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Als Kind war es mein sehnlichster Wunsch, neben Schlagzeug auch Klavier spielen zu können. Leider bekam ich nie die Chance es zu lernen. Immerhin brachte ich mir selbst den "Flohwalzer" bei, doch damit waren meine künstlerischen Vorstöße auch schon erschöpft. Einer, der es tausendfach besser kann, für den das Klavier so etwas wie "das zweite Ich" darstellt, lebt im thüringischen Eisenach - leider weitgehend unbeachtet von der überregionalen Öffentlichkeit. Dabei hätte er durchaus die große Bühne verdient, denn er ist einer der begnadetsten und besten Pianisten in deutschen Landen. Sein musikalisches Herz schlägt für den Boogie Woogie, den er so begeisternd und hingebungsvoll interpretiert wie kaum ein Zweiter. Der Blues wohnt ebenso in ihm wie die Liebe zur Jazzmusik, was er nach wie vor immer wieder bei seinen Konzerten eindrucksvoll beweist. Natürlich kann es hier nur um einen gehen: ALEXANDER BLUME. Manch einer wird jetzt fragend gucken und rätseln, wo er den Namen schon mal gehört hat. Vermutlich wird ihm dann einfallen, dass die Lösung bereits mehr als dreißig Jahre zurückliegt, denn da begann ALEXANDER BLUME als gerade mal 17-jähriger Bursche in STEFAN DIESTELMANNs Folk Blues Band erste Anerkennung für sein Klavierspiel zu ernten. Als nächstes strandete er dann bei BIG JOE STOLLE's Band ZENIT, ehe er sich dazu entschied, zunächst als Solist weiterzumachen und im Laufe der Jahre diverse musikalische Projekte anzugehen. In unserem Interview zeichnen wir ALEXANDER BLUMEs facettenreichen Weg als exzellenter Musiker nach, erhalten interessante Einblicke über seine Zeit bei und mit Stefan Diestelmann, erfahren etwas über sein Engagement als Musikpädagoge, welche Rolle das ferne Jordanien in seinem Leben spielt und vieles mehr...
 



001 20130629 2023192839Du bist ein Musiker, den ich seit meiner frühesten Jugend kenne. Trotzdem weiß ich eigentlich kaum etwas über Dich, weil Du trotz all Deiner Aktivitäten, über die wir heute auch noch reden werden, eher wenig im Fokus der Öffentlichkeit stehst. Liegt das daran, dass sich nach Eisenach kaum mal ein Musikjournalist verirrt oder bist Du generell ein medienscheuer Typ?
Also medienscheu bin ich überhaupt nicht. Ehrlich gesagt habe ich auch keine Ahnung, woran das liegt. Ich denke mal, es gibt heute einfach eine große Vielzahl an Musikern, die in den unterschiedlichsten Genres aktiv sind. Dazu kommt, dass seit der Wende ja die ganze Welt interessant und zugänglich ist. Deshalb ist jetzt das eingetreten, was man als Normalisierung betrachten kann. Wenn man also in Eisenach lebt, so wie ich, dann ist man zwar lokal und regional bekannt, aber überregional kennen einen höchstens noch die Fans, aber nicht die breite Masse.

Dabei bist Du überall auf der Welt ein gern gesehener und gefragter Musiker. Wohin haben Dich Deine Gastspiele und Tourneen schon geführt?
Das stimmt, ich bin sehr viel unterwegs. Einerseits musikalisch, andererseits musikpädagogisch. Konzerte habe ich schon in ganz Europa gegeben, war auch schon jeweils zweimal in den USA und Japan zu Konzertreisen sowie in Jordanien.

Kürzlich trafen wir uns schon einmal und zwar auf dem Blues- und Rockfestival in Altzella. Wie gefiel Dir das Festival?
Durch Zufall habe ich vor ein paar Tagen alte Fotos aus Altdöbern (bei Cottbus) vom dortigen Blues-Festival gesehen und ich muss sagen, es war für mich von der Atmosphäre her vergleichbar. Altzella war völlig entspannt, die Leute waren trotz Regen gut drauf, die Musikerkollegen waren nett, also es war richtig schön. Man muss auch sagen, dass das Ganze sehr gut organisiert war und sich musikalisch auf einem sehr hohen Niveau bewegte. Insofern erinnerte mich das doch sehr an Altdöbern. Das war zu tiefsten DDR-Zeiten, da trafen sich so zwei- bis dreitausend Bluesfans auf einer riesigen Wiese zum Blues-Festival. Die Leute waren auch super drauf, sie waren friedlich, sie waren wegen der Musik da. Also wirklich wie in Altzella. Leider ist das in Altdöbern nach der Wende eingeschlafen.

002 20130629 1565224530Bereitest Du für solche Auftritte wie in Altzella ein separates Programm vor oder spielst Du Deine ganz normale Setlist?
In der Regel bereite ich meine Setlists akribisch vor. In Altzella zum Beispiel hatten wir Zeitvorgaben, an die wir uns halten mussten. Da möchte ich natürlich, dass das Programm aufeinander abgestimmt ist, dass wirklich all das darin vorkommt, was mich und meine Band ausmacht, mit der ich gerade spiele. Es muss so sein, dass die Leute rundum zufrieden sind, dass sie mitmachen können, dass ich ein paar Sachen sagen kann. Es ist manchmal sogar so, dass die Musiker das Programm zwei, drei Wochen vorher ausgedruckt und zugeschickt kriegen. Wobei natürlich immer ein paar Nummern dabei sind, die spontan ausgetauscht werden können, falls das Publikum in einer bestimmten Richtung reagiert.

Spielst Du gerne auf solchen Festivals oder machst Du lieber Deine eigenen Konzerte, wo ja das Publikum ausschließlich Deinetwegen erscheint?
Für mich hat beides seinen Reiz. Festivals sowieso, weil ich dort viel mehr Leute erreiche, als in einem Club mit siebzig Zuschauern. Auf Festivals lernt man auch immer Leute kennen, die eigentlich wegen einer ganz anderen Band da sind. Und man kann natürlich jede Menge Kontakte knüpfen, auch geschäftliche Kontakte. Eigene Konzerte haben für mich den Reiz, dass ich komplett mein Programm spielen kann, was auf Festivals nur selten möglich ist. Außerdem kommt man mit vielen Leuten direkt ins Gespräch, die sich für meine Musik interessieren.

Nicht nur in Altzella, sondern auch sonst ist sehr häufig Dein Sohn MAXIMILIAN am Schlagzeug dabei. Seit wann steht Ihr gemeinsam auf der Bühne?
Im Prinzip machen wir das seit Maximilians 6. Lebensjahr. Seit er die ersten Schläge auf der kleinen Trommel ausführen konnte, machen wir zusammen Musik. Ich habe ja noch drei weitere Söhne, die ich da ebenfalls mit einbezogen habe. Ich schrieb immer die Arrangements für unsere kleine Familienband und das Ganze hat sich dann nach und nach entwickelt.003 20130629 1345574528 Maximilian, der in diesem Jahr 21 wird, ist als Einziger bis heute dabei gebelieben und hat sich wunderbar mit- und weiterentwickelt. Deshalb nehme ich ihn auch mit zu meinen Konzerten, wo er nicht nur Schlagzeug spielt, sondern auch singt. Früher war es so, dass Max mit sechs, sieben Jahren der absolute Blickfang beim Publikum war. Aber das allein reicht natürlich nicht. Ich muss aber feststellen, er hat seine Sache schon immer gut gemacht. Inzwischen ist er für mich eine wichtige Stütze. Das geht so weit, dass es schwer für mich ist zu sagen, den nächsten Gig mache ich mal ohne Maximilian. Solokonzerte mache ich ohnehin nur ganz wenige im Jahr, weil ich mich dafür separat und ausgiebig vorbereiten muss.

MAXIMILIANs Talent muss bei Euch in der Familie liegen, denn Du selbst hast ja auch schon sehr früh den Zugang zur Musik gefunden. Erzähl doch bitte mal, wie das bei Dir anfing und wer Dein musikalisches Interesse geweckt und gefördert hat.
Das war eigentlich ein ganz normaler Weg. Ich wurde in der Musikschule angemeldet, habe dort Klavier gelernt, weil das in der Familie irgendwie dazu gehörte. Mein Vater war ein Hardcore-Jazzfan, dadurch hatte ich zuhause rund um die Uhr Jazz- und Bluesbeschallung. Er hat mich aber nicht in diese Richtung gedrückt. Meinen Bruder und mich hat diese Musik aber trotzdem derart fasziniert, dass wir uns vorrangig mit Blues und Jazz befasst haben. Später entschlossen wir uns dann ja auch, Berufsmusiker zu werden.

Schon mit zehn Jahren hattest Du im Jazzclub Eisenach Deinen ersten öffentlichen Auftritt. Das war ja nun nicht irgendein Schuppen, sondern immerhin der älteste Jazzclub in der DDR. Kannst Du Dich erinnern, wie Du Dich seinerzeit gefühlt hast und was genau Du gespielt hast?
(lacht) Oh ja, das weiß ich noch genau. Das war eine Komposition für zwei Klavierspieler, die ich mit meinem Bruder Stanley zusammen am Klavier gespielt habe. Die Nummer hieß "Blumes Blues". Unser Klavierlehrer hatte das Stück für uns komponiert. Ich weiß nur noch, dass wir tierisch aufgeregt waren, aber viel mehr Erinnerung habe ich nicht an diesen Tag. Jedenfalls war ich heilfroh, als der Song endlich vorbei war.

