Niedrig & Guth: "Niedrig & Guth" (Album)

niedrig2020 20201230 1229194747VÖ: 18.12.2020; Label: Eigenvertrieb; Katalognummer: ohne; Musiker: Pablo Niedrig (Gitarren, Bass, Keyboard, Schlagzeug, Mundharmonika, Programmings), Adalbert Guth (Gesang, Gitarren, Background-Gesang); Bemerkung: Das Album ist auf CD und als limitierte Schallplatte erschienen. CD im aufklappbaren Digipak mit Booklet inkl. Abdruck der Songtexte. Erhältlich ist das Album ausschließlich über die offizielle Homepage der Band auf www.niedrig-und-guth.de;

Titel:
Wind und Wetter • Renaissance • Über Feuer • Akzeptanz • Dylans Traum • Poesie • Die Dunhillballade • Standard Of The Man • Zwischen Wirklichkeit und Traum • Die Kirschenballade


Rezension:
Der Name Niedrig & Guth hat nichts damit zu tun, dass der eine Musiker von der Statur her eher klein und der andere handwerklich wesentlich besser als sein zwergenhafter Partner ist. Die beiden Musiker dieses Duos haben sich als junge Studenten in einer Kneipe kennengelernt und irgendwann festgestellt, dass sie als musizierendes Team ganz gut zusammen passen. Nachdem man nun schon ein paar Lieder geschrieben und fleißig die Köpfe zusammengesteckt hatte, wurde nun nach einem Namen gesucht. Dieser wurde bei einem FREYGANG-Konzert gefunden und entstand aus einem akustischen Missverständnis. Der eine Musiker schlug dem anderen bei lauter Live-Musik vor der Bühne eher scherzhaft den Namen "Niedrig & Kuhnt" vor und spielte damit auf das Ermittler-Duo aus der gleichnamigen TV-Sendung an. Der Kollege kannte diese Sendung gar nicht und verstand "Niedrig & Guth", was ihm als Firmierung sehr gut gefiel, denn es verband die Ansprüche ganz ausgezeichnet, die er an seine Band stellte (einfach, verständlich, für jeden nachvollziehbar aber eben gut). So kamen die beiden Musiker auf ungewöhnliche Weise und durch einen Hörfehler zu ihrem Namen NIEDRIG & GUTH. Daraus kreierten sie auch noch ihre Künstlernamen und nannten sich fortan Pablo Niedrig und Adalbert Guth. In diesem Jahr haben sie nach knapp 13-jähriger Freundschaft und Liederschreiberei ihr erstes Album in Angriff genommen. Die Musik und die Texte dafür stammen aus den letzten 12 bis 13 Jahren. Diese Reise der beiden Musiker von damals bis heute und das Leben der Männer im Alter von Anfang 20 bis Mitte 30, spiegelt sich ein großes Stück weit in diesem Album wider. Darum hat es gerade inhaltlich eine große Breite, besonders was Gefühle und Gedanken betrifft. Dazu kommt, dass man als Student vor 10 Jahren noch andere Vorstellungen vom Leben hatte als heute, wo man als studierter Pädagoge Kinder unterrichtet und voll im Berufsleben steht. Manches davon ist wahr geworden, anderes nicht und so mancher Text könnte deshalb heute so auch nicht mehr entstehen, findet sich aber als Dokument auf dieser Platte wieder. Lauschen wir mal hinein ...

