Tat ein lohnendes Ziel. Ich bin ja eigentlich jetzt schon in Rente, obwohl ich erst 63 bin. Aber an meinem Leben ändert das nicht viel. Ich will auf jeden Fall weitermachen, weil ich die Musik zum Leben brauche.
Möchtest Du abschließend unseren Lesern noch irgendetwas mit auf den Weg geben?
Klar: Let the good times roll! Das ist meine Devise, danach lebe ich. Man muss das Leben auch mal genießen und sich sagen: So wie es gerade ist, ist es schön.
Lieber Joe, recht herzlichen Dank für Deine Zeit und dieses interessante Gespräch.
Ich bin da völlig unsensibel. Jeder kann es halten, wie er gerne möchte. Im Allgemeinen kennt man mich in den letzten zwanzig Jahren als BIG JOE. Meine ganz alten Bekannten nennen mich manchmal noch Eberhard, aber zwischendurch höre ich auch mal STOLLE. Mir ist es egal, ich reagiere auf alles.
Du hast bestimmt schon tausendfach erklärt, aber dennoch wird es noch immer Leute geben, die es nicht wissen: Wie kommst Du zu Deinem Namen BIG JOE?
Das ist ja eigentlich ein Joke gewesen. Früher mal sang ich einige Songs von einem gewissen BIG JOE TURNER. Daraufhin alberten meine Kollegen rum und sagten: "Und hier kommt jetzt BIG JOE STOLLE!" Na gut, dachte ich, wenn es so sein soll, dann soll es so sein. Das hat sich bis heute gehalten. Die Frage stellte sich auch erst nach der Auflösung von ZENIT, als wir nach einem neuen Namen und einem neuen Profil suchten. Wir suchten ziemlich intensiv und blieben dann bei BIG JOE STOLLE hängen.
Am 17. Februar gab es für Deine Fans Grund zur Freude, denn da erschien nach fünfzehn Jahren endlich wieder eine neue CD von Dir. Wer oder was hat Dich dazu bewogen, was war der Auslöser?
Das ist sehr kompliziert. Moritz Gläser, der Bruder meines Bassisten Robert Gläser, machte eine Ausbildung in den Dorian Gray-Studios. Eines Tages rief er mich an und meinte: "JOE, ich brauche eine Band für meine Prüfung". Ich sagte ihm, das sei kein Problem, wir machen da natürlich mit. Moritz wollte wissen, was wir denn spielen würden. Daraufhin meinte ich, es wäre Quatsch, die tausendste Version von irgendwelchen ollen Blueskamellen zu spielen. Zufällig hatte ich gerade ein neues Lied am Start, das wir dann auch für Moritz genommen hatten. Das wurde am Ende so gut, dass wir uns überlegten, ob wir nicht noch drei, vier weitere neue Lieder machen sollten. Hinzufügen muss ich noch, dass alle Mitwirkenden diese Produktion umsonst, also ohne Gage, mitgemacht haben, sich einfach nur aus Überzeugung eingebracht haben. Anders wäre es auch nicht gegangen.
Es ist also nicht einfach nur eine Aufbereitung diverser Songs, die sich über die Jahre angesammelt haben und nicht verloren gehen sollen, sondern Du wolltest dieses Album wirklich und von ganzem Herzen?
Ja genau. Wir fingen zunächst mit dem Schreiben neuer Titel an. Ein oder zwei weitere Lieder hatte ich noch oder schon in der Schublade liegen, von denen ich genau wusste, dass ich die irgendwann mal produzieren wollte. Wir haben nur die Arrangements noch ein bisschen angepasst. Und ein Song ist schon etwas älter bzw. sogar von ganz früher, den haben wir mit rauf genommen, weil er bisher noch auf keiner Platte erschienen war.
Bis auf zwei Ausnahmen, die ich für den Moment auch erst mal etwas nach hinten stellen möchte, hast Du sämtliche Songs des Albums selber geschrieben und getextet. Deine Kreativität ist also ungebrochen. Das lässt in mir die Frage erwachen, warum Du dieses Album nicht schon längst gemacht hast?
Das liegt daran, dass die Nachfrage nach dem Blues einfach nicht mehr gegeben ist. Früher haben wir vor ein- bis zweitausend Leuten gespielt und heute kommen hundert, manchmal zweihundert. Nach der Wende machte ich zwei Live-CDs komplett mit eigenen Songs, nur dass die Texte da in Englisch waren. Das plätscherte aber alles so vor sich hin, obwohl wir auch ein paar gute Tourneen hatten. Nach der Jahrtausendwende wurde das Interesse der Leute dann aber immer weniger und da hatte ich irgendwann keine Motivation mehr. Zwar sammelte ich weiterhin meine Text- und Lied-Ideen, wie ich es auch schon früher gemacht hatte, aber erst durch die Anfrage von Moritz kam die Sache wieder ins Rollen. Vor allem wurde es Zeit, auch mal wieder etwas Deutschsprachiges zu machen. Wobei es da für mich überhaupt keine Wertigkeiten gibt, ob ich nun einen internationalen Song singe oder etwas auf Deutsch aufnehme.
Das Album heißt "Stecker rein und los". Interpretiere ich das richtig, dass Du sagen willst: Fünfzehn Jahre ohne eine STOLLE-CD sind genug, jetzt lasst uns ohne Wenn und Aber Gas geben und einfach nur die Musik genießen?
Nein, meine Motivation, diesen Titel zu wählen, war eine völlig andere. In der letzten Zeit liest und hört man von allen Seiten nur noch: Unplugged hier, akustisch da ... Nun weiß man als Rock'n'Roller natürlich ganz genau, dass diese Unplugged-CDs eine feine Sache sind, weil man seine eigentliche CD damit ein zweites Mal verkaufen kann. Okay, dagegen ist nichts einzuwenden, denn der Musiker muss auch leben und Kommerz gehört einfach dazu. Für mich kommt das aber auf keinen Fall und niemals in Frage. Wir spielen immer noch elektrisch, also "Stecker rein und los!"
Wie lange habt Ihr an den Aufnahmen für das Album insgesamt gearbeitet?
Oh, lange. Angefangen haben wir damit bereits 2011 und haben auch das ganze Jahr 2012 damit verbracht, die Songs aufzunehmen und zu produzieren. 2013 folgten dann die grafischen Dinge und diverse kleine Verbesserungen. Zwischendurch hatten wir natürlich immer wieder Pausen drin, weil ich mich auch nach den Zeitplänen der Kollegen und des Produzenten richten musste. Wie das dann so ist, ging auch noch das Studio-Equipment kaputt und wir mussten warten, bis das neue kam. Dadurch gingen wieder zwei Monate verloren. Aber ich hatte mir ganz fest vorgenommen, mir keinen Druck zu machen. Es gab zum Glück keinerlei Vorgaben für uns, wir hatten auch keine Plattenfirma, was ich als sehr angenehm empfand. Und natürlich hielten sich dadurch auch die Kosten im Rahmen. Alles in allem dauerte es also von den Anfängen bis zur Fertigstellung des Albums etwa zwei Jahre.
Ich finde immer spannend, in welcher Form ein neues Album aufgenommen wurde. Der Trend geht ja wieder dahin, die Songs im Studio live und mit der ganzen Band aufzunehmen, was in der Regel richtig schön authentisch klingt. Alternativ wird alles Spur für Spur aufgenommen und dann zusammengemischt. Wie war das bei "Stecker rein und los"?
Wir haben beide Optionen genutzt. Einige Songs wurden tatsächlich live eingespielt, da wurden allerdings nur die Instrumente live aufgenommen, also Schlagzeug, Bass, Gitarre und Klavier. Den Gesang habe ich nachträglich eingesungen, weil ich dann nicht so unter Druck stehe und manches besser artikulieren kann. Andere Nummern wurden schon vorher am Computer vorbereitet, beispielsweise mit einem elektrischen Schlagzeug, und der Rest wurde dann einzeln, Instrument für Instrument, eingespielt.
Du spielst Gitarre, Mundharmonika und singst. Hast Du auf dem Album noch weitere Instrumente übernommen?
Nein, das war wirklich genug.
Sind die Musiker, die man auf der Platte hören kann, auch gleichzeitig Deine Live-Musiker?
Genau, mit denen stehe ich auch immer auf der Bühne.
Du hast die Scheibe komplett auf Deutsch eingesungen, was wieder manche Skeptiker auf den Plan rufen wird, die die uralte Weisheit bemühen, dass Blues mit deutschen Texten gar nicht ginge. Ich vermute mal, Du hast da eine gänzlich andere Meinung ...
Nun bin ich ja kein Blues-Purist. Für mich ist vieles Blues, wo andere wiederum meinen: "Nein, das ist doch nun wirklich kein Blues". Letztlich ist das auch eine Lebensauffassung und eine Lebensweise, die zwar auch, aber nicht nur mit der Musik zusammenhängt. Ich komme aus diesem Genre, kenne mich da gut aus. Ich habe ja auch früher schon viele Sachen auf Deutsch geschrieben und gesungen. Klar, früher hatte man da keine großen Optionen, da wurde das halt gewünscht und verlangt. Andererseits kommt man mit deutschen Texten auch näher an die Leute ran. Zumal ja damals auch längst nicht alle so perfekt im Englischen waren, dass sie uns auch verstanden hätten. Bei deutsch gesungenen Texten hat aber jeder verstanden, worum es in den Liedern ging.
