Interview vom 20. Oktober 2020
Falls Du ihn bisher noch nicht gekannt haben solltest: Seit ein paar Jahren ist da ein gewisser Huey Colbinger auf den bundesdeutschen Bühnen unterwegs - zuerst mit seiner Band COLBINGER, inzwischen solo mit Gitarre und unter vollem Namen. Nicht etwa nur in seiner Region, sondern deutschlandweit, was für einen Musiker ohne großen Plattenvertrag und PR-Maschinerie im Rücken schon bemerkenswert ist. Huey Colbinger legt größten Wert auf Inhalte, die er an sein Publikum weiterreichen möchte, und denkt an die Verpackung scheinbar nur nebenbei nach. Neue Ideen scheinen förmlich aus ihm heraus zu sprudeln, weshalb er auch für die nächste Zeit eine Album-Trilogie angekündigt hat. "Sünder, Pilger, Rebell" wird diese heißen und mit "Sünder" erscheint nun der erste Teil. Aus diesem Grund haben wir den Musiker zu uns eingeladen und ihn zu verschiedenen Details befragt ...
Die erste Frage, die sich mir sofort stellte als ich mich mit dem Musiker Huey Colbinger beschäftigt habe, war: Wie kommt ein sächsischer Musikant aus Mittweida in die Nähe von Passau in Bayern?
Das Schicksal, das Leben, die Entscheidung oder einfach der Weg.
Hast Du die bajuwarische Staatsangehörigkeit inzwischen schon angenommen oder immer noch einen "Koffer in Sachsen"?
Ich trage alles bei mir und bin gern auf Reisen. Diese starten von Bayern aus, und ich kehre sehr gern wieder dahin zurück.
Aus Deiner Heimatstadt hat es Dich bereits 1997 weg und nach Leipzig gezogen. Was war damals der Grund, dass Du Deine Zelte in der Messestadt aufgeschlagen hast. Dein Studium vielleicht?
Ein Studium war vorerst der plausibelste Grund, die Enge meiner Geburtsstadt zu verlassen, und Leipzig kannte ich schon durch Ausflüge in das dortige Nachtleben und ich hatte Leute da. An diesem Ort entwickelten sich zu dieser Zeit und seit Beginn der neunziger Jahre unterschiedlichste Subkulturen und ihre Szenen, das war spannend, eine neue Welt und natürlich auch die persönliche Hoffnung generell auf "mehr".
Kurze Zeit davor - also 1996 - hast Du angefangen, Musik zu Deinem Beruf zu machen. Was war der Auslöser für Dich, diesen Weg einzuschlagen und wann kam die Initialzündung dafür? Gab es da ein besonderes Erlebnis?
Meine ersten musikalischen Schritte, eigene Songs zu schreiben, also die Anfangstage, reichen bis 1991 zurück. Zu dieser Zeit hörte ich den Song "Should I stay or should I go?" von der britischen Band THE CLASH und ab da war es mir klar. Es ist schwer zu beschreiben, was da mit einem passiert. Auf jeden Fall zeigt mein Weg es. Ich fing an, mich mit der Band, ihrer Geschichte und vor allem mit dem Frontmann Joe Strummer zu beschäftigen, was ihn antrieb und dass er immer wieder eine Position zu den wichtigen Dingen im Kontext seiner Zeit einnahm. Ich spürte damals schon, dass es mehr geben muss, eine Sinnhaftigkeit, und das verstärkte und bestätigte diesen Eindruck noch. Während der Gymnasialzeit in Rochlitz gründete ich 1992 meine erste Band THE ROITS und wir spielten schon regelmäßig Auftritte und waren auch 1994 auf dem DHFK-Sommerfest in Leipzig unter anderem mit Purple Schulz. Diese Band gab es bis 1996 in verschiedenen Besetzungen und es entstanden mehrere "Tapes", der Song "Psycho Therapy" schaffte es sogar bis ins Radio nach Neuseeland und ein anderer, "Never give up", wurde zum Eröffnungssong der Jugend-Dokumentation "Young Connections" der Filmwerkstatt - Chemnitz, der 1995 in Programmkinos in Deutschland und England lief. Da die Entscheidung, "Künstler/Musiker" zu sein, schon längst gefallen war, ging es nicht mehr um das "Was", sondern um das "Wie und wie weiter?". Nach dem Abitur dann Anfang 1996 hatte ich das Angebot, den Platz des Gitarristen der Dark-Wave-Band TRYSTICIA aus Chemnitz zu übernehmen und das war die unmittelbare Möglichkeit, weiter zu machen und vor allem auch Konzerte zu spielen. Wir produzierten die CD "Lust" mit Label und Vertrieb Anfang 1997, gingen auf Tour und supporteten Szenegrößen.