005 20130629 1253019984Dann dauerte es sicher auch nicht lange, bis Du in einer richtigen Band mitgewirkt hast?
Stanley, mein Bruder, fing zunächst an, Klarinette und Saxophon zu spielen. Außerdem überredeten wir drei Leute aus unserem Freundeskreis, ein Instrument zu spielen, denn wir brauchten noch Schlagzeug, Bass und Gitarre. Übrigens machen die beiden, die damals Bass und Gitarre gelernt haben, auch heute noch aktiv Musik. Irgendwann sprachen mich dann Musiker der Eisenacher TRAVELLING BLUES BAND an, ob ich nicht bei ihnen mitmachen wolle. Ja klar, warum nicht? Zwar gab es damals auch ein Jugendschutzgesetz, aber das war scheinbar nicht so ausgefeilt wie heute. Heutzutage kannst Du mit 13 Jahren jedenfalls nicht abends in einer Kneipe auf die Bühne gehen und Musik machen.

Der Name TRAVELLING BLUES BAND lässt schon erahnen, in welche Richtung es ging. Kam man als Musiker zur damaligen Zeit in Erfurt, dem Zentrum der Thüringer und der ostdeutschen Bluesmusik, überhaupt daran vorbei, in einer Bluesband zu spielen?
Es gab damals die zwei Zentren für Blues: Zum einen Berlin und zum anderen eben Thüringen. Das hat ja z. B. Michael Rauhut in seinen Veröffentlichungen wunderbar beschrieben. Blues war damals eben einfach angesagt. Von der Musik her, aber auch vom Feeling her. Ich weiß zwar bis heute nicht, ob die wirklich alle wegen der Bluesmusik an sich da waren. Aber die haben sich eben getroffen und es wurde Blues gespielt. So kam es ganz zwangsläufig, dass jeder, der drei Griffe auf einer Gitarre konnte, in einer Bluesband mitmachte.

1978 war dann ein ganz entscheidendes Jahr für Dich. Du warst gerade mal siebzehn, als Dich STEFAN DIESTELMANN nach Berlin und in seine FOLK BLUES BAND holte. Lass uns etwas ausführlicher über diese Zeit reden, denn das wird sehr viele interessieren. Wie wurde DIESTELMANN auf Dich aufmerksam?
Mein Vater war der Leiter des Eisenacher Jazzclubs. Ich versuchte, ihn manchmal ein bisschen auf eine andere Spur zu bringen, weil er halt so ein Traditionalist war. Er war ein Hardcore-Jazzfan, nur hörte für ihn die Entwicklung des Jazz 1940 auf.004 20130629 1658797069 Gegenüber allem, was danach kam, hatte er nicht nur große Berührungsängste, sondern war auch radikal dagegen. Dennoch versuchten wir, ihm klar zu machen, dass er in seinem Jazzclub auch mal andere Musik bringen muss. So kam es, dass er eines Tages STEFAN DIESTELMANN eingeladen hatte. Ich kannte den überhaupt nicht, wusste aber von Freunden, dass der super Musik macht. Die Hütte war krachevoll und ich spielte im Vorprogramm. Das hat STEFAN gehört und er fragte mich hinterher, ob ich in seiner Band spielen möchte. Ich fand das natürlich zuerst komisch und wollte es gar nicht glauben, bis STEFAN dann meinte: "Du kannst deine Sachen einpacken und morgen gleich mitspielen." Das tat ich dann auch. Irgendwie war das alles ganz einfach.

Wie fühlt man sich, wenn man als 17-jähriger Bursche die beschauliche Thüringer Welt und seine Familie und Freunde verlässt, um nach Berlin zu gehen?
Das Problem war ja, dass ich damals noch zur Schule ging. Es fing mit ein paar wenigen Konzerten an, zu denen ich regelmäßig eingeladen wurde. Dann kamen auch schon die erste Schallplattenproduktion sowie Rundfunk- und Fernsehaufnahmen. Ich hatte das überhaupt nicht richtig registriert. Für mich unterschied es sich emotional relativ wenig von meinen sonstigen Auftritten. Natürlich merkte ich, dass das hier was Besonderes ist, dass eine andere musikalische Qualität dahinter steckt. Aber ich habe das einfach nicht verstanden, das konnte ich nicht einordnen. Dafür war ich noch zu jung.

Es muss doch wahnsinnig aufregend gewesen sein, als junger Kerl bei einem der angesagtesten Musiker der damaligen Zeit mitspielen zu dürfen? Was lösen solche Momente in einem aus, wie hast Du diese Phase empfunden?
Wie ich schon sagte, war mir all das nicht klar. Es hat zwar alles total Spaß gemacht und war eine völlig neue Welt. Aber die wirkliche Tragweite des Ganzen war mir nicht bewusst.

006 20130629 1398492441Wenn mich meine Erinnerung nicht im Stich lässt, hast Du zwar nicht auf dem Debütalbum, sehr wohl aber auf der zweiten und dritten DIESTELMANN-LP am Piano mitgewirkt. Wie wichtig waren diese Erfahrungen für Deine weitere Entwicklung?
Aus heutiger Sicht weiß ich, dass diese Zeit für mich ganz, ganz wichtig war. Ich konnte ja mit der Creme de la creme der DDR-Jazzmusik zusammen spielen. Später kamen dann nicht zuletzt durch die Kontakte, die ich durch STEFAN hatte, Zusammenarbeiten mit angesagten Rockmusikern dazu, wodurch ich zu den verschiedensten Produktionen eingeladen wurde. Mit vielen von ihnen bin ich auch heute noch gut bekannt. Heute weiß ich auch, wie gut das für mich war, denn wenn Du mit guten Leuten zusammenspielst, spielst Du automatisch besser. Du hast auch gar keine andere Chance in dem Moment. Von den anderen hatte sich keiner verspielt, es gab keine Fragen zur Musik, es waren einfach andere, höhere Anforderungen an die Musik. DIESTELMANN hatte zum Beispiel mal einen Gig im Palast der Republik mit einer Bigband. Er sagte: "Hier ist ein Stück von EMERSON LAKE & PALMER, das hörst Du Dir mal an und dann spielen wir es so wie im Original." Ich bekam einen Schreck und dachte, was verlangt der von mir?! Da begann dann für mich eine ganz andere Art der Auseinandersetzung mit Musik, ich bekam auch eine andere, bessere Einstellung zum Musikmachen an sich.

Nun hat DIESTELMANN den Blues gänzlich anders interpretiert, als man es in unseren Landen bis dahin kannte. Das war anfangs sicher nicht immer einfach, die Leute von Euch zu überzeugen, oder?
STEFAN hat etwas gemacht, was einen Künstler eigentlich ausmacht. Er sagte nämlich nicht, ich spiele Blues. Na gut, nach außen hin hat er das natürlich schon gesagt, um den Leuten begreiflich zu machen, was das für Musik ist. Aber er hat grundsätzlich SICH gespielt. Das muss man dem Mann hoch anrechnen. Dabei war es ihm absolut egal, ob das nun wirklich Blues ist oder nicht. Er hat seine Lieder und Texte geschrieben, hat das aber hinterher alles mit sich alleine ausgemacht. Er ging danach nirgendwohin und fragte: "Kannst Du mir das mal geradebiegen?" Wenn es nicht schon gerade war, dann blieb es eben eckig, kantig und ungehobelt.

Damit hast Du mir meine nächste Frage, nämlich was den Musiker DIESTELMANN ausgezeichnet hat, ja eigentlich schon beantwortet.
Genau. Viel mehr muss man dazu auch nicht sagen.

007 20130629 1087624923STEFAN DIESTELMANN entwickelte sich relativ schnell zur Kultfigur der ostdeutschen Bluesszene, was sicher nicht nur an seinem äußeren Erscheinungsbild lag. Habt Ihr damals eigentlich den besonderen Status, den Ihr unter den Jugendlichen hattet, wahrgenommen?
Ja, STEFAN wusste das. Er wusste das sogar ganz genau und hat das später auch für sich genutzt. Im positiven wie im negativen Sinn. Das war eine seiner Stärken. Er schätzte zwar hin und wieder mal die Realität falsch ein, erkannte dafür aber wieder viele Sachen ganz genau und wusste, wie er diese Erkenntnisse für sich nutzen kann. Ob das für andere Menschen in seinem Umfeld jetzt immer gut war, lasse ich mal unbeantwortet. Aber STEFAN wusste genau, dass er eine Kultfigur war, und darauf baute er.