Lass uns noch kurz bei den Texten bleiben. In den meisten Songs besingst Du kleine Alltags- und Beziehungsgeschichten. Die klingen stellenweise so real und lebensnah, als würdest Du tatsächlich aus Deinen Memoiren vorlesen. Ist das so? Hören wir auf der CD diverse Lebensbeichten des Eberhard Stolle?
Da antworte ich eindeutig mit ja. Die Lieder sind immer "Ich"-bezogen. Natürlich muss es trotzdem nicht immer um mein eigenes Leben dabei gehen, aber es ist immer in meiner Nähe passiert und ich habe es miterlebt, was ich da besinge.
Als ich beispielsweise den Song "Verheiratet sein" gehört habe, habe ich mich gefragt, ob das nun ein Plädoyer FÜR die Ehe ist oder Heiratswillige eher abschrecken soll. Auf jeden Fall steckt jede Menge Ironie im Text.
Weder - noch. Es ist letztendlich eine freie Entscheidung, die jeder für sich treffen kann und muss. Und niemand kann vorab sagen, ob die Ehe gut laufen wird oder schlecht. Natürlich ist es auch ein bisschen ironisch gemeint. Wenn man selber schon lange Zeit verheiratet ist, kann man dieses Thema auch mal mit der nötigen Ironie angehen.
Einer meiner Lieblingssongs vom Album ist "Bye bye Blues". Die Vocals dazu klingen wie ein Abschied von einem guten Freund. Wem ist der Song gewidmet?
Ja, das ist richtig. Im Prinzip ist es so, dass zur damaligen Zeit in der DDR unser Bassist und unser Schlagzeuger zur gleichen Zeit einen Ausreiseantrag gestellt hatten. Das war für uns als Band natürlich das totale Chaos. Wir mussten uns die Frage stellen, wie es jetzt weitergehen soll. Zu allem Unglück stieg dann noch ein weiterer Kollege aus, weil er meinte, das wird ja sowieso nichts mehr mit der Band. Genau zu dieser Zeit hatte ich gerade eine Geburtstagsparty, zu der auch CÄSAR kam. Er hatte ein Bild dabei, wo drauf stand: "Bye Bye Blues". Das war quasi sein Abschiedsgeschenk. Das war auch der Hauptgrund, weshalb ich dieses Lied geschrieben habe.
Der "Boogieman" scheint auch so ein authentischer Song zu sein. Gibt es diesen scheinbar erfolglosen, verkannten und demoralisierten Boogieman wirklich? Am Ende besingst Du Dich gar selber?
Ja natürlich, auch wenn er nicht verkannt ist. Es sollte auch etwas traurig rüber kommen. Aber es ist schon so, der Boogieman kann nicht anders und auch ich kann gar nicht anders. Was soll ich machen? Ich könnte z. B. nie in die deutsche Volksmusik wechseln. Ich spiele halt nach wie vor meinen Blues. Nur fehlen uns heute die 500.000 Leute, die früher in unsere Konzerte kamen. Früher waren die alle noch jung, heute sind sie eben entsprechend älter und auch mit vielen anderen Sachen beschäftigt. Da überlegt man sich zehnmal, ob man an seinem freien Tag abends noch irgendwohin geht.
"Ins Paradies" beschreibt den idealen Tagesablauf, den sich wohl jeder von uns wünscht. "Lass den Job einfach sausen, der macht Dich alt und krank ..." Wenn das so einfach wäre, hätte ich es längst getan.
Ganz genau. Über solche Themen sinniert man natürlich, wenn man älter wird. Man ist da immer etwas zweigeteilt. Natürlich freut man sich, wenn man ein paar Scheine in der Tasche hat. Aber ob das immer so gut ist und ob das wirklich alles ist, das kann sich jeder selber aussuchen.
Inzwischen gibt es auch schon einen Song als Video, nämlich "Lass Dich nicht fallen". Je öfter ich die Nummer höre, desto mehr bohrt sie sich in mein Hirn. Du machst hier all denen Mut, die gegen die Einsamkeit ankämpfen oder die einen Tiefschlag im Leben erlitten haben, in welcher Form auch immer. Steckt auch hier ein persönlicher Bezug dahinter?
Da erzähle ich zwar nichts Persönliches über mich, aber aus meinem Freundeskreis. So ein Lied macht immer auch ein bisschen Mut, wie ich festgestellt habe. Natürlich verändert sich dadurch nicht die Grundsituation und das Warum und Weshalb, aber es ist doch wichtig, mal zu sagen: Schluss, Aus, Feierabend, jetzt ziehen wir einen Strich und schauen nach vorne.
So ein Musikvideo ist ja in der Regel eine sehr aufwändige und vor allem nicht ganz billige Angelegenheit. War das eine private Produktion? Und liege ich richtig in der Annahme, dass Ihr das Video in Deinem Kiez im Prenzlauer Berg gedreht habt?
Mit dem Kiez als Drehort liegst Du richtig. Ansonsten war das Ganze eine Idee unseres Bassisten Robert Gläser, der meinte: "BIG JOE, wir sollten mal über ein kleines Video nachdenken, um die Platte besser promoten zu können". Der Gedanke gefiel mir. Wir haben dann zusammen mit unserem Produzenten überlegt, wie und wann wir es machen wollen. Letztlich ist das Ganze eine iPhone-Produktion. Wir haben dies und jenes vorbereitet, sind dann einfach mit dem iPhone durch den heimischen Kiez gelaufen und haben überlegt, was den Zuschauer ansprechen könnte. Eigentlich wollten wir es ja auch nur probieren. Es war kein Zwang dahinter, dass wir das, was wir da aufnehmen, unbedingt verbreiten und unter die Leute bringen müssen. Letztlich waren sowohl die Spannung als auch die Stimmung gut und es wurde ein schönes Video, über das ich mich hinterher richtig amüsieren konnte.
Insgesamt klingen die Lieder auf der Platte bis auf ganz wenige Ausnahmen sehr relaxt und entspannt. Das hat mich schon ein Stück weit überrascht, denn auf der Bühne kommst Du mit Deiner Band deutlich rockiger rüber und packst doch öfter mal den Hammer aus. Erleben wir künftig einen etwas gesetzteren BIG JOE STOLLE?
Nein, auf keinen Fall, das hat sich auf dieser Platte einfach so ergeben. Auf der Bühne kommt das eh alles deutlich intensiver rüber. Es kann natürlich passieren, dass man live mal sagt, jetzt lehne ich mich mal ein Stück zurück, aber das ist nicht die Norm. Wobei das auch immer mit dem Sänger zusammenhängt. Ein Sänger hat lieber eine getragene Nummer, weil er sich und seine Stimme da besser entwickeln kann, als bei schnelleren Nummern.
Ärgert es Dich, wenn jemand beim Hören der Platte beispielsweise sagt: "Mensch, diese Nummer klingt ja, als würde sie von CLAPTON kommen", oder: "LYNYRD SKYNYRD lässt grüßen"?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe festgestellt, diese Lieder, die mussten einfach aus mir raus. Und dann sollte man es auch zulassen und machen. Ich habe auch Meinungen gehört, die sagten, das klinge ja fast wie Schlager, aber im guten Sinne. Das ist für mich völlig in Ordnung. Auch wenn einer sagt, die Nummern sind toll, kommen aber erst nach dem dritten Hören bei mir an. Ja, dann ist es eben so. Solche Lieder unterliegen ja einem bestimmten Entstehungsprozess. Mal kommen erst die Melodien, später der Text und im Idealfalle fällt mir beides zusammen ein. Böse bin ich jedenfalls keinem, wenn er irgendwelche Vergleiche zieht. Schön wäre mal, wenn einer sagt: "Mensch, das klingt ja wie BIG JOE STOLLE!" Aber das wird nicht passieren, dafür mache ich einfach zu wenig. Um ein eigenes Profil zu erstellen, müsste man eben viel mehr Tonträger verkaufen. Aber das ist nicht Sinn und Zweck meines Tuns.
Wie zufrieden bist Du denn selber mit der CD? Sagst Du heute: "Dieses und jenes würde ich inzwischen anders machen"?
Ja, doch, mit der CD bin ich immer noch zufrieden. Ich kenne das natürlich, man könnte immer und jederzeit Dinge ändern. Es gibt viele Wege nach Rom und es gibt viele Wege, eine CD zu produzieren. Für unsere Verhältnisse und für das, was am Ende dabei herausgekommen ist, bin ich sehr zufrieden. Man darf nicht vergessen, es war eine "low budget production", hat also nicht viel gekostet. Und trotzdem ist das Ergebnis prima und steht vor allem soundmäßig anderen CDs keinesfalls nach.
Da muss ich Dir Recht geben, es ist ein sehr erdiger und natürlicher Klang.
Absolut. Wir wollten auch keine Pop-Produktion und nichts für große Räume oder Hallen. Im Gegenteil, bei der CD-Produktion sollte eher Club- und Saal-Feeling rüber kommen. Und live wird es ähnlich klingen.
Zwei der Songs vom neuen Album kennen wir alle: "Mein Bruder Blues" und "Whisky", die beide aus CÄSARs Feder stammen. Die beiden Nummern gehören auch schon seit längerem zu Deinem Liveprogramm. Warum sind es gerade diesen beiden geworden?
Ich war mit CÄSAR sehr eng befreundet und habe auch mit seinen Söhnen viele Jahre lang zusammen Musik gemacht. Als CÄSAR dann nicht mehr unter uns weilte, fand im "Anker" in Leipzig eine Gedächtnisparty statt. Da fragte man mich, ob ich Lust hätte, bei dieser Veranstaltung mitzumachen. Man schlug mir vor, "Mein Bruder Blues" und "Whisky" zu spielen. Beim Auseinandersetzen mit den beiden Songs stellte ich dann fest, das könnten auch genau so gut meine Songs sein. Seitdem stehen diese Nummern auch dauerhaft in meinem Programm.