Ich sprach es schon an: Du hast ja sogar Politikwissenschaften studiert. Es scheint also mal eine Alternative zur Karriere als Musiker gegeben zu haben, richtig? Abgeschlossen hast Du das Studium aber nicht. Wieso hast Du es nicht durchgezogen?
Im Endeffekt war das Studium selbst immer nur ein Alibi, eine Verlegenheit, die nur ins Nichts führen konnte. Die gelehrten Inhalte und ihre Felder interessieren mich jedoch bis heute, da es ein sehr umfassendes Studium von politischen Strukturen, ihrer Staats- und Rechtsformen, den zugrunde liegenden ideologischen und philosophischen Ansätzen, der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, der Soziologie und der Geschichte ist.
Nun warst Du also in Leipzig. Wie ging es da für Dich als Musiker weiter? Du hast mir in einem Gespräch erzählt, dass Du bis 2014 mit bzw. in Bands gearbeitet hast. Wann hattest Du Deine erste und in wievielen Bands hast Du Erfahrungen gesammelt?
Leipzig 1997. Ich spielte ja weiter bei TRYSTICIA, noch immer auf der Suche nach meiner Ausdrucksform und Leute, die nach einem Sänger Ausschau hielten. Das war Anfang 1998 und wir begannen Songs zu schreiben und spielten auch regelmäßig Konzerte. Der damalige Keyboarder und ich entschieden uns im Jahr 2000 zu zweit ein Album aufzunehmen. Das war die nächste musikalische Station namens SOLID, das Album erschien 2001 mit Label und weitere Songs entstanden. Das Projekt mauserte sich zur Band und wir tourten auch bundesweit. In dieser Zeit supporteten wir zum Beispiel Alvin Lee von Ten Years After. Dann kam Mitte 2003 mein persönlicher Break und mehr als eine Zäsur, Schluss mit Musik, Vakuum, dieses sollte bis 2007 andauern und mit der Gründung der Band COLBINGER erst beendet sein. Zusammenfassend waren es fünf Bands oder auch Trans-Formationen.
Die Gruppe Colbinger, die auch nach Dir benannt war, war wohl die letzte Band, richtig? Wieso hast Du Dich als Kopf vom Rudel getrennt und bist seitdem als einsamer Wolf unterwegs?
Ja, wir spielten als Trio vom ersten offiziellen Konzert Anfang 2008 bis 2014. Es waren sehr intensive Jahre, zum Beispiel als Vorprogramm von der US-amerikanischen Cross-Over-Legende MOTHER'S FINEST in 2008 oder beim Finale vom deutschlandweiten Bandwettbewerb "Echolot" im Jahre 2012, bei dem wir den 3. Platz erreichten. Generell waren wir sehr viel unterwegs. Wir kamen irgendwann an unser "Dead End", das Ende des gemeinsamen Weges. Retrospektiv musste das so sein, da ich nur durch diese nächste Veränderung letztlich zu mir selbst finden konnte. Ich schrieb mehr Songs als je zuvor und Hunderte Konzerte folgten.
Fehlt Dir das Arbeiten in der Gemeinschaft nicht irgendwie? Das ist doch komplett was anderes als wenn man allein auf der Bühne tätig ist …
Die Reduzierung auf mich selbst hat mir eröffnet, welche Möglichkeiten ich überhaupt habe es selbst zu verantworten, mich kompromisslos auf das Anliegen und den Inhalt meiner Lieder zu konzentrieren, ohne von vornherein in die Abhängigkeit von substituierten Fähigkeiten zu geraten.
Grund für die Einladung zu diesem Interview ist das Album "Sünder, Pilger & Rebell", das am 30. Oktober offiziell erscheinen wird. Der erste Eindruck war, dass die 10 darauf enthaltenen Lieder sehr spartanisch arrangiert sind. Du begleitest Dich selbst auf der Akustikgitarre und erzählst dazu Deine Geschichten. Warum hast Du Dich für diese Schlichtheit in der Musik entschieden und Dein wievieltes Solo-Album ist das inzwischen?
