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Interview vom 19. September 2020



Kurz vor Beginn des ersten Konzerts von STERN MEISSEN seit dem Corona-Lockdown auf dem 8. Artrock Festival im vogtländischen Reichenbach hatte unser Kollege Bodo Gelegenheit, mit Bandgründer Martin Schreier und mit Sänger und Keyboarder Manuel Schmid ein umfangreiches Interview zu führen.001 20201002 1701316382 Beide Musiker aus unterschiedlichen Generationen gaben in entspannter Atmosphäre Auskunft über das gerade erst veröffentlichte Album "Freiheit ist" und über wissenswerte Dinge aus dem Bandgefüge ...




Euer erstes Konzert seit Ausbruch der Corona-Pandemie wird heute hier in Reichenbach stattfinden. Wie fühlt sich das an?
Manuel: Na ja, die Spannung steigt auf jeden Fall. Wir gehen heute ja mit neuem Material ins Konzert und da ist die Aufregung schon ein wenig größer als bei sonstigen Konzerten. Es ist auch eine unheimliche Freude, endlich mal wieder spielen zu können. Wir fiebern dem Auftritt schon entgegen.

Wie habt ihr die letzten Monate, also die Zeit des Lockdowns, überstanden?
Martin: Der Manuel zum Beispiel hatte sehr viel zu tun. Er hat vor allem an der Fertigstellung der neuen CD gearbeitet. Da hat er eine Menge zu tun gehabt mit der Musik, den Texten und den Aufnahmen. Und die anderen Kollegen ... Na, ja, wie das eben so ist. Wenn du nicht spielen darfst, dann kannst du eben nicht spielen. Und ich? Ich habe einen Englischkurs gemacht, bis Ostern.
Manuel: Tatsächlich, Rabe (Spitzname von Martin Schreier) hat einen Englischkurs gemacht. Dem durfte ich sogar des Öfteren beiwohnen. Er hat mir dann immer so verschiedene Satzformulierungen aufdiktiert und ich sollte dann beantworten, welche richtig sind und welche falsch. Er hat quasi seine Tests an mich weitergegeben. (lacht)

Du hast also für die Richtigkeit seiner Hausaufgaben gesorgt.
Manuel: Das könnte man so sagen.
Martin: Wir haben doch damals nie so richtig Englisch gehabt in der DDR. Russisch mussten wir lernen. Das kann ich noch ein bisschen.
Zuruf aus dem Hintergrund: Mеня зовут Йенс. (Jens sollte eigentlich längst den Raum verlassen haben.)
Martin: Mеня зовут Мартин Шрайер. Siehste, ich kanns noch.

Für die Kulturschaffenden brachte die Corona-Pandemie tiefe Einschnitte mit sich. Bands hatten keine Auftrittsmöglichkeiten mehr und somit auch keine Einkünfte. Clubs, Veranstaltungstechniker, Caterer, Booker usw. kämpfen ums Überleben. Wie kommt ihr mit dieser Situation zurecht?
Martin: Na ja, es ist natürlich schwierig für Künstler und Soloselbständige in dieser Zeit. Was uns anbelangt, so haben wir vor dem Konzert heute hier in Reichenbach ein paar Tage zusammen geprobt. Es war eine große Freude, als wir uns alle gesund und munter wiedergesehen haben. Das gemeinsame Musikmachen hat uns gefehlt. Was Corona anbelangt, bleibt natürlich die Hoffnung, dass sich das Thema in alsbaldiger Zeit erledigt und wir dann wieder normal auf Mugge gehen können.