Cäsar scheint überhaupt eine wichtige Rolle in Deinem Leben gespielt zu haben ...
Absolut. Das begann damals mit RENFT. Anfang der 70er Jahre war RENFT gerade eine wichtige Größe geworden. Da ich ohnehin gerade wegen meines Musikstudiums in Leipzig war, ergab es sich, dass wir uns öfter trafen und über alles Mögliche redeten und sinnierten. Zu diesem Zeitpunkt kamen auch gerade die deutschen Texte in der Rockmusik auf und RENFT hatte in Gerulf Pannach ja auch einen sehr guten Texter zur Hand. Ich war immer irgendwie dabei. Auch als RENFT dann verboten wurde, habe ich mich mit CÄSAR weiterhin getroffen. Später dann war ich ja auch bei KARUSSELL. In dieser Zeit festigte sich meine Freundschaft zu CÄSAR sehr stark. Wir waren also schon richtig lange Zeit Freunde.
Irgendwer hat mal gesagt: "CÄSAR war der einzige echte Rockstar, den die DDR je hatte".
Das ist wohl wahr. Die meisten Rockstars sind ja bekannt geworden durch ihre Bands, in denen sie spielten. Aber der Einzige, der für sich alleine stand, das war CÄSAR. Ich wüsste auch heute noch keinen, der ihm das Wasser reichen kann.
Dann hat Dich sein Tod sicher mächtig getroffen.
Natürlich. Wir wussten zwar schon vorher über einige Dinge Bescheid, die seine Gesundheit betrafen, aber wenn man dann persönlich damit in Berührung kommt, geht einem das doch mächtig an die Nieren. Solche Dinge braucht man überhaupt nicht.
2010 hast Du in Leipzig beim Semper Fidelis-Gedenkkonzert für PETER GLÄSER mitgespielt. Wirst Du am 30. März in Gera auch wieder dabei sein?
Nein, diesmal wahrscheinlich nicht. Die beiden Söhne sind sicher dabei, aber alles andere muss Simone Dake entscheiden. Die managt das und macht das auch sehr gut. Wenn ich gefragt werde, mache ich natürlich gerne mit, aber das steht im Moment nicht zur Diskussion.
Du hast eben CÄSARs Söhne Robert und Moritz erwähnt. Es sind sicher ganz eigene Charaktere und sie gehören auch einer anderen Musikergeneration an. Dennoch wurden sie zu einem Großteil von ihrem Vater geprägt. Was meinst Du, wie viel Cäsar steckt in den beiden?
Wenn man CÄSAR kennt, vor allem den jungen CÄSAR, dann sagt man vor allem über Moritz in Sachen Habitus und Gestik: "Wie der Alte!" Musikalisch muss man das aber schon etwas differenzieren. Bei Robert ist es so, dass der schon mit 16 Jahren mit seinem Vater zusammen gespielt hat. Er ist in die ganze Rockgeschichte involviert, kennt die ganzen Leute, war immer dabei. Robert ist auch sehr interessiert an Rockgeschichte, hinterfragt viel und deshalb ist es für ihn auch nichts Schlimmes oder gar Belastendes, mit so alten Leuten wie mir zusammen zu spielen. Wir lernen beide gegenseitig sehr viel voneinander.
Am 27. März präsentierst Du im Maschinenhaus der Kulturbrauerei die CD offiziell Deinen Fans. Es werden diverse Gäste mit Dir und Deiner Band auf der Bühne stehen. Nenn bitte mal ein paar Namen.
Es wird Bodi Bodag dabei sein, Peter Schmidt von EASTBLUES EXPERIENCE und ich konnte sogar meinen Freund Speiche von MONOKEL überreden, zwei Titel mitzuspielen. Natürlich fehlt auch Dirk Zöllner nicht, Andy Wieczorek kommt mit seinem Saxophon und und und ... Lasst Euch überraschen. Sören Birke sollte ich vielleicht noch erwähnen, der ja so was wie der Veranstaltungsvater ist, weil er in der Geschäftsleitung der Kulturbrauerei sitzt. Den kenne ich noch von früher, also habe ich ihn eingeladen, mit seiner Mundharmonika vorbei zu kommen und mitzuspielen.
Nach welchen Kriterien hast Du Deine Gäste ausgewählt?
Das sind alles meine Freunde, da gab es keine Kriterien. Zu meinem 60. Geburtstag waren die auch schon alle dabei, davon gibt es ja sogar eine DVD. Jetzt habe ich alle wieder angerufen und gefragt, ob wir wieder mal was zusammen machen wollen. Damit kann man auch dem Publikum zeigen: Guckt mal, wir sind alle noch da!
Bei so vielen unterschiedlichen Gästen müsst Ihr doch sicherlich auch mal vorher proben oder verlässt man sich auf die Professionalität der Musiker?
Na klar machen wir vorher eine Probe. Die findet bei mir zuhause statt, in ganz gemütlichem Rahmen. Ganz leise und ruhig, das Schlagzeug wird nur angedeutet. Ich denke, jeder weiß, was er zu tun hat. Hauptsächlich werden wir die einzelnen organisatorischen Abläufe besprechen, wer muss wann in den Vordergrund, wer muss wann etwas zurücktreten, wer spielt was, wann, warum und wie lange, und all sowas. Die Songs hat jeder vorliegen, da brauchen wir nicht groß dran rumdoktorn, denn die Jungs wissen, wie man Musik macht. Beim Blues ist es ja relativ einfach. Es gibt zwei oder drei Sachen, die man beachten muss. Kennt man die, kann man auch schnell mal in eine Session einsteigen. Der Blues bietet relativ viel Freiraum, mal einen Chorus zu spielen, was die Pop-Musiker zum Beispiel gar nicht mögen. Und wenn ein Gitarrist sein Handwerk versteht und gut drauf ist an dem Abend, dann kann er ruhig auch mal nicht nur zwei, sondern drei oder vier Chorusse spielen. Da muss man die Sache einfach laufen lassen.
Was passiert am 27. März? Gibt es eine reine CD-Release-Party oder können wir uns auf ein ausgewachsenes STOLLE-Konzert, vielleicht mit einigen Überraschungen freuen?
Es wird auf jeden Fall einen Block mit Titeln der neuen CD geben. Alle neuen Songs sind live nicht spielbar, jedenfalls ist das mein momentanes Gefühl. Bei unseren Gästen ist es ja so, dass jeder Gast das spielen darf, was er will. Eröffnet wird der Abend von einer ganz tollen, jungen Sängerin namens Marie Chain, die bereits sehr viel musikalische Erfahrung besitzt und ein paar ihrer Lieder spielen wird.
Man darf es ruhig sagen, Du hast inzwischen 63-mal Geburtstag gehabt. Den größten Teil davon hast Du auf der Bühne gestanden und Musik gemacht. Wie Du schon im letzten Song Deiner neuen Platte singst, ging es dabei nicht immer nur vorwärts, sondern "Das Leben ist wie ein Boogie ... mal ist es beschissen, manchmal hart, aber trotzdem schön". Deshalb lass uns mal ein bisschen über dieses Auf und Ab in den vergangenen Jahrzehnten reden. Wie begann Dein Leben mit der Musik, warst Du elternseitig vorbelastet?
An sich nicht. Meine Eltern waren ganz normale Musikliebhaber. Mein Vater hatte ein Topas-Tonband, bei dem man das Band noch per Hand einlegen musste. Er sammelte Musik, kopierte Schallplatten und zuhause lief dann immer das Tonband mit dieser Musik. Das war die einzige Verbindung zur Musik von Seiten meiner Eltern. In der Nachkriegszeit waren die Eltern aber bestrebt, aus ihren Kindern etwas zu machen, deshalb musste ich Akkordeon-Unterricht nehmen. Das war nicht unbedingt mein Traum, aber man hat es halt hingenommen. Immerhin legte das den Grundstein dafür, dass ich mir später selber das Gitarrespielen beibringen konnte.
Du wurdest 1950 geboren, verbrachtest Deine Kindheit also zu einer Zeit, in der politisch einiges los war in Deinem Geburtsland DDR. Hat sich da überhaupt jemand für Musikerziehung, Musikschulen und solche Dinge interessiert?
Natürlich, denn die Eltern wollten, dass es uns Kindern mal besser gehen soll. Zu uns kam immer Herr Witzig nach Hause, das war der Akkordeonlehrer. Der hat uns ganz schön drangsaliert, aber das gehörte eben dazu.
Ende der 60er Jahre hast Du dann in Leipzig schon in verschiedenen Amateurbands, wie z. B. KALEIDOSKOP, Dein Glück versucht. Ich nehme an, das waren alles Coverbands?
Ich muss Dich korrigieren, das war in Rostock, wo ich als kleines Kind mit meinen Eltern hinzog. Natürlich waren das Coverbands. Durch das Nachspielen haben wir viel gelernt, das war für uns normal und extrem wichtig.
Auf einem Foto von 1968 sieht man Dich unter den Namen BORDBAND als jungen Mann mit einer Gitarre im Arm. Neben Dir steht jemand mit einem Akkordeon. Was verbirgt sich hinter diesem Foto?
Ich habe nach der Schule Schiffsbetriebsschlosser gelernt und fuhr dann auch zwei, drei Jahre zur See. An Bord hatten wir diese kleine, aus zwei Leuten bestehende Bordkapelle namens BORDBAND. Wir mussten immerzu Musik machen, der Kapitän befreite mich sogar manchmal von meinen Wachdiensten, damit ich in der Zeit für ihn spiele.
