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Interview vom 1. März 2020

 

"Lass sie rein", lautet Stoppoks Aufruf zur Menschlichkeit. Zeigt Mitgefühl und Nächstenliebe, seid füreinander da, ist die Botschaft, die in dem Lied steckt. Kaum als Video veröffentlicht, hagelt es Beschimpfungen für den Künstler. Mehr noch, auch mit Mord wird gedroht. Etwas, das der im Ruhrgebiet aufgewachsene und in Hamburg geborene Musiker bisher in dieser Form wohl noch nicht erlebt hat. Dabei feiert er in diesem Jahr das 40-jährige Dienstjubiläum und hat in all den Jahren schon eine Menge gesehen und gehört. Mit der Stender Band und Erfolgen im Ausland fing alles an. Diverse Alben und unzählige Konzerte später ist der Mann mit der markanten Stimme und den messerscharfen Texten eine in der deutschen Musiklandschaft nicht mehr wegzudenkende Größe. Mit "Jubel" hat Stoppok gerade ein neues Album vorgelegt,001 20200302 1922129257 auf dem er gefühlt leisere Töne anschlägt und mit dem er den kompletten Monat März auf Tour sein wird. Zwischen Album-Veröffentlichung und Tourstart hatte unser Kollege Christian die Gelegenheit, sich mit dem Musiker über das neue Album, die Tour und den eingangs erwähnten Shitstorm mit seinen Folgen zu unterhalten ...




Bis vor wenigen Jahren hätte ich niemals gedacht, dass sich mal jemand, der sich für Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft einsetzt, einem Shitstorm inklusive Morddrohungen aussetzen muss. Wie viel Glaube an das Gute im Menschen ist bei Dir nach den Vorkommnissen im Dezember übriggeblieben?
Genauso viel wie vorher auch. Das war ja irgendwie mal zu erwarten. Wir kennen das aus der Geschichte, dass alle Menschen, die sich für die gute Sache einsetzen, damit konfrontiert werden. Jetzt wird es eben durch das Internet auch sichtbar. Mich hat das jedenfalls überhaupt nicht überrascht und es nimmt mir auch nicht den Glauben. Ich glaube nach wie vor, dass es mehr gute, liebe und gerechte Menschen auf der Welt gibt als irgendwelche Hater.

Wenn einem aus der dunklen Ecke, in die kein Licht scheint und in der man nichts erkennen kann, mit Mord gedroht wird, nimmt man das ernst oder schiebt man das mit dem Gedanken beiseite, dass es eh nur ein Troll ist, der einem schon nichts tun wird?
Am Anfang kam es richtig massiv. Das war zu dem Zeitpunkt, als Sebastian Krumbiegel meinen Song und das dazugehörige Video geteilt hatte. Sebastian ist ja sowieso im Fokus der Verschwörungstheoretiker. Da passierte es im Sekundentakt, man konnte wirklich die Uhr danach stellen. Nach einer Stunde ging es los. Wenn Du die ersten Nachrichten liest, berührt Dich das natürlich, weil man einfach menschlich auf so etwas reagiert. Das hat also erstmal ganz schön reingehauen. Wenn man sich aber damit beschäftigt, wird ganz schnell klar, dass da eine ganze Armee von Hatern und Trollen im Netz unterwegs ist, die einfach so losballern.

002 20200302 1463532335Es geht in dem Lied "Lass sie rein", über das wir hier gerade reden, gar nicht in erster Linie um das Thema Flüchtlingspolitik, sondern darum, dass man Menschen helfen soll, die in Not geraten sind. Das verstehe ich doch soweit richtig, oder?
Das verstehst Du absolut richtig. Es ist eben so, wie es in Liedern sein soll, dass ich nur ein bestimmtes Gefühl dargestellt habe. Als ich mir bewusst machte, was da abgeht, nämlich dass die Leute vor der Tür stehen und in Not sind und hinter der Tür welche stehen, die überlegen, wen sie nun reinlassen wollen und wen nicht, das ist schon ein Unding. Anfangs habe ich auch überlegt, ob "Lass sie ALLE rein" die richtigen Worte sind, denn genau das hat sich ja dann als Knackpunkt herausgestellt. Aber in dieser Situation sagt man eben, "Lass sie ALLE rein", weil man erst hinterher entscheiden sollte, wie man damit umgeht.