002 20201002 1108920877Ihr präsentiert euch mit dem neuen Album "Freiheit ist" wieder unter dem Namen STERN MEISSEN, also ohne das Wörtchen Combo. Diesen Namen trug die Band von 1980 bis in die frühen 90er Jahre schon einmal. Damals änderte die Band mit IC Falkenberg als neuem Sänger ihre musikalische Ausrichtung, hin zu eher eingängiger Popmusik. Wie kamt ihr auf die Idee, jetzt, nach vierzig Jahren, diesen Schritt erneut zu gehen?
Manuel: Wenn man in den Medien auftaucht und man liest das Wort "Combo", dann wirkt das schon in irgendeiner Form antiquiert und ein bisschen unbeholfen. Letztendlich war es eine banddemokratische Entscheidung, dass wir uns nur noch STERN MEISSEN nennen wollen. Wenn manche der Fans uns auch weiterhin Stern-Combo nennen wollen, so sind wir für die natürlich auch immer noch die Combo. Es ist nur so, glaube ich, wenn du ein neues Produkt medial präsentierst, ist STERN MEISSEN als Marke doch fundamentaler als Stern-Combo.
Martin: Für mich ist es gehupft wie gesprungen.
Manuel: Es ist für alle gehupft wie gesprungen. Doch haben wir gesagt, wenn wir das neue Album jetzt präsentieren, läuft es unter dem Namen STERN MEISSEN, einfach weil wir meinen, so medial besser aufgestellt zu sein. Und ich muss noch was ergänzen. Die Band hieß auch schon STERN MEISSEN, als sie noch vorrangig Prog-Rock gespielt hat. "Reise zum Mittelpunkt des Menschen" oder die LP "Stundenschlag" wurden auch unter dem Namen STERN MEISSEN veröffentlicht. Daher ist der Schluss falsch, zu sagen, STERN-COMBO MEISSEN sind die 70er Jahre und die Artrock-Zeit und STERN MEISSEN waren die 80er mit IC als Sänger. Das stimmt so nicht.
Martin: Das hing damals damit zusammen, dass wir in die Sowjetunion gefahren sind und dort eine lange Tournee gemacht haben. Und es kam uns schon damals komisch vor, dieses "Combo" im Namen zu haben. Deswegen haben wir das ab 1980 eingekürzt. So hießen wir schon da STERN MEISSEN. Mir ist das egal. Ich finde, Stern-Combo, das hat irgendwas... (lacht)
Manuel: Ja, das hat einen kultigen Charakter, wenn du hier auf einem Festival spielst, dann passt das. Aber wenn du dich jetzt im Radio oder Fernsehen präsentierst, finde ich es irgendwie doof, wenn du Combo heißt.

Für viele eurer treuen Fans bleibt ihr aber immer die Stern-Combo, wie mir heute schon einige im Saal gesagt haben.
Manuel: Das ist doch auch okay so.