Habt Ihr damals Shanties gespielt?
Nein, wir haben alles Mögliche gespielt, meistens aber Stimmungsmusik.
Während Deiner Armeezeit 1972/73 hast Du sogar in einer Soldatenband gespielt. Welchem Zweck diente eine solche Band, für wen habt Ihr gespielt? Und wie frei war man als Musiker in einer solchen Konstellation überhaupt?
Wir hatten schon relativ viele Freiräume. Normalerweise ist bei der Armee ja alles sehr strukturiert. Wenn man aber Kultur machte, bekam man schon einige Privilegien. Wir konnten im großen Saal üben, hatten einen eigenen Schlüssel und konnten in der Freizeit regelmäßig proben. Während einiger Ernteeinsätze im Sommer haben wir auf den Dörfern die Dorffeste bespielt. Es war richtige Rockmusik, also keine Kampflieder oder so was. Vorweg gab es zwar immer eine politische Singegruppe, aber das gehörte eben dazu.
Waren unter den Kollegen der Soldatenband Musiker, die man heute noch kennt?
Nein, da fällt mir niemand ein.
Interessant finde ich, dass Du zwar auch Tanzmusik studiert hast, aber zunächst an der Musikhochschule in Leipzig mit klassischem Gesang begonnen hast. Musste man Dich dazu überreden oder war einfach gerade kein anderer Studiengang frei?
Das war eine seltsame Sache. Ich fuhr - wie schon gesagt - zur See, hatte aber irgendwann die Schnauze voll. Monatelang auf See, zuhause lief mir alles weg ... In dieser Zeit schrieb mir meine Tante, dass die Musikhochschule Leipzig einen Sänger sucht. Ich fuhr dann ganz blauäugig mit meiner Gitarre hin, sang irgendwelche Lieder vor. Die meinten dann, als Solosänger können sie mich nicht gebrauchen. Aber ich könnte Chorsänger werden! Na gut, dachte ich, mache ich halt Chorsänger. Eigentlich wollte ich eher TuM studieren, also Tanz- und Unterhaltungsmusik. Aber nun war es egal, ich machte die ersten zwei Jahre erst mal Klassik, sang Opern und Arien. Ich fand das auch gar nicht schlecht, denn das ist ja wie eine Art Grundausbildung gewesen. Gesangsmäßig hat es mir auf keinen Fall geschadet.
Könntest Du auch heute noch eine Arie schmettern?
Natürlich. Ich habe schon des Öfteren mal eine Vorführung gegeben und die Leute empfinden das dann immer als sehr, sehr laut.
Parallel zum Gesangsstudium hast Du aber auch "richtige" Musik gemacht, nämlich bei einer Gruppe namens SOFT. Stand der Name Pate für die musikalische Ausrichtung?
Überhaupt nicht. Letztlich wollte man sich zum Studium einfach nur ein paar Mark dazu verdienen, da war es egal, wie die Band hieß. Man muss aber dazu sagen, hier ging es um SOFT Leipzig. Zur selben Zeit gab es nämlich auch noch eine Band namens SOFT in Berlin, was aber kein Problem war, denn jeder hatte seine eigene Musik und seine eigenen Fans.
Leipzig galt ja schon immer als eine Keimzelle für gute und anspruchsvolle Rockmusik. So blieb es nicht aus, dass Du bald an namhafte Bands geraten bist. Zum Beispiel hast Du zeitweilig bei KARUSSELL und den Bluesvätern von MAMA BASUTO mitgespielt. Warst Du in diesen beiden Bands richtig festes Mitglied?
Bei MAMA BASUTO war ich festes Mitglied, bei KARUSSELL war ich Gastsänger. Die haben ihre Songs und Platten gemacht, das hat mich nicht weiter tangiert. Aber live war ich dabei. KARUSSELL hatte anfangs nur ein einstündiges Live-Programm, man musste aber mindestens 90 Minuten bis zwei Stunden spielen. Also übernahm ich nach der ersten Stunde das Mikrofon und wir füllten die restliche Zeit mit Bluesnummern aus. Das machte richtig viel Spaß. Du musst auch bedenken, wir hatten damals ca. zwanzig Muggen im Monat, das ist heute unvorstellbar. Es war anstrengend, aber auch schön.
Bei MAMA BASUTO hast Du auch gesungen oder was war Dein Part?
Ja, da war ich auch der Sänger. Mundharmonika spielte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, das kam erst später. Damals spielte der Chef der Band, Michael Codse Malditz, die Mundi, weshalb es für mich keinerlei Notwendigkeit dafür gab.
MAMA BASUTO war ja schon damals eine Band, die sich eher dem traditionellen, ursprünglichen schwarzen Blues verpflichtet sah, wie ihn beispielsweise WILLIE DIXON, MUDDY WATERS oder auch JOHN MAYALL und ALEXIS KORNER interpretierten. Wie wurde das von den Jugendlichen in der DDR aufgenommen, die ja eigentlich eher auf den gitarrenorientierten und härteren Bluesrock abfuhren?
Du sprichst hier von den Siebzigern. Damals kamen die Leute wirklich massenweise in die Konzerte. Überwiegend natürlich die Jugendlichen, die hatten Zeit, die hatten Lust und die hatten die nötige Energie. Es war immer was los, es war immer rappelvoll, egal wo wir spielten. Damals gab es auch noch nicht so viele Diskotheken. Die Leute gingen am Wochenende "in den Saal", wie man damals sagte, und Blues war zu dieser Zeit der Standard, da fuhren die Massen total drauf ab. Das ging ja bis Mitte der 80er Jahre so weiter. Wir spielten irgendwann mal mit ZENIT in der "Jungen Garde" in Dresden, da waren 8.000 Leute da! Das muss man sich mal vorstellen. Und es gab keinen einzigen Ordner! Die einen saßen unten vor der Bühne auf dem Boden und wer tanzen wollte, stand weiter oben. Alle waren völlig entspannt und friedlich, es gab keinen Krach. Was dann natürlich nach dem Konzert passierte ... Da liefen alle durch den Park zurück, viele waren volltrunken und es gab im Park einige Schäden. Aber letztlich war das alles halb so wild. Blues, egal in welcher Form, war jedenfalls total angesagt. Das lief in den Siebzigern bis etwa 1985 extrem gut. Die Jugend nahm es als ihre Musik an und es war völlig egal, welche Art Blues Du spieltest. Wir hatten in der DDR, das muss man mal deutlich sagen, auch eine Menge wirklich interessanter und guter Bluesbands verschiedener Couleur.
Eines Tages hast Du Deinen Lebensmittelpunkt dann von Leipzig nach Berlin verlegt. Geschah das aus privaten Gründen oder war Leipzig für Dich in musikalischer Hinsicht ausgereizt?
Irgendwann tat sich in Leipzig das Problem auf, dass sich alle halbwegs guten Musiker verabschiedeten. Die stellten einen Ausreiseantrag und Tschüss, weg waren sie. Zwei oder drei andere Verbliebene zogen ebenfalls nach Berlin. Und damit war Leipzig in musikalischer Hinsicht quasi ausgeblutet. Dass begann schon in den Achtzigern. Als ich dann bei ZENIT war, dachte ich mir, wir müssen unbedingt ein Bein in die Berliner Szene rein kriegen, denn nur in Berlin gab es für Rockbands Fördermittel. In Leipzig gab es so etwas überhaupt nicht. Aber es gab in Berlin nicht nur Fördermittel, sondern noch weitergehende Hilfen für die Bands. Sei es nun die Vermittlung von Veranstaltungen gewesen oder Plattenaufnahmen. Da war es besonders deutlich, wie ich finde. 80% aller Platten in der DDR wurden von Berliner Bands aufgenommen, der Rest der Republik musste mit den restlichen 20% vorlieb nehmen. Also war es nicht die schlechteste Entscheidung, nach Berlin zu gehen.
Wenn ich heute auf Blueskonzerte gehe, ist es fast normal, dass zu besonderen Anlässen Musiker anderer Bands als Gäste auf der Bühne stehen. Ich könnte mir vorstellen, das war vor dreißig Jahren noch nicht so ausgeprägt, weil man da in den anderen Bands doch eher Konkurrenten sah. Wie war zu DDR-Zeiten das Verhältnis zwischen Euch Musikern? Gab es so was, wie Neid?
Was den Neid betrifft: Teils, teils. Mit Gastmusikern an sich war das nicht so ausgeprägt, das stimmt. Aber wir hatten damals die Möglichkeit, mit mehreren Bands gleichzeitig auf Tour zu gehen. Das empfand ich als angenehm. Im Sommer beispielsweise spielten wir immer mit ENGERLING und JONATHAN zusammen an der Ostsee. Untereinander gab es aber eigentlich keine Konkurrenz. Auch mit MONOKEL nicht. Ich kann aber nur für uns sprechen. Es gab ja in der DDR auch noch eine richtige Hardrock- und Metalszene. Wie es bei denen war, kann ich nicht beurteilen. Da wurde mehr Wert auf Posing und so was gelegt, da ging es also um ganz andere Dinge, als bei uns Bluesern. Und was die Oberklasse der Rockmusiker betrifft, da gab es schon mal das eine oder andere Gerangel, aber das blieb alles im Rahmen. Natürlich hätten früher niemals solche Bands wie KARAT und die PUHDYS gemeinsam auf einer Bühne gestanden. Aber das mussten sie auch nicht, denn jeder für sich hat den Laden vollgekriegt, da brauchten die keine zweite Band. Das hätte überhaupt keinen Sinn gemacht.