Ließ STEFAN dieses Wissen um seine Stellung denn innerhalb der Band raus? Oder anders gefragt: War er als Bandleader eher der Kumpeltyp oder der Diktator?
Na ja, manche Sachen waren ohnehin gesetzt, die mussten erfüllt werden. Man durfte zum Beispiel keinen Müll spielen. Ich erinnere mich an ein bestimmtes Konzert, wo genau das passierte. Die betreffenden Musiker waren beim nächsten Mal nicht mehr dabei, die hat er einfach nach Hause geschickt. Das nächste Konzert fand dann halt ohne Schlagzeug statt, wenn es so schnell keinen Ersatz gab. Manche Bandkollegen sagten zwar, das geht so nicht, worauf STEFAN sagte: "Wem das nicht passt, der kann ebenfalls gehen". Er setzte halt einen gewissen Qualitätsstandard voraus.

Wenn ich mal zurückdenke, kenne ich die DIESTELMANN-Band eigentlich nur ohne Schlagzeug...
Siehst Du, das ist ein Hinweis darauf, dass er bei den Schlagzeugern besonders kritisch war. Eine Zeitlang spielten wir tatsächlich im Trio mit Klavier, Gitarre und Schlagzeug und der Schlagzeuger hatte es meistens wirklich sehr schwer, STEFANS Ansprüche zu erfüllen. Aber das wussten die Leute auch. Es war ja auch nichts schlimmes, dass er halt immer das Beste wollte. In der Arbeit war STEFAN ein totaler Freak. Alles musste ganz genau passen, alles war geplant und x-mal durchgespielt. Die Gags waren bis ins Kleinste eingeprobt, aber er brachte es immer spontan und authentisch rüber, so dass man das nicht merkte. Das war enorm und große Klasse, nur mir selber war das nicht bewusst. Er zog sein Ding absolut professionell durch. Das habe ich später von einer einzelnen Person nie wieder in dieser Intensität erlebt.

008 20130629 1372410440Bevor wir wieder auf Deinen Werdegang zu sprechen kommen, lass uns das Thema DIESTELMANN noch zu Ende denken. Es ist ja kein Geheimnis, dass er mit zunehmendem Erfolg immer höher hinaus wollte, dabei aber immer wieder mit den Wirklichkeiten und realen Gegebenheiten kollidierte, die in der DDR herrschten. Wie hat das den Menschen DIESTELMANN verändert und wie wirkte sich das auf die Band aus?
STEFAN und ich hatten immer ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Da passte nicht viel dazwischen. Ich war in gewisser Hinsicht auch pflegeleicht, weil mich viele Sachen einfach nicht berührten. Wenn STEFAN sich mal über etwas ärgerte, musste ich mich deshalb ja nicht auch gleich ärgern. Bei vielen Dingen habe ich mich einfach nicht beteiligt. Nicht aus Scheu oder Angst, sondern weil es eh sinnlos gewesen wäre. STEFAN war ja ein echter Star in der DDR. Nach außen hin machte er den Eindruck, dass er konform war. Andererseits nervte er aber die Leute auch, weil er sich in vielen Situationen nur schwer unter Kontrolle bekam. DIESTEMANN machte keine Unterschiede zwischen den Personen, er ging auf jeden gleichermaßen los. Es lag dann meistens am diplomatischen Geschick des anderen, wie das Ganze endet. Durch manche unbedachte Bemerkung machte er es sich oft selber sehr schwer. Er stellte sich halt auf die Bühne und hat in aller Öffentlichkeit über die STASI hergezogen. Die Menschen im Saal klatschten sich natürlich vor Lachen auf die Schenkel. Hinterher wunderte er sich dann, warum er die geplante Tournee durch die BRD nicht machen durfte. Er empfand das als äußerst ungerecht. So war STEFAN eben, man konnte ihm nicht helfen, auch ich nicht. Er legte sich praktisch seine eigene Welt zurecht. Das waren aber jetzt keine Star-Allüren, sondern er war wirklich so. In seinen Texten besingt er das ja auch ganz offen, dass er sich ungeliebt fühlte, dass er eine schwere Kindheit und Jugend hatte. Das stimmte zum Teil ja auch, aber manches davon war frei erfunden. Und er glaubte an diese erfundenen Sachen, weil er sich damit wohl gefühlt hatte. Menschlich kann ich das voll und ganz verstehen. Nur brachte ihn das oftmals in große Schwierigkeiten.

Du warst eng mit STEFAN befreundet. Wie hast Du reagiert, als er 1984 in der BRD blieb?
Heute kann ich es ja offen sagen: ich war derjenige, der davon wusste. STEFAN bekam eine Einladung zu "Bio's Bahnhof". Bevor er fuhr, sagte er zu mir, er werde drüben bleiben. Ich fragte ihn, ob seine Frau Bescheid wüsste und er meinte: "Nein, das sage ich nur Dir. Du musst es ihr sagen, wenn ich weg bin. Ihr müsst dann meine Schallplatten und das andere Zeug in Sicherheit bringen, denn das holt die STASI bestimmt alles". Als er dann weg war, sagte ich seiner Frau, dass STEFAN drüben bleibt. Natürlich brach sie erst mal zusammen und hat die Welt nicht mehr verstanden.009 20130629 1967351610 Wir räumten dann ganz schnell die halbe Wohnung aus. Als er dann am Montag zurückkommen sollte, aber nicht kam, war sofort die Polizei bei mir. Die nahmen mich gleich mit in die STASI-Zentrale in der Normannenstraße, wo ich dann anderthalb Tage lang verhört wurde. Die meinten, ich hätte doch sicher Bescheid gewusst. Da ich STEFAN kannte, wusste ich auch, dass ich der einzige war, der von seiner Flucht Kenntnis hatte. Das half mir dabei, standhaft zu bleiben und so konnte ich glaubhaft versichern, dass ich von nichts wusste. Ich tat ganz überrascht, dass er nicht zurückkam, denn eigentlich hätte STEFAN sich doch vorher noch ganz anders geäußert.

Dir bleib ja auch keine andere Wahl, sonst wärst Du selber eingelocht worden.
Genau. Es hätte gegen mich wohl sofort ein Strafverfahren mit anschließender Haft gegeben. Ich wusste das deshalb so genau, weil ich selber in der 11. Klasse mit meinem Bruder und einem Kumpel eine Republikflucht geplant hatte. Das war kein dummer Jungenstreich, sondern wir wollten wirklich abhauen. Unser Kumpel erzählte dummerweise seinem Onkel von unseren Plänen, ohne zu wissen, dass dieser Onkel IM war. Von da an haben die uns observiert. Und ich lernte erstmals die Verhörmethoden der STASI kennen. Das Ergebnis war jedenfalls, dass ich plötzlich keinen Ausweis mehr hatte, sondern nur so einen Ersatz-Ausweis. Damit durfte ich logischerweise auch nicht mehr ins Ausland. Man versuchte dann, mich anzuwerben, was ich aber Gott sei Dank nicht gemacht habe.

Hast Du danach jemals wieder Kontakt zu DIESTELMANN gehabt?
Stefan wollte, dass ich auch einen Ausreiseantrag stelle. Das war 1984, da war ich schon seit zwei Jahren verheiratet. Ich habe ihm erklärt, dass das so nicht funktioniert, wie er sich das vorstellte. Ich musste für mich selber erstmal Klarheit bekommen, was ich will. Zumal ich ja schon auf der STASI-Liste stand. Wir haben dann noch einige Male miteinander telefoniert, bis er dann plötzlich den Kontakt abbrach. Nicht nur mit mir, sondern auch mit jedem anderen. Und er hat von dem Tag an auch keinerlei Kontaktaufnahme mehr zugelassen. Verstanden habe ich das nicht, denn ich hatte ihm ja überhaupt nichts Böses getan. Aber irgendwie reagierte STEFAN wie ein trotziges Kind.

010 20130629 1622304996Seit kurzem wissen wir alle ja durch die Recherche des Journalisten Steffen Könau, dass DIESTELMANN bereits 2007 in Bayern starb, unbemerkt von aller Welt. Wie hast Du von seinem Tod erfahren und wie hast Du die Nachricht aufgenommen?
Ich war natürlich sehr traurig. Von seinem Tod habe ich nichts gewusst. Ganz im Gegenteil, denn wie ich schon sagte, hatten wir immer wieder versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Aber er hatte unter alles einen Schlussstrich gezogen. Es gab ja dann auch noch dieses Interview per Video, welches kurz vor seinem Tod aufgenommen wurde. Das spricht aus meiner Sicht Bände. Genau so, wie er dort auftritt, war STEFAN auch: Verletzt, beleidigt und auf der Suche nach der Anerkennung, die ihm nicht zuteil wurde. Ich glaube, er hätte gerne seinen Status zurück gehabt, den er in der DDR hatte. Aber das ging halt nicht mehr.

Nachdem DIESTELMANN der DDR den Rücken kehrte, musstest Du Dir auch neue musikalische Betätigungsfelder suchen. Man fand Dich dann relativ schnell im Line Up der Gruppe ZENIT wieder. Wie bist Du dort hingekommen, wer hat wen gefunden?
Zunächst mal hatte ich ein richtig schweres Jahr zu überstehen, weil ich überhaupt keinen Job bekam. Ich war von einem Tag auf den anderen arbeitslos. Es gab Zeiten, da habe ich eine Woche lang von Pellkartoffeln und Leberwurst gelebt. Ich habe richtig Hunger gehabt, das muss man sich mal vorstellen. Heute denke ich, das hätte nicht sein müssen. Andererseits war es gut zu wissen, wie das ist, wenn man Hunger hat oder wenn man ganz allein auf sich gestellt ist. Das erlebt zu haben, war für mich eine wichtige Erfahrung, denn seitdem sehe ich vieles mit ganz anderen Augen. Es war wirklich eine gute Schule fürs weitere Leben. Aber Deine Frage zielte ja auf ZENIT. Die haben mich angesprochen, ganz unkompliziert und einfach. Der "dicke" STOLLE machte das. Es war eine sehr schöne Zeit.