Wer hat denn den Clip dazu gedreht, der der Auslöser des Ganzen war?
Das war Sebel, der auch bei mir mitspielt. Der hat ein begnadetes Händchen dafür. Das Tolle an dem Video ist ja, was aber gleichzeitig auch viele auf die Palme gebracht hat, der Bogen vom 2. Weltkrieg über die DDR-Grenzöffnung bis hin zur heutigen Migrationsthematik.

Der Song "Pack mit an" ist ein weiterer Song vom neuen Album "Jubel" und ein Aufruf an jeden, die Gesellschaft und die Welt ein bisschen besser zu machen und friedlicher zusammen zu leben. Sind da jetzt auch die Zeitgenossen dabei, von denen wir gerade sprachen? Also solche, die anderen mit Gewalt drohen, wenn sie nicht die eigene Meinung vertreten? Sollen die auch mit ins Boot geholt werden, um an einer gemeinsamen Zukunft zu bauen?
Im Prinzip hat jeder die Chance mitzumachen. Wenn einer aber zu dumm ist, wird er auch nicht vor dieser Entscheidung stehen, weil er einfach nicht die Hirnzellen dafür hat, die es ihm ermöglichen, selber Entscheidungen zu treffen. Solche Leute gibt es ja leider.003 20200302 1267642183 Ich glaube, ich hatte vor Augen, dass man immer diese zwei Möglichkeiten hat: man kann demonstrieren und Steine werfen oder man kann stattdessen anfangen, selbstständig und direkt etwas zu verändern. Die zwei Dinge, zwischen denen man sich in der Regel immer entscheiden kann, das ist die eigentliche Aussage des Songs.

Die Frage stelle ich deshalb, weil es ja ein ziemlich romantischer Gedanke ist. Auf allen Kanälen schlägt Links auf Rechts und Rechts auf Links verbal ein, die Mitte mischt sich ebenfalls ein und inzwischen ist unsere Gesellschaft gespalten wie nie zuvor. Glaubst Du, dass das irgendwie wieder zu kitten sein wird und wenn ja, wie lange wird sich das hinziehen?
Das kommt vor allem auf die Politik an. Das funktioniert in dem Moment, wo die Politik nicht mehr versucht, es allen gerecht zu machen bzw. dann, wenn sie einfach nach demokratischen Gesichtspunkten handeln. Dann regelt sich das wieder. Im Moment haben wir ja, was viele erschreckt, die gleiche Situation wie vor hundert Jahren. Damals in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts befanden wir uns kulturell auch auf einem recht hohen Niveau, so wie jetzt auch wieder. Vor hundert Jahren kam das Radio auf und wurde für Propaganda benutzt, dasselbe passiert heute mit dem Internet. Aber ich denke, wir haben heute bessere Chancen zu verhindern, dass es wieder zu einem solchen Crash kommt wie vor hundert Jahren. Die demokratischen Verflechtungen und das ganze Drumherum bilden nämlich ein deutlich besseres und stabileres Fundament. Ich glaube jedenfalls daran, dass wir das wieder irgendwie in den Griff kriegen.

Du findest, dass wir kulturell auf einem hohen Niveau sind?
Ja. Wenn ich mich umsehe, stelle ich fest, es gab noch nie so viel gute Musik oder so viel gute Filme. Genauso war es ja auch vor hundert Jahren, als wir in den Zwanzigern unglaublich viele gute Songs und kreative Geschichten hatten. Und in der jetzigen Zeit finde ich, dass die Kreativszene bunter denn je ist. Wir haben unendlich viele Start Ups und junge Leute mit genialen Ideen, das gehört ja auch mit dazu.