Es war 1980, oder schon 1981, als Du einen für Deine weitere Karriere bedeutungsvollen Schritt wagtest. Du bist der Gruppe ZENIT beigetreten, die damals gerade erst ihren Status als Berufsmusiker erhalten hatten. Brauchtest Du einen Tapetenwechsel?
Ich bin in Rostock groß geworden, habe da meine Jugend verbracht und ZENIT war ja eine Rostocker Band. Mit dem ehemaligen ZENIT-Pianisten spielte ich vor meinem Studium auch schon in der einen oder anderen Gruppe zusammen. Als ich dann mit KARUSSELL mal in Rostock spielte, fragte er mich, ob ich nicht Lust hätte, als Sänger bei ZENIT einzusteigen, weil ihr bisheriger Sänger zu HORST KRÜGER gegangen war. Nun wusste ich, dass ZENIT eine gut organisierte Band war und der Bandleader sichere Veranstaltungen abschloss, es lief also ganz gut bei denen. Ich lief demnach nicht blind hinein, sondern ich war mir sicher, diese Band hatte zumindest in Rostock einen guten Stand. Deshalb machte ich da mit.
Du hast gleich mehrere Kollegen von MAMA BASUTO zu ZENIT mitgenommen. Solche Aktionen riechen immer verdammt nach internem Ärger. Was war da los?
Es ist ja so, dass irgendwann mal jeder Musiker an seine Grenzen kommt. Deshalb habe ich dann bei ZENIT irgendwann zu unserem Bassisten, der gleichzeitig auch der Manager war, gesagt: "Du brauchst keinen Bass mehr spielen. Kümmere Dich nur um die Geschäfte, da bist Du besser aufgehoben, Du brauchst dann auch nicht immer mit zu den Konzerten fahren". Er ließ sich tatsächlich dazu überreden und fuhr damit ganz gut. Nun hatten wir zwar keinen Bassisten mehr, aber ich schlug den Jungs dann vor: "Ich kenne einen Bassisten aus Leipzig, von MAMA BASUTO". Der kam dann auch und freute sich riesig, dass er bei ZENIT mitspielen konnte. Es war ja so, dass ZENIT eine Profiband war. Das bedeutete, man brauchte nicht mehr zu arbeiten, sondern machte seine Musik und das reichte zum Leben. Kurz darauf hörte der Drummer auf, weil ihm das alles zu stressig wurde. Wir waren ja mittlerweile in der ganzen DDR unterwegs, was natürlich enorm viel Zeit kostete durch die viele Fahrerei auf diesen tollen Straßen und Autobahnen. Nun brauchten wir also auch einen neuen Schlagzeuger. In Rostock gab es zu der Zeit keinen, der richtig gut war. Also schlug ich vor, nachdem nun schon der Bassist und ich da waren, auch noch Frank Fischer von MAMA BASUTO zu nehmen. Später folgte noch der Pianist. Zu guter letzt ging der ZENIT-Gitarrist weg zu BERLUC, was ihm keiner verübeln konnte, denn die waren gerade auf dem Weg nach oben. Also brauchten wir einen Ersatz-Gitarristen und an wen haben wir wohl gedacht? Letztlich war es dann so, dass bis auf den Chef die gesamte MAMA BASUTO-Band bei ZENIT spielte.
Und das ging wirklich alles ohne Zoff ab? Schwer vorstellbar ...
Nein, es gab wirklich keinen Zoff, sondern das unterliegt ja immer alles einer stetigen Entwicklung. Man greift natürlich immer zuerst auf Leute zurück, die man kannte und auf die man sich verlassen konnte. Außerdem war es so, dass MAMA BASUTO kaum noch Konzerte spielte, weil ja kaum noch einer da war und weil sich auch keiner so richtig darum gekümmert hatte. Die hatten kein funktionierendes Management und daran krankte die Band zeitlebens. Wenn man dann die Wahl hat zwischen einer Band mit drei oder vier Gigs im Monat und einer, die jede Woche mehrmals spielt ... Dann sahen die Musiker natürlich, es gibt bei ZENIT richtig Kohle, man kann Verstärker davon kaufen, dies und jenes besorgen von dem Geld ... Außerdem ist da immer was los und wir mögen die Musik. Es war also wirklich eine logische, normale Entwicklung.
Lass mich kurz einen kleinen Schwenk machen. Als Du zu Beginn der 80er Jahre bei ZENIT eingestiegen bist, was für einen Stellenwert hatte die Bluesmusik Deiner Meinung nach zu dieser Zeit? Ich meine damit vor allem die Akzeptanz von Seiten des Staates, nachdem in den Siebzigern ja schon beinahe eine Kriminalisierung der Kutte und lange Haare tragenden Bluesfans erfolgte.
Das stimmt, in den 70er Jahren wurde da ein ziemlich hartes Programm gefahren. In den Achtzigern kam man aber wieder davon weg, weil es keinen Sinn machte. Stattdessen wurde die Szene geduldet, aber umso mehr kontrolliert. Ich weiß, andere Bands hatten hier und da ordentlich Stress, aber wir mit ZENIT hatten glücklicherweise keinerlei Berührungspunkte mit der STASI. Unsere Rundfunkaufnahmen galten als salonfähig, weshalb wir auch geduldet wurden. Entscheidend waren ja immer die Texte. Natürlich hatten wir manchmal auch ein paar wacklige Verse dabei, aber da entschied dann unsere Produzentin Luise Mirsch gleich, dass es so nicht funktionieren wird. Es hätte ja auch nichts gebracht, außer haufenweise Ärger.
Von 1979 bis 1987 gab es in Berlin die so genannten Bluesmessen, die mehr und mehr zu einem Politikum wurden. Habt Ihr auch mal bei einer solchen Bluesmesse mitgemacht oder habt Ihr Euch eher als unpolitische Band verstanden?
Ja, ich habe von diesen Messen gehört, aber ich war weder alleine noch mit ZENIT jemals dabei. Unser Manager riet uns immer davon ab, weil man durch seine Teilnahme in Kauf nehmen musste, dass man keine Platten mehr aufnehmen darf, dass man nicht ins Ausland fahren kann und einiges mehr. Also mussten wir uns entscheiden, ob wir das wollen. Uns hatte auch nie einer gefragt. Die Veranstalter hatten in der Regel ihre eigenen Bluesbands, die da auftraten. Das war uns ganz recht, denn wir wollten eigentlich nur in Ruhe unsere Musik machen. Nimm das Beispiel FREYGANG. Die begannen mal als Bluesband und gingen erst durch die Teilnahme an den Bluesmessen in die Richtung TON STEINE SCHERBEN-Songs. Natürlich zogen die dann pro Konzert schon mal bis zu Tausend Zuschauer an, aber der Ärger war natürlich auch vorprogrammiert.
Zurück zu ZENIT. Soweit ich weiß, begann die Band erst mit Deinem Eintritt, eigene Songs zu schreiben. Warst Du der treibende Keil dabei?
Letztlich ja. Die Jungs haben es schon vor meinem Einstieg mit eigenen Songs probiert, aber das klappte nie so richtig. Mein Ziel hingegen war eine eigene Schallplatte mit selbst geschriebenen Liedern. Ich kannte das ja schon von KARUSSELL, wo mit eigenen Sachen gearbeitet wurde und da hatte ich mir auch ein paar Techniken abgeschaut. Das eigentlich Kritische, das sagte ich ja vorhin schon mal, waren immer die Texte. Die Musik wurde durchgewunken, aber bei den Texten gab es öfter Diskussionen mit dem Lektorat. Für mich war das immer wie so eine kleine Bonusaufgabe und für einen guten Text gibt es zwei Extrapunkte.
Ihr habt Euch auf den so genannten Big City Blues spezialisiert. Steht jedenfalls heute überall in den Geschichtsbüchern zu lesen. Was war an dieser Stilistik so anders, als am herkömmlichen Blues? Ich konnte nirgendwo eine Erklärung dafür finden.
Big City Blues bedeutet, dass der Blues von der Akustikgitarre und kleinen Räumen zur Elektrogitarre und auf die großen Bühnen kam. Der Blues wurde also in die Großstadt getragen. Wenn wir als BIG CITY BLUES BAND unterwegs waren, haben wir auch mit großer Besetzung gespielt, hatten also Bläser und eine Hammond-Orgel dabei. Das muss man also unterscheiden von der normalen ZENIT-Band, die in üblicher Rock-Besetzung spielte.
Wie lange habt Ihr gebraucht, um Euch in der Bluesszene neben den etablierten Bands einen Namen zu erspielen und akzeptiert zu werden?
Ungefähr zwei bis drei Jahre. Wir waren immer bemüht, zusammen mit Bluesbands auf die Bühne zu gehen, die schon einen Namen hatten. Anfangs waren wir als Vorband dieser Gruppen unterwegs, was den Vorteil hatte, dass auch die Fans der bekannteren Bands uns kennen lernten. Irgendwann löste sich das dann dahingehend auf, dass wir auch alleine unterwegs waren und eigene Konzerte spielen konnten.
Ihr habt mit ZENIT monatlich zwischen 15 und 20 Auftritte gehabt. Nun war es ja in der DDR üblich, nicht nur Konzerte zu geben, sondern auch zum Tanz zu spielen. Welche dieser beiden Optionen waren Euch lieber?