1985 habt Ihr das ziemlich erfolgreiche Album "Dr. Blues" aufgenommen. Die Band selber erfreute sich in Blueserkreisen ohnehin eines regen Zuspruchs. Weshalb hast Du Dich dann trotzdem schon bald auf Solopfade begeben?
Musikalisch war es nicht so reizvoll wie mit STEFAN DIESTELMANN, und ZENIT war auch eine sehr laute Band. Das hat mich auf Dauer angestrengt. Es waren auch andere Anforderungen an den Keyboarder, also an mich. Ich war jetzt nicht mehr gleichberechtigter Mitspieler, sondern ich hatte andere Aufgaben zu lösen. Ich musste mich etwas zurücknehmen, aber in diesen zurückgenommenen Zustand wiederum bestmöglich spielen. Trotzdem war es für mich eine gute Schule, so was mal mitgemacht zu haben. Von der Auswahl der Stücke her war ZENIT nicht so vielfältig, denn sie haben sehr viel gecovert. Klar, STOLLE schrieb auch eigene Sachen, aber die hatten nicht so die Qualität, wie bei STEFAN. Dennoch fühlte ich mich in der Band sehr wohl, es waren nette Typen, wir haben uns gut verstanden. Aber die Arbeit bei ZENIT füllte mich nicht aus. Dazu kam, dass es immer weniger Auftritte wurden. Nun muss man ja sehen, dass der Job in einer Band ja auch existentielle Hintergründe hatte. Was konnte man denn in der DDR als Musiker sonst noch machen? Einfach mal so als Taxiunternehmer arbeiten oder schnell mal eine Imbissbude aufmachen? Das war nicht möglich. Also musstest Du ganz normal im Betrieb arbeiten gehen.

Irgendwann in dieser Zeit hast Du an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin studiert, hast dieses Studium dann aber aus politischen Gründen abgebrochen. Wann war das und was steckte hinter diesem Abbruch?
Lass mich überlegen... Ich glaube, dass ich 1983 angefangen habe, zu studieren. Der Abbruch hatte den ganz einfachen Hintergrund, dass ich es abgelehnt habe, in die Musikgeschichtsvorlesungen zu gehen. Genauso wenig bin ich in diese ganzen anderen politischen Fächer gegangen, wie M/L (Marxismus/Leninismus). Dann haben die mich eben einfach nicht für mein Hauptfach zugelassen, was mir aber völlig wurscht war. Ich wechselte dann die Hochschule und ging für ein Jahr nach Weimar. Natürlich gab es da das gleiche Theater, weil ich wieder nicht diese komischen politischen Fächer besucht habe. Ich war nur bei den Vorlesungen zu Musiktheorie und zu Klavier. Dafür wurde mir in mein Studienbuch, wo die Bestätigungen für die Teilnahme rein kamen, nichts eingetragen. Damit war die Sache für mich erledigt.

Inwieweit hat Dir der Abbruch des Studiums künstlerisch geschadet? Konntest Du mit diesem Makel in Deiner Akte überhaupt den Musiker-Berufsausweis erwerben?
Es stimmt schon, ich war in einer ziemlichen Zwangslage. Hier das abgebrochene Studium, im Hintergrund die ständige Beobachtung durch die STASI. 1985 ging ich in meiner Not zum Rat des Kreises Eisenach und sagte, dass ich künftig als freier Klavierlehrer arbeiten möchte. Die meinten, das wäre überhaupt kein Problem und so war es dann auch. Dadurch war ich also nicht zwangsläufig dazu verdonnert, einen Berufsausweis nachweisen zu müssen. Trotzdem habe ich es versucht, das Papier zu erwerben. Die Prüfungen waren aber eine reine Farce und nachdem die mich zweimal durchfallen ließen, stellte ich bei der Abteilung Inneres einen Ausreiseantrag. Die versprachen mir daraufhin, wenn ich die Prüfung noch ein drittes Mal mache, wird alles besser und anders. Okay, ich wagte also einen dritten Anlauf. Zur Prüfung saß dann überraschenderweise TONI KRAHL, den ich bei der GITARREROS-Tournee kennengelernt hatte, als "neutraler Beobachter" im Auftrag der DDR-Rockmusiker-Gemeinde mit im Raum. Und plötzlich war die Prüfung gar kein Problem, ich bekam simpelste Fragen gestellt und bestand mit Bestnoten. Die schlugen halt vor Ehrfurcht die Hacken zusammen, weil da jemand aus Berlin die Sache beobachtete. Das war die reinste Posse.

Es ging dann jedenfalls wieder aufwärts bei Dir, denn 1987 kam Deine Solo-LP auf den Markt, die sich immerhin 40.000 mal verkaufte. Der Titel "Boogie Woogie Piano" lässt erahnen, welche Art Musik darauf zu hören war. Wie hast Du es geschafft, für ein solches Album grünes Licht zu bekommen?
Das war wirklich Wahnsinn. Eigentlich wäre allein diese Geschichte ein eigenes Buch oder eine Reportage wert, denn das ist alles so grotesk, das kann man sich gar nicht vorstellen. Ich war also mit den GITARREROS auf Tournee. Der damalige Manager von PANKOW, dessen Name mir leider gerade nicht einfällt, fragte mich, ob ich nicht im Zwischenprogramm spielen würde. Die Eröffnung machte ROCKHAUS, dann stellten die einen Flügel auf die Bühne und ich habe quasi die Umbaupause bespielt. Danach kamen dann diese ganzen wirklich tollen - das kann man ruhig mal sagen - Gitarristen auf die Bühne. Also BERND RÖMER, UWE HASSBECKER, GISBERT PIATKOWSKI... das waren schon richtig gute Musiker. TAMARA hat dazu gesungen, das war toll. RITCHIE spielte die Keyboards, JÄCKI war am Bass und HERBERT JUNCK am Schlagzeug. Gespielt wurden internationale Rocknummern. Ich war total fasziniert, denn das war noch mal eine ganz andere Qualität und ich staunte, dass auch so was bei uns machbar war. Wie gesagt, ich spielte in der Umbaupause und der PANKOW-Manager kam hinterher mit Klaus-Peter "Biene" Albrecht von AMIGA auf mich zu. Albrecht sagte: "Herr BLUME, wir könnten doch mal eine Schallplatte zusammen machen. Sagen Sie mir doch mal, wie heißt denn eigentlich diese Musik?" Ich antwortete: "Das ist Boogie Woogie". (lacht) - "Ach so, ja das ist gut, das haben wir noch nicht gehabt". So ging das los. Ich sollte dann ein Demo machen, wusste aber gar nicht, was das ist und wie man das macht. Also nahm ich auf einem Kassettenrekorder mit einfachsten Mitteln irgendwas auf und schickte das an AMIGA.013 20130629 1427696302 Die fanden das toll, meinten aber, da fehle noch ein Titel, sonst bekämen wir die Schallplatte nicht voll. Ich spielte ihnen dann einfach den "Honky Tonk Train Blues" drauf. Die Platte erschien und ich fragte mich damals, warum sie sich so oft verkauft hat. Wenn ich das aber heute wieder höre, weiß ich auch, warum das so war. Weil uns das nämlich gut gelungen ist, weil es eigenständig und authentisch klang.

Hast Du mit dem Album denn auch ein bisschen Geld verdient oder hat AMIGA die Erlöse eingestrichen?
Ja, ich bekam Geld dafür und nicht mal wenig. AMIGA hatte ja richtige Tarife, die feststanden und nicht verhandelbar waren. Ich glaube, als Bassist hat man pro Titel 35 Mark bekommen, als Solist 115 Mark. Auf die Mark genau weiß ich es nicht mehr, aber das waren in etwa die Hausnummern. Ich selbst habe an AWA-Ausschüttungen (die heutige GEMA) um die 16.000 Ostmark kassiert. Wenn ich das mit heute vergleiche, kann ich nur sagen: Das waren damals richtig goldene Zeiten.

Das Album begründete endgültig Deinen Ruf als erstklassiger Blues- und Jazzpianist. War es Dein Bestreben, künftig als Solokünstler weiterzumachen, und höchstens hier und da mal für bestimmte Projekte bzw. als Gastmusiker engagiert zu werden?
Nein, das ergab sich einfach. Es zeichnete sich damals schon ab, dass es allmählich immer schlechter wurde mit der Auftragslage. Die Thüringer Bluesszene brach zusammen, weil es nicht mehr so viele Fans gab, auch die Auftritte wurden weniger. Es wurde schwierig und irgendwo zeichnete sich am Horizont schon eine Art Umbruch ab, ohne dass jemand das genau deuten konnte. Dazu kam, dass manche Veranstalter schon marktwirtschaftlich dachten und sagten: "Keine Band, das ist uns zu teuer. Komm doch lieber alleine". Allerdings erwarteten die dann auch, dass du alleine drei bis vier Stunden spielst. Das ging eigentlich nicht, denn das ist ein harter Job, ganz alleine ein aufmerksames Publikum über so lange Zeit zu unterhalten.