Es ist mein zweites Solo-Studio-Album von bisher sechs Colbinger-Veröffentlichungen und markiert den Beginn der Trilogie "Sünder, Pilger & Rebell". Die Sparsamkeit ist begründet im Weg der letzten Jahre: ein Mann, eine Gitarre. Da ich allein unterwegs bin und die Gitarre die Basis für meine Stimme ist, mit dem Augenmerk auf die Inhalte der Songs, ihre Geschichten, ist diese Reduzierung die logische Konsequenz. Reduziert zum Maximum. Ich möchte, dass meine Zuhörer ein Album mit nach Hause nehmen können, das ich auch LIVE verantworten kann, und im Augenblick ist das der Stand der Dinge und es fühlt sich für mich so richtig und echt an.
Da komme ich wieder auf die Frage mit dem Rudel und dem einsamen Wolf zurück: Hast Du gar keinen Bock darauf zu erfahren, wie Deine neuen Lieder mit kompletter Band und einem dichten Sound klingen würden?
Bandgefüge und Arrangements schließe ich grundsätzlich nicht aus, da ich im Entstehungsprozess meiner Lieder immer eine Band "höre". Die Zukunft ist ja noch nicht geschrieben... und alles ist möglich. Das ist ja das Wunderbare.
Vielleicht erzählst Du selbst einfach mal etwas über diese CD. Welche Themen wird der Hörer vorfinden und welche Erlebnisse, Beobachtungen und Gedanken liegen ihnen zugrunde?
Dieses Album mit dem Untertitel "Sünder - Part1" ist, wie schon erwähnt, der Beginn der Trilogie "Sünder, Pilger & Rebell". In den letzten vier Jahren sind um die 40 neue Songs entstanden und 31 davon finden den Weg auf die drei einzelnen Alben. Seitdem ich solo unterwegs bin, ist es natürlich viel einfacher zu touren und es gibt auch viel mehr Raum für Beobachtungen und das, was einen umgibt, dann zu erleben, zu reflektieren und in den ungefilterten Austausch mit den Menschen zu kommen. Es geht um die Zweifel, die Ängste, die Illusionen, den Betrug, die Sehnsüchte, die Irrungen und Wirrungen, die Manipulationen, die Bequemlichkeiten und das sich selbst im Wege stehen. Es sind Bilder in Metaphern und klare Formulierungen, die aus persönlichen Erkenntnissen aus den Gesprächen und Begegnungen mit meinen Zuhörern resultieren und diese wiederum verarbeite ich in meinen Liedern. Ich verkünde keine Wahrheiten, die zu glauben sind. Es sind Beschreibungen von Situationen und ich ermutige den, der an einer Schwelle steht, in die unbekannten eigenen Tiefen vorzudringen, denn nur da finden sich tatsächlich die Antworten. Meine Lieder und Texte stellen die Verbindung her, was dann passiert, ist immer offen und spannend zu gleich. Möglicherweise kommt man sich selbst ein wenig näher und dadurch allen anderen und anderem auch. Das Ziel ist der Mut zur eigenen Biografie und die Klärung und Versöhnung mit allen Teilen vom Ganzen des Weges.
Wie gehst Du das Songwriting an? Bleiben wir mal bei dieser CD: Wie entsteht so ein Colbinger-Song? Hast Du zuerst einen Text im Kopf, den Du dann mit Musik einkleidest, oder schreibst Du erst die Melodie und machst Dir dann Gedanken über den Text? Und lässt Du Dich von irgendwelchen äußeren Einflüssen bei der Musik lenken oder schaltest Du beim Schreiben eines Stücks komplett ab und verlässt Dich auf Dein Gespür für den richtigen Ton?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Es ist eine Zeile, ein Stichwort, eine Beobachtung, ein Zitat, eine Erinnerung, ein Gedanke, der dann den Grundstein eines Textes, eines Liedes legt. Die Musik, die Akkorde kommen zeitgleich. So ist es bei mir. Ich zwinge mich nicht, es passiert einfach.
Gibt es auf dem neuen Album einen besonderen Song, einen Dir sehr am Herzen liegenden Titel, oder hast Du keinen Favoriten unter Deinen eigenen Liedern?