Das ist nicht so leicht zu beantworten. Damals hieß "Konzert" ja noch, die Band kam ins Kino rein und das Publikum saß. Natürlich war es immer sehr schwierig, die Leute in dieser Konstellation zum Aufstehen und Mitmachen zu bewegen. Deshalb spielten wir lieber zum Tanz. Wenn wir irgendwo auf dem Dorf tätig waren, war der Platz vor der Bühne anfangs frei, aber ganz schnell sprangen und hüpften die Typen da rum und hatten ihre Freude. Es war einfach mehr Energie da bei solchen Tanzabenden.
Hin und wieder zählten auch BERND KLEINOW und der Saxophonist KONRAD KÖRNER zum Line Up von ZENIT. Das waren ja durchaus schon richtig namhafte Kollegen, die Ihr gewinnen konntet. Waren die beiden nur an Studio- bzw. Rundfunkaufnahmen beteiligt oder spielten die auch live bei ZENIT mit?
BERND KLEINOW war auch manchmal mit uns im Studio, während KONNY am liebsten live spielte. Wir spielten nämlich in zwei komplizierten Tonarten, die für einen Bläser nicht einfach waren. Das wiederum reizte KONNY sehr, weshalb er mal sagte: "Bei uns kann ich wenigstens mal die Tonleiter üben". Unsere Techniker haben ja früher auch regelmäßig in Leipzig die "Jazztage" beschallt, wo überwiegend Freejazz angesagt war. Und von da kamen auch unsere drei Bläser der BIG CITY BLUES BAND. Wir hatten also noch mehr Gäste in unseren Bands.
Ihr durftet, so muss man das ja sagen, jährlich zwei bis drei Titel beim Rundfunk produzieren. Habt Ihr wenigstens selber entscheiden dürfen, was aufgenommen wird oder gab es wieder so eine von diesen berüchtigten Kommissionen, die diesbezüglich das Sagen hatte?
Nein, da redete keiner rein. Wir sind mit unseren Liedern zu Luise Mirsch gefahren, die wir immer sehr geschätzt haben. Die gab uns die nötigen Tipps, worauf wir achten müssen und das war es auch schon.
1984 erschien eine "Kleeblatt"-LP unter dem Motto "Berliner Bluesbands", auf der neben der JONATHAN BLUES BAND und MONOKEL auch ein paar Songs von Euch zu finden sind. Ich vermute mal, dass Ihr als Band aber spätestens jetzt von der Entscheidung befreit wart, was in die Rillen gepresst wird?
Doch, wir durften auch hier mitreden. Wir wurden gefragt, was wollt Ihr an Titeln drauf haben auf der Platte und dann haben wir gesagt: "Das, das und das ...". Da es eigene Titel waren, gab es zunächst keine Probleme. Wir mussten natürlich vorher noch - wie üblich - die Texte einschicken und fertig war der Kuchen.
Das war aber wirklich nicht üblich, denn gerade bei den neueren Bands hat man doch schon mal aus Kostengründen auf irgendwelche oftmals schon ältere Rundfunkproduktionen zurückgegriffen.
Das stimmt, aber wir hatten das Glück, dass wir nicht viel Material beim Rundfunk rumliegen hatten. Da gab es noch gerade ein Lied vom Rundfunk, was auf die "Kleeblatt"-LP mit rauf kam, die zwei anderen konnten wir in dem besser ausgestatteten AMIGA-Studio neu einspielen. Wir waren natürlich stolz wie Bolle wegen der Platte.
Dann dauerte es auch nicht mehr lange bis zur ersten eigenen LP, die logischerweise den Titel "Dr. Blues" trug. Das Besondere an dieser Platte war die ungewöhnliche Zusammenstellung der beiden Seiten, denn auf Seite 1 konnte man reine ZENIT-Songs der letzten Jahre hören. Die B-Seite hingegen gehörte der BIG CITY BLUES BAND und war ein Live-Mitschnitt aus dem "Haus der jungen Talente" in Berlin. Wolltet Ihr die Platte so zweigeteilt?
Ich sammelte früher Liveaufnahmen, die ich zwar nur auf Kassette hatte, aber es war live. Deshalb war es auch mein Wunsch, mal ein Konzert von uns live mitzuschneiden. Das klappte dann eines Tages auch. Man schnitt unser Konzert mit, wir hörten uns das hinterher an und fanden das okay. Allerdings war das eben die große BIG CITY BLUES BAND mit drei Bläsern und der Orgel. Wir hatten so was vorher schon mit MAMA BASUTO gemacht, allerdings war das nicht so durchorganisiert, dass es zu einer Aufnahme reichte. Am Ende war es mit der BIG CITY BLUES BAND eine extrem gute Mischung aus Covertiteln und eigenen Songs.
"Dr. Blues" gab nicht nur der LP den Namen, sondern das war und ist auch Eure bekanntest Nummer. Habt Ihr damit gerechnet, dass das Ding dermaßen einschlägt und hat Euch "Dr. Blues" letztlich auch ein paar Türen geöffnet?
Ja, durchaus. Hauptsächlich, was die Plattenproduktion betraf, half uns der Titel enorm weiter. Denn wegen des durchschlagenden Erfolges von "Dr. Blues" als Einzeltitel kam man ja erst auf uns zu und sagte: "Lasst uns mal eine Platte machen". Das war wirklich der Türöffner, wie Du so schön sagst.
Nun habe ich gelesen, dass trotz des Erfolges der "Kleeblatt"-LP und Eurer eigenen LP zwar hier und da mal ein Song im Rundfunk lief, aber Fernsehen und Presse weitestgehend einen Bogen um ZENIT gemacht haben, die Band also im Gegensatz zu MONOKEL oder JONATHAN in den Medien kaum stattfand. Hat Euch das geärgert?
Fernsehen gab es für Bluesbands gar nicht, weder für uns, noch für JONATHAN oder ENGERLING. Vielleicht war man einmal in "rund" zu sehen, aber das war's dann auch schon. Andere Bands waren da viel präsenter, speziell aus dem Rockbereich. Wir haben zwar auch bei "Rock für den Frieden" gespielt, aber niemals im Großen Saal, sondern immer nur auf Nebenbühnen. Aber damit hatten wir uns abgefunden, denn lieber waren wir in zweiter Reihe dabei, als gar nicht. Wenn ich ehrlich bin, haben uns die Medien damals auch nicht so interessiert. Wir spielten lieber live, da kamen die Leute in Scharen und daraus holten wir uns die nötige Bestätigung.
Trotzdem durftet Ihr zwei Jahre nach der ersten Platte, also 1987, noch eine zweite LP aufnehmen und zwar eine Live-LP mit dem Namen "Let the good times roll". Ihr müsst also irgendwo bei AMIGA einen Fürsprecher gehabt haben. Oder war ZENIT inzwischen so populär, dass man nicht mehr an Euch vorbei kam?
Wir hatten ja schon bei ersten Platte unseren eigenen Produzenten, den Karl-Heinz Ocasek. Dem sagte ich, wir müssen mal wieder so eine Live-Platte machen. Der war einverstanden. Nun gab es in Berlin den Studentenklub an der Humboldt-Uni. Wenn wir da spielten, war immer der Teufel los. Da hat dermaßen die Luft gebrannt, das ist heute unvorstellbar. Das war ein flacher Keller, brechend voll mit Leuten, wir haben geschwitzt ohne Ende. Und genau da wollte ich die Aufnahmen für die Platte machen. Am Ende wurde es sehr gut, die Liveatmosphäre kommt sehr gut rüber. Die Leute kannten unsere Musik sehr gut und warteten schon regelrecht auf manche Details in den Liedern. Als BERND KLEINOW zum Beispiel mal auf seiner Mundi einfach nur ein Stückchen einer DIESTELMANN-Nummer anspielte, erkannten die das sofort und jubelten lautstark. Es war Klasse. Und man kann sagen, dieses zweite Album entsprach genau meinen Vorstellungen. Komisch war noch, dass die Platte eigentlich schon ein Jahr früher fertig war. Aber das war blöderweise das Jahr, in dem Berlin 750 Jahre alt wurde und da wurden sämtliche Plattenkontingente des Jahres für Ausgaben zum Berlin-Geburtstag gebraucht.
Leider gibt es die beiden ZENIT-LPs noch immer nicht auf CD oder doch?
Nein, die kompletten Platten nicht. Zwei Einzeltitel, nämlich "Dr. Blues" und den "Langschläferblues" findet man auf irgendwelchen Kopplungen, aber mehr auch nicht. Das ist schade, ja. Ich habe mich aber von Ocasek darüber in Kenntnis setzen lassen, dass ich eigentlich die vollen Rechte über die Titel habe. Es wird zwar die Original-Bänder nicht mehr geben, aber ich habe die Schallplatten noch da. Die könnte ich ja praktisch digitalisieren, mit der heutigen Technik noch etwas verhübschen und aufpeppen und dann verkaufen. Aber das macht einfach keinen Sinn. Die Platte gehört zur damaligen Zeit und würde heute keinen mehr interessieren.
Sag' das nicht, ich würde Dir eine ordentlich digitalisierte CD sofort aus der Hand reißen. Und sicher nicht nur ich.
Das ist mir klar. Aber die Zahl der Liebhaber reicht einfach nicht aus, um so etwas rentabel zu gestalten. Ocasek hat zwar nach der Wende die ganzen alten Kampflieder auf CD raus gebracht und das verkaufte sich wie verrückt. Aber er und ich wusste auch, die Bluessachen laufen lange nicht so gut. Wenn jetzt Sony käme und wollte das alte Zeug wieder raus bringen, würde ich natürlich zustimmen. So muss ich aber sagen, ich müsste die Sache alleine vorfinanzieren und das ist mir zu riskant.
