Manfred Maurenbrecher:
"Inneres Ausland" (Album)


maurenbrecher20 20200313 1785127198VÖ: 13.03.2020; Label: Reptiphon/Broken Silence; Katalognummer: 4250137238449; Musiker: Manfred Maurenbrecher (Gesang, Flügel), Andreas Albrecht (Schlagzeug, Keyboard, Programming, Gesang), Marco Ponce Kärgel (Gitarre, Dobro), Tobias Fleischer (Bass), Jazzchor Jazzomat (Chor), Réka (Gesang, Chorleitung), Robert Rescue (Sprecher), Joe Kucera (Saxophon); Bemerkung: CD im aufklappbaren Digipak, inkl. Booklet mit Abdruck der Songtexte;

Titel:
Das Dunkel von mir • Der Chor • Erdrutsch • Schüttmulde • Wie viele Herzen noch • Jubilare • Jetzt auf einmal geht's • Solche Leute brauchen Heimat • Puppen • Auf der Fähre nach Tassos • Die drei Zigeuner • Gavotte • Wölfe in Brandenburg • Aufstehen • Der Rest ist Mut • Herbstschnulze


Rezension:
Ein neues Album von Manfred Maurenbrecher kann man nicht so einfach mit nur wenigen Worten vorstellen. Es würde dabei viel zu viel von dem vergessen, was unbedingt erwähnt werden muss. Man kann es auch nicht einfach so rezensieren, drei oder vier Nummern als Beispiel nennen und am Ende ein Fazit ziehen. Schließlich ist jedes seiner Lieder eine Geschichte mit einem Anliegen. Wer kann da schon entscheiden, was als Beispiel herangezogen werden kann und was nicht? Man kann ein neues Manfred Maurenbrecher-Album auch nicht mal eben "anspielen" oder im Shuffle-Modus hören. Das alles ist quasi ein "No Go". Das Erscheinen eines neuen Manfred Maurenbrecher-Albums kündigt man eigentlich nur in der Form an, in dem man der Welt mitteilt, dass da wieder etwas Großes auf sie zukommt und überlässt es den Hörern, die neusten zu Musik gewordenen Beobachtungen des Berliner Liedermachers zu erkunden. Dass sich das lohnt und seine Platten den nach guten Geschichten stets hungrigen Hörer gut ernähren, zeigen alle bisher erschienenen Werke, auf denen sich Maurenbrecher nicht nur als brauchbarer Musiker, sondern insbesondere auch als Visionär bzw. Wahrsager unserer Zeit gezeigt hat. Er wusste schon vor Jahren, dass unsere "Welt am durchdrehen" ist, was sie ja gerade im Moment besonders heftig tut, und was für uns alles ein "rotes Tuch" werden sollte. Nichts bei ihm ist "flüchtig", selbst wenn es als Überschrift drauf steht. Dieses Mal unternimmt Maurenbrecher einen Tripp ins "Innere Ausland" und gibt uns dabei den Reiseführer. Wer könnte dies besser machen, als Maurenbrecher selbst? Immerhin ist es sein "Inneres Ausland", das wir hier ohne Reisepass und sperrigem Gepäck besuchen dürfen. Das Ticket für dieses Abenteuer ist ab dem 13.3.2020 in jedem gut sortierten Plattenladen erhältlich.