004 20200302 1914727934Ein artverwandtes Lied ist "Mal Dein Herz an". Hier geht es um einen Aufruf, sein Leben so zu leben, wie man es möchte und sich nicht selbst einzuengen bzw. sich nicht einengen zu lassen. Bist Du dieser Philosophie eigentlich auch immer gefolgt oder hast Du auch erst lernen müssen?
Dieser Philosophie bin ich zum Glück schon immer gefolgt, was möglicherweise damit zusammenhängt, dass ich genug Liebe von meiner Mutter gekriegt habe. Das ist wohl so ein Schlüsselding. Deshalb habe ich auch nie nach einer großen Karriere schielen müssen, weil mein Ego hauptsächlich über das Gefühl befriedigt war. Es ist ja meistens so, dass man nach irgendetwas sucht und immer mehr Bestätigung braucht. Das brauchte ich aber nie. Deshalb bin ich auch nach über vierzig Jahren auf der Bühne immer noch in der Lage, mich auf jedes Konzert, auf das Publikum und auf das Musikmachen zu freuen. Da hüpft und tanzt mein Herz.

Ein anderes Thema, welches Du auf Deinem neuen Album gleich zu Beginn im Song "Verjubeln" ansprichst, ist unser Umgang mit der Welt, verbunden mit der Hoffnung, dass die uns nachfolgende Generation besser mit dieser Welt umgehen wird. Das klingt schon sehr nach Aufgabe, oder interpretiere ich da etwas falsch?
Das kannst Du so oder so sehen. Der ausschlaggebende Gedanke, den Song zu schreiben, war der Moment, wo Du erkennst, dass der Mensch sich viel zu wichtig nimmt. Wir diskutieren die ganze Zeit darüber, dass wir die Erde kaputt machen. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir nicht die Erde kaputtkriegen, sondern dass wir uns selbst kaputtmachen. Dieser Anmaßung der Menschen, sich viel zu wichtig zu nehmen, steht die Tatsache gegenüber, dass sie eigentlich nur ein kleiner Schiss auf der Welt sind. Das war der Grund für dieses Lied. Eigentlich ist es ein fröhlicher Song, denn mir gefällt die Vorstellung, dass wir es nicht schaffen, die Welt kaputtzumachen. Ich habe mal in einem Bericht gehört, dass beispielsweise eine Stadt wie Berlin bereits nach fünfzig Jahren ohne Menschen von der Natur zurückgeholt sein würde. Das finde ich toll, denn das nimmt eine Menge Druck von uns.

Auch das Thema Internet hat seinen Weg in Deine Lieder gefunden. "100 Millionen Follower" ist so ein Stück. Wie stehst Du selbst zum Internet?
Für mich war und ist das Internet eine echt tolle Sache, weil mir das mein unabhängiges Handeln als Musiker ermöglicht. Ich muss mit keiner Major Company zusammenarbeiten und erreiche die Leute trotzdem auf direktem Wege. Für mich ist es also genau das, als was es von Anfang an gedacht war: ein Segen. Man ist absolut unabhängig. Allerdings birgt das auch die Gefahr, dass einige Leute nur in ihren eigenen Blasen feststecken, vor sich hinvegetieren und sich gegenseitig beweihräuchern, wodurch manche Fronten nur noch mehr verhärtet werden. Deshalb der Song "100 Millionen Follower". Es kommt ja immer mehr vor, dass es Musiker gibt, die unendlich viele Follower haben, aber zum Livekonzert kommen dann gerade mal 50 Leute vorbei.005 20200302 1759937179 Darin sieht man, dass sich hier eine Eigendynamik entwickelt hat, die überhaupt nicht gut ist. Für mich persönlich ist es aber in Ordnung, denn ich habe das richtige Publikum. Das liegt daran, weil ich - wenn ich mal anmaßend sein darf - die richtigen Songs schreibe, die Herz und Hirn ansprechen. Deshalb bin ich von diesen ganzen negativen Strömungen nicht so abhängig wie andere in der Branche.