Ihr wart ja Berufsmusiker. Nun war es aber nicht so, wie in der westlichen Welt, dass der Markt und die Nachfrage den Verdienst einer Band bestimmten, sondern in der DDR waren die Einnahmen und Gagen einer festen Reglementierung unterworfen. Konntet Ihr wirklich von den Einnahmen leben?
Wir hatten ja mit ZENIT eine bestimmte Bandeinstufung. Das war der Grund, weshalb wir nach Berlin gegangen sind. Ich selber hatte ja einen Hochschulabschluss und konnte deshalb bei den Vorgaben für meinen Verdienst 100% draufschlagen. Das waren immerhin 260 Ostmark pro Konzert und das war schon viel Geld damals. Im Durchschnitt bekam jeder Musiker bei uns pro Abend etwa einhundert Mark, das war in Ordnung. Für DDR-Verhältnisse war das schon gehobene Klasse. Gut, kein PUHDYS-Gehalt, aber man kam sehr gut damit hin.
Wie siehst Du rückwirkend Deine Zeit mit ZENIT? War es die wichtigste Zeit in Deiner musikalischen Laufbahn? Auf jeden Fall doch aber die prägendste, oder?
Eindeutig ja, weil wir in dieser Zeit am produktivsten waren. Wir sind raus gefahren in die große weite Welt der DDR, was bedeutete, mehr als 50 Kilometer Umkreis. In dieser Zeit begann ich ja auch, Mundharmonika zu spielen. Sicher war BERND KLEINOW immer der bessere Mundi-Spieler, aber das war egal.
Es gehört inzwischen zur Normalität, dass sich Bands aus dem vergangenen Jahrhundert nach unzähligen Jahren der Trennung heutzutage einfach mal einer Reunion unterziehen. Die einen machen es, um ihr Taschengeld aufzubessern, andere haben tatsächlich den Willen, künstlerisch noch einmal etwas zu bewegen. Was hältst Du von der Idee, eine Band wie ZENIT wieder zum Leben zu erwecken?
Das lässt sich schon deshalb nicht mehr so richtig reunionieren, weil der Bassist schon tot ist. Gut, dass könnte man schieben, aber musikalisch war das einfach eine andere Zeit. Nach der Wende haben wir es ja noch ein paar Mal gemacht, sind als ZENIT aufgetreten. Das war vor allem zwischen 1995 und 1998, als die Leute sich an der Westmusik satt gehört hatten und wieder auf den Trichter kamen, dass unsere Ostbands ja auch gut sind. Mit der Zeit kristallisierte sich aber heraus, dass die einzelnen Musiker auch noch andere Verpflichtungen hatten und irgendwann sagten wir dann: "Jetzt ist Schluss mit ZENIT, das war's". Klar könnte man das heute noch mal versuchen, aber es macht musikalisch keinen Sinn.
Die 80er Jahre gingen zu Ende und somit auch die Lebenszeit der DDR. Als die Mauer sich 1989 öffnete, was für Gefühle hattest Du da? Unterschieden sich die Gedanken des Menschen Eberhard Stolle von denen des Musikers?
Grundsätzlich war ich froh, dass es so kam. Das Interessante war ja, dass wir an diesem ominösen 9. November gerade wieder in diesem Studentenklub der Humboldt-Uni gespielt hatten. Und wir wunderten uns extremst, warum an diesem Abend keiner zum Konzert kam. Der Saal war halb leer. Erst als ich dann später zu Hause war, bekam ich mit, was eigentlich passiert war. Ja, wie soll ich meine Gefühle beschreiben ... Also, wir hatten uns als Musiker in der DDR ja mittlerweile tot gelaufen. Wir kannten jede Bühne, jeden Stein im Land. Wir waren im russischen Ausland, sogar an der Trasse, was sollte da noch kommen? Deshalb fand ich toll, dass die Mauer weg war, weil ich das für uns Musiker als Chance sah, voranzukommen.
Du hast aber gar nicht erst lange den alten Zeiten nachgetrauert, sondern mit ALEXANDER BLUME die INTERCITY BLUES BAND aufgemacht. Mal ehrlich: Hat das in diesen Zeiten überhaupt jemanden hinterm Ofen vorgelockt?
Das war genau der Punkt, denn zu der Zeit wollte der DDR-Bürger natürlich erst einmal seinen Hunger nach Westmusik befriedigen. Aber es gab da so eine Art Fördertopf, der allerdings hauptsächlich für die Weststudios ausgeschüttet wurde. So waren wir z. B. mal im Schwabenland, was für mich eine ganz seltsame Erfahrung war. Wir haben zwar damals eine Menge Songs aufgenommen, hatten auch tolle Musiker dabei, auch in guten Studios in Westdeutschland produziert, aber es hat wirklich niemanden interessiert. Es war einfach die falsche Zeit dafür.
Ihr habt sogar eine LP unter dem Titel "Reflection in blues" aufgenommen. Wie hat die sich verkauft?
Das weiß ich nicht mehr.
Irgendwann hast Du dann aber für Dich entschieden, solistisch weiter zu machen. Bis 1997 hast Du drei Live CDs gemacht. Es ging also wieder schrittweise aufwärts?
Na ja, ZENIT war halt ein Auslaufmodell. Bis 1990 waren wir noch aktiv, spielten die alten Verträge ab. Für Westgeld, das war okay. Danach war erst mal Ruhe. Für mich war wirklich ein ganzes Jahr Pause. Ich fuhr höchstens manchmal rüber in den Westen, spielte hier und da in einigen Sessions mit. Aber natürlich fehlte mir schon bald die Musik als Ganzes. Deshalb setzten wir restlichen ZENIT-Leute uns zusammen und überlegten, wie es weitergeht. Das war zum einen der Bassist "Erbse" Moser, dann Jürgen Schötz, der vor seinem Wechsel zu JONATHAN ebenfalls bei ZENIT war. Und unser alter Gitarrist sowieso. Wir überlegten dann, ob wir uns weiterhin ZENIT nennen sollten. Letztlich einigten wir uns auf einen neuen Namen, obwohl uns klar war, dass wir damit anfangs zu kämpfen hätten, um uns wieder ins Bewusstsein der Leute zu spielen. Das war der Moment, in dem BIG JOE STOLLE aus der Taufe gehoben wurde. Aus dem einstigen Joke wurde also Ernst. Ab 1993 ging es dann wieder richtig los für uns. In diesem Jahr bekam ich auch mein erstes Mobiltelefon und konnte nun also selber dafür sorgen, dass wir Auftritte bekamen. Ich telefonierte wirklich jeden Tag zwei Stunden in der Gegend rum, erzählte, wer wir sind und was wir machen. Dieses Klinkenputzen hatte aber auch durchaus Erfolg, denn wir brachten es in dieser Zeit auf 170 bis 180 Muggen jährlich.
Immerhin hast Du es geschafft, mit solchen internationalen Größen wie CHAMPION JACK DUPREE und JACK BRUCE aufzutreten. Waren das zufällige Begegnungen oder wer ist da gezielt auf wen zugekommen?
Ja, im Prinzip waren das eher Zufälle. CHAMPION JACK DUPREE z. B. wohnte in der Nähe des "Quartier Latin", was heute der "Wintergarten" ist. Da drin gab es ein Café, welches von einem Freund von mir geleitet wurde. Dieser Freund, ein farbiger Amerikaner, war früher mal Betreuer bei T-Bone Walker (Anm. d. Verf.: ein amerikanischer Bluesgitarrist) gewesen. Und in diesem Café spielten immer die Ausreisebands. Also all die Musiker von uns, die ausgereist waren, trafen sich in dort. Im "Quartier Latin" traten auch viele bekannte Bands auf. Und da der DUPREE in der Nähe wohnte, kam der öfter mal vorbei und spielte mit. Meistens mit einer Pulle Whisky in der Hand. Der war schon ziemlich alt, ein ganz ruhiger Typ, aber beim Singen kam er richtig aus sich raus und war ein anderer Mensch. Wir haben uns oft dort getroffen und Session gemacht. Mit JACK BRUCE (Bassist bei CREAM, Anm. d. Verf.) war es so, dass ich seinerzeit Roadie und Tourmanager bei der HAMBURG BLUES BAND war. Die gingen eine Zeit lang zusammen auf Tour und da ergab es sich, dass ich hin und wieder mal meine Mundi rausholen sollte, um mitzuspielen. Am Ende wurden daraus mehrere Konzerte, die auch richtig Spaß machten. Erstaunlich bei JACK BRUCE war, wie viel Energie dieser unglaublich kleine Mann beim Spielen entwickeln konnte! Aber bei all diesen Gelegenheiten stellte ich fest, dass diese ganzen Stars auch nur mit Wasser kochen.
Bemerkenswert finde ich vor allem Dein Zusammentreffen mit CHARLIE MUSSELWHITE, der ja so wie Du ein großartiger Mundharmonikaspieler ist. Bei welcher Gelegenheit habt Ihr Euch getroffen?
Das war noch zu DDR-Zeiten. Da spielte MUSSELWHITE in Halle im "Turm". Ich kannte ihn natürlich als glänzenden Mundharmonikaspieler, aber eben noch nicht persönlich. Da mein damaliger Manager aber die Leitung vom "Turm" kannte, kamen wir rein zum Konzert und da lernte ich CHARLIE MUSSELWHITE auch kennen. Mein Englisch war zwar eher mies, so dass nicht allzu viel Kommunikation erfolgte, aber musikalisch verstanden wir uns. Wir spielten dann an dem Abend zusammen, er auf seiner Mundi die hohen Töne, ich auf meiner die tiefen Töne. Das war schon interessant und ging tierisch ab. Seine Band war Klasse und den Leuten gefiel es sehr gut.