Der Käufer mit dem gezielten Griff in die Region des Regals, in der die CDs von Manfred Maurenbrecher zu finden sind, weiß eins schon, noch bevor er das begehrte Stück im CD-Player hat: Tanzmusik oder Texte zum Mitgröhlen wird er auf dem Silberling nicht vorfinden. Das ist Fakt und so sicher, wie das Vorkommen des Wortes "Amen" an dem Ort, an dem es am häufigsten ausgesprochen wird. So zeigt gerade ein Stück wie "Der Chor", dass es um alles andere als um fröhliches Mitschunkeln und Party-Stimmung geht. Hier geht es um die Botschaft, die an den Mann und die Frau gebracht werden soll, da ist die Musik ein schmückendes Beiwerk zu der der gesungene Text manchmal so gar nicht richtig passen will, was Reime und die Länge der Zeilen zueinander betrifft.
Dieser Eindruck wird speziell beim Refrain zum Song "Erdrutsch" etwas aufgeweicht, denn hier bietet der Künstler sehrwohl die Option, die Zeilen "Panik war gestern | Heut' geht's neu los" lauthals mitzusingen und die sich im Ohr eingenistet habende Melodie nach dem Konzert mit nach Hause zu tragen. Aber dies ist nur ein kurzer Gedanke und die Sache mit dem lauten Mitsingen wird so sicher nicht passieren, denn man ist beim Hören vielmehr damit beschäftigt zu ergründen, ob es sich hierbei um eine "Neustarter-Hymne" handelt oder um den dezenten Hinweis des Texters darauf, dass wir in der Vergangenheit alles falsch gemacht haben. Und während wir da noch so drüber nachdenken, genießen wir den 70er-Jahre-Sound des Ensembles, das Maurenbrecher da instrumental begleitet. Da kommt einmal mehr Frohsinn auf. Gleiches gilt übrigens auch für die folgende "Schüttmulde", die durchaus Ohrwurmcharakter hat und bei der wieder am Text geforscht werden darf, wie sich der Inhalt auf das eigene Umfeld und das eigene Leben anwenden bzw. übertragen lässt.
Wenig Spielraum für Interpretationen lässt aber ein Stück wie "Jetzt auf einmal geht's", in dem der Musiker einen nach hinten raus immer trüberen Blick in die Zukunft wirft und schaut, wie die Welt von morgen denn so aussehen könnte und was plötzlich alles geht, was vorher irgendwie unmöglich schien. Und damit ist nicht nur der Fortschritt der Technik gemeint! Während des Vortrags begleitet sich Manfred Maurenbrecher selbst nur am Klavier, die Band hat Pause. Zum Schunkeln und Abfeiern wird auch hier wieder kein Anlass gegeben.
Auch nicht in "Puppen", das die Haltung von Teilen unserer Gesellschaft in Bezug auf die Flüchtlingssituation aufgreift und einen besonderen Blick auf die vielen schon geäußerten "Bedenken" und Ansichten wirft. So wie z.B. die "Puppen", die da angeblich anstatt echter Menschen am Strand des Mittelmeeres liegen. Die gewählte Musik, bestehend aus synthetischen Beats und Keyboard-Sounds, passt hier gut zur rezitativen Art von Maurenbrechers Vortrag. Wieder nix zum Tanzen. Zum Abfeiern erst recht nicht.
Ebenso, wie sich der Wolf zurück in unsere Gefilde "geschlichen" hat, schleicht auch der Song "Wölfe in Brandenburg" daher. Der Sound von mit Besen gestrichenen Fellen und sacht angeschlagenen Klaviertasten dient als Unterlage für Maurenbtrechers Geschichte über das Comeback von Meister Isegrim und seinem Rudel. Eine Willkommen-zurück-Melodie für den grauen Gesellen, der so gut zu Brandenburg passt, aber ein Weiterziehen nach Berlin lieber lassen sollte.
Und dann wäre da noch das Lied "Aufstehen", bei dem sich unser Freund Manfred wieder selbst am Klavier begleitet und dabei den Text eines weiteren unserer Freunde vertont. Der Inhalt des Liedes stammt nämlich von Andreas Hähle, und er beschreibt hier sehr gut, welch Heldentat doch das tägliche Aufstehen am Morgen in unserer heutigen Zeit ist. Die Vorgaben, Regeln, Verpflichtungen und andere Aufreger erdrücken einen, machen am Ende sogar krank. "Und dann frisst der Krebs den Zorn", dichtete Hähle da in seinen Text und es ist sowas wie ein Wiedersehen mit seiner Sachstandsmeldung bei Facebook vor einem Jahr, und den darin beschriebenen Umgang mit seiner Krebserkrankung. Hähle beschrieb den Tumor als die Instanz in seinem Körper, die jahrelang all den Ärger und den Frust gefressen hat und sich nun wehrt, weil der Speicher voll ist. Dieser Text zum Song "Aufstehen" entstand aber noch bevor Hähle seine Diagnose bekam. Hatte er da etwa eine Vorahnung? Die Nummer lässt es einem aber nicht nur wegen dieser Zeile ein ums andere Mal kalt und heiß gleichzeitig werden.

Ich schreibe hier zu Beginn dieses Beitrags, dass es eigentlich ein "No Go" ist, nur einzelne Lieder aus einem Maurenbrecher-Album hervor zu heben und andere außen vor zu lassen. Kaum habe ich das geschrieben, mache ich genau das und habe dabei viel zu viel von dem vergessen, was eigentlich erwähnenswert ist. Was eigentlich erwähnt werden MUSS. Betrachtet die von mir als Beispiel gewählten und näher beschriebenen Songs bitte als Appetithäppchen. Sie sollen Euch neugierig machen und bei euch ein Hungergefühl für das auslösen, was auf Euch im "Inneren Ausland" noch alles an Sehenswürdigkeiten warten. Erwartet bitte kein Vivaldi oder Mozart. Geht eher davon aus, dass auf Euch eine geballte Ladung Wagner wartet. Manchmal muss es eben auch holperig und nicht ganz so komfortabel beim Reisen über die Grenzen sein.
(Christian Reder)





Songs:












   
   
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