Manuel, du bist jetzt seit 8 Jahren in der Band. 2012 kamst du als neuer Sänger hinzu. Später, nach dem Tod von Thomas Kurzhals († 2014), hast du seine Stelle als Keyboarder eingenommen. Wie schätzt du die Entwicklung ein, die du mit der Band in diesen Jahren erlebt hast?
Martin: Das müsste ich eigentlich beantworten, denn ich sehe den ganzen Bogen der Bandgeschichte. Ich finde schon, dass die Zeit mit Manuel eine Rückkehr zu wirklich ernsthafter und anspruchsvoller Musik ist. Nimm zum Beispiel Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung", die wir mit einem Sinfonieorchester neu eingespielt haben, und dann auch auf CD und DVD veröffentlichen konnten. Das war schon sehr anspruchsvoll. Und jetzt hat sich dieser Anspruch in dem neuen Album "Freiheit ist" manifestiert, welches ich für sehr gelungen halte, gerade in Bezug auf die Tradition von Stern Meißen, auch in Bezug auf Artrock und auf Pop-Musik. Es ist ein Sammelsurium von Musik, bei dem ein Zuhörer sofort den Sound von STERN MEISSEN wiedererkennt. So haben es mir zumindest Freunde erzählt, denen ich das Album vor der Veröffentlichung vorgespielt hatte. Die haben gesagt, das klingt nach Stern, schon nach wenigen Takten.
Manuel: Ich will noch hinzufügen, dass sich viele gefragt haben, warum das Album nicht schon früher erschienen ist, warum erst jetzt im Jahr 2020. Das sind doch Ewigkeiten, die seit dem letzten Studioalbum vergangen sind. Man geht ja nicht mit jeder Idee, die einem so kommt,003 20201002 1333496886 gleich hausieren. Ich fand es schon immer gut, wenn man Dingen auch einen gewissen Entwicklungsprozess zugesteht, so dass man später noch mal aus anderer Sicht darüber schauen kann. So in der Richtung: passt das musikalisch, ist das von der textlichen Aussage korrekt, oder kann man das noch etwas anders formulieren? Ist das zu banal oder ist das zu schwermütig? Du weißt, was ich meine. Man muss da einfach gucken. Schließlich hat man auch eine Referenz auf die bisherigen Alben und auf die Musik von Stern. Daran orientiert man sich natürlich. Mir war es wichtig, dass sich das neue Album nahtlos in das Gefüge der bisherigen Alben einreiht und dass nicht gesagt werden kann, was haben die denn jetzt für eine Platte gemacht, das passt doch überhaupt nicht. Deshalb hat das so lange gedauert.
Martin: Ich freue mich sehr über unser neues Produkt. Ich habe schon oft feststellen müssen, dass neue Alben von gestandenen Bands aus dem damaligen Osten - ohne hier jetzt Namen zu nennen - kaum noch Bezug zu dem haben, was diese Bands früher ausmachte. Ich hatte dann oft das Gefühl, dass sich deren Musik vereinfacht hat, dass sie dem Mainstream hinterhergelaufen sind, nur um kommerziell erfolgreich zu sein. Das ist jedoch auch denen meist nicht gelungen. Wenn ich das so vergleiche, bin ich als Altvorderer sehr glücklich darüber, dass unser Album "Freiheit ist" eine qualifizierte Fortführung der Tradition von STERN MEISSEN darstellt.
Manuel: An dieser Stelle muss ich Marek Arnold mit ins Spiel bringen, der einen nicht ganz unwesentlichen Anteil am Entstehen dieses Albums hat. Wie du selbst weißt, bin ich mit Marek seit vielen Jahren dabei, Songs zu komponieren. Dadurch haben wir ein gutes Fundament, auf dem wir bauen können. Marek ist jemand, der mich auch ein bisschen anstachelt. Es kommen Ideen von zwei Seiten auf den Tisch, die den kompositorischen Prozess intensivieren. Würde ich das allein machen, wäre alles etwas schwieriger. Mit Marek als Gegenpart, der auch später nochmal über alles drüber schaut, werden die Songs rund. Es ist fundamental für mich, dass ich in Marek einen Kreativpartner habe. Das trifft jetzt nicht auf alle Songs zu, doch gerade auf die Titel, die in diese progressive Schiene passen, die STERN MEISSEN in den 70er Jahren bekannt gemacht haben. Da ist es schon gut gewesen, dass er Hand mit angelegt hat.

Der Text des Titelsongs "Freiheit ist" stammt von dem Berliner Textdichter Andreas Hähle. Hähle sagt darin z.B. "Deine Freiheit kannst du nur selber für dich sein". Was bedeutet Freiheit für euch, gerade jetzt, wo es viele "besorgte Bürger" gibt, die meinen, durch die Corona-Schutzmaßnahmen in ihrer Freiheit beschnitten worden zu sein?
Martin: Eine fundamentale Antwort ist schnell gegeben, wenn man in der ehemaligen DDR aufgewachsen ist. Damit meine ich Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Pressefreiheit, Reisefreiheit und, und, und ... Wenn man es persönlich betrachtet, ist es natürlich etwas diffiziler.
Manuel: Freiheit ist für mich, wenn du in dir selbst keine Zwänge spürst. Wenn du dir selbst sagen kannst, ich bin ausgeglichen und ich habe meinen Lebensstandpunkt gefunden. Wenn du sagen kannst, so möchte ich leben und das möchte ich auch gern mit anderen teilen. Wenn diese Komponenten in einem selbst sind, und man eine innere Ruhe hat, dann ist schon viel gewonnen, glaube ich. Dann ist man frei. Für mich geht es darum, selbstbestimmt zu sein.