Wie sah es bei Dir nach der Wende mit Auslandsgastspielen aus?
Da war gar nichts, zumindest nicht mit der Band. Ich war zwar mal mit Robert Gläser in San Francisco, wo wir auch hier und da bei Sessions mitgemacht haben. Wir durften sogar mal live im Rundfunk spielen, bei einer dieser unzähligen amerikanischen Radio Stations, die immer gute Laune verbreiteten: "Hello, here is from East Germany BIG JOE STOLLE ..." Aber es kam nie etwas dabei heraus. Damals war die Stimmung in den Staaten ja auch noch total relaxt. Wenn man das heute sieht ... Da habe ich keine Lust mehr, hinzufahren.
Du scheinst noch immer eine enge Verbindung zu Leipzig zu haben. Im Dezember 2009 hast Du das dort das "Konzert der Besinnung und des Erinnerns an verstorbene Leipziger Stars", wie Klaus Renft, Cäsar organisiert. Wie kamst Du auf diese Idee und wie war die Resonanz darauf?
Wir hatten ja 2006 unseren ehemaligen Bassisten Hans-Jörg "Erbse" Moser verloren. Das traf mich schon sehr, zumal er ja auch jünger war, als ich. Also kam ich mit ein paar Leuten aus Leipzig auf die Idee, ihm zu Ehren eine Veranstaltung zu machen. Die Leipziger organisierten das alles, aber irgendwie lief das nicht so richtig. Es waren gerade mal sechzig Leute da. Irgendjemand meinte dann zu mir: "Dann mach Du das doch beim nächsten Mal!" Okay, ich nahm das also in die Hand, kümmerte mich um die Werbung, sprach Musiker an, ob sie mitmachen würden und seitdem gibt es eben diese Veranstaltung. Es gab ja eine Menge Leute aus der Gegend, die wir ehren konnten, z. B. CÄSAR oder Pjotr. Jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr gibt es dieses Programm. 2014 wird es am 28. Dezember stattfinden, das steht schon fest. Die Besetzung wechselt oft, mal spielt Bodi Bodag mit, dann wieder andere. Auch MAMA BASUTO ist hin und wieder dabei.
Trittst Du heutzutage generell mit Band auf oder auch mal im Duo oder anderen variablen Besetzungen?
Ja, ich trete manchmal auch im Duo auf. Früher war ich mit einem Pianisten unterwegs, der mit der linken Hand auch noch Bass spielte. Nach zehn gemeinsamen Jahren reichte es dann aber. Und zur Zeit spiele ich mit Mauro Pandolfino zusammen. Mauro ist nicht nur ein glänzender Gitarrist, sondern auch ein echter Römer.
Zu Deiner Band gehört neben Robert Gläser auch der großartige und vielbeschäftigte Simon Anke am Piano. Wer noch?
Simon Anke ist wirklich so gefragt, dass er nicht immer dabei sein kann. Aber wir können auch ohne weiteres zu viert spielen. Am Schlagzeug sitzt immer noch Jürgen Schötz, aber auch Andy Scherer, der auf dem Album die Drums bedient. Das ist der Kern der Band. Wenn Robert mal nicht kann, spielt Simon Anke auch gerne mal mit der freien Hand den Bass oder Moritz Gläser kommt hin und wieder auch mal dazu.
Wie viele Konzerte spielt Ihr pro Jahr?
Da zähle ich nicht mehr mit. Es sind natürlich deutlich weniger, als früher, so etwa drei bis vier im Monat. Wir sind auf jeden Fall immer präsent. An der Reaktion der Leute spüren wir auch immer, dass die sich freuen, wenn wir irgendwo spielen.
Auf YouTube geistern etliche Videos von Auftritten der BIG JOE STOLLE BLUES BAND bei den so genannten Hangar49-Konzerten umher. Du scheinst da 2013 über mehrere Monate gespielt haben. Was ist das für eine Veranstaltung, wer oder was steckt dahinter?
Diese Veranstaltung diente dazu, eine Art Bluesabend fest zu etablieren. Der Zuspruch in den bislang eineinhalb Jahren war aber so gering, dass ich gesagt habe, der Aufwand lohnt sich einfach nicht. Ich kann ja meine Kollegen nicht fortlaufend überreden, umsonst zu spielen. Deshalb habe ich entschieden, damit aufzuhören.
Ich habe mir kürzlich etliche dieser Videos angesehen und festgestellt, dass Du mit Deiner Band dort fast ausschließlich Coverversionen gespielt hast. Das ist zwar im Bluesbereich durchaus nichts Unübliches, aber wenn ich mir Dein neues Album anhöre und auch an Deine Vergangenheit zurückdenke, frage ich mich, weshalb Du live nicht viel mehr eigenes Material bringst.
Insgesamt habe ich ein Live-Repertoire von etwa einhundert Songs. Ich habe ja auch nach der Wende zwei CDs mit eigenen Songs gemacht, die man zwar live nicht alle bringen kann, aber die, die man auf der Bühne spielen kann, sind eigentlich immer mit am Start. Es kommt immer darauf an, wo ich gerade spiele. Trete ich z. B. in einer Kneipe auf, brauche ich die Leute nicht mit hochwertigem Blues zu belästigen, sondern da spielt man dann eben eher Party-Blues. Spielen wir aber ein Konzert, wie z. B. letztens bei SPEICHE in seiner Kneipe, dann sind natürlich viele eigene Sachen dabei. Und künftig gehören natürlich auch einige Nummern vom neuen Album mit zum Programm.
Wenn man wie Du seit mehreren Jahrzehnten Blues in all seinen Schattierungen spielt, hat man da nicht irgendwann mal das Bedürfnis, etwas anderes zu spielen?
Nein, eigentlich nicht. Ich habe ja beispielsweise viele internationale Nummern zu meinen eigenen Liedern gemacht. Die Lieder wurden einfach etwas verändert und angepasst. Letztendlich ist das auch eine Einstellungsfrage. Wenn das jemand als Belastung empfindet, dass er jahrelang dieselbe Musik, dieselbe Stilistik spielt, dann kann ich das auch nicht ändern. Ich jedenfalls liebe den Blues, es ist meine Musik.
Lass mich raten: Privat hörst Du aber eher Klassik, als Blues.
Selbstverständlich höre ich zuhause auch Klassik. Die Mischung ist da sehr bunt. Ich gehe auch nach wie vor gerne auf Konzerte. Mein letzter Besuch war im Kesselhaus bei "Live in Reitwein". Ansonsten schaue ich mir sehr gerne Projekte anderer Kollegen an, wie beispielsweise Dirk Zöllners "Café Größenwahn".
Wie verbringst Du Deine freie Zeit, wenn Du nicht auf der Bühne stehst? Gibst Du nebenbei vielleicht jungen Künstlern Unterricht?
Früher habe ich das tatsächlich mal gemacht, im Moment habe ich aber keinen Bezug mehr dazu. Wenn man einmal mit Unterricht anfängt, muss man auch dran bleiben. Aber an Gesangsunterricht will keiner so richtig ran, an der Gitarre kann ich auch nicht alles vermitteln, weil ich mich da selber nicht genug auskenne. Und bei der Mundharmonika gibt es nicht genügend ernsthafte Interessenten. Die fangen an, nehmen zwei Stunden Unterricht und dann sind sie wieder weg. Für viele Musiker ist das ein zweites Standbein, aber ganz ehrlich: Ich brauche das nicht.
Ich stelle seit einiger Zeit fest, dass auf Blueskonzerten vermehrt jüngeres Publikum auftaucht. Das ist natürlich für das Überleben dieser Musikrichtung wichtig. Was glaubst Du, woran liegen die Ursachen dafür?
Richtig, auch bei unseren Konzerten fallen mir immer wieder junge Leute im Publikum auf. Und die sind sogar recht begeistert von der Musik, die wir spielen. Ich denke mal, dass der junge Mensch heutzutage ja tagsüber von früh bis spät von Musik überschüttet wird. Der kann alle fünf Minuten was anderes hören. Wenn der dann am Wochenende mal weg gehen will, hat er die Schnauze voll von seiner Musik, die er den ganzen Tag auf dem Kopfhörer hat. Da will er mal was anderes hören, am besten Livemusik. Wenn diese Leute unsere Musik erleben, dann gefällt denen das und die honorieren das auch. Ich bin da für die Zukunft recht optimistisch, dass dieser Trend anhält.
Du wirst im nächsten Jahr 65 Jahre jung. Zeit für die Rente? Oder will BIG JOE STOLLE im Jahr 2018 noch sein 50-jähriges Bühnenjubiläum feiern?
Ja, das wäre in der Tat ein lohnendes Ziel. Ich bin ja eigentlich jetzt schon in Rente, obwohl ich erst 63 bin. Aber an meinem Leben ändert das nicht viel. Ich will auf jeden Fall weitermachen, weil ich die Musik zum Leben brauche.
Möchtest Du abschließend unseren Lesern noch irgendetwas mit auf den Weg geben?
Klar: Let the good times roll! Das ist meine Devise, danach lebe ich. Man muss das Leben auch mal genießen und sich sagen: So wie es gerade ist, ist es schön.
Lieber Joe, recht herzlichen Dank für Deine Zeit und dieses interessante Gespräch.
Interview: Torsten Meyer
Bearbeitung: mb, cr
Fotos: Archiv Big Joe Stolle, Deutsche Mugge
Bearbeitung: mb, cr
Fotos: Archiv Big Joe Stolle, Deutsche Mugge