015 20130629 1727016285Eines dieser Projekte war das legendäre "Stormy Spring"-Album vom MAMA BLUES PROJECT. Welchen Anteil hattest Du an dem Album?
Ich habe bei zwei Nummern mitgespielt. Das Projekt stand ja unter Leitung von Joro Gogow, der damals bei NO55 war. Zu der Zeit experimentierten die schon mit Drum-Computern und solchem Zeug, was nicht so mein Ding war. Außerdem ging die eine Nummer, bei der ich dabei war, nicht so richtig los, was mich ziemlich nervte. Dazu kam, dass ich die anderen Musiker nicht gesehen habe. Das war so eine Art Overdub-Verfahren. Die Bänder waren fertig, dann kam erst der Pianist, also ich, und hat gespielt. Für mich klang das hinterher irgendwie total steril. Und ich konnte leider nur dazu spielen, aber ich konnte nichts mehr bewirken. Möglich, dass es am Ende ganz schön klang, aber ich weiß nicht, ob und wie es die Leute draußen erreicht hat.

Ich kann Dich beruhigen, das Album kam sehr gut an bei den Fans. Lass uns weiter gehen auf der Zeitleiste. Als sich Ende der Achtziger die Protestbewegung in der DDR immer stärker formierte, hast Du Dich aktiv daran beteiligt und dafür staatliche Repressalien wie Auftrittsverbote oder Hausarrest geerntet. War Dir klar, dass Du damit Deine Karriere als Musiker auf's Spiel gesetzt hast?
Nein, überhaupt nicht. Aber es wäre mir auch egal gewesen. Es ist natürlich gut, wenn man eine gewisse Führungsstärke besitzt, wenn man es schafft, standhaft zu sein und sich für oder gegen eine Sache stellt. Diese Eigenschaften nutzen mir ja auch heute noch was als Chef einer Musikschule. Allerdings schießt das auch manchmal übers Ziel hinaus. Aber in diesen Zeiten war das schon wichtig, denn es wurde ja nicht besser, sondern eher immer schlimmer. Politisch war diese Zeit so unerträglich gewesen, dass ich mir sagte, ich will das alles gar nicht. Wenn ich halt nicht mehr spielen darf, dann verzichte ich eben darauf, dann verhungere ich eben, was natürlich eher eine unausgereifte, kindliche Reaktion war. Die Auftrittsverbote und Hausarreste bekam ich dafür, dass ich mit Freunden sogenannte Öko-Jazz-Messen gemacht habe, wo wir ganz klare Worte gesprochen haben, die auch gegen das System gingen. Interessanterweise bekam ich in meinem beschaulichen Thüringen die Informationen über diese ganze Demokratiebewegung in der DDR aber aus dem Westfernsehen. Ich habe gestaunt, was da auf den Straßen los war!

Eisenach war also kein zweites Leipzig?
Nein, überhaupt nicht! Klar, es gab auch ein paar vereinzelte Leute, die Friedensgebete gemacht haben, das waren aber höchsten 150 bis 200 Leute. Es wirkte recht diffus. Keiner wusste so recht, wo das hingehen sollte, denn bei uns in der Provinz war das nicht geordnet und geführt.

014 20130629 1137000766Die Musik war beileibe nicht alles, was Du in den letzten Jahrzehnten angepackt hast, aber lass uns zunächst mal bei Deiner musikalischen Geschichte bleiben. Natürlich kommt jetzt auch für Dich die unvermeidliche Frage, mit welchen Gefühlen und Emotionen Du die Öffnung der innerdeutschen Grenzen 1989 erlebt hast?
Von der Maueröffnung bekam ich nichts mit, wirklich gar nichts, denn ich kam gerade völlig erschöpft von einer Russland-Tour zurück. Als wir nach der abenteuerlichen Rückfahrt mit der Bahn in Berlin ankamen, dachte ich zunächst: Was ist denn hier los? Die Leute saßen irgendwie in sich gekehrt auf den Bahnsteigen rum, kaum einer redete - das sah seltsam aus. Heute weiß ich, dass sie auf die Züge gewartet haben, mit denen sie in den Westen fahren können. Ich quetschte mich dann in den völlig überfüllten Zug nach Eisenach. Und in Gotha dachte ich: Hier stimmt doch was nicht, hier steigt ja gar keiner aus! Normalerweise kam nämlich in Gotha die Bahnpolizei durch den Zug. An dem Tag war alles anders und da ich tatsächlich völlig ahnungslos war, nahm ich an, dass es gleich tierischen Stress mit der Polizei geben würde. In Eisenach stieg ich aus und rannte mit meinem Gepäck los, denn ich wollte der Erste am Taxistand sein. Dann merkte ich aber, außer mir war niemand ausgestiegen, weshalb ich der Meinung war, dann brauche ich ja auch nicht so zu rennen. Es war früh um fünf und als ich am Taxistand ankam, dachte ich, mich trifft der Schlag: Da standen fünfzig Leute, aber kein einziges Taxi. Die waren alle im Westen! Auf mein erstauntes Gesicht hin erklärte mir dann jemand, dass die Grenzen offen wären, dann fragte er mich: "Wo kommst Du denn her, dass Du das nicht weißt?" - "Ich komme gerade aus Russland", war meine Antwort. Es war völlig irre. Zuhause fiel mir meine Frau weinend um den Hals und erzählte mir alles ganz genau. So erlebte ich die Grenzöffnung.

Viele Musiker aus dem Osten der Republik gingen nach der Wende sprichwörtlich unter, ihre Karriere war vorbei. Wie hast Du persönlich diese ersten Jahre im vereinten Deutschland verbracht?
Für mich war das künstlerisch eine ganz harte Zeit. Unter anderem trennte ich mich von meiner Frau und lebte alleine. Es gab keine Auftritte, ich durfte jeden Monat 210 Mark Alimente zahlen... Glücklicherweise hatte ich einen kleinen Job an einer kommunalen Musikschule und alle drei bis vier Monate ein Konzert, für das ich 130 bis 150 Mark Gage bekam. Also blieb mir nichts weiter übrig, als wieder an den Wochenenden in einer Diskothek zu arbeiten, wo ich für 50 Mark Gläser abgeräumt habe.

016 20130629 1219388242Aus der erneuten Zusammenarbeit mit BIG "JOE" STOLLE, den Du ja schon aus den gemeinsamen ZENIT-Tagen kanntest, entstand unter anderem 1990 die LP "Reflection in Blues". Hat dieses Album in den Wirren der damaligen Zeit überhaupt jemanden interessiert?
Also das war so, dass die Veranstalter die vor der Wende gebuchten Konzerte nun reihenweise absagten. Wir haben es trotzdem mal probiert - es kam wirklich kein Mensch ins Konzert. Aber ich denke, man muss in solchen Situationen beharrlich sein und versuchen, durchzuhalten. Heute weiß ich das. Und es ist bei uns auch deutlich einfacher, als in anderen Ländern. Ich erlebte das mal in den USA, als ich mit meinen Kindern dort war. In New Orleans hörten wir nachmittags um 16:00 Uhr aus einer Bar laute Musik. Es war Livemusik und die Band, die da spielte, spielte vor einem total leeren Saal. Aber die spielten, um die Leute von der Straße reinzulocken. Die spielten quasi um ihr Leben, um ihre Existenz, denn wenn die es nicht schaffen, jemanden in den Laden zu locken, verdienen die auch kein Geld. Da habe ich begriffen, wie wichtig es ist, immer alles zu geben, auch wenn es manchmal aussichtslos erscheint und Du nicht weißt, ob Du morgen noch einen Job hast. Musiker ist dort ein Beruf, wie bei uns Elektriker oder Handwerker. Die meisten müssen dort drei bis vier Auftritte pro Tag machen, um zu überleben. Und so ähnlich fühlte ich mich hier nach der Wende. Ich nahm eine Zeitlang jeden Job an, den ich kriegen konnte. Und das Geld für die Platte, die Du ansprichst, hat uns jemand vorgeschossen. Das war nicht mehr wie früher, als AMIGA alles bezahlte.