In diesem Sinne nicht, da ich keinen Song mehr spiele und aufnehme, der dann aus Verlegenheit auf einem Album ist. Sie gehören alle zusammen. Ich stehe hundertprozentig zu jedem einzelnen Song und was für mich äußerst spannend ist, wie sie sich ein jedes Mal beim Livespielen anfühlen. Da gibt es Nuancen im Moment, welches Lied einer persönlichen Stimmung gerade näher kommt, und da wechseln sie sich dann ab. Immer wieder von Neuem.
In den Zeiten, wie wir sie gerade erleben, laufen Plattenveröffentlichungen ja anders als gewohnt ab. Wird es ein Record Release geben oder gehst Du diese Wege pauschal eher nicht? Und wen möchtest Du mit Deiner CD konkret erreichen? Hast Du ein Zielpublikum wie die Kollegen aus der Pop-Abteilung?
Im landläufigen Verständnis von "Record Release" nicht. Das Album ist da, geht mit mir auf die Reise und erreicht dann wiederum diejenigen, die es entdecken wollen oder einfach darauf stoßen. Menschen, für die das Werk und der Künstler eine Einheit bilden und der Besuch eines Konzertes noch ein persönliches audiovisuelles und vor allem sensorisches Erlebnis ist, und für die der Kauf eines Albums von ihrer Wertschätzung zeugt.
Du hast eine eigene Meinung zu bestimmten Themen des Lebens. Wie gehst Du mit Leuten um, die eine andere Meinung haben, die nicht Deinem Weltbild entspricht?
Ich habe grundsätzlich eine Haltung und diese impliziert, dass ich mich irren kann. Das steht einem jeden anderen auch zu.
Du gehörst zu den Musikern die das Glück haben, über eine regionale Bekanntheit bereits hinaus zu sein, ohne einen kommerziellen Erfolg gehabt zu haben. Wie hast Du es geschafft, als ein Künstler ohne große Beiträge im Deutschen Blätterwald und regelmäßigen Erwähnungen in den vielen Boulevardmagazinen, landesweit mit Deinen Konzerten unterwegs sein zu können?
Leidenschaft, Fleiß, Arbeit, Durchhaltevermögen und Inhalte. Das gewachsene Vertrauen der Macher und ihre Orte, an denen ich willkommen bin, wiederkehren kann und es kommen immer wieder welche dazu. Ich mache es, bin mittendrin, dadurch unabhängig und ziehe meine Kreise. Alles kann passieren, doch nichts muss, weil es schon längst ist.
Bei einem Blick auf Deine Homepage gibt es den Pfad in den "Shop". Wer nun eine Auflistung Deiner CDs erwartet findet auch Weiterleitungen zu Streaming-Diensten und Download-Portalen. Findest Du, dass Lieder mit solchen Inhalten, wie Du sie machst, auf solchen Seiten richtig aufgehoben sind. Solltest Du da nicht ein Vertreter für den geerdeten Musikkonsum mit physischen Tonträgern sein?
All diese Musikdienste und Plattformen gehören dazu. Sie dienen einer gewissen Sichtbarkeit, doch man sollte sie nicht überbewerten. Außerhalb des Mainstreams ist meiner Meinung nach schon ein Umdenken im Gange, da diese Art von Verwertung eine völlige Abwertung von Musik/Kunst darstellt. Was mich betrifft, erfahre ich die Aufmerksamkeit und Wertschätzung meiner Zuhörer vor allem bei den Konzerten, die ihre Erweiterung im Kauf der aktuell zwei physisch erhältlichen Alben und auch der zwei bisherigen Gedichtbücher zunehmend zeigt.
Was liegt als nächstes bei Dir an. Gibt es schon Pläne für die nahe Zukunft?
Ich habe seit ca. fünf Jahren eine sehr produktive Schaffensphase. Die zwei weiteren Alben der Trilogie "Sünder, Pilger & Rebell" gilt es aufzunehmen. Ein drittes Gedichtbuch ist schon fertig geschrieben und auch noch zwei Zitatenbüchlein stehen vor ihrer Vollendung. Im nächsten Jahr wird es noch den zweiten Teil der Kompilation "Today, The Past & Rarities" geben, die 22 unveröffentlichte Songs von 1997 bis 2020 umfasst und den Kreis zu meiner musikalischen Vergangenheit bis hier schließt. Des Weiteren sind Konzerte und Auftritte geplant, die Reise geht weiter, wohin auch immer sie mich führt.