Das dieses Album eröffnende "Wind und Wetter" entstand eigentlich beim Herumexperimentieren von Pablo Niedrig am E-Piano. Darauf wollte er seinen Lieblings-Song der ROLLING STONES, "Miss You", nachspielen und kam dabei auf eine ganz andere Schiene. Herausgekommen ist diese Komposition. Kein Wunder, dass dieses E-Piano, dem eine leise weinende Gitarre zur Seite gestellt wurde, bei dem bluesigen Schleicher auch als Hauptdarsteller im Zentrum steht. Nicht ganz so gut klingt das künstlich erzeugte Saxophon im Gesamtbild. Hier hätte der Einsatz eines "echten" Instruments dem Sound und der Wirkung sicher besser zu Gesicht gestanden. Inhaltlich geht es in dem Stück um die Sehnsucht des Mannes nach einer Weiterentwicklung und dem ins Unbekannte getrieben sein. Man(n) will nicht einfach so alt und grau zu werden, sondern Abenteuer erleben. Es geht auch um die Konflikte die entstehen, wenn man etwas aufgibt, um etwas Neues zu beginnen: "Was setze ich damit aufs Spiel?", "Was versage ich mir mit der Umsetzung meines Plans?", "Weiß ich zu schätzen, was ich habe und gebe ich das einfach so her?" Die Seefahrts-Metapher dient hier als Beförderungsmittel für den Inhalt.
"Renaissance" ist dann ein klassisches Liebeslied, das Adalbert Guth vor einigen Jahren für seine damalige Freundin schrieb. Er war damals noch sehr jung, beide waren ganz frisch zusammen und deshalb auch ziemlich romantisch unterwegs. Dementsprechend ist der Song auch ausgefallen. Er wird vom Klang der Akustik-Gitarre getragen und klingt insgesamt locker, fröhlich und unbekümmert. Dies ist einer dieser Titel, die heute so nicht mehr entstehen würden, wie Adalbert Guth darüber selbst sagt. Er fängt aber diesen besonderen Augenblick von damals ein.
Das nun folgende "Über Feuer" wurde bereits im Jahre 1972 von der Gruppe electra musikalisch umgesetzt. Es handelt sich dabei um einen vertonten Text des Lyrikers Heinz Kahlau, einigen vielleicht auch als Texter für KARAT ("… im nächsten Frieden") bekannt. Diesen Text hat Pablo Niedrig zur Vertonung ausgewählt. Er befindet sich in einer Gesamtausgabe der Arbeiten von Heinz Kahlau, die sich Pablo zugelegt hat, und er passt inhaltlich sehr gut zum Titel "Renaissance". Hier geht es aber um eine enttäuschte bzw. nicht verwirklichte Liebe, oder auch darum, wie eine Liebe entsteht, wenn der/die Eine alles will und der/die Andere gar nichts. Am Ende bleibt viel Frust und Enttäuschung. Musikalisch soll der zu Beginn ruhig und im Verlauf lauter arrangierte Titel ein wenig an Johnny Winter erinnern, weshalb hier auch die Slide-Guitar zum Einsatz gekommen ist. Nicht nur wegen dieser Zutat wandert die Nummer tief unter die Haut des Hörers.
Ebenfalls eher ruhig und entspannt gleitet "Akzeptanz" daher, das vom aufgewühlten Gesang und einem aus den 70ern rüber transportierten E-Gitarren-Sound geprägt ist. Es handelt sich dabei um eins der jüngeren Lieder des Duos, das erst zwei oder drei Jahre alt ist, und das Texter Adalbert Guth als einen Tabularasa-Song bezeichnet. Es behandelt einen Wendepunkt im Leben des Künstlers, an dem er sinnlose Kämpfe für sich aufgegeben hat, um sich daran nicht mehr abarbeiten zu müssen. Ein Moment des reinen-Tisch-Machens und neu Durchstartens. Aber der Text soll für jeden Hörer auch ein Anreiz sein, für sich selbst eine Interpretation anzustrengen und sich vielleicht auch darin wiederzufinden.
"Dylans Traum": Ein Text von Pablo Niedrig über das Hinterherjagen eines Ideals, das eigentlich gar nicht erreichbar ist. Die Lilie, um die es hier geht, kann für viele Dinge und Ziele stehen. Ein munter hüpfendes Retro-Arrangement mit sich schnell ins Ohr grabender Melodie sticht direkt heraus, ebenso wie die Gitarren-Figur, die immer wieder aus dem Gesamtbild heraus schaut.
"Die Poesie" zeigt uns einen der ersten Texte von Adalbert Guth. Er entstand, als eine seiner Beziehungen zu Bruch ging und stellt eine Auseinandersetzung mit einer Beziehung dar, die insgesamt nicht so toll war. Guth hat darin sehr viel über sich als Mann, und wie er an so eine Beziehung heran geht, gelernt. Das Lied verarbeitet diese unglückliche Liebe, die aber lehrreich war und erzählt über ein Stück Weg mit Anfang 20, der trotzdem nicht sinnlos war. Dennoch räumt Guth ein, dass es auch eins dieser Lieder ist, die er heute so nicht mehr schreiben könnte. Verpackt ist der Text in einer melancholisch schweren Komposition, die von schweren Cello-Klängen und Akustikgitarre zu Beginn und etwas später mit verzerrter E-Gitarre gezeichnet wird. Hier erlebt der Hörer Schwermut von seiner schönsten Seite.
"Die Dunhillballade" ist ein weiterer Text von Heinz Kahlau. Thematisch ist es eine kleine Wiederholung des Inhalts von "Wind und Wetter", denn auch hier geht es um eine Reise, die da jemand antritt. Allerdings hat die Hauptfigur in dieser Nummer seine Frau zu Hause zurückgelassen um sich auf diese Reise zu begeben. Sie sollte dort auf ihn warten, während er seine Abenteuer erlebt. Und weil sowas nicht ewig gut gehen kann, heiratete die Frau am Ende den Tabakhändler. Hier wurde ein großes Opfer für die Freiheit gebracht. Ein Text - wie eigentlich alle von Heinz Kahlau - mit einer großen Alltagstauglichkeit. Ohne großartig versteckte und verschwurbelte Botschaften, sondern Geschichten, die wirklich jeder verstehen kann. Pablo Niedrig schrieb zuerst einen Blues im Sechzehntel-Rhythmus und wählte dann erst den Text dazu aus, weil diese perfekt zu seiner Komposition passte. Eigentlich könnten die Geschichte und die Komposition auch von Achim Reichel stammen. Schwere E-Gitarren, Klavier und stampfende Beats bilden die Auslegeware, auf der die Geschichte ihre Wirkung entfalten kann. Man ist gebannt lauschend dabei.
"Standard Of The Man" ist ein von Pablo Niedrig zum Vertonen ausgewähltes Gedicht aus dem 18. Jahrhundert. In dem Film "The Elephant Man" mit Anthony Hopkins ist es das Lieblingsgedicht der Hauptfigur. Pablo hat nach dem Film einfach mal die Gitarre zur Hand genommen und die Melodie dazu komponiert. Es geht darin um das Bild vom Mann in der Welt und woran man ihn messen kann bzw. sollte. Dieses Gedicht bildet ein Stück weit auch die Vorstellung der beiden Musiker ab, weshalb es hier in einer vertonten Fassung auch auf das Album kam. Vielleicht trägt es auch ein wenig die versteckte Botschaft, was Männer alles tun würden, um den Frauen zu gefallen. Musikalisch umgesetzt in einer Country-Nummer, die ganz schlicht nur mit Akustik-Gitarre, Mundharmonika und Schlagzeug arrangiert wurde. So wurde ein leicht verständlicher Text mit einer leicht verständlichen Musik verbunden. Mit den Worten, "Warum sollte man auch etwas komplizierter machen als es ist", erklärt Guth die Idee, die dahinter steckt.
"Zwischen Wirklichkeit und Traum" ist ein Instrumental, das den Hörer dazu einlädt, das eigene Kopfkino anzuschmeißen und einen eigenen Film zur Musik entstehen zu lassen. Hier schimmert das Verständnis von Pablo Niedrig durch, das er von Musik hat. Melancholisches vermischt sich mit Verspieltheit, ohne dass ein riesengroßes Arsenal an Instrumenten aufgefahren wird. Wenn man den Song hört, bekommt man ein Gefühl für den Menschen, der es schrieb. Das Knistern des Vinyls stammt übrigens nicht von der gerade aufliegenden Platte, sondern ist als romantische Spielerei künstlich beigemischt und leitet den Titel ein, der mit Akustik-Gitarre und Percussion als Hauptwerkzeugen auskommt.
Es sind nur die ersten Sekunden, die an "Als ich fortging" von KARUSSELL erinnern, dann macht der Eindruck Platz für etwas Neues, denn "Die Kirschenballade" beginnt. Nochmal hat man sich inhaltlich beim Schaffen Heinz Kahlaus bedient. An der Umsetzung von Text in Musik hat Pablo Niedrig sehr lange gefeilt, denn er hat - anders als bei der "Dunhillballade" die Musik zum Text geschrieben. Hier liegt wohl von der Machart her der "Albatros" von KARAT als Idee zu Grunde, denn auch hier herrscht die Ruhe vor dem Sturm, der sich im Verlauf dieser 10-minütigen Nummer austoben darf. Nach einer ruhigen Einleitung und einem Zwischenspiel türmt er sich wie eine Gewitterwand aus E-Gitarren und Schlagzeug auf, um zum Ende hin wieder dieser entspannten Ruhe Platz zu machen, mit der der Hörer zu Beginn auch empfangen wurde. In dieser zu Musik gewordenen wilden Flussfahrt steckt die Geschichte von dem grauen Mann, der allen Kindern die Kirschen wegfrisst und anschließend die Kirschbäume umhaut, damit auch niemand anderes mehr was von den Kirschen hat. Sie bildet die Themen Machtgier und männlichen Narzissmus ab. Dieser Aufwand, um die Geschichte eine Musik zu erschaffen, hat sich echt gelohnt. Dem jungen Musikanten ist hier ein Meisterwerk gelungen!