Warst Du bis dahin vor allem als Bluesmusiker und Boogie Woogie-Pianist bekannt, scheinst Du Dich nach und nach zum Jazzliebhaber entwickelt zu haben, auch wenn die Grenzen vom Blues zum Jazz ja sehr fließend sind. Kann man das so sehen oder ist das zu sehr typisch deutsches Schubladendenken?
Das ist für mich schwierig zu beantworten, weil die Pianisten, die ich zu meinen Vorbildern zähle, genau die sind, die Jazzmusik spielen, wo man aber einen ganz schweren Bluesanteil raushört. Die gehen dann als Soul-Jazz-Pianisten durch. Dazu gehören beispielsweise LES McCANN, RAMSEY LEWIS, GENE HARRIS, BOBBY TIMMONS usw. Die spielen oder spielten alle in Jazzformationen, klangen aber dennoch eher bluesig. JOE ZAWINUL, der ja später mit WEATHER REPORT Erfolge hatte, ist auch einer dieser Vertreter. Und das ist genau das, was ich auch machen möchte. Die Leute, die in meine Konzerte kommen, weil sie mich aus meiner Zeit bei STEFAN DIESTELMANN kennen, der ja meinem Boogie Woogie viel Raum einräumte, bekommen natürlich, was sie erwarten. Das macht mir auch großen Spaß, aber das allein macht mich nicht aus. Ich spiele heute meine Interpretationen der Songs anderer Boogie Woogie- und Swing-Pianisten, aber ich spiele genauso meine eigenen Kompositionen. Die Besucher meiner Konzerte erzählen mir oft, dass sie bei mir die Abwechslung gut finden. Das ermöglicht vielen, die sonst mit Blues und Jazz wenig am Hut haben, den Zugang zu dieser Musik.

017 20130629 20513109921998 hast Du die "ALEXANDER BLUME & JAZZFAMILY" gegründet, deren Besetzung eine ganz besondere war...
Genau, da spielten nämlich meine vier Söhne an Bass, Klarinette, Trompete und Schlagzeug mit. Ein guter Freund meines Vaters vervollständigte mit seiner Posaune diese traditionelle Besetzung. Der Vater mit den Söhnen in einer Band, das war für die Menschen eine kleine Attraktion. Das gab vielen ein Stück heile Welt und Zuversicht zurück. So was wollen die Leute sehen: Drei Generationen gemeinsam auf einer Bühne und nicht etwa Kinder, die Graffiti an die Wände sprühen. Ich muss sagen, wir haben wirklich hart geübt und brachten es am Ende zu einer richtig guten Amateur-Jazzband. Mehr war auch gar nicht möglich, denn als die Großen mit Beruf, Studium und Zivildienst anfingen, war das Thema Familienband sowieso erledigt.

Du hast Deinen Sohn Maximilan heute mitgebracht, deshalb geht die nächste Frage direkt an ihn. Maximilian, kannst Du Dich an die Anfänge Eurer gemeinsamen musikalischen Tätigkeit erinnern?
Maximilian: Ich weiß zwar nicht mehr genau, wo unser erstes Konzert war, aber an das Konzert selber kann ich mich noch gut erinnern. Mein Bruder Cornelius war ebenfalls dabei. Ich saß an meiner kleinen Trommel und war so klein, dass meine Füße nicht mal am Boden ankamen. Das war super (lacht). Ansonsten erinnere ich mich noch sehr gut an all die Wochenenden, an denen wir zusammen geprobt haben.

Also während andere Kinder an den Wochenenden Spaß hatten, hast Du mit Deinem Vater zusammen geprobt oder Konzerte gegeben? Hast Du nichts vermisst?
Maximilian: Wir haben ja nicht jedes Wochenende geprobt, aber auf jeden Fall dann, wenn etwas Größeres bevorstand. Beispielsweise das Dixielandfestival in Dresden, wo wir 2000 zum ersten Mal dabei waren und 2004 dann noch mal. Diese Proben für solche Veranstaltungen waren auch mal sehr hitzig (lacht wieder), das kann ich ja heute mal so sagen. Diese Auftritte beim Dixielandfestival habe ich sehr genossen, das waren echte Highlights für uns. Ich konnte das als so junger Mensch überhaupt nicht fassen, dass all diese vielen Menschen nur wegen uns da waren und unsere Musik hören wollten. Das war schon Klasse.

018 20130629 1962162787Seit wann ist Dir klar, dass Du einen prominenten Vater hast?
Maximilian: Das war mir lange Zeit nicht bewusst, erst in den letzten Jahren verstand ich das. Früher war es für uns so, dass Papa Musik gemacht hat und wir mitspielen durften. Und das war toll. Natürlich war uns klar, dass unser Vater sehr musikalisch war. Und wir wussten, dass unser Opa und unser Onkel genau so waren. Aber was da früher war, war uns eigentlich gar nicht so wichtig.

Mittlerweile spielst Du alleine mit Deinem Vater. In diesem Jahr wirst Du 21 Jahre jung. Denkst Du schon hin und wieder mal über eine eigene Karriere nach?
Maximilian: Ich habe mich definitiv entschieden, meine Zukunft musikalisch zu gestalten. Eigentlich wollte ich Schlagzeug studieren, was aber leider nicht funktionierte. Inzwischen studiere ich Wirtschaft, was mir auch zugute kommt, denn inzwischen ist es ja leider so, dass Du Dich als Musiker gut vermarkten musst und erst an zweiter Stelle kommt die Qualität Deiner Musik. Im Moment macht es mir auch noch sehr viel Spaß, mit meinem Vater zusammen Musik zu machen. Aber der Tag wird sicherlich kommen, an dem ich mein eigenes Ding starte. Ich habe auch vor, in der Blues- und Jazzrichtung zu bleiben, weil ich damit groß geworden bin. Mittlerweile ist es so, dass mich auch schon andere Bands bitten, mal bei Ihnen auszuhelfen. Das sind für mich natürlich immens wichtige Erfahrungen.

Dann wünsche ich Dir viel Glück für Deine weitere Karriere. Alexander, Du hast danach viele weitere Projekte und Bands gehabt. Eines Deiner Projekte nennt sich ICELAND BLUES, in welchem Du in aller Ausführlichkeit die Reize und Schönheiten Islands vertont hast. Was hat Dich dazu inspiriert, wie kommt man auf so etwas?
Ich habe irgendwann mal auf arte eine Wahnsinns-Doku über Island gesehen. Das war derart emotional, dass ich wusste, dort will ich unbedingt mal hin. Meine Frau und ich waren dann tatsächlich mal dort und haben uns alles angesehen. Später war ich noch ein paar Mal alleine da und habe jedes Mal Ideen für dazu passende Musikstücke gehabt. Ich begann dann zu komponieren, was sich letztlich über fast vier Jahre erstreckte. Irgendwann waren die Songs fertig und wir sind ins Studio, um alles aufzunehmen. Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber live kann ich das nur mit den Musikern spielen, mit denen ich auch diese CD aufgenommen habe. Wir treffen uns immer noch einmal pro Jahr und dann besteht unser Programm hauptsächlich aus diesen eigenen Kompositionen.

019 20130629 1969522976In Deiner Biographie tauchen immer wieder zwei Urgesteine der Thüringer Bluesszene auf, mit denen Du auch zwei Alben aufgenommen hast, nämlich (Jürgen) POSTEL & (Helmut) PÖTSCH. Was verbindet Dich mit den beiden?
(lacht herzlich) Das ist eine Wahnsinns-Formation! Um das zu verstehen, muss man mit denen zusammenspielen. JÜRGEN POSTEL ist einer, der sich richtig in die Musik vertieft. Aber es ist auch etwas ganz eigenes und eigenwilliges, was die beiden machen. Es kann schon mal sein, dass der eine Waschbrett und der andere Posaune dazu spielt. Das ist total urig. Für mich ist es immer ganz schwierig, da mitzuspielen. Eigentlich sind es ja auch Bluesmusiker, doch sie machen eine ganz eigenständige Sache daraus. Sie nehmen sich auch gerne mal Coversongs, spielen die aber nicht original nach, sondern verändern schon mal die Taktlängen. Du kannst versuchen mitzuspielen, aber es ist fast unmöglich, sich wirklich einzubringen. Trotzdem mache ich immer noch sehr gerne mit ihnen zusammen Musik.

2012 gab es dann sogar die erste gemeinsame CD ("In & Out") von Vater und Sohn Blume. Hat diese Scheibe für Dich einen besonderen Stellenwert?
Ja, durchaus. Es ist ja so, dass die Leute auf den CDs immer das hören wollen, was vorher im Konzert gespielt wurde. Das ist aber kaum möglich, wenn Du immer andere Musiker bei den CD-Produktionen dabei hast. Auf der CD ist es nun so, dass sich der erste Teil auf das Duo MAXIMILIAN und ALEXANDER beschränkt. Wer also nach dem Konzert die CD kauft, hat zuhause dann genau das, was er live gehört hat. Wenn ich ehrlich bin, will ich genau dasselbe, wenn ich mir ein Konzert eines anderen Künstlers anhöre und mir hinterher seine CD kaufe. Insofern ist diese CD schon besonders, denn vorher war es so, dass ich oftmals die Frage, ob denn dieses und jenes Stück vom Konzert auf der CD ist, mit "Nein" beantworten musste.

Auf der CD spielt unter anderem auch der damals erst 11-jährige Martin Biesecke am Piano mit. Wächst da ein neuer ALEXANDER BLUME heran?
(lacht) Nein, das glaube ich nicht, denn das ist ja auch immer eine Frage der Biografie. Martin spielt sehr gut Klavier und er hat bei mir das Improvisieren gelernt. Er lernt und versteht auch sehr schnell, aber das ist ja noch lange nicht alles, was man braucht und was dazu gehört. Es gehört auch jede Menge Fleiß dazu. Ob er allerdings wirklich fleißig ist oder ob sein Können seiner schnellen Auffassungsgabe zuzuordnen ist, weiß ich nicht. Es gehört ebenso dazu, dass man sagt: "Ich will unbedingt dieses und jenes Ziel erreichen." Und das wusste ich schon mit elf Jahren, dass Musik in meinem Leben eine herausragende Rolle einnehmen wird. Ob das bei Martin auch so ist, wird sich zeigen.