Hast Du noch ein paar abschließende Worte für unsere Leser?
Vielen Dank für Dein Lesen und Entdecken. Danke, dass Musik mehr als nur eine Wegwerfware ist. Sie bringt uns zusammen und kann so viel Gutes bewirken. Ich wünsche jeder und jedem, dass es etwas im Leben gibt, das Sinn stiftet und Erfüllung daraus erwächst. Bleibt offen im Blick und vielleicht sehen wir uns an dem einen oder anderen Ort. Salut aus dem Süden.
Das Schicksal, das Leben, die Entscheidung oder einfach der Weg.
Hast Du die bajuwarische Staatsangehörigkeit inzwischen schon angenommen oder immer noch einen "Koffer in Sachsen"?
Ich trage alles bei mir und bin gern auf Reisen. Diese starten von Bayern aus, und ich kehre sehr gern wieder dahin zurück.
Aus Deiner Heimatstadt hat es Dich bereits 1997 weg und nach Leipzig gezogen. Was war damals der Grund, dass Du Deine Zelte in der Messestadt aufgeschlagen hast. Dein Studium vielleicht?
Ein Studium war vorerst der plausibelste Grund, die Enge meiner Geburtsstadt zu verlassen, und Leipzig kannte ich schon durch Ausflüge in das dortige Nachtleben und ich hatte Leute da. An diesem Ort entwickelten sich zu dieser Zeit und seit Beginn der neunziger Jahre unterschiedlichste Subkulturen und ihre Szenen, das war spannend, eine neue Welt und natürlich auch die persönliche Hoffnung generell auf "mehr".
Kurze Zeit davor - also 1996 - hast Du angefangen, Musik zu Deinem Beruf zu machen. Was war der Auslöser für Dich, diesen Weg einzuschlagen und wann kam die Initialzündung dafür? Gab es da ein besonderes Erlebnis?
Meine ersten musikalischen Schritte, eigene Songs zu schreiben, also die Anfangstage, reichen bis 1991 zurück. Zu dieser Zeit hörte ich den Song "Should I stay or should I go?" von der britischen Band THE CLASH und ab da war es mir klar. Es ist schwer zu beschreiben, was da mit einem passiert. Auf jeden Fall zeigt mein Weg es. Ich fing an, mich mit der Band, ihrer Geschichte und vor allem mit dem Frontmann Joe Strummer zu beschäftigen, was ihn antrieb und dass er immer wieder eine Position zu den wichtigen Dingen im Kontext seiner Zeit einnahm. Ich spürte damals schon, dass es mehr geben muss, eine Sinnhaftigkeit, und das verstärkte und bestätigte diesen Eindruck noch. Während der Gymnasialzeit in Rochlitz gründete ich 1992 meine erste Band THE ROITS und wir spielten schon regelmäßig Auftritte und waren auch 1994 auf dem DHFK-Sommerfest in Leipzig unter anderem mit Purple Schulz. Diese Band gab es bis 1996 in verschiedenen Besetzungen und es entstanden mehrere "Tapes", der Song "Psycho Therapy" schaffte es sogar bis ins Radio nach Neuseeland und ein anderer, "Never give up", wurde zum Eröffnungssong der Jugend-Dokumentation "Young Connections" der Filmwerkstatt - Chemnitz, der 1995 in Programmkinos in Deutschland und England lief. Da die Entscheidung, "Künstler/Musiker" zu sein, schon längst gefallen war, ging es nicht mehr um das "Was", sondern um das "Wie und wie weiter?". Nach dem Abitur dann Anfang 1996 hatte ich das Angebot, den Platz des Gitarristen der Dark-Wave-Band TRYSTICIA aus Chemnitz zu übernehmen und das war die unmittelbare Möglichkeit, weiter zu machen und vor allem auch Konzerte zu spielen. Wir produzierten die CD "Lust" mit Label und Vertrieb Anfang 1997, gingen auf Tour und supporteten Szenegrößen.
Ich sprach es schon an: Du hast ja sogar Politikwissenschaften studiert. Es scheint also mal eine Alternative zur Karriere als Musiker gegeben zu haben, richtig? Abgeschlossen hast Du das Studium aber nicht. Wieso hast Du es nicht durchgezogen?