004 20201002 1672983603Die meisten der neuen Songs, wie "Freiheit ist", "Kein einziges Wort" oder "Einer unter Gleichen", scheinen kompositorisch sehr durchdacht und strukturiert zu sein. Wie entstehen solche Melodien und Harmoniefolgen? Sind zuerst die Texte vorhanden oder entsteht erst die Musik?
Manuel: Hm ... Das ist sehr unterschiedlich. Das kann man nur an konkreten Beispielen festmachen. Nehmen wir den Song "Freiheit ist". Die Grundidee ist auf einer Probe entstanden, als wir vor zwei Jahren mit dem Orchester in Böhlen gespielt haben. Während die Orchestermusiker ihre Mittagspause gemacht haben, sind wir als Band noch ein wenig zusammengeblieben, um noch weiter Musik zu spielen. Dabei ist das spontan entstanden. Sebi (Sebastian Düwelt - Keyboards) spielte uns dort die Akkorde der Strophe vor. Frank (Frank Schirmer - Drums) und ich haben dann dieses Intro entwickelt. (Manuel singt die Melodie) … Das kam ganz spontan. Irgendwie haben wir uns gegenseitig die Bälle zugeworfen. Eine Woche später trafen wir uns dann wieder, um weiter an der Komposition zu arbeiten. Vorrangig Sebi und ich haben dabei verschiedene Motive vorgestellt, und so wurde daraus Stück für Stück ein Song. Anschließend haben wir das musikalische Gerüst mit einer la-la-la Gesangsmelodie als Demo aufgenommen und es Andreas Hähle zukommen lassen. Der hat dann den Text dazu geschrieben. Bei "Einer unter Gleichen" war es anders. Die Grundidee zu dem Stück brachte Marek mit. Wir trafen uns im Studio, um gemeinsam zu improvisieren. Dabei entstand dieses Motiv ... (Manuel singt es vor) Spontan warfen wir uns auch hier die Bälle zu, und haben Mareks Idee so immer weiter ausgebaut. Mit dem Stück wollten wir zeigen, was man aus der Harmoniefolge C-Dur, A-Moll, F-Dur und G-Dur auch noch machen kann. Das war der eigentliche Sinn dieser Übung. Weil wir uns gesagt haben, im Radio hört man immer nur noch diese simple Harmoniefolge C-Dur, A-Moll, F-Dur, G-Dur. Also setzen wir uns hin und probierten, ob vielleicht noch was anderes geht, ob man es vielleicht noch etwas anspruchsvoller gestalten kann.

Dazu brauchst du aber auch Leute, die dies fachlich beherrschen ...
Manuel: Das weiß ich jetzt nicht. Auf jeden Fall musst du auch ein bisschen verrückt dabei sein und ein paar Ideen zusammenspinnen. Wenn das gegeben ist, dann bist du auch kreativ. Auch das hat mit frei sein, mit Freiheit zu tun. Wir haben das Glück, dass wir an keiner Plattenfirma hängen, die uns irgendwelche Vorgaben macht. Als gestandene Band können wir an der Stelle machen, was wir wollen. Das ist ein großer Vorteil. Wir gehen aber immer mit einem sehr hohen Anspruch ans Werk. Wenn die beiden Komponenten sich dann verzahnen, ist schon viel gewonnen.

005 20201002 1467001826In euren Texten verarbeitet ihr überwiegend Alltagsthemen, manchmal pathetisch, manchmal lyrisch umschrieben. Viele der Texte stammen von dir, Manuel. Dieter und Marek Arnold sind als Texter auf dem Album benannt. Wie findet ihr eure Themen und wie schafft ihr es, diese in Worte zu kleiden?
Manuel: Dieter Arnold ist übrigens der Vater von Marek. Die Themen kommen von Dingen, die mich und auch die anderen so beschäftigen. Wenn mich ein Thema sehr beschäftigt, dann brauche ich ein Ventil. Einen Text daraus zu kreieren, ist für mich dann solch ein Ventil. Es ist unheimlich schwer, immer die richtigen Worte zu finden, und vor allen Dingen, diese dann auch noch in eine Liedform zu bringen. Das Schreiben der Texte dauert meistens am längsten. Musik ist relativ schnell geschrieben. Aber wenn es ans Texten geht, wird es haarig. Man muss dann aufpassen, was man sagt und wie man es sagt. Man will weder banal noch überheblich rüberkommen. Ich versuche immer, eine gesunde Ausgeglichenheit in meinen Texten zu finden. Ich gebe dir recht, wenn du sagst, manche Texte würden pathetisch klingen. Das ist ganz klar, denn wir orientieren uns auch an der Werner Karma- oder Kurt Demmler-Schule. Das ist für mich die Vorgabe. Ich habe einfach keine Lust, von Tri-Tra-Trullala zu singen. Und das müssen wir auch nicht. Das hat STERN MEISSEN nicht nötig. Das hatte die Band noch nie nötig.