Du hast in Deinen Liedern über all die Jahre immer extrem viel mit Ironie gearbeitet. Legendär ist beispielsweise der Song "Feine Ideen", in dem Du allem, was der Umwelt eigentlich schadet, etwas Gutes abgewinnen kannst. Auf "Jubel" sind hingegen deutlich mehr ernstere Töne zu vernehmen. Geht einem dieser humorvolle Blick auf die Dinge im Laufe des Lebens verloren oder macht es einfach nur eine Pause?
Das macht mit Sicherheit nur eine Pause. Ich habe das große Glück, dass mein Publikum mit meinen Songs geht und nicht sagt: "Ach weißt Du, auf der einen Platte waren so viele schöne ironische Songs, das möchten wir jetzt unbedingt wieder hören". Das ist das Schönste und Beste, was einem Musiker passieren kann, wenn man Sachen aus der momentanen Situation heraus machen kann und das Publikum nicht ständig sagt: "Früher hat er mir aber besser gefallen". Das ist einfach eine Entwicklung. Es kam aus der Situation heraus, dass sich das Album auf diese Art entwickelt hat. Ich bin jedenfalls glücklich damit, weiß aber, das nächste Album kann sich schon wieder ganz anders anhören.

Daran schließt sich gleich meine nächste Frage an: Wieso heißt das Album "Jubel"? So laut ist es doch gar nicht.
Das stimmt. Aber "Jubel" gefiel mir, ich fand das Wort toll, zumal es ja auch als eine Ableitung von "Jubiläum" gesehen werden kann. Mir war nämlich klar, dass ich mich gerade im 40. Jahr seit meiner ersten Veröffentlichung befinde, aber "Jubiläum" war mir irgendwie zu lang. Deshalb fand ich "Jubel" passender. Da steckt ja auch so ein ironischer Touch drin, wie ich finde. Im Mittelalter sagte man "Der König kommt - Jubel!" Wobei das natürlich kein echtes Jubeln war, sondern eher Ironie. So kann man das bei mir auch sehen. Wirklich erklären kann man das nicht, denn das entwickelt sich ja immer erst während der Arbeit an den Songs.006 20200302 1700589488 Da passiert dann vieles intuitiv. Im Nachhinein habe ich gemerkt, "Jubel" ist für mich genau der richtige Titel, weil es für mich ein Grund zum Jubeln ist, so viele Jahre erfolgreich Musik zu machen und weiterhin so kreativ und vor allem unabhängig zu sein. Somit könnte das Album für mich persönlich sogar "Mega-Jubel" heißen.

Ich frage das meine Interviewgäste in Bezug auf ihre neuen Alben immer gerne, weil ich etwas nostalgisch unterwegs bin: Hast Du die Platte mit Deiner Band so eingespielt, wie man sich das vorstellt, also gemeinsam ins Studio gehen und alles live einspielen, oder ist das Album mehrere Kilometer verteilt an verschiedenen Orten entstanden, um an Ende im Studio zusammengeschraubt zu werden?
Diesmal trifft das zweite zu. Nachdem wir die Vorgängeralben "Popschutz" und "Operation 17" wirklich klassisch im Studio mit der kompletten Band eingespielt haben, hatte ich diesmal Lust, es irgendwie anders zu machen und die Sache entspannter anzugehen. Ich fing damit an, verschiedene Grundbeats am Schlagzeug selber einzutrommeln. Und so haben wir alles zusammengebaut, bis auf wenige Ausnahmen. "Morgen kommt die Müllabfuhr" haben wir z.B. im Trio eingespielt. Trotzdem wurden die Lieder auf der normalen Songbasis gefertigt. Natürlich laufen hin und wieder ein paar Loops drunter, auf die wir dann drauf gespielt haben. Aber wenn Du Dir die letzten 18 Alben anhörst, wirst Du feststellen, dass das schon immer so war. Mitte der Neunziger beim Album "Mit Sicherheit" haben wir bereits mit ganz viel Elektronik und Loops gearbeitet. Ich finde es sowieso sehr interessant, sich mit diesen Dingen mal auseinanderzusetzen.