Im Endeffekt war das Studium selbst immer nur ein Alibi, eine Verlegenheit, die nur ins Nichts führen konnte. Die gelehrten Inhalte und ihre Felder interessieren mich jedoch bis heute, da es ein sehr umfassendes Studium von politischen Strukturen, ihrer Staats- und Rechtsformen, den zugrunde liegenden ideologischen und philosophischen Ansätzen, der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, der Soziologie und der Geschichte ist.
Nun warst Du also in Leipzig. Wie ging es da für Dich als Musiker weiter? Du hast mir in einem Gespräch erzählt, dass Du bis 2014 mit bzw. in Bands gearbeitet hast. Wann hattest Du Deine erste und in wievielen Bands hast Du Erfahrungen gesammelt?
Leipzig 1997. Ich spielte ja weiter bei TRYSTICIA, noch immer auf der Suche nach meiner Ausdrucksform und Leute, die nach einem Sänger Ausschau hielten. Das war Anfang 1998 und wir begannen Songs zu schreiben und spielten auch regelmäßig Konzerte. Der damalige Keyboarder und ich entschieden uns im Jahr 2000 zu zweit ein Album aufzunehmen. Das war die nächste musikalische Station namens SOLID, das Album erschien 2001 mit Label und weitere Songs entstanden. Das Projekt mauserte sich zur Band und wir tourten auch bundesweit. In dieser Zeit supporteten wir zum Beispiel Alvin Lee von Ten Years After. Dann kam Mitte 2003 mein persönlicher Break und mehr als eine Zäsur, Schluss mit Musik, Vakuum, dieses sollte bis 2007 andauern und mit der Gründung der Band COLBINGER erst beendet sein. Zusammenfassend waren es fünf Bands oder auch Trans-Formationen.
Die Gruppe Colbinger, die auch nach Dir benannt war, war wohl die letzte Band, richtig? Wieso hast Du Dich als Kopf vom Rudel getrennt und bist seitdem als einsamer Wolf unterwegs?
Ja, wir spielten als Trio vom ersten offiziellen Konzert Anfang 2008 bis 2014. Es waren sehr intensive Jahre, zum Beispiel als Vorprogramm von der US-amerikanischen Cross-Over-Legende MOTHER'S FINEST in 2008 oder beim Finale vom deutschlandweiten Bandwettbewerb "Echolot" im Jahre 2012, bei dem wir den 3. Platz erreichten. Generell waren wir sehr viel unterwegs. Wir kamen irgendwann an unser "Dead End", das Ende des gemeinsamen Weges. Retrospektiv musste das so sein, da ich nur durch diese nächste Veränderung letztlich zu mir selbst finden konnte. Ich schrieb mehr Songs als je zuvor und Hunderte Konzerte folgten.
Fehlt Dir das Arbeiten in der Gemeinschaft nicht irgendwie? Das ist doch komplett was anderes als wenn man allein auf der Bühne tätig ist …
Die Reduzierung auf mich selbst hat mir eröffnet, welche Möglichkeiten ich überhaupt habe es selbst zu verantworten, mich kompromisslos auf das Anliegen und den Inhalt meiner Lieder zu konzentrieren, ohne von vornherein in die Abhängigkeit von substituierten Fähigkeiten zu geraten.
Grund für die Einladung zu diesem Interview ist das Album "Sünder, Pilger & Rebell", das am 30. Oktober offiziell erscheinen wird. Der erste Eindruck war, dass die 10 darauf enthaltenen Lieder sehr spartanisch arrangiert sind. Du begleitest Dich selbst auf der Akustikgitarre und erzählst dazu Deine Geschichten. Warum hast Du Dich für diese Schlichtheit in der Musik entschieden und Dein wievieltes Solo-Album ist das inzwischen?
Es ist mein zweites Solo-Studio-Album von bisher sechs Colbinger-Veröffentlichungen und markiert den Beginn der Trilogie "Sünder, Pilger & Rebell". Die Sparsamkeit ist begründet im Weg der letzten Jahre: ein Mann, eine Gitarre. Da ich allein unterwegs bin und die Gitarre die Basis für meine Stimme ist, mit dem Augenmerk auf die Inhalte der Songs, ihre Geschichten, ist diese Reduzierung die logische Konsequenz. Reduziert zum Maximum. Ich möchte, dass meine Zuhörer ein Album mit nach Hause nehmen können, das ich auch LIVE verantworten kann, und im Augenblick ist das der Stand der Dinge und es fühlt sich für mich so richtig und echt an.