Auch wenn die beiden Musiker ihre Band als Hobby betrachten, haben sie mit ihrem Album etwas abgeliefert, um das sie einige der Profis beneiden dürften. Auf der CD befinden sich spannende Geschichten und handwerklich ausgezeichnet umgesetzte Ideen. Dazu kommen die Verspieltheit bei der Umsetzung eben erwähnter Ideen und der glasklare Sound, den die beiden Musiker da im Studio eingefangen haben. Es sind die vielen Einzelteile, die hier perfekt zusammenpassen und dem Hörer eine knappe Dreiviertelstunde Abenteuer und Spaß liefern, die auch nach mehrmaligem Hören nicht langweilig werden. NIEDRIG & GUTH, die hier alle Instrumente selbst eingespielt haben, arbeiten bereits an einem neuen Album, für das auch schon Titel vorhanden sind. Dass beide örtlich etwas weiter auseinander wohnen und als Lehrer täglich voll eingespannt sind, macht das regelmäßige Treffen und Proben etwas schwer. Trotzdem sind Live-Aktivitäten geplant, und wäre der Virus nicht über die Welt hergefallen, hätten die beiden auch schon Konzerte gegeben. Diese sind nun für die Zeit nach der Pandemie geplant. Seitens einiger Veranstalter ist das Interesse jedenfalls da, mit den beiden Konzerte zu machen, und wer diese CD gehört hat, hat auch keine Fragen mehr, wieso das Interesse so groß ist, dem eigenen Publikum diese Lieder live präsentieren zu wollen.
(Christian Reder)





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