Für mich klingt das Album bereits von den ersten Takten an sehr authentisch, eben nach STERN MEISSEN, so wie ich die Band seit vielen Jahren kenne. Wie habt ihr es geschafft, diesen typischen Band-Sound beizubehalten und trotzdem modern zu klingen?
Manuel: In erster Linie dadurch, dass wir die alten Instrumente weiterhin verwendet haben. Du hörst das Mellotron, den Mini-Moog, du hörst die Hammond-Orgel. Also, die ganzen Komponenten, die das Soundspektrum von STERN MEISSEN bisher ausgemacht haben, kamen wieder zum Einsatz. Man guckt aber auch, wie die Songs damals gemacht wurden. Bei dem Stück "Schattenwand" hatte ich die Idee, einen Mix aus "Also was soll aus mir werden" und "Stundenschlag" zu machen. Marek und ich trafen uns dazu im Studio, um die genannten Songs zu analysieren. Wir wollten wissen, was diese beiden Stücke ursprünglich so ausmacht, und was ist bei ihnen wichtig ist. Also, welches Riff muss betont werden und wie ist die Melodieführung? Das sind so Dinge, die wir versucht haben zu ergründen, Orientierungspunkte eben. Das wollten wir dann auch bei "Schattenwand" einbringen. Dabei haben wir uns bewusst an der Kunstform des Artrock der 70er Jahre orientiert, weil wir das selbst auch am ehesten mögen. An dieser Stelle will ich auch noch Martin Schnella erwähnen, der dem Album durch seinen abschließenden Mix einen fantastischen Sound verliehen hat.
Martin: Es ist ja bekannt, dass wir auch 2011 ein Album rausgebracht haben. Am Entstehen der Songs waren damals viele Leute beteiligt. Eigentlich hätte auch das ein gutes Album werden können, doch haben wir es irgendwie verschossen. Der damalige Sänger und einige der anderen Musiker sind ja dann irgendwann nicht mehr gekommen. (lacht) So will ich das jetzt mal formulieren.006 20201002 1418668861 Deshalb war die Platte eigentlich verschenkt, trotz einiger guter Stücke. Aber im Vergleich zu "Freiheit ist" kann das Album nicht mithalten. Zum damaligen Album müsste man das alte Sprichwort mit den vielen Köchen zitieren. Irgendwie fehlte dem Album der rote Faden. Die neue CD ist dagegen aus einem Guss. Das ist eine fundamentale, traditionelle STERN MEISSEN-Symbiose.
Manuel: Wir haben das neue Album konzeptionell so angelegt, dass es möglichst die gesamte Bandbreite von 56 Jahren STERN MEISSEN abbildet, mit allen Epochen, die es mal gegeben hat. Das war schwierig. Ewigkeiten haben ewig daran gesessen, da einen roten Faden hinein zu spannen. Es gab zehn oder elf Ideen, wie die Reihenfolge der Titel aussehen könnte. Letztlich hat unser Bassist Axel (Schäfer) die Reihenfolge zu 90% bestimmt, so dass wir alle damit leben konnten. Das war ein unglaublich langer Prozess.

Auf dem neuen Album ist ab und zu wieder eine Gitarre zu hören. Bei Konzerten habe ich euren Tontechniker René (Niederwieser) auch schon mit der Gitarre bei euch auf der Bühne erlebt bzw. ihn das Instrument am Mixer mitspielen sehen. Habt ihr Ambitionen, die Gitarre wieder häufiger einzusetzen?
Manuel: Ja, im hinteren Teil unserer Konzerte, wenn's dann ins Finale geht. Da haben wir wirklich vor, mit René wieder einige Sachen zu machen.
Einwurf Martin: Wenn er denn Lust hat ...
Manuel: Unsere Musik ist ja sehr Keyboard-lastig. Da bringt eine Gitarre schon etwas mehr Würze mit rein und eine andere Note, die unsere Musik ganz gut gebrauchen kann.

Das Album enthält auch wieder eine Klassik-Adaption. Wer hatte die Idee, ein Stück von Robert Schumann zu adaptieren? Manuel: Ich habe dieses Stück früher selbst im Klavierunterricht gespielt, und ich finde, dass es ein gutes Pendent zu unserer Adaption von Vivaldis "Frühling" ist. Die neue Adaption erinnert ja auch ein bisschen an den "Frühling". Die ganzen Synthesizer und Keyboards, die Melodien, wie das Stück aufgeteilt ist, alles ist daran angelehnt. Man könnte es auch "Frühling Part 2" nennen. Nur dass es diesmal kein Barock-Stück, sondern ein romantisches Schumann-Stück ist.