020 20130629 1356128929Womit wir bei einem Thema sind, welches Du seit Jahren konsequent verfolgst: Die Ausbildung und Förderung des musikalischen Nachwuchses. So hast Du zu diesem Zweck 1992 eine eigene Musikschule in Eisenach gegründet, die noch heute besteht und immer größer wird. Welche Philosophie verfolgt Ihr dort und welche Angebote macht Ihr den Kindern?
Also mit dem größer werden ist das so eine Sache. Die eine Seite ist das mengenmäßige Wachstum. Viel wichtiger ist aber das Wachstum des Unternehmens nach innen. Wie verstehen wir uns untereinander, wo wollen wir hin? In dieser Hinsicht kann ich das Wachstum nur unterstreichen. Vielleicht kann ich das runter brechen auf die folgenden einfachen Gedanken:
Musik machen war über viele Jahrhunderte nur einer geringen Bevölkerungsanzahl vorbehalten, nämlich denen, die das bezahlen konnten. Die sorgten immer dafür, dass das etwas Elitäres blieb. Die implizierten mit dem Thema so viele Dinge, die damit eigentlich gar nichts zu tun haben. Ich bin der Meinung, dass so etwas wie Musik machen JEDEM Menschen zusteht. Also jeder Mensch soll das Recht haben, frei zu reden, aber auch sich musikalisch/künstlerisch zu äußern. Sprechen lernst Du von allein, aber um Klavier spielen zu lernen, brauchst Du jemanden, der Dir das zeigt. Deshalb ist mein Ansatz in der Musikschule, dass jeder einzelne talentiert ist. Bei mir gibt es keine Selektion. Jeder kann zu uns kommen und jeder Lehrer hat den Auftrag, dem Schüler bei der Verwirklichung seiner Ziele zu helfen. Wenn einer kommt und ausschließlich "Für Elise" spielen will, hat der Lehrer ihm das beizubringen. Will einer nur drei Akkorde auf seiner Gitarre lernen, machen wir genau das. Es ist nämlich nicht die Aufgabe des Lehrers, darüber zu befinden, ob jemand Talent hat oder nicht. Bei uns können die Schüler kommen und meinetwegen hundert Jahre lang üben. Und wenn sie dann nach hundert Jahren ihre gewünschten drei Töne spielen können, haben wir unseren Auftrag erfüllt.

Eigentlich kann ich mir deine Antwort auf die folgende Frage ja denken, aber ich stelle die Frage trotzdem. Was hältst Du von Formaten wie Bohlens "DSDS", wo junge Menschen für einige Wochen in eine Scheinwelt gestopft werden, und ihnen vorgegaukelt wird, sie wären Stars?
Dazu muss ich gleich am Anfang sagen, dass ich noch nie eine Sendung komplett gesehen habe. Natürlich haben die Fernsehsender damit einen riesengroßen kommerziellen Erfolg. Und denen, die von diesem kommerziellen Erfolg leben, muss man Recht geben, denn sie treffen damit irgendwo den richtigen Nerv. Ich selbst stehe aber sehr kritisch dazu. Es ist ja nicht nur eine Scheinwelt, in dem man ihnen sagt: "Kommt und lasst Euch casten, Ihr habt eine riesige Chance, berühmt zu werden." Viele von diesen jungen Menschen verbinden damit dann auch sehr viel, denn wer möchte nicht gerne berühmt werden? Wenn sie dann rausfliegen oder wenn sich bestimmte Leute über sie lustig machen, sind diese Jugendlichen bitter enttäuscht.022 20130629 1873676169 Was ich dort vermisse, ist das Ernsthafte, der faire Umgang miteinander. Da kommen die jungen Leute dorthin und träumen von der großen Chance. Da sitzen dann drei Typen, wo ich nicht genau weiß, ob man die ernst nehmen muss... Anstatt den Kandidaten in Ruhe zu sagen, wo es bei ihnen hakelt, sondern die Kommentare ab, die sind unterirdisch, die sind kränkend und beleidigend. Das ist wirklich nicht gut.

Aber nicht nur in Deutschland sorgst Du für die frühmusikalische Entwicklung der Kinder, sondern immer wieder fällt im Zusammenhang mit Deiner Person auch der Name Jordanien, wo Du seit einigen Jahren eine ganz besondere Sache am Laufen hast und wo Du gerade erst im März dieses Jahres wieder warst. Was machst Du dort genau?
Es gibt in Jordanien einen Pfarrer, der hat eine Schule für blinde, sehbehinderte und sehende Kinder gegründet. Dort gehen muslimische und christliche Kinder gemeinsam zur Schule. Es ist ein perfektes integratives Modell. Er fing an mit Kindergarten und Grundschule, mittlerweile ist er bis zur 8. Klasse gekommen und das nächste Ziel ist die Berufsschule für solche Kinder. Es ist wirklich so, dass in manchen Ländern, zu denen auch Jordanien gehört, eine Behinderung als Strafe Gottes angesehen wird. Die Menschen werden versteckt, verbringen ihr ganzes Leben in einem Zimmer, in einer Ecke, vollkommen isoliert. Und dieser Mann sorgte dafür, dass diese Kinder aus ihrer Ecke rauskommen, dass sie eine Schulbildung erhalten. Und sie sollen natürlich auch nach der Schule am Leben teilnehmen können. Diese Schule wird nur zu einem geringen Prozentsatz von Mitteln der anglikanischen Kirche unterstützt. Weitere vierzig Prozent werden über Schulgebühren finanziert. Der Rest kommt über Spenden, denn vom Staat kommt gar nichts. Also weiß man, wenn keine Spenden reinkommen, gibt es die Schule nächstes Jahr nicht mehr. Deshalb kommt Samir, so heißt der Mann, nach Deutschland und sammelt Geld. Auf dem Weg lernten wir uns kennen. Er lud uns nach Jordanien ein, wo wir auch Konzerte machten. So kamen auf unserer letzten Tournee durch Jordanien etwa 2.500 Euro zusammen. Das ist genau die Summe, für die eine Lehrerin ein Jahr lang beschäftigt werden kann. Maximilian und ich sorgen seit mittlerweile sechs Jahren dafür, dass mit unseren eingespielten Spenden jedes Jahr eine Lehrerin dieser Schule bezahlt werden kann.

Wie garantierst Du den Spendern, dass ihre Gelder auch wirklich das vorgesehene Ziel erreichen?
Wir übergeben das Geld selber, wenn wir wieder in Jordanien sind.

Damit aber nicht genug. Nebenbei moderierst Du im Wartburg-Radio Eisenach auch noch eine eigene Jazzsendung. Wie schaffst Du das alles? Wann schläfst Du eigentlich?
Ach, eigentlich führe ich ein ziemlich spießiges Leben. Ich gehe vor Mitternacht ins Bett, stehe morgens um sechs wieder auf, trinke hin und wieder mal ein Glas Bier oder Rotwein. Wichtig ist natürlich vor allem die Familie. Wenn meine Frau anders wäre, als sie ist, würde das mit meinen ganzen Reisen und Konzerten nicht funktionieren. Ebenso muss ich meine Mitarbeiter in der Musikschule erwähnen, die sehr selbstständig und konstruktiv arbeiten und mir damit viel eigenen Spielraum schaffen.

021 20130629 2025046820Wenn man auf Deiner Webseite Infos zu Deiner Person sucht, muss sich zwischen dem Musiker, Dozenten und Autoren Alexander Blume entscheiden. Wie setzt Du die Gewichtung zwischen diesen drei Betätigungsfeldern?
Der Musiker steht natürlich an erster Stelle, ebenso wie der Musikpädagoge. Für das Musikmachen lasse ich alles andere stehen und liegen.

Deine Dozententätigkeit führt Dich immer wieder an diverse Hochschulen und Universitäten in ganz Europa und den USA. Welche Schwerpunkte haben Deine Vorlesungen?
Im Kern kann man es so zusammenfassen: Unterricht halten, methodisch-didaktische Fragen, musikpädagogische Dinge vermitteln und das Ziel haben, dass Lehrer wie Schüler aus jeder Unterrichtsstunde zufrieden rausgehen. Wobei man wissen muss, dass ich vor Lehrern doziere.

Kennt man an den Unis denn auch den Musiker Alexander Blume?
Ja, sie kennen mich auch als Musiker. Da bleibt es nicht aus, dass sie auch mal musikalische Beiträge von mir hören möchten.