Da komme ich wieder auf die Frage mit dem Rudel und dem einsamen Wolf zurück: Hast Du gar keinen Bock darauf zu erfahren, wie Deine neuen Lieder mit kompletter Band und einem dichten Sound klingen würden?
Bandgefüge und Arrangements schließe ich grundsätzlich nicht aus, da ich im Entstehungsprozess meiner Lieder immer eine Band "höre". Die Zukunft ist ja noch nicht geschrieben... und alles ist möglich. Das ist ja das Wunderbare.
Vielleicht erzählst Du selbst einfach mal etwas über diese CD. Welche Themen wird der Hörer vorfinden und welche Erlebnisse, Beobachtungen und Gedanken liegen ihnen zugrunde?
Dieses Album mit dem Untertitel "Sünder - Part1" ist, wie schon erwähnt, der Beginn der Trilogie "Sünder, Pilger & Rebell". In den letzten vier Jahren sind um die 40 neue Songs entstanden und 31 davon finden den Weg auf die drei einzelnen Alben. Seitdem ich solo unterwegs bin, ist es natürlich viel einfacher zu touren und es gibt auch viel mehr Raum für Beobachtungen und das, was einen umgibt, dann zu erleben, zu reflektieren und in den ungefilterten Austausch mit den Menschen zu kommen. Es geht um die Zweifel, die Ängste, die Illusionen, den Betrug, die Sehnsüchte, die Irrungen und Wirrungen, die Manipulationen, die Bequemlichkeiten und das sich selbst im Wege stehen. Es sind Bilder in Metaphern und klare Formulierungen, die aus persönlichen Erkenntnissen aus den Gesprächen und Begegnungen mit meinen Zuhörern resultieren und diese wiederum verarbeite ich in meinen Liedern. Ich verkünde keine Wahrheiten, die zu glauben sind. Es sind Beschreibungen von Situationen und ich ermutige den, der an einer Schwelle steht, in die unbekannten eigenen Tiefen vorzudringen, denn nur da finden sich tatsächlich die Antworten. Meine Lieder und Texte stellen die Verbindung her, was dann passiert, ist immer offen und spannend zu gleich. Möglicherweise kommt man sich selbst ein wenig näher und dadurch allen anderen und anderem auch. Das Ziel ist der Mut zur eigenen Biografie und die Klärung und Versöhnung mit allen Teilen vom Ganzen des Weges.
Wie gehst Du das Songwriting an? Bleiben wir mal bei dieser CD: Wie entsteht so ein Colbinger-Song? Hast Du zuerst einen Text im Kopf, den Du dann mit Musik einkleidest, oder schreibst Du erst die Melodie und machst Dir dann Gedanken über den Text? Und lässt Du Dich von irgendwelchen äußeren Einflüssen bei der Musik lenken oder schaltest Du beim Schreiben eines Stücks komplett ab und verlässt Dich auf Dein Gespür für den richtigen Ton?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Es ist eine Zeile, ein Stichwort, eine Beobachtung, ein Zitat, eine Erinnerung, ein Gedanke, der dann den Grundstein eines Textes, eines Liedes legt. Die Musik, die Akkorde kommen zeitgleich. So ist es bei mir. Ich zwinge mich nicht, es passiert einfach.
Gibt es auf dem neuen Album einen besonderen Song, einen Dir sehr am Herzen liegenden Titel, oder hast Du keinen Favoriten unter Deinen eigenen Liedern?
In diesem Sinne nicht, da ich keinen Song mehr spiele und aufnehme, der dann aus Verlegenheit auf einem Album ist. Sie gehören alle zusammen. Ich stehe hundertprozentig zu jedem einzelnen Song und was für mich äußerst spannend ist, wie sie sich ein jedes Mal beim Livespielen anfühlen. Da gibt es Nuancen im Moment, welches Lied einer persönlichen Stimmung gerade näher kommt, und da wechseln sie sich dann ab. Immer wieder von Neuem.
In den Zeiten, wie wir sie gerade erleben, laufen Plattenveröffentlichungen ja anders als gewohnt ab. Wird es ein Record Release geben oder gehst Du diese Wege pauschal eher nicht? Und wen möchtest Du mit Deiner CD konkret erreichen? Hast Du ein Zielpublikum wie die Kollegen aus der Pop-Abteilung?
