Zum Tod von
 
Regy Clasen
 
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Ein Beitrag von Christian Reder mit Unterstützung von Dirk Zöllner. Foto: Regy Clasen privat



Am Mikrofon steht eine Frau im roten Kleid. Die Band spielt bereits die ersten Töne des Songs, der gleich von ihr gesanglich mit Leben gefüllt wird. Es ist Regy Clasen aus Hamburg, die da auf ihren Einsatz wartet und wer sie bis dahin noch nicht kannte, wird in wenigen Sekunden von ihr gefangen sein. Die, die sie schon kennen, können es hingegen kaum noch erwarten … Dann beginnt sie zu singen und die Zeit steht still.003 20200330 1276116360 Eine Stimme wie man sie wohl nur bei einem Engel vermuten würde und der sie wahlweise ordentlich Schub geben und die sie an anderer Stelle richtig zerbrechlich klingen lassen kann, flutet den Raum. Kaum hat sie angefangen, fährt sie Dir damit tief unter das dicke Fell, das Du Dir eigentlich schon angeeignet hattest und das Dich längst nicht mehr so schnell für irgendwas begeistern lassen wollte. Das kannst Du in diesem Augenblick aber vergessen! Deine Schutzschicht hält keine Sekunde lang dem stand, was Dir diese kleine Frau da zum Geschenk macht. Am Samstag hat diese wunderbare Künstlerin ihren letzten Atemzug getan. Diesmal ist es nicht die Stimme dieser Künstlerin, die die Zeit still stehen lässt, sondern die Nachricht von ihrem viel zu frühen Tod.

"So nah" (2000) und "Wie tief ist das Wasser" (2004) heißen die beiden Werke, auf denen sie ihre eigenen Kompositionen und Texte veröffentlichte. Doch auch wenn man keins ihrer beiden Solo-Alben sein eigen nennen kann, ist man ihr doch garantiert schon irgendwo begegnet. Mit ihrem Gesang ist sie auf Produktionen anderer Kollegen wie z.B. Purple Schulz, Stefan Gwildis, Michy Reincke oder auch Dirk Zöllner zu hören, ebenso wie in so manch einem Radio-Jingle bei NDR2 oder RSH und in Werbespots für Bier, Joghurt oder Gebäckkugeln, in denen ihre herrliche Stimme die Menschen zum Kosten dieser Produkte anlockte. Egal wo, es waren bleibende Eindrücke, die sie hinterließ. Auch 2008 beim von uns medial begleiteten Konzert für Afghanistan im Leipziger "Anker", als sie auf der Bühne ihren Teil für die gute Sache beitrug, oder 2011 bei Dirk Zöllners "Café Größenwahn" mit den Zeilen, "... und wenn das alles ist, was von uns übrig bleibt - dafür würde ich sterben, lang vor meiner Zeit", sich selbst am Klavier begleitend (siehe Video unten), für Leuchten in den Augen des Publikums sorgte.

Ist es die Natur, die ihr diese ganz besondere Gabe mit auf den Weg gegeben hat, oder waren es die äußeren Umstände, die man einfängt wenn man in eine musikalische Familie geboren wird und "von klein auf umgeben von handgemachter Musik, wilder Kreativität und mehrstimmigem Gesang" ist? Was lässt so ein Talent entstehen? Gibt es dafür eine Erklärung? Nein, die gibt es wohl nicht. Ebenso wenig wie für die Tatsache, dass eine so hoch begabte Künstlerin, die außer mit ihrer Stimme auch noch in Sachen Textdichtkunst und Komposition eine Ausnahmeerscheinung war, nicht auf großen Bühnen und in vollen Hallen, sondern nur in eben erwähnten Werbespots und auf regionalen und eher kleineren Bühnen anzutreffen war. In England, Italien, Frankreich oder Russland wäre sie mit all dem, was sie anzubieten hatte und mitbrachte, ein großer Star gewesen. Ein Weltstar wie STING hatte dies erkannt, eine ganze Unterhaltungsindustrie aber nicht! Unser Land leistet sich tatsächlich den Luxus, einen so wertvollen Edelstein lieber im Tresor zu belassen, über die Medien kaum etwas über ihn zu verbreiten und bei jeder "großen Veranstaltung" eher die Darsteller denn die Künstler zu präsentieren. Aber das ist ein anderes Thema und gehört hier eigentlich nicht her ...

In den letzten Jahren war es um Regy Clasen als Sängerin eher ruhig. Eigene Auftritte wurden seltener. Trotzdem war sie nicht untätig, schrieb auch weiter neue Songs. Vor zwei Jahren erkrankte die Künstlerin schwer. Monate lang kämpfte sie tapfer gegen einen ungleich stärkeren Gegner, der ihr zuletzt alle Energie geraubt und ihr die Kraft genommen hatte. Seit Dezember lebte sie im Hamburger Hospiz Helenenstift und wurde dort betreut. Samstagabend verstarb sie im Beisein ihrer Schwester und einer lieben Freundin. Ihre Agentur teilte mit, dass sie bis zuletzt bei vollem Verstand war, sich noch verabschieden konnte und diese Welt - nach eigenen Worten - dankbar und mit sich im Reinen verlassen hat.

Dort am Mikrofon stand mal eine Frau im roten Kleid. Als sie zu Singen begann, stand die Zeit still. Das tut sie jetzt gerade auch. Wenn sie wieder zu laufen beginnt, wird sie es ohne Regy Clasen tun, denn nach nur 48 gelebten Jahren ist ihre Reise an diesem Punkt zu Ende. Lassen wir die Zeit doch noch ein wenig länger still stehen, um uns diese große Künstlerin noch einmal am Mikrofon vorzustellen, ihre Stimme zu hören und so zu tun, als sei nichts geschehen. Erst dann lasst uns leise tschüss sagen ...

Anmerkung: Regys Agentur teilte mit, dass aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Krise auf eine große öffentliche Trauerfeier derzeit verzichtet werden muss. Freunde und Familie ergänzten über Regys Facebook-Konto noch Folgendes: "Wenn der Planet sich nochmal dreht und wir wieder beisammen sein und uns in die Arme nehmen dürfen, werden wir Regy gemeinsam gedenken. Fest versprochen!"






Videoclips:







Komplettes Interview von 09/2018 aus der Reihe "Feingefühlt":




   
   
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