"In den Kosmos 2020" bezeichnete die Bild-Zeitung als ein Lied für Sigmund Jähn. Wie schaffte es dieses Stück aus dem Jahre 1978 auf das neue Album?
Manuel zu Martin: Da musst du wohl erst mal erklären, wie es damals zu diesem Stück kam.
Martin: Das ist eine schwierige Sache. (lacht) Ne, ich hab' nichts gegen den Song. Das ist ein würziges Stück, aber ... (überlegt kurz) … Der Hintergrund ist schon ein bissel diffizil. Das war in tiefster DDR-Zeit. Diejenigen, die schon ein wenig älter sind, kennen das noch aus eigener Erfahrung. Es gab damals Kampagnen für dieses und jenes. Und so gab es auch eine Kampagne für den großartigen Sigmund Jähn, der ja bekanntlich als erster Deutscher bzw. als erster DDR-Mann da oben im Weltraum rumgeschwirrt ist.007 20201002 2031035883 Wir haben das schon bewundert und geachtet, dass gerade jemand von uns da oben ist. Aber die Kampagne ging uns natürlich auf den Keks. Man ist damals an uns herangetreten … Und ich habe mich zu DDR-Zeiten als Verantwortlicher immer geweigert, bei irgendeiner Kampagne mitzumachen. Manchmal war es unumgänglich, wie in diesem Fall. Und es war ja auch nicht ganz so politisch. Es diente ja mehr der Wissenschaft und der Achtung gegenüber Jähn.
Manuel: Norbert Jäger (Gründungsmitglied der Band, † 2017), von dem der Text zu dem Stück stammt, war ja auch immer der Wissenschaft sehr zugetan. Ich glaube, der Impuls ging eher von ihm aus.
Martin: Jedenfalls haben wir es dann gemacht. Wir hatten damals Spaß beim Einspielen und wir haben immer über dieses Stück geschmunzelt. Doch leider war dieser Song bisher auf keiner Platte drauf. Wir haben ihn in letzter Zeit öfter mal in Konzerten gespielt. Und das Eigenartige ist, dass die Leute offensichtlich darauf stehen.
Manuel: Übrigens, die ganzen Sequenzer-Sachen, die zu hören sind, (Manuel singt die Melodie) hat Thomas Kurzhals damals von Hand eingespielt. Es gab ja noch keinen Sequenzer. So etwas gab's doch im Osten nicht.

Mich interessiert noch etwas anderes zu dem Stück. Während meines Grundwehrdienstes habe ich in den 80er Jahren als Tastfunker das Morsealphabet lernen müssen. Was bedeuten die Morsezeichen in dem Stück? Ich höre da eine Zeichenfolge von: k - i - 6 - g - u
Manuel: Oh ... Das hat nichts zu bedeuten. Das ist intuitiv gespielt und passte gut in die Musik. Das ist Freestyle …

Martin, in dem Song "An jenem Abend" singst du die Zeile "Leben möcht' ich, dass ich finde diesen einen Stein, ... der mir den Quell des Lebens zeigt und Träume weiter wachsen lässt". Wie sehen deine Träume in Bezug auf STERN MEISSEN aus?
Martin: Ganz einfach ... Dass endlich die ganze Corona-Sch... beendet ist und wir wieder spielen können. Ich möchte wieder Spaß bei den Muggen haben.

Euer Konzert beginnt in wenigen Minuten. Welche der neuen Songs haben es ins aktuelle Programm von STERN MEISSEN geschafft?
Manuel: Das willst du jetzt wirklich wissen, Bodo, ja?

008 20201002 1519544922Ja! Nach dem Konzert kann ich die Frage ja selbst beantworten. Ich möchte es aber jetzt von euch wissen.
Manuel: Ja also ... Wir haben auf jeden Fall "Freiheit ist" im Programm. "Nimm die Welt in die Hand" wird gespielt, der "Kosmos" wird gespielt, "Samt in neuen Farben" wird dabei sein und natürlich auch "Kein einziges Wort" sowie "An jenem Abend". Wir wollten eigentlich auch "Einer unter Gleichen" mit reinnehmen. Aber dadurch, dass wir heute auch schon gewisse Werke im Programm haben, die du auf solch einem Festival einfach spielen musst, haben wir das Stück weggelassen. In den nächsten Konzerten kommen auf jeden Fall noch "Schattenwand" und "Einer unter Gleichen" hinzu.