Im landläufigen Verständnis von "Record Release" nicht. Das Album ist da, geht mit mir auf die Reise und erreicht dann wiederum diejenigen, die es entdecken wollen oder einfach darauf stoßen. Menschen, für die das Werk und der Künstler eine Einheit bilden und der Besuch eines Konzertes noch ein persönliches audiovisuelles und vor allem sensorisches Erlebnis ist, und für die der Kauf eines Albums von ihrer Wertschätzung zeugt.
Du hast eine eigene Meinung zu bestimmten Themen des Lebens. Wie gehst Du mit Leuten um, die eine andere Meinung haben, die nicht Deinem Weltbild entspricht?
Ich habe grundsätzlich eine Haltung und diese impliziert, dass ich mich irren kann. Das steht einem jeden anderen auch zu.
Du gehörst zu den Musikern die das Glück haben, über eine regionale Bekanntheit bereits hinaus zu sein, ohne einen kommerziellen Erfolg gehabt zu haben. Wie hast Du es geschafft, als ein Künstler ohne große Beiträge im Deutschen Blätterwald und regelmäßigen Erwähnungen in den vielen Boulevardmagazinen, landesweit mit Deinen Konzerten unterwegs sein zu können?
Leidenschaft, Fleiß, Arbeit, Durchhaltevermögen und Inhalte. Das gewachsene Vertrauen der Macher und ihre Orte, an denen ich willkommen bin, wiederkehren kann und es kommen immer wieder welche dazu. Ich mache es, bin mittendrin, dadurch unabhängig und ziehe meine Kreise. Alles kann passieren, doch nichts muss, weil es schon längst ist.
Bei einem Blick auf Deine Homepage gibt es den Pfad in den "Shop". Wer nun eine Auflistung Deiner CDs erwartet findet auch Weiterleitungen zu Streaming-Diensten und Download-Portalen. Findest Du, dass Lieder mit solchen Inhalten, wie Du sie machst, auf solchen Seiten richtig aufgehoben sind. Solltest Du da nicht ein Vertreter für den geerdeten Musikkonsum mit physischen Tonträgern sein?
All diese Musikdienste und Plattformen gehören dazu. Sie dienen einer gewissen Sichtbarkeit, doch man sollte sie nicht überbewerten. Außerhalb des Mainstreams ist meiner Meinung nach schon ein Umdenken im Gange, da diese Art von Verwertung eine völlige Abwertung von Musik/Kunst darstellt. Was mich betrifft, erfahre ich die Aufmerksamkeit und Wertschätzung meiner Zuhörer vor allem bei den Konzerten, die ihre Erweiterung im Kauf der aktuell zwei physisch erhältlichen Alben und auch der zwei bisherigen Gedichtbücher zunehmend zeigt.
Was liegt als nächstes bei Dir an. Gibt es schon Pläne für die nahe Zukunft?
Ich habe seit ca. fünf Jahren eine sehr produktive Schaffensphase. Die zwei weiteren Alben der Trilogie "Sünder, Pilger & Rebell" gilt es aufzunehmen. Ein drittes Gedichtbuch ist schon fertig geschrieben und auch noch zwei Zitatenbüchlein stehen vor ihrer Vollendung. Im nächsten Jahr wird es noch den zweiten Teil der Kompilation "Today, The Past & Rarities" geben, die 22 unveröffentlichte Songs von 1997 bis 2020 umfasst und den Kreis zu meiner musikalischen Vergangenheit bis hier schließt. Des Weiteren sind Konzerte und Auftritte geplant, die Reise geht weiter, wohin auch immer sie mich führt.
Hast Du noch ein paar abschließende Worte für unsere Leser?
Vielen Dank für Dein Lesen und Entdecken. Danke, dass Musik mehr als nur eine Wegwerfware ist. Sie bringt uns zusammen und kann so viel Gutes bewirken. Ich wünsche jeder und jedem, dass es etwas im Leben gibt, das Sinn stiftet und Erfüllung daraus erwächst. Bleibt offen im Blick und vielleicht sehen wir uns an dem einen oder anderen Ort. Salut aus dem Süden.
Interview: Christian Reder
Fotos: Pressematerial des Künstlers (u.a. von Johann Ebend, Justin Hansemann)
Fotos: Pressematerial des Künstlers (u.a. von Johann Ebend, Justin Hansemann)