Du bist nebenbei auch noch Landessprecher (Thüringen) des Deutschen Rock & Pop Musikerverbandes e.V. Ihr unterstützt u.a. einen Aufruf des Deutschen Komponistenverbandes, der für mehr Musik aus Deutschland im Rundfunk plädiert. Das ist sicher ein löbliches Vorhaben. Ist aber ein Gedanke an eine Art Quote für deutschsprachige Musik nicht etwas blauäugig? Das erinnert mich doch sehr an vergangene Zeiten und die damalige 60:40-Regelung.
Nein, das stimmt so nicht, was Du sagst. Das war ja damals politisch motiviert. Und außerdem hätte ja bei den 60 Prozent seinerzeit auch durchaus ein ungarischer, polnischer oder russischer Titel dabei sein können. Nun muss man ja unterscheiden, was ich persönlich meine oder was ich als Sprecher des Landes Thüringen zu vertreten habe. Aber ich kann ganz problemlos diese Forderungen unterstützen, denn fahrt mal nach Tschechien oder nach Frankreich, da ist das gar kein Thema. Ich bin im übrigen nicht der Meinung, dass Rundfunk oder Fernsehen reglementiert werden müssen. Aber man muss diese Medien immer wieder daran erinnern, was für Chancen sie vergeben, wenn sie deutsche Musik aus ihren Programmen verbannen. Das ist auch so ein schlimmer Punkt bei DIETER BOHLEN. Anstatt eigene Nummern nehmen zu müssen, werden gecoverte Songs nachgesungen. Und am Ende singen die eine englischsprachige BOHLEN-Nummer.023 20130629 1697465179 Das ist doch alles nicht gut und trägt nicht zu einer eigenen Identität bei. Übrigens war der größte musikalische Exportschlager der DDR der Thüringer Akkordeonspieler HERBERT ROTH. In Amerika ist dieser Mann ein absoluter Renner, auch heute noch. Dafür kassierte die DDR Millionen von Dollar. Was will ich damit sagen? Die Aufgabe der öffentlichen Rundfunkanstalten kann nicht nur sein, zu kassieren, sondern auch zu fördern und zwar deutschsprachige Musik und Musik aus Deutschland allgemein.

Wenn Du zurückschaust auf Deine lange Karriere: Welche Momente waren für Dich die schönsten?
Das war während meiner Zeit in Istanbul, wo ich Konzerte gab. Da kam jemand auf mich zu, der sagte: "Du bist ein Mann des Friedens, ein Mann Gottes". Oder in Jordanien kam nach dem Konzert jemand zu Maximilian und sagte: "Mit Deinem Gesang rettest Du Menschen". Das sind unvergessliche Momente.

Wenn Du gleich noch einmal zurückschaust: Gibt es irgendetwas, was Du heute anders machen würdest oder was Du sogar bereust?
Da gibt es nur eins. Wenn ich noch mal die Chance bekäme, dann würde ich doppelt bis dreimal so viel üben. Und ich würde mich heute zu manchen Menschen anders verhalten. Aber das musste ich ja auch erst lernen, das war ein Prozess.

Was hat Alexander Blume in der nächsten Zeit noch vor?
(überlegt ein bisschen) Auch hier sage ich wieder: Ich will mehr üben, ich will mehr Zeit für das Klavierspielen haben. Grundsätzlich bin ich aber zufrieden mit dem, was ich habe und wie es ist, so dass es in meinem Gesamterscheinungsbild eigentlich keine Veränderungen geben muss. Ich habe so viel Anerkennung bekommen, ich wurde so oft veröffentlicht, ich spiele Konzerte, meine Musikschule wird gut angenommen - all das muss ich nicht noch steigern. Ich muss auch nicht mehr Geld verdienen, denn ich habe festgestellt, dass es zwar schön ist, Geld auszugeben. Aber eigentlich nur dann, wenn man es für andere Menschen ausgibt. Für mich ist es viel wichtiger, den Menschen in Jordanien 2.500 Euro in die Hand zu drücken, als dass ich mir hier selber was von dem Geld kaufe. Oftmals stehe ich am Abend da und überlege mir, du hast jetzt fünf Computer und vier Telefone - was für ein Schwachsinn! Das hat Dir doch bestimmt nur jemand eingeredet, dass Du all das brauchst.024 20130629 1033618269 Wenn ich zum Beispiel mal eine CD verschenke, die ich lange nicht gehört habe und von der ich mich früher niemals getrennt hätte, dann fühlt sich das in dem Moment an, als würde eine Last von mir fallen. So ist das immer öfter bei mir, dass mich jedes Stück, was ich weg gebe oder mich jedes Teil, das ich mir nicht kaufe, ein Stück freier macht. Ich brauche also wirklich nicht mehr Geld und auch nicht noch mehr Anerkennung.

Wie ordnest Du dann Deine Nominierung für den diesjährigen "German Blues Award" in der Rubrik "Bester Pianist" ein? Das ist doch praktisch eine Anerkennung Deines musikalischen Schaffens.
Das war schon komisch. Der erste Anruf ging an mich, aber da wir gerade zu tun hatten, bin ich nicht ran gegangen. Max nahm das Gespräch dann an und meinte, da ist was ganz tolles passiert. Ja, natürlich freue ich mich darüber. Aber ich könnte mein Leben auch ohne den Award beschließen.

Aber der "German Blues Award" ist ja nun nicht irgendein Preis. Bedeutet Dir die Nominierung dafür wirklich nichts?
Das will ich so pauschal nicht sagen, denn letztlich ist dieser Preis ja ein Fanpreis. Und das ist mir dann schon wichtig, denn es zeigt mir, dass ich wahrgenommen werde. Aber es bedeutet mir nicht mehr als andere Dinge im Leben oder als hier bei Dir zu sitzen und darüber zu reden. Wobei ich unser Interview hier nicht so sehe, dass ich mich als Person im rechten Licht darstellen möchte, sondern es geht mir darum, dass andere Menschen bestimmte Dinge oder eine bestimmte Zeit besser verstehen.

Apropos "German Blues Award": 2012 war dort ein Musiker nominiert, mit dem Du vor dreißig Jahren bei STEFAN DIESTELMANN zusammen gespielt hast, nämlich BERND KLEINOW. Habt Ihr noch Kontakt?
Nein, eigentlich zu keinem aus der damaligen Zeit. Aber hin und wieder treffe ich natürlich mal den einen oder anderen. Meistens eher zufällig. Und weil Du gerade danach fragst: Auf dem Festival in Altzella im Mai lernte ich ein paar Leute kennen, die mir erzählten, dass bei ihnen in Halle jedes Jahr BERND KLEINOW spielt. Und diese Leute wünschen sich sehnlichst, dass wir mal wieder zusammen spielen würden. Ob und wie das funktionieren könnte, weiß ich natürlich nicht...

Da schließe ich mich unbedingt an, denn das wäre wirklich Wahnsinn!
Ja, da magst Du Recht haben. Und ich denke, wenn wir das wirklich wollten, würden wir es auch hinbekommen.

025 20130629 1782693894Alexander, gestatte mir abschließend eine letzte Frage, die sich abseits der Musik bewegt. Wenn Du einmal für eine gewisse Zeit das Leben eines anderen Menschen leben dürftest, wen würdest Du Dir aussuchen?
Ich bin ja ein sehr gläubiger Mensch. Deshalb würde ich gerne, ohne dass es vermessen oder anmaßend klingen soll, jemand wie FRANZ VON ASSISI sein oder gerne auch JESUS CHRISTUS. Aber der nahm ja kein gutes Ende. Deshalb wäre FRANZ VON ASSISI schon meine eigentliche Wahl. Oder jemand wie DIETRICH BONHÖFER, der im KZ für seine Meinung hingerichtet wurde. Das ist eine schwierige Frage, die Du mir da stellst. Aber ja, ich glaube, so wie diese Menschen wäre ich schon gerne mal. Wenn ich also endgültig entscheiden müsste, dann für FRANZ VON ASSISI. Der hat alles aufgegeben und hat dadurch alles gewonnen.

Da muss ich nun doch noch kurz einhaken. Du sagst, Du bist ein sehr gläubiger Mensch. 1986 bist Du aber in der DDR aus der Kirche ausgetreten. Welche Gründe hatte das? Hatte es mit Deiner Musik zu tun?
Überhaupt nicht. Ich bin damals ausgetreten, weil mir die Kirche in dem Moment nicht radikal genug war. Heute sehe ich das anders, weshalb ich ja auch wieder eingetreten bin. Wie konnte ich von anderen Menschen verlangen, dass sie sich in Situationen begeben, die ihre Existenz bedrohen? Ich erwartete seinerzeit von der Kirche in der DDR, dass sie deutlichere Worte gegen das System sagt. Ich war einfach enttäuscht, dass die Kirche sich so wenig getraut hat. Heute weiß ich, dass ich sehr ungerecht war. Ich verlangte Dinge, die nicht machbar waren. Das waren ja auch alles Menschen mit Ängsten und Bedenken, die versucht hatten, ausgewogen zu agieren, damit sie nicht sich selber und andere in Gefahr bringen. Das habe ich damals eben falsch gesehen. Aber ich habe kein Problem damit, das zuzugeben.

Das war's auch schon. Recht herzlichen Dank für Deine Zeit und alles Gute für Dich!


Interview: Torsten Meyer
Bearbeitung: mb, cr
Fotos: Privatarchiv Alexander Blume, Redaktion Deutsche Mugge





 


   
   
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