mr-mkgk 20121118 1663284618Es war der endgültige Durchbruch für Max Raabe und sein Palast Orchester, als 1992 der Song "Kein Schwein ruft mich an" deutschlandweit zum Hit wurde. Man spitzte automatisch die Ohren, wenn der Interpret anfing zu singen, denn für die 90er (und auch die Jahre davor) völlig ungewöhnlich sang Raabe im Bariton und im Stile der 20er und 30er Jahre in Deutschland. Er gehörte damals schon einige Jahre zu einer Minderheit, denn mir ist außer ihm kein Künstler bekannt, der sich dieser Musik noch annahm (von Taco in den 80ern vielleicht mal abgesehen). Raabe macht diese Musik aber hauptsächlich, und das erfolgreich. Um es auf den Punkt zu bringen: Er ist damit konkurrenzlos! Dabei werden aber nicht nur alte Lieder bearbeitet, sondern auch viele neue Songs entworfen, die in dem Stil geschrieben und vorgetragen werden. Natürlich singt er dennoch Klassiker aus der Zeit, aber hauptsächlich widmet er sich neuen Songs, die er größtenteils auch selbst schreibt. Eben erwähnter Song "Kein Schwein ruft mich an" hat aber noch andere Qualitäten als den "historischen Charakter". Mit einem Lächeln im Gesicht nimmt man die Beschwerde des Sängers zur Kenntnis, dass ihn "kein Schwein" anruft ("Den Zustand find ich höchst fatal, für heut'ge Zeiten nicht normal"). Schon damals war das Mobiltelefon auf dem Vormarsch, und Raabe war mit seinem "Problem" wohl wirklich ein Außenseiter. Dass sich - wie er in dem Titel weiter singt - "keine Sau für ihn interessiert", hat sich seit dieser Single-Veröffentlichung allerdings komplett geändert. Seitdem strömen ihm die Zuschauer und Fans nur so zu. Schon zwei Jahre später übernahm er mit seinem Palast Orchester eine Rolle in dem Erfolgsfilm "Der bewegte Mann" mit Till Schweiger und gab damit seiner Karriere einen weiteren positiven Schub nach vorne. Zuletzt machte er mit seiner CD "Küssen kann man nicht alleine", die von Annette Humpe produziert wurde, auf sich aufmerksam.

Das hier zur Diskussion stehende Album "Mein kleiner grüner Kaktus" ist etwas irreführend. Der eine oder andere Musikfreund wähnt hinter dem Albumtitel eine CD, auf der der Künstler Songs der Comedian Harmonists nachsingt. Viele gestalterische Möglichkeiten, Vorlagen aus dieser Zeit anders zu machen, dürfte es nicht geben. Von daher könnte es sein, dass man von einer einfallslosen und schon anderweitig gehörten Produktion ausgeht... Falsch! Die auf dieser CD vorgetragenen Lieder sind Raabe-Songs! Er stellt sie in seiner ihm eigenen Art vor, entstaubt die Musik, die man unweigerlich mit den 20ern und 30ern verbindet, und gibt ihr einen neuen Anstrich. Plötzlich klingen die alten Zeiten wieder interessant und aufregend! Sie wurden wieder attraktiv und Leute, die eine Comedian Harmonists-CD sicher nicht mit der Kneifzange angefasst hätten, interessierten sich plötzlich für Raabe und das, was er da künstlerisch auf die Beine stellt. Neben oben erwähntem "Kein Schwein ruft mich an" finden sich hier weitere Songperlen der Güteklasse "Raabe" wieder. Humorvoll und gleichzeitig bierernst tischt uns der Künstler die durchweg mit einem Augenzwinkern versehenen Texte auf. Stets verpackt in diesem für ihn und das für die 20er Jahre des letzten Jahrtausends typischen Chanson- und Lied-Stil. Die Stücke "Kein Schwein ruft mich an" und "Rinderwahn" sind geniale Eigenschöpfungen Raabes, die sich nahtlos in die Reihe vieler Klassiker aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg einreihen und auch heute noch richtig Spaß machen. Einen Song dieser CD besonders hervorzuheben wäre falsch, denn so wie die Musik selbst ist jeder einzelne Titel eine kleine Geschichte, die man anderen nicht vorziehen möchte. Unmittelbar nach dem ersten Durchlauf verspürt man schon wieder die Lust, das ganze Programm noch einmal von vorn anzuhören - und das tut man letztlich dann auch...

Das Album gehört in jede gut sortierte CD-Sammlung, die den Anspruch erhebt, alle Pflicht-Produktionen aus deutschen Landen zu beinhalten. Raabe hat das Talent, mit seiner Vortragskunst und mit seinen Liedern die Hörer zu berühren. Das gelingt ihm auf dieser CD, aber auch auf vielen anderen, die er bis heute gemacht hat. Eine weitere Stärke ist die Leistung von Raabes Begleitband. Das Palast Orchester spielt unaufdringlich, fraglos entspannt und bildet zusammen mit ihrem Mitbegründer und Leiter am Mikrofon eine Einheit, die keine Wünsche offen lässt. Raabe und sein Orchester sind Kurzweil und Anspruch zugleich und haben eine längst vergessene und tot-geglaubte Musik wiederbelebt. Eine Musik, der man vielleicht nicht ganz so viel Facettenreichtum bescheinigen möchte, die uns Raabe und seine Musiker aber ofenwarm und appetitanregend servieren. Das einstmals blutleere Genre, dessen Protagonisten längst gestorben sind oder im Ruhestand weilen, hat durch Raabe eine Frischzellenkur verpasst bekommen. Das Album "Mein kleiner grüner Kaktus" ist eine herrliche Sammlung schöner Lieder, die bis heute schon viele Freunde gefunden haben. Und der Kreis wird immer größer!
(Christian Reder)

 

VÖ: 1997; Label: Monopol; Titel: Ich bin so scharf auf Erika - Mein kleiner grüner Kaktus - Amalie geht mit 'nem Gummikavalier - Schöne Isabella aus Kastilien - Du stehst nicht im Adressbuch - Lass uns von Liebe sprechen - Wenn ich Liebe brauch, dann geh ich zur Pauline - Vier Worte möcht' ich dir jetzt sagen - Canto Indio - Ich steh' im Schnee - Capri Fischer - Ich kauf mir 'ne Rakete - Kein Schwein ruft mich an - Rinderwahn - Schlafen geht das kleine Saxophon

   
   
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