Die Schlagzeugparts auf dem neuen Album sind aber nicht alle natürlich, oder?
Das ist richtig. Wie gesagt, habe ich bei einigen Nummern die Grundbeats eingespielt, diese dann nach L.A. geschickt, wo noch ein paar Percussions draufgespielt wurden. Wir hatten sogar überlegt, nach L.A. zu fliegen, um im dortigen Studio noch ein paar Dinge aufzunehmen, aber letztlich fühlte es sich entspannter an, es diesmal so zu machen, wie ich es geschildert habe. Wir spielten dann noch einige Teile mit Sönke Reich, einem weiteren guten Drummer, bei mir im Studio ein, und so fügte sich das irgendwie zusammen. Klaus Voormann ist ein guter Freund von mir, der u.a. die BEATLES von Grund auf kennt und schon immer zu mir sagte: "Entweder machst Du Abbey Road oder Sgt. Pepper". Wer sich ein bisschen mit Produktionen auskennt, der weiß, das drückt genau das aus, was Du meinst. Also entweder spielst Du alles mit der Band ein oder gehst Song für Song vor.

007 20200302 2011856599Neben Deiner Band, mit der Du schon lange zusammenarbeitest, gibt es auch wieder Gäste auf dem Album zu hören. Tess Wiley ist zum Beispiel eine dieser Gäste. Stell sie uns bitte kurz vor und erwähne dabei auch, wie sie zu Dir ins Studio gekommen ist.
Tess Wiley stammt aus Texas, lebt aber witzigerweise schon seit einigen Jahren in Gießen. Sie ist nicht nur eine hervorragende Sängerin, sondern auch eine großartige Pianistin und Gitarristin. Geige spielt sie außerdem noch. Ich habe sie vor ein paar Jahren in Hamburg kennengelernt. Sie gab mir ein Album von sich, welches ich ohne Wenn und Aber klasse fand. Wir machten daraufhin zwei Duo-Touren zusammen, die auch super gut verlaufen sind. Wenn wir im Sommer Bandkonzerte spielen, lassen wir Tess oft mitmachen. Bei diesen Auftritten übernimmt unser Allrounder Sebel dann übrigens immer das Schlagzeug. Ich schätze Tess also wirklich sehr.

Was verbindet Dich denn mit Christina Lux, die auf dem Album auch als Gast zu hören ist und auf deren letztem Album Du ebenfalls Fingerabdrücke hinterlassen hast?
Christina Lux ist eine Art Seelenverwandte. Sie macht seit ca. drei Jahrzehnten das, wonach ihr Herz ruft und lässt sich nicht von irgendwelchen kommerziellen Zwängen leiten. Davon gibt es ja bekanntlich nicht ganz so viele. Außerdem ist sie eine hervorragende Gitarristin und Sängerin. Gerade ihr letztes Album, was zugleich ihr erstes deutschsprachiges ist, klingt richtig toll. Alles in allem ist Christina Lux eine geniale Musikerin.

In diesem Monat veröffentlichen Joachim Witt, Wolf Maahn, Heinz-Rudolf Kunze und Du jeweils neue Alben. Wenn man die Augen schließt, könnte man meinen, wir sind wieder in den Achtzigern. Hättest Du zu Deinen Anfängen damit gerechnet, dass Du vierzig Jahre später immer noch so gut im Geschäft sein würdest?
Nein, natürlich nicht. Aber genau das ist ja der Jubelpunkt. Da sind wir wieder beim aktuellen Album. Also nein, damit konnte ich überhaupt nicht rechnen, zumal man ja mit Mitte Zwanzig ganz und gar nicht über so etwas nachdenkt. Damals kam mir jemand mit 40 Jahren ja schon extrem alt vor.008 20200302 1543539479 Wirklich keiner von uns hätte auch nur im Traum daran geglaubt, dass man mit der Musik so alt werden kann. Und schon gar nicht hätte ich gedacht, dass ich in meinem heutigen Alter auch immer noch mit einer solchen Lust im Studio und auf der Bühne stehe.