"Weißes Gold" und "Reise zum Mittelpunkt des Menschen" waren seinerzeit erfolgreiche Konzeptwerke der Band. Könntet ihr euch vorstellen, mal wieder so ein komplexes Werk zu erschaffen?
Manuel: "Bilder einer Ausstellung" war ja auch ein Konzept-Werk. Und selbst "Freiheit ist" kann man in Bezug auf 56 Jahre Bandgeschichte als Konzeptalbum betrachten.

Meine Frage bezieht sich mehr auf die Zukunft ...
Manuel: Ich weiß schon, was du meinst ... Das ist jedoch schwierig, weil so etwas immer mit einem extremen Aufwand und mit hohen Kosten verbunden ist. Ich habe letztens in einem anderen Interview schon mal gesagt, mein großer Traum wäre es, die ganze Stern-Meißen-Musik mal mit einem Orchester aufführen zu können. Aber ein Konzeptalbum im traditionellen Sinne wird es so wohl nicht mehr geben, zumindest nicht in absehbarer Zeit. Weil du auch heutzutage nicht mehr das Publikum für solche Sachen hast. Ich glaube nicht, dass es noch Leute gibt, die sich da 1 ½ Stunden hinsetzen, um sich Werke wie "Die Reise zum Mittelpunkt des Menschen" anzuhören und die auch noch versuchen zu verstehen, um was es da überhaupt geht.
Martin: Das ist eigentlich der Hauptgrund. Damals war das Publikum für experimentelle Musik viel offener. Was wir damals so alles gespielt haben. 1975 hatten wir zum Beispiel die Fusion mit den KLOSTERBRÜDERN. Das war eine Musik aus Artrock, Free-Jazz, Punk-Rock ... So etwas könntest du heute gar nicht mehr machen.009 20201002 1390694287 Das war 'ne ganz andere Zeit ... Mit diesen Werken und der experimentellen Musik, die wir 1975 mit der Fusion gespielt haben, war es doch so, dass dies auch einen gewissen Ausbruch aus der gesellschaftlichen Gleichförmigkeit darstellte. Es hatte auch einen Hauch des Oppositionellen, so etwas Verrücktes zu machen, was überhaupt nicht in das Kultur- und Kunstklischee der DDR passte. Es sollte bewusst ein Gegenpart gegen eine gewisse berühmte Band von damals darstellen, die so 'ne Art Volksmusik machte. Deren Namen will ich jetzt aber auch nicht nennen.
Manuel: Und ein Publikum für so etwas gab es damals halt auch!
Martin: Genau, das Publikum war da und es hat das auch verstanden, was wir gemeint haben. Bei Stern ging es danach weiter mit "Weißes Gold", "Licht in das Dunkel" und natürlich mit "Reise zum Mittelpunkt des Menschen".
Manuel: Nimm mal das jetzige Festival. Natürlich sind hier Leute, die auf solche Musik abfahren. Aber es gibt auch viele Fans, die kommen von hier und von dort, extra wegen uns. Die erwarten von der "Combo", dass sie das Stück spielt und dass sie das Stück spielt, und jenes darf auch nicht fehlen. Es gibt dadurch eigentlich keinen Nährboden mehr dafür, ein Konzept auszubauen. Sonst müsstest du genau diesen Leuten sagen, jetzt vergesst mal alles was gewesen ist. Wir schmeißen jetzt alles weg und machen was Neues. Heute lockst du mit so komplexen Dingen niemanden mehr hinterm Ofen hervor.

Zum Schluss die Frage, wie eure Pläne und Wünsche für die Zukunft aussehen?
Manuel: Wir wollen erstmal wieder gemeinsam auf Tour gehen, wenn das wieder möglich ist, um unser neues Album zu präsentieren. Zurück zur Normalität, wäre gut.

Für das Konzert wünsche ich euch viel Erfolg, und danke, dass ihr euch vorher die Zeit genommen habt.



Interview: Bodo Kubatzki
Bearbeitung: cr
Fotos: Pressematerial Band, Bodo Kubatzki




   
   
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