Hat es für Dich eigentlich jemals einen Plan B gegeben für den Fall, dass es mit der Musik in die Hose gegangen wäre?
Nein, zum Glück nicht. Wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb ich das mit der Musik immer so gnadenlos durchgezogen habe. Wenn ich diesen Plan B gehabt hätte, hätte es vielleicht auch bestimmte Situationen gegeben… Aber nein, eigentlich lief es meistens gut, denn ich war immer starrköpfig genug, immer weiter mein Ding so durchzuziehen, dass ich zu keiner Zeit die Lust verloren habe. Und Publikum hatte ich glücklicherweise auch immer genug.

Trotzdem hat sich vieles in den letzten vierzig Jahren verändert. Das Thema Internet hatten wir ja gerade schon. Und das ist auch mit dafür verantwortlich, dass Musik für viele Menschen heute nichts mehr wert ist. Es wird nämlich lieber gestreamt anstatt sich eine Platte oder eine CD zu kaufen. Du scheinst aber daran festzuhalten und hast "Jubel" nicht nur auf CD, sondern auch auf Platte veröffentlicht. Läuft das Geschäft bei Dir noch anders als bei den Kollegen?
Ich glaube schon, dass ich von Natur aus ein Publikum habe, für das Musik noch einen gewissen Wert besitzt und das nicht so oberflächlich konsumiert. Sonst würde es wohl auch gar nicht erst in meine Konzerte kommen. Das sind Leute, die einen eigenen Geschmack haben, die nicht darauf angewiesen sind, was der Nachbar hört, die ein viel intensiveres Empfinden für die Musik haben als viele andere. Deswegen hält sich das auch. Und sie sind clever genug zu verstehen, dass es die Künstler eines Tages nicht mehr geben wird, wenn man sie nicht unterstützt. Das ist nichts anderes, als wenn man jeden Tag zu dem Bäcker geht, den man gut findet und dessen kleinen Laden man liebt. Da muss man sich halt entscheiden, ob man zu ihm geht und ein paar Cent mehr hinlegt oder ob man lieber die etwas günstigeren Brötchen der Ketten kauft. Und dann sind aber viele nicht in der Lage, die Brücke zu schlagen und wundern sich, warum der kleine Bäckerladen dicht gemacht hat.009 20200302 2044430612 Mein Publikum scheint aber zu wissen, dass es eine Win-Win-Situation ist. Die möchten weiterhin gute, selbstgemachte, qualitativ hochwertige Musik haben, deshalb unterstützen sie uns halt auch mit Plattenkäufen.

Lass uns nochmals in der Zeit vierzig Jahre zurückgehen. Da hast Du Dein erstes Album gemacht, damals noch unter dem Namen STENDER BAND. War das wirklich eine Band oder warst Du es, der hinter dem Namen steckte und der das Ganze mit Gästen eingespielt hat?
Zuerst war es ein Duo. Es gehörte ein Gitarrist dazu, der hieß Frank Benn und war ein ziemlich Guter. Wir gingen nach England, wo wir einen Vertrag mit einem kleinen Label hatten. Es spielten noch ein paar englische Musiker mit. Kurz darauf formierte sich die Band dann in Deutschland.

Was ist aus Deinem Kollegen geworden? Was macht der heute? Gibt es noch Kontakt zwischen Euch?
Auf jeden Fall macht er keine Musik mehr. Der ist heute Puppenspieler.

"Erfrischungen" heißt das Album der STENDER BAND und ist seit Jahren nicht mehr erhältlich. Wäre es jetzt nicht eine wunderbare Gelegenheit, den Fans, die es noch nicht ihr Eigen nennen, mit einer Neuauflage eine Freude zu bereiten?
Ich glaube, wir hatten das zwischendurch mal als CD rausgebracht. Gibt es das nicht mehr im Handel?

Als Platte jedenfalls nicht mehr. Da hab ich auf einem Portal ein Exemplar entdeckt, das 600 Euro kosten soll.
Das wäre natürlich eine gute Idee, denn mir war nicht bewusst, dass es die Platte nirgends mehr gibt. Da kann man also durchaus mal wieder drüber nachdenken. Ich habe noch ein paar Exemplare zuhause. Falls ich aber mal Geld brauche, kann ich die also für 600 Euro verkaufen (lacht).

010 20200302 1491109999Mit "Jubel" bist Du natürlich auch auf Tour. Wenn man Dich fragt, was Du für Dein Publikum vorbereitet hast, kann man auch einen Kardiologen fragen, wie er die Herztöne misst. Trotzdem frage ich Dich einfach mal, wie Du dem Publikum Dein aktuelles Programm schmackhaft machst.
Das Spannende wird sein, diese neuen Lieder mit der Band, also zu viert, live zu spielen. Da freuen wir uns schon sehr drauf. Auch wenn die neuen Songs anders aufgenommen sind als sonst, haben sie trotzdem eine Songbasis. Sie sind ja nicht wie bei vielen anderen Künstlern aus irgendwelchen Versatzstücken zusammengepfriemelt, sondern die Seele meiner Songs ist existent und spielbar. Die Aufgabe wird nun sein, das in den Bandsound umzusetzen. Wir haben es zwar noch nicht ganz entschieden, aber wir werden vieles vom neuen Album spielen. Acht Stücke werden es bestimmt. Der Rest wird dann mit Songs aus den anderen Alben garniert. Ich stelle mir immer vor, ich stehe da unten im Publikum und möchte eigentlich auch nicht zu viele neue Stücke hören, sondern ich müsste zwischendurch immer noch ein paar von den alten, bekannten Knallern haben, um in dem Gefühl drin zu bleiben. Wir werden also eine schöne Mischung hinbekommen. Obwohl es immer wieder erstaunlich ist, dass die Leute auch die neuen Titel regelrecht erwarten und mögen. Das war schon bei den letzten Alben immer so. Jetzt hat sich ja der Hörerkreis auch noch ein wenig erweitert, was man nicht zuletzt an der Chartnotierung sieht. So hoch waren wir nämlich noch nie drin. Da werden also auch Leute kommen, die in erster Linie das neue Album hören wollen.

Gibt es eigentlich in Deinem Sortiment ein "Satisfaction"? Also eine Nummer, die Du unbedingt spielen musst, weil die Leute Dich sonst nicht von der Bühne lassen?
Zum Glück nicht. Das ist genau das, wovor ich mich immer geschützt habe. Wenn Du einmal diesen Soundtrack für eine ganze Generation geliefert hast, dann musst Du den auch immer wieder bringen. Was aber in den letzten Jahren nie gefehlt hat, sind "Aus dem Beton",011 20200302 1254461682 "Tanz" und eine neuere Nummer namens "La Compostela". Diese Sachen spiele ich fast schon automatisch auf jeder Tour. Aber selbst wenn es mal anders sein sollte, haben die Leute trotzdem Spaß mit uns.

Ich muss nochmal nachhaken. Du sagtest eben, das Album sei so gut platziert wie nie zuvor. Kann das auch mit der Geschichte zusammenhängen, über die wir uns am Anfang des Interviews unterhalten haben?
Ja klar. Kann schon sein, dass über den Videoclip wieder ganz andere Leute auf mich gestoßen sind. Auch das ist wieder so ein Jubelgrund. Es ist schon erstaunlich, denn wir haben ja quasi keinen Medieneinsatz, laufen nicht im Radio und trotzdem erreichen wir die Leute und landen in den Top 5.

Ich drücke Dir für die Tour ganz fest die Daumen und hoff, dass das Album vielleicht sogar noch etwas höher steigt.
Das wird wohl nichts, denn es ist schon wieder nach unten gegangen mit der Platzierung. Aber das ist völlig normal, zumal es ohnehin ein komisches System mit den Charts ist. Ja, es war nett, das mal zu sehen, aber letztlich ist es nur eine Art gebündeltes Messen der Situation und sagt nur etwas über den Moment aus. Und ohne jeden Tag mehrfach im Radio zu laufen, wirst Du es niemals schaffen, wochenlang in den Top 5 zu bleiben. Das müssen wir auch nicht.

Das wars auch schon. Vielen Dank für Deine Zeit.



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: tormey
Fotos: Pressematerial (u.a. Thomas Willemsen, Robert Grischek, Tine Acke), Redaktion (u.a. Christian Reder